Deutscher Bundestag Vorbehalte der Hausärzte gegenüber der elektronischen Gesundheitskarte Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 9 – 3000-174/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-174/10 Seite 2 Vorbehalte der Hausärzte gegenüber der elektronischen Gesundheitskarte Aktenzeichen: WD 9 – 3000-174/10 Abschluss der Arbeit: 08.10.2010 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Jugend Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-174/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Funktionsweise der elektronischen Gesundheitskarte 4 2. Vorbehalte gegenüber der Gesundheitskarte 5 3. Anlagen 6 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-174/10 Seite 4 1. Funktionsweise der elektronischen Gesundheitskarte Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) wurde bereits am 29. September 2003 im Bundestag beschlossen. Die rechtliche Grundlage hierfür bildet Art. 1 Nr. 162 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14. November 2003 in Verbindung mit § 291 a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Danach soll die eGK der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, Qualität und Transparenz der ärztlichen Behandlung dienen. Zunächst enthält die eGK - genau wie die alte Krankenversichertenkarte - die sog. administrativen Daten. Dies sind verpflichtende Angaben, die auf der Karte gespeichert werden müssen. Dazu gehören Name, Geburtsdatum, Adresse sowie Angaben zur Versicherung und Krankenversichertennummer . Jeder Versicherte bekommt eine neue Krankenversichertennummer, die er lebenslang (auch bei einem Kassenwechsel) behält. Die eGK dient somit nach wie vor als Versicherungsnachweis und berechtigt zur Inanspruchnahme von vertragsärztlichen Leistungen. Zu den Pflichtfunktionen gehört gem. § 291a II 1 SGB V das „elektronische Rezept“, das das bisherige Papierrezept ablösen soll. Jede Karte ist auf der Rückseite für die Aufnahme der Europäischen Krankenversicherungskarte (EHIC-European Health Insurance Card) ausgerüstet; so soll sie im Krankheitsfall eine unbürokratische Behandlung im europäischen Ausland ermöglichen. Darüber hinaus bietet die eGK - als Neuerung im Vergleich zur alten Karte - einen Bereich der freiwilligen Nutzbarkeit an. Mit Einverständnis des Versicherten können dort zusätzliche medizinische Funktionen wie die Arzneimitteldokumentation und Notfalldaten gespeichert werden. Eine einmal erteilte Einwilligung kann von dem Versicherten jederzeit widerrufen oder auf einzelne Anwendungen beschränkt werden. Langfristiges Ziel soll die Speicherung der „elektronischen Patientenakte“ (EPA) sein, um so sämtliche Diagnosen , Befunde und Arztbriefe überblicken zu können. Der Patient behält bei den freiwilligen Anwendungen stets die Hoheit über seine Daten. Er bestimmt selbst, ob er diese nutzen und welche Daten er zusätzlich auf der Karte gespeichert haben möchte. So wird sein durch Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschütztes Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt. Um Missbrauch vorzubeugen, befindet sich auf der eKG verpflichtend ein Foto des Versicherten . Ausgenommen hiervon sind lediglich Personen unter 15 Jahren und solche, die an der Erstellung des Fotos nicht mitwirken können. Die von dem Arzt erhobenen Patientendaten bleiben grundsätzlich bei diesem und unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht. Die mittels der Gesundheitskarte gespeicherten Informationen können nur dann gelesen werden, wenn sowohl der Patient als auch der Arzt zustimmen und ihre eGK bzw. ihren elektronischen Heilberufsausweis einsetzen (doppeltes Autorisierungssystem ). Die persönliche Identifikationsnummer (PIN) bildet einen Kernbestandteil der elektronischen Gesundheitskarte und dient dem Versicherten als persönliche Geheimnummer. Eine solche PIN besitzen auch die Angehörigen der Heilberufe. Nur wenn Arzt und Patient ihre PIN einsetzen , wird ein Zugriff auf die freiwilligen Anwendungen und damit auf die hoch sensiblen medizinischen Daten des Patienten möglich (sog. Zwei-Schlüssel-Prinzip). Die administrativen Funktionen hingegen sind ohne PIN abrufbar. Bevor die Daten die Arztpraxis oder das Krankenhaus verlassen, werden sie individuell „kryptographisch“ verschlüsselt, d.h. sie werden so verändert , dass sie von Außenstehenden nicht mehr gelesen werden können. So sollen die Daten vor Angriffen unberechtigter Dritter geschützt werden. Da es keinen „Generalschlüssel“ gibt, kann niemand (auch nicht bei Verlust der Karte) die medizinischen Daten eigenmächtig lesen. Darüber hinaus wird für den Patienten nachvollziehbar dokumentiert, wer auf seine Gesundheitsdaten zugegriffen hat, da die letzten fünfzig Zugriffe protokolliert werden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-174/10 Seite 5 2. Vorbehalte gegenüber der Gesundheitskarte Nach Auskunft der Bundesärztekammer ( Herr Butz) zeigt die Ärzteschaft allgemein ein sehr heterogenes Bild gegenüber der gesamten Telematik im Gesundheitswesen. Vereinzelt werden bei den Hausärzten jedoch Insellösungen bevorzugt und einige Hausarztverbände äußern Vorbehalte gegenüber der elektronischen Gesundheitskarte. Unter Telematik im Gesundheitswesen versteht man die Vernetzung von allen Akteuren im Gesundheitswesen wie Ärzte, Krankenhäuser, Apotheker und Patienten, z.B. über Netzwerkverbindungen, und den gegenseitigen Informationsaustausch zwischen diesen Gruppen. Dieser Bereich umfasst also z.B. die elektronische Gesundheitskarte , die elektronische Patientenakte und medizinische Informationssysteme. Insbesondere werden immer wieder folgende Kritikpunkte an der eGK geäußert: Datenschutzargument Datenschutzrechtliche Bedenken werden von einigen Hausärzten oft als Argument gegen eine landesweite Einführung der Telematik angeführt. Es wird befürchtet, dass die informationelle Selbstbestimmung der Bürger verletzt wird. In diesem Zusammenhang fällt oft auch der Begriff des ”gläsernen Patienten“. Sorge besteht, dass unbefugter Zugriff auf Daten durch Krankenkassen aber auch durch Ärzte besteht. Es wird befürchtet, dass geschätzte zwei Millionen Personen Zugriffsrechte auf dieses System und die Krankheitsdaten haben. Diese sollen in Zukunft in Form elektronischer Patientenakten gleich beim Kostenträger Krankenkasse gespeichert werden. So entstünde in naher Zukunft nicht nur der gläserne Patient, sondern auch der gläserne Arzt. Die Versicherten könnten so in Risikoklassen eingeteilt werden. Kostenintensive Patienten würden leicht ausgemacht, und es könne kontrollierend an den Menschen gespart werden. Abgesehen von dem auf der Kartenrückseite aufgedruckten Berechtigungsnachweis zur Inanspruchnahme von Leistungen im europäischen Ausland unterstützt die eGK tatsächlich die folgenden Anwendungen: - die elektronische Verordnung (eVerordnung) - einen Notfalldatensatz - den elektronische Arztbrief - Daten zur Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit, das heißt eine Arzneimitteldokumentation - die elektronische Patientenakte - das vom Patienten selbst zu bestückende elektronische Patientenfach - die elektronische Patientenquittung. Mit Ausnahme der eVerordnung ist jedoch keine dieser Anwendungen verpflichtend. Entscheidet sich der Karteninhaber für eine oder mehrere der freiwilligen Anwendungen, hat er weiterhin das Recht zu bestimmen, welche Informationen gespeichert werden. Darüber hinaus kann er fallweise die Anzeige bestimmter Informationen unterdrücken. Dies gilt auch bei der Pflichtanwendung eVerordnung, wo der Patient (genau wie in der Offlinewelt) einzelne Verschreibungen selber löschen oder so verbergen kann, dass sie in der aufgesuchten Apotheke nicht sichtbar sind. Von Bedeutung ist dabei weiter, dass Ärzte und die anderen in § 291 a Abs. 4 SGB V genannten Heilberufler nur dann auf die Daten eines Patienten zugreifen können, wenn sie sich mit ihrem von der Kammer ausgestellten Heilberufsausweis (HBA) authentisieren und legitimieren. Es müssen also immer beide Karten – eGK und HBA – gleichzeitig in die speziellen Lesegeräte gesteckt werden, damit ein Datenzugriff hinsichtlich eines bestimmten Patienten möglich wird. Die Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-174/10 Seite 6 gesetzlichen Vorgaben an das System sorgen also dafür, dass der Patient die Befugnis behält, selbst zu steuern, welchem Arzt („Leistungserbringer“) er welche Information offenbart. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten wird so gewahrt. Kostenargument Es wird vorgebracht, dass die zu errichtende Infrastruktur für die Telematik in den Hausarztpraxen unverhältnismäßig zu dem erwartenden Gewinn seien. Es gibt dabei Zweifel, ob die Kostenschätzungen der Krankenkassen für die erwarteten Einsparungen auch wirklich korrekt sind. Dazu ist laut Bundesärztekammer anzumerken, dass eine Kostenerstattung der Investitionen für die Infrastruktur durch die Krankenkassen erfolgen soll und somit durch die eGK den Hausärzten keine zusätzlichen Kosten entstehen werden. Weiterhin wird kritisiert, dass Kalkulationen zu den Handhabungs- und Betriebskosten fehlen. Es wird außerdem bezweifelt, dass die eGK den erwarteten Nutzen- systemübergreifende Vernetzung der Ärzte sowie Informationsaustausch- bringt. So werden etwa Verzögerungen in den Arztpraxen durch die PIN-Eingabe der Patienten erwartet und argumentiert, die eGK füge sich nicht in den täglichen Praxenablauf ein. Hinzu kommen Ängste vor technischen Schwierigkeiten, wie etwa Zuverlässigkeit der Datenverbindung. Eine telefonische Nachfrage ergab, dass der Hausärzteverband selber keine Stellungnahmen zu den immer wieder geäußerten Vorbehalten einiger Hausärzte abgibt. In Baden -Württemberg, wo die hausarztzentrierte Versorgung (HzV) schon vor Jahren eingeführt wurde, ist mittlerweile eine elektronische Anbindung der Praxen an die Krankenkassen Pflicht. So ist dort beispielsweise keine weitere Infrastruktur für die eGK erforderlich, da die Technik mit der HzV schon eingeführt wurde. 3. Anlagen BIFOA, Memorandum zum Nutzen der eGK Anlage 1 Forderungskatalog der Ärzteschaft zum Projekt elektronische Gesundheitskarte auf Grundlage der Beschlüsse des 11.Ärztetages 2008 Anlage 2 Marx, Fabian, TU Darmstadt, Die elektronische Gesundheitskarte- Ein Überblick. Anlage 3 Bundesärztekammer eHealth-Report: Der Einsatz von Telematik und Telemedizin im Gesundheitswesen aus Sicht der Ärzteschaft, http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=1.134.3421.8696