Deutscher Bundestag Illegale Abrechnungspraktiken im Gesundheitswesen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 9 – 3000-173/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 2 Illegale Abrechnungspraktiken im Gesundheitswesen Aktenzeichen: WD 9 – 3000-173/10 Abschluss der Arbeit: Datum 5. November 2010 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 5 2. Begriff der Korruption 5 3. Rechtslage 6 3.1. Verfahren zur Zulassung von Therapien und Medikamenten in Deutschland 6 3.2. Straftatbestände im Zusammenhang mit Fehlverhalten im Gesundheitswesen 7 3.3. Abrechnungsprüfungen 8 3.4. § 197a SGB V - Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen 8 3.5. § 128 SGB V – Unzulässige Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten 9 3.6. Bundesordnung der Ärztekammer 9 4. Erhebungen und Schätzungen zum quantitativen Umfang des Schadens durch Abrechnungsbetrug oder andere illegale Methoden im Gesundheitswesen 10 5. Formen illegaler Abrechnungspraktiken 12 5.1. Ärzte 12 5.1.1. Vertragsarzt 12 5.2. Zahnmedizin 13 5.2.1. Zahnärzte 13 5.2.2. Zahnlaborleistungen 14 5.3. Apotheker 14 5.4. Krankenhaus 15 5.5. Industrie im Gesundheitswesen 16 5.6. Versicherte 16 5.7. Fehlverhalten durch Arbeitgeber 16 5.8. Abrechnungsbetrug im Pflegebereich 17 5.9. Sonstige Fälle von Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen. 17 5.10. Exkurs: Die Kritik an Kooperationsverträgen, Drittmittelfinanzierungen, Anwendungsbeobachtungen und Integrationsverträgen 17 6. Entwicklungen, Positionen und Vorschläge zur Vermeidung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen – eine Auswahl 20 6.1. Bundesministerium für Gesundheit 20 6.2. Kassenärztliche Bundesvereinigung 20 6.3. Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen 20 6.3.1. Beispiel: Die Kaufmännische Krankenkasse Halle - Allianz 21 6.4. Bund Deutscher Kriminalbeamter 22 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 4 6.5. Forderung nach Anti-Korruptionsbeauftragter im Gesundheitswesen 22 7. Schlussbemerkung 23 8. Ausgewählte Literatur 24 9. Linkverzeichnis 25 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 5 1. Einleitung Am 27. September 2010 untersuchten Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Berlin Einrichtungen des Deutschen Roten Kreuzes, Berlin. Nach Pressemitteilungen soll es sich um eine der größten betrügerischen Handlungen im Bereich des Gesundheitswesens in Berlin handeln. Beschuldigt werden 62 Personen, darunter auch Mitglieder der Führungsebene. Der entstandene Schaden wird auf einen zweistelligen Millionen Euro-Betrag beziffert.1 Immer wieder gibt es Berichte von Fehlverhalten, Unregelmäßigkeiten und betrügerischen Abrechnungspraktiken im Gesundheitswesen . Diese Taten werden entweder durch Einzelne oder im Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure im Gesundheitssystem begangen. Im Folgenden werden, nach einer Begriffsklärung und einer Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen , Formen von Fehlverhalten im Gesundheitswesen und die Positionen von Interessenverbänden und anderen involvierten Organisationen erläutert. Aufgrund der sehr unterschiedlichen rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen in Deutschland wird das Augenmerk auf Gesetzliche Krankenkassen, bei denen das wesentlich größere Schadensvolumen entsteht, gerichtet. 2. Begriff der Korruption Unter Korruption im weitesten Sinne wird Bestechlichkeit, Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung , Unterschlagung, Richter- und Abgeordnetenbestechung, politischer Betrug oder Erpressung , Patronage und Klientelismus subsumiert. Demnach bezeichnet Korruption einen weiten Bereich moralisch verwerflicher Sachverhalte, die von Amtsmissbrauch oder anderen strafbaren Handlungen bis zum allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Sittenverfall reichen.2 Transparency International (TI), eine Organisation, die sich im Bereich der Korruptionsbekämpfung engagiert, versteht unter Korruption das „Ausnutzen von anvertrauter Macht zum persönlichen Nutzen“.3 TI geht somit über eine rein juristische Betrachtungsweise, ob eine Person oder Organisation durch sein beziehungsweise ihr spezifisches Verhalten gegen geltendes Recht verstößt , hinaus und stellt die These auf, dass allein aufgrund der nach Auffassung von TI intrans- 1 Berliner Morgenpost, 1. Oktober 2010, Neue Razzien – Klinik-Skandal weitet sich aus, eingestellt auf: http://www.morgenpost.de/berlin/article1411572/Neue-Razzien-Klinik-Skandal-weitet-sich-aus.html (Stand 1. November 2010). 2 So definiert bei Brockhaus, Online-Version : http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_article.php (Stand 1. November 2010). 3 Transparency International (2008), S. 3. Hinsichtlich neuer Erkenntnisse teilte TI auf Anfrage mit, dass sich aktuell an den Erscheinungsformen nichts geändert habe. Dies gelte insbesondere für die niedrige Aufklärungsquote. In der Stellungnahme wird darauf hingewiesen, dass das „European Healthcare Fraud and Corruption Network“ in Deutschland von einer Schadenssumme im Gesundheitswesen von 13,8 Mrd. Euro ausgehe. Wie viel davon spezifisch auf Abrechnungsbetrug entfalle, werde nicht aufgeschlüsselt. Abschließend wird in der Stellungnahme mangelnde Datentransparenz und der Unwille der meisten Kassenärztlichen Vereinigungen konstatiert, ihre Mitglieder hinreichend zu kontrollieren. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 6 parenten Strukturen und Entscheidungsprozesse Korruption im deutschen Gesundheitswesen befördert wird. Daher führt TI den Begriff der „Strukturellen Korruption“ ein.4 Einer solchen extensiven Definition wiederspricht beispielsweise die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ausdrücklich.5 Korruption im Gesundheitswesen benennt keinen juristisch definierten Tatbestand, sondern wird wie beschrieben als Oberbegriff für eine Vielzahl illegaler Handlungen, Tatbestände wie Betrug oder Bestechung durch Akteure im Gesundheitssystem verwendet. Zum Täterkreis zählen sowohl Leistungserbringer wie beispielsweise Ärzte, Zahnärzte, Apotheker oder Krankenhäuser als auch Versicherte. Eine Definition für Korruption im Gesundheitswesen bezeichnet „eine Situation , in der zugunsten einer bestimmten Gruppe der im Gesundheitsmarkt agierenden Personen missbräuchlich Vorteile zulasten anderer Gruppen beziehungsweise der Allgemeinheit bewirkt werden. Korruption bezeichnet mithin den regelwidrigen Austausch von Vorteilen.“6 In der Diskussion um Korruption und deren Bekämpfung beziehungsweise Vermeidung hat sich auch der Begriff der Compliance eingebürgert. Hierunter wird die Einhaltung von Verhaltensmaßregeln , Gesetzen und Richtlinien verstanden.7 Da der Begriff Korruption nicht eindeutig definiert ist, wird im Folgenden der Begriff Fehlverhalten gemäß § 197a SGB V verwandt.8 3. Rechtslage 3.1. Verfahren zur Zulassung von Therapien und Medikamenten in Deutschland Bevor die Rechtslage zur Frage von Fehlverhalten im Gesundheitswesen erläutert wird, an dieser Stelle ein einführender Hinweis, wie in Deutschland Therapien oder Medikamente zugelassen werden: Die Genehmigungen werden von dem „Gemeinsamem Bundesausschuss“ (GBA) festgelegt. Gesetzliche Grundlage ist der § 92 Sozialgesetzbuch V (SGB V). Demnach beschließt der GBA „die 4 Transparency International (2008), S. 4. 5 Die Stellungnahme abgedruckt auf der Ausschussdrucksache 16(14)445(2) zu Top 3 der Tagesordnung des Ausschusses für Gesundheit vom 12. November 2008. 6 Wrackmeier, Antje (2008), Drittmittelfinanzierung im Gesundheitswesen. Eine Untersuchung zum Restriktionsbedürfnis des Tatbestandes der Vorteilsnahme gemäß § 331 StGB nach dem Korruptionsbekämpfungsgesetz, Berlin 2008, S. 31. 7 Vgl. hier auch: Compliancemagazi http://www.compliancemagazin.de/index.html (Stand 29. Oktober 2010). 8 Siehe hierzu Anmerkung 13 Votttext von § 197 a SGB V. Zum Problem der Korruption allgemein siehe auch: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage: Korruption, Ausgabe 3-4 2009, eingestellt auf: http://www.bundestag.de/dasparlament/2009/03-04/Beilage/index.html (Stand 28. Oktober 2010). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 7 zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten;…“. Der GBA setz sich gemäß § 91 SGB V aus den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutsche Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Der GBA ist rechtsfähig.9 Die Frage der Legitimität des GBA als rechtsfähiges Instrument des Gesundheitswesens wird unterschiedlich bewertetet. Von Kritikerseite wird hervorgehoben, dass im Grund die Mitglieder des GBA über Normensetzungen , Verfahrensweisen oder Zulassungen von Medikamenten entscheiden, die in dem jeweiligen Zuständigkeitsgebiet dann durch die Beteiligten selbst angewandt und umgesetzt werden. 3.2. Straftatbestände im Zusammenhang mit Fehlverhalten im Gesundheitswesen Wie erwähnt, ist Korruption als Straftatbestand rechtlich nicht definiert. Gleichwohl werden im Strafgesetzbuch (StGB) Tatbestände definiert, die als Korruption verstanden werden können. Grundsätzlich wird zwischen Amtsträgern und Nicht-Amtsträgern unterschieden. Unter Amtsträgern werden Personen verstanden, die a) Beamte oder Richter sind, b) in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehen oder c) sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrzunehmen.10 Das Fehlverhalten im Gesundheitswesen durch Amtsträger wird im StGB insbesondere auf den folgenden gesetzlichen Grundlagen bezeichnet: 30. Abschnitt (Straftaten im Amt) § 331 StGB (Vorteilsnahme ), § 332 StGB (Bestechlichkeit), § 333 StGB (Vorteilsgewährung), § 334 StGB (Bestechung ) und § 335 StGB (Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und Bestechung). Im Zusammenhang mit dem Gesundheitswesen fallen beispielsweise Amtsärzte unter die Kategorie der Amtsträger. Betrügerische Handlungen im Gesundheitswesen werden in den seltensten Fällen durch Amtsträger , sondern durch andere Personenkreise begangen. In einer empirischen Untersuchung betrügerischer Handlungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurde festgestellt, dass bei staatsanwaltlichen Ermittlungen in erster Linie die folgenden Delikte zugrunde gelegt wurden : § 263 StGB (Betrug), § 266 StGB (Untreue) sowie § 267 StGB (Urkundenfälschung).11 Weiterhin relevant ist der § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr ), wobei es hier unterschiedliche rechtliche Einschätzungen gibt, ob niedergelassene Ärzte zum Beispiel bei der Verschreibung von Medikamenten als Beauftragte der Krankenkassen ange- 9 Siehe hierzu auch: a) Newsletter des GBA, Ausgabe Nr. 7, Juli 2007,auf: http://www.g-ba.de/downloads/33- 211-102/2010-07-15-Newsletter_07.pdf (Stand 19. Oktober 2010) und b) Gemeinsamer Bundesausschuss – Demokratisch legitimiert?, auf: http://www.forum-gesundheitspolitik.de/artikel/artikel.pl?artikel=0380 (Stand 29. Oktober 2010). 10 Vergleiche § 11 Absatz 1 StGB. 11 Vergleiche: Homann, Denise (2009), S. 255. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 8 sehen werden können und in diesem Zusammenhang wegen Bestechlichkeit belangt werden können.12 3.3. Abrechnungsprüfungen Die Leistungserbringer im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung sind im SGB V zur Wirtschaftlichkeit verpflichtet. Im § 106 SGB V ist geregelt, dass die kassenärztlichen Vereinigungen Prüfungen der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit vorzunehmen haben. Im § 106a SGB V ist zudem eine Prüfung der Notwendigkeit abgerechneter Leistungen (Plausibilitätsprüfung ) festgelegt. Sie ist sowohl durch die Kassenärztlichen Vereinigungen als auch Vereinigungen der Krankenkassen zu erbringen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen prüfen hierbei die Plausibilität der täglich abgerechneten Leistungen. Die Krankenkassen hingegen prüfen Art und Umfang der Leistungspflicht und hier insbesondere die Stimmigkeit der Diagnose, der Behandlung und die Arzneimittelverordnung. Im Zweifelsfall können Krankenkassen oder auch Kassenärztliche Vereinigungen eine Wirtschaftlichkeitsprüfung verlangen. Für zahnärztliche Leistungen gilt entsprechendes. Nichtärztliche Leistungen im Gesundheitswesen sind nicht im SGB V geregelt. Eine Prüfung obliegt den Krankenkassen, wie und in welcher Weise hier eine Prüfung stattfindet. 3.4. § 197a SGB V - Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen Im Rahmen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG), das am 1. Januar 2004 in Kraft trat, wurden die Krankenkassen verpflichtet, organisatorische Einheiten zur Registrierung und Bekämpfung im Gesundheitswesen, so genannte „Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen“, einzurichten.13 In § 81a SBG V werden ebenfalls die Krankenkassenärztli- 12 Ein entsprechendes erstes Urteil hierzu wurde am Oktober 2010 gefällt. Das Amtsgericht Ulm verurteilte zwei Ärzte wegen Bestechlichkeit. Weitere Presseinformationen hierzu: Spiegel online, 29. Oktober 2010, Geld von Pharmaunternehmen, Richter verurteilt erstmals Ärzte wegen Bestechlichkeit, auf: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,725956,00.html (Stand 2. November 2010). 13 § 197a SGB V Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen 1) Die Krankenkassen, wenn angezeigt ihre Landesverbände, und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen richten organisatorische Einheiten ein, die Fällen und Sachverhalten nachzugehen haben, die auf Unregelmäßigkeiten oder auf rechtswidrige oder zweckwidrige Nutzung von Finanzmitteln im Zusammenhang mit den Aufgaben der jeweiligen Krankenkasse oder des jeweiligen Verbandes hindeuten. Sie nehmen Kontrollbefugnisse nach § 67c Abs. 3 des Zehnten Buches wahr. (2) Jede Person kann sich in Angelegenheiten des Absatzes 1 an die Krankenkassen und die weiteren in Absatz 1 genannten Organisationen wenden. Die Einrichtungen nach Absatz 1 gehen den Hinweisen nach, wenn sie auf Grund der einzelnen Angaben oder der Gesamtumstände glaubhaft erscheinen. (3) Die Krankenkassen und die weiteren in Absatz 1 genannten Organisationen haben zur Erfüllung der Aufgaben nach Absatz 1 untereinander und mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen zusammenzuarbeiten. (4) Die Krankenkassen und die weiteren in Absatz 1 genannten Organisationen sollen die Staatsanwaltschaft unverzüglich unterrichten, wenn die Prüfung ergibt, dass ein Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen mit nicht nur geringfügiger Bedeutung für die gesetzliche Krankenversicherung bestehen könnte. (5) Der Vorstand der Krankenkassen und der weiteren in Absatz 1 genannten Organisationen hat dem Verwaltungsrat im Abstand von zwei Jahren, erstmals bis zum 31. Dezember 2005, über die Arbeit und Ergebnisse der organisatorischen Einheiten nach Absatz 1 zu berichten. Der Bericht ist der zuständigen Aufsichtsbehörde zuzuleiten. Kommentar: Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V K § 197a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 9 chen Vereinigungen auf Landes- beziehungsweise Bundesebene hierzu verpflichtet. Für den Bereich der Pflege ist in § 47a SGB XI14 festgelegt, dass § 197a SGB V entsprechende Geltung hat. Demnach haben auch Pflegekassen, Landesverbände der Pflegekassen und der Spitzenverband der Pflegekassen Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten einzurichten. 3.5. § 128 SGB V – Unzulässige Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten § 128 SBG V regelt die Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten. Im Absatz 1 wird grundsätzlich die Abgabe für Hilfsmittel an Versicherte über Depots bei Vertragsärzten , in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen untersagt. Im Absatz 2 wird Leistungserbringern Zahlungen im Zusammenhang mit der Versorgung von Hilfsmitteln an Vertragsärzte sowie an Ärzte in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen untersagt . Untersagt wird auch die Zahlung von Vergütungen für privatärztliche Leistungen durch Leistungserbringer im Rahmen der Versorgung mit Hilfsmitteln durch Vertragsärzte. Gemäß Absatz 3 haben die Krankenkassen vertraglich sicherzustellen, dass Verstöße gegen die genannten Verbote wirksam geahndet werden. In den Absätzen 4. 4a und 4 b werden die Voraussetzungen für die Durchführung des so genannten „verkürzten Versorgungsweges“ im Einzelnen geregelt . In Absatz 5 werden die Krankenkassen verpflichtet, die für die jeweiligen Vertragsärzte zuständigen Ärztekammern zu informieren, sobald Auffälligkeiten bei der Ausführung von Verordnungen von Vertragsärzten bekannt werden.15 3.6. Bundesordnung der Ärztekammer Die §§ 31 bis 35 der Musterbundesordnung der Bundesärztekammer (MBO) haben das Ziel einer Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit bei der Zusammenarbeit mit Dritten.16 14 Sozialgesetzbuch Elftes Buch Soziale Pflegeversicherung (SGB XI). In der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022). 15 Sie hierzu Nolte, Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 66. Ergänzungslieferung 2010, eingestellt auf: http://beckonli - ne.beck.de/default.aspx?vpath=bibdata/komm/KassKoSGB_66/SGB_V/cont/KassKoSGB.SGB_V.p128.glI.gl2.ht m. (Stand 29. Oktober 2010). Der Volltext von § 128 SGB V ist eingestellt auf Bundesministerium der Juztiz, http://www.gesetze-iminternet .de/sgb_5/__128.html (Stand 28. Oktober 2010). 16 Die aktuelle Version der Musterbundesordnung der Bundesärztekammer für die Landesärztekammern ist eingestellt auf: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/MBOStand20061124.pdf (Stand 28. Oktober 2010). Rechtswirkung entfaltet diese Berufsordnung, wenn sie durch die Kammerversammlungen der Ärztekammern als Satzung beschlossen und von den Aufsichtsbehörden genehmigt wurde. In einem Urteil stellte das OLG Stuttgart fest, dass der § 31 Berufsordnung der Landesärztekammer Bad.-Württemberg marktverhaltensregulierenden Charakter i. S. d. § 4 Nr. 11 Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) hat (2 U 176/06 vom 10. Mai 2007). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 10 In der MBO werden Ärzten enge Grenzen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Dritten gesetzt. So ist es gemäß § 31 MBO Ärzten nicht gestattet, für die Zuweisung von Patientinnen und Patienten oder Untersuchungsmaterial ein Entgelt oder andere Vorteile sich versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren. § 32 MBO regelt, dass es Ärzten nicht gestattet ist, von Patientinnen und Patienten oder anderen Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern, sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen , wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird. Im Hinblick auf eine Zusammenarbeit zwischen Ärzten und der Industrie , in der Ärzte Leistungen für die Hersteller von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten erbringen, muss die hierfür bestimmte Vergütung der erbrachten Leistung entsprechen (§ 33 MBO). Der § 34 MBO regelt den Bereich der Verordnungen, Empfehlungen und Begutachtung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln. Demnach ist es unter anderem Ärzten nicht gestattet, für die Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten eine Vergütung oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern, sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen. Weiterhin dürfen Ärzte einer missbräuchlichen Anwendung ihrer Verschreibung keinen Vorschub leisten. 4. Erhebungen und Schätzungen zum quantitativen Umfang des Schadens durch Abrechnungsbetrug oder andere illegale Methoden im Gesundheitswesen Eindeutig belastbares aktuelles statistisches Material beziehungsweise flächendeckende Erhebungen über die Höhe des Gesamtschadens, der durch Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen erzeugt wird, ist derzeit nicht verfügbar. Eine Ursache hierfür sind die derzeit nicht vereinheitlichten Erhebungs- und Auswertungsverfahren und die hohe Dunkelziffer der begangenen Straftaten .17 Im Jahr 2009 wurde eine Studie veröffentlicht, die den Zeitraum 2002 bis 2005 auswertete.18 Neben der Aufarbeitung von angezeigten Fehlverhalten in Bezug auf die GKV wurde auch eine Dunkelzifferuntersuchung unternommen. Allerdings beteiligten sich von 200 angefragten gesetzlichen Krankenkassen nur 10 % an der Befragung. Sie wirft somit eher nur ein Schlaglicht auf die Situation. Gleichwohl sind die Ergebnisse aufschlussreich. Die Studie kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass sich die Gruppe der Tatverdächtigen in dem genannten Zeitraum zu 74,5 % aus Leistungserbringern, zu 9,1 % aus Versicherten und 16,3 % aus nicht-versicherten Personen zusammensetzte. Die Gruppe der Leistungserbringer, denen ein Abrechnungsbetrug zur Last gelegt wurde, setzte sich zu 30,1 % aus niedergelassenen Ärzten, zu 21,4% aus Zahnärzten und zu 7,9 % aus Optikern zusammen. Es folgten mit 6,1 % Krankentransportunternehmen und mit 5,7 % Unternehmen der häuslichen Krankenpflege. Apotheker waren, wie auch Physiotherapeuten und Orthopädietechniker mit 4,4 % vertreten. 17 Siehe hierzu auch Kapitel 6.3. 18 Homann, Denise (2009). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 11 Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wurden zu 78,5 % wegen Betruges und zu weiteren 16,0 % wegen Betruges und Urkundenfälschung nach § 267 Strafgesetzbuch (STGB) geführt. Im „Ranking“ der abrechnungsfälschenden Handlungen waren bei den Leistungserbringern die Abrechnungen nicht-erbrachter Leistungen (28,9 %), Abrechnungen höherwertiger Leistungen (12,8 %) und die fehlende Weitergabe von Rabatten oder Zuwendungen (10,3 %) vertreten. Es folgten Abrechnungen nicht vollständig erbrachter Leistungen mit 6,4 %. Bei der Gruppe der Nichtleistungserbringer (Versicherte und nicht-versicherte Personen) lag der Anteil eines Missbrauchs der Krankenversicherungskarte bei 50 % und für Rezept- oder Verordnungsfälschungen bei 38,1 %. Mit großen Abstand folgte der ungerechtfertigte Bezug einer Haushaltshilfe mit 3,6 %. Das für das Gesundheitswesen zuständige Vorstandsmitglied von „Transparency International“, Anke Martiny, geht davon aus, dass in Europa zwischen drei und zehn Prozent der Gesundheitsausgaben fehlgeleitet sind und schätzt, dass in Deutschland ein Verlust durch korruptive Handlungen im Gesundheitswesen von zwischen 4 und 24 Milliarden EURO im Jahr entstehe.19 Nach Angaben des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Landesverband Rheinland-Pfalz waren beim Landesverband Bremen der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) allein im Jahr 2005 12 % aller Versichertenkarten als verloren oder gestohlen gemeldet. Durch den Missbrauch der Versicherungskarten hätte die AOK Bremen bis zum Jahr 2005 im Jahr bis zu einem Prozent mehr für Arzneimittel ausgeben müssen. Die Verluste für das Jahr 2003 werden nominal mit 820.000 Euro beziffert. Das „European Healthcare Fraud and Corruption Network“ geht in Deutschland im Gesundheitswesen von einer Schadenssumme in Höhe von 13,8 Milliarden Euro aus.20 Nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) belief sich der durch nachgewiesene Gesundheitsdelikte verursachte Schaden im Jahr 2007 auf 31,6 Millionen Euro. Neben dem materiellen Schaden wiesen Gesundheitsdelikte auch eine enorme Sozialschädlichkeit auf, da die Schäden auf die Kosten des Gesundheitswesens abgewälzt würden.21 Insgesamt wurde ein Anstieg der Delikte in diesem Bereich festgestellt. Eine mögliche Ursachen für diesen Anstieg kann auch in verstärkten Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden, beispielsweise durch die Einrichtung spezialisierter Ermittlungsgruppen und zusätzlicher Kontrollmechanismen der Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen, liegen. So haben niedersächsischen Krankenkassen eine Ermittlungsgruppe zur Aufdeckung von Betrugsfällen im Gesundheitswesen eingerichtet. Diese hätten in den vergangenen beiden Jahren mehr als 1.100 Fälle betrügerischer Abrechnungen von Ärzten, Apothekern oder Pflegediensten aufgedeckt und Rückzahlungen an die angeschlossenen niedersächsischen Krankenkassen in Höhe von 7,6 Millionen Euro verbucht. Allein bei der AOK Bayern wurde seit der Einführung der Stelle für Fehlverhalten im Jahr 2004 eine Schadenssum- 19 Anke Martiny in einem Interview mit der Zeitschrift PKV Publik vom September 2009, eingestellt auf: http://www.pkv.de/publikationen/pkv_publik/archiv/pkvpubliknr92009-1/interview-transparancyinternational / (Stand 29. Oktober 2010). 21 Laut Pressekonferenz des BKA vom 27. August 2008, eingestellt auf: http://www.bka.de/pressemitteilungen/2008/pm080827.html (Stand 28. Oktober 2010). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 12 me von 13,5 Millionen Euro ermittelt. Dies führte zu Rückzahlungen in Höhe von 6 Millionen Euro.22 5. Formen illegaler Abrechnungspraktiken Im folgenden werden eine Reihe von Beispielen abrechnungsbetrügerischer Tatbestände der Akteure im Gesundheitssystem vorgestellt. Diese Handlungen werden entweder durch einzelne Akteure im Gesundheitssystem oder auch in Kenntnis anderer Beteiligter beziehungsweise auch in gegenseitiger Absprache vorgenommen. 5.1. Ärzte 5.1.1. Vertragsarzt Vertragsärzte rechnen in der Regel gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ihre Leistungen ab, ohne dass der Patient die Abrechnung einsieht, es sei denn, er hat den Wunsch nach Einsicht ausdrücklich artikuliert. Im Wesentlichen lassen sich in diesem Bereich die folgenden Fälle eines Abrechnungsbetruges unterscheiden:23 Abrechnung nicht erbrachter Leistungen Der Arzt reicht bei der zuständigen Krankenkasse von ihm sachlich und rechnerisch richtig gezeichnete Erklärungen ein, ohne die gezeichneten Leistungen erbracht zu haben. Ein Beispiel ist laut Bericht des BMG das Einlesen von Krankenversicherungskarten in der Praxis und die Verordnung von Physiotherapieleistungen. Patienten nahmen diese Leistungen nicht in Anspruch und bestätigten die Behandlungen vorab. Hierfür erhielten sie Geldleistungen oder geldwerte Leistungen. Ein anderer Fall beschreibt das Zusammenwirken verschiedener Beteiligter auch außerhalb des Gesundheitssystems. So übergab ein Sportverein mit Zustimmung der gesetzlich versicherten Vereinsmitglieder einem Arzt deren Krankenversicherungskarten. Der Arzt stellte Verordnungen für Physiotherapien aus und rechnete diese ab. Mit den Erstattungen wurden dann Physiotherapeuten auf Sportveranstaltungen finanziert. Abrechnung nicht persönlich erbrachter Leistungen durch den Vertragsarzt Kern ärztlichen Handelns bildet die Diagnose und Heileingriffe. Andere Leistungen, wie bei- 22 So zitiert in Deutsche Apothekerzeitung, Online-Ausgabe vom 20. Mai 2010, AOK Bayern fordert Schwerpunktstaatsanwaltschaft , auf: http://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/politik/news/2010/05/20/aok-bayernfordert -schwerpunktstaatsanwaltschaft.html (Stand 1. November 2010). 23 Eine Zusammenstellung nachgewiesener Fälle von Abrechnungsbetrugs durch Ärzte und Zahnärzte finden sich in: Freytag, Daniela (2009), S. 201 ff. und in dem Bericht Transparency International (Hrsg.), Tranzparenzmängel , Korruption und Betrug im deutschen Gesundheitswesen – Kontrolle und Prävention als gesellschaftliche Aufgabe, Überarbeiteter Text von November 2004, Stand Juni 2008, S. 13 ff.. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 13 spielsweise Blutabnahmen, können durch nichtärztliches Personal ausgeführt werden. Eine Täuschungshandlung liegt dann vor, wenn der Arzt Leistungen des nichtärztlichen Personals als seine eigenen gegenüber der KV deklariert. Ein Beispiel für eine ähnliche Betrugsvariante waren Vorkommnisse beim Deutsche Roten Kreuz Berlin im Juni 2010. Ein Chefarzt setzte Assistenzärzte unter Druck, Leistungen zu erbringen, die dann als Facharztleistungen in Rechnung gestellt wurden.24 Unwirtschaftliche Leistungen Entweder werden Leistungen trotz fehlender medizinischer Indikationen berechnet oder es wird eine Leistung erbracht, die nachweisbar unwirtschaftlich ist. Zuweisung gegen Provisionszahlung Behandelnde Ärzte erhalten beispielsweise von Krankenhäusern, Krankengymnasten oder Sanitätshäusern Geldzahlungen für Überweisungen von Patienten. Illegale Vergütung von Verschreibungen Für die Verschreibung von Medikamenten erhalten Ärzte Bonuszahlungen oder Sachgeschenke von den Pharmaunternehmen, die diese Medikamente herstellen. Zudem existieren nach Auffassung von Transparency International eine Reihe von Handlungen, die zu Gewinnmitnahmen führen, wie beispielsweise Mehrfachleistungen durch mit behandelnde Ärzte (z. B. Röntgenaufnahmen), unabhängig von der Frage, ob hinter diesen Handlungen eine Betrugsabsicht steckt. Weiterhin verweist TI auf einen neuen Tatbestand hin: Offenbar existiert in medizinischen Zentren oder Ärztehäusern die Praxis, „Kettenüberweisungen“ zwischen den dort niedergelassenen Ärzten vorzunehmen.25 5.2. Zahnmedizin 5.2.1. Zahnärzte Im Gegensatz zur ärztlichen Behandlung ist die Übernahme von Kosten für zahnärztliche Behandlungen nicht von der Behandlungsmethode, sondern vom Befund abhängig. Dem jeweiligen Befund ist eine Regel- oder Grundversorgung zugeordnet. In einer Kalkulation werden die Kosten für die Behandlung, Praxismaterial, zahntechnische Anfertigungen, Zahnersatz-, Material- und Laborkosten geschätzt. Zu dem so ermittelten Betrag gibt es einen Zuschuss, den so genannten befundbedingten Festkostenzuschuss. Dieser beträgt derzeit ca. 50 % der für die Versorgung ermittelten Gesamtkosten. Darüber hinaus werden Bonusleistungen gewährt. Voraussetzung hierfür ist, dass der Versicherte eine regelmäßige Vorsorge nachweisen kann. Daher unterscheiden sich abrechnungsbetrügerische Handlungen im Bereich der Zahnarztabrechnungen von denen der Arztabrechnungen. 24 sie hierzu: Tagesspiegel vom 9. Juni 2010, Razzia in Berliner DRK-Kliniken, auf: http://www.tagesspiegel.de/berlin/razzia-in-berliner-drk-kliniken/1854532.html (Stand 28. Oktober 2010) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 14 Einbehaltung von Rückvergütungen der GKV durch Zahnärzte Eine Form abrechnungsbetrügerischer Handlungen in diesem Bereich besteht in der Nichtweitergabe beziehungsweise Einbehaltung von Rückvergütungen oder Zuwendungen, die Patienten zustehen, indem diese in den Rechnungsstellungen an die Patienten nicht berücksichtigt werden. Schädigung der GKV Eine Schädigung der Krankenkasse tritt dann ein, wenn die tatsächlichen Kosten für eine Behandlung unter dem festgelegten Zuschusssatz bleibt, dies aber gegenüber der Krankenkasse nicht angegeben wird. Falsche Abrechnung von Zahnersatz Ein Zahnarzt importierte beispielsweise aus Thailand Zahnersatz, rechnete aber gegenüber Versicherten und Krankenkassen den Höchstbetrag ab. 5.2.2. Zahnlaborleistungen Ein augenfälliges Beispiel, wie Abrechnungsbetrug zwischen Akteuren von statten gehen kann, war der so genannte Globudent-Skandal im Jahre 2002.26 Hierbei handelte es sich im Kern um so genannte Kick-Back-Zahlungen. Ein Dentallabor hatte Zahnärzten bei der Lieferung von Zahnersatz Rabatte in Höhe von 20 % eingeräumt. Die Rabattspanne war durch die geringen Produktionskosten möglich geworden. Die Produkte wurden in China hergestellt. Zahnärzte sind verpflichtet , Rabatte von Dentallaboratorien an die Krankenkasse oder aber den Patienten weiterzugeben . Um die Auszahlung der Rabatte an die Zahnärzte dennoch zu realisieren, stellte das Dentallabor den Zahnärzten Rechnungen, die auf den abrechnungsfähigen Höchstbetrag (BEL II) erhöht waren. Die Zahnärzte beglichen die Rechnungen des Dentallabors, reichten die Rechnungen an die Kassenzahnärztliche Vereinigung und Patienten zur Liquidation weiter und veranlassten diese zur Zahlung des vollen Rechnungsbetrags. Am Monatsende erhielten die Zahnärzte von Außendienstmitarbeitern des Dentallabors dann jeweils Rückvergütungen in Höhe von 20 % der Nettoleistungssumme ausbezahlt. 5.3. Apotheker Beispiele für Abrechnungsbetrug durch Apotheker sind wie folgt nachgewiesen: Abrechnung von Rezepten, die nicht beliefert werden. In einem Fall hat ein Apotheker Verordnungen über ca. 200.000 Euro abgerechnet, ohne die Arzneien zu liefern. Grundlage hierfür waren durch Dritte gestohlene Verordnungsblätter. Fälschung von Rezepten Rezepte werden durch das Hinzufügen teurer Arzneimittel gefälscht und abgerechnet. 26 Eine Chronologie des so genannten „Globudent-Skandals“ ist auf: http://www.managermagazin .de/unternehmen/karriere/0,2828,317298-3,00.html eingestellt. (Stand 28. Oktober 2010). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 15 Teilauslieferung verschriebener Arzneien Apotheker händigen Patienten mit deren Kenntnis und Zustimmung verschriebene Medikamente nur teilweise aus, rechnen aber den Betrag gegenüber den Krankenkassen in Gänze ab. Patienten erhielten im Gegenzug nichtverschreibungspflichtige Medikamente mit einem geringeren Wert. Verordnungshandel Nach einem Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit27 hätten Drogenabhängige durch so genanntes „Doktor-Hopping“28 und diese Verschreibungen dann an Apotheker unter dem Bezugspreis verkauft. Die Apotheker veräußern diese dann zum Normalpreis weiter und rechnen de so erzielten Preis mit Krankenassen ab. Zurückleitung von Arzneimitteln Weiterhin hat sich nach Angaben von Tranparency International (TI) ein so genannter „Grauer Markt“ etabliert. Es handelt sich um zurückgeleitete Arzneimittelspenden oder in Apotheken umgeleitete Krankenhausware, die zu Sonderkonditionen erworben wurde. Anschließend sind diese Medikamente zum Originalpreis abgerechnet worden. Nach Schätzungen wird zehn Prozent dieser Krankenhausware in Apotheken umgeleitet und dort veräußert. TI geht davon aus, dass es sich hinsichtlich des Warenwertes um eine Größenordnung ausgehend vom Herstellerpreis von 250 Mio. Euro handelt.29 5.4. Krankenhaus Angabe falscher Pflegesätze Pflegesätze werden in Krankenhäusern nach der Art der Pflegebedürftigkeit unterschiedlich abgerechnet . In einem Fall wurden die Pflegesätze für eine Unterbringung in einer onkologischen Chirurgieabteilung und nicht die einer Abteilung für allgemeine Chirurgie, in der der Patient behandelt wurde, abgerechnet. Operation gegen „Spende“ Transplantationen wurden beschleunigt vorgenommen, wenn Patienten zusätzliche Zahlungen an das Krankenhaus leisteten und als „Spende“ deklarierten.30 27 siehe Kapitel 5.1. 28 Bei dem so genannten „Doktor-Hopping“ lässt si§ versteht man bei denen ein Patient bei verschiedenen Ärzten gleiche und teure Medikamente mehrfach verschreiben ließ 29 Transparency International (2009), S. 32. 30 Über einen derartigen Fall in einer Essener Klinikum wurde auch in der Presse berichtet: DIE WELT. 6. Juni 2007, Bis zu 80 Operationen nur gegen Spende, auf: http://www.welt.de/politik/article924890/Bis_zu_80_Operationen_nur_gegen_Spende.html (Stand 28. Oktober 2010). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 16 5.5. Industrie im Gesundheitswesen Der Sektor „Industrie im Gesundheitswesen“ besteht im Kern aus den Bereichen „Pharmaindustrie “ und dem Bereich „Medizinische Produkte“. In einem Fall lieferten Hersteller aus dem Bereich der Medizinischen Produkte Praxisbedarf unter Preis an Ärzte. Der Praxisbedarf wie OP-Kittel oder sterile Abdecktücher wurde umso billiger abgegeben, je mehr Sprechstundenbedarf, etwa Verbandsmaterial, der Arzt orderte. Ärzte müssen den Praxisbedarf selbst zahlen. Sprechstundenbedarf wird generell über die Krankenkassen abgerechnet . Nach Einschätzung der untersuchenden Staatsanwaltschaft sei der Sprechstundenbedarf damit über den verbilligten Praxisbedarf unrechtmäßigerweise subventioniert worden.31 5.6. Versicherte Nicht nur Leistungserbringer, sondern auch Versicherte schädigen durch Fehlverhalten das Gesundheitssystem. Der häufigste Schaden entsteht durch nicht versicherte Personen mittels missbräuchlicher Benutzung einer Krankenversicherungskarte. Entweder erhalten Nicht- Versicherte Versicherungskarten durch Diebstahl oder durch Überlassung einer Karte durch versicherte Personen. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter, LV Rheinland Pfalz, ging im Jahr 2007 unter Berufung auf Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV von einer Schadenshöhe von ca. 1,5 Milliarden Euro aus, der durch den Missbrauch von Krankenversicherungskarten entstünde.32 Weiterhin werden Rezeptfälschungen durch Versicherte und nicht versicherte Personen genannt. Hierbei fügen Versicherte einem durch einen Arzt ausgestelltes Rezept weitere Medikamente hinzu, um in deren Besitz zu gelangen, ohne die Kosten hierfür zu tragen. Es handelt sich in vielen Fällen um verschreibungspflichtige Medikamente wie Schmerz- oder Beruhigungsmittel. 5.7. Fehlverhalten durch Arbeitgeber Versicherungsbetrug durch Arbeitgeber im Gesundheitswesen entsteht durch die fiktive Beschäftigung von Familienangehörigen oder Freunden, um diesen Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung zu ermöglichen.33 31 Nach Pressemeldung der Seite http://www.pharmaberater.de/f/f4/abrechnungsbetrug-mehr-500-aerzten- 259.html (Stand 29. Oktober 2010) 32 Bund Deutscher Krimimalbeamter, LV Rheinland-Pfalz, Positionspapier: Sozialkriminalität durch Einführung der Gesundheitskarte erfolgreich bekämpfen, Juni 2007, eingestellt auf: https://www.bdk.de/lv/rheinlandpfalz /fachthemen/sozialkriminalit/fileadmin/LV_RheinlandPfalz/Dokumente/sozialkriminalitaet.pdf (Stand 28. Oktober 2010) 33 Siehe hierzu auch: Transparency International (2008), S. 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 17 5.8. Abrechnungsbetrug im Pflegebereich Leistungserbringung durch Nicht-Fachkräfte Dienstleister im Pflegebereich rechnen Leistungen, die beispielsweise durch angelernte Hilfskräfte oder Praktikanten erbracht werden, als Leistungen durch ausgebildete Pflegekräfte ab. 5.9. Sonstige Fälle von Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen. Krankentransport Abrechnungen erfolgen für eine Fahrt mit einem speziellen Krankentransportfahrzeug, obwohl der Transport mit einem PKW durchgeführt wurde, was eine höhere Abrechnung ermöglicht. Weiterhin werden Verordnungen für einen Transport durch Fälschung der Beförderungsart dahingehend geändert, dass eine teurere Beförderungsart erscheint. Weiterhin existieren Fälle von Falschangaben hinsichtlich der zurückgelegten Fahrstrecke. In einem anderen Fall wurden Sammelfahrten als Einzelfahrten abgerechnet. Heilmittel Ein Physiotherapeut rechnete Behandlungen über Behandlungen von Mitarbeitern der eigenen Praxis ab, ohne diese zu erbringen. Ein Arzt stellt hierzu die notwendigen Verordnungen aus. 5.10. Exkurs: Die Kritik an Kooperationsverträgen, Drittmittelfinanzierungen, Anwendungsbeobachtungen und Integrationsverträgen Unter Kooperationsverträgen im Gesundheitswesen werden Vereinbarungen zwischen Akteuren im Gesundheitswesen verstanden, die in ihrem Selbstverständnis das Ziel haben, die Effizienz die Versorgung zu steigern und Kosten zu senken. Solche Kooperationen sind nach geltendem Recht möglich und auch üblich.34 Gesetzliche Grundlage ist der § 130a Absatz 8 SGB V, in dem es unter anderem heißt: “Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit pharmazeutischen Unternehmern Rabatte für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel vereinbaren. …“ TI beurteilt diese Regelung kritisch und argumentiert, dass die Unabhängigkeit der einzelnen Akteure im Gesundheitswesen durch die Schaffung von Abhängigkeiten durch derartige Koope- 34 Ein Mustervertrag für eine solche Kooperation zwischen dem Charité-Klinikum und niedergelassenen Ärzten ist auf : http://urologie.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/m_cc10/urologie/Kooperationen/Standard_KoopVe rtrag_Niederg_070205.pdf (Stand 27. Oktober 2010). Hinweise für Vereinbarungen zwischen Krankenversicherungen und der Pharmaindustrie sind eingestellt auf: http://www.sanofi-aventis.de/live/de/medias/DD198778- E676-4FFD-AEDB-9902DABFEC2C.pdf und http://www.presse.dak.de/ps.nsf/sblArchiv/A58653C1528259C7C12572C9002C0757?Open (Stand jeweils 27. Oktober 2010). Eine Übersicht über seine Rabattverträge hat das Unternehmen SANDOZ auf: http://www.sandoz.de/assets/content/de/siteimages/rabattvertraege/rabattvertraege/uebersicht_rabattvertraege.p df (Stand 27. Oktober 2010) eingestellt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 18 rationen eingeschränkt werde.35 Eine öffentliche Debatte gab es in diesem Zusammenhang im Jahr 2008 zu einem Kooperationsvertrag zwischen der Fa. Bayer AG und der Universitätsklinik Köln. Die Kritiker zu denen unter anderem Medico International zählte, forderten eine Offenlegung der Vertragsdetails und eine Sicherstellung, dass „Konzeption und Auswertung pharmakologischer Studien nicht allein durch ökonomische Interessen beeinflusst werden…“.36 Drittmittelfinanzierung Der beschriebene Konflikt gewinnt unter dem Aspekt, dass einer der Kooperationspartner Vertreter des Öffentlichen Dienstes ist, eine weitergehende Bedeutung. Neben der rechtlichen Frage, ob eine Nichtoffenlegung der Verträge statthaft ist, macht das Beispiel auf die grundsätzliche Problematik der Drittmittelfinanzierung deutlich. Zum einen sind öffentliche Einrichtungen im Gesundheitswesen aufgefordert, Drittmittel zu akquirieren. Beispielsweise übernehmen, mangels eines eigenen Patientenstabes, Pharmaunternehmen die Kosten für klinische Studien. Andererseits geht die einschlägige Literatur von dem Problem aus, dass exakt diese auch aus medizinischer Sicht notwendige Akquise die Handelnden auf Seiten des Öffentlichen Dienstes in die Gefahr des Verdachtes der Vorteilsnahme gemäß § 331 StGB versetzt.37 Anwendungsbeobachtungen Eine legale Kooperationsform zwischen Pharma-Industrie und Ärzten sind die so genannten Anwendungsbeobachtungen (AWB). Presseberichten zu Folge investierten Pharmaunternehmen über 900 Milliarden Euro jährlich in Anwendungsbeobachtungen. Hierbei erhalten Ärzte für jede Verschreibung bereits zugelassener Medikamente von dem Pharmaunternehmen ein zuvor fixierten Betrag. Die Abrechnungskosten für das verschriebene Medikament erfolgt auf dem üblichen Wege über die Krankenkassen. Der Arzt verpflichtet sich, Erfolge oder Besonderheiten bei der Medikamentierung dem Unternehmen zu dokumentieren. Es liegen keine Erkenntnisse dahingehend vor, dass Patienten über eine solche Kooperation bei der Verschreibung eines entsprechenden Medikamentes informiert werden. Der Abschluss eines AWB muss durch das Pharma- Unternehmen, dass einen AWB mit einem Arzt vereinbart, den Kassenärztlichen Vereinigungen gemeldet werden.38 Eine Veröffentlichungspflicht seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen besteht nicht.39 Presseberichten zu Folge wurden allerdings im Oktober 2010 gegen ca. 250 Ärzte 35 Transparency International (2008) , S. 34 ff.. 36 Siehe hierzu: Medico International, Pressemitteilung vom 18. November 2008, Kooperationsvertrag der Uniklinik Köln mit Bayer in der Kritik, http://www.medico.de/presse/pressemitteilungen/kooperationsvertrag-deruniklinik -koeln-mit-der-bayer-ag-in-der-kritik/3110/ (Stand 28. Oktober 2010). 37 Zu diesem Schluss kommt beispielsweise Wrackmeier, Antje (2008)., S. 41. 38 Gemäß § 67 Absatz 6, Arzneimittelgesetz (AMG). Weitergehende rechtliche Regelungen im Zusammenhang mit AWB bestehen nicht. 39 Die Position des Verbandes der forschenden Pharmaunternehmen zu den AWB ist beispielsweise in dem Beitrag Anwendungsbeobachtungen – Ein Mittel der Arzneimittelsicherheit dargelegt: http://www.vfa.de/de/wirtschaft-politik/artikel-wirtschaft-politik/anwendungsbeobachtungen.html (Stand 26. Oktober 2010). Eine kritische Darstellung zu den AWB zum Thema ist auf der Seite Forum Gesundheitspolitik, Der lange Arm der Pharma-Industrie in der Arztpraxis: Marketing für hochpreisige Produkte, auf http://www.forum-gesundheitspolitik.de/artikel/artikel.pl?artikel=0600 (Stand 26. Oktober 2010). Weiter Erläuterungen zu AWB auf der Seite des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen: http://www.forumgesundheitspolitik .de/artikel/artikel.pl?artikel=0600 (Stand 26. Oktober 2010). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 19 Geldbußen verhängt, die im Rahmen einer Anwendungsbeobachtung vom einem Pharmaunternehmen Geschenke für die Verschreibung von Medikamenten angenommen hatten. Gegen weitere Ärzte und Mitarbeiter des Pharmaunternehmens dauern derzeit die Ermittlungen an.40 Integrationsverträge Im Gegensatz zu den Anwendungsbeobachtungen haben die so genannten Integrationsverträge (IV) im § 140 a-d SGB V41 eine gesetzliche Grundlage. Ziel dieser Regelung ist es, in einem integrierten Verfahren in verschiedenen Leistungssektoren eine übergreifende und interdisziplinäre Versorgung sicherzustellen beziehungsweise zu schaffen. Ein Beispiel für IV ist die Vereinbarung zur Schaffung eines „Qualitätsnetzes Darmkrebs“, das zwischen der Barmer Ersatzkasse und einem Darmkrebsforschungszentrum einerseits und behandelnden Ärzten und Krankenhäusern geschlossen wurde.42 Unabhängig von der Forderung nach einer grundsätzlichen Offenlegung derartiger Verträge wird an diesem Verfahren kritisiert, dass hier speziell die Gefahr bestünde, dass finanzielle Mittel aus der Regelversorgung - legal - entzogen und in andere Bereiche umgeleitet würden. Andere Einschätzungen sehen in IV eine sinnvolle Ergänzung bestehender Strukturen im Sinne einer guten Patientenversorgung, fordern aber zur Schaffung einer größeren Transparenz so genannte „Clearing -Stellen“.43 40 Nach: Spiegel online, 29. Oktober 2010, Geld von Pharmaunternehmen, Richter verurteilt erstmals Ärzte wegen Bestechlichkeit, auf: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,725956,00.html (Stand 2. November 2010). 41 §140a SGB V (Integrierte Versorgung) (1) Abweichend von den übrigen Regelungen dieses Kapitels können die Krankenkassen Verträge über eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten oder eine interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung mit den in § 140b Abs. 1 genannten Vertragspartnern abschließen. Soweit die Versorgung der Versicherten nach diesen Verträgen durchgeführt wird, ist der Sicherstellungsauftrag nach § 75 Abs. 1 eingeschränkt. Das Versorgungsangebot und die Voraussetzungen seiner Inanspruchnahme ergeben sich aus dem Vertrag zur integrierten Versorgung. (2) Die Teilnahme der Versicherten an den integrierten Versorgungsformen ist freiwillig. Ein behandelnder Leistungserbringer darf aus der gemeinsamen Dokumentation nach § 140b Abs. 3 die den Versicherten betreffenden Behandlungsdaten und Befunde nur dann abrufen, wenn der Versicherte ihm gegenüber seine Einwilligung erteilt hat, die Information für den konkret anstehenden Behandlungsfall genutzt werden soll und der Leistungserbringer zu dem Personenkreis gehört, der nach § 203 des Strafgesetzbuches zur Geheimhaltung verpflichtet ist. (3) Die Versicherten haben das Recht, von ihrer Krankenkasse umfassend über die Verträge zur integrierten Versorgung, die teilnehmenden Leistungserbringer , besondere Leistungen und vereinbarte Qualitätsstandards informiert zu werden. 42 Mehr hierzu auf: http://www.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Versicherte/Leistungen-Services/Leistungen- Beitraege/Multilexikon_20Leistungen/Fragmente__Bilder/Darm-Vertrag,property=Data.pdf (Stand 27. Oktober 2010) 43 Siehe hierzu: Heinrich, Dirk, Fakten gegen Behauptungen. Wettbewerb im Gesundheitswesen, in Gesellschaftspolitische Kommentare, Ausgabe 1/09, November 2009, S. 22-24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 20 6. Entwicklungen, Positionen und Vorschläge zur Vermeidung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen – eine Auswahl 6.1. Bundesministerium für Gesundheit In einem Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit vom 24. Juni 2008 an den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages44 wird ein Erfahrungsbericht zur Einrichtung von Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen auf Grundlage der §§ 81a SGB V, 197 SGB V und 47a SGB XI vorgelegt. In der Stellungnahme wird ausdrücklich darauf verwiesen , dass eine Zusammenführung der Berichte aller berichtspflichtigen Institutionen gesetzlich nicht vorgesehen sei. Im Rückblick wird darauf verwiesen, dass es bei den Spitzenverbänden der Krankenkassen schon seit 1998 eine Arbeitsgruppe Abrechnungsmanipulation der Spitzenverbände der Krankenkassen gebe. Aktuelle Pläne zur Ausweitung des bestehenden Instrumentariums sind nicht bekannt. 6.2. Kassenärztliche Bundesvereinigung Gegenüber dem Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages äußerte am 8. November 2008 die KBV Bedenken an der Effizienz einer Einrichtung von „Stellen gegen Fehlverhalten“ gemäß § 81a SGB V. Die KVB sieht ihren Beitrag im Bereich der Prävention und weniger im Bereich der Aufarbeitung von Fehlverhalten. Krankenkassen seien eher in der Lage, entsprechende Ermittlungen und Beobachtungen durchzuführen.45 In der Stellungnahme der KBV wird auch eine Kassenärztliche Vereinigung zitiert, die eine Vereinfachung des Datenaustausches zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen fordert. Zum einen werden dort datenschutzrechtliche Bedenken aufgezeigt, andererseits aber unterstrichen, dass nur über einen solchen Austausch eine effiziente Aufdeckung von Fehlverhalten überhaupt möglich sei. So nutzten Täter bewusst die Informations- und Befugnisgrenzen der Krankenkasse oder ärztlichen Vereinigungen aus. Daher wird eine gesetzliche Regelung zur Datenübermittlung zwischen den Stellen auf der Grundlage der §§ 81a und 197a SGB V gefordert. 6.3. Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen Im Geschäftsbericht des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV- Spitzenverband) wird das Thema Fehlverhalten im Gesundheitswesen problematisiert.46 Auf der Grundlage der oben beschriebenen rechtlichen Maßgaben im SGB V sind bei den gesetzlichen Krankenkassen und auch der Landesverbände bzw. dem Spitzenverband auf Bundesebene Stel- 44 Abgedruckt auf Ausschussdrucksache 16(14)0402 zu Top 8 der Tagesordnung des Ausschusses für Gesundheit am 25. Juni 2008. 45 Abgedruckt auf Ausschussdrucksache 16(14)445(2) zu TOP 3 der Tagesordnung des Ausschusses für Gesundheit am 12. November 2008. 46 GKV-Spitzenverband, Geschäftsbericht 2009, Gesundheitsversorgung transparent gestalten, Berlin 2010. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 21 len zur Bekämpfung von Fehlverhalten eingerichtet worden, an die entsprechende Meldungen gerichtet werden können. Hierüber findet auch ein Austausch zwischen den Kassen statt.47 In dem Bericht werden auch eine Reihe von Forderungen an die Politik formuliert. Zum einen bestünde die Notwendigkeit, personenbezogene Daten im Zusammenhang mit gemeldeten Fehlverhalten zwischen den Kassen auszutauschen. Weiterhin setzt sich der Verband dafür ein, in allen Ländern Schwerpunktstaatsanwaltschaften einzurichten. Diese Forderung wird beispielsweise von der AOK Bayern unterstützt.48 Schließlich bestünde die Notwendigkeit, dass Berichtswesen mittels einheitlicher Kennzahlen zu standardisieren. Hintergrund sei, dass in vielen Fällen die gemeldeten Vorfälle nicht vergleichbar seien, da die Datenerhebung und Auswertung nicht vereinheitlicht seien. Da im § 197a SGB V nicht näher bezeichnet sei, was unter Fehlverhalten zu verstehen sei, liege es derzeit im Ermessen einer Kasse, wie Fehlleistungen definiert und die Daten recherchiert und aufbereitet werden. Es besteht auch keine Meldepflicht gegenüber dem GKV-Spitzenverband, sondern nur gegenüber den Aufsichtsgremien. Der GKV- Spitzenverband habe verbandsintern eine so genannte standardisierte Fallerfassung vorgelegt, die derzeit in der Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen diskutiert werde.49 Weiterhin fordert der GKV-Spitzenverband eine Klarstellung, dass niedergelassene Ärzte sich auch gemäß § 299 Abs. 1 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) strafbar machen können.50 6.3.1. Beispiel: Die Kaufmännische Krankenkasse Halle - Allianz Über die Einrichtung von Stellen gegen Fehlverhalten gemäß § 197 a SBB V hinaus setzen einige sich gesetzliche Krankenkassen intensiv mit der Bekämpfung und Vermeidung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen auseinander. Hierzu exemplarisch die Aktivitäten der Kaufmännischen Krankenkasse Halle - Allianz (KKH-Allianz): Wie andere gesetzliche Krankenkassen auch, hat die KKH auf ihrer Website eine Meldefunktion eingerichtet, über die ein Fehlverhalten angezeigt werden kann.51 Auch bietet die KKH seit dem 47 So zum Beispiel auch auf der Website des GKV-Spitzenverbandes: http://www.gkvspitzenverband .de/Fehlverhalten_im_Gesundheitswesen.gkvnet (Stand 28. Oktober 2010). Die Stelle wurde am 1. Juli 2009 eingerichtet. 48 Siehe hierzu, Deutsche Apothekerzeitung, Verweis in Anmerkung 13. 49 Der GKV Spitzenverband für das Thema dieser Ausarbeitung eine Information angekündigt, die nach Eingang nachgereicht wird. 50 Gemäß Schreiben des GKV-Spitzenverbandes an den Verfasser vom 7. November 2010. Die zuvor referierten Forderungen wurden in diesem Schreiben nochmals bestätigt. Vergleiche hierzu auch Kapitel 3.2, S. 7. 51 Siehe hierzu: Website der KKH, Ihre Hinweise bei Abrechnungsbetrug http://www.kkhallianz .de/index.cfm?pageid=942 (stand 28. Oktober 2010). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 22 Jahr 2006 Symposien zum Thema „Betrug im Gesundheitswesen“ an. Die letzte dieser Tagungen fand im Februar 2010 in Hannover statt. Die KKH ermittelt für das Jahr 2009 in 818 Fällen vermuteter Fehlverhalten durch Leistungserbringer bzw. Versicherte. Die Schadenssumme beläuft sich auf über 900.000 €. Die meisten ermittelten Fälle beziehen sich auf die Gruppe der Krankengymnasten und Physiotherapeuthen (228 Fälle), gefolgt von ärztlichen Leistungen (128) und der Häuslichen Pflege (81). Der größte Schaden entstand durch Fehlverhalten von Apothekern (ca. 270.000 €), durch unzulässige Zusammenarbeit (ca. 122.000 €) und im Bereich des stationären Krankenhausaufenthalts.52 6.4. Bund Deutscher Kriminalbeamter Der Landesverband Rheinland-Pfalz des Bundes Deutscher Kriminalbeamter forderte im Jahr 2007 die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte, verbunden mit einer so genannten „intelligenten Software“ die auch die Speicherung persönlicher Daten vorsieht. Diese Forderung, die auch von den Krankenkassen unterstützt wird, wird mit dem Hinweis auf datenschutzrechtliche Aspekte kontrovers diskutiert.53 6.5. Forderung nach Anti-Korruptionsbeauftragter im Gesundheitswesen Weiterhin gibt es die Forderung nach Schaffung des Amtes eines Antikorruptionsbeauftragten im Gesundheitswesen.54 In einigen Bundesländern wie beispielsweise in Thüringen sind Korruptionsbeauftragte auch mit einer Zuständigkeit für das Gesundheitswesen bestellt worden, allerdings beschränkt sich Ihre Tätigkeit auf den Bereich der Öffentlichen Bediensteten.55 Bei Landeskriminalämtern sind Ermittlergruppen speziell zur Frage von Korruption beziehungsweise Fehlverhalten im Gesundheitswesen eingerichtet worden.56 53 Das entsprechende Positionspapier ist eingestellt auf: http://www.bdk.de/lv/rheinlandpfalz /fachthemen/sozialkriminalit/fileadmin/LV_RheinlandPfalz/Dokumente/sozialkriminalitaet.pdf (Stand 4. November 2010) 54 Zur Diskussion über die Einrichtung einer solchen Stelle siehe: Geiger, Daniel (2008) S. 82 bis 96. 55 Siehe hierzu auch: http://www.thueringen.de/de/tmsfg/akb/content.html (Stand 29. Oktober 2010). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 23 7. Schlussbemerkung Obwohl der Umfang des volks- beziehungsweise betriebswirtschaftlichen Schadens, der durch Betrug oder Fehlverhalten im Gesundheitswesen besteht, nicht exakt bezifferbar ist, ist deutlich, dass der volkswirtschaftliche Schaden immens ist. Hinzu kommt, dass aufgrund der höchst komplexen Aufgabenstruktur im Gesundheitswesen sehr schwer abzugrenzen ist, ab wann die Grenze zwischen legaler Kooperation und illegalem Fehlverhalten überschritten wird.57 57 Zu dieser Einschätzung kommt auch Wrackmeier, Antje (2008), S. 37. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 24 8. Ausgewählte Literatur Dieners, Peter (Hrsg.) Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Ärzten. Rechtliches Umfeld, Steuern, und Complaince Governance. München 2007. Freitag, Daniela Ärztlicher und zahnärztlicher Abrechnungsbetrug im deutschen Gesundheitswesen, in: Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität (Hrsg.), Düsseldorfer Rechtswissenschaftliche Schriften, Band 78, Baden-Baden 2009. Geiger, Daniel, Brauchen wir in Deutschland einen „(Anti-)Korruptionsbeauftragen für das Gesundheitswesen“?, in: Recht und Politik im Gesundheitswesen, Band 14, Heft 3 (2008). Heinrich, Dirk Fakten gegen Behauptungen. Wettbewerb im Gesundheitswesen, in: Gesellschaftspolitische Kommentare Nr. 11 (2009), S. 22 – 24. Homann, Denise, Meier Bernd-Dieter Die Verfolgungspraxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte bei Vermögensstraftaten im System der gesetzlichen Krankenversicherung in: Monatszeitschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, Ausgabe 4, 2009, S. 359 – 375. Homann, Denise Betrug in der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine empirische Untersuchung über vermögensschädigendes Fehlverhalten zulasten der Solidargemeinschaft, Mönchengladbach 2009. Michels, Dina Weiße Kittel – Dunkle Geschäfte. Im Kampf gegen die Gesundheitsmafia, Berlin 2009. Transparency International Tranzparenzmängel, Korruption und Betrug im deutschen Gesundheitswesen – Kontrolle und Prävention als gesellschaftliche Aufgabe, Überarbeiteter Text von November 2004, Stand Juni 2008. Wrackmeier, Antje (2008) Drittmittelfinanzierung im Gesundheitswesen. Eine Untersuchung zum Restriktionsbedürfnis des Tatbestandes der Vorteilsnahme gemäß § 331 StGB nach dem Korruptionsbekämpfungsgesetz, Berlin 2008. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-173/10 Seite 25 9. Linkverzeichnis Transparency International, Standpunkte, Gesundheitswesen: http://www.transparency.de/Gesundheitswesen.gesundheit.0.html?&no_cache=1&sword_list[]=G esundheit (Stand 5. Oktober 2010). Compliancemagazin http://www.compliancemagazin.de/index.html (Stand 8. Oktober 2010) Allgemeine Ortskrankenkasse, Fehlverhalten im Gesundheitswesen http://www.aok.de/bundesweit/gesundheit/behandlung-fehlverhalten-15086.php (Stand 5. Oktober 2010). GKV – Spitzenverband, Fehlverhalten im Gesundheitswesen http://www.gkv-spitzenverband.de/Fehlverhalten_im_Gesundheitswesen.gkvnet (Stand 7. Oktober 2010). Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen http://www.kvhessen.de/Wir+%C3%BCber+uns/KV+Hessen+allgemein/Stelle+zur+Bek%C3%A 4mpfung+von+Fehlverhalten+im+Gesundheitswesen+-.html (stand 7. Oktober 2010). Wettbewerbszentrale http://www.wettbewerbszentrale.de/de/branchen/gesundheit/ueberblick/ (Stand 18. Oktober 2010) European Healthcare Fraud & Corruption Network http://www.ehfcn.org/members/germany/ (Stand 28. Oktober 2010)