Deutscher Bundestag Regelungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zur Integration Angehöriger in die Pflege und Betreuung schwerstkranker, sterbender Kinder – Rechtshistorische Entwicklung und aktueller Stand Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 9 – 3000 – 155/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 2 Integration Angehöriger in die Pflege und Betreuung schwerstkranker, sterbender Kinder – Rechtshistorische Entwicklung und aktueller Stand Aktenzeichen: WD 9 – 3000 – 155/10 Abschluss der Arbeit: 9. November 2010 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 11 2. Anspruch gesetzlich Krankenversicherter auf Kinderpflege- Krankengeld zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege schwerstkranker, sterbender Kinder 14 2.1. Inhalt und Bedeutung des Anspruchs auf Krankengeld bei Erkrankung des Kindes nach § 45 Abs. 1, 2 und 4 SGB V im Überblick 14 2.1.1. Der zeitlich begrenzte Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB V 15 2.1.2. Der zeitlich unbegrenzte Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V 15 2.2. Entstehungsgeschichte der Regelungen zum Krankengeld bei Erkrankung des Kindes nach § 45 SGB V 17 2.2.1. Entwicklung des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld bis zum Inkrafttreten des § 45 Abs. 4 SGB V am 1. August 2002 17 2.2.1.1. Einführung eines zeitlich begrenzten Anspruchs gesetzlich Krankenversicherter auf Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes gem. § 185c Abs. 1 und 2 RVO durch das Leistungsverbesserungsgesetz vom 19. Dezember 1973 mit Wirkung vom 1. Januar 1974 17 2.2.1.2. Übernahme der Regelungen des § 185c Abs. 1 und 2 RVO in die Bestimmungen des § 45 Abs. 1 und 2 SGB V durch das Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988 mit Wirkung vom 1. Januar 1989 18 2.2.1.3. Verlängerung der Bezugsdauer des Kinderpflege-Krankengeldes und Heraufsetzung der Altersgrenze des Kindes durch das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB V vom 20. Dezember 1991 mit Wirkung vom 1. Januar 1992 20 2.2.1.4. Erweiterung des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld auf über 12-jährige behinderte und auf Hilfe angewiesene Kinder durch Art. 5 Nr. 15 des Sozialgesetzbuchs – Neuntes Buch – (SGB IX) vom 19. Juni 2001 mit Wirkung vom 1. Juli 2001 21 2.2.2. Einführung eines zeitlich unbegrenzten Anspruchs auf Krankengeld bei unheilbar schwerstkranken Kindern mit nur noch begrenzter Lebenserwartung gem. § 45 Abs. 4 SGB V durch das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002 mit Wirkung vom 1. August 2002 21 2.3. Normzweck der Regelungen in § 45 Abs. 1, 2 und 4 SGB V 23 2.4. Voraussetzungen des zeitlich unbegrenzten Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld bei schwerstkranken Kindern nach § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SGB V und §§ 10 Abs. 4, 44 Abs. 2 SGB V 24 2.4.1. Voraussetzungen in der Person des Anspruchsberechtigten (§ 45 Abs. 4 Satz 1 und 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 und § 44 Abs. 2 SGB V) 25 2.4.1.1. Versicherungsverhältnis des Anspruchsberechtigten 25 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 4 2.4.1.2. Beschränkung des anspruchsberechtigten Personenkreises auf Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach § 44 SGB V 25 2.4.1.2.1. Allgemeines 25 2.4.1.2.2. Ausschluss hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger vom Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V 26 2.4.1.2.3. Bezieher von Leistungen nach dem SGB III als potenziell Anspruchsberechtigte i.S.d. § 45 Abs. 4 SGB V 28 2.4.1.3. Beschränkung des Anspruchs auf ein Elternteil (§ 45 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB V i.V.m. §§ 45 Abs. 1 Satz 2, 10 Abs. 4 SGB V) 30 2.4.2. Anspruchsvoraussetzungen in der Person des Kindes 30 2.4.2.1. Gesetzlich krankenversichertes Kind des Versicherten 30 2.4.2.2. Nichtvollendung des zwölften Lebensjahres oder Behinderung des Kindes mit Hilfsbedürftigkeit 32 2.4.2.2.1. Nichtvollendung des zwölften Lebensjahres des Kindes 32 2.4.2.2.2. Behinderung des Kindes mit Hilfsbedürftigkeit 33 2.4.2.3. Schwersterkrankung des Kindes mit begrenzter Lebenserwartung 36 2.4.2.4. Notwendigkeit der Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege des erkrankten Kindes durch den Versicherten 38 2.4.2.4.1. Allgemeines 38 2.4.2.4.2. Begriff der Beaufsichtigung i.S.d. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V 39 2.4.2.4.3. Begriff der Betreuung i.S.d. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V 40 2.4.2.4.4. Begriff der Pflege i.S.d. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V 40 2.4.2.4.5. Ort der Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege 41 2.4.3. Weitere Anspruchsvoraussetzungen 42 2.4.3.1. Erforderlichkeit des Fernbleibens von der Arbeit 42 2.4.3.2. Ärztliches Zeugnis 42 2.4.3.3. Kein Ausschluss des Leistungsanspruchs nach § 45 Abs. 4 SGB V wegen der Betreuungsmöglichkeit durch eine andere im Haushalt des Versicherten lebende Person 44 2.5. Inhalt und Umfang des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V 45 2.5.1. Rechtsnatur des Anspruchs 45 2.5.2. Entstehen des Anspruchs 45 2.5.3. Bezugsdauer des Kinderpflege-Krankengeldes 46 2.5.4. Höhe und Berechnung des Kinderpflege-Krankengeldes 47 2.5.5. Ruhen des Anspruchs 48 2.6. Vorleistungspflicht der Krankenkasse 49 2.6.1. Rechtsentwicklung 49 2.6.2. Rechtslage seit dem 1. Januar 1989 50 2.7. Konkurrenz des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld mit anderen Ansprüchen 51 2.7.1. Verdienstausfallentschädigung (§ 11 Abs. 3 SGB V) 51 2.7.2. Kranken-/Pflegeleistungen 52 2.7.3. Krankengeldanspruch nach § 44 SGB V wegen Arbeitsunfähigkeit 52 2.8. Schul- oder Kindergartenunfall 53 3. Arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege schwerstkranker, sterbender Kinder 54 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 5 3.1. Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung nach § 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 und 5 SGB V 54 3.1.1. Inhalt und Bedeutung des arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruches nach § 45 SGB V im Überblick 54 3.1.2. Voraussetzungen des Freistellungsanspruchs (§ 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 SGB V) 55 3.1.3. Unberechtigte Inanspruchnahme des Freistellungsanspruchs (§ 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 SGB V) 56 3.1.4. Unabdingbarkeit des Freistellungsanspruchs (§ 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 SGB V) 57 3.1.5. Freistellungsanspruch nicht versicherter Arbeitnehmer (§ 45 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 SGB V) 57 3.2. Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung 58 3.2.1. Überblick 58 3.2.2. Der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 616 Satz 1 BGB als Rechtsgrundlage eines Anspruchs auf bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung i.S.d. § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V 58 3.2.3. Bedeutung des Entgeltfortzahlungsanspruches nach § 616 Satz 1 BGB für die Fälle des § 45 Abs. 4 SGB V 61 4. Literaturverzeichnis 62 5. Anlagenverzeichnis 64 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 6 - Zusammenfassung – Die überwiegende Zahl der Menschen hat den Wunsch, möglichst in der eigenen häuslichen Umgebung sterben zu dürfen. Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung hat der Gesetzgeber diesem Anliegen und dem der ambulanten Hospizarbeit, vorrangig ein Sterben zu Hause zu ermöglichen, zum einen durch das Gesetz zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf vom 14. Dezember 2001 Rechnung getragen, mit dem unter anderem mit Wirkung vom 1. Januar 2002 die Bestimmung des § 39 a Abs. 2 SGB V eingeführt wurde, die seit diesem Zeitpunkt eine Pflicht der Krankenkassen zur Mitfinanzierung der qualifizierten ehrenamtlichen Sterbebegleitung im Rahmen ambulanter Hospizdienste vorsieht. Durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26. März 2007 wurde mit Wirkung vom 1. April 2007 darüber hinaus die Vorschrift des § 37 b in das Leistungsrecht des SGB V eingefügt, die den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verbesserung der ambulanten Versorgung seither einen eigenständigen Anspruch auf „spezialisierte ambulante Palliativversorgung“ einräumt und in dieser Form eine neue Leistungsart darstellt. Der Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung steht nach § 37 b Abs. 1 Satz 1 SGB V Versicherten mit einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung zu, die eine besonders aufwändige Versorgung benötigen. Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung umfasst ärztliche und pflegerische Leistungen einschließlich ihrer Koordination insbesondere zur Schmerztherapie und Symptomkontrolle und zielt darauf ab, die Betreuung der Versicherten nach § 37 b Abs. 1 Satz 1 SGB V in der vertrauten Umgebung des häuslichen oder familiären Bereichs zu ermöglichen (§ 37 b Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 SGB V). Sterbenskranke Menschen, die den Wunsch haben, möglichst in der vertrauten häuslichen Umgebung sterben zu dürfen, sind jedoch auch auf eine intensive Betreuung und Pflege durch Angehörige angewiesen. Über die vorgenannten Regelungen in den §§ 37 b, 39 a Abs. 2 SGB V hinaus bedarf es deshalb rechtlicher Rahmenbedingungen, die es berufstätigen Angehörigen schwerstkranker Menschen mit einer nur noch sehr begrenzten Lebenszeit ermöglichen, ihre sterbenskranken Familienmitglieder zu Hause zu pflegen, ohne deshalb Sorge haben zu müssen, finanzielle Nachteile zu erleiden und ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung hat der Gesetzgeber diesem Erfordernis in eindeutiger Form bislang nur durch das am 1. August 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002 Rechnung getragen. Auf Grund dieses Gesetzes haben gesetzlich Krankenversicherte nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V unter bestimmten Voraussetzungen seither Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres schwerstkranken Kindes, das nach ärztlichem Zeugnis nur noch eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten hat, der Arbeit fernbleiben. Gemäß § 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 SGB V haben Versicherte für die Dauer dieses Anspruchs auf Kinderpflege -Krankengeld zudem Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht. Seit dem 1. August 2002 haben gemäß § 45 Abs. 5 SGB V darüber hinaus nunmehr auch nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Arbeitnehmer einen arbeitsrechtlichen Anspruch auf unbezahlte Freistellung zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihrer schwerstkranken Kinder. Die vorgenannten Regelungen in § 45 Abs. 3, 4 und 5 SGB V dürfen allerdings nicht isoliert betrachtet werden. Inhalt, Reichweite und Bedeutungsgehalt dieser Bestimmungen erschließen sich vielmehr erst im Zusammenspiel mit weiteren Vorschriften innerhalb und außerhalb des SGB V. Grob skizziert gilt danach Folgendes: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 7 Anspruch gesetzlich Krankenversicherter auf Kinderpflege-Krankengeld zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege schwerstkranker, sterbender Kinder Das sog. Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V eröffnet gesetzlich Krankenversicherten neben § 44 SGB V, demzufolge Versicherte Anspruch auf Krankengeld haben, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt werden, eine weitere Anspruchsmöglichkeit auf Krankengeld und stellt damit eine Ergänzung des § 44 SGB V dar. § 45 SGB V räumt Versicherten in den Absätzen 1 und 2 einen zeitlich begrenzten und in Absatz 4 einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Pflege-Krankengeld ein, wenn Versicherte der Arbeit fernbleiben müssen, um ein erkranktes oder behindertes Kind zu betreuen. Bei dem Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1, 2 und 4 SGB V handelt es sich um eine familienbezogene Leistung der GKV, die durch das Gesetz zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 19. Dezember 1973 mit Wirkung vom 1. Januar 1974 in das Leistungsrecht der GKV eingeführt worden ist und deren Anwendungsbereich seitdem sukzessive erweitert wurde. Das Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1, 2 und 4 SGB V dient der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Familie und der Stärkung des Familienverbandes. Die Bestimmung ist insoweit ein wichtiges Element zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Maßgebend ist daher im Regelfall nicht die Lage des einzelnen Versicherten, sondern die der Familie oder familienähnlichen Gemeinschaft, in der er lebt. Anlass für die Einführung einer familienpolitischen Komponente in die Regelungen über den Bezug von Krankengeld nach den §§ 44 ff. SGB V war einerseits eine verstärkte Erwerbstätigkeit beider Elternteile, andererseits eine zunehmende Lockerung des Familienverbandes im Hinblick auf Großeltern und andere nicht zur unmittelbaren Kernfamilie gehörende Familienmitglieder im Sinne einer räumlichen Trennung der ursprünglichen Großfamilie. Dieser familienbezogene Normzweck der Stärkung und Förderung des Familienverbandes wird durch die Entgeltersatzfunktion des Kinderpflege-Krankengeldes erreicht. Versicherte sollen, ohne größere finanzielle Nachteile befürchten zu müssen, für eine bestimmte Zeit die Betreuung oder Pflege ihres erkrankten Kindes übernehmen können. Deshalb wird ihnen das Arbeitsentgelt ersetzt, das ihnen wegen der Betreuung des Kindes entgeht. Das Bundessozialgericht hat die Entgeltersatzleistung aus der Versicherung des Elternteils noch als systemgerecht angesehen, weil das Kind nach § 45 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 4 Satz 1 SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sein und damit der gleichen Solidargemeinschaft angehören müsse, so dass das Kinderpflege-Krankengeld zugleich ein Krankheitsrisiko derselben Solidargemeinschaft mit abdecke. Nach der bis zum 31. Juli 2002 geltenden Rechtslage war der Anspruch auf Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes gemäß § 45 Abs. 1 und 2 SGB V auch bei der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder, die nur noch eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten hatten, auf längstens zehn Arbeitstage bzw. für alleinerziehende Versicherte auf längstens 20 Arbeitstage begrenzt. Diese zeitliche Befristung führte zu zusätzlichen unzumutbaren Belastungen der betroffenen Eltern bei der Betreuung und Pflege eines schwerstkranken Kindes , soweit Pflichten eines Elternteils aus einem Beschäftigungsverhältnis den Betreuungs- und pflegerischen Pflichten entgegenstanden. Insbesondere für berufstätige Alleinerziehende, aber auch in Fällen, in denen beide Elternteile berufstätig waren, kollidierte damit der erhöhte Betreuungsbedarf für das Kind mit den beruflichen Verpflichtungen. Mit dem Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002 wurde deshalb neben dem zeitlich begrenzten Anspruch auf Krankengeld nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB V durch Anfügung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 8 eines neuen Absatzes 4 mit Wirkung vom 1. August 2002 bei schwerster und lebensbedrohlicher Erkrankung des Kindes für einen Elternteil ein Anspruch auf Krankengeld geschaffen, der nicht der in anderen Fällen geltenden zeitlichen Begrenzung des Krankengeldes bei Erkrankung eines Kindes unterliegt. Zweck der Regelung ist es, in den Fällen schwerster und unheilbarer Erkrankung eines Kindes durch die Anspruchsbefristung des § 45 Abs. 2 SGB V bewirkte unzumutbare Belastungen der Eltern, insbesondere von Alleinerziehenden, aber auch von berufstätigen Elternpaaren , zu verhindern, sowie das Zusammentreffen von erhöhtem Betreuungsbedarf mit beruflichen Verpflichtungen abzuwenden oder zu erleichtern. Die Voraussetzungen, unter denen § 45 Abs. 4 SGB V einem Elternteil bei schwerer und unheilbarer Erkrankung des Kindes einen in der Dauer nicht beschränkten, eigenständigen Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld einräumt, entsprechen nur zum Teil den in § 45 Abs. 1 SGB V festgelegten Voraussetzungen des zeitlich begrenzten Anspruchs auf Krankengeld. Nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, sofern das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist und nach ärztlichem Zeugnis an einer Erkrankung leidet, die progredient – d.h. fortschreitend und sich unaufhaltsam verschlimmernd – verläuft und bereits ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht hat (Buchstabe a), bei der eine Heilung ausgeschlossen und eine palliativmedizinische – also schmerz- bzw. beschwerdelindernde – Behandlung notwendig oder von einem Elternteil erwünscht ist (Buchstabe b) und die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten erwarten lässt (Buchstabe c). Diese an die Erkrankung des Kindes zu stellenden besonderen medizinischen Anforderungen in § 45 Abs. 1 Satz 1 Buchstaben a) bis c) SGB V, die kumulativ erfüllt sein müssen, entsprechen weitgehend den Voraussetzungen für die Aufnahme in ein stationäres Hospiz nach § 2 der „Rahmenvereinbarung nach § 39a Abs. 1 Satz 4 SGB V über Art und Umfang sowie Sicherung der Qualität der stationären Hospizversorgung“ vom 13. März 1998, i.d.F. vom 14. April 2010 und den Voraussetzungen für die Förderung ambulanter Hospizdienste nach der Präambel der „Rahmenvereinbarung nach § 39a Abs. 2 Satz 7 SGB V zu den Voraussetzungen der Förderung sowie zu Inhalt, Qualität und Umfang der ambulanten Hospizarbeit“ vom 3. September 2002, i.d.F. vom 14. April 2010. Der Anspruch auf Kinderpflege- Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V besteht damit insbesondere auch dann, wenn das Kind stationär in einem Kinderhospiz versorgt wird oder ambulante Leistungen eines Hospizdienstes erhält. Erfasst sind aber z.B. aber auch Fälle einer palliativmedizinischen Behandlung in einem Krankenhaus. Damit unterscheidet sich der Anspruch nach § 45 Abs. 4 SGB V unter anderem dadurch von dem Anspruch auf zeitlich begrenztes Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB V, dass das Kind nicht notwendig im Haushalt des Versicherten leben und betreut werden muss. Eine derartige Voraussetzung enthält die Sonderregelung des Absatzes 4 im Gegensatz zu der des Absatzes 1 gerade nicht. Auch ist die Verweisung auf die Betreuungsmöglichkeit durch eine andere im Haushalt des Versicherten lebende Person – anders als nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V – ausgeschlossen. Da das Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V seiner Rechtsnatur nach eine Sonderform des Krankengeldes gemäß §§ 44 ff. SGB V ist, gelten für den Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld grundsätzlich die allgemeinen Bestimmungen zum Krankengeld, insbesondere zur Höhe und Berechnung (§§ 47 bis 47b SGB V) entsprechend. Wegen der insoweit abweichenden besonderen Regelung in § 45 SGB V sind die Regelungen über das Entstehen des Anspruchs (§ 46 SGB V) sowie die Dauer des Krankengeldes (§ 48 SGB V) dagegen nicht anzuwenden; dies gilt ebenfalls für die auf das Kinderpflege-Krankengeld nicht passenden §§ 50 bis 51 SGB V. Höhe und Be- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 9 rechnung des Kinderpflege-Krankengeldes richten sich grundsätzlich nach § 47 SGB V. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Bestimmung beträgt das Kinderpflege-Krankengeld im Sinne des § 45 SGB V daher 70 vom Hundert des zuvor erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens , soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt), es darf 90 vom Hundert des entsprechenden Nettoarbeitsentgeltes jedoch nicht übersteigen. Arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege schwerstkranker , sterbender Kinder Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V haben Versicherte mit Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 SGB V für die Dauer dieses Anspruchs gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht. Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass der Versicherte zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege seines erkrankten Kindes der Arbeit fernbleiben kann, ohne seine arbeitsvertraglich vereinbarte Pflicht zur Arbeitsleistung zu verletzen. Die unbezahlte Freistellung nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V führt zu einer beschränkten Suspendierung der sich aus dem Arbeitsvertrag synallagmatisch ergebenden Hauptpflichten. Die Pflicht zur Arbeitsleistung wird zeitweilig aufgehoben. Andererseits verliert der Versicherte nach § 326 Abs. 1 i.V.m. § 275 BGB seinen Entgeltanspruch, soweit er nicht aufgrund arbeitsrechtlicher Rechtsquellen (Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz, vgl. § 616 BGB) einen Anspruch auf bezahlte Freistellung hat. Ein solcher Anspruch auf bezahlte Freistellung geht dem Anspruch auf unbezahlte Freistellung vor. Der den Versicherten durch § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V eingeräumte Freistellungsanspruch kann gemäß § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB V durch Vertrag weder ausgeschlossen noch beschränkt werden, ist also nicht abdingbar. Er besteht für die Dauer des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 2 SGB V, ist also zeitlich begrenzt. Aufgrund der durch das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002 mit Wirkung vom 1. August 2002 eingefügten Bestimmung des § 45 Abs. 4 Satz 3 SGB V, derzufolge die vorgenannten Regelungen in Absatz 3 auf die Fälle des Absatzes 4 entsprechend anzuwenden sind, besteht der unbezahlte Freistellungsanspruch nunmehr auch für die Dauer des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld nach Absatz 4. Somit haben Versicherte einen unbefristeten Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, um ihre sterbenden Kinder in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten. Nach dem ebenfalls mit Wirkung vom 1. August 2002 durch das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002 angefügten Absatz 5 des § 45 SGB V haben auch Arbeitnehmer, die nicht Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach § 45 Abs. 1 SGB V sind, Anspruch auf unbezahlte Freistellung durch den Arbeitgeber nach den Absätzen 3 und 4 des § 45 SGB V. Eine Beziehung zum Krankenversicherungs-Recht besteht in diesen Fällen nur insofern, als die Freistellung vom Vorliegen der Voraussetzungen abhängig ist, die in § 45 Abs. 1 bzw. Abs. 4 für Arbeitnehmer mit Anspruch auf Krankengeld nach § 44 SGB V aufgestellt werden. Nicht versichert mit Anspruch auf Krankengeld sind zum einen Arbeitnehmer, die der GKV überhaupt nicht angehören. Dies sind namentlich Arbeitnehmer, die z.B. wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V oder wegen der Geringfügigkeit ihrer Beschäftigung gemäß §§ 7 SGB V, 8, 8a SGB IV versicherungsfrei oder die gemäß § 8 SGB V von der Versicherungspflicht befreit sind. Anspruchsberechtigt nach § 45 Abs. 5 SGB V sind darüber hinaus aber auch gesetzlich Krankenversicherte, die nach § 44 Abs. 2 SGB V keinen Anspruch auf Krankengeld haben. Damit räumt § 45 Abs. 5 SGB V nunmehr allen Arbeitnehmern Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 10 gleichermaßen einen gesetzlichen Anspruch auf unbezahlte Freistellung zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten Kindes ein, solange sie – mit Ausnahme der Mitgliedschaft in der Krankengeld-Versicherung und von der Kasse getroffener Feststellungen – die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 bzw. Abs. 4 erfüllen. Ziel der Regelung ist die Gleichstellung aller Arbeitnehmer. Rechtstechnisch wird auf diese Weise § 275 Abs. 3 BGB verdrängt. Nunmehr greift aber ohnehin das Gesetz über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz – PflegeZG) vom 28. Mai 2008. Nach § 45 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 geht ein Anspruch auf bezahlte Freistellung dem Anspruch auf unbezahlte Freistellung gemäß § 45 Abs. 3 oder Abs. 5 SGB V vor. Ein Anspruch auf bezahlte Freistellung im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, soweit dem Versicherten wegen der Beaufsichtigung , Betreuung oder Pflege seines erkrankten Kindes ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts zusteht. Der Vorrang arbeitsrechtlicher Regelungen gilt grundsätzlich auch in den Fällen des Absatzes 4, wird aber bei schwerstkranken Kindern mit nur noch begrenzter Lebenserwartung selten zum Tragen kommen, da das Arbeitsrecht die Freistellung unter dem Gesichtspunkt der auf persönlichen Gründen beruhenden vorübergehenden Arbeitsverhinderung behandelt. Arbeitsverhinderungen, die über die Zeitgrenzen des § 45 Abs. 2 SGB V wesentlich hinausgehen, können aber in der Regel nicht mehr als vorübergehend betrachtet werden . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 11 1. Einleitung Nach den Erkenntnissen der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ zur „Verbesserung der Versorgung Schwerstkranker und Sterbender in Deutschland durch Palliativmedizin und Hospizarbeit“ hat die überwiegende Zahl der Sterbenskranken den Wunsch, möglichst in der eigenen häuslichen Umgebung sterben zu dürfen1. Der Gesetzgeber hat diesem Anliegen und dem der ambulanten Hospizarbeit, vorrangig ein Sterben zu Hause zu ermöglichen, zum einen durch das Gesetz zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf (Pflegeleistungs -Ergänzungsgesetz – PflEG) vom 14. Dezember 20012 Rechnung getragen, mit dem unter anderem mit Wirkung vom 1. Januar 20023 die Bestimmung des § 39a Abs. 2 SGB V eingeführt wurde4, die seit diesem Zeitpunkt eine Pflicht der Krankenkassen zur Mitfinanzierung der qualifizierten ehrenamtlichen Sterbebegleitung im Rahmen ambulanter Hospizdienste vorsieht5. Nach § 39a Abs. 2 Satz 1 SGB V6 in seiner derzeit gültigen Fassung7 hat die Krankenkasse ambulante Hospizdienste zu fördern, die für Versicherte, die keiner Krankenhausbehandlung und keiner stationären oder teilstationären Versorgung in einem Hospiz bedürfen, qualifizierte ehrenamtliche Sterbebegleitung in deren Haushalt, in der Familie, in stationären Pflegeeinrichtungen, in Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen oder der Kinder- und Jugendhilfe erbringen. Diese Förderung erfolgt gemäß § 39a Abs. 2 Satz 4 SGB V durch einen angemessenen Zuschuss zu den notwendigen Personalkosten. Anders als § 39a Abs. 1 SGB V und entgegen möglicherweise durch die Überschrift des § 39a SGB V geweckter Erwartungen, begründet Absatz 2 allerdings keinen individuellen Leistungsanspruch des einzelnen Versicherten gegen die Krankenkassen auf ambulante Hospizversorgung. Die Regelung in § 39a Abs. 2 SGB V beschränkt sich vielmehr auf eine finanzielle Förderungspflicht der Krankenkassen, die – weil auf „ambulante Hospizdienste“ bezogen – institutioneller Art ist. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der ambulanten Palliativversorgung in Deutschland und in Umsetzung der von der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ erar- 1 Vgl. den Bericht der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ zur „Verbesserung der Versorgung Schwerstkranker und Sterbender in Deutschland durch Palliativmedizin und Hospizarbeit“ vom 22. Juni 2005, in: BT-Drs. 15/5858 S. 32 (68 f.) 2 BGBl. I S. 3728 3 Vgl. Art. 6 Abs. 2 des Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetzes 4 Vgl. Art. 2 Nr. 3 des Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetzes 5 Zur Förderung ambulanter Hospizdienste nach § 39a Abs. 2 SGB V i.V.m. der Rahmenvereinbarung nach § 39a Abs. 2 Satz 7 SGB V vom 3. September 2002 in der Fassung vom 14. April 2010 vgl. eingehend Ostermann, Stationäre und ambulante Hospizleistungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung – Rechtshistorische Entwicklung und aktueller Stand (Deutscher Bundestag, WD 9-3000-074/10) zu Gliederungspunkt 3. (S. 42 ff.) 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. 983) 7 Zur Normgeschichte des § 39a Abs. 2 SGB V vgl. eingehend die vorgenannte Ausarbeitung WD 9-3000-074/10 zu Gliederungspunkt 3.2 (S. 43 ff.) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 12 beiteten Empfehlungen8 wurde durch Art. 1 Nr. 23 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26. März 20079 mit Wirkung vom 1. April 200710 darüber hinaus die Vorschrift des § 37b in das Leistungsrecht des SGB V eingefügt, die den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verbesserung der ambulanten Versorgung seither einen eigenständigen Anspruch auf „spezialisierte ambulante Palliativversorgung“ einräumt und in dieser Form eine neue Leistungsart darstellt 11. Erklärtes Ziel der durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz zum 1. April 2007 eingeführten Regelung des § 37b SGB V ist es, dem Wunsch der Menschen zu entsprechen, in Würde und möglichst in der eigenen häuslichen Umgebung zu sterben12. Der Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung steht Versicherten mit einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung zu, die eine besonders aufwändige Versorgung benötigen (§ 37b Abs. 1 Satz 1 SGB V). Bei der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung nach § 37b SGB V handelt es sich um eine Komplexleistung, die sowohl ärztliche als auch pflegerische Leistungen einschließlich ihrer Koordination insbesondere zur Schmerztherapie und Symptomkontrolle beinhaltet und darauf abzielt, die Betreuung der Versicherten nach § 37b Abs. 1 Satz 1 SGB V in der vertrauten Umgebung des häuslichen oder familiären Bereichs zu ermöglichen; hierzu zählen beispielsweise Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und der Kinder- und Jugendhilfe (§ 37b Abs. 1 Satz 3 SGB V). Voraussetzung für die Leistungsgewährung ist die Verordnung durch einen Vertragsarzt oder Krankenhausarzt (vgl. § 37b Abs. 1 Satz 2 SGB V). Sterbenskranke Menschen, die den Wunsch haben, möglichst in der vertrauten häuslichen Umgebung sterben zu dürfen, sind jedoch auch auf eine intensive Betreuung und Pflege durch Angehörige angewiesen. Über die vorgenannten Regelungen in den §§ 37 b, 39 a Abs. 2 SGB V hinaus bedarf es deshalb rechtlicher Rahmenbedingungen, die es berufstätigen Angehörigen schwerstkranker Menschen mit nur noch sehr begrenzter Lebenserwartung ermöglichen, ihre sterbenskranken Familienmitglieder zu Hause zu pflegen, ohne deshalb Sorge haben zu müssen, finanzielle Nachteile zu erleiden und ihren Arbeitsplatz zu verlieren13. Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung hat der Gesetzgeber diesem Erfordernis in eindeutiger Form bislang nur durch das am 1. August 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 200214 Rechnung getragen. Auf Grund dieses Gesetzes ha- 8 Vgl. BT-Drs. 15/5858 S. 68 f. 9 BGBl. I. S. 378 10 Vgl. Art. 46 Abs. 1 GKV-WSG 11 Zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung nach § 37b SGB V vgl. eingehend Ostermann, Spezialisierte ambulante Palliativversorgung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung – Rechtshistorische Entwicklung und aktueller Stand (Deutscher Bundestag, WD 9-3000-097/10) 12 Vgl. den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/3100, S. 105 13 Vgl. den Bericht der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ zur „Verbesserung der Versorgung Schwerstkranker und Sterbender in Deutschland durch Palliativmedizin und Hospizarbeit“ vom 22. Juni 2005, in: BT-Drs. 15/5858, S. 32 14 BGBl. I S. 2872 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 13 ben gesetzlich Krankenversicherte nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V seither Anspruch auf Krankengeld , wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, sofern das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist und nach ärztlichem Zeugnis an einer Erkrankung leidet, die progrient verläuft und bereits ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht hat (Buchstabe a), bei der eine Heilung ausgeschlossen und eine palliativmedizinische Behandlung notwendig oder von einem Elternteil erwünscht ist (Buchstabe b) und die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten erwarten lässt (Buchstabe c). Nach § 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 SGB V haben Versicherte für die Dauer dieses Anspruchs auf Kinderpflege -Krankengeld zudem Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht. Gemäß § 45 Abs. 5 SGB V haben seit dem 1. August 2002 darüber hinaus nunmehr auch nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Arbeitnehmer einen arbeitsrechtlichen Anspruch auf unbezahlte Freistellung zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihrer schwerstkranken Kinder. Mit dieser Regelung wurde die Gleichbehandlung beider Arbeitnehmergruppen im Arbeitsrecht erreicht. Mit dem am 1. Juli 2008 als Art. 3 des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes vom 28. Mai 200815 in Kraft getretenen Gesetzes über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz - PflegeZG16) hat der Gesetzgeber (weitere) arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen geschaffen, um Beschäftigten die Pflege und Sterbebegleitung naher Angehöriger in häuslicher Umgebung zu ermöglichen. Die unter Federführung des Bundesministeriums für Gesundheit erarbeitete Gesetzesbegründung geht davon aus, dass die Mehrheit pflegebedürftiger Menschen so lange wie möglich durch vertraute Angehörige in gewohnter Umgebung oder zumindest ambulant und nicht in einem Pflegeheim versorgt werden möchte17. Beschäftigte im Sinne des Pflegezeitgesetzes sind gemäß § 7 Abs. 1 PflegeZG nicht nur Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten und Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind. Die angestrebte Verbesserung der Vereinbarkeit von familiärer Pflege und Erwerbstätigkeit beruht dabei auf zwei Säulen: In einer akut auftretenden Pflegesituation haben Beschäftigte gemäß § 2 Abs. 1 PflegeZG das Recht, bis zu 10 Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen . In diesen Fällen sog. kurzzeitiger Arbeitsverhinderung ist der Arbeitgeber gemäß § 2 Abs. 3 PflegeZG zur Zahlung der Vergütung nur verpflichtet, soweit sich eine solche Verpflichtung aus anderen gesetzlichen Vorschriften oder auf Grund einer Vereinbarung ergibt. Nach der in den §§ 3 und 4 PflegeZG geregelten sog. Pflegezeit haben Beschäftigte für längstens sechs Monate darüber hinaus einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, wenn sie einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen. Dieses Recht auf Pflegezeit hängt allerdings von der Überschreitung eines Schwellenwertes ab. Es besteht gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 PflegeZG nicht gegenüber Arbeitgebern mit in der Regel 15 oder weniger Beschäftigten. Die Regelungen der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG und der 15 Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz), BGBl. I S. 874 16 BGBl. I S. 874, 896 17 Vgl. BR-Drs. 718/07 S. 1, 82, 85, 217 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 14 Pflegezeit nach § 3 PflegeZG werden von einem Sonderkündigungsschutz gemäß § 5 PflegeZG flankiert. Da der Gesetzgeber die Versorgung pflegebedürftiger Menschen, nicht zuletzt auch auf Grund der demografischen Entwicklung in Deutschland, als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ansieht18, hat er mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom 28. Mai 2008 in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie in der Arbeitslosenversicherung außerdem eine Reihe von Änderungen vorgenommen, durch die sichergestellt werden soll, dass pflegende Angehörige während einer Pflegezeit nach § 3 PflegeZG sozialversicherungsrechtlich durch die Solidargemeinschaft abgesichert sind. Die Regelungen des Pflegezeitgesetzes und die der sozialversicherungsrechtlichen Absicherung pflegender Angehöriger dienenden Bestimmungen im SGB III, IV, V und XI werfen vielfältige Rechtsfragen auf, deren Erörterung einer gesonderten Ausarbeitung vorbehalten bleiben muss. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich deshalb – unter Einbeziehung der rechtshistorischen Entwicklung – auf die Darstellung der im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung getroffenen Regelungen zur Integration Angehöriger in die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege schwerstkranker, sterbender Kinder. Im Mittelpunkt steht dabei die Bestimmung des § 45 SGB V, deren Inhalt, Reichweite und Bedeutungsgehalt sich allerdings erst im Zusammenspiel mit weiteren Vorschriften innerhalb und außerhalb des SGB V erschließt. 2. Anspruch gesetzlich Krankenversicherter auf Kinderpflege-Krankengeld zur Beaufsichtigung , Betreuung oder Pflege schwerstkranker, sterbender Kinder 2.1. Inhalt und Bedeutung des Anspruchs auf Krankengeld bei Erkrankung des Kindes nach § 45 Abs. 1, 2 und 4 SGB V im Überblick Das sog. Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V eröffnet gesetzlich Krankenversicherten neben § 44 SGB V, demzufolge Versicherte Anspruch auf Krankengeld haben, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41 SGB V) behandelt werden, eine weitere Anspruchsmöglichkeit auf Krankengeld und stellt damit eine Ergänzung des § 44 SGB V dar19. Die übrigen Regelungen, insbesondere zur Höhe und Berechnung sowie zum Ruhen des Krankengeldes (§§ 47, 49 SGB V) gelten für das Kinderpflege- Krankengeld grundsätzlich ebenso wie für das Krankengeld nach § 44 SGB V20. Bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen von § 44 SGB V und § 45 SGB V geht ersterer vor21. § 45 SGB V räumt Versicherten in den Absätzen 1 und 2 einen zeitlich begrenzten und in Abs. 4 einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Pflege-Krankengeld ein, wenn Versicherte der Arbeit fernbleiben müssen, um ein erkranktes oder behindertes Kind zu betreuen. Das Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V hat wie das Krankengeld nach § 44 SGB V Lohnersatzfunktion; es soll das we- 18 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz), in: BT-Drs. 16/7439, S. 91 19 Vgl. etwa Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 6 20 Vgl. hierzu im Einzelnen unten zu Gliederungspunkt 2.5 21 Vgl. etwa Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 7 mit weiteren Nachweisen sowie unten zu Gliederungspunkt 2.7.3 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 15 gen der Betreuung des Kindes entgangene Arbeitsentgelt ersetzen22. Versicherte sollen, ohne größere finanzielle Nachteile befürchten zu müssen, für eine bestimmte Zeit die Betreuung oder Pflege ihres erkrankten Kindes übernehmen können23. Bei dem Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V handelt es sich um eine familienbezogene Leistung, deren Anwendungsbereich sukzessive erweitert wurde24. 2.1.1. Der zeitlich begrenzte Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB V Die Voraussetzungen und die Dauer des zeitlich begrenzten Anspruchs auf Kinderpflege- Krankengeld sind in den Absätzen 1 und 2 des § 45 SGB V geregelt. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, dass sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere in ihrem Haushalt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigten, betreuen oder pflegen kann und das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist. Gem. § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB V sind die in § 10 Abs. 4 SGB V genannten Stiefkinder, Enkel, Pflegekinder und Adoptiv- Pflegekinder ausdrücklich miteinbezogen. Anspruch auf Krankengeld nach § 45 Abs. 1 SGB V besteht gem. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB V in jedem Kalenderjahr für jedes Kind längstens für 10 Arbeitstage , für alleinerziehende Versicherte längstens für 20 Arbeitstage. Gem. § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB V besteht dieser Anspruch für Versicherte für nicht mehr als 25 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte für nicht mehr als 50 Arbeitstage je Kalenderjahr. 2.1.2. Der zeitlich unbegrenzte Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V Mit dem Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 200225 wurde neben dem zeitlich begrenzten Krankengeld–Anspruch nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB V durch Anfügung eines neuen Absatzes 426 mit Wirkung vom 1. August 200227 bei schwerster und lebensbedrohlicher Erkrankung des Kindes für einen Elternteil ein Anspruch auf Krankengeld geschaffen, der nicht der in anderen Fällen geltenden zeitlichen Begrenzung des Krankengeldes bei Erkrankung eines Kindes unterliegt. Zweck der Regelung ist es, in den Fällen schwerster und unheilbarer Erkrankung eines Kindes durch die Anspruchsbefristung des § 45 Abs. 2 SGB 22 Vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 31. Januar 1995 – 1 RK 11/94 - BSGE 76, 1 = SozR 3-2500 § 45 SGB V Nr. 1 S. 6; zum früheren § 185c RVO siehe Bundessozialgericht, Urteil vom 17. September 1986 – 3 RK 51/84 - SozR 2200 § 185c RVO Nr. 3; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 2 23 Vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 31. Januar 1995 – 1 RK 11/94 - BSGE 76, 1 = SozR 3-2500 § 45 SGB V Nr. 1 mit weiteren Nachweisen; Bundessozialgericht, Urteil vom 17. September 1986 – 3 RK 51/84 – SozR 2200 zu § 185c Nr. 3; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 2 24 Zur Entstehungsgeschichte der Regelungen zum Krankengeld bei Erkrankung des Kindes nach § 45 SGB V und seinen Vorgängernormen vgl. eingehend unten zu Gliederungspunkt 2.2 25 BGBl. I S. 2872 26 Vgl. Art. 1 des Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002 27 Vgl. Art. 2 des Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 16 V bewirkte unzumutbare Belastungen der Eltern, insbesondere von Alleinerziehenden, aber auch von berufstätigen Elternpaaren, zu verhindern, sowie das Zusammentreffen von erhöhtem Betreuungsbedarf mit beruflichen Verpflichtungen abzuwenden oder zu erleichtern28. Die Voraussetzungen, unter denen § 45 Abs. 4 SGB V einem Elternteil bei schwerer und unheilbarer Erkrankung des Kindes einen in der Dauer nicht beschränkten, eigenständigen Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld einräumt, entsprechen nur zum Teil den in § 45 Abs. 1 SGB V festgelegten Voraussetzungen des zeitlich begrenzten Anspruchs auf Krankengeld. Nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, sofern das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist und nach ärztlichem Zeugnis an einer Erkrankung leidet, die progredient verläuft und bereits ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht hat (Buchstabe a), bei der eine Heilung ausgeschlossen und eine palliativmedizinische Behandlung notwendig oder von einem Elternteil erwünscht ist (Buchstabe b) und die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten erwarten lässt (Buchstabe c). Die an die Erkrankung des Kindes zu stellenden besonderen medizinischen Anforderungen in § 45 Abs. 4 Satz 1 Buchstaben a) bis c) SGB V entsprechen nach der Gesetzesbegründung29 den Anspruchsvoraussetzungen für die stationären und ambulanten Hospizleistungen nach § 39a SGB V, die in der „Rahmenvereinbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz e.V. nach § 39a Abs. 1 Satz 4 alter Fassung SGB V über Art und Umfang sowie zur Sicherung der Qualität der stationären Hospizversorgung“ vom 13. März 1989 i.d.F. vom 9. Februar 1999 niedergelegt sind. Durch diesen Ansatz werde – so heißt es in der Gesetzesbegründung weiter – klargestellt, dass der Anspruch insbesondere auch in den Fällen bestehen soll, in denen das Kind stationär in einem Kinderhospiz versorgt wird oder ambulante Leistungen eines Hospizdienstes erhält. Erfasst seien aber z.B. auch die Fälle einer palliativ-medizinischen Behandlung in einem Krankenhaus. Damit unterscheidet sich der Anspruch nach § 45 Abs. 4 SGB V unter anderem dadurch von dem Anspruch auf zeitlich begrenztes Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB V, dass das Kind nicht notwendig im Haushalt des Versicherten leben und betreut werden muss. Eine derartige Voraussetzung enthält die Sonderregelung des Abs. 4 im Gegensatz zu der des Abs. 1 gerade nicht30. Auch ist die Verweisung auf die Betreuungsmöglichkeit durch eine andere im Haushalt des Versicherten lebende Person – anders als nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V – ausgeschlossen31. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB V stellt klar, dass für denselben Zeitraum nur ein Elternteil den Anspruch geltend machen kann, auch wenn beide Elternteile die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Elternteile sind die leiblichen Eltern des Kindes. Der Hinweis auf die entsprechende Geltung des § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB V in § 45 Abs. 4 Satz 3 SGB V stellt sicher, dass auch der Personenkreis nach § 10 Abs. 4 SGB V, z.B. Stiefeltern oder Großeltern, die das Kind überwiegend unterhalten, 28 Vgl. die Begründung im Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder, in: BT-Drs. 14/9031 S. 3 29 Vgl. den Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder, in BT-Drs. 14/9031 S. 3 30 Vgl. Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 18d 31 Vgl. etwa Berchtold, in: Beck OK SGB V, § 45 Rn. 26 und unten zu Gliederungspunkt 2.4.3.3 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 17 anstelle der Eltern anspruchsberechtigt sein kann. Durch den Verweis in § 45 Abs. 4 Satz 3 SGB V auf § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB V wird darüber hinaus klargestellt, dass der Personenkreis ausgeschlossen ist, der auch nach § 44 Abs. 2 SGB V keinen Anspruch auf Krankengeld hat. 2.2. Entstehungsgeschichte der Regelungen zum Krankengeld bei Erkrankung des Kindes nach § 45 SGB V Bevor die Voraussetzungen sowie Inhalt und Umfang des zeitlich unbegrenzten Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld in Fällen schwerster und lebensbedrohlicher Erkrankung des Kindes nach § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SGB V und §§ 10 Abs. 4, 44 Abs. 2 und 47 SGB V im Einzelnen dargelegt werden32, soll zunächst die Entstehungsgeschichte der Regelungen zum Krankengeld bei Erkrankung des Kindes nach § 45 SGB V nachgezeichnet werden, da die derzeitige Rechtslage erst vor dem Hintergrund dieser Normgeschichte hinreichend verständlich wird. 2.2.1. Entwicklung des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld bis zum Inkrafttreten des § 45 Abs. 4 SGB V am 1. August 2002 2.2.1.1. Einführung eines zeitlich begrenzten Anspruchs gesetzlich Krankenversicherter auf Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes gem. § 185c Abs. 1 und 2 RVO durch das Leistungsverbesserungsgesetz vom 19. Dezember 1973 mit Wirkung vom 1. Januar 1974 Die Regelung des § 45 SGB V geht unmittelbar auf die Vorschrift des § 185c der Reichsversicherungsordnung (RVO)33 zurück, die durch § 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Leistungsverbesserungsgesetz – KLVG) vom 19. Dezember 197334 mit Wirkung vom 1. Januar 197435 in die RVO eingefügt wurde36. § 185c Abs. 1 und 2 RVO räumte gesetzlich Krankenversicherten erstmals einen – zeitlich begrenzten – Anspruch auf Krankengeld für den Fall ein, dass der Versicherte wegen der notwendigen Pflege eines erkrankten Kindes der Arbeit fernbleiben musste und ihm dadurch Arbeitsverdienst ausfiel37. Nach § 185c Abs. 1 Satz 1 RVO erhielten Versicherte Krankengeld, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich war, dass der Versicherte zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege seines erkrankten Kindes der Arbeit fernblieb, eine andere im Haushalt des Versicherten lebende Person die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege nicht übernehmen konnte und das Kind das achte 32 Vgl. hierzu unten zu den Gliederungspunkten 2.4 und 2.5 33 Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 19. Juli 1911 (RGBl. I 1911, S. 509); FNA 120-1, BGBl. III 34 BGBl. I S. 1925 35 Vgl. § 5 des Leistungsverbesserungsgesetzes 36 Zur Einführung des § 185c RVO durch das Leistungsverbesserungsgesetz vom 19. Dezember 1973 mit Wirkung vom 1. Januar 1974 vgl. näher Picard, Das Leistungsverbesserungsgesetz, in: Die Ortskrankenkasse, Zeitschrift, 1974, S. 2 (10 ff.); Fischwasser, Das Gesetz zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung , in: Bundesarbeitsblatt, Zeitschrift, 1974, S. 61 (64 ff.) 37 So die Begründung zum Koalitionsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Leistungsverbesserungsgesetz – KLVG) vom 21. März 1973 in BT-Drs. 7/377, S. 5 zu § 185c RVO Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 18 Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Der Anspruch auf Krankengeld war nach § 185c Abs. 2 Satz 1 RVO in jedem Kalenderjahr für jedes Kind auf fünf Arbeitstage begrenzt, ein Karenztag war dagegen nicht vorgesehen. Die Höhe des Krankengeldes bestimmte sich gem. § 185c Abs. 1 Satz 2 RVO nach dem Krankengeld, das nach Ablauf des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle zu zahlen war. Es wurde gem. § 185c Abs. 1 Satz 3 RVO nach dem Grundlohn berechnet ; einmalige Zuwendungen blieben dabei außer Betracht. Im übrigen galten die sonstigen Vorschriften über die Gewährung von Krankengeld. § 185c RVO entsprach damit in den Grundzügen bereits der Regelung des § 45 Abs. 1 und 2 SGB V, wie sie das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) vom 20. Dezember 198838 mit Wirkung vom 1. Januar 1989 getroffen hat. Im Gegensatz zur Regelung in § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V war nach § 185c Abs. 1 Satz 1 RVO allerdings nicht erforderlich , dass auch das erkrankte Kind im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gegen Krankheit versichert war. Das mit § 185c RVO in die gesetzliche Krankenversicherung eingeführte Kinderpflege-Krankengeld wurde ursprünglich vielmehr unabhängig von einer Versicherung des erkrankten Kindes und somit als besondere familienbezogene Leistung gewährt39. 2.2.1.2. Übernahme der Regelungen des § 185c Abs. 1 und 2 RVO in die Bestimmungen des § 45 Abs. 1 und 2 SGB V durch das Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988 mit Wirkung vom 1. Januar 1989 Mit der Einführung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 198840 wurden die Regelungen des § 185c Abs. 1 und 2 RVO mit Wirkung vom 1. Januar 198941 weitgehend in die Bestimmungen des § 45 Abs. 1 und 2 SGB V übernommen. Während die Vorgängervorschrift des § 185c Abs. 1 Satz 1 RVO – wie bereits erwähnt – hinsichtlich des Kindes keine versicherungsrechtlichen Anforderungen stellte, beschränkt sich der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V seit diesem Zeitpunkt nunmehr jedoch auf Fälle, in denen nicht nur der Anspruchsberechtigte , sondern auch das erkrankte Kind selbst gegen Krankheit gesetzlich versichert ist, sei es aufgrund eigener Mitgliedschaft (z.B. durch den Antrag oder den Bezug einer Waisenrente oder aufgrund einer freiwilligen Versicherung gemäß § 9 SGB V), sei es – was regelmäßig der Fall sein wird – im Rahmen der Familienversicherung nach § 10 SGB V42. Die im Entwurf eines Gesundheits-Reformgesetzes noch vorgesehene Beschränkung des Kinderpflege- Krankengeldes auf Fälle, in denen das erkrankte Kind im Rahmen der Familienversicherung „nach § 10“ SGB V versichert ist43, wurde in den Ausschussberatungen zum GRG aufgegeben44. 38 BGBl. I S. 2477 39 Vgl. BSGE 76, 1(5) = SozR 3-2500 § 45 SGB V Nr. 1 S. 6; Bundessozialgericht, Urteil vom 31. März 1998 – B 1 KR 9/96 R-NZS 1999, S. 29; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 2 40 BGBl. I S. 2477 41 Vgl. Art. 79 Abs. 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 bis 5 GRG, BGBl. I S. 2477, 2596 42 Vgl. etwa Meyerhoff, in: jurisPK SGB V, § 45 Rn. 19 43 Vgl. den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) in BT-Drs. 11/2237, S. 181 zu § 44 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 19 Damit entsprach der Bundestagsausschuss für Arbeit und Sozialordnung einem Anliegen des Bundesrates, den Zusatz „nach § 10“ zu streichen, um einen Anspruch auch dann zu gewährleisten , wenn das Kind (z.B. als Bezieher einer Waisenrente) selbst Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist45. Der Vorschlag des Bundesrates, die in § 44 Abs. 1 Satz 1 des Entwurfs eines Gesundheits- Reformgesetzes vorgesehene Altersgrenze des Kindes von acht Jahren46 auf zwölf Jahre zu erhöhen 47, ist dagegen nicht Gesetz geworden. Schon im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP war darauf hingewiesen worden, dass eine Heraufsetzung der Altersgrenze des Kindes wegen der finanziellen Auswirkungen nicht vertretbar sei48. In seiner Stellungnahme zu dieser Regelung machte der Bundesrat geltend, die Betreuungsbedürftigkeit eines Kindes im familiären Haushalt ende nicht mit dem vollendeten achten Lebensjahr, sondern dauere in der Regel bis über das zwölfte Lebensjahr hinaus. Im Interesse ihrer Effektivität müsse die Regelung diesem Umstand Rechnung tragen49. In Übereinstimmung mit der Argumentation im vorgenannten Fraktionsentwurf eines Gesundheits-Reformgesetzes hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates deutlich gemacht, dass sie diesem Vorschlag wegen der finanziellen Auswirkungen nicht folgen könne50. Die Bundesregierung erkenne – so heißt in ihrer Gegenäußerung – zwar an, dass die Betreuungsbedürftigkeit eines Kindes im familiären Haushalt nicht mit der Vollendung des achten Lebensjahres ende. Sie könne aber dem Vorschlag wegen der finanziellen Mehrbelastung der Krankenkassen nicht zustimmen. Darüber hinaus sei zu bedenken , dass der Vorschlag des Bundesrates auch zu einer nicht unerheblichen Mehrbelastung der Arbeitgeber führen könne. Im Beitrittsgebiet war die Vorschrift des § 45 SGB V im Grundsatz seit dem 1. Januar 1991 anzuwenden , da die §§ 308 ff. SGB V insoweit keine abweichenden Regelungen trafen. Da das Gesetz über die Sozialversicherung (SVG) vom 28. Juni 199051 bis zum 30. Juni 1991 in Kraft geblieben ist52, konnten jedoch bis zu diesem Zeitpunkt bei Vorliegen der Voraussetzungen die wesentlich 44 Vgl. den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP – BT-Drs. 11/2237 – und zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – BT- Drs. 11/2493 – in BT-Drs. 11/3480 S. 55 zu § 44 45 Vgl. die Stellungnahme des Bundesrates zu Art. 1 § 44 Abs. 1 Satz 1 in BT-Drs. 11/2493 S. 17 sowie BT-Drs. 11/3320 S. 30 zu § 44 und BT-Drs. 11/3480 S. 55 zu § 44 46 Vgl. den Fraktionsentwurf in BT-Drs. 11/2237 S. 22 zu § 44 47 Vgl. die Stellungnahme des Bundesrates zu Art. 1 § 44 Abs. 1 Satz 1, S. 17 48 Vgl. BT-Drs. 11/2237 S. 181 zu Art. 1 § 44 49 Vgl. BT-Drs. 11/2493, S. 17 zu Art. 1 § 44 Abs. 1 Satz 1 50 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG), in: BT-Drs. 11/2493 S. 60 zu Art. 1 § 44 Abs. 1 Satz 1 51 GBl DDR I S. 486 52 Siehe Einigungsvertrag, Anlage II, Sachgebiet G, Abschnitt III Nr. 1 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 20 weitergehenden Leistungen bei der Pflege erkrankter Kinder gewährt werden, die das Recht der früheren DDR vorgesehen hatte53. 2.2.1.3. Verlängerung der Bezugsdauer des Kinderpflege-Krankengeldes und Heraufsetzung der Altersgrenze des Kindes durch das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB V vom 20. Dezember 1991 mit Wirkung vom 1. Januar 1992 Die Deutsche Einheit war Mitursache für die mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20. Dezember 199154 zum 1. Januar 199255 herbeigeführten Leistungsverbesserungen beim Kinderpflege-Krankengeld56. Als familienpolitische Maßnahme wurde durch Art. 1 Nr. 13 Buchstabe a) dieses Gesetzes zum einen die Altersgrenze des Kindes in § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V vom achten Lebensjahr auf das zwölfte Lebensjahr heraufgesetzt57. Mit dieser Heraufsetzung der Altersgrenze griff der Gesetzentwurf der Bundesregierung58 Initiativen auf, die in der 8. Legislaturperiode noch ohne Erfolg geblieben waren59. Aus familienpolitischen Gründen 60 wurde durch Art. 1 Nr. 13 Buchstabe b) des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch darüber hinaus in § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB V die Bezugsdauer beim Kinderpflege -Krankengeld in jedem Kalenderjahr für jedes Kind von längstens fünf auf längstens zehn Arbeitstage verlängert (§ 45 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V). Damit alle Kinder, unabhängig davon, ob sie mit beiden Eltern oder nur mit einem Elternteil zusammenleben, gleichgestellt sind, wurde außerdem der Anspruch für Alleinerziehende gem. § 45 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V auf längstens 20 Arbeitstage ausgedehnt61. Mit Rücksicht auf die finanzielle Situation der GKV und die Belastung der Arbeitgeber62 wurde mit § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB V schließlich eine Höchstanspruchsdauer je Kalenderjahr eingeführt, derzufolge der Anspruch auf Krankengeld für Versicherte nur für höchstens 25 Arbeitstage und für alleinerziehende Versicherte für nicht mehr als 50 Arbeitstage je Kalenderjahr geltend gemacht werden kann. Bei den vorgenannten Rechts- 53 Vgl. insoweit Gerlach/Richter, Die Krankenversicherung in den neuen Bundesländern: Neues Leistungsrecht im Überblick, in: DOK: Politik, Praxis, Recht (Zeitschrift), 1991, S. 45 (51f) 54 BGBl. I S. 2325 55 Vgl. Art. 12 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch 56 Zu den Leistungsverbesserungen beim Kinderpflege-Krankengeld durch Art. 1 Nr. 13 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2325, 2326) vgl. eingehend Marburger, Zu den Ansprüchen bei Erkrankung eines Kindes aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht, in: Recht der Arbeit (RdA) 1993, S. 31 ff. 57 Vgl. die Gesetzesbegründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs. 12/1363 S. 7 zu Art. 1 Nr. 4 (§ 45 SGB V) 58 BT-Drs. 12/1363 59 Vgl. BR-Drs. 41/179 S. 1 und 10 60 Vgl. die Gesetzesbegründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung in BT-Drs. 12/1363 S. 7 zu Art. 1 Nr. 4 (§ 45 SGB V) 61 Vgl. die Entwurfsbegründung in BT-Drs. 12/1363 S. 7 zu Art. 1 Nr. 4 Buchstabe b) 62 Vgl. die Entwurfsbegründung in BT-Drs. 12/1363 S. 7 zu Art. 1 Nr. 4 Buchstabe b) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 21 änderungen des § 45 Abs. 1 und 2 SGB V, die – wie bereits erwähnt – am 1. Januar 1992 in Kraft getreten sind63, handelt es sich um einen Kompromiss zwischen den Regelungen, die in den alten und neuen Bundesländern bis dahin auf diesem Gebiet bestanden. Da im Beitrittsgebiet sowohl die Leistungstatbestände als auch die Dauer des Zahlungsanspruchs nach dem Gesetz über die Sozialversicherung (SVG) vom 28. Juni 199064 – wie bereits erwähnt – erheblich weitgehender gefasst waren65, trat für die Versicherten in den neuen Bundesländern damit eine Schlechterstellung ein66. 2.2.1.4. Erweiterung des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld auf über 12-jährige behinderte und auf Hilfe angewiesene Kinder durch Art. 5 Nr. 15 des Sozialgesetzbuchs – Neuntes Buch – (SGB IX) vom 19. Juni 2001 mit Wirkung vom 1. Juli 2001 Durch Art. 5 Nr. 15 des Sozialgesetzbuchs – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 200167, dessen Art. 1 das SGB IX selbst bildet, wurde mit Wirkung vom 1. Juli 200168 die bis dahin geltende Altersgrenze von zwölf Jahren in § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V für behinderte und auf Hilfe angewiesene Kinder ganz aufgehoben. Durch diese Neuregelung wurde erreicht, dass der Leistungsanspruch nunmehr auch denjenigen Eltern zugute kommt, die ein Kind betreuen, das das zwölfte Lebensjahr vollendet hat und das in seiner körperlichen , geistigen oder seelischen Entwicklung einem durchschnittlich entwickelten Kind dieses Alters nicht gleichsteht, weil es behindert und auf Hilfe angewiesen ist69. 2.2.2. Einführung eines zeitlich unbegrenzten Anspruchs auf Krankengeld bei unheilbar schwerstkranken Kindern mit nur noch begrenzter Lebenserwartung gem. § 45 Abs. 4 SGB V durch das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002 mit Wirkung vom 1. August 2002 Die vorstehend dargelegte Entwicklung des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld macht deutlich, dass der Anspruch auf Krankengeld gemäß § 45 Abs. 1 und 2 SGB V nach der bis zum 31. Juli 2002 geltenden Rechtslage auch bei der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder, die nur noch eine Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten hatten, auf längstens 63 Vgl. Art. 12 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, BGBl. I S. 2325, 2329 64 GBl DDR I, S. 486 65 Vgl. Gerlach/Richter, Die Krankenversicherung in den neuen Bundesländern: Neues Leistungsrecht im Überblick , in: DOK: Politik, Praxis, Recht (Zeitschrift), 1991, S. 45 (51 f.) 66 Vgl. Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 1 67 BGBl. I S. 1046, 1099 68 Vgl. Art. 68 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 bis 7 des Gesetzes 69 Vgl. die Gesetzesbegründung im Gesetzesentwurf der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Sozialgesetzbuchs – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen , BT-Drs. 14/5074, S. 118 zu Art. 5 Nr. 15 (§ 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V) sowie Niemann, Die Kodifizierung des Behinderten- und Rehabilitationsrechts im SGB IX – Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, in: NZS, 2001, S. 583 (586) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 22 zehn Arbeitstage bzw. für alleinerziehende Versicherte auf längstens 20 Arbeitstage (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB V) begrenzt war. Diese zeitliche Befristung führte zu zusätzlichen unzumutbaren Belastungen der betroffenen Eltern eines schwerstkranken Kindes, soweit Pflichten eines Elternteils aus einem Beschäftigungsverhältnis den Betreuungs- und pflegerischen Pflichten entgegenstanden . Insbesondere für berufstätige Alleinerziehende, aber auch in Fällen, in denen beide Elternteile berufstätig waren, kollidierte damit der erhöhte Betreuungsbedarf für das Kind mit den beruflichen Verpflichtungen70. Mit Art. 1 des Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 200271 wurde deshalb neben dem zeitlich begrenzten Anspruch auf Krankengeld nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB V durch Anfügung eines neuen Absatzes 4 mit Wirkung vom 1. August 200272 bei schwerer, unheilbarer Erkrankung des Kindes für einen Elternteil ein eigenständiger Anspruch auf Krankengeld geschaffen, der nicht der in anderen Fällen geltenden zeitlichen Begrenzung des Krankengeldes bei Erkrankung eines Kindes unterliegt. Zweck der Leistungsgewährung ohne zeitliche Begrenzung ist es, in den Fällen schwerster und unheilbarer Erkrankung eines Kindes durch die Anspruchsbefristung des § 45 Abs. 2 SGB V bewirkte zusätzliche unzumutbare Belastungen der Eltern, insbesondere von Alleinerziehenden, aber auch von berufstätigen Elternpaaren , zu verhindern, sowie das Zusammentreffen von erhöhtem Betreuungsbedarf mit beruflichen Verpflichtungen abzuwenden oder zu erleichtern73. Der Anspruch nach § 45 Abs. 4 SGB V ist – wie bereits erwähnt74 – unter anderem daran geknüpft , dass das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist. Dass der Anspruch auf Krankengeld für schwerstkranke Kinder nach § 45 Abs. 4 SGB V – anders als noch im Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen vorgesehen75 – danach auch den Eltern zugute kommt, die ein Kind beaufsichtigen, betreuen oder pflegen, das zwar das zwölfte Lebensjahr vollendet hat, in seiner körperlichen, geistigen oder seelischen Entwicklung aber einem durchschnittlich entwickelten dieses Alters nicht gleichsteht, weil es behindert und auf Hilfe angewiesen ist, geht auf den Bundestagsausschuss für Gesundheit zurück, der in seiner Beschlussempfehlung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vorgeschlagen hatte, in § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V in der Fassung des Koalitionsentwurfes nach den Wörtern „vollendet hat“ die Wörter „oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist“ einzufügen76. Zur Begründung hat der Ausschuss für Gesundheit in seinem Bericht darauf hingewiesen, es müsse gewährleistet werden, dass das Gesetz den zusätz- 70 Vgl. den Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder, in: BT-Drs. 14/9031, S. 3 71 BGBl. I S. 2872 72 Vgl. Art. 2 des Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002 73 Vgl. die Begründung im Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder, in: BT-Drs. 14/9031 S. 3 74 Vgl. oben zu Gliederungspunkt 2.1.2 75 Vgl. BT-Drs. 14/9031, S. 2 76 Vgl. die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Gesundheit in BT-Drs. 14/9585, S. 3 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 23 lichen unzumutbaren Belastungen der betroffenen Eltern bei der Betreuung ihrer schwerstkranken Kinder in den letzten Wochen und Monaten auch über das zwölfte Lebensjahr hinaus entgegenwirke und die Betreuung sichergestellt sei, wenn das betroffene Kind behindert und auf Hilfe angewiesen sei. Mit dieser Ergänzung wurde eine Angleichung an die Voraussetzungen für den allgemeinen Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 SGB V geschaffen. Der zeitlich unbegrenzte Anspruch auf Krankengeld bei schwerster und lebensbedrohlicher Erkrankung des Kindes besteht danach auch dann, wenn das Kind zwar das zwölfte Lebensjahr vollendet hat, aber behindert und auf Hilfe angewiesen ist. Dies entspricht der Regelung in § 45 Abs. 1 SGB V für den allgemeinen Anspruch auf Kinderkrankengeld77. 2.3. Normzweck der Regelungen in § 45 Abs. 1, 2 und 4 SGB V Das Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs.1, 2 und 4 SGB V ist – wie bereits oben mehrfach angesprochen – eine familienbezogene Leistung der GKV, die der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Familie und der Stärkung des Familienverbandes dient78. Die Bestimmung ist insoweit ein wichtiges Element zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf79. Maßgebend ist daher im Regelfall nicht die Lage des einzelnen Versicherten, sondern die der Familie oder familienähnlichen Gemeinschaft, in der er lebt80. Anlass für die Einführung einer familienpolitischen Komponente in die Regelungen über den Bezug von Krankengeld nach den §§ 44 ff. SGB V war einerseits eine verstärkte Erwerbstätigkeit beider Elternteile, andererseits eine zunehmende Lockerung des Familienverbandes im Hinblick auf Großeltern und andere nicht zur unmittelbaren Kernfamilie gehörende Familienmitglieder im Sinne einer räumlichen Trennung der ursprünglichen Großfamilie81. Dieser familienbezogene Normzweck der Stärkung und Förderung des Familienverbandes wird durch die Entgeltersatzfunktion des Kinderpflege- Krankengeldes erreicht. Versicherte sollen, ohne größere finanzielle Nachteile befürchten zu müssen, für eine bestimmte Zeit die Betreuung oder Pflege ihres erkrankten Kindes übernehmen können. Deshalb wird ihnen das Arbeitsentgelt ersetzt, das ihnen wegen der Betreuung des Kindes entgeht82. Das Bundessozialgericht83 hat die Entgeltersatzleistung aus der Versicherung des 77 Vgl. BT-Drs. 14/9585, S. 4 78 Vgl. BT-Drs. 8/3143; BT-Drs. 11/760, S. 1; BT-Drs. 12/1363, S. 7; Bundesozialgericht, Urteil vom 31. Januar 1995 – 1 RK 1/94 – BSGE 76, 1 (5) = SozR 3-2500, 45 SGB V Nr. 1; Bundessozialgericht, Urteil vom 31. März 1998 – B 1 KR 9/96 R in: NZS 1999, S. 29; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 11 bis 13; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 2; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 15; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 2; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 1 79 Vgl. Waltermann, in: Kommentar zum Sozialrecht, § 45 SGB V Rn. 1; Joussen, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 45 Rn. 1 80 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 11 81 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 10; Meyerhoff, in: jurisPK – SGB V, § 45 Rn. 15; Waltermann, in: Kommentar zum Sozialrecht, § 45 SGB V Rn. 1 82 Vgl. BSGE 76, 1 (5) = SozR 3-2500 § 45 SGB V Nr. 1 S. 6; zum früheren § 185c RVO siehe Bundessozialgericht SozR 2200 § 185c RVO Nr. 3; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 2; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 15; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 2; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 1 83 Urteil vom 31. März 1998 – B 1 KR 9/96 R, in: NZS 1999, S. 29 = SozR 3-2500 § 45 SGB V Nr. 2 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 24 Elternteils noch als systemgerecht angesehen, weil das Kind nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sein und damit der gleichen Solidargemeinschaft angehören müsse, so dass das Kinderpflege-Krankengeld zugleich ein Krankheitsrisiko derselben Solidargemeinschaft mit abdecke. Eine besondere familienhafte Komponente des Kinderpflege-Krankengeldes zeigt sich in § 45 Abs. 4 SGB V, der – wie oben dargelegt84 – einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Krankengeld bei schwerstkranken Kindern begründet, die nur noch eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten haben. Zweck der Regelung des § 45 Abs. 4 SGB V ist es, in diesen Fällen schwerster und unheilbarer Erkrankung eines Kindes durch die Anspruchsbefristung des § 45 Abs. 2 SGB V bewirkte unzumutbare Belastungen der Eltern, insbesondere von Alleinerziehenden , aber auch von berufstätigen Elternpaaren, zu verhindern, sowie das Zusammentreffen von erhöhtem Betreuungsbedarf mit beruflichen Verpflichtungen abzuwenden oder zu erleichtern 85. Als familienbezogene Leistungen sind die in § 45 Abs. 1, 2 und 4 SGB V getroffenen Regelungen Bestandteil eines Normenkomplexes. Weitere Bestandteile dieses Komplexes, der spezielle Leistungen für Fälle zur Verfügung stellt, in denen sich eine Krankheit auf die Familie oder eine familienähnliche Gemeinschaft auswirkt, sind die Regelungen in § 37 SGB V zur häuslichen Krankenpflege und in § 38 SGB V zur Haushaltshilfe. Vor dem Inkrafttreten des SGB V am 1. Januar 1989 wurde dieser Normenkomplex von den §§ 185, 185b und 185 c RVO gebildet86. Das Gemeinsame der §§ 37, 38 und 45 SGB V liegt darin, dass der Leistungsanspruch von der Stellung des Versicherten im Haushalt und den Auswirkungen abhängig gemacht wird, die eine Erkrankung auf diese Stellung hat. Die vorgesehenen Sozialleistungen sollen die familienhafte Versorgung von Angehörigen eines Haushalts, die das Wesen einer solchen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft ausmacht, erleichtern, verbessern oder überhaupt erst ermöglichen87. 2.4. Voraussetzungen des zeitlich unbegrenzten Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld bei schwerstkranken Kindern nach § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SGB V und §§ 10 Abs. 4, 44 Abs. 2 SGB V Die Voraussetzungen, unter denen das Gesetz Versicherten einen in der Dauer nicht beschränkten Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld bei schwerstkranken Kindern, die nach ärztlichem Zeugnis nur noch eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenige Monaten haben, einräumt, sind in § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SGB V und den §§ 10 Abs. 4, 44 Abs. 2 SGB V 84 Vgl. oben zu den Gliederungspunkten 2.1.2 und 2.2.2 85 Vgl. den Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder, BT-Drs. 14/9031, S. 3 sowie die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drs. 14/9031), in: BT-Drs. 14/9585, S. 4; so auch Höfler in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 18a; Kruse, in: LPK-SGB V, § 45 Rn. 14; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 15 86 Vgl. zum Systemzusammenhang dieser Bestimmungen Töns, Familie und Haushalt des Kranken als Ort, Rahmen und Voraussetzung von Leistungen der Krankenhilfe, in: BKK 1986, 273 (274 f.) 87 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 25 geregelt. Hierbei ist zwischen Voraussetzungen zu unterscheiden, die in der Person des potenziell Anspruchsberechtigten gegeben sein müssen88 und solchen, die in der Person des Kindes erfüllt sein müssen89. Darüberhinaus müssen noch weitere anspruchsbegründende Tatbestandsmerkmale gegeben sein90. 2.4.1. Voraussetzungen in der Person des Anspruchsberechtigten (§ 45 Abs. 4 Satz 1 und 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 und § 44 Abs. 2 SGB V) 2.4.1.1. Versicherungsverhältnis des Anspruchsberechtigten Wie in den Fällen des § 44 Abs. 1 SGB V steht auch das Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V nur „Versicherten“ zu91. Auf die Art des Versicherungsverhältnisses (z.B. Pflichtversicherung nach § 5 SGB V oder freiwillige Versicherung nach § 9 SGB V) kommt es grundsätzlich nicht an. Der Versichertenstatus des potenziell Anspruchsberechtigten muss in dem Zeitpunkt vorliegen, in welchem der Berechtigte erstmals der Arbeit fernbleibt, da das Fernbleiben von der Arbeit an die Stelle der Arbeitsunfähigkeit tritt92. 2.4.1.2. Beschränkung des anspruchsberechtigten Personenkreises auf Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach § 44 SGB V 2.4.1.2.1. Allgemeines Die Formulierung „Versicherte haben ferner Anspruch“ in § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V könnte den Eindruck erwecken, dass allen „Versicherten“ der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld zusteht . Aufgrund der Verweisung in § 45 Abs. 4 Satz 3 SGB V auf Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift, die ihrerseits die Bestimmung des § 44 Abs. 2 SGB V für anwendbar erklärt und damit die dort aufgeführten Personen vom Anspruch auf Krankengeld im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB V ausschließt sowie nach Systemzusammenhang, Sinn und Zweck der Vorschrift kommen – entgegen dem weitgefassten Wortlaut des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V – jedoch nur solche Versicherten als anspruchsberechtigt in Betracht, die mit Anspruch auf Krankengeld nach § 44 SGB V versichert sind93. Keinen Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V haben danach 88 Vgl. hierzu nachfolgend unter Gliederungspunkt 2.4.1 89 Vgl. hierzu nachfolgend unter Gliederungspunkt 2.4.2 90 Vgl. hierzu nachfolgend unter Gliederungspunkt 2.4.3 91 Vgl. etwa Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 15, Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 7; Kruse, in: LPK-SGB V, § 45 Rn. 9 92 So zur Rechtslage vor Inkrafttreten des SGB V das Bundesozialgericht in seinem Urteil vom 22. Oktober 1980 – 3 RK 56/79 – SozR 2200 § 185c RVO Nr. 2 = BSGE 50, 259; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 3; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 3; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 2 93 So die ganz überwiegend vertretene Auffassung im Schrifttum, vgl. etwa Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 16; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 4; Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 7; Kruse, in: LPK-SGB V, § 45 SGB V Rn. 9; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht , § 45 SGB V Rn. 3; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 16; Berchtold, in: BeckOK SGB V, § 45 Rn. 3; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 3; Waltermann, in: Kommentar zum So- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 26 zunächst die gem. § 44 Abs. 2 Nr. 1 SGB V vom Bezug des Krankengeldes bei Arbeitsunfähigkeit ausgeschlossenen Versicherten, nämlich die in § 5 Abs. 1 Nr. 2a, 5, 6, 9, 10 oder 13 sowie die in § 10 SGB V genannten Personen, zu denen Arbeitnehmer regelmäßig nicht gehören. Da die dort Genannten keine Vergütung in ihrem die Versicherung begründenden Rechtsverhältnis erhalten, kann es nicht zu einem Entgeltausfall bei Arbeitsunfähigkeit kommen, so dass kein Anlass für eine Leistung mit Entgeltersatzfunktion besteht94. Gleiches gilt für die von § 44 Abs. 2 Nr. 3 bis 4 erfassten Personen. Ein Krankengeldanspruch nach § 44 Abs. 1 SGB V ist für diese Versicherten grundsätzlich nicht erforderlich, da es sich überwiegend um Personen handelt, denen bei Arbeitsunfähigkeit kein Arbeitsentgelt entgeht95. 2.4.1.2.2. Ausschluss hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger vom Anspruch auf Kinderpflege -Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V Streitig ist, ob auch hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige von der Gewährung des Kinderpflege -Krankengeldes nach § 45 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach einem Teil der Literatur kommen als anspruchsberechtigt von vornherein nur solche Versicherten in Betracht, die in einem abhängigen Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV96 stehen. Dies folge insbesondere daraus, dass der Krankengeldanspruch nach § 45 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 SGB V an ein Fernbleiben von der Arbeit geknüpft sei, das Kinderpflege-Krankengeld für Arbeitstage gezahlt werde und auch der Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeit gegen den Arbeitgeber gem. § 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 und 5 SGB V97 nur bei einem Arbeitnehmer denkbar sei. Da somit als Versicherte im Sinne des § 45 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 SGB V nur mit Anspruch auf Krankengeld versicherte Arbeitnehmer in Betracht kämen, seien hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige von vornherein von der Gewährung des Kinderpflege- Krankengeldes ausgeschlossen98. Demgegenüber wird von einem anderen Teil des Schrifttums geltend gemacht, der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld setze nicht notwendigerweise ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV voraus. Neben pflicht- und freiwillig versicherten Arbeitnehmern seien daher auch freiwillig versicherte Selbstständige mit Anspruch auf Krankengeld anspruchsberechtigt, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder zialrecht, § 45 SGB V Rn. 3; vgl. auch die Nachweise im Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. Januar 1995 – 1 RK 1/94, BSGE 76, 1 (6). Ob dieser im Schrifttum ganz überwiegend vertretenen Auffassung ohne Einschränkung zu folgen ist, hat der Erste Senat in seinem Urteil vom 31. Januar 1995 1 RK 1/94, BSGE 76, 1 (6) ausdrücklich offen gelassen. 94 Vgl. z.B. Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 44 SGB V Rn. 6 95 Vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 107; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 44 SGB V Rn. 6 96 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (Art. 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) i.d.F. der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I S. 3710, 3973), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 5. August 2010 (BGBl. I S. 1127) 97 Vgl. hierzu näher unten zu Gliederungspunkt 3. 98 So z.B. Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB V Rn. 7 und 9; Kruse, in: LPK-SGB V, § 45 SGB V Rn. 9; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 4 f.; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 16 f.; Waltermann, in: Kommentar zum Sozialrecht, § 45 SGB V Rn. 3 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 27 Pflege ihres erkrankten Kindes ihrer Erwerbstätigkeit fernblieben und hierdurch Einkommenseinbußen hätten99. Das Bundessozialgericht hat zu der vorgenannten Streitfrage in seinem Urteil vom 31. Januar 1995100 nicht Stellung genommen. Der 1. Senat hat die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob freiwillig versicherte Selbstständige von vornherein von der Gewährung des Kinderpflege- Krankengeldes ausgeschlossen sind, vielmehr ausdrücklich offen gelassen101. Auf der Grundlage der noch bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung des § 44 Abs. 2 SGB V, derzufolge die Krankenkassen befugt waren, den Anspruch auf Krankengeld im Sinne des § 44 SGB V für freiwillig Versicherte durch die Satzung der Krankenkasse auszuschließen oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen zu lassen, hat der 1. Senat lediglich festgestellt, dass die Krankenkassen darüber hinaus berechtigt seien, für freiwillige Mitglieder in ihrer Satzung auch den Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld auszuschließen oder zu beschränken. Dem stand nach damaliger Rechtslage nicht entgegen, dass § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB V in seiner bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung nicht auf § 44 Abs. 2 SGB V alter Fassung verwies, da es sich – ebenso wie bei den §§ 47 ff. SGB V – um eine allgemeine krankengeldrechtliche Norm handelte, diese somit auch ohne ausdrückliche Anordnung galt102. Aufgrund der Neufassung des § 44 Abs. 2 SGB V durch Art. 2 Nr. 6a Buchstabe b) des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26. März 2007103, der mit Wirkung vom 1. Januar 2009104 insoweit an die Stelle des früheren § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB V alter Fassung getreten ist und jetzt die Versicherten-Gruppen ohne Anspruch auf Krankengeld nach § 44 SGB V aufzählt, ohne den Krankenkassen – wie nach bisherigem Recht – die Befugnis einzuräumen , für freiwillig Versicherte das Krankengeld nach § 44 Abs. 1 SGB V durch Satzung auszuschließen oder zu beschränken, ist diese Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nunmehr jedoch überholt. Auch die durch Art. 15 Nr. 1a des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009105 mit Wirkung vom 1. August 2009106 vorgenommene „Klarstel- 99 Vgl. z.B. Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 Rn. 3; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 2; so auch die Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkasse betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02h) vom 13. August 2002 unter Ziffer 2. Abs. 5; ebenso Sozialgericht Hamburg, Urteil vom 16. Mai 1992, Breithaupt, 1992, 708 = Die Leistungen 1992, S. 291 100 BSGE 76, 1 = SozR 3-2500 § 45 SGB V Nr. 1 101 Vgl. BSGE 76, 1 (2) 102 Vgl. hierzu im Einzelnen Bundessozialgericht, Urteil vom 31. März 1998 – 1 KR 9/96R – SozR 3-2500 § 45 Nr. 2 = BSGE 76, 1 ff. mit eingehender Begründung und weiteren Nachweisen 103 BGBl. I S. 378, 438 104 Vgl. Art. 46 Abs. 10 GKV-WSG 105 BGBl. I S. 1990, 2014 106 Vgl. Art. 19 Abs. 5 des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009, BGBl. I S. 1990, 2020 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 28 lung“ in § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB V, mit der in dieser Vorschrift die Angabe „44 Abs. 1 Satz 2“ durch die Angabe „44 Abs. 2“ ersetzt wurde, gibt für die hier in Rede stehende Fragestellung nichts her. Mit der vorgenannten Änderung des § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB V sollte – wie es in der Gesetzesbegründung heißt – lediglich „ein redaktionelles Versehen“ behoben werden, da der bisherige Verweis, der sicherstellte, dass nur Versicherte mit Krankengeldberechtigung nach § 44 SGB V auch Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V hatten, nach Inkrafttreten der Änderungen des § 44 SGB V durch Art. 2 Nr. 6a des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26. März 2007 zum 1. Januar 2009 ins Leere ging107. Deutlich wird aus der Gesetzesbegründung daher nur, dass es auch weiterhin eine Parallelität der Ansprüche auf Krankengeld und Kinderpflege -Krankengeld geben soll108. Da hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige aufgrund der Neufassung des § 44 Abs. 2 Nr. 2 SGB V durch Art. 15 Nr. 1 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) des Gesetzes zur Änderung des arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009109 seit dem 1. August 2009110 gegenüber der Krankenkasse nunmehr erklären können, dass die Mitgliedschaft den Anspruch auf Krankengeld gem. § 44 SGB V umfassen soll (sog. Wahlerklärung ), wird diese Personengruppe von dem mit der Angabe „§ 44 Abs. 2“ in § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB V bezweckten Ausschluss vom Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V nicht erfasst. Obwohl danach die Verweisung in § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB V auf § 44 Abs. 2 Nr. 2 SGB V den Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nicht ausschließt, gilt aber weiterhin die Bedingung, dass Versicherte wegen der Erkrankung ihres Kindes „der Arbeit fernbleiben“ müssen , das Kinderpflege-Krankengeld für Arbeitstage gezahlt wird und auch der Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber gem. § 45 Abs. 3 und 5 SGB V nur bei einem Arbeitnehmer denkbar ist. Die überzeugenderen Argumente dürften daher dafür sprechen, mit der wohl herrschenden Meinung111 nur mit einem Anspruch auf Krankengeld nach § 44 Abs. 1 SGB V versicherte Arbeitnehmer als potenziell Anspruchsberechtigte im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 SGB V anzusehen, so dass hauptberuflich selbstständige Erwerbstätige vom Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld ausgeschlossen sind. 2.4.1.2.3. Bezieher von Leistungen nach dem SGB III als potenziell Anspruchsberechtigte i.S.d. § 45 Abs. 4 SGB V Streitig ist darüber hinaus, ob Leistungsempfänger nach dem SGB III112 zu dem potenziell anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 45 SGB V gehören. Bezieher von Arbeitslosengeld haben gem. § 126 Abs. 2 Satz 1 SGB III einen Anspruch auf Leistungsfortzahlung für den Fall einer 107 Vgl. die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zum dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – BT-Drs. 16/12256, 16/12677 –, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, in BT-Drs. 16/13428 S. 90 zu Art. 2 Nr. 1a – neu – (§ 45 – Kinderpflege -Krankengeld) 108 Vgl. BT-Drs. 16/13428 S. 90 109 BGBl. I S. 1990, 2014 110 Vgl. Art. 19 Abs. 5 des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009, BGBl. I S. 1990, 2020 111 Vgl. hierzu oben die Nachweise in Fußnote 98 112 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (Art. 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 3. August 2010 (BGBl. I S. 1112) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 29 nach ärztlichem Zeugnis erforderlichen Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes. Die Voraussetzungen hierfür sind identisch mit denen für das Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes nach § 45 Abs. 1 SGB V. Arbeitslosen steht daher bis zur Dauer von 10, bei alleinerziehenden Arbeitslosen bis zur Dauer von 20 Tagen für jedes Kind in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitslosengeldes zu (§ 126 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Gem. § 126 Abs. 2 Satz 2 SGB III wird Arbeitslosengeld jedoch für nicht mehr als 25, für alleinerziehende Arbeitslose für nicht mehr als 50 Tage in jedem Kalenderjahr fortgezahlt. Die Vorschriften des Fünften Buches, die bei Zahlung von Krankengeld im Falle der Erkrankung eines Kindes anzuwenden sind, gelten gem. § 126 Abs. 3 SGB III entsprechend. Eine dem § 45 Abs. 4 SGB V entsprechende Regelung wurde in das SGB III zwar nicht aufgenommen . Nach Auffassung der Spitzenverbände der Krankenkassen113 ist allerdings nicht erkennbar , dass der Gesetzgeber die soziale Sicherung der betroffenen Arbeitslosen einem anderen Sozialleistungsträger übertragen wollte. Im Übrigen verweise § 126 Abs. 3 SGB III für den Anspruch auf Leistungsfortzahlung während der Erkrankung eines Kindes ausdrücklich auf die Vorschriften des SGB V. Daher sei den Leistungsempfängern nach dem SGB III während der Beaufsichtigung , Betreuung und der Pflege ihrer schwerstkranken Kinder ein unbefristeter Anspruch auf Leistungsfortzahlung nach § 126 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 4 SGB V einzuräumen. Für diese Zeit ruhe der Anspruch auf Krankengeld bei Erkrankung des Kindes nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 bzw. 3a SGB V. Auch in der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass für Bezieher von Leistungen nach dem SGB III zwar ein Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld grundsätzlich gegeben sein könne, sich dieser faktisch aber nicht realisiere, da in der Regel vorrangig die Ruhensvorschrift nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 bzw. 3a SGB V gelte114. Soweit § 45 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 4 Satz 1 SGB V vorsehe, dass das Mitglied „der Arbeit fernbleibe“, liege hierin allenfalls scheinbar eine Begrenzung auf aktuell Erwerbstätige. Da das Arbeitslosengeld gem. § 126 Abs. 2 SGB III bei Erkrankung eines Kindes fortgezahlt werde und der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld in allen Fällen des Arbeitslosengeldbezuges gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 SGB V ruhe, müsse unter „Arbeit“ im hier maßgeblichen Sinne auch die zur Versicherung führende Erwerbsersatztätigkeit und die Beschäftigungssuche während des Bezuges von Arbeitslosengeld verstanden werden. Wenn nämlich schon grundsätzlich kein Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld bestehe, sei die Ruhensvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 3 bzw. 3a SGB V überflüssig115. Demgegenüber haben Leistungsempfänger nach dem SGB III nach der wohl herrschenden Meinung schon grundsätzlich keinen Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V116. Da sich ein etwaiger An- 113 Vgl. die Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02 h) zu Ziffer 2. Abs. 3 114 Vgl. etwa Joussen, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 45 Rn. 2 115 Vgl. Berchtold, in: BeckOK SGB V, § 45 Rn. 4 116 Vgl. etwa Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 10; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 4; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 17; so im Ergebnis auch Vay, in: Wagner /Knittel, § 45 SGB V Rn. 4, der die Auffassung vertritt, Empfänger von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe hätten deshalb keinen Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V, weil ihnen die Beaufsichtigung , Betreuung und Pflege eines erkrankten Kindes während des Bezuges einer dieser Leistungen sowohl möglich als auch zumutbar sei. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 30 spruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V wegen der Ruhensvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 3 SGB V aber jedenfalls de facto nicht realisiert, kann die vorgenannten Streitfrage letztlich dahinstehen. 2.4.1.3. Beschränkung des Anspruchs auf ein Elternteil (§ 45 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB V i.V.m. §§ 45 Abs. 1 Satz 2, 10 Abs. 4 SGB V) Nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB V besteht der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld bei Beaufsichtigung , Betreuung oder Pflege schwerstkranker Kinder nur für ein Elternteil, auch wenn beide Eltern die Anspruchsvoraussetzungen nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V erfüllen. Dies schließt allerdings nur die zeitgleiche Inanspruchnahme dieser Leistung, nicht aber einen Wechsel der Betreuungsperson während der Erkrankung aus117. Nach Auffassung der Spitzenverbände der Krankenkassen118 ist der Betreuungswechsel für den Anspruch auf Krankengeld bei Beaufsichtigung , Betreuung oder Pflege eines schwerstkranken Kindes unschädlich, wenn beide Elternteile gesetzlich krankenversichert sind und bei Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Krankengeld im Sinne des § 44 SGB V haben. Elternteile im Sinne des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB V sind die leiblichen Eltern des Kindes119. Durch die Verweisung in § 45 Abs. 4 Satz 3 SGB V auf die Geltung des Absatzes 1 Satz 2 wird sichergestellt, dass auch der Personenkreis nach § 10 Abs. 4 SGB V, z.B. Stiefeltern oder Großeltern, die das Kinder überwiegend unterhalten sowie Pflegeeltern im Sinne des § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I120 anstelle der Eltern anspruchsberechtigt sein kann121. 2.4.2. Anspruchsvoraussetzungen in der Person des Kindes 2.4.2.1. Gesetzlich krankenversichertes Kind des Versicherten Im Gegensatz zum früheren § 185c Abs. 1 Satz 1 RVO122 muss nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V – ebenso wie nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V – nicht nur der Anspruchsberechtigte, sondern auch das erkrankte Kind selbst gegen Krankheit gesetzlich versichert sein, sei es aufgrund einer eigenen Versicherung (z.B. durch den Antrag oder den Bezug einer Waisenrente oder aufgrund einer freiwilligen Versicherung gemäß § 9 SGB V), sei es – was regelmäßig der Fall sein wird – im Rahmen der Familienversicherung nach § 10 SGB V; die Zugehörigkeit zu einer privaten Versi- 117 Vgl. Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 14 und die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 14/9031 S. 3 118 Vgl. die Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02 h) zu Ziffer 8 Abs. 1 119 Vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 14/9031 S. 3 sowie Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 14 120 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (Art. 1 des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015), zuletzt geändert durch Art. 7 Abs. 5 des Gesetzes vom 7. Juli 2009 (BGBl. I S. 1707) 121 Vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 14/9031 S. 3; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 18h; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 14 122 Zur Einführung eines – zeitlich begrenzten – Anspruchs gesetzlich Krankenversicherter auf Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes gemäß § 185c Abs. 1 und 2 RVO durch das Leistungsverbesserungsgesetz vom 19. Dezember 1973 mit Wirkung vom 1. Januar 1974 vgl. oben eingehend zu Gliederungspunkt 2.2.1.1 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 31 cherung genügt dagegen nicht123. Der Ausschluss bei Kindern, die in der gesetzlichen Krankenversicherung weder selbst noch familienversichert sind, wird allgemein als verfassungsgemäß angesehen124. Die ursprünglich im Entwurf eines Gesundheits-Reformgesetzes noch vorgesehene Beschränkung des Kinderpflege-Krankengeldes nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V auf Fälle, in denen das erkrankte Kind im Rahmen der Familienversicherung „nach § 10“ SGB V versichert ist125, wurde – wie oben näher ausgeführt126 – in den Ausschussberatungen zum Gesundheits- Reformgesetz auf Anraten des Bundesrates aufgegeben, um einen Anspruch auch dann zu gewährleisten , wenn das Kind selbst Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Dass nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht nur der Anspruchsberechtigte, sondern auch das Kind selbst gegen Krankheit gesetzlich versichert sein muss, folgt aus dem Versicherungsprinzip, denn nur die Zugehörigkeit des Kindes zur Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt die Einstandspflicht der gesetzlichen Krankenkasse des betreuenden Elternteils127. Durch das Erfordernis der Versicherung sowohl der Betreuungsperson als auch des erkrankten Kindes entstehen allerdings Sicherungslücken, wenn entweder das Kind oder eine grundsätzlich in Betracht kommende Betreuungsperson nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist. Die Legitimation dieser gegenüber anderen Leistungen der GKV erhöhten Voraussetzung wird in der Literatur zum Teil als fragwürdig angesehen128. De lege ferenda sei es – trotz Bedenken hinsichtlich des Versicherungsprinzips, insbesondere aufgrund der einkommensabhängigen Höhe des Krankengeldes – unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der Heilbehandlung wünschenswert , das Kinderpflege-Krankengeld als Teil der Heilbehandlung des Kindes aufzufassen und allein an dessen Versicherung anzuknüpfen129. Der Begriff des Kindes im Sinne des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V wird – anders als noch in § 205 Abs. 2 RVO alter Fassung – im SGB V nicht mehr abschließend definiert. Maßgebend sind daher zunächst die Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Danach gehören zu den Kindern im Sinne des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V die ehelichen Kinder (einschließlich der scheinehelichen Kinder, deren Nichtehelichkeit noch nicht rechtskräftig festgestellt ist), die für ehelich erklärten und die nicht- 123 Vgl. die grundlegende Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 31. März 1998 – B 1 KR 9/96R – SozR 3- 2500 § 45 SGB V Nr. 2; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 4; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 19 124 Vgl. die grundlegende Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 31. März 1998 – B 1 KR 9/96R – SozR 3- 2500 § 45 SGB V Nr. 2 = NZS 1999, S. 29; zustimmend die ganz herrschende Lehre, vgl. z.B. Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 3; Waltermann, in: Kommentar zum Sozialrecht, § 45 SGB V Rn. 3; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 19; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 4; Joussen, in: Becker /Kingreen, § 45 SGB V Rn. 3 125 Vgl. den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG), in: BT-Drs. 11/2237, S. 181 zu § 44 126 Vgl. hierzu oben zu Gliederungspunkt 2.2.1.2 127 Vgl. hierzu eingehend die vorgenannte Entscheidung des Bundesozialgerichts vom 31. März 1998 – B 1 KR 9/96 R – NZS 1999 S. 29f. 128 Vgl. etwa Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 6 129 Vgl. Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 6; so im Ergebnis auch Berchtold , in: BeckOK SGB V, § 45 Rn. 12f.; vgl. zu ähnlichen Ansätzen bereits Ortwein/Gruber, Pflegekrankengeld von unbegrenzter Dauer?, in: Die Sozialgerichtsbarkeit, 1994, S. 271 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 32 ehelichen Kinder sowie die angenommenen Kinder130. Der Kindesbegriff ist jedoch nicht auf leibliche Kinder beschränkt. Durch die ausdrückliche Verweisung in § 45 Abs. 4 Satz 3 SGB V auf § 45 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 10 Abs. 4 SGB V wird klargestellt, dass zu den Kindern im Sinne dieser Vorschrift auch Stiefkinder und Enkel gehören, die der Anspruchsberechtigte überwiegend unterhält , sowie Pflegekinder, die mit dem Anspruchsberechtigten durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Kinder mit Eltern verbunden sind (§§ 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V, 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I). Nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB V werden vom Anwendungsbereich des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V darüber hinaus auch Kinder erfasst, die mit dem Ziel der Annahme als Kind in die Obhut des Annehmenden aufgenommen sind und für die die zur Annahme erforderliche Einwilligung der Eltern erteilt ist. Diese Kinder gelten als Kinder des Annehmenden und nicht mehr als Kinder der leiblichen Eltern (§ 10 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V). Stiefkinder im Sinne des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB V sind gem. § 10 Abs. 4 Satz 3 SGB V auch die Kinder des Lebenspartners des Versicherten. 2.4.2.2. Nichtvollendung des zwölften Lebensjahres oder Behinderung des Kindes mit Hilfsbedürftigkeit Ein Kind im vorgenannten Sinne wird nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V berücksichtigt, wenn es entweder das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist. 2.4.2.2.1. Nichtvollendung des zwölften Lebensjahres des Kindes Die Altersgrenze von zwölf Jahren gilt für den zeitlich begrenzten Anspruch auf Kinderpflege- Krankengeld nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB V seit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20. Dezember 1991131 am 1. Januar 1992132. Auch der mit Wirkung vom 1. August 2002 durch Art. 1 des Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder v. 26. Juli 2002133 angefügte Abs. 4 Satz 1 des § 45 SGB V geht von dieser Altersgrenze von zwölf Jahren aus. Ihre Bedeutung ist jedoch in den Fällen dieser Vorschrift geringer, da schwerstkranke Kinder mit einer nur noch begrenzten Lebenserwartung häufig auch behindert und auf Hilfe angewiesen sein werden134. Das zwölfte Lebensjahr wird am Tage vor dem zwölften Geburtstag vollendet. Das hat das Bundesozialgericht in einer Entscheidung zum Rentenbeginn wegen des Fehlens einer sozialrechtlichen Sonderregelung aus dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 187 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 188 Abs. 2 130 Vgl. hierzu im Einzelnen Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 10 SGB V Rn. 34 bis 61 131 BGBl. I S. 2325 132 Zur Heraufsetzung der Altersgrenze des Kindes in § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V vom achten Lebensjahr auf das zwölfte Lebensjahr durch Art. 1 Nr. 13 Buchstabe a) des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20. Dezember 1991 mit Wirkung vom 1. Januar 1992 vgl. oben zu Gliederungspunkt 2.2.1.3 133 BGBl. I S. 2872 134 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 21 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 33 BGB135 hergeleitet136. Da auch das materielle Recht der gesetzlichen Krankenversicherung keine Spezialvorschriften für die Fristenberechnung enthält und § 26 Abs. 1 SGB X137 für das Verwaltungsverfahren generell auf die §§ 187 bis 193 BGB verweist, ist der Rechtsgedanke, dass bei Fristen , die nicht vom Zeitpunkt eines Ereignisses im Tagesverlauf ausgehen (§ 187 Abs. 1 BGB), der die Frist in Lauf setzende Tag mit einzuberechnen ist, hier gleichfalls maßgebend. Für Kinder die am 1. eines Monats geboren sind, fällt die Vollendung des Lebensjahres auf den letzten Tag des Monats, der dem wiederkehrenden Geburtsmonat vorausgeht138. Fraglich ist, was gilt, wenn das Kind das zwölfte Lebensjahr bei laufendem Bezug von Kinderpflege -Krankengeld vollendet. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird zum Teil die Auffassung vertreten, in derartigen Fällen ende der Anspruch mit dem Tag der Vollendung des zwölften Lebensjahres, es sei denn, das Kind sei im Sinne der zweiten Alternative des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V behindert und auf Hilfe angewiesen. Im Gegensatz zum Anspruch auf Haushaltshilfe (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 2 SGB V) genüge es hier nicht, wenn das Kind bei Beginn des Anspruchszeitraums das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet habe139. Demgegenüber vertreten die Spitzenverbände der Krankenkassen zu Recht die Auffassung, in Anbetracht der besonderen psychischen Belastung, der die betreuenden Eltern des sterbenden Kindes ausgesetzt seien, sei ihnen nicht zumut- und vermittelbar, dass der Leistungsanspruch analog dem Leistungsanspruch nach § 45 Abs. 1 SGB V mit Vollendung des zwölften Lebensjahres ende, falls keine Behinderung vorliege . Daher sei das Krankengeld auch über den Zeitpunkt der Vollendung des zwölften Lebensjahres hinaus bis zum Tod des Kindes zu leisten. Allerdings dürfe das Kind bei Beginn der Leistung das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben140. 2.4.2.2.2. Behinderung des Kindes mit Hilfsbedürftigkeit Seit der Ergänzung des § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V durch Art. 5 Nr. 15 des Sozialgesetzbuchs – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 können behinderte und auf Hilfe angewiesene Kinder auch dann einen Anspruch auf Kinderpflege -Krankengeld begründen, wenn sie das zwölfte Lebensjahr vollendet oder überschritten ha- 135 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I. S. 738), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. 977) 136 Vgl. SozR Nr. 55 zu § 1248 RVO = USK 70, 120 = SozVers 1971, 9 137 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (Art. 1 des Gesetzes vom 18. August 1980, BGBl. I S. 1469 und Art. 1 des Gesetzes vom 14. November 1982, BGBl. I S. 1450) i.d.F. der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 (BGBl. I S. 130), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 5. August 2010 (BGBl. S. 1127) 138 Siehe auch insoweit die Entscheidung des Bundessozialgerichts in SozR Nr. 55 zu § 1248 RVO; so auch Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 21a; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 6; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 5 139 Vgl. Meyerhoff, in: jurisPK – SGB V § 45 Rn. 20; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 6; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGV Rn. 5 140 Vgl. Ziffer 11 Abs. 2 der Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02h) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 34 ben141. Das gleiche gilt für schwerstkranke Kinder im Sinne des zum 1. August 2002 in Kraft getretenen Abs. 4 des § 45 SGB V. Mit den vorgenannten Regelungen wird erreicht, dass der Leistungsanspruch auch denjenigen Eltern zugute kommt, die ein Kind betreuen, das das zwölfte Lebensjahr vollendet hat und das in seiner körperlichen, geistigen oder seelischen Entwicklung einem durchschnittlich entwickelten Kind dieses Alters nicht gleichsteht, weil es behindert und auf Hilfe angewiesen ist142. Wann eine Behinderung vorliegt, ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX143. Nach dieser Bestimmung gilt ein Kind als behindert, das in seiner körperlichen Funktion, geistigen Fähigkeit oder seelischen Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und dessen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft daher beeinträchtigt ist. Die Abweichungen und Beeinträchtigungen gegenüber einem durchschnittlich entwickeltem Kind gleichen Alters müssen zwar hinreichend augenfällig und feststellbar sein; auf eine medizinische Relevanz oder gar einen Krankheitswert kommt es hingegen nicht an144. Eine schwere Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX oder auch nur ein bestimmter Grad der Behinderung wird nicht verlangt145. Das Vorliegen der Behinderung muss auch nicht durch eine entsprechende Feststellung des Versorgungsamtes gem. § 69 SGB IX nachgewiesen werden146. „Auf Hilfe angewiesen“ ist das behinderte Kind, wenn es objektiv dauerhafte und regelmäßige über das alterstypische Maß hinausgehende Hilfe bei einzelnen Verrichtungen des täglichen Lebens benötigt147. Insbesondere braucht keine Hilflosigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 2 und 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG)148 oder des § 33b Abs. 6 Einkommensteuergesetz (EStG)149 vorzuliegen , wie sie gem. § 69 Abs. 4 SGB IX als besonderes Merkmal vom Versorgungsamt festzustel- 141 Zur Erweiterung des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld auf über zwölfjährige behinderte und auf Hilfe angewiesene Kinder in § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V durch Art. 5 Nr. 15 des Sozialgesetzbuchs – Neuntes Buch (SGB IX) vom 19. Juni 2001, vgl. bereits oben zu Gliederungspunkt 2.2.1.4 142 So die Gesetzesbegründung im Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Sozialgesetzbuchs – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, in BT- Drs. 14/5074, S. 18 zu Art. 5 Nr. 15 (§ 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V) 143 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (Art. 1 des Gesetzes vom 19. Juni 2001, BGBl. S. 1046), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 5. August 2010 (BGBl. I S. 1127) 144 Vgl. etwa Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 21; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 22 145 Vgl. etwa Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 7; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 22; Meyerhoff, in: jurisPK – SGB V § 45 Rn. 21 146 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 22 147 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 22a; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 21 148 Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz – BVG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl. S. 21), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2495) 149 Einkommensteuergesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 8. Oktober 2009 (BGBl. I S. 3366, 3862), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 8. April 2010 (BGBl. I S. 386) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 35 len und nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Schwerbehindertenausweis zu vermerken ist150. Die Hilfeleistungen dürfen nicht mit denen identisch sein, die infolge der Erkrankung des Kindes nötig sind. Bei Letzteren handelt es sich um einen zusätzlichen Bedarf, der selbst in den Fällen des § 45 Abs. 4 SGB V nur vorübergehend auftritt. Da es auf den objektiven Hilfebedarf ankommt, reicht die Annahme der Beteiligten, dass das Kind bestimmte Aufgaben nicht selbstständig erfüllen könne, ebenso wenig aus wie das Bestreben, es bei Aktivitäten zu unterstützen, zu denen Gleichaltrige regelmäßig ohne die Hilfestellung Erwachsener nicht in der Lage sind151. Vorgaben dazu, auf welchen Gebieten des täglichen Lebens die Hilfeleistungen erforderlich sein müssen, macht das Gesetz nicht. Sie müssen dementsprechend nicht unbedingt in den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität oder der hauswirtschaftlichen Versorgung liegen, auf die § 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 SGB XI152 die Hilfen bei Pflegebedürftigkeit begrenzt. Eine eigenständige Altersgrenze für behinderte Kinder mit besonderem Hilfebedarf wird in § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht aufgestellt. Die Regelungen entsprechen insoweit denen des § 38 Abs.1 Satz 2 SGB V und des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB IX. Im Rahmen des Anspruchs auf Haushaltshilfe nach § 38 SGB V ist streitig, ob auf ein Höchstalter von 18 Jahren abgestellt oder auf die Stufenfolge des § 10 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB V zurückgegriffen werden kann. Nach dieser Stufenfolge des § 10 Abs. 2 SGB V sind Kinder versichert 1. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (Satz 1 Nr. 1), 2. bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres, wenn sie nicht erwerbstätig sind (Nr. 2), 3. bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, wenn sie sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden oder ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des JFDG153 leisten (Satz 1 Nr. 3 Halbsatz 1) und 4. ohne Altersgrenze, wenn sie als behinderte Menschen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, sofern die Behinderung zu einem Zeitpunkt vorlag, in dem das Kind nach Nr. 1, 2 oder 3 versichert war (Satz 1 Nr. 4 i.V.m. Satz 2 des § 10 Abs. 2 SGB V). Ein Teil der Literatur154 will im Rahmen des § 38 SGB V Kinder nur bis zur Erlangung der Volljährigkeit (§ 2 BGB) berücksichtigen . Das Gemeinsame Rundschreiben zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des Gesundheits- Reformgesetzes (GRG) vom 9. Dezember 1988 zu § 38 SGB V verlangt in Ziffer 2.3.2 Abs. 3 lediglich , dass die Behinderung bis zur Vollendung des 18. und bei Schul- oder Berufsausbildung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist. Die Spitzenverbände der Krankenkassen billigen damit im Rahmen des § 38 SGB V eine Kind-Eigenschaft (bei Schul- oder Berufsausbildung ) zumindest bis zum vollendeten 25. Lebensjahr, offenbar sogar darüber hinaus, da sie nur darauf abstellen, dass die Behinderung (spätestens) bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist. Einen altersmäßigen Endpunkt setzen die Spitzenverbände der Krankenkassen nicht. 150 Vgl. z.B. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 22a; vgl. zur Hilflosigkeit BSGE 72, 261 (263) = SozR 3-2500 § 53 SGB IX Nr. 2 151 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 22a 152 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (Art. 1 des Gesetzes vom 26 Mai 1994, BGBl. I S. 1014), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2495) 153 Gesetz zu Förderung von Jugendfreiwilligendiensten (Jugendfreiwilligendienstgesetz – JFDG) vom 16. Mai 2008 (BGBl. I S. 842) 154 Vgl. die Nachweise bei Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 38 SGB V Rn. 16 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 36 Demgegenüber tritt ein anderer Teil des Schrifttums155 dafür ein, auf ein Höchstalter zu verzichten , da Wortlaut und Normzweck des § 38 SGB V eine andere Intention hätten, so dass eine analoge Anwendung der Altersgrenzen des § 10 Abs. 2 Nr. 2-4 SGB V nicht in Betracht komme. Für den Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld bei Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege schwerstkranker Kinder nach § 45 Abs. 4 SGB V vertreten die Spitzenverbände der Krankenkassen in ihrem Rundschreiben vom 13. August 2002 den Standpunkt, dass die Behinderung des Kindes bis zu den Altersgrenzen des § 10 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGB V eingetreten sein müsse156. Diese Auslegung des § 45 Abs. 4 SGB V wird auch im Schrifttum zum Teil als sachgerecht angesehen 157, obwohl mit den Verweisungen in § 45 Abs. 4 Satz 3 und Abs. 1 Satz 2 SGB V auf die Bestimmung des § 10 Abs. 4 SGB V nur der Begriff der Kinder im Sinne des § 45 SGB V und folglich nicht auch auf die Regelungen in § 10 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB V Bezug genommen wird. Wenn behinderte Kinder nach § 10 Abs. 2 Nr. 4 SGB V aber auch dann noch ohne Altersgrenze berücksichtigt werden dürfen, wenn sie außer Stande sind, sich im Sinne dieser Vorschrift selbst zu unterhalten, kann es auch nicht darauf ankommen, ob die Behinderung schon zu einem Zeitpunkt vorlag, in dem das Kind nach Nummer 1, 2 oder 3 des § 10 Abs. 2 SGB V versichert war. Überzeugender dürfte es deshalb sein, mit einem Teil der Literatur158 hinsichtlich des Zeitpunktes für den Eintritt der Behinderung auf ein Höchstalter zu verzichten. 2.4.2.3. Schwersterkrankung des Kindes mit begrenzter Lebenserwartung Während es im Versicherungsfall nach § 44 SGB V auf die Erkrankung des Versicherten ankommt , stellt § 45 SGB V auf den Eintritt einer Erkrankung beim Kind ab. Diese löst bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen den Barleistungsanspruch des der Arbeit fernbleibenden Versicherten aus. Die Leistungsvoraussetzung der Arbeitsunfähigkeit nach § 44 SGB V wird hier durch die pflegebedingte Freistellung von der Arbeit ersetzt159. Maßgebend ist der Krankheitsbegriff der gesetzlichen Krankenversicherung160, und zwar in der Ausformung, die den Sachleistungen der Krankenbehandlung (§§ 27 bis 40 SGB V) zugrunde liegt. Der regelwidrige Körper-, Geistes- oder Seelenzustand des Kindes muss also eine Heilbehandlung erforderlich machen161. Normwidrigkeiten im körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand, die Arbeitsun- 155 Vgl. Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 38 SGB V Rn. 25; Mengert, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 38 SGB V Rn. 42 156 Vgl. die Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02h) zu Ziffer 5 Abs. 2 157 Vgl. z.B. Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 7; Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 14 158 Vgl. z.B. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 22b 159 Vgl. Bundesozialgericht, SozR 2200 § 185c Nr. 3 160 Siehe zu diesem eingehend Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 27 SGB V Rn. 47 ff. 161 Zur Erforderlichkeit der Heilbehandlung und der dieser gleichzusetzenden Behandlungsbedürftigkeit vgl eingehend Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 27 SGB V Rn. 177 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 37 fähigkeit zur Folge haben, scheiden als Krankheit hier schon deshalb aus, weil Kinder bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres regelmäßig keine Erwerbstätigkeit ausüben162. Der zeitlich unbegrenzte Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V ist zusätzlich zur Erkrankung des Kindes im vorgenannten Sinne an die Voraussetzung geknüpft, dass das Kind an einer Erkrankung leidet, die progredient – d.h. fortschreitend und sich unaufhaltsam verschlimmernd – verläuft und bereits ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht hat (Satz 1 Buchstabe a), bei der eine Heilung ausgeschlossen und eine palliativmedizinische – also schmerz- und beschwerdelindernde – Behandlung notwendig oder von einem Elternteil erwünscht ist (Satz 1 Buchstabe b) und die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten erwarten lässt. Diese Anforderungen an die Erkrankung des Kindes, die kumulativ erfüllt sein müssen163, entsprechen weitgehend den Voraussetzungen für die Aufnahme in ein stationäres Hospiz nach § 2 der „Rahmenvereinbarung nach § 39a Abs. 1 Satz 4 SGB V über Art und Umfang sowie Sicherung der Qualität der stationären Hospizversorgung“ vom 13. März 1998, i.d.F. vom 14. April 2010164 und den Voraussetzungen für die Förderung ambulanter Hospizdienste nach der Präambel der „Rahmenvereinbarung nach § 39a Abs. 2 Satz 7 SGB V zu den Voraussetzungen der Förderung sowie zu Inhalt, Qualität und Umfang der ambulanten Hospizarbeit“ vom 3. September 2002, i.d.F. vom 14. April 2010165. Danach reichen selbst schwerste und unheilbare Erkrankungen des Kindes allein nicht aus, vielmehr muss nach der ärztlichen Prognose die Krankheit in naher Zukunft zum Tode des Kindes führen. Der Gesetzgeber hat die Dauer der Lebenserwartung des Kindes – offenbar ganz bewusst166 – nicht exakt bestimmt , sondern lediglich einen Zeitrahmen „von Wochen oder wenigen Monaten“ (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 1 Buchstabe c SGB V) festgelegt. Die Spitzenverbände der Krankenkassen empfehlen, eine Lebenserwartung von bis zu sechs Monaten zu akzeptieren167. Demgegenüber wird in der Literatur168 die Auffassung vertreten, dass bei etwa sechs Monaten nicht mehr von „wenigen“ 162 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 24; Meyerhoff, in: jurisPK – SGB V, § 45 Rn. 23 163 Vgl. etwa Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 21; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 18, Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 12 164 Abrufbar im Internet unter http://www.gkvspitzenverband .de/upload/Vereinbarung_%C2%A739a_Abs.1_Satz4_14042010_13593.pdf; zu § 2 dieser Rahmenvereinbarung vgl. eingehend Stationäre und ambulante Hospizleistungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung – Rechtshistorische Entwicklung und aktueller Stand (Deutscher Bundestag, WD 9 – 3000-074/10) zu den Gliederungspunkten 2.5.2 und 2.5.3 165 Abrufbar im Internet unter http://www.gkvspitzenverband .de/upload/Vereinbarung_%C2%A739a_Abs.2_Satz7_14042010_13592.pdf; zur Präambel dieser Rahmenvereinbarung vgl. eingehend die vorgenannte Ausarbeitung: Stationäre und ambulante Hospizleistungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung – Rechtshistorische Entwicklung und aktueller Stand, WD 9 – 3000-074/10 zu den Gliederungspunkten 3.1 und 3.5.1.2 166 Vgl. Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 22; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 18 f. 167 Vgl. die Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02h) zu Ziffer 4 Abs. 3 168 Vgl. Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 18 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 38 Monaten gesprochen werden könne. Die nach § 45 Abs. 4 Satz 1 Buchstabe b) SGB V aufgrund der Auswirkungen der Erkrankung notwendigen oder mindestens von einem Elternteil erwünschten palliativmedizinischen Behandlungsmaßnahmen können im Haushalt oder in der Familie von palliativmedizinisch erfahrenen ambulanten Pflegediensten und niedergelassenen Ärzten, unter Umständen im Zusammenwirken mit ambulanten Hospizdiensten erbracht werden 169. Nach der Gesetzesbegründung170 werden von Abs. 4 aber z.B. auch die Fälle einer palliativmedizinischen Behandlung in einem Krankenhaus erfasst. 2.4.2.4. Notwendigkeit der Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege des erkrankten Kindes durch den Versicherten 2.4.2.4.1. Allgemeines § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V setzt ferner voraus, dass das Kind infolge seiner Erkrankung der Beaufsichtigung , Betreuung oder Pflege durch den Versicherten bedarf. Hierbei ist ein objektiver Maßstab anzulegen; Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege müssen den Umständen nach geboten sein. Der Wunsch eines Elternteils, sich des Kindes wegen seiner Erkrankung ganztägig annehmen zu können, genügt mithin nicht171. Für das Bestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung des Kindes und dem Beaufsichtigungs-, Betreuungs- oder Pflegebedarf ist auf die vor allem im Entschädigungs- und Unfallversicherungsrecht maßgebliche Lehre von der rechtlich wesentlichen Bedingung abzustellen172, derzufolge bei mehreren Ursachen Ursache im Rechtssinne diejenige ist, die wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat173. Danach ist eine krankheitsbedingte Mitverursachung des Beaufsichtigungs-, Betreuungs- oder Pflegebedarfs schon deshalb als ausreichend anzusehen , weil gerade bei Kindern auch ohne Erkrankung eine natürliche Notwendigkeit der Betreuung besteht174. Mit der in § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V verwendeten Begriffstrias „Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege“ wird ein Aufgabengefüge bezeichnet, das zum Kernbereich der elterlichen Personensorge gehört. § 1631 Abs. 1 BGB, der den wesentlichen Inhalt der Personensorge umreißt, führt seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge (SorgeRG) vom 18. Juli 1979175 am 1. Januar 1980 neben der schon zuvor erwähnten Beaufsichtigung auch die 169 Vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 14/9031 S. 3 sowie Meyerhoff, in: jurisPK – SGB V § 45 Rn. 39; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 26; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 18 170 Vgl. BT-Drs. 14/9031, S. 3 171 Vgl. etwa Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 36 172 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 37; Kemper, in: jurisPK- Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 11; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V Rn. 24 173 Vgl. nur Bundesozialgericht, Urteil vom 28. Juni 1991 – 11 Rar 81/90-SozR 3-4100 § 119 Nr. 6 S. 24 174 Vgl. Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 24; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 9; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 8; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 3 175 BGBl. I S. 1160 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 39 Pflege des Kindes ausdrücklich auf, die nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz176 ebenso wie die Erziehung das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht darstellt. Die Neufassung des § 1631 BGB durch Art. 1 Nr. 14 des Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts (Kindschaftsrechtsreformgesetz – KindRG) vom 16. Dezember 1997177 mit Wirkung vom 1. Juli 1998178 hat daran nichts geändert. Eine scharfe Trennung der drei Aufgabenbereiche ist nicht möglich und für die Anwendung der hier erörterten Vorschrift auch nicht erforderlich. Pflege und Betreuung gehen ineinander über; beide können Aufsichtsmaßnahmen einschließen179. 2.4.2.4.2. Begriff der Beaufsichtigung i.S.d. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V Unter „Beaufsichtigung“ im Sinne des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V ist in erster Linie der Schutz vor dem Kind selbst drohenden Gefahren durch Kontrolle seines Verhaltens und erforderlichenfalls durch ein Eingreifen in Form von Ablenkung oder Verbot zu verstehen180. Art und Schwere der Erkrankung müssen das Beaufsichtigen erfordern. Es muss mithin eine zusätzliche, über die altersbedingte Aufsichtsbedürftigkeit Minderjähriger (vgl. §§ 828, 832 BGB) hinausgehende Notwendigkeit bestehen, das Kind zu beaufsichtigen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn davon auszugehen ist, dass das Kind die krankheitsbedingt notwendigen Verhaltensmaßnahmen (z.B. Bettruhe) von sich aus nicht verstehen kann und auch nicht einhalten wird181. Die dem Kind drohenden Gefahren müssen sich allerdings nicht unmittelbar aus der Erkrankung ergeben. Sie können auch unmittelbare Krankheitsfolge sein (z.B. Schutz gegen die Gefährdung im Straßenverkehr bei körperlicher Schwäche oder krankheitsbedingter Unaufmerksamkeit)182. Die Beaufsichtigung zum Schutz Dritter, die einen wesentlichen Teil der elterlichen Personensorge ausmacht (vgl. § 832 Abs. 1 BGB), kann den Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld allenfalls ausnahmsweise auslösen, etwa dann, wenn andere Kinder vor Ansteckung bewahrt werden müssen. Bestimmte Aufsichtsmaßnahmen, z.B. die Kontrolle, ob Therapievorschriften eingehalten werden , sind demgegenüber bereits der Pflege zuzurechnen183. 176 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 21. Juli 2010 (BGBl. I S. 944) 177 BGBl. I S. 2942 178 Vgl. Art. 17 § 1 KindRG 179 Vgl. nur Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V; siehe auch Bundessozialgericht SozR 2200 § 185b Nr. 10, wonach sich die verschiedenen Versorgungs- und Betreuungsleistungen für die in einem Haushalt lebenden Kinder nur schwer und ungenau voneinander abgrenzen lassen. 180 Vgl. Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 10; Joussen, in: Becker/Kingreen, § 45 SGB V Rn. 4; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 30 181 Vgl. etwa Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 9 182 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 30 183 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 30 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 40 2.4.2.4.3. Begriff der Betreuung i.S.d. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V Unter „Betreuung“ sind nach der Entstehungsgeschichte der insoweit wortgleichen Vorläuferregelung des § 185c Abs. 1 Satz 1 RVO184 in der Hauptsache Tätigkeiten zu verstehen, die über die Beaufsichtigung und Pflege hinausgehen185. Mit dem Erfordernis des Betreuens sollte nach der Gesetzesbegründung186 erreicht werden, dass Kinderpflege-Krankengeld nicht nur zu zahlen ist, wenn das erkrankte Kind zu Hause beaufsichtigt und gepflegt werden muss, sondern auch dann, wenn krankheitsbedingt ein besonderer Betreuungsbedarf besteht, z.B. das Kind zur ärztlichen Behandlung gebracht werden muss. Bei stationärer Behandlung wird ein Betreuungsbedarf in der Regel ausscheiden, kann jedoch ausnahmsweise bei medizinisch notwendigen Besuchen im Krankenhaus oder bei der Aufnahme als Begleitperson gegeben sein. Als Betreuung kommen insoweit medizinisch notwendige Aufgaben in Betracht, die ein Elternteil während der stationären Behandlung des Kindes übernimmt, während Pflege und Beaufsichtigung vom Krankenhauspersonal geleistet werden187. Vor allem bei der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder im Sinne des § 45 Abs. 4 SGB V stehen die stationäre Versorgung in einem Kinderhospiz oder die palliativmedizinische Behandlung in einem Krankenhaus der Inanspruchnahme von Kinderpflege -Krankengeld nicht entgegen. 2.4.2.4.4. Begriff der Pflege i.S.d. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V Der Begriff der „Pflege“ im Sinne des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V umfasst nicht nur die Krankenpflege , sondern vielmehr die gesamte Versorgung des Kindes188. Soweit der Anwendungsbereich dieser Vorschrift reicht, entspricht der Begriff im Wesentlichen dem in § 1631 Abs. 1 BGB. Er erfasst daher die Sorge oder Fürsorge für das körperliche Wohl des Kindes und sein seelisches Wohlbefinden, insbesondere soweit die einzelnen Maßnahmen bei und wegen der Erkrankung erforderlich werden189. Es kann sich dabei um Maßnahmen handeln, die der sog. Grundpflege zuzuordnen sind, also um Verrichtungen, die der Hilfe bei der Befriedigung von körperlichen, seelischen oder geistigen Grundbedürfnissen dienen190. Es kommen aber auch Hilfeleistungen in Betracht, die krankheitsspezifisch, d.h. auf die Behandlung der vorliegenden Erkrankung oder Behinderung ausgerichtet sind (Behandlungspflege), soweit diese von Laien erbracht werden 184 Vgl. hierzu oben zu Gliederungspunkt 2.2.1.1 185 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 31 186 Vgl. den Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) zu dem Entwurf eines Gesetzes der Fraktionen der SPD, FDP zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Leistungsverbesserungsgesetz – KLVG) – BT-Drs. 7/377, in: BT-Drs. 7/1039 S. 3 187 Vgl. Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 10; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 31 188 Vgl. Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 24; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 11 189 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 29 190 Vgl. BSGE 73, 146 (153) = SozR 3-2500 § 53 Nr. 4 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 41 können191. Rechtlich verankert sind die in ihrem Inhalt umstrittenen Begriffe Grund- und Behandlungspflege in § 37 Abs. 1 Satz 3 SGB V. Anhaltspunkte dafür, was bei Kindern zur Grund- und ggf. zur Behandlungspflege gehört, bietet Anlage 3 zur Regelung über Maßstäbe und Grundsätze für den Personalbedarf in der stationären Krankenpflege (Pflege-Personalregelung)192, die die einzelnen Leistungsbereiche der allgemeinen Kinderkrankenpflege unterschiedlichen Pflegestufen zuordnet. Diese Regelung ist zwar am 1. Januar 1997 wieder außer Kraft getreten, hat ihren Orientierungswert dadurch aber nicht verloren 193. Die hauswirtschaftliche Versorgung, die § 37 Abs. 1 Satz 3 SGB V neben der Grund- und Behandlungspflege aufführt, ist hier im Rahmen der Erforderlichkeit einbezogen. Zur Pflege im Sinne von § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V zählt nicht nur die Verabreichung von Mahlzeiten, sondern auch deren Zubereitung und bei Krankenkost selbst der Einkauf der Nahrungsmittel. Auf die Frage , wie Ernährung und hauswirtschaftliche Versorgung im Rahmen von § 14 Abs. 4 SGB XI voneinander abzugrenzen sind194, kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an. Während die Pflegeversicherung nur den abschließenden Katalog von Verrichtungen berücksichtigt, der in dieser Vorschrift aufgestellt wird, reicht der weitgefasste Pflegebegriff des § 45 SGB V über Maßnahmen der Grund- und Behandlungspflege hinaus. Selbst wenn Ankauf und Zubereitung von Krankenkost als Pflegeleistung ausschieden, müssten sie doch zumindest als krankheitsbedingte Betreuung berücksichtigt werden. Pflegebedarf entsteht nicht nur dann, wenn das Kind bettlägerig ist. Die regelmäßige Verabreichung von Medikamenten oder Hilfe bei der Nahrungsaufnahme z.B. kann auch bei Kindern erforderlich sein, die nicht an das Bett gefesselt sind195. 2.4.2.4.5. Ort der Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege Der Ort, an dem die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege stattfindet, ist – wie bereits mehrfach erwähnt – nicht entscheidend. Hinsichtlich des Merkmals der Betreuung zeigt dies bereits die oben dargestellte Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Auch Pflege und Beaufsichtigung können im Einzelfall außerhalb des Haushalts erforderlich werden, in dem der Versicherte und das Kind leben. Sofern die stationäre Behandlung in einem Krankenhaus ( § 39 SGB V) oder einem Kinderhospiz (§ 39a Abs. 1 SGB V) die Anwesenheit eines Elternteils, insbesondere der Mutter in einem das Fernbleiben von der Arbeit bedingenden zeitlichen Umfang medizinisch indiziert erscheinen lässt, besteht bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen Anspruch auf Kinderpflege- Krankengeld. Erforderlich ist lediglich, dass Betreuungsaufgaben, die nach Art oder Umfang erforderlich sind, nicht mit vergleichbarer Wirkung vom Pflegepersonal geleistet werden können196. 191 Vgl. Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 11; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 29; zum Begriff der Behandlungspflege vgl. BSGE 82, 27 (30, 33) = SozR 3-3300 § 14 Nr. 2; BSGE 83, 254 (261) = SozR 3-2500 § 37 Nr. 1 sowie BSGE 86, 101 (103) = SozR 3-2500 § 37 Nr. 2 192 Art. 13 des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz ) vom 21. Dezember 1992, BGBl. I S. 2266, 2323 193 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 29 194 Vgl. BSGE 82, 27 (28f) = SozR 3-3300 § 14 Nr. 2 195 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 29 196 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 32 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 42 2.4.3. Weitere Anspruchsvoraussetzungen 2.4.3.1. Erforderlichkeit des Fernbleibens von der Arbeit Der aufgrund der Erkrankung des Kindes entstandene Betreuungsbedarf muss es erforderlich machen , dass der Versicherte der Arbeit fernbleibt197. Dabei tritt das Fernbleiben von der Arbeit im Sinne des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V an die Stelle der Arbeitsunfähigkeit, die nach § 44 SGB V den Krankengeldanspruch auslöst198. Es genügt, wenn die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege des erkrankten Kindes alternativ erforderlich sind. Jede dieser Voraussetzungen vermag damit für sich einen Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld zu begründen, wenn die entsprechende Zuwendung des Versicherten gerade deshalb erforderlich ist, um einerseits den besonderen Bedürfnissen des erkrankten Kindes Rechnung zu tragen und andererseits die Arbeitsabwesenheit des Versicherten zu rechtfertigen199. Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege des erkrankten Kindes müssen zu Zeiten notwendig werden, zu denen der Versicherte seiner Arbeit nachzugehen hätte. Lassen sich die gebotenen Maßnahmen mit vergleichbarem Ergebnis auch vor und/oder nach der Arbeitszeit durchführen und ist dies dem Versicherten ihrem zeitlichem Umfang nach zumutbar, sind die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt. Maßgeblich ist die Arbeitszeit, die an dem jeweiligen Arbeitstag zu leisten wäre so wie die Zeit, die für den Weg zur Arbeitsstätte und zurück benötigt wird200. Seiner Arbeit fern bleibt jeder, der sie infolge der Kinderbetreuung nicht verrichten kann. Entscheidend ist die Arbeitsverhinderung wegen der Erkrankung201. Anspruch auf Kinderpflege -Krankengeld kann daher auch Versicherten zustehen, die ihre Arbeit im eigenen Haushalt verrichten oder hierzu zumindest berechtigt sind, wenn und soweit die Krankheit und Betreuungsbedürftigkeit des Kindes die Arbeitsleistung verhindern202. 2.4.3.2. Ärztliches Zeugnis Nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V muss durch ärztliches Zeugnis darüber hinaus nachgewiesen sein, dass das Kind an einer schweren Erkrankung im Sinne der Buchstaben a) bis c) dieser Vorschrift leidet. Dieses ärztliche Zeugnis ist nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung eine Anspruchsvoraussetzung . Liegt keine derartige ärztliche Äußerung vor, besteht schon aus diesem Grunde kein Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld203. Urheber der Äußerung kann jeder ap- 197 Vgl. Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 4; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 13; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 12; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 26 198 Vgl. Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 26; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 12 199 Vgl. Berchtold, in: BeckOK SGB V, § 45 Rn. 14 200 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 33 201 Vgl. BSGE 50, 259 (260) = SozR 2200 § 185c RVO Nr. 2 202 Vgl. Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 12; Meyerhoff, in: jurisPK SGB V, § 45 Rn. 26; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 13 203 Vgl. Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 11; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 38, Berchtold, in: BeckOK SGB V, § 45 Rn. 17; Kemper, in: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 43 probierte Arzt sein, der mit dem Krankheitsfall befasst wird und daher zum Vorliegen der schweren Erkrankung des Kindes im Sinne des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V Stellung zu nehmen vermag. Es muss sich also nicht um einen Vertragsarzt im Sinne der §§ 72 ff. SGB V handeln204. Ärztliche Zeugnisse, denen anspruchsbegründende Bedeutung zukommt und die zugleich als Beweismittel dienen sollen, sind zweckmäßigerweise schriftlich abzugeben. Gesetzlich vorgeschrieben ist dies jedoch nicht. Auch mündliche oder fernmündliche Stellungnahmen können den Anforderungen genügen, sofern sie der Krankenkasse gegenüber abgegeben werden oder in anderer Weise belegbar sind205. Soweit das Zeugnis im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erstellt wird, gehört es zu denjenigen Bescheinigungen, auf deren Ausstellung die Krankenkassen zur Durchführung ihrer gesetzlichen Aufgaben angewiesen sind (§ 73 Abs. 2 Nr. 9 SGB V). Einschlägig ist hier das Muster 21 der Vordruckvereinbarung nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 33, 34 Bundesmantelvertrag- Ärzte (BMV-Ä)206, dessen Verwendung für den Vertragsarzt nach Ziffer 1.1 der Vordruckvereinbarung verbindlich ist207. Wie bereits oben erwähnt, muss der Arzt in den Fällen einer Schwersterkrankung des Kindes mit nur noch begrenzter Lebenserwartung gem. § 45 Abs. 4 SGB V zu allen Krankheitsmerkmalen Stellung nehmen, die in den Buchstaben a) bis c) des Satzes 1 genannt sind208. Es ist Sache des Arztes, diese Voraussetzungen in eigener Verantwortung zu verifizieren209. Nach Auffassung der Spitzenverbände der Krankenkassen sollen aus dem ärztlichen Zeugnis eines Vertrags- oder Krankenhausarztes die Diagnose, das in Abs. 4 Satz 1 Buchstabe a) genannte Krankheitsstadium und die voraussichtliche Lebenserwartung des Kindes (Abs. 4 Satz 1 Buchstabe c SGB V) hervorgehen 210. Anders als in den Fällen eines zeitlich begrenzten Anspruchs auf Kinderpflege- Krankengeld nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB V muss nach dem eindeutigen Wortlaut des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V über die vorgenannten krankheitsbezogenen Feststellungen hinaus jedoch nicht auch noch ärztlich belegt sein, dass das Kind wegen seiner Erkrankung der Beaufsichtigung, Bejuris PK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 12; Joussen, in: Becker/Kingreen, § 45 SGB V Rn. 4 204 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 39; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 3 205 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 40; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 3; Meyerhoff, in: jurisPK SGB V, § 45 Rn. 25; Kemper, in: jurisPK- Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 12; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht , § 45 SGB V Rn. 11 206 Abrufbar im Internet über http://daris.kbv.de 207 Vgl. Berchtold, in: BeckOK SGB V, § 45 Rn. 17; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V § 45 Rn. 25; Kemper, in: jurisPK- Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 12 208 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 41; Waltermann, in: Kommentar zum Sozialrecht, § 45 SGB V Rn. 7 209 Vgl. Waltermann, in: Kommentar zum Sozialrecht, § 45 SGB V Rn. 7 210 Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02h) zu Ziffer 6. Abs. 1 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 44 treuung oder Pflege bedarf und der Versicherte deshalb der Arbeit fernbleiben muss. Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, auch das ärztliche Zeugnis nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V müsse derartige Angaben enthalten211, ist dies mit Wortlaut und Systematik der in § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 SGB V getroffenen Regelungen nicht zu vereinbaren. 2.4.3.3. Kein Ausschluss des Leistungsanspruchs nach § 45 Abs. 4 SGB V wegen der Betreuungsmöglichkeit durch eine andere im Haushalt des Versicherten lebende Person Negative Voraussetzung für den zeitlich begrenzten Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB V ist, dass im Haushalt des Versicherten keine andere Person lebt, die an seiner Stelle die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege übernehmen kann (§ 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V). In den Fällen des § 45 Abs. 4 SGB V hat der Gesetzgeber auf dieses Ausschlusskriterium verzichtet. Der zeitlich unbegrenzte Leistungsanspruch nach § 45 Abs. 4 SGB V besteht damit unabhängig davon, ob eine andere im Haushalt lebende Person die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege des schwerstkranken Kindes übernehmen könnte212. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber offenbar sicherstellen wollen, dass in den Fällen unheilbarer schwerkranker Kinder mit nur noch begrenzter Lebenserwartung ein Elternteil das Kind beaufsichtigen, betreuen und pflegen kann213. Danach steht einem berufstätigem Elternteil der Anspruch auf Kinderpflege- Krankengeld selbst dann zu, wenn der andere Elternteil nicht berufstätig ist und zum Beaufsichtigen , Betreuen und Pflegen des Kindes in der Lage wäre214. Dies ist jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der nicht berufstätige Elternteil die bei schwerstkranken Kindern erforderliche Pflege nicht leisten kann, z.B. weil er andere Kinder zu beaufsichtigen und zu betreuen hat oder wegen Krankheit oder Behinderung dazu nicht in der Lage ist. Es erscheint aber fraglich, ob der Anspruch selbst dann besteht, wenn der andere nicht berufstätige Elternteil die erforderliche Beaufsichtigung , Betreuung und Pflege übernehmen kann. Die Beschränkung des Anspruchs auf ein Elternteil (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB V) spricht eher dafür, dass die Pflegemöglichkeit eines Elternteils den Anspruch des anderen Elternteils ausschließt215. Demgegenüber vertreten die Spitzenverbände der Krankenkassen die Auffassung, dass von einem berufstätigen Elternteil das Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V auch dann beansprucht werden kann, wenn keine weiteren Kinder im Haushalt leben und der andere Elternteil nicht berufstätig ist216. 211 Vgl. z.B. Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 18g; wohl auch Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 41 212 Allgemeine Auffassung, vgl. z.B. Gerlach, in Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 26; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 13; Berchtold, in: BeckOK SGB V, § 45 Rn. 26; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 23 213 Vgl. Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 13; Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 26 214 Vgl. Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 13; so auch die Empfehlung der Spitzenverbände der Krankenkassen in ihrer Gemeinsamen Verlautbarung betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02 h) vom 13. August 2002 zu Ziffer 7 Abs. 2 Satz 2 215 Vgl. Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 13 216 Vgl. Ziffer 7 Abs. 2 Satz 3 des Gemeinsamen Rundschreibens vom 13. August 2002 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 45 2.5. Inhalt und Umfang des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V 2.5.1. Rechtsnatur des Anspruchs Das Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V ist – wie bereits einleitend angesprochen217 – seiner Rechtsnatur nach eine Sonderform des Krankengeldes, das im Zweiten Teil des Fünften Abschnitts (§§ 44 bis 51 SGB V) geregelt ist. Wie das Krankengeld wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder stationärer Behandlung nach § 44 Abs. 1 SGB V hat es Entgeltersatzfunktion . Seine Höhe orientiert sich an dem tatsächlich entgangenen regelmäßigen Arbeitsverdienst. Die insoweit übereinstimmende Zielsetzung rechtfertigt die Verwendung derselben Bezeichnung 218. Für den Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V gelten dementsprechend grundsätzlich die allgemeinen Bestimmungen zum Krankengeld, insbesondere zur Höhe und Berechnung (§§ 47 bis 47b SGB V) entsprechend219. Wegen der insoweit abweichenden besonderen Regelung in § 45 SGB V sind die Regelungen über das Entstehen des Anspruchs (§ 46 SGB V) sowie die Dauer des Krankengeldes (§ 48 SGB V) allerdings nicht anzuwenden; dies gilt ebenfalls für die auf das Kinderpflege-Krankengeld nicht passenden §§ 50 bis 51 SGB V220. 2.5.2. Entstehen des Anspruchs Der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld bei Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege schwerstkranker Kinder entsteht mit dem Vorliegen der in § 45 Abs. 4 SGB V genannten Voraussetzungen , d.h. bei Erfüllung der übrigen Leistungsvoraussetzungen mit dem ersten Tag des Fernbleibens von der Arbeit221. Dies ergibt aus der allgemeinen Bestimmung des § 40 Abs. 1 SGB I222, da sich die speziellen Regelungen zur Anspruchsentstehung, die § 46 SGB V trifft, auf die Fälle des § 45 SGB V nicht anwenden lassen223. Der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld setzt insbesondere keine Arbeitsunfähigkeit wie § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V voraus, der ein Entstehen des Anspruchs erst von dem Tag an vorsieht, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der 217 Vgl. oben zu Gliederungspunkt 2.1 218 Vgl. Bundessozialgericht SozR 2200 § 185c RVO Nr. 3; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 55 219 Vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 31. Januar 1995 – Az 1 RK 1/94 – BSGE 76, 1 (4) = NZS 1995 S. 363 (364 f.); Joussen, in: Becker/Kingreen, § 45 SGB V Rn. 6; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 1; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 6 220 Vgl. Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 27 221 Allgemeine Auffassung, vgl. z.B. Bundessozialgericht, BSGE 50, 259 (261) = SozR 2200, § 185c RVO Nr. 2; Höfler , in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 15; Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 28; Joussen, in: Becker/Kingreen, § 45 SGB V Rn. 6; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 28; so auch die Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 13. August 2002 zu Ziffer 9 Abs. 1 222 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (Art. 1 des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015), zuletzt geändert durch Art. 7 Abs. 5 des Gesetzes vom 7. Juli 2009 (BGBl. I S. 1707) 223 Vgl. etwa Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 58 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 46 Arbeitsunfähigkeit folgt. Dementsprechend gibt es beim Kinderpflege-Krankengeld keinen Karenztag 224. 2.5.3. Bezugsdauer des Kinderpflege-Krankengeldes Abweichend von dem allgemein befristeten Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB V225 hat der Gesetzgeber mit der Regelung in § 45 Abs. 4 SGB V bei der Beaufsichtigung , Betreuung oder Pflege schwerstkranker Kinder einen Anspruch auf Krankengeld geschaffen , der nicht der in anderen Fällen geltenden zeitlichen Begrenzung des Krankengeldes bei Erkrankung des Kindes unterliegt226. Dementsprechend besteht Anspruch auf Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V, solange die in dieser Vorschrift genannten Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind227. Der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld endet folglich jedenfalls dann, wenn das schwerstkranke Kind dem ärztlichen Zeugnis entsprechend innerhalb von Wochen oder wenigen Monaten verstirbt (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 1 Buchstabe c)228. Fraglich ist, was gilt, wenn sich die infauste, das baldige Ableben voraussagende Prognose des Arztes im Einzelfall nicht bewahrheitet , und damit zugleich eine der Anspruchsvoraussetzungen auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V entfällt229. Während ein Teil der Literatur die Auffassung vertritt, die Zahlung des Krankengeldes müsse dann aus diesem Grunde eingestellt werden230, empfehlen die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Leistungsvoraussetzungen nach Ablauf von längstens sechs Monaten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK) prüfen zu lassen, falls der Arzt die Lebenserwartung des Kindes falsch eingeschätzt hat231. Eine dem § 48 Abs. 1 SGB V vergleichbare Höchstanspruchsdauer wurde für das Krankengeld bei Beaufsichtigung , Betreuung oder Pflege eines schwerstkranken Kindes nicht eingeführt232. Der Krankengeld- 224 Allgemeine Auffassung, vgl. z.B. Bundessozialgericht, BSGE 50, 259 (261) = SozR 2200, § 185c RVO Nr. 2; Höfler , in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 15; Joussen, in: Becker/Kingreen, § 45 SGB V Rn. 6; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 28; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung , § 45 SGB V Rn. 58; dass ein solcher Karenztag nicht vorgesehen ist, hatte bereits die Begründung zum Koalitions-Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Leistungsverbesserungsgesetz – KLVG) zu § 185c RVO hervorgehoben, vgl. BT-Drs. 7/377 S. 5. 225 Vgl. oben zu Gliederungspunkt 2.1.1 226 Zur Einführung eines zeitlich unbegrenzten Anspruchs auf Krankengeld bei unheilbar schwerstkranken Kindern mit nur noch begrenzter Lebenserwartung gem. § 45 Abs. 4 SGB V durch das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002 mit Wirkung vom 1. August 2002, vgl. oben zu Gliederungspunkt 2.2.2 227 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 59a 228 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 69 229 Zum ärztlichen Zeugnis nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB V als Anspruchsvoraussetzung vgl. oben zu Gliederungspunkt 2.4.3.2 230 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 69 231 Vgl. die Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02 h) vom 13. August 2002 zu Ziffer 10 Abs. 1 Satz 2 232 Vgl. Ziffer 10 Abs. 2 der Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 47 anspruch nach § 45 Abs. 4 SGB V endet, wenn das Beschäftigungsverhältnis des Versicherten endet. Das Krankengeld wird nicht über das Beschäftigungsende hinaus gezahlt233. Der Anspruch auf Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V endet ferner, wenn die Mitgliedschaft oder die Familienversicherung des Kindes endet, die Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld des betreuenden Elternteils endet oder der betreuende Elternteil Anspruch auf Krankengeld nach § 44 SGB V erwirbt234. 2.5.4. Höhe und Berechnung des Kinderpflege-Krankengeldes Höhe und Berechnung des Kinderpflege-Krankengeldes richten sich grundsätzlich nach § 47 SGB V235. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung beträgt das Kinderpflege-Krankengeld im Sinne des § 45 SGB V daher 70 vom Hundert des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens , soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Streitig ist jedoch, ob das Kinderpflege -Krankengeld nach § 45 SGB V anders als das Krankengeld nach § 44 SGB V (vgl. § 47 Abs. 1 Satz 6 SGB V) nicht für Kalendertage, sondern für Arbeitstage gewährt wird, d.h. für Tage, an denen der Versicherte ohne die Verhinderung durch die Krankheit seines Kindes gearbeitet hätte. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. September 1986236 ist bei teilzeitbeschäftigten Versicherten das Regelentgelt auf den Arbeitstag zu beziehen, indem das monatliche Arbeitsentgelt durch die Zahl der monatlichen Arbeitstage geteilt wird. Ob bei Vollzeitbeschäftigungen ebenso zu verfahren ist, oder ob das nach Monaten bemessene Arbeitsentgelt regelhaft durch 30 Kalendertage zu teilen ist237, lässt die Entscheidung ausdrücklich offen. Demgegenüber wird in der Literatur überwiegend gefordert, das Kinderpflege-Krankengeld stets nach Arbeitstagen zu bemessen, um die Vollzeitbeschäftigten gegenüber den Teilzeitbeschäftigten nicht zu benachteiligen 238. Die überzeugenderen Gesichtspunkte dürften dafür sprechen, das zum Anspruch auf Kinderpflege -Krankengeld bei Teilzeitbeschäftigung ergangene Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. September 1986239 zu verallgemeinern, die Leistung also auch bei Vollzeitbeschäftigten für Ar- 233 Vgl. Ziffer 10 Abs. 3 der Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 234 Vgl. Ziffer 10 Abs. 4 der Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 235 Vgl. Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 32; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 20, Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 18 236 AZ 3 RK 51/84 – SozR 2200 § 185c RVO Nr. 3 237 So noch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 22. Oktober 1980 – 3 RK 56/79 – SozR 2200 § 185c Nr. 2 238 So z.B. Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 18; Kruse, in: LPK – SGB V, § 45 Rn. 15; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 6; Joussen, in: Becker/Kingreen, § 45 SGB V Rn. 6; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 20; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 21; Waltermann, in: Kommentar zum Sozialrecht, § 45 SGB V Rn. 6; Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 29; abweichend Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 73 239 Az 3 RK 51/84 – SozR 2200 § 185c RVO Nr. 3 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 48 beitstage zu zahlen und bei der Berechnung die Zahl der Arbeitstage im Ausgangszeitraum zugrunde zu legen. Gegen die vorgenannte – zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten unterscheidende – Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist einzuwenden, dass sie verschiedene Maßstäbe verwendet und zu einer Bevorzugung der Teilzeitbeschäftigten führt240. Auch die Entgeltersatzfunktion des Kinderpflege-Krankengeldes spricht dafür, die Leistung stets nach Arbeitstagen zu berechnen, da der Anspruch nur für die Tage gewährt wird, an denen der Versicherte ohne die Verhinderung durch die Erkrankung des Kindes auch tatsächlich gearbeitet hätte. Es liegt dann auch grundsätzlich keine Besserstellung gegenüber den Beziehern von Krankengeld wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder stationärer Behandlung nach § 44 Abs. 1 SGB V vor, weil diese Versicherten die Leistung für Kalendertage, also unter Einschluss der arbeitsfreien Tage erhalten241. Die Praxis verfährt demgegenüber teilweise anders. Nach der Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002242 richtet sich die Zahlungsweise des Krankengeldes in den Fällen des § 45 Abs. 1 SGB V nach der arbeitgeberseitigen Verfahrensweise der Entgeltabrechnung. Es könne daher sowohl für Arbeitstage als auch für Kalendertage gezahlt werden. Dazu sei in jedem Einzelfall zu prüfen, wie viele Arbeitstage bzw. Kalendertage der Freistellungszeitraum umfasse. Diese Verfahrensweise sei für die unbefristete Zahlung des Krankengeldes bei Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege schwerstkranker Kinder jedoch mit einem – für Arbeitgeber und Krankenkassen – unvertretbaren Verwaltungsaufwand verbunden. Das Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V sei daher in entsprechender Anwendung des § 47 SGB V für Kalendertage zu berechnen und zu zahlen. Sei es für einen ganzen Kalendermonat zu zahlen, sei dieser in entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 1 Satz 7 SGB V mit 30 Tagen anzusetzen. Bei allen Fallgestaltungen ist zu beachten, dass das der Berechnung des Kinderpflege- Krankengeldes zugrundeliegende Entgelt das Höchstregelentgelt (§ 47 Abs. 6 SGB V) nicht übersteigt ; das Höchstregelentgelt ist ggf. auch für Arbeitstage zu ermitteln. Das aus dem Arbeitsentgelt berechnete Kinderpflege-Krankengeld darf das entgangene Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen 243. 2.5.5. Ruhen des Anspruchs Neben dem schon angesprochenen Ruhen des Anspruchs an Tagen, an denen der Versicherte ohnehin nicht gearbeitet hätte, kann der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld auch nach der allgemeinen Vorschrift des § 49 SGB V zum Ruhen kommen244. 240 Vgl. Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 18 241 Vgl. Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 18; Joussen, in: Becker/Kingreen, § 45 SGB V Rn. 6; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 20; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 21 242 Vgl. Ziffer 12 der Gemeinsamen Verlautbarung betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02 h) 243 Vgl. Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 22 244 Vgl. Joussen, in: Becker/Kingreen, § 45 SGB V Rn. 6; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 29 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 49 Nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruht der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld, wenn der Arbeitgeber aufgrund gesetzlicher oder arbeitsvertraglicher Verpflichtung für die Dauer der Freistellung von der Arbeitsleistung das Arbeitsentgelt weiterzahlt, es sei denn, es handelt sich um Einmalzahlungen . Bei Arbeitsverhinderung wegen der Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes können Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung insbesondere nach § 616 BGB haben. Nach Satz 1 dieser Vorschrift wird der zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Er muss sich gem. § 616 Satz 2 BGB jedoch den Betrag anrechnen lassen , welcher ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer aufgrund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Krankenversicherung zukommt245. Der Vergütungsanspruch nach § 616 Satz 1 BGB ist jedoch vertraglich abdingbar; tarifliche oder einzelvertragliche Vereinbarungen, die den Anspruch auf bezahlte Freistellung ausschließen, gehen der gesetzlichen Regelung vor246. Der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld ruht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ferner, solange Versicherte Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz247 in Anspruch nehmen, es sei denn der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld ist vor Beginn der Elternzeit eingetreten. Der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld ruht darüberhinaus soweit und solange Versicherte Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld oder Kurzarbeitergeld beziehen (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 SGB V) bzw. vergleichbare Entgeltersatzleistungen von einem Träger der Sozialversicherung oder einer staatlichen Stelle im Ausland erhalten (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 SGB V) oder Mutterschaftsgeld oder Arbeitslosengeld beziehen oder der Anspruch wegen einer Sperrzeit nach dem SGB III ruht (§ 49 Abs. 1 Nr. 3a SGB V). Die Ruhensvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V (fehlende Meldung der Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Krankenkasse) ist dagegen nicht anwendbar , da der Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 und 4 SGB V bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen – wie dargelegt – ohne Karenztag bereits mit dem ersten Tag des Fernbleibens von der Arbeit entsteht248. 2.6. Vorleistungspflicht der Krankenkasse 2.6.1. Rechtsentwicklung § 185c RVO in der zum 1. Januar 1974 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Leistungsverbesserungsgesetz – KLVG) vom 19. Dezember 1973249 hatte in Abs. 2 Satz 2 die Bestimmung des § 182 Abs. 7 RVO für entsprechend anwendbar erklärt. Diese Vorschrift, die durch das Gesetz über die Angleichung der 245 Zum Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 616 BGB vgl. eingehend unten zu den Gliederungspunkten 3.2.2 und 3.2.3 246 Vgl. Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 23 f. 247 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz vom 5. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2748), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 28. März 2009 (BGBl. I S. 634) 248 Vgl. Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 29; Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 27 249 BGBl. S. 1925 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 50 Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974250 zu § 182 Abs. 10 RVO wurde, regelte den Fall, dass der Arbeitgeber während einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers den gegen ihn bestehenden Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts pflichtwidrig nicht erfüllt. Ein Ruhen des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld trat unter diesen Voraussetzungen nicht ein. Die Krankenkasse hatte das Kinderpflege-Krankengeld vorzuleisten. Nach der Gesetzesbegründung251 sollte durch § 185c Abs. 2 Satz 2 RVO sichergestellt werden, dass die Krankenkasse auch dann mit Krankengeld eintrat, wenn der arbeitsrechtliche Anspruch auf Weiterzahlung des Lohnes zweifelhaft war. Dem Versicherten kam damit auf jeden Fall die Leistung der Krankenkasse zu, auf die ggf. die gegen den Arbeitgeber bestehenden Ansprüche übergingen. Mit Inkrafttreten des Dritten Kapitels des SGB X252 am 1. Juli 1983253 ist § 182 Abs. 10 RVO entfallen. Seit diesem Zeitpunkt gilt nunmehr die Bestimmung des § 115 SGB X, nach dessen Abs. 1 der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Arbeitsentgelt bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen auf den Leistungsträger übergeht, soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat. Die Vorleistungspflicht der Krankenkasse bei Nichterfüllung von Ansprüchen auf Arbeitsentgelt ergab sich von dem genannten Zeitpunkt an auch in den Fällen des früheren § 185c RVO aus dieser Vorschrift254. 2.6.2. Rechtslage seit dem 1. Januar 1989 § 45 SGB V hat an der vorgenannten Rechtslage insoweit nichts geändert. Wird der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts vom Arbeitgeber nicht oder nicht zeitgerecht erfüllt, hat die Krankenkasse auch nach neuem Recht Kinderpflege-Krankengeld vorzuleisten und kann zum Ausgleich vom Arbeitgeber bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen nach § 115 Abs. 1 SGB X Ersatz verlangen. Die Geltendmachung der arbeitsrechtlichen Ansprüche, die dem versicherten Arbeitnehmer zugestanden hatten, durch die Krankenkasse setzt voraus, dass diese die im Einzelfall maßgeblichen tarifvertraglichen Regelungen feststellt, prüft und berücksichtigt255. 250 BGBl. I 1881 251 Vgl. den Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) zu dem Entwurf eines Gesetzes der Fraktionen der SPD, FDP zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Leistungsverbesserungsgesetz – KLVG) – BT-Drs 7/377 –, in: BT-Drs. 7/1039 S. 4 252 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (Art. 1 des Gesetzes vom 18. August 1980, BGBl. I S. 1469 und Art. 1 des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl. I S. 1450) i.d.F. der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 (BGBl. I S. 130), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 5. August 2010 (BGBl. I S. 1127) 253 Vgl. Art. I i.V.m. Art. II § 25 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs (SGB) – Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihrer Beziehungen zu Dritten – vom 4. November 1982 (BGBl. I S. 1450, 1465) 254 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 94 255 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 95; vgl. auch Vay, in: Wagner /Knittel, § 45 SGB V Rn. 25 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 51 2.7. Konkurrenz des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld mit anderen Ansprüchen 2.7.1. Verdienstausfallentschädigung (§ 11 Abs. 3 SGB V) Bei stationärer Behandlung umfassen die Leistungen der Krankenversicherung nach § 11 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB V auch die aus medizinischen Gründen notwendige Mitaufnahme einer Begleitperson des Versicherten. Aus Wortlaut und systematischem Zusammenhang von Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 und 2 des § 11 SGB V folgt, dass es sich um Nebenleistungen zum Anspruch auf stationäre Behandlung gegen die für diesen zuständigen Krankenkasse handelt. Sie stehen daher grundsätzlich dem behandelten Versicherten zu. Dieser kann sie freilich, soweit es um Aufwendungsersatz (Geldleistung) für die Begleitperson geht, gem. § 53 Abs. 2 SGB I256 auf diese übertragen257. Die Mitaufnahme einer Begleitperson kommt nicht nur bei vollstationärer, sondern ggf. auch bei teilstationärer Behandlung im Krankenhaus in Betracht. Trotz unterschiedlicher Begrifflichkeit, Leistungsinhalts und -art erfüllt auch die stationäre und teilstationäre Versorgung in Hospizen gem. § 39a Abs. 1 SGB V bei sinngemäßer Interpretation die Voraussetzungen „stationärer Behandlung “ im Sinne von § 11 Abs. 3258. Die Mitaufnahme einer Begleitperson ist medizinisch notwendig, wenn Art und Schwere der Erkrankung des zur Behandlung aufgenommenen Patienten oder das Interesse einer zweckmäßigen und ausreichenden Versorgung dies erfordern. Dies wird in aller Regel erfüllt sein, wenn Kleinkinder stationär behandelt und von einem Elternteil begleitet werden müssen259. Medizinisch begründet kann die Mitaufnahme eines Elternteils insbesondere dann sein, wenn das schwerstkranke Kind in einem Kinderhospiz im Sinne des § 39a Abs. 1 SGB V behandelt wird260. Im Anschluss an das Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 27./28. November 1990261 wird von einem Teil der Literatur262 die Auffassung vertreten, dass nicht nur die durch die Aufnahme der Begleitperson entstehenden Aufwendungen Leistungsbestandteil des § 11 Abs. 3 SGB V seien, sondern darüber hinaus auch der einer Begleitperson entstehende Verdienstausfall zu den Nebenleistungen der stationären Behandlung des Versicherten im Sinne des § 11 Abs. 3 SGB V gehöre und von der Krankenkasse zu erstatten sei. Da ein Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V – wie dargelegt – auch dann gegeben sein kann, wenn das schwerstkranke Kind stationär in einem Kinderhospiz versorgt wird oder sich in 256 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (Art. 1 des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015), zuletzt geändert durch Art. 7 Abs. 5 des Gesetzes vom 7. Juli 2009 (BGBl. I 1707) 257 Vgl. Noftz, in: Hauck/Noftz, § 11 SGB V, Rn. 56; weitergehend Zipperer, in: Maasen/Schermer/Wiegand, SGB V, § 11 Rn. 9, der die Auffassung vertritt, die Begleitperson habe „wohl“ einen eigenen Rechtsanspruch gegen die Krankenkasse des Versicherten 258 Vgl. Noftz, in: Hauck/Noftz, § 11 SGB V, Rn. 57 259 Vgl. etwa Kruse, in: LPK-SGB V, § 11 Rn. 7; Wagner, in: Wagner/Knittel, § 11 SGB V Rn. 10 260 Vgl. Noftz, in: Hauck/Noftz, § 11 SGB V, Rn. 57; Plagemann, in: jurisPK-SGB V, § 11 Rn. 27 261 Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 27./28. November 1990: Mitaufnahme einer Begleitperson bei stationärer Behandlung, Ausgleich von Verdienstausfall, in: Wege zur Sozialversicherung (WzS), 1991, S. 85 (86) 262 Vgl. Kruse, in: LPK-SGB V, § 11 Rn. 6; Wagner, in: Wagner/Knittel, § 11 SGB V Rn. 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 52 einer palliativ-medizinischen Behandlung in einem Krankenhaus befindet, kann es nach der vorgenannten Auffassung mithin zu einer Leistungskonkurrenz mit einem Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 11 Abs. 3 SGB V kommen. Ob § 11 Abs. 3 SGB V als eigenständige Rechtsgrundlage für eine Verdienstausfallentschädigung einer Begleitperson angesehen werden kann, ist allerdings höchst zweifelhaft. § 11 Abs. 3 SGB V begrenzt nämlich „die Leistungen“ auf die aus medizinischen Gründen notwendige „Mitaufnahme einer Begleitperson“, also auf die ggf. dadurch selbst entstehenden Aufwendungen 263. Der Wortlaut dieser Vorschrift lässt sich dagegen nicht dahingehend deuten, dass Ersatz bzw. Erstattung anderer mit der Mitaufnahme verbundener Nachteile geschuldet wird. Dies entspräche auch nicht dem begrenzten Zweck der Norm. Aufwendungsersatzansprüche für Begleitpersonen , wie z.B. Verdienstausfall und sonstige im Zusammenhang mit der Mitaufnahme entstehende Bedürfnisse bedürfen vielmehr einer eigenständigen Rechtsgrundlage (vgl. § 31 SGB I). Bei dem gegebenen Sachverhalt kommt als solche für den Bereich der Krankenbehandlung nur § 45 SGB V in Betracht264. Da die auf § 11 Abs. 3 SGB V gestützte Verdienstausfallentschädigung des das schwerstkranke Kind betreuenden Elternteils nach der Gemeinsamen Empfehlung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 gegenüber einem Anspruch auf Kinderpflege -Krankengeld nach § 45 SGB V jedoch als nachrangig angesehen wird265, kann die vorgenannte Streitfrage letztlich dahinstehen. 2.7.2. Kranken-/Pflegeleistungen Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V und Pflegeleistungen nach dem SGB XI266 beeinträchtigen den Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 SGB V – und umgekehrt – nicht267. 2.7.3. Krankengeldanspruch nach § 44 SGB V wegen Arbeitsunfähigkeit Ein Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V besteht hingegen nicht (mehr), sobald der betreuende Elternteil wegen einer eigenen Erkrankung die Betreuung oder Pflege nicht mehr übernehmen kann und einen Krankengeldanspruch nach § 44 SGB V wegen Arbeitsunfähigkeit erwirbt. Zu beachten ist, dass der Krankengeldanspruch nach § 44 SGB V in 263 Vgl. BSGE 77, 102 (105 f.) = SozR 3-2500, § 38 Nr. 1 = NZS 1996, 232 ff. 264 Vgl. Noftz, in: Hauck/Noftz, § 11 SGB V Rn. 59; Becker/Kingreen, in: Becker/Kingreen, § 11 SGB V Rn. 19; Joussen, in: Beck-OK, § 11 SGB V Rn. 14 265 Vgl. Ziffer 14 Abs. 2 der Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02 h) 266 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (Art. 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2495) 267 Vgl. Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 43 sowie Ziffer 14 Abs. 2 Satz 2 der Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 53 der Regel zunächst nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruht, weil ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber besteht268. Tritt während des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V Arbeitsunfähigkeit ein und kann der arbeitsunfähige Elternteil die Betreuung oder Pflege des schwerstkranken Kindes trotz der eigenen Krankheit weiterhin übernehmen, wird das Kinderpflege- Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V weitergezahlt. Der Krankengeldanspruch nach § 44 SGB V ruht in analoger Anwendung des § 49 Abs. 1 SGB V. Bis zum Ablauf des Anspruchs auf Kinderpflege -Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V muss der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung leisten . Die 6-Wochen-Frist beginnt erst an dem Tag, der dem Ende des Anspruchs nach § 45 Abs. 4 SGB V folgt269. Sofern ein Arbeitnehmer schon arbeitsunfähig ist und während seiner eigenen Erkrankung die Betreuung oder Pflege seines schwerstkranken Kindes übernimmt, besteht der Krankengeldanspruch nach § 44 SGB V fort; eine Krankengeldzahlung nach § 45 Abs. 4 SGB V scheidet aus. Es verbleibt zunächst jedoch – sofern noch nicht ausgeschöpft – beim Anspruch nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz 270. Nach dem Ende der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber zahlt die Krankenkasse Krankengeld nach § 44 SGB V271. 2.8. Schul- oder Kindergartenunfall Ist ein Schul- oder Kindergartenunfall Ursache für die schwere Erkrankung des Kindes, zahlt die Krankenkasse im Auftrag des zuständigen Unfallversicherungsträgers Kinderpflege-Verletztengeld (§ 45 SGB VII272 i.V.m. § 45 Abs. 4 SGB V) auf der Grundlage der zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und den Spitzenorganisationen der Unfallversicherung geschlossenen Verwaltungsvereinbarungen273. 268 Vgl. Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 44 sowie Ziffer 14 Abs. 3 der Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 269 Vgl. Ziffer 14 Abs. 4 der Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 270 Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014, 1065), zuletzt geändert durch Art. 80 des Gesetzes vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2848) 271 Vgl. Ziffer 14 Abs. 5 der Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02h) 272 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (Art. 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 5. August 2010 (BGBl. I S. 1127) 273 Vgl. Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 45 sowie Ziffer 15 der Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002 betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02h) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 54 3. Arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege schwerstkranker, sterbender Kinder 3.1. Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung nach § 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 und 5 SGB V 3.1.1. Inhalt und Bedeutung des arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruches nach § 45 SGB V im Überblick Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V haben Versicherte mit Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 SGB V für die Dauer dieses Anspruchs gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht. Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass der Versicherte zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege seines erkrankten Kindes der Arbeit fernbleiben kann, ohne seine arbeitsvertraglich vereinbarte Pflicht zur Arbeitsleistung zu verletzen274. Die unbezahlte Freistellung nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V führt zu einer beschränkten Suspendierung der sich aus dem Arbeitsvertrag synallagmatisch ergebenden Hauptpflichten275. Die Pflicht zur Arbeitsleistung wird zeitweilig aufgehoben. Andererseits verliert der Versicherte nach § 326 Abs. 1 i.V.m. § 275 BGB seinen Entgeltanspruch, soweit er nicht aufgrund arbeitsrechtlicher Rechtsquellen (Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz, vgl. § 616 BGB) einen Anspruch auf bezahlte Freistellung hat. Ein solcher Anspruch auf bezahlte Freistellung geht dem Anspruch auf unbezahlte Freistellung vor276. Der den Versicherten durch § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V eingeräumte Freistellungsanspruch kann gemäß § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB V durch Vertrag weder ausgeschlossen noch beschränkt werden, ist also nicht abdingbar. Er besteht für die Dauer des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 2 SGB V, ist also zeitlich begrenzt. Aufgrund der durch Art. 1 des Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002277 mit Wirkung vom 1. August 2002 eingefügten Bestimmung des § 45 Abs. 4 Satz 3 SGB V, derzufolge die vorgenannten Regelungen in Absatz 3 auf die Fälle des Absatzes 4 entsprechend anzuwenden sind, besteht der unbezahlte Freistellungsanspruch nunmehr auch für die Dauer des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld nach Absatz 4. Somit haben Versicherte einen unbefristeten Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, um ihre sterbenden Kinder in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten. Nach dem ebenfalls mit Wirkung vom 1. August 2002 durch Art. 1 des Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002278 angefügten Absatz 5 des § 274 Vgl. Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 34; Gerlach, in: Hauck/Noftz, § 45 SGB V Rn. 35; Joussen, in: Becker /Kingreen, § 45 SGB V Rn. 8; Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 19 275 Vgl. Faßhauer, Rechtsfragen zur unbezahlten Freistellung, in: NZA 1986, 453 (454) 276 Vgl. Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 34; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 9; Kemper, in: jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 24; Joussen, in: Becker/Kingreen, § 45 SGB V Rn. 8 277 BGBl. I S. 2872 278 BGBl. I S. 2872 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 55 45 SGB V haben auch Arbeitnehmer, die nicht Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach § 45 Abs. 1 SGB V sind, Anspruch auf unbezahlte Freistellung durch den Arbeitgeber nach den Absätzen 3 und 4 des § 45 SGB V. Ziel der Regelung, die auf die Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Gesundheit zurückgeht, ist die Gleichstellung von versicherten und nicht versicherten Arbeitnehmern im Arbeitsrecht279. Seit dem 1. August 2002 haben damit auch nicht oder ohne Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Arbeitnehmer einen arbeitsrechtlichen Anspruch auf unbezahlte Freistellung zur Beaufsichtigung , Betreuung oder Pflege ihres schwerstkranken Kindes. Die vorgenannten Ausführungen machen deutlich, dass es sich bei den Bestimmungen des § 45 Abs. 3 und 5 SGB V ihrem Inhalt nach nicht um Regelungen des Sozialversicherungsrechts handelt . Der Anspruch auf Freistellung, den sie begründen, muss materiell-rechtlich vielmehr dem Arbeitsrecht zugerechnet werden280. Schon im Urteil des Bundessozialgerichts vom 22. Oktober 1980281 ist von der „eigentlich“ arbeitsrechtlichen Regelung die Rede, die in § 185c Abs. 3 RVO – der Vorläufervorschrift des heutigen § 45 Abs. 3 SGB V – „versteckt“ (gewesen) sei. Auch in dem Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder ist ausdrücklich von „arbeitsrechtlichen“ Ansprüchen auf unbezahlte Freistellung die Rede282. 3.1.2. Voraussetzungen des Freistellungsanspruchs (§ 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 SGB V) Der Freistellungsanspruch nach § 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 SGB V setzt voraus, dass die Versicherten einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 4 SGB V haben283. Ferner darf den Versicherten als negative Anspruchsvoraussetzung kein Anspruch auf bezahlte Freistellung zustehen. Ein solcher Anspruch auf bezahlte Freistellung beruht in den Fällen des § 45 Abs. 1 in der Regel auf § 616 Satz 1 BGB, kann sich dort aber auch aus Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder dem Arbeitsvertrag selbst ergeben. In den Fällen des Absatzes 4, in denen ein schwerstkrankes Kind für mehrere Wochen oder gar Monate betreut oder gepflegt werden soll, kommt ein vorrangiger arbeitsrechtlicher Anspruch auf bezahlte Freistellung dagegen nur ausnahmsweise in Betracht284. Als Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber genügt eine Bescheinigung über das Bestehen eines Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld 279 Vgl. den Ausschussbericht in: BT-Drs. 14/9585, S. 4 280 Vgl. z.B. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 80; Kemper, in: juris PK- Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kapitel 20.2 Rn. 24; Berchtold, in: BeckOK SGB V, § 45 Rn. 27; Joussen, in: Becker/Kingreen, § 45 SGB V Rn. 8 281 Az 3 RK 56/79 – SozR 2200, § 185c RVO Nr. 2 282 Vgl. BT-Drs. 14/9585, S. 4 283 Zu den Voraussetzungen des zeitlich unbegrenzten Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld bei schwerstkranken Kindern nach § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 S. 2 SGB V und §§ 10 Abs. 4, 44 Abs. 2 SGB V vgl. eingehend oben zu Gliederungspunkt 2.4 284 Vgl. hierzu näher unten zu Gliederungspunkt 3.2 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 56 nach Absatz 4. Zu diesem Zweck muss die Krankenkasse eine Bescheinigung über die Dauer der Krankengeld-Gewährung ausstellen285. 3.1.3. Unberechtigte Inanspruchnahme des Freistellungsanspruchs (§ 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 SGB V) Bleibt der beschäftigte Versicherte seinem Arbeitsplatz unter Berufung auf einen Freistellungsanspruch nach § 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Absatz 3 Satz 1 SGB V fern, bevor die Krankenkasse ihre Leistungsverpflichtung nach Abs. 4 anerkannt hat, und stellt sich im Nachhinein heraus, dass der Versicherte zu Unrecht einen Fall des Absatz 4 angenommen hat, so hat er nicht nur keinen Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld. Arbeitsrechtlich hat dieser Irrtum gemäß § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB V zur Folge, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, die gewährte Freistellung von der Arbeitsleistung auf einen späteren Freistellungsanspruch zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines schwerstkranken Kindes anzurechnen. Aus dieser Berechtigung folgt im Umkehrschluss zugleich, dass der Arbeitgeber keine anderen Maßnahmen wegen der objektiv vorliegenden Verletzung der Arbeitspflicht unternehmen, insbesondere nicht abmahnen oder gar kündigen kann. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn das Fernbleiben offensichtlich unbegründet war und festgestellt werden kann, dass der Versicherte seine Rechte bewusst zu Lasten des Arbeitgebers missbraucht hat. In diesem Fall kann der Arbeitgeber nicht auf seine Möglichkeit nach § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB V verwiesen werden286. Wenngleich der Gesetzeswortlaut des § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB V auch die gegenteilige Auslegung zulässt, wird eine Befugnis des Arbeitgebers zur Verrechnung von Freistellungtagen selbst dann anerkannt werden müssen, wenn es im Zeitpunkt der Freistellung nicht nur an der Entscheidung der Krankenkasse, sondern zugleich an der Stellung eines Leistungsantrags gefehlt hat287. Dass die Verrechnung zu unterbleiben hat, wenn der Arbeitgeber die Voraussetzungen für einen Freistellungsanspruch nicht geprüft hat und sich nicht hat nachweisen lassen288, lässt sich dem Gesetz dagegen nicht entnehmen. Die diesbezüglichen Anforderungen an den Arbeitgeber dürfen auch in Anbetracht des Umstandes, dass ein unabdingbarer Anspruch des Versicherten auf die begehrte Freistellung besteht (§ 45 Abs. 3 Satz 3 SGB V), nicht überspannt werden. Üblicherweise wird sich der Arbeitgeber auf die Angabe des Versicherten, das Kind sei betreuungsbedürftig erkrankt und die Vorlage einer Bescheinigung werde in Kürze erfolgen, verlassen dürfen289. Um überhaupt Streitigkeiten zu vermeiden, muss der versicherte Arbeitnehmer über die gesetzliche Regelung umfassend informiert werden. Diese Informationspflicht trifft auch die Krankenkassen. 285 Vgl. Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB Rn. 29 286 Vgl. Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 45 SGB V Rn. 10; Waltermann, in: Kommentar zum Sozialrecht , § 45 SGB V Rn. 2 287 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V, Rn. 84; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 35; Marschner, in: Gemeinschaftskommentar-SGB V, § 45 Rn. 21 288 So etwa Marschner, in: Gemeinschaftskommentar-SGB V, § 45 Rn. 21 289 Vgl. Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 35 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 57 Gleichzeitig müssen die Krankenkassen bedacht sein, ihre Entscheidungen in den Fällen des § 45 SGB V schnell zu treffen290. 3.1.4. Unabdingbarkeit des Freistellungsanspruchs (§ 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 SGB V) Durch die Bestimmung des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB V, die aufgrund der Verweisung in Abs. 4 Satz 3 auch in den Fällen des Absatzes 4 gilt, wird klargestellt, dass der Freistellungsanspruch nach Abs. 3 Satz 1 auf zwingendem Recht beruht. Er kann daher nicht durch Vertrag (Tarifvertrag, Einzelarbeitsvertrag) ausgeschlossen oder beschränkt werden291. 3.1.5. Freistellungsanspruch nicht versicherter Arbeitnehmer (§ 45 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 SGB V) § 45 Abs. 5 SGB V enthält seit dem 1. August 2002292 eine noch weitergehende Regelung zur unbezahlten Freistellung und dehnt den arbeitsrechtlichen Anspruch auch auf Arbeitnehmer aus, die nicht mit Anspruch auf Krankengeld nach § 44 SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind293. Eine Beziehung zum Krankenversicherungs-Recht besteht in diesen Fällen nur insofern, als die Freistellung vom Vorliegen der Voraussetzungen abhängig ist, die in § 45 Abs. 1 bzw. Abs. 4 für Arbeitnehmer mit Anspruch auf Krankengeld nach § 44 SGB V aufgestellt werden294. Nicht versichert mit Anspruch auf Krankengeld sind zum einen Arbeitnehmer, die der GKV überhaupt nicht angehören. Dies sind namentlich Arbeitnehmer, die z.B. wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V oder wegen der Geringfügigkeit ihrer Beschäftigung gemäß §§ 7 SGB V, 8, 8a SGB IV versicherungsfrei oder die gemäß § 8 SGB V von der Versicherungspflicht befreit sind295. Anspruchsberechtigt nach § 45 Abs. 5 SGB V sind darüber hinaus aber auch gesetzlich Krankenversicherte, die nach § 44 Abs. 2 SGB V keinen Anspruch auf Krankengeld haben. Damit räumt § 45 Abs. 5 SGB V nunmehr allen Arbeitnehmern gleichermaßen einen gesetzlichen Anspruch auf unbezahlte Freistellung zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten Kindes ein, solange sie – mit Ausnahme der Mitgliedschaft in der Krankengeld-Versicherung und von der Kasse getroffener Feststellungen – die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 290 Vgl. Vay, in: Wagner/Knittel, § 45 SGB V Rn. 31 291 So bereits der frühere § 185c Abs. 3 S. 3 RVO; vgl. hierzu die Begründung im Regierungsentwurf zum Gesetz zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Leistungsverbesserungsgesetz – KLVG), in: BT-Drs. 7/377, S. 5 292 Zur Einführung des § 45 Abs. 5 SGB V durch Art. 1 des Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26. Juli 2002 (BGBl. I S. 2872) mit Wirkung vom 1. August 2002 vgl. bereits oben zu Gliederungspunkt 3.1.1 293 Vgl. Höfler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB V Rn. 22a; Joussen, in: Becker /Kingreen, § 45 SGB V Rn. 10; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 76 294 Zur Beschränkung des anspruchsberechtigten Personenkreises in § 45 Abs. 1 und 4 SGB V auf Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach § 44 SGB V vgl. oben eingehend zu Gliederungspunkt 2.4.1.2 295 Vgl. Waltermann, in: Kommentar zum Sozialrecht, § 45 SGB V Rn. 2; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht , § 45 SGB V Rn. 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 58 bzw. Abs. 4 erfüllen296. Ziel der Regelung ist – wie bereits erwähnt – die Gleichstellung aller Arbeitnehmer 297. Rechtstechnisch wird auf diese Weise § 275 Abs. 3 BGB verdrängt298. Nunmehr greift aber ohnehin das Gesetz über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz – PflegeZG) vom 28. Mai 2008299. 3.2. Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung 3.2.1. Überblick Nach § 45 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 geht ein Anspruch auf bezahlte Freistellung dem Anspruch auf unbezahlte Freistellung gemäß § 45 Abs. 3 oder Abs. 5 SGB V vor. Ein Anspruch auf bezahlte Freistellung im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, soweit dem Versicherten wegen der Beaufsichtigung , Betreuung oder Pflege seines erkrankten Kindes ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts zusteht. Der Vorrang arbeitsrechtlicher Regelungen gilt grundsätzlich auch in den Fällen des Absatzes 4, wird aber bei schwerstkranken Kindern mit nur noch begrenzter Lebenserwartung selten zum Tragen kommen, da das Arbeitsrecht die Freistellung unter dem Gesichtspunkt der auf persönlichen Gründen beruhenden vorübergehenden Arbeitsverhinderung behandelt. Arbeitsverhinderungen, die über die Zeitgrenzen des § 45 Abs. 2 SGB V wesentlich hinausgehen, können aber in der Regel nicht mehr als vorübergehend betrachtet werden 300. 3.2.2. Der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 616 Satz 1 BGB als Rechtsgrundlage eines Anspruchs auf bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung i.S.d. § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V Als Rechtsgrundlage eines Anspruchs auf bezahlte Freistellung kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts insbesondere § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB in Betracht, soweit dessen Anwendung nicht durch Einzel- oder Kollektivverträge abbedungen worden ist301. Ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts kann sich aber auch aus Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder dem Arbeitsvertrag selbst ergeben302. Nach § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB ist das Ar- 296 Vgl. Berchtold, in: BeckOK SGB V, § 45 Rn. 28; Joussen, in: Becker/Kingreen, § 45 SGB V Rn. 10 297 Vgl. BT-Drs. 14/9585, S. 4 298 Vgl. Joussen, in: Becker/Kingreen, § 45 SGB V Rn. 10; Kleinebrink, Der Freistellungs- und Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers bei Erkrankung eines Kindes nach dem SGB V, in: ArbRB 2006, S. 303; siehe jedoch auch Schulz/Kießling, Entgeltfortzahlung bei Erkrankung von Kindern von Arbeitnehmern, in: Der Betrieb (DB), 2006, S. 838 ff. 299 BGBl. I S. 874, 896 300 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 86 mit weiteren Nachweisen 301 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 87 und 91; Sabel, Entgeltfortzahlungsanspruch bei Erkrankung eines Kindes, in: Wege zur Sozialversicherung (WzS), Zeitschrift, 1981, 225 (227 f.); zur Abdingbarkeit im Einzelnen vgl. Linck, Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers aus persönlichen Gründen , in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 97 Rn. 29 f. 302 Vgl. etwa Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 36 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 59 beitsentgelt für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit fortzuzahlen, wenn der Arbeitnehmer durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert ist. Ein subjektiv persönliches Leistungshindernis i.S.d. Vorschrift liegt nicht nur dann vor, wenn dem Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung aus persönlichen Gründen im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB tatsächlich unmöglich ist, sondern auch dann, wenn ihm gemäß § 275 Abs. 3 BGB die Erbringung der Arbeitsleistung aus übergeordneten rechtlichen oder sittlichen Gründen nach Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) nicht zugemutet werden kann303. Als ein persönlicher Grund im Sinne des § 616 Satz 1 BGB ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes auch die Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes anzusehen304. Der Arbeitspflicht aus § 611 BGB steht in diesen Fällen die grundsätzlich höherrangige Verpflichtung der Eltern zur Sorge um das erkrankte Kind aus den §§ 1626, 1627 BGB gegenüber305. Streitig ist, ob der Anspruch nach § 616 Satz 1 BGB ein bestimmtes Höchstalter des zu betreuenden oder zu pflegenden Kindes voraussetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes und einem Teil des Schrifttums besteht der Anspruch nur für die Betreuung bzw. Pflege von Kindern im Alter von bis zu acht306 bzw. zwölf Jahren307. Begründet wird dies mit einer Analogie zu § 45 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGB V, wonach ein Anspruch auf Kinderpflege- Krankengeld gegen die Krankenkasse bei Betreuung eines kranken Kindes nur bis zu dessen zwölftem Lebensjahr besteht. Demgegenüber vertritt ein anderer Teil des Schrifttums die Auffassung , es bestehe keine Altersbegrenzung, da der arbeitsrechtliche und der sozialversicherungsrechtliche Anspruch strikt zu trennen seien308. Bei der Beantwortung der Frage, was unter einer „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ im Sinne des § 616 Satz 1 BGB zu verstehen ist, hat sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als „Anhaltspunkt“ zur Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs stets an der Regelung in § 185c Abs. 2 RVO309 und der ursprünglichen Fassung des § 45 Abs. 2 SGB V310 orientiert 303 Vgl. Bundesarbeitsgericht, Arbeitsrechtliche Praxis (AP), Nr. 58 zu § 616 BGB = NJW 1983, 1179; Dörner, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 616 BGB Rn. 4; Krause, in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 616 BGB Rn. 13 304 Vgl. etwa Bundesarbeitsgericht, in: Arbeitsrechtliche Praxis (AP), BGB, § 616 Nr. 49 und 50 305 Vgl. Krause, in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 616 BGB Rn. 23 306 So Sowka, Freistellungspflichten des Arbeitgebers zur Ermöglichung der Pflege eines kranken Kindes, in: Recht der Arbeit (RdA), Zeitschrift, 1993, 34 (35) unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 19. April 1978, 5 AZR 834/76, Arbeitsrechtliche Praxis (AP), Nr. 48 zu § 616 BGB 307 So wohl Linck, Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers aus persönlichen Gründen, in: Schaub, Arbeitsrechts- Handbuch, § 97 Rn. 16 ebenfalls unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 19. April 1978, 5 AZR 834/76. In diesem Urteil hat sich das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich auf § 185c Abs. 1 RVO als Anhaltspunkt berufen, was dafür spricht, nunmehr § 45 Abs. 1 SGB V heranzuziehen, also von einer Altersgrenze von zwölf Jahren auszugehen. 308 So z.B. Erasmy, Arbeitsrechtliche Auswirkungen der Neuregelung des Kinderkrankengeldes in § 45 SGB V, in: NZA 1992, 921 (923); Kießling/Jünemann, Dienstbefreiung, Entgeltfortzahlung und Kündigung bei der Erkrankung von Kindern, in: Der Betrieb (DB) 2005, 1684 (1687) 309 Vgl. hierzu oben zu Gliederungspunkt 2.2.1.1 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 60 und einem Arbeitnehmer für die Dauer von fünf Tagen einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung aus § 616 Satz 1 BGB zugestanden311. Dieser von der Rechtsprechung festgelegte Zeitraum ist auch nach Verdoppelung der Bezugsdauer des Kinderpflege-Krankengeldes von fünf auf zehn Arbeitstage durch das am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuches vom 20. Dezember 1991312 beizubehalten313. Ein Rückschluss von der sozialversicherungsrechtlichen Regelung des Kinderpflege-Krankengeldes in § 45 SGB V auf die Dauer des arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 616 Satz 1 BGB begegnet schon methodischen Bedenken314. Darüber hinaus erfolgte die Verdoppelung der Bezugsdauer des Kinderpflege-Krankengeldes – wie oben315 näher dargelegt – aus familienpolitischen Gründen und kann schon deshalb nicht auf das Arbeitsrecht übertragen werden 316. Dieses wird nicht zuletzt an der Privilegierung der Alleinerziehenden deutlich, für die es in § 616 S. 1 BGB keinen Anhaltspunkt gibt317. Die Gesetzesmaterialien zur Änderung des § 45 Abs. 2 SGB V318 lassen nicht erkennen, dass zugleich mit der Ausdehnung des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld auch an eine entsprechende Verlängerung des arbeitsrechtlichen Anspruchs aus § 616 Satz 1 BGB gedacht war. 310 Zur ursprünglichen Fassung des § 45 Abs. 2 SGB V durch das Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988 mit Wirkung vom 1. Januar 1989 vgl. oben zu Gliederungspunkt 2.2.1.2 311 Vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. April 1978, 5 AZR 834/76, Arbeitsrechtliche Praxis (AP), Nr. 48 zu § 616 BGB = BAGE 30, 240 = NJW 1978, 2316; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Juni 1978, 5 AZR 466/77, Arbeitsrechtliche Praxis (AP), Nr. 49 zu § 616 BGB = BAGE 30, 339; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. Mai 1992, 2 AZR 10/92, Arbeitsrechtliche Praxis (AP), Nr. 29 zu § 1 Kündigungsschutzgesetz 1969, Verhaltensbedingte Kündigung 312 BGBl. I S. 2325; zur Verlängerung der Bezugsdauer des Kinderpflege-Krankengeldes durch das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB V vom 20. Dezember 1991 mit Wirkung vom 1. Januar 1992 vgl. oben eingehend zu Gliederungspunkt 2.2.1.3 313 Vgl. Kruse, in: LPK-SGB V, § 45 Rn. 16; Erasmy, Arbeitsrechtliche Auswirkungen der Neuregelung des Kinderkrankengeldes in § 45 SGB V, in: NZA 1992, 921 (922 ff.); Krause, in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 616 BGB Rn. 42; Kleinebrink, Der Freistellungs- und Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers bei Erkrankung eines Kindes nach dem SGB V, in: ArbRB 2006, 303 (305); Pepping, in: Rancke, Mutterschutz/Elterngeld/Elternzeit, § 616 BGB Rn. 10; Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 45 Rn. 36; demgegenüber vertritt Schmidt (in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 87a) die Auffassung, seit dem 1. Januar 1992 sei mit Rücksicht auf die Neugestaltung des § 45 Abs. 2 S. 1 SGB V nunmehr von 10 Tagen auszugehen 314 So aber – wie dargelegt – das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 19. April 1978, 5 AZR 834/76, Arbeitsrechtliche Praxis (AP), Nr. 48 zu § 616 BGB; dagegen mit beachtlichen Argumenten Kießling/Jünemann, Dienstbefreiung , Entgeltfortzahlung und Kündigung bei der Erkrankung von Kindern, in: DB 2005, 1684 (1687) und Erasmy, Arbeitsrechtliche Auswirkungen der Neuregelung des Kinderkrankengeldes in § 45 SGB V, in: NZA 1992, 921 (922 ff.) 315 Vgl. oben zu Gliederungspunkt 2.2.1.3 316 So zu Recht Erasmy, Arbeitsrechtliche Auswirkungen der Neuregelung des Kinderkrankengeldes in § 45 SGB V, in: NZA, 1992, 921 (923); Pepping, in: Rancke, Mutterschutz/Elterngeld/Elternzeit, § 616 BGB Rn. 10 317 So zu Recht Kraus, in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 616 BGB Rn. 42 318 Vgl. hierzu näher oben zu Gliederungspunkt 2.2.1.3 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 61 Dafür, dass eine solche Verlängerung nicht in Betracht kommt, spricht insbesondere der Wortlaut des § 616 Satz 1 BGB. Von einer „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ kann nicht die Rede sein, wenn ein Arbeitnehmer für eine Dauer, die immerhin etwa ein Drittel des üblichen Jahresurlaubs ausmacht, zur Pflege eines kranken Kindes der Arbeit unter Fortzahlung seines Entgelts fernbleibt319. Dafür, dass der arbeitsrechtliche Anspruch auf bezahlte Freistellung bei Fehlen einer weiterreichenden tarif- oder arbeitsvertraglichen Regelung auch weiterhin auf eine Dauer von nur fünf Arbeitstagen zu beschränken ist, spricht darüber hinaus noch Folgendes: Da ein Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung nach § 45 Abs. 3 SGB V nur in Betracht kommt, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht, würden bei einer Übereinstimmung des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 616 Satz 1 BGB mit dem sozialversicherungsrechtlichen Anspruch auf Kinderpflege-Krankengeld nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB V die Krankenkassen zu Unrecht zu Lasten der Arbeitgeber entlastet. Der Anspruch aus § 45 Abs. 1 und 2 SGB V würde in einem solchen Fall regelmäßig leerlaufen. Auch dieses spricht gegen eine Übereinstimmung der Anspruchsdauer320. Im Regelfall ist folglich mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für Kinder im Alter von bis zu zwölf Jahren ein Zeitraum von bis zu fünf Tagen als verhältnismäßig angemessene Zeit im Sinne des § 616 Satz 1 BGB anzusehen321. Abhängig vom Einzelfall (z.B. Alter des Kindes, Art und Schwere der Erkrankung) kann der Zeitraum ausnahmsweise aber auch kürzer oder länger ausfallen322. 3.2.3. Bedeutung des Entgeltfortzahlungsanspruches nach § 616 Satz 1 BGB für die Fälle des § 45 Abs. 4 SGB V Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass ein gegenüber dem Anspruch auf unbezahlte Freistellung nach § 45 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 SGB V vorrangiger Anspruch auf bezahlte Freistellung gemäß § 616 Satz 1 BGB in Fällen, in denen ein schwerstkrankes Kind für mehrere Wochen oder gar Monate betreut oder gepflegt werden soll, allenfalls ausnahmsweise in Frage kommen wird323. 319 Vgl. Kruse, in: LPK-SGB V, § 45 Rn. 16 320 So zu Recht Gaul, Der Musterarbeitsvertrag – zwischen unternehmerischer Vorsorge und den Vorgaben des Nachweisgesetzes, in: NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 3, S. 51 (61); Pepping, in: Rancke, Mutterschutz /Elterngeld/Elternzeit, § 616 BGB Rn. 10 321 Vgl. Erasmy, Arbeitsrechtliche Auswirkungen der Neuregelung des Kinderkrankengeldes in § 45 SGB V, in: NZA 1992, 921 (923); Dörner, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 616 BGB Rn. 9; Kießling/Jünemann, Dienstbefreiung, Entgeltfortzahlung und Kündigung bei der Erkrankung von Kindern, in: DB 2005, 1684 (1687); Krause, in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 616 BGB Rn. 42; Sowka, Freistellungspflichten des Arbeitgebers zur Ermöglichung der Pflege eines kranken Kindes, in: Recht der Arbeit (RdA) 1993, 34 (35), der einen Anspruch aus § 616 Satz 1 BGB allerdings nur bis zum achten Lebensjahr des Kindes gewähren will. 322 Vgl. Pepping, in: Rancke, Mutterschutz/Elterngeld/Elternzeit, § 616 BGB Rn. 10 323 Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 45 SGB V Rn. 86 und 87a Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 62 4. Literaturverzeichnis Becker, Ulrich/ Kingreen, Thorsten, (Hrsg.), SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, Kommentar , 2. Auflage 2010, Verlag C. H. Beck, München Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, herausgegeben von Christian Rolfs, Richard Gießen, Ralf Kreikebohm und Peter Udsching, Stand: 1. Oktober 2010, Edition 19, Verlag C. H. Beck, München Erasmy, Walter, Arbeitsrechtliche Auswirkungen der Neuregelung des Kinderkrankengeldes in § 45 SGB 5, in: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 1992, S. 921-924 Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, herausgegeben von Rudi Müller-Glöge, Ulrich Preis und Ingrid Schmidt, 10. Auflage 2010, Verlag C. H. Beck, München Faßhauer, Jochen, Rechtsfragen zur unbezahlten Freistellung, in: NZA 1986, S. 453-457 Fischwasser, Gerd, Das Gesetz zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung , in: Bundesarbeitsblatt, Zeitschrift, 1974, S. 61 – 66 Gaul, Björn, Der Musterarbeitsvertrag – zwischen unternehmerischer Vorsorge und den Vorgaben des Nachweisgesetzes, in: NZA 2000, S. 51-64 (Sonderbeilage zu Heft 3) Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung: GK-SGB V, herausgegeben von Bernd Baron von Maydell, Loseblattwerk, Stand: 84. Ergänzungslieferung Oktober 2002, Luchterhand, Neuwied Gerlach,Werner/Richter, Christine, Die Krankenversicherung in den neuen Bundesländern: Neues Leistungsrecht im Überblick, in: DOK: Politik/Praxis/Recht, Zeitschrift, 1991, S. 45 – 53 Hauck, Karl/Noftz, Wolfgang (Hrsg.), SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, Kommentar, Loseblattwerk , Stand: Mai 2010, Erich Schmidt Verlag, Berlin Henssler, Martin/Willemsen, Josef/Kalb, Heinz-Jürgen (Hrsg.), Arbeitsrecht-Kommentar, 4. Auflage 2010, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln juris PraxisKommentar, SGB V, Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung –, herausgegeben von Rainer Schlegel und Klaus Engelmann, juris GmbH, Saarbrücken 2008 juris PraxisKommentar, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, herausgegeben von Franz-Josef Düwell, Kristina Göhle-Sander und Wolfhard Kohte, juris GmbH, Saarbrücken 2009 Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, herausgegeben von Stephan Leitherer, Loseblattwerk , Stand: 64. Ergänzungslieferung, 1. Januar 2010, Verlag C. H. Beck, München Kießling, Erik/Jünemann, Michael, Dienstbefreiung, Entgeltfortzahlung und Kündigung bei der Erkrankung von Kindern, in: Der Betrieb, Wochenschrift für Betriebswirtschaft/Steuerrecht/Wirtschaftsrecht /Arbeitsrecht (DB), 2005, S. 1684 - 1690 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 63 Kleinebrink, Wolfgang, Der Freistellungs- und Vergütungsanspruch des Arbeitsnehmers bei Erkrankung eines Kindes nach dem SGB V, in: Der Arbeits-Rechts-Berater (ArbRB), Zeitschrift, 2006, S. 303 – 306 Kommentar zum Sozialrecht: EWG-VO 1408/71, SGB I bis SGB XII, SGG, BAföG, BEEG, WoGG, Beck’scher Kurzkommentar, Band 63, herausgegeben von Ralf Kreikebohm, Wolfgang Spellbrink und Raimund Waltermann, Verlag C. H. Beck, München 2009 Lehr- und Praxiskommentar zum Sozialgesetzbuch V: Gesetzliche Krankenversicherung, herausgegeben von Jürgen Kruse und Andreas Hänlein, 3. Auflage 2009, Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Maassen, Hans J./Schermer, Joachim/Wiegand, Dietrich (Hrsg.), Sozialgesetzbuch SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung – GKV – Kommentar und SGB XI – Soziale Pflegeversicherung – Pflege V-Kommentar, Loseblattwerk, 141. Auflage 2006, R. v. Decker Verlag, Heidelberg Marburger, Horst, Zu den Ansprüchen bei Erkrankung eines Kindes aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht, in: Recht der Arbeit (RdA), Zeitschrift für die Wissenschaft und Praxis des gesamten Arbeitsrechts, 1993, S. 31 – 34 Niemann, Frank, Die Kodifizierung des Behinderten- und Rehabilitationsrechts im SGB IX – Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, in: Neue Zeitschrift für Sozialrecht (NZS), Monatsschrift für die anwaltliche, betriebliche, behördliche und gerichtliche Praxis, 2001, S. 583 – 587 Ortwein, Heinz/Gruber, Claudia, Pflegekrankengeld von unbegrenzter Dauer?, in: Die Sozialgerichtsbarkeit , Zeitschrift, 1994, S. 271 – 274 Peters, Horst (Hrsg.), Handbuch der Krankenversicherung Teil II – Sozialgesetzbuch V, ausführliche Erläuterungen zum Fünften Buche des Sozialgesetzbuchs und zu weiteren die Krankenversichrung betreffenden Gesetzen, 19. Auflage, Loseblattwerk, Stand: 73. Ergänzungslieferung, 1. Oktober 2009, Verlag W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Picard, Ernst, Das Leistungsverbesserungsgesetz, in: Die Ortskrankenkasse, Zeitschrift, 1974, S. 2 – 13 Rancke, Friedbert (Hrsg.), Mutterschutz/Elterngeld/Elternzeit, Handkommentar, 1. Auflage 2007, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Sabel, Entgeltfortzahlungsanspruch bei Erkrankung eines Kindes, in: Wege zur Sozialversicherung (WzS), Zeitschrift, 1981, S. 225 ff Schaub, Günter, Arbeitsrechts-Handbuch: Systematische Darstellung und Nachschlagewerk für die Praxis, 13. Auflage 2009, Verlag C. H. Beck, München Schulz, Manuela/Kießling, Erik, Entgeltfortzahlung bei Erkrankung von Kindern von Arbeitnehmern , in: Der Betrieb (DB), Wochenschrift für Betriebswirtschaft/Steuerrecht/Wirtschaftsrecht/ Arbeitsrecht, 2006, S. 838 – 842 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 155/10 Seite 64 Sowka, Hans-Harald, Freistellungspflichten des Arbeitgebers zur Ermöglichung der Pflege eines kranken Kindes, in: Recht der Arbeit (RdA) 1993, S. 34-35 Straub, Fritz, Krankengeld und Fernbleiben von der Arbeit wegen eines kranken Kindes, in: Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch (ZfSH/SGB), Monatszeitschrift für Sozialrecht, Sozialgesetzbuch (SGB), Arbeitsrecht, Sozialhilfe, Wohlfahrtspflege und verwandte Gebiete, 1993, S. 190 – 194 Töns, Hans, Familie und Haushalt des Kranken als Ort, Rahmen und Voraussetzung von Leistungen der Krankenhilfe, in: Die BKK, Zeitschrift der betrieblichen Krankenversicherung, herausgegeben vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen, 1986, S. 273 – 278 Wagner, Regine/Knittel, Stefan (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Kommentar , Loseblattwerk, Stand: November 2009, Verlag C. H. Beck, München 5. Anlagenverzeichnis Text der §§ 44 bis 47 und 49 SGB V in seiner derzeit gültigen Fassung, abrufbar im Internet über: http://www.juris.de - Anlage 1 – Gemeinsame Verlautbarung betreffend das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Rundschreiben 02 h) der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13. August 2002, dem Unterzeichner mit Schreiben vom 24. September 2010 von GKV-Spitzenverband , Abteilung Gesundheit, zugleitete Fassung - Anlage 2 –