Deutscher Bundestag Selbstbeteiligung als Steuerungselement im Gesundheitswesen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 9 – 3000-142/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 2 Selbstbeteiligung als Steuerungselement im Gesundheitswesen Aktenzeichen: WD 9 – 3000-142/10 Abschluss der Arbeit: 06. September 2010 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Steuerungselemente in der GKV 4 3. Entwicklung der Selbstbeteiligung im Rahmen der Gesetzgebung zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 7 4. Zu den Wirkungen der Selbstbeteiligungsreglungen 8 5. Zuzahlungen im Ausland 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 4 1. Zusammenfassung In der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind in den vergangenen Jahren verschiedene Veränderungen mit dem Ziel erfolgt, die Kosten zu begrenzen, die Qualität zu steigern und mehr Wettbewerb/Transparenz zu schaffen. Dazu sollten u.a. veränderte Vergütungs- und Versorgungsstrukturen und die Möglichkeit zum Abschluss gesonderter Rabatt- und Versorgungverträge dienen . Außerdem wurde die Grenze zwischen stationärer und ambulanter Behandlung durchlässiger gestaltet. Daneben wurde das Instrument der Selbstbeteiligung der Versicherten ausgebaut. Die Selbstbeteiligung der Versicherten wurde wiederholt neugestaltet. Die wichtigsten Änderungen betreffen den Zahnersatz, die Einführung der Praxisgebühr beim Besuch von Ärzten /Zahnärzten sowie die Kostenbeteiligung bei stationärer Behandlung. Mit der Selbstbeteiligung wurden aus sozialen Gründen bestimmte Freistellungsformen / Höchstgrenzen verbunden. Es besteht dennoch weitgehend Konsens, dass von der Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln und der Praxisgebühr besonders einkommensschwache sowie Versicherte mit schlechtem Gesundheitszustand betroffen sind. Einige Autoren vermuten darüber hinaus negative Folgewirkungen durch unterbliebene rechtzeitige Behandlung. Mehrere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die erwartete Steuerungswirkung der Selbstbeteiligung in der bisherigen Form gering ist, bzw. nicht festgestellt werden kann. Selbstbeteiligung hätte in diesem Fall eine reine Finanzierungsfunktion. 2. Steuerungselemente in der GKV In der GKV gibt es mit dem Bundesgesetzgeber, den Bundesländern und der Selbstverwaltung eine Reihe von Akteuren, die Einfluss auf die Gestaltung des Gesamtsystems haben. Im Rahmen der Rechtsänderungen der vergangenen Jahre sind verschiedene Elemente zur Steuerung genutzt worden. Ziel war es insbesondere, die Kosten zu begrenzen und eine Leistungsverbesserung zu erreichen. Dazu führte man unter anderem Wettbewerbselemente ein. Zu den Regelungen gehören - Leistungseinschränkungen und -ausgrenzungen: z.B. bei Bagatellarzneimitteln, Brillen, Zahnersatz -Kapazitätsregelungen wie Regelleistungsvolumina und Krankenhausbudgets - Einkommens- und Preisregelungen wie der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM), Fallpauschalen (DRGs) oder Festbetragsreglungen - Strukturentscheidungen wie Hausarztverträge, Selektivverträge, Rabattverträge oder die Einführung der Integrierten Versorgung - Maßnahmen der Qualitätssicherung -. sowie Selbstbeteiligungsregeln. Ein schematischer Überblick ist auch den Anlage 1a und 1b zu entnehmen. Für die ärztliche Versorgung zahlt jede Krankenkasse den Kassenärztlichen Vereinigungen für die gesamte vertragsärztliche Versorgung eine Gesamtvergütung, die sich aus Kopfpauschalen, Einzelleistungen, Kosten und Sonderverträgen errechnet. Die Summe dieses Gesamtvertrags ist dadurch begrenzt, dass sie nur um maximal den gleichen Betrag steigen darf, um den sich die Grundlohnsumme im Vorjahr erhöht hat. Die bisherigen Honorarbudgets wurden 2009 durch Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 5 facharztgruppenspezifische, fallbezogene Regelleistungsvolumina ersetzt. Außerdem wurde die morbiditätsorientierte Gesamtvergütung eingeführt. Auf Landesebene wird der Behandlungsbedarf ermittelt. Dieser errechnet sich aus Zahl und Morbiditätsstruktur der Versicherten, wird mit den regionalen Punktwerten bewertet und um einen nicht vorhersehbaren Anstieg des morbiditätsorientierten Behandlungsbedarfs ergänzt. Dieses System führt dazu, dass das Risiko der Mengenausweitung durch unvorhergesehene Ereignisse (z.B. durch eine Grippewelle) nicht mehr vom Arzt, sondern von den Krankenkassen getragen wird. Eine Kosten- und Mengensteuerung soll durch Anreizmechanismen in der Gebührenordnung sowie durch die Regelleistungsvolumina erfolgen, die mengen- und praxisbezogene Preisabstaffelungen sicherstellen sollen. Der Bewertungsausschuss hat mit dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) eine neue Gebührenordnung gebildet. Ab 2010 sollen außerdem besondere Orientierungswerte mit Preisanreizen für Gebiete mit Über-und Unterversorgung hinzu kommen, um das Niederlassungsverhalten der Ärzte zu steuern. Wettbewerbselemente wurden durch die hausarztzentrierte Versorgung und durch Selektivverträge eingeführt. Krankenkassen können mit besonders qualifizierten Hausärzten Direktverträge schließen. Dabei sind Mindestanforderungen wie die Teilnahme an strukturierten Qualitätszirkeln zur Arzneimitteltherapie oder die Behandlung nach evidenzbasierten Leitlinien einzuhalten . Bei Selektivverträgen ist die Kassenärztliche Vereinigung nicht am Vertrag beteiligt. Dabei steht der einzelne Arzt mit der Krankenkasse in einer Vertragsbeziehung. Neben den Richtgrößen für die Verordnungskosten wird die Therapiefreiheit der Ärzte durch Zielvereinbarungen zum Verordnungsverhalten und durch Therapiehinweise eingeschränkt. Bei Arzneimitteln mit hohen Jahreskosten kann ein Zweitmeinungsverfahren durchgeführt werden. Der Arzneimittelmarkt wird in vielfältiger Form reguliert. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung durch die GKV ausgeschlossen. Mittel, die therapeutisch unwirksam , wenig wirksam oder unwirtschaftlich sind, werden vom Gemeinsamen Bundesausschuss in einer Negativliste festgehalten und sind nicht verordnungsfähig. Der überwiegende Teil der Arzneimittel unterliegt Festbetragsregelungen. Wird ein anderes Mittel verordnet, sind die Mehrkosten vom Versicherten zu tragen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt Festbetragsgruppen fest. In einem zweiten Schritt kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen für Arzneimittel einer Gruppe Festbeträge bestimmen. Bei innovativen Arzneimitteln kann aufgrund einer Kosten-Nutzen-Bewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) durch den Spitzenverband Bund ein Höchstbetrag festgelegt werden . Mit dem GKV-Änderungsgesetz wurden die Preise für Arzneimittel bis Ende 2013 auf den Stand vom 1.August 2009 eingefroren. Für Arzneimittel, für die es keine Festbeträge gibt, sind den gesetzlichen Kassen von den Herstellern statt bisher 6% Abschlag 16% zu gewähren. Darüber hinaus können Krankenkassen mit Herstellern Rabattverträge schließen und damit Preisnachlässe erzielen. Hersteller haben nach § 130 a SGB V Abschläge auf Arzneimittel in unterschiedlicher Höhe zu gewähren. Es gibt Regelungen für Großhandelspreise und für die Preisgestaltung der Apotheken Diese müssen darüber hinaus statt eines verordneten ein wirkungsgleiches, preisgünstigeres Mittel abgeben (Aut-Idem-Regelung). Sie sind auch zur Abgabe preisgünstiger importierter Mittel verpflichtet. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 6 Der Wettbewerb bei den Apotheken wurde durch das GKV-Modernisierungsgesetz verstärkt. Der Mehrbesitz von Apotheken (neben einer Hauptapotheke sind bis zu drei Filialapotheken erlaubt ).sowie der Versandhandel wurden zugelassen. Bis 2003 galt für die Krankenhäuser das Kostendeckungsprinzip. Die laufenden Betriebs- und Personalkosten wurden weitgehend von den Krankenkassen übernommen. Jetzt werden die stationären Leistungen über Fallpauschalen auf der Basis von Diagnostic Related Groups (DRG) vergütet . Diese bilden die durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus geschätzten Kosten ab. Krankenhausträger und Krankenkassen legen gemeinsam orientiert am Leistungsumfang der Vergangenheit die Leistungsmenge eines Krankenhauses fest. In einem zweiten Schritt werden die vom Krankenhaus beantragten DRGs mit dem Versorgungsauftrag, der vom jeweiligen Bundesland festgelegt wird, verglichen. Im Versorgungsauftrag ist unter anderem bestimmt, welche Fachabteilungen ein Krankenhaus unterhalten darf. Aus der Menge der DRGs, die mit dem Landesbasisfallwert multipliziert wird, wird das jährliche Krankenhausbudget errechnet. Die Regelungen haben in den letzten Jahren zu einer erheblichen Verkürzung der Liegezeiten und zu einem Abbau an Bettenkapazität geführt. Die Bundesländer sind für die Planung der Krankenhäuser zuständig. Ziel der Planung ist die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen und wirtschaftlich selbständigen Krankenhäusern. Die Finanzierung der Investitionskosten erfolgte durch die Bundesländer im Wege der Einzel- und Pauschalförderung. Mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz wurden 2009 den Krankenhäusern zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt. Die Finanzierung der Investitionen durch Einzel- und Pauschalförderung soll durch die Einführung von leistungsorientierten Investitionspauschalen umgestaltet werden. Die Struktur der Krankenkassen wurde durch die Schaffung des Gesundheitsfonds wesentlich beeinflusst. Ziel ist u.a. eine Reduzierung der Zahl der Kassen. Damit sollen Verwaltungsausgaben gesenkt und die Verhandlungsmacht der Kassen gestärkt werden. Der Beitragssatz in der GKV beträgt zur Zeit 14,9%. Davon tragen die Arbeitnehmer 7,9% und die Arbeitgeber 7,0%. Die Kassen erhalten Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds . Dabei werden neben einer Grundpauschale alters-, geschlechts- und risikoadjustierte Zu- und Abschläge berücksichtigt. Der Beitragssatz ist zu erhöhen, wenn die Einnahmen des Fonds die Ausgaben der Krankenkassen sowie für den Aufbau der Liquiditätsreserve im laufenden und im Folgejahr nicht zu 95 % decken. Der Bund leistet für die Abgeltung versicherungsfremder Leistungen für das Jahr 2010 11,8 Mrd. €. Falls die Zuweisungen aus dem Fonds den Finanzbedarf einer Kasse übersteigt, kann diese Prämien an ihre Mitglieder auszahlen. Falls der Finanzbedarf einer Kasse durch die Zuweisungen aus dem Fonds nicht gedeckt ist, hat sie einen Zusatzbeitrag zu erheben. Dieser ist auf 1 % der beitragspflichtigen Einnahmen begrenzt. Der Zusatzbeitrag kann ohne Prüfung erhoben werden, wenn der Betrag 8 € nicht übersteigt. Die Mitglieder haben bei der Erhebung eines Zusatzbeitrags ein Sonderkündigungsrecht. Die Zahl der Krankenkassen hat sich weiter verringert. Am 1.7.2010 gab es in der GKV 163 Krankenkassen . Neben den oben aufgeführten Strukturveränderungen in der GKV wird eine stärkere Verzahnung des stationären und ambulanten Bereichs durch die Förderung ambulanter Operationen, die Öffnung von Krankenhäusern für die ambulante Behandlung im Rahmen hochspezialisierter Leis- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 7 tungen und strukturierter Behandlungsprogramme oder die Integrierte Versorgung (IV) angestrebt . In der Integrierten Versorgung sollen durch die enge Kooperation unterschiedlicher Leistungserbringer die Versorgungsqualität verbessert und die Gesundheitskosten verringert werden. Im Rahmen der Qualitätssicherung sollen die Leistungserbringer Konzepte entwickeln, um kontinuierlich zu einer Verbesserung der medizinischen und ökonomischen Ergebnisse zu kommen. Krankenhäuser sind verpflichtet, ein umfassendes Qualitätsmanagement zu entwickeln. Auch die Vertragsärzte sind gehalten, fachliche Standards und Leitlinien einzuhalten. Für chronisch kranke Menschen besteht die Möglichkeit, an speziellen Programmen (Disease-Management- Programme, DMP) teilzunehmen. Mehr als sechs Millionen Patienten beteiligen sich an diesen strukturierten Programmen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wird mit der erweiterten Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, mit der Bewertung von Behandlungsleitlinien sowie von Operations- und Diagnoseverfahren befasst. Auf der Basis der evidenzbasierten Medizin erarbeitet es Grundlagen für Disease-Management-Programme. Qualitätsmerkmale tragen auch zu einer größeren Transparenz in der Bewertung der Leistungserbringer bei. Größere Transparenz trägt auch zu einer Stärkung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen bei. Das Bundesministerium für Gesundheit geht davon aus, dass mehr Wettbewerb zu mehr Bedarfsgerechtigkeit , besserer Qualität, mehr Effizienz, geringeren Kosten und weniger Bürokratie führt (vgl. Anlage 2). 3. Entwicklung der Selbstbeteiligung im Rahmen der Gesetzgebung zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Zu den Steuerungselementen in der GKV gehören auch die verschiedenen Formen der Selbstbeteiligung .1989 wurde die Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das Sozialgesetzbuch V (SGB V) abgelöst. Mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) aus dem gleichen Jahr wurden u.a. Festbeträge für Arzneimittel und Hilfsmittel, höhere Rezeptgebühren, der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln aus dem Leistungskatalog, die Kürzung des Kassenzuschusses für Brillen, Zuzahlungen (bzw. deren Erhöhung) für Arznei-,Heil- und Hilfsmittel, Zahnersatz, Krankenhausaufenthalte und Fahrtkosten eingeführt. Im Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 wurden die Zuzahlungen der Versicherten bei Zahnersatz sowie bei Arznei- und Heilmitteln erhöht. Außerdem wurde eine Positivliste für Arzneimittel beschlossen. Das Beitragsentlastungsgesetz von 1996 sah die Streichung der Zuschüsse beim Zahnersatz für die Jahrgänge 1979 und jünger sowie des Kassenzuschusses für Brillengestelle vor. Außerdem wurden die Zuzahlungen erhöht. Im 1.GKV-Neuordnungsgesetz von 1997 wurden die Belastungsgrenzen für Zuzahlungen neu geregelt und eine Härtefallregelung für chronisch Kranke eingeführt. Beitragserhöhungen einer Kasse wurden mit der Höhe der Zuzahlungen gekoppelt. Im 2. GKV-Neuordnungsgesetz wurden die Zuzahlungen erhöht, die Kassenzuschüsse für Zahnersatz für Versicherte, die vor 1979 geboren waren, verringert, das Kostenerstattungsprinzip bei Zahnersatz und kieferorthopädischer Be- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 8 handlung von Jugendlichen sowie ein Festzuschuss eingeführt sowie ein befristetes Notopfer von 20 DM für die Finanzierung von Instandhaltungsinvestitionen der Krankenhäuser erhoben. Mit dem GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz 1999 wurden eine Reihe von Maßnahmen der Vorjahre wieder rückgängig gemacht. Eine kieferorthopädische Behandlung erfolgte wieder als Sachleistung . Auch nach 1978 Geborene hatten wieder Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, die Zuzahlungen wurden gesenkt, die Koppelung von Beitragssatzhöhe und Zuzahlung entfiel und das Krankenhaus-Notopfer wurde gestrichen. Im GKV-Modernisierungsgesetz von 2003 war unter anderem die Einführung einer Praxisgebühr in Höhe von 10 € für ärztliche, zahnärztliche und psychotherapeutische Behandlung, eine Erhöhung der Zuzahlungen sowie die Neustrukturierung der Befreiungsregelungen enthalten. Die Versicherten sollten sich für Zahnersatzleistungen privat versichern. Außerdem wurden nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV herausgenommen. Mit dem Gesetz zur Anpassung der Finanzierung von Zahnersatz entfiel die private Zusatzversicherung für Zahnersatz. Stattdessen zahlen die Versicherten einen Sonderbeitrag in Höhe von 0.9% ihres Einkommens. Im Gesetz für mehr Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung wurde 2006 festgelegt, dass die Zuzahlung für Patienten entfällt, wenn der Preis eines Medikaments mindestens 30% unter dem Festbetrag liegt. Nach den geltenden Bestimmungen gelten Zuzahlungsbefreiungen für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, außer bei Zahnersatz und Fahrtkosten. Die Belastungsgrenze beträgt 2% der zu berücksichtigenden Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Bei chronisch Kranken, die sich therapiegerecht verhalten, beträgt diese Grenze 1%. Einen Überblick zu den geltenden Selbstbeteiligungsregelungen enthalten die Anlagen 3und 4. In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe weiterer Vorschläge zur Ausgestaltung der Selbstbeteiligung gemacht. Beispiele sind in den Anlagen 5 und 6 enthalten. 4. Zu den Wirkungen der Selbstbeteiligungsreglungen Zuzahlungsregelungen zielen zunächst auf das Nachfrageverhalten 1. Das moral-hazard-Theorem geht davon aus, dass zu viele Leistungen nachgefragt werden, wenn sie nur wenig oder nichts kosten. Mit der Einführung eines direkten Preises für Leistungen, die vorher kostenlos erhältlich waren, wird die Nachfrage nach diesen sinken, da die Kosten am individuellen Nutzen gemessen werden 2. Je nach Ausgestaltung kann es auch zu einer Substitution von teureren durch billigere Medikamente (z.B. Generika), zu einem Verzicht auf den Arztkontakt oder zur Selbstmedikation kommen. 1 Bernhard Langer, Steuerungsmöglichkeiten des GKV-Arzneimittelmarktes- Selbstbeteiligung unter besonderer Berücksichtigung von Härtefallreglungen, Berlin, 2005, S 63 2 Ebenda, S 65 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 9 Daneben gibt es aber auch Finanzierungseffekte. Es tritt eine Kostenverschiebung auf den Versicherten ein. Die Kosteneinsparung bei der GKV führt in der Regel zu einer Beitragsreduzierung. Eine Ausweitung von Selbstbeteiligungen lohnt sich für Gesunde und Bezieher höherer Einkommen 3. Aufgrund der paritätischen Finanzierung tritt auch eine Entlastung der Arbeitgeber ein. Befürworter von Selbstbeteiligungsregelungen sehen darin auch ein Instrument zur Erhöhung der Patientenautonomie sowie zur Entwicklung eines Kostenbewusstseins. Bereits 1923 wurde eine Selbstbeteiligung an den Arzneimittelkosten in der GKV eingeführt4.Die Entwicklung der Selbstbeteiligung ist der Tabelle in Anlage 7 zu entnehmen. Nach Langer bestimme der Patient zwar darüber, ob und wann ein Arztbesuch stattfinde 5. Der Arzt entscheide allerdings über Art, Struktur und Umfang der Inanspruchnahme von Arzneimitteln . Bei Kenntnis von der Existenz bestimmter Medikamente, bzw. Erfahrungen mit diesen könne es allerdings auch dazu kommen, dass entsprechende Verordnungswünsche vorgetragen und erfüllt würden. Da die Ärzte nicht die Kosten der Selbstbeteiligung zu tragen hätten, nehme bei einem geringen Einfluss der Patienten auf die Arzneimittelverordnung auch die Steuerungswirkung der bei ihnen ansetzenden Selbstbeteiligung ab. Glaeske u.a. kommen in im GEK-Arzneimittelreport 2009 zu dem Ergebnis, dass auf knapp 20% der Versicherten in der GEK 80% der Ausgaben entfielen6. Die Zuzahlungen im Arzneimittelbereich würden von einer relativ kleinen Gruppe von Patienten erbracht, die aufgrund ihrer Krankheit auch dringend behandelt werden müssten. Studien aus Kanada, den USA und Italien , die zu dem Ergebnis kommen, dass Zuzahlungen die Therapietreue negativ beeinflussen können, sollen in einer derzeit laufen Untersuchung des Bremer Instituts für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung darauf geprüft werden, ob deren Ergebnisse auch auf Deutschland zutreffen7. Langer kommt nach der Auswertung internationaler Untersuchungen zu der Schlussfolgerung, dass von Zuzahlungen mit Ausnahme von Festbetragsregelungen negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand ausgehen können 8. Bei relativ moderaten Zuzahlungen gebe es kaum nennenswerte Nachfragereduktionen. Auch Backes und Vincenti kommen zu ähnlichen Ergebnissen 9. Eine Erhöhung der Zuzahlungen würde vor allem die Nachfrage von Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen, der chronisch Kranken sowie der älteren Patienten beeinflussen. Sie ziehen den Schluss, dass das GKV-Modernisierungsgesetz nicht die erhoffte Steuerungswirkung 3 Ebenda, S 63 f 4 Ebenda, S 58 f 5 Ebenda, S 83 f 6 Gerd Glaeske, Christel Schicktanz, Katrin Janhsen, GEK-Arzneimittel-Report 2009, Bremen, 2009, S 94 7 Studie soll Wirkung von Arzneimittel-Zuzahlungen aufzeigen, DAZ-online, 17.2.2010 8 Langer, a.a.O., S 121 9 Irmgard Backes, Aurelio J. F. Vincenti, Selbstbeteiligung und Arzneimittelnachfrage: Zuzahlungsregelungen und ihre Folgen für die gesetzlichen Krankenkassen, in: Zeitschrift für die Gesamte Versicherungswirtschaft, 2007, S 416 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 10 erzielen konnte. Verantwortlich dafür sei der Umstand, dass die prozentuale Selbstbeteiligungsreglung nicht die steuerungsrelevante Preisspanne zwischen 5 und 50 € umfasse10. Außerdem stehe die Möglichkeit der Befreiung von den Zuzahlungen als paralleles Sozialziel weitergehenden Finanzierungswirkungen entgegen. 2008 wurden laut Jahresbericht der ABDA 3,6Mrd. € im Rahmen der Selbstmedikation umgesetzt 11. Im gleichen Jahr mussten die Versicherten 1,674 Mrd. € für verordnete Arzneimittel zuzahlen 12 Nach der Neufestlegung für Festbeträge zu Beginn des Jahres sind noch 27,5% der Medikamente zuschlagsfrei, da ihr Preis mindestens 30 % unter dem Erstattungshöchstbetrag liegt13. Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz von 2003 wurde für die Inanspruchnahme von Vertragsärzten eine Praxisgebühr von zehn Euro eingeführt14. Man ging dabei von einem Rückgang insbesondere bei den überdurchschnittlich teuren Facharztkontakten aus15. Zugleich sollte die Lotsenfunktion der Hausärzte gestärkt werden. Die Zahl der Facharztbesuche ohne vorherige Überweisung durch den Hausarzt ging nach einer Untersuchung von Reiners/Schnee ab 2004 deutlich zurück16. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Zahl der Arztkontakte zwar gesunken ist, vermuten aber eher einen Zusammenhang mit den Vergütungsregelungen für die Ärzte17. Sie registrieren , dass Befragte aus der Einkommensgruppe unter 500 Euro in einem höheren Maße einen Arztbesuch aufgeschoben haben18. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie aus dem Jahr 200819. Reiners und Schnee betonen, dass von einem Moral-Hazard-Effekt keine Rede sein könne, denn der Rückgang der Arztkontakte sei gerade bei Personen mit einer hohen Frequenz von Arztbesuchen zu beobachten, bei denen die einmal im Quartal erhobene Gebühr keinen Anreiz zur Reduzierung geboten habe20. 10 Ebenda, S 431 11 ABDA Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Jahresbericht 08/09, S 41 12 Kassen kassieren 1,7 Mrd. Euro Zuzahlungen für Arzneimittel, Pressemitteilung ABDA Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, 12.2.2009 13 Weiner zuzahlungsfreie Arzneimittel, kma-online 15.4.2010 14 Hartmut Reiners, Melanie Schnee, Hat die Praxisgebühr eine nachhaltige Steuerungswirkung? in: Gesundheitsmonitor 2007, Gütersloh 2007, S 133 15 Ebenda, S 135 16 Ebenda, S 139 17 Ebenda, S 143 18 Ebenda, S 149, 19 Ina-Maria Rückert, Jan Böcken, Adreas Mielck, Are German patients burdened by the practice charge for physician visits („Praxisgebuer“)? A cross sectional analysis of socio-economic and health related factors , in http://www forum-gesundheitspolitik.de/artikel/ 20 Reiners/Schnee, a.a.O., S 152 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 11 Zu teilweise anderen Ergebnissen als Reiners/Schnee kommen Grabka u.a. in ihrer Untersuchung 21. Die Studie bezieht sich allerdings auf den Zeitraum 2003/2004, d.h. kurz vor und nach der Einführung der Praxisgebühr. Damit bleibt offen, ob die Ergebnisse nicht durch Vorzieheffekte verzerrt wurden22. Ein entsprechendes Indiz liefern Backes/Vincenti mit dem Ergebnis, dass beim Bruttoarzneimittelumsatz 2003 und 2004 entsprechende Effekte zu beobachten waren23. Aus Sicht der Barmer-GEK ist die Praxisgebühr immer weniger zur Steuerung der Arztbesuche geeignet. Nach ihren Untersuchungen ist die Zahl der Arztbesuche 2008 auf 18,1 pro Jahr und Versicherten gestiegen24. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Rolf-Ulrich Schlenker kam daher zu dem Ergebnis, dass die Praxisgebühr auf den Prüfstand gestellt werden solle. Der 111.Ärztetag sprach sich 2008 für eine Abschaffung der Praxisgebühr aus (Anlage 8). 2009 hat allerdings der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein gefordert, dass bei jedem Arztbesuch fünf bis zehn €, für eine Überweisung zum Facharzt ebenfalls fünf bis zehn € gezahlt werden sollten. Ohne Überweisung sollte ein Facharztbesuch 25 € kosten25. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler, hat sich Mitte des Jahres ebenfalls für eine Ausweitung der Praxisgebühr auf fünf Euro bei jedem Arztbesuch ausgesprochen26. Das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen hat in einer Umfrage Mitte 2010 ermittelt, dass die derzeitige Praxisgebühr bei den Versicherten eine hohe Akzeptanz findet. Gut zwei Drittel der Befragten sprachen sich für eine Beibehaltung aus27. Der Hartmannbund, Verband der Ärzte Deutschlands, tritt für die Einführung des Kostenerstattungsprinzips in der GKV ein (Anlage 9)28. Dabei erhält der Patient vom Arzt eine Rechnung über erbrachte Leistungen, die zur Erstattung an die Krankenkasse weitergereicht wird. Eine sozial verträgliche Selbstbeteiligung soll die Eigenverantwortung des Versicherten stärken. Dies soll durch einen kontaktabhängigen, prozentual gestaffelten Selbstbehalt von maximal 10% pro Be- 21 Markus M. Grabka, Jonas Schreyögg, Reinhard Busse, Die Einführung der Praxisgebühr und ihre Wirkung auf die Zahl der Arztkontakte und die Kontaktfrequenz – eine empirische Analyse, DIW Berlin, Discussion Papers 506,Berlin 2005, S 9 22 Jens Holst, Kostenbeteiligungen für Patienten- Reformansatz ohne Evidenz! Theoretische Betrachtungen und empirische Befunde aus Industrieländern, Berlin 2008, S 57 f 23 Backes, a.a.O. S 419 f 24 Barmer GEK legt Arztreport vor/ Nach der Fusion 400 000 Versicherte in Brandenburg, Märkische Allgemeine 20.1.2010 25 Hansen will Praxisgebühr für jeden Arztbesuch, 12.5.2009, http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/36543/ 26 KBV-Vorschlag zur Ausweitung der Praxisgebühr in der Kritik, aerzteblatt.de, 30.6.2010, http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/41803 27 Änderung der Praxisgebühr stößt auf breite Ablehnung, 2.7.2010, http://www.aokbv .de/politik/reformaktuell/index_o4115.html 28 Hartmannbund, Konzept einer sozial orientierten Kostenerstattung mit Anreizstrukturen für kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten, oO, o.J. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 12 handlung erreicht werden. Geringverdiener und ALG II-Empfänger sollen 1 € pro Arztbesuch bezahlen. Der Selbstbehalt soll 2% des Jahresbruttoeinkommens , bei Chronikern 1% nicht überschreiten . Der Ärztetag in Mainz hatte bereits 2009 einen Beschluss aufgehoben, in dem die generelle Einführung des Kostenerstattungsprinzips gefordert worden war29. Auch der Ärztetag in Dresden lehnte den entsprechenden Antrag des Hartmannbundes ab30.Es sollten verstärkt sozialverträgliche Selbstbehalttarife sowie Wahltarife für zusätzliche Versorgungsangebote auf der Basis der Kostenerstattung erprobt werden. Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wurde eine Eigenbeteiligung der Versicherten von 10€ pro Tag (mit der Obergrenze von 28 Tagen) bei Krankenhausbehandlungen eingeführt. Langer geht davon aus, dass diese Regelung keine Steuerungswirkung hat31. Auch Beske u.a. gehen davon aus, dass die Krankenhausbehandlung weitgehend der Verfügungsgewalt der Patienten entzogen ist32. Die Zuzahlung könne jedoch als Beteiligung an den Verpflegungskosten gesehen werden, die der Versicherte auch zu Hause zu tragen hätte. Neben den oben dargestellten Formen der Selbstbeteiligung gibt es eine Reihe weiterer Regelungen , die der Übersicht in Anlage 3 zu entnehmen sind. In einer generellen Bewertung von Selbstbeteiligung spricht Grabka davon, dass Art und Umfang von Leistungen weitgehend von den Leistungsanbietern bestimmt werden33. Selbstbeteiligungen, die im Nachhinein, d.h. bei den ärztlich verordneten Leistungen, ansetzen, seien im Blick auf die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unwirksam. Ähnlich argumentiert Holst, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass die Menge der erbrachten Leistungen das Ergebnis der Honorierung und Budgetierung bei Ärzten und Krankenhäusern und nicht des Nachfrageverhalten der Versicherten sei34. Er weist auch darauf hin, dass vermiedene Behandlungen keineswegs automatisch Einspareffekte erzeugen, sondern auch zu deutlich höheren Folgekosten führen können35 Die Eigenbeteiligung der Versicherten setzt sich aus folgenden Elementen zusammen: 0,9% des Beitragssatzes der GKV für Zahnersatz, Zuzahlungen im Jahr 2009 in Höhe von 4,846 Mrd. € im Rahmen der Zuzahlungsregelungen, davon 1,875 Mrd. € für ärztliche und zahnärztliche Behand- 29 Kostenerstattung nicht das „Allheilmittel“,21.5.2009, http://www.focus.de/gesundheit/gesundheitsnews /aerztetag- 30 Gesundheits-,Sozial- und ärztliche Berufspolitik: Die Versorgung sichern, dem Nachwuchs mehr bieten, http://www.aerzteblatt.de/archiv/75253 31 Langer, a.a.O. S 275 32 Fritz Beske, Ute Golbach, Zuzahlungen im Gesundheitswesen, Grundlagen, internationaler Vergleich und Konzept für die Gesetzliche Krankenversicherung, Kiel 2009, S 94 33 Markus Michael Grabka, Alternative Finanzierungsmodelle einer sozialen Krankenversicherung in Deutschland – Methodische Grundlagen und exemplarische Durchführung einer Mikrosimulationsstudie, Berlin 2004, S 137 34 Holst, a.a.O., S 60 f 35 Ebenda, S 57 F Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 13 lung, 596 Mio. € für Krankenhausbehandlung (Anlage 10) sowie 3,6 Mrd.€ im Rahmen der Selbstmedikation (der Kreis der Käufer geht über den Kreis der GKV-Versicherten hinaus). 5. Zuzahlungen im Ausland In der Schweiz muss jeder Versicherte eine Risiko- und einkommensabhängige Kopfprämie entrichten , die eine große Spannbreite aufweist. Während sich der Schweizer Durchschnitt 2005 auf 269 CHF belief, waren im Kanton Genf 389 CHF zu zahlen36. Daneben werden Zusatzversicherungen genutzt. Die Versicherten müssen einen obligatorischen Selbstbehalt von 300 CHF jährlich und 10% für alle Leistungen (Arztbesuche, Krankenhausbehandlung, Medikamente) zahlen. Darauf folgt eine weitere Stufe der Selbstbeteiligung in Höhe von 10%bis zu 700 CHF jährlich. Wenn ein anderer Selbstbehalt gewählt wird, gibt es die Möglichkeit der Prämienreduktion. Personen mit einer Prämienlast von 8% des verfügbaren Einkommens erhalten einen Prämienzuschuss . Es besteht das Kostenerstattungsprinzip. Huber kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, das Personen mit geringem Bildungsstand und geringem Einkommen durch die Behandlungskosten von der notwendigen Arztkonsultation abgehalten werden37. Im Vergleich zu den deutschen Patienten befinden sich Schweizer Patienten oftmals in einem weiter vorangeschrittenen Krankheitsstadium , wenn sie sich entschließen, einen Arzt zu konsultieren38. Die Schweizer Gesundheitsausgaben lagen 2006 mit 11,3% des BIP über den deutschen mit 10,6%. In den Niederlanden wurde 1997 eine 20%-ige Selbstbeteiligung auf alle medizinischen Leistungen (mit Ausnahme des Hausarztes, des Zahnarztes und der Geburtshilfe) eingeführt39. Weder bei den Kosten noch beim Verbrauch von Arzneimitteln kam es zu einem Rückgang, der dieser Regelung zugeschrieben werden konnte. Lediglich bei den untersten Einkommensgruppen wurde eine hemmende Wirkung ermittelt. Die Regelung wurde ab 1999 wieder rückgängig gemacht. In den USA werden bei der Krankenversicherung der Senioren „copayments“ geleistet. In einer Studie wird festgestellt, dass die Zahl der Arztbesuche nach der Erhöhung dieser Zuzahlungen um fast 20% zurück gingen, die Zahl der Krankenhauseinweisungen und die Dauer der Klinikaufenthalte jedoch gleichzeitig gestiegen sei40. Die Eigenbeteiligung der privaten Haushalte an den Gesundheitsausgaben in Deutschland betrug 1995 9,7% der gesamten Gesundheitsausgaben und stieg auf 13,2% im Jahr 2006 an41. Während dieser Anteil in der Schweiz bei über 30% lag, betrugen die Werte für Österreich 16,5%, Norwe- 36 Carola A, Huber, Kostenbeteiligungen: Schaden oder Nutzen für die Gesundheitsversorgung? Eine vergleichende Wirkungsanalyse zwischen Deutschland und der Schweiz, Bern, 2009, S 37 37 Ebenda, S 135 f 38 Ebenda, S 140 39 Ebenda., S 81 f 40 US-Studie: Mehr Klinikeinweisungen durch Praxispauschale, in aerzteblatt.de, 28.1.2010 41 Statistisches Bundesamt, Heft 45 – Ausgaben und Finanzierung des Gesundheitswesens, Mai 2009, S 35 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-142/10 Seite 14 gen 15,6%, Dänemark 14,3%. Der Anteil in Frankreich belief sich zwar auf nur knapp 7%, dort sind jedoch private Zusatzversicherungen sehr verbreitet. Ein Überblick über die Zuzahlungsregelungen in verschiedenen europäischen Staaten ist in Anlage 11 enthalten.