© 2021 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 116/20 Regelungen zu genbasierten Impfstoffen Begriffliche Einordnung und arzneimittelrechtliche Zulassung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 116/20 Seite 2 Regelungen zu genbasierten Impfstoffen Begriffliche Einordnung und arzneimittelrechtliche Zulassung Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 116/20 Abschluss der Arbeit: 25. Januar 2021 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 116/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkungen 4 2. Begriffsbestimmungen und Abgrenzung 5 2.1. Gentherapie 5 2.2. Impfung 6 2.3. Klassifizierung von mRNA-Impfstoffen 7 3. Verordnungsermächtigungen im Infektionsschutzgesetz 8 4. Rechtliche Regelungen zur Zulassung von Arzneimitteln 8 4.1. Nationales Zulassungsverfahren 8 4.2. Europäisches Zulassungsverfahren 10 4.3. Die Zulassung von Arzneimitteln betreffende Vorschriften im IfSG 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 116/20 Seite 4 1. Vorbemerkungen Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge befinden sich insgesamt über 200 Impfstoffe gegen COVID-19 in der Entwicklung. Davon werden derzeit über 60 Impfstoffe in klinischen Studien überprüft, über 173 Impfstoffe befinden sich in präklinischen Studien.1 Nach erfolgter klinischer Prüfung auf Qualität, Herstellung, Sicherheit und Wirksamkeit wurden in der Europäischen Union (EU) bisher zwei Impfstoffe gegen COVID-19 zugelassen: Die Impfstoffe von BioNTech/Pfizer2 und von Moderna3. Beide Stoffe basieren auf der sogenannten mRNA-Technologie . Die neuartige mRNA-Technologie hat unter anderem den Vorteil, dass die Entwicklung und Herstellung des Impfstoffs wesentlich schneller erfolgen kann als bei herkömmlichen Impfstoffen.4 Aufgrund dieser neuartigen Technologie kommen in der Bevölkerung jedoch Fragen und Bedenken auf, etwa ob die mRNA-Impfstoffe das Erbgut der Zellen verändern und zu Schäden führen können. Dem widerspricht der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Prof. Dr. Klaus Cichutek : Befürchtungen, die neuen mRNA-Impfstoffe könnten das Erbmaterial des Menschen verändern , entsprächen nicht dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Warnungen vor Erbgutschäden seien daher falsch und verursachten unbegründete Ängste.5 1 Ein zweimal wöchentlich aktualisiertes Excel-Dokument der WHO mit aktuellen Informationen über die Impfstoffentwicklung findet sich unter: https://www.who.int/publications/m/item/draft-landscape-of-covid-19- candidate-vaccines. Dieser und alle folgenden Links zuletzt abgerufen am 25. Januar 2021. 2 Paul-Ehrlich-Institut, Europäische Kommission erteilt Zulassung des COVID-19-Impfstoffs von BioNTech/Pfizer für die Europäische Union, 21. Dezember 2020, abrufbar unter: https://www.pei.de/DE/newsroom/hp-meldungen /2020/201221-europaeische-kommission-erteilt-zulassung-covid-19-impfstoff-biontech-pfizer-eu.html. 3 Paul-Ehrlich-Institut, Europäische Kommission erteilt Zulassung für den COVID-19-Impfstoff von Moderna für die Europäische Union, 6. Januar 2021, abrufbar unter: https://www.pei.de/DE/newsroom/hp-meldungen /2021/210106-eu-zulassung-covid-19-impfstoff-moderna.html. 4 Ausführlich dazu BioNTech, abrufbar unter: https://biontech.de/de/covid-19-portal/mRNA-impfstoffe. 5 Pharmazeutische Zeitung (PZ) vom 20. November 2020, abrufbar unter: https://www.pharmazeutische-zeitung .de/warum-mrna-impfstoffe-nicht-das-erbgut-veraendern-121972/; siehe auch Deutschlandfunk vom 22. Januar 2021, abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/corona-impfstoffe-impfrisiken-im-faktencheck .2897.de.html?dram:article_id=487827; ebenso das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), abrufbar unter: https://www.bmbf.de/de/das-sollten-sie-ueber-impfstoffe-wissen-12724.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 116/20 Seite 5 2. Begriffsbestimmungen und Abgrenzung 2.1. Gentherapie Die Gentherapie versucht, durch die Veränderung der Erbinformationen eines Menschen genetisch bedingte Krankheiten zu behandeln oder diesen vorzubeugen.6 Sie umfasst die Korrektur krankheitsbedingter Gene durch die Anwendung rekombinanter DNA-Techniken.7 Mittels rekombinanter Nukleinsäuren8 wird die Nukleinsäuresequenz beim Menschen reguliert, repariert, ersetzt , hinzugefügt oder entfernt. Die Gene dienen dabei als therapeutisch wirksame Stoffe (Gentherapeutika 9).10 Dieser Gentransfer kann ex vivo außerhalb des Körpers erfolgen – dann werden die Zellen dafür vorher entnommen – oder auch in vivo im Körper des Patienten.11 Gemäß § 4 Abs. 9 Arzneimittelgesetz12 (AMG) handelt es sich bei Gentherapeutika um sogenannte Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP13). § 4 Abs. 9 AMG verweist insofern auf die Verordnung (EG) Nr. 1394/200714 über Arzneimittel für neuartige Therapien. Die Verordnung verweist hinsichtlich der Definition für Gentherapeutika auf den Anhang I der Richtlinie 6 Kersten, Görres-Gesellschaft, Staatslexikon, Gentechnik, Nr. 4 Gentherapie. 7 Bekanntmachung der Bundesärztekammer - Richtlinien zur Gentherapie beim Menschen - Stellungnahme der „Zentralen Kommission der Bundesärztekammer zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Reproduktionsmedizin , Forschung an menschlichen Embryonen und Gentherapie", Deutsches Ärzteblatt 86, Heft 41, 12. Oktober 1989 (45) A-2957; zur Begriffserklärung rekombinanter DNA-Techniken siehe Spektrum.de, Lexikon der Biochemie, rekombinante DNA-Technik, abrufbar unter: https://www.spektrum.de/lexikon/biochemie/rekombinante -dna-technik/5328. 8 Zur Begriffserklärung siehe Chemie.de, Nukleinsäuren, abrufbar unter: https://www.chemie.de/lexikon/Nukleins %C3%A4uren.html. 9 Zur Begriffsbestimmung siehe Paul-Ehrlich-Institut, Gentherapeutika, abrufbar unter: https://www.pei.de/DE/arzneimittel/atmp/gentherapeutika/gentherapeutika-node.html. 10 Die forschenden Pharmaunternehmen (vfa), Somatische Gentherapie, Positionspapier, Stand März 2020, S. 3, abrufbar unter: https://www.vfa.de/embed/pos-somatische-gentherapie.pdf. 11 Paul-Ehrlich-Institut, FAQ - Häufig gestellte Fragen, Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP), abrufbar unter : Paul-Ehrlich-Institut - FAQ - FAQ - Häufig gestellte Fragen (pei.de). 12 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Juni 2020 (BGBl. I S. 1474). 13 ATMP steht für Advanced Therapy Medicinal Products. 14 Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004, ABl. (EU) L 324/121. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 116/20 Seite 6 2001/83/EG15. Die Definition lautet wie folgt: „Unter einem Gentherapeutikum ist ein biologisches Arzneimittel zu verstehen, das folgende Merkmale aufweist: a) Es enthält einen Wirkstoff, der eine rekombinante Nukleinsäure enthält oder daraus besteht , der im Menschen verwendet oder ihm verabreicht wird, um eine Nukleinsäuresequenz zu regulieren, zu reparieren, zu ersetzen, hinzuzufügen oder zu entfernen. b) Seine therapeutische, prophylaktische oder diagnostische Wirkung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der rekombinanten Nukleinsäuresequenz, die es enthält, oder mit dem Produkt, das aus der Expression dieser Sequenz resultiert. Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten sind keine Gentherapeutika.“ Bei gentherapeutischen Eingriffen ist zwischen der Korrektur von Gendefekten in Körperzellen (somatische Gentherapie) und der Veränderung der menschlichen Keimbahn (Keimbahntherapie) zu unterscheiden. Genomveränderungen, die im Rahmen der somatischen Gentherapie durchgeführt werden, bleiben auf den Empfänger beschränkt und werden nicht an die Nachkommen vererbt . Dabei werden defekte Gene in den Zellen eines Gewebes oder Organs eines Menschen durch den Defekt korrigierende Gene ersetzt. Bei der Keimbahntherapie wird der einen Gendefekt korrigierende genetische Eingriff hingegen an Zellen der Keimbahn vorgenommen. Dabei handelt es sich um Zellen, die sich zu Spermien oder Eizellen entwickeln können.16 Das Ergebnis wird an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Aus diesem Grund und weiteren, vorrangig ethischen Gesichtspunkten ist die Keimbahntherapie in Deutschland gemäß § 5 des Embryonenschutzgesetzes verboten. 2.2. Impfung Der Begriff der Schutzimpfung ist im Infektionsschutzgesetz17 (IfSG) legaldefiniert. Nach § 2 Nr. 9 IfSG ist eine Schutzimpfung die Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen. In Bezug auf den Begriff des Impfstoffes stellt das IfSG auf den arzneimittelrechtlichen Begriff ab.18 Dieser ist in § 4 Abs. 4 AMG legaldefiniert. Danach sind Impfstoffe Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG, die Antigene oder rekombinante Nukleinsäuren enthalten und die dazu bestimmt sind, bei Mensch oder Tier zur Erzeugung von spezifischen 15 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, Abl. (EG) L 311/67, zuletzt geändert durch Art. 1 VO (EU) 2019/1243 vom 20. Juni 2019 (Abl. (EU) L 198/241), Anhang I, Teil IV Arzneimittel für neuartige Therapien, 2. Begriffsbestimmungen, Punkt 2.1 Gentherapeutikum. 16 Die forschenden Pharmaunternehmen (vfa), Somatische Gentherapie, Positionspapier, Stand März 2020, abrufbar unter: https://www.vfa.de/embed/pos-somatische-gentherapie.pdf. 17 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt durch Artikel 4a des Gesetzes vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3136). 18 BT-Drucksache 14/2530, S. 44. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 116/20 Seite 7 Abwehr- und Schutzstoffen angewendet zu werden und, soweit sie rekombinante Nukleinsäuren enthalten, ausschließlich zur Vorbeugung oder Behandlung von Infektionskrankheiten bestimmt sind. Ärzte nennen die Impfungen auch Aktivimpfungen, weil der menschliche Körper in Reaktion auf die Impfung selbst aktiv werden muss, um den gewünschten Immunschutz aufzubauen.19 Die unterschiedlichen Impfstofftypen der Aktivimmunisierung lassen sich im Wesentlichen in drei Kategorien einteilen: Totimpfstoffe, Lebendimpfstoffe und genbasierte Impfstoffe.20 Im klassischen Ansatz enthält ein Impfstoff als Antigen inaktivierte Krankheitserreger oder Erregerproteine (Totimpfstoff) oder abgeschwächte Krankheitserreger oder Erregerproteine (Lebendimpfstoff ). Sie lösen im Körper die Immunreaktion mit Bildung von Antikörpern und T-Zellen aus. Genbasierte Impfstoffe hingegen verfolgen das Konzept, den Körper die Antigene selbst herstellen zu lassen. Die wiederum unterschiedlichen genbasierten Impfstoffe (mRNA-, DNA- und Vektorimpfstoffe ) unterscheiden sich in der Art der genetischen Information und wie diese in die Zellen gelangt: Bei Vektorimpfstoffen wird das Genmaterial in harmlose Trägerviren eingebaut, die als Impfstoff injiziert werden. Demgegenüber enthalten mRNA- und DNA-Impfstoffe ausgewählte Virusgene in Form von Nukleinsäuren, die den humanen Zellen als Bauanleitung dienen .21 Dieser „Bauplan“ wird vom Körper übersetzt, um spezifische Proteine (Antigene) zu synthetisieren .22 Durch die Impfung mit einem mRNA-Impfstoff kommt es, anders als bei der Gentherapie , nicht zu einer Veränderung der DNA in den Körperzellen.23 2.3. Klassifizierung von mRNA24-Impfstoffen Arzneimittel, die mRNA enthalten, sind als Gentherapeutika im Sinne des Anhang I, Teil IV, Abschnitt 2.1 der Richtlinie 2001/83/EG – und damit als ATMP – zu klassifizieren, wenn es sich bei 19 Neben der sog. Aktivimmunisierung gibt es noch die Methode der Passivimmunisierung mittels künstlicher Antiseren . Siehe dazu: Die forschenden Pharmaunternehmen, Impfstoffe – Wie sie wirken und wovor sie schützen, abrufbar unter: https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/impfen/impfstoffe?utm_source=bing&utm_medium =cpc&utm_campaign=Impfungen+2018&utm_term=impfstoffe&utm_content=Impfstoffe. 20 Ausführlich dazu: Die forschenden Pharmaunternehmen, Impfstoffe – Wie sie wirken und wovor sie schützen, abrufbar unter: https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/impfen/impfstoffe?utm_source=bing&utm_medium =cpc&utm_campaign=Impfungen+2018&utm_term=impfstoffe&utm_content=Impfstoffe. 21 Zylka-Menhorn/Grunert, Genbasierte Impfstoffe: Hoffnungsträger auch zum Schutz vor SARS-CoV-2, Deutsches Ärzteblatt 2020: 117 (21), A-1100 / B-927. 22 Biontech, Worin unterscheiden sich mRNA-Impfstoffe von „herkömmlichen“ Impfstoffen? Abrufbar unter: https://biontech.de/de/covid-19-portal/mRNA-impfstoffe. 23 Siehe dazu die nähere Erläuterung unter Paul-Ehrlich-Institut, Coronavirus und COVID-19: FAQ COVID-19- Impfstoffe, Frage: Wie hoch ist die Gefahr der Integration von mRNA-Impfstoffen ins Genom? Abrufbar unter: https://www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/coronavirus-inhalt.html;jsessionid =0C52EFB3BCC1513403A273EF43FD6574.intranet242?nn=169730&cms_pos=3. 24 mRNA steht für Messenger-Ribonukleinsäure. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 116/20 Seite 8 der als Wirkstoff enthaltenen mRNA um eine rekombinante Nukleinsäure handelt und die therapeutische , prophylaktische oder diagnostische Wirkung des Arzneimittels in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser enthaltenen mRNA oder dem entsprechend exprimierten Protein steht. Arzneimittel mit mRNA, die Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten sind, werden hingegen gemäß Anhang I, Teil IV, Abschnitt 2.1 der Richtlinie 2001/83/EG nicht als Gentherapeutika und damit nicht als ATMP eingestuft.25 3. Verordnungsermächtigungen im Infektionsschutzgesetz In § 20 Abs. 6 IfSG wird das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ermächtigt, durch Rechtsverordnung anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Eine entsprechende Verordnungsermächtigung für die Anordnung von Gentherapien findet sich im IfSG hingegen nicht. 4. Rechtliche Regelungen zur Zulassung von Arzneimitteln Sowohl bei Gentherapeutika als auch bei Impfstoffen handelt es sich um Arzneimittel im Sinne des AMG. Bevor ein Arzneimittel in Deutschland in den Verkehr gebracht werden darf,26 bedarf es gemäß § 21 Abs. 1 AMG einer Zulassung. Bei der Zulassung eines Arzneimittels sind Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des neuen Arzneimittels zu belegen. Dafür stehen verschiedene Zulassungsverfahren zur Verfügung. Die Art des Zulassungsverfahrens ist abhängig von dem Arzneimittel selbst und davon, wo der Pharmazeutische Unternehmer das Arzneimittel vermarkten will.27 4.1. Nationales Zulassungsverfahren Sofern das Arzneimittel ausschließlich in Deutschland vermarktet werden soll, ist grundsätzlich das nationale Zulassungsverfahren gem. §§ 21 ff. AMG ausreichend. Zuständig für die Zulassung von Medikamenten in Deutschland nach dem nationalen Verfahren ist gemäß § 77 Abs. 1 AMG 25 Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Thomas Gebhart vom 5. Dezember 2018, BT-Drucksache 19/6321, S. 75 f. 26 Der Begriff Inverkehrbringen wird vom AMG weit gefasst. Zum Inverkehrbringen gehören nicht nur die Abgabe und der Verkauf, sondern auch bereits Vorbereitungshandlungen wie das Vorrätig-, das Feilhalten und das Feilbieten . Diese der Abgabe vorausgehenden Handlungen müssen jedoch in der Absicht geschehen, das Arzneimittel im Geltungsbereich des AMG in Verkehr zu bringen, vgl. Rehmann, Arzneimittelgesetz Kommentar, 5. Aufl. 2020, § 4 AMG, Rn. 16 27 Zu den Zulassungsverfahren siehe auch: Arzneimittelzulassung in der EU und in den USA – Verfahrensablauf und Verfahrensdauer, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (Hrsg.), Sachstand vom 20. Februar 2020, WD 9 - 3000 - 102/19; Zur Entwicklung und zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (Hrsg.), Sachstand vom 29. November 2019, WD 9 - 3000 - 083/19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 116/20 Seite 9 das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Für Impfstoffe und ATMP ist hingegen gemäß §§ 77 Abs. 2 AMG das PEI zuständig. Das nationale Zulassungsverfahren ist in den §§ 21 ff. AMG geregelt. Für die Zulassung müssen gem. §§ 22 bis 24 AMG Unterlagen eingereicht werden, mit denen die Wirksamkeit, die Unbedenklichkeit und die Qualität des Arzneimittels belegt werden. Die auf Grundlage des § 26 Abs. 1 AMG erlassene Arzneimittelprüfrichtlinien-Verordnung (AMPV)28 verweist hinsichtlich der Anforderungen, die an die nach den §§ 22 bis 24 AMG erforderlichen Angaben, Unterlagen und Gutachten, zu stellen sind, auf den Anhang I Teil I bis III der Richtlinie 2001/83/EG. Danach gehören zu den Anforderungen an den Zulassungsantrag beispielsweise präklinische Studien.29 Über diese allgemeinen Vorgaben hinaus hat die Arbeitsgruppe Unbedenklichkeit (Safety Working Party/SWP) des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA30) zahlreiche Leitlinien und Empfehlungen zu präklinischen Prüfungen herausgegeben , die ebenfalls beachtet werden müssen (Band 3 EudraLex31). Darunter befindet sich die „Leitlinie über nicht-klinische Studien für die Durchführung klinischer Studien und die Zulassung von Arzneimitteln“ (ICH M3 (R2)32).33 Die Durchführung der erforderlichen präklinischen Studien ist erforderlich, um die gemäß § 40 AMG benötigte Genehmigung für die klinische Prüfung zu erhalten.34 Detailregelungen zur Genehmigung und Durchführung klinischer Studien mit Arzneimitteln am Menschen enthält zudem die auf Grundlage des § 42 Abs. 3 AMG erlassene GCP-Verordnung35. 28 Arzneimittelprüfrichtlinien-Verordnung vom 8. Januar 2016 (BGBl. I S. 47). 29 So unter anderem im Teil „Einführung und allgemeine Grundlagen“ unter Ziffer 9 sowie im Teil I (Standardanforderungen an einen Zulassungsantrag) unter Ziffer 1.4 und 2.4; Dazu Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht , § 12 Klinische Prüfung von Arzneimitteln, Rn. 9. 30 EMA steht für European Medicines Agency. 31 EudraLex - Volume 3 - Scientific guidelines for medicinal products for human use, siehe: https://ec.europa .eu/health/documents/eudralex/vol-3_en. 32 Guidance on Nonclinical Safety Studies for the Conduct of Human Clinical Trials and Marketing Authorization for Pharmaceuticals, abrufbar unter: https://www.ich.org/page/multidisciplinary-guidelines. 33 Blasius, Deutsche Apothekerzeitung (APZ), 22/2014, abrufbar unter: https://www.deutsche-apotheker-zeitung .de/daz-az/2014/daz-22-2014/arzneimittelentwicklung; siehe auch Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts , § 4 Klinische Prüfung, Rn. 96f. 34 Vgl. BfArM, Arzneimittelentwicklung, abrufbar unter: https://www.bfarm.de/DE/Buerger/Arzneimittel/Arzneimittelentwicklung /_node.html; siehe dazu 3. Bekanntmachung zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln am Menschen. Gemeinsame Bekanntmachung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte und des Paul-Ehrlich-Instituts vom 10. August 2006, abrufbar unter: http://www.bfarm.de/SharedDocs/Bekanntmachungen /DE/Arzneimittel/klinPr/bm-KlinPr-20060810-3_Bekanntmachung-pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=2. 35 Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-V) vom 9. August 2004 (BGBl. I S. 2081). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 116/20 Seite 10 4.2. Europäisches Zulassungsverfahren Seit dem 30. Dezember 2008 bildet die Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 die Basis für ein europäisches Zulassungsverfahren. Rechtliche Grundlage für das zentralisierte Verfahren ist die Verordnung (EG) 726/200436. Sowohl die als Gentherapeutika als auch die als Impfstoffe einzuordnenden mRNA-Arzneimittel sind gemäß Artikel 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 i. V. m. deren Anhang obligatorisch über das zentralisierte Verfahren auf Grundlage einer Bewertung der EMA durch die Europäische Kommission zuzulassen.37 Sie können grundsätzlich nicht mehr von einer deutschen Bundesoberbehörde zugelassen werden.38 Art. 28 der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 sieht eine Ausnahmeregelung vor, auf deren Basis die einzelnen Mitgliedstaaten der EU ATMP auch auf nationaler Basis genehmigen können. Diese Möglichkeit besteht für ATMP, die nicht routinemäßig nach spezifischen Qualitätsnormen hergestellt werden und die in einer spezialisierten Einrichtung der Krankenversorgung in demselben Mitgliedstaat unter der ausschließlichen fachlichen Verantwortung eines Arztes auf individuelle ärztliche Verschreibung als eigens für einen einzelnen Patienten angefertigtes Arzneimittel verwendet werden. Diese Ausnahmeregelung wurde auf nationaler Ebene durch § 4b AMG umgesetzt . Die Vorschrift des § 4b AMG wird auch als „Krankenhausausnahme“ bezeichnet. Danach bedürfen die sogenannten Individualarzneimittel zwar keiner europäischen Genehmigung, sie müssen aber dennoch gemäß § 4b Abs. 3 Satz 1 AMG durch das PEI zugelassen werden. Dabei gelten hinsichtlich der einzureichenden Unterlagen die ergänzenden Vorschriften des § 21a Abs. 2 bis 8 AMG.39 4.3. Die Zulassung von Arzneimitteln betreffende Vorschriften im IfSG Um klinische Prüfungen von neuen Arzneimitteln im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 zu beschleunigen und zu erleichtern, hat das BMG in der auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung gem. § 5 Abs. 2 Nr. 4 lit. a, b und c i. V. m. Abs. 3 S. 2 36 Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur, ABl. (EU) L 136/1. 37 Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Thomas Gebhart vom 5. Dezember 2018, BT-Drucksache 19/6321, S. 75. 38 Fuhrmann/Klein/Fleischfresser/Bakhschai, Arzneimittelrecht, § 34 Gentechnikrechtliche Besonderheiten, Rn. 29. 39 Ausführlich dazu: Paul-Ehrlich-Institut, Arzneimittel für neuartige Therapien. Regulatorische Anforderungen und praktische Hinweise, abrufbar unter: https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/regulation/beratung /innovationsbuero/broschuere-atmp.pdf?__blob=publicationFile&v=4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 116/20 Seite 11 IfSG erlassenen Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung40 (MedBVSV) vom 25. Mai 2020 mehrere Sonderregelungen erlassen.41 Nach § 4 Abs. 8 MedBVSV können das BfArM und das PEI mit Zustimmung des BMG Ausnahmen von den Voraussetzungen für die Durchführung eines Härtefallprogramms zulassen, sofern dies zur Vorbeugung und Behandlung von COVID-19 oder von deren Begleiterkrankungen erforderlich ist. Diese Voraussetzungen sind in § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG sowie in der Arzneimittel-Härtefallverordnung 42 (AMHV) geregelt. Im Rahmen der Härtefallprogramme kann von Genehmigungs - und Zulassungserfordernissen abgesehen werden. Die Härtefallprogramme sind nach § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG eigentlich nur für Patienten vorgesehen, die an einer mit zugelassenen Arzneimitteln nicht zufriedenstellend behandelbaren besonders schweren (lebensbedrohlichen oder zu einer schweren Behinderung führenden) Erkrankung leiden.43 § 8 Abs. 1 MedBVSV erlaubt dem BfArM und dem PEI hinsichtlich der klinischen Prüfung von Arzneimitteln zur Vorbeugung, Diagnose oder Behandlung von COVID-19 die Gestattung von Ausnahmen von den Regelungen des § 5 GCP-V44.45 *** 40 Verordnung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie vom 25. Mai 2020, Bundesanzeiger AT 26. Mai 2020 V1; Sie ist am 27. Mai 2020 in Kraft getreten und tritt mit der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, spätestens mit Ablauf des 31. März 2021 außer Kraft. 41 Schlegel/Meßling/Bockholdt, Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, § 12 Arzneimittelrecht, Rn. 52; der Referentenentwurf zur Verordnung nebst Begründung ist abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium .de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/M/MedBVSV_RefE.pdf; siehe auch Rödl & Partner, Zulassung von Arzneimitteln (einschl. Impfstoffen): Ausnahmeregelung im Kontext der Covid-19-Pandemie, abrufbar unter: https://www.roedl.de/themen/covid-19/zulassung-arzneimittel-impfstoffe -ausnahmeregelung-covid19. 42 Verordnung über das Inverkehrbringen von Arzneimitteln ohne Genehmigung oder ohne Zulassung in Härtefällen vom 14. Juli 2010 (BGBl. I S. 935). 43 Schlegel/Meßling/Bockholdt, Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, § 12 Arzneimittelrecht, Rn. 53. 44 Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen vom 9. August 2004 (BGBl. I S. 2081). 45 Schlegel/Meßling/Bockholdt, Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, § 12 Arzneimittelrecht, Rn. 55.