© 2021 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 110/20 Zoonosen Begriffsdefinitionen, historischer Überblick, Pandemiepotenzial Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 110/20 Seite 2 Zoonosen Begriffsdefinitionen, historischer Überblick, Pandemiepotenzial Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 110/20 Abschluss der Arbeit: 12. Januar 2021 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 110/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Begriffsdefinitionen 4 2. Historischer Überblick 5 3. Zur Frage des Pandemiepotenzials von Zoonosen 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 110/20 Seite 4 1. Begriffsdefinitionen Zoonosen sind von Bakterien, Parasiten, Pilzen, Prionen oder Viren verursachte Infektionskrankheiten , die zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können.1 Der Begriff Zoonose kommt aus dem Griechischen. Er leitet sich von den Wörtern zoon (Lebewesen) und nosos (Krankheit) ab.2 Innerhalb dieses Oberbegriffs ist – je nach der Richtung der Übertragung – zwischen folgenden Unterbegriffen zu differenzieren: Bei Zooanthroponosen werden Erreger überwiegend vom Tier auf den Menschen übertragen, während Anthropozoonosen dadurch gekennzeichnet sind, dass die Übertragung überwiegend vom Menschen auf Tiere stattfindet. Bei Amphixenosen hingegen erfolgt die Übertragung wechselseitig.3 Zoonosen können auf unterschiedliche Weise übertragen werden, so etwa durch Schmierinfektionen , Bissverletzungen, sowie über tierische Nahrungsmittel (z. B. Fleisch, Milch, Eier) und Mücken oder Zecken. Letztere fungieren als sogenannte Vektoren als Überträger eines Krankheitserregers von einem Organismus auf einen anderen Wirt.4 Im Einzelnen ist begrifflich nach der konkreten Art der Übertragung zu unterscheiden:5 - Eine Direktzoonose (Orthozoonose) wird durch direkten Kontakt oder einen mechanischen Vektor (z. B. Wind) übertragen; - Bei einer latenten Zoonose erfolgt die Übertragung durch einen asymptomatisch infizierten Zwischenwirt; - Bei einer Metazoonose fungieren z. B. Mücken oder Zecken als Zwischenwirt/Vektor; - Bei Saprozoonosen finden sich das Erregerreservoir oder bestimmte Entwicklungsphasen des Erregers außerhalb des Tierreichs, z. B. im Wasser oder im Boden; - Zyklozoonosen müssen während ihres Entwicklungszyklus zwischen einer variablen Anzahl verschiedener Wirte wechseln, Zwischen- und Endwirte sind dabei immer Wirbeltiere . 1 Nationale Forschungsplattform für Zoonosen, Zoonosenforschung, abrufbar unter: https://zoonosen.net/zoonosenforschung (Dieser und alle weiteren Links zuletzt abgerufen am 12. Januar 2021). 2 Nationale Forschungsplattform für Zoonosen, Zoonosenforschung, abrufbar unter: https://zoonosen.net/zoonosenforschung . 3 Nationale Forschungsplattform für Zoonosen, Was sind Zoonosen?, abrufbar unter: https://zoonosen.net/zoonosenforschung /was-sind-zoonosen. 4 Nationale Forschungsplattform für Zoonosen, Was sind Zoonosen?, abrufbar unter: https://zoonosen.net/zoonosenforschung /was-sind-zoonosen. 5 Siehe dazu Nationale Forschungsplattform für Zoonosen, Was sind Zoonosen?, abrufbar unter: https://zoonosen .net/zoonosenforschung/was-sind-zoonosen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 110/20 Seite 5 Im Grunde sind fast alle neuen Erkrankungen der letzten Jahre, aber auch viele aktuelle Infektionskrankheiten Zoonosen.6 Einem 2020 erschienenen Bericht des Weltbiodiversitätsrats (Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services – IPBES) zufolge trifft dies auf die Mehrheit (70 Prozent) aller neu auftretenden Krankheiten sowie auf fast alle bekannten Pandemien zu.7 Auch bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Krankheit COVID-19 handelt es sich um eine Zoonose. Forscherinnen und Forscher gehen bislang davon aus, dass die Übertragung von einem Wildtier (vermutlich einer Fledermausart) – ggf. mit einem weiteren Zwischenwirt in der Infektionskette – erfolgt ist.8 2. Historischer Überblick Bereits vor mehreren hundert Jahren wurden Ausbrüche von Krankheiten dokumentiert, die ursprünglich vom Tier auf den Menschen übergesprungen waren und sich danach – in unterschiedlichem Ausmaß – von Mensch zu Mensch übertragen konnten.9 Hierzu zählen u. a. die durch das Bakterium Yersinia pestis verursachte Pest (Schwarzer Tod) Mitte des 14. Jahrhunderts,10 der (vermutlich zoonotisch verursachte) Ausbruch der Tuberkulose im 19. Jahrhundert in Westeuropa ,11 die Schlafkrankheit Anfang des 20. Jahrhunderts in Uganda und im Kongo12 und nicht zuletzt die Spanische Grippe, an der zwischen 1918 und 1921 je nach Schätzung weltweit zwischen 6 Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Zoonosen: Gesundheitliche Bewertung, abrufbar unter: https://www.bfr.bund.de/de/zoonosen.html. 7 Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES), Workshop Report on Biodiversity and Pandemics, 2020, Bonn, S. 2, abrufbar unter: https://ipbes.net/sites/default/files/2020- 12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics%20Report_0.pdf; In einem Bericht des United Nations Environment Programme (UNEP) findet sich die Angabe, dass 60 % aller bekannten Infektionskrankheiten des Menschen Zoonosen seien und 75 % aller sich ausbreitenden oder neuen Infektionskrankheiten , siehe UNEP, Preventing the next pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission, 2020, Nairobi, S. 4, Download-Link abrufbar unter: Preventing the next pandemic - Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission | UNEP - UN Environment Programme. 8 Nationale Forschungsplattform für Zoonosen, Der Ursprung der Pandemie, 7. Mai 2020, abrufbar unter: https://zoonosen.net/der-ursprung-der-pandemie. 9 Siehe dazu UNEP, Preventing the next pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission, 2020, Nairobi, S. 13 ff., Download-Link abrufbar unter: Preventing the next pandemic - Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission | UNEP - UN Environment Programme. 10 Glazer, Sarah, Zoonotic Diseases, in: CQ Researcher vom 26. Juni 2020, Ausgabe 30, S. 1-57 (Zwischenüberschrift „Rodents and Plagues“), abrufbar unter: http://library.cqpress.com/cqresearcher /document.php?id=cqresrre2020062600. 11 UNEP, Preventing the next pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission, 2020, Nairobi, S. 14, Download-Link abrufbar unter: Preventing the next pandemic - Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission | UNEP - UN Environment Programme. 12 UNEP, Preventing the next pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission, 2020, Nairobi, S. 14, Download-Link abrufbar unter: Preventing the next pandemic - Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission | UNEP - UN Environment Programme. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 110/20 Seite 6 20 und 100 Millionen Menschen starben.13 Der Erreger der Grippe von 1918 war ein neuartiges Virus, dessen Gene ursprünglich bei Vögeln gefunden wurden und das dann vermutlich einige Zeit in einem anderen Wirt (Schweine oder Pferde) verbrachte, bevor es als menschliche Krankheit auftrat.14 Daneben ereigneten sich im 20. Jahrhundert noch zwei weitere Influenza-Pandemien in den Jahren 1957 und 1968, die allerdings deutlich weniger Todesfälle verursachten.15 Weitere Beispiele erstmaliger Ausbrüche im 20. Jahrhundert waren Ebola (1976), AIDS/HIV (1981) und Nipah (1999).16 Der größte Ausbruch von Ebola erfolgte in den Jahren 2014 bis 2016 in mehreren westafrikanischen Staaten (insbesondere Guinea, Liberia und Sierra Leone).17 In den letzten Jahren hat die Häufigkeit der Ausbrüche neuer Infektionskrankheiten zugenommen . Bereits vor COVID-19 traten im 21. Jahrhundert zoonotische Krankheiten von nicht unerheblichem Ausmaß auf. Die erste Pandemie dieses Jahrhunderts gab es im Zusammenhang mit der Lungenkrankheit SARS in den Jahren 2002 und 2003.18 Im Jahr 2004 weckte die Vogelgrippe (H5N1) die Angst vor einer weltweiten Pandemie, allerdings führte der Ausbruch nicht zu einer zwischen Menschen übertragbaren Krankheit. Stattdessen traten die meisten Fälle bei Menschen auf, die engen Kontakt mit Geflügel hatten.19 Im Jahr 2009 erklärte die World Health Organization 13 Vgl. Glazer, Sarah, Zoonotic Diseases, in: CQ Researcher vom 26. Juni 2020, Ausgabe 30, S. 1-57 (Zwischenüberschrift „Influenza Outbreaks“), abrufbar unter: http://library.cqpress.com/cqresearcher/document.php?id=cqresrre 2020062600; Bayerischer Rundfunk, Spanische Grippe: Die schlimmste Influenza-Pandemie der Geschichte, 15. Dezember 2020, abrufbar unter: https://www.br.de/wissen/spanische-grippe-influenza-virus-pandemie- 100.html#:~:text=Die%20Spanische%20Grippe%2C%20die%201918,und%20danach%20in%20der%20Geschichte . 14 Glazer, Sarah, Zoonotic Diseases, in: CQ Researcher vom 26. Juni 2020, Ausgabe 30, S. 1-57 (Zwischenüberschrift „Influenza Outbreaks“), abrufbar unter: http://library.cqpress.com/cqresearcher/document.php?id=cqresrre 2020062600. 15 Glazer, Sarah, Zoonotic Diseases, in: CQ Researcher vom 26. Juni 2020, Ausgabe 30, S. 1-57 (Zwischenüberschrift „Influenza Outbreaks“), abrufbar unter: http://library.cqpress.com/cqresearcher/document.php?id=cqresrre 2020062600. 16 Glazer, Sarah, Zoonotic Diseases, in: CQ Researcher vom 26. Juni 2020, Ausgabe 30, S. 1-57 (Zwischenüberschrift „Ebola, Nipah and AIDS“), abrufbar unter: http://library.cqpress.com/cqresearcher /document.php?id=cqresrre2020062600. 17 UNEP, Preventing the next pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission, 2020, Nairobi, S. 22, Download-Link abrufbar unter: Preventing the next pandemic - Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission | UNEP - UN Environment Programme. 18 Glazer, Sarah, Zoonotic Diseases, in: CQ Researcher vom 26. Juni 2020, Ausgabe 30, S. 1-57 (Zwischenüberschrift : „21st-Century Outbreaks“), abrufbar unter: http://library.cqpress.com/cqresearcher /document.php?id=cqresrre2020062600. 19 Glazer, Sarah, Zoonotic Diseases, in: CQ Researcher vom 26. Juni 2020, Ausgabe 30, S. 1-57 (Zwischenüberschrift : „21st-Century Outbreaks“), abrufbar unter: http://library.cqpress.com/cqresearcher /document.php?id=cqresrre2020062600. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 110/20 Seite 7 (WHO) die Schweinegrippe (H1N1) – als letzte Krankheit vor COVID-19 – zur Pandemie.20 Erstmalig im Jahr 2012 wurde auf der arabischen Halbinsel das Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus (MERS-CoV) nachgewiesen, welches ursprünglich von Dromedaren auf den Menschen überging und bisher zu über 800 bekannten Todesfällen führte.21 3. Zur Frage des Pandemiepotenzials von Zoonosen Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen aktuell davon aus, dass das Risiko für Pandemien – insbesondere durch vom Menschen verursachte Einflüsse – stark zunimmt.22 Die Gefahr der Zunahme von Zoonosen und des damit verbundenen Risikos von Pandemien wurde kürzlich auch auf dem vierten „One Planet“-Gipfeltreffen in Paris am 11. Januar 2021 unterstrichen .23 Neben der fortschreitenden Umweltzerstörung, dem Verlust der Artenvielfalt und dem Klimawandel drohten auch durch den Ausbruch von Zoonosen erhebliche Folgen für uns alle. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen erklärte hierzu: „Wenn wir nicht dringend handeln , um unsere Natur zu schützen, stehen wir vielleicht schon am Anfang einer Ära von Pandemien “.24 Zur Verhinderung von Pandemien soll eine neue internationale Forschungsinitiative, „Prezode“, mit einem Budget von mehreren hundert Millionen Euro gestartet werden. 20 Glazer, Sarah, Zoonotic Diseases, in: CQ Researcher vom 26. Juni 2020, Ausgabe 30, S. 1-57 (Zwischenüberschrift : „21st-Century Outbreaks“), abrufbar unter: http://library.cqpress.com/cqresearcher /document.php?id=cqresrre2020062600. 21 Siehe dazu Robert Koch-Institut, Informationen des RKI zu MERS-Coronavirus, 13. Dezember 2019, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/M/MERS_Coronavirus/MERS-CoV.html. Für weitere bedeutende Krankheiten bzw. Erreger, die vermutlich oder nachgewiesen zoonotisch sind, siehe beispielsweise die Chronologien der UNEP, Preventing the next pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission, 2020, Nairobi, S. 22 f., Download-Link abrufbar unter: Preventing the next pandemic - Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission | UNEP - UN Environment Programme und Glazer, Sarah, Zoonotic Diseases, in: CQ Researcher vom 26. Juni 2020, Ausgabe 30, S. 1-57 (Zwischenüberschrift „Chronology“), abrufbar unter: http://library.cqpress.com/cqresearcher/document.php?id=cqresrre2020062600. Siehe zudem Statistiken zu den Pandemien der letzten 100 Jahre bei Radtke, Rainer, Epidemien und Pandemien, 14. Oktober 2020, abrufbar unter: https://de.statista.com/themen/131/pandemien/. 22 Siehe hierzu IPBES, Workshop Report on Biodiversity and Pandemics, 2020, Bonn, S. 2, abrufbar unter: https://ipbes.net/sites/default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics %20Report_0.pdf. 23 Wiegel, Michaela, Klimagipfel in Paris: Macron warnt vor Artensterben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 11. Januar 2021, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/macron-eroeffnet-klimagipfel -und-warnt-vor-artensterben-17140631.html; Siehe auch Bundesregierung, Fragen und Antworten zur Biologischen Vielfalt: Menschen brauchen eine gesunde Natur, 11. Januar 2021, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/faq-biologische-vielfalt-1835598. 24 Tagesschau, UN-Klimagipfel: „Es muss heute gehandelt werden“, 11. Januar 2021, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/ausland/klima-un-paris-101.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 110/20 Seite 8 Fast alle Pandemien lassen sich auf ein einzelnes Infektionsereignis zurückführen. So hat etwa eine Person oder Personengruppe Kontakt mit einem Tier, das mit einem Erreger infiziert ist, welcher wiederum sie infiziert, sich in ihren Zellen repliziert und dann auf andere übertragen wird.25 Der Moment, in dem ein Erreger von einem Mitglied einer Art (z. B. einem Wildtier) auf Mitglieder einer anderen Art überspringt (z. B. Mensch), wird als „Spillover“ bezeichnet. Ein Spillover führt nur dann zum Entstehen einer neuen Krankheit, wenn der fremde Erreger in der neuen Art gedeiht und sich unter deren Mitgliedern ausbreitet.26 Studien würden – so führt der IPBES aus – zeigen, dass Spillover relativ häufig vorkommen.27 Gleichwohl würden danach viele tierische Krankheitserreger, die das Überspringen auf den Menschen schaffen, "verpuffen", da sie entweder nicht auf einen anderen Menschen übertragen würden oder nur eine begrenzte Anzahl von Menschen infizierten.28 So komme es manchmal zu Spillover-Ereignissen, bei denen Krankheitserreger auf eine „Handvoll“ Menschen übertragen würden und einige Übertragungszyklen durchliefen, bevor der Ausbruch abklinge.29 Vor diesem Hintergrund blieben viele Ausbrüche kleinräumig oder regional. Zu Pandemien würden sich vorrangig Krankheiten entwickeln, bei denen die zoonotischen Erreger leicht von Mensch zu Mensch übertragen werden und sich in schnell urbanisierenden Landschaften, Megastädten und Reise- und Handelsnetzwerken ausbreiten. Wenngleich globale Pandemien eher selten seien, nehme die Häufigkeit der aufkommenden Infektionskrankheiten, die zu Pandemien führen können, zu.30 Um künftigen Krankheitsausbrüchen von pandemischem Ausmaß vorzubeugen, besteht ein großes Interesse an der Forschung zu zoonotischen Erregern.31 Vor dem Hintergrund der hohen Anzahl zoonotischer Erreger und potentieller Mutationen sowie der Tatsache, dass ein großer Teil 25 IPBES, Workshop Report on Biodiversity and Pandemics, 2020, Bonn, S. 13, abrufbar unter: https://ipbes.net/sites /default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics%20Report_0.pdf. 26 Glazer, Sarah, Zoonotic Diseases, in: CQ Researcher vom 26. Juni 2020, Ausgabe 30, S. 1-57 (Zwischenüberschrift : „Rodents and Plagues“), abrufbar unter: http://library.cqpress.com/cqresearcher /document.php?id=cqresrre2020062600. 27 IPBES, Workshop Report on Biodiversity and Pandemics, 2020, Bonn, S. 13, abrufbar unter: https://ipbes.net/sites /default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics%20Report_0.pdf. 28 IPBES, Workshop Report on Biodiversity and Pandemics, 2020, Bonn, S. 13, abrufbar unter https://ipbes.net/sites /default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics%20Report_0.pdf. 29 IPBES, Workshop Report on Biodiversity and Pandemics, 2020, Bonn, S. 13, abrufbar unter https://ipbes.net/sites /default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics%20Report_0.pdf. 30 IPBES, Workshop Report on Biodiversity and Pandemics, 2020, Bonn, S. 13, abrufbar unter https://ipbes.net/sites /default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics%20Report_0.pdf. 31 Siehe hierzu etwa Berndt, Christina, Pandemien: Die nächste Seuche, in: Süddeutsche Zeitung vom 10. Januar 2021, abrufbar unter https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/coronavirus-pandemie-zoonosen-1.5168563?reduced =true. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 110/20 Seite 9 davon harmlos sei, gestalten sich Versuche, Pandemien vorherzusagen, jedoch eher als Suche nach der sprichwörtlichen „Nadel im Heuhaufen“.32 So erklärte auch die Bundesregierung im Jahr 2020 auf eine Schriftliche Frage nach der Existenz von Zoonose-Viren mit Pandemierisiko, gegen die es noch keine Immunität gebe, dass die Zahl zoonotischer Viren unbekannt sei. Aus diesem Grunde widme sich u. a. das Robert Koch-Institut (RKI) dem wichtigen Forschungsgebiet der Suche nach und der Charakterisierung bislang unbekannter zoonotischer Erreger.33 Auch die Autoren des im Jahr 2020 erschienenen Berichts des IP- BES gehen davon aus, dass schätzungsweise 1,7 Millionen Viren in Säugetieren und Wasservögeln vorkommen, von denen 631.000 bis 827.000 die Fähigkeit haben könnten, Menschen zu infizieren . Da dies bei weitem die bisher katalogisierte Virusvielfalt überschreite, nehmen sie an, dass weniger als 0,1 Prozent des potentiellen zoonotischen viralen Risikos entdeckt worden sei.34 Anlässlich einer in China durchgeführten Studie zu Schweinegrippen sahen die Wissenschaftler ihre Sorge vor der Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch bestätigt. Die Studie „sei eine Erinnerung daran, dass wir ständig dem Risiko des erneuten Auftretens zoonotischer Krankheitserreger ausgesetzt sind und dass Nutztiere … als Quelle für wichtige Pandemieviren dienen können“35. In den USA wurde das Programm PREDICT etabliert, das die globalen Kapazitäten zur Erkennung und Entdeckung von Zoonoseviren mit Pandemiepotential stärken sollte. In dessen Rahmen wurden etwa 1.000 Viren gefunden, darunter von Fledermäusen beherbergte Coronaviren, die denen ähneln, die SARS und COVID-19 verursacht haben. Das Virus, das die aktuelle Pandemie verursachte , wurde allerdings nicht entdeckt. Ein Biologe der Georgetown University schlussfolgerte, dass es durch das Projekt zwar gelungen sei, Hunderte von potenziellen Zoonosen zu entdecken, ihr wahres zoonotisches Potential aber fast unmöglich einzuschätzen sei.36 Die WHO veröffentlicht regelmäßig eine Liste sich ausbreitender oder neuer Infektionskrankheiten , denen das Potential innewohnen soll, Ausbrüche von epidemischem oder pandemischem Potential zu verursachen. Im WHO-Bericht aus dem Jahr 2018 wurde dringender Forschungsbedarf für folgende Krankheiten bzw. Erreger identifiziert: Krim-Kongo-Hämorrhagisches Fieber 32 Glazer, Sarah, Zoonotic Diseases, in: CQ Researcher vom 26. Juni 2020, Ausgabe 30, S. 1-57 (Zwischenüberschrift : „Is it possible to predict the next pandemic?“), abrufbar unter: http://library.cqpress.com/cqresearcher /document.php?id=cqresrre2020062600; Siehe dazu auch Carlson, Colin, From PREDICT to prevention, one pandemic later, in: The lancet Journals, 31. März 2020, abrufbar unter: From PREDICT to prevention, one pandemic later - The Lancet Microbe. 33 Schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 13. April 2020 eingegangenen Antworten der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18555 vom 17. April 2020, S. 96 f.; Zum Überblick der Forschungstätigkeit des RKI zu Zoonosen siehe https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/Z/Zoonosen/Zoonosen_node.html. 34 IPBES, Workshop Report on Biodiversity and Pandemics, 2020, Bonn, S. 11, abrufbar unter: https://ipbes.net/sites /default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics%20Report_0.pdf. 35 Siehe hierzu: Zeit-Online, G4-Virus: Chinesische Forscher finden Schweinegrippe mit Pandemie-Potenzial, 30. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-06/g4-virus-schweinegrippe-chinapandemie ?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F. 36 Carlson, Colin, From PREDICT to prevention, one pandemic later, in: The lancet Journals, 31. März 2020, abrufbar unter: From PREDICT to prevention, one pandemic later - The Lancet Microbe. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 110/20 Seite 10 (CCHF), Ebola-Virus und Marburg-Virus, Lassafieber, Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus (MERS-CoV) und Schweres Akutes Atemwegs-Syndrom (SARS), Nipah und henipavirale Erkrankungen, Rifttalfieber (RVF), Zika-Virus.37 Die Liste beschränkt sich zwar nicht explizit auf zoonotische Erreger, allerdings trifft dies auf alle der in der Liste genannten Fälle zu und bestätigt damit die Annahme eines großen Anteils von Zoonosen an bereits existierenden und neuen Erkrankungen . Auf der Liste findet sich auch eine „Krankheit X“ („Disease X“), womit gezeigt werden soll, dass ein epidemischer oder pandemischer Ausbruch einer Krankheit durch einen zuvor noch unbekannten Erreger ausgelöst werden kann.38 Nach Ansicht eines Epidemiologen der Harvard -Universität zeigt wiederum die Corona-Pandemie, wie schwer es ist, etwas über eine „Disease X“ vorherzusagen.39 Ungeachtet der Schwierigkeiten, das Pandemiepotential einzelner Erreger wissenschaftlich vorherzusagen , wurden in der Vergangenheit Faktoren identifiziert, die allgemein – also unabhängig vom konkreten Erreger – zum zunehmenden Bedeutungsgewinn von Zoonosen beitragen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zählt hierzu schnelles Bevölkerungswachstum, zunehmende Mobilität, veränderte Tierzucht und -haltung sowie Klimaveränderungen.40 Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) führt auf Grund einer Schriftlichen Frage zur Übertragung von Zoonoseviren aus, dass ein Überwinden der Speziesbarriere vom Wildtier auf den Menschen meistens in Regionen geschehe, die sich durch eine hohe Biodiversität auszeichnen und in denen der Mensch verstärkt in die Ökosysteme eingreife. Je näher sich Mensch und Natur kämen, desto höher sei das Risiko, dass Viren von Wildtieren auf den Menschen übergingen. Das Eindringen in und die Zerstörung der Ökosysteme würden Veränderungen der Artenspektren und Populationen verursachen, was zu einer Erhöhung des Risikos beitragen könne. Grundsätzlich bestehe an Orten , wo viele Tiere (insbesondere Säugetiere und Vögel) unter geringen (oder ohne) Hygienestandards gehalten, geschlachtet und verarbeitet sowie konsumtiv genutzt würden, ein erhöhtes Risiko der Ausbreitung von Viren sowie der potentiellen Übertragung auf den Menschen.41 37 WHO, 2018 Annual review of diseases prioritized under the Research and Development Blueprint, 6.-7. Februar 2018, Genf, S. 2, abrufbar unter: https://www.who.int/docs/default-source/blue-print/2018-annual-reviewof -diseases-prioritized-under-the-research-and-development-blueprint.pdf?sfvrsn=4c22e36_2, S. 2. Krankheiten bzw. Erreger, bei denen ebenfalls überlegt wurde, sie in die endgültige Liste aufzunehmen, finden sich auf S. 6 der angegebenen Quelle. 38 WHO, Prioritizing diseases for research and development in emergency contexts, abrufbar unter: https://www.who.int/activities/prioritizing-diseases-for-research-and-development-in-emergency-contexts. 39 Erdmann, Elena, Coronavirus: „Wir wissen nicht einmal, wie viele Fälle es heute gibt“, in: Zeit-Online vom 29. Februar 2020, abrufbar unter: https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-02/coronavirus-pandemie-infektionskrankheit -verbreitung-epidemiologe/seite-3?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F. 40 Nationale Forschungsplattform für Zoonosen, Zoonosenforschung, abrufbar unter: https://zoonosen.net/zoonosenforschung . 41 Schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 13. April 2020 eingegangenen Antworten der Bundesregierung, BT-Drs. 19/18555 vom 17. April 2020, S. 97. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 110/20 Seite 11 Ebenso stellt der Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) aus dem Jahr 202042 darauf ab, dass besonders gewichtige Faktoren für die Entstehung von Zoonosen vom Menschen verursacht, also anthropogen, seien. Die sieben wichtigsten, in dem Bericht identifizierten , globalen Faktoren sind die steigende Nachfrage nach tierischem Eiweiß, eine nicht nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft, die zunehmende Nutzung und Ausbeutung von Wildtieren , die nicht nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, beschleunigt durch Urbanisierung, Landnutzungsänderung und den rohstoffgewinnenden Sektor, Reisen und Transport, Veränderungen in den Lebensmittelversorgungsketten sowie der Klimawandel.43 Daneben hätten weitere Faktoren Einfluss auf die Ausbreitung, wie etwa der Erregertyp. So gelte es bei Erregern, die weit verbreitet sind, schnell mutieren und mehrere Wirte haben, als am wahrscheinlichsten , dass sie von einer Spezies auf eine andere übertragen werden können. Zuletzt spielen auch die Anfälligkeit bestimmter Menschen für eine Infektion mit Krankheitserregern sowie die unterschiedliche Wahrscheinlichkeit verschiedener Tierarten, zoonotische Erreger zu beherbergen , eine Rolle.44 Trotz der beachtlichen Herausforderungen bei der Erforschung von Zoonosen blicken Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angesichts der Entwicklung und Anwendung neuer Forschungsmethoden offensichtlich auch mit Optimismus in die Zukunft. In dem bereits erwähnten Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 10. Januar 202145 wird Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg zitiert: „Wir werden es den Viren immer schwerer machen, Weltreisen anzutreten“.46 *** 42 UNEP, Preventing the next pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission, 2020, Nairobi, Download-Link abrufbar unter: Preventing the next pandemic - Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission | UNEP - UN Environment Programme. 43 UNEP, Preventing the next pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission, 2020, Nairobi, S. 15 ff., Download-Link abrufbar unter: Preventing the next pandemic - Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission | UNEP - UN Environment Programme; Siehe auch Beschreibung der Risikofaktoren für einen ‚Spillover‘ bei Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES), Workshop Report on Biodiversity and Pandemics, 2020, Bonn, S. 13 ff., abrufbar unter: https://ipbes .net/sites/default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics%20Report _0.pdf. 44 UNEP, Preventing the next pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission, 2020, Nairobi, S. 19, Download-Link abrufbar unter: Preventing the next pandemic - Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission | UNEP - UN Environment Programme. 45 Siehe oben, Fn 29. 46 Berndt, Christina, Pandemien: Die nächste Seuche, in: Süddeutsche Zeitung vom 10. Januar 2021, abrufbar unter : https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/coronavirus-pandemie-zoonosen-1.5168563?reduced=true.