© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 101/20 Beratungsangebote im Bereich der Suizidhilfe Regelungsvorschläge und Rechtslage im Ausland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsi chtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 101/20 Seite 2 Beratungsangebote im Bereich der Suizidhilfe Regelungsvorschläge und Rechtslage im Ausland Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 101/20 Abschluss der Arbeit: 17. November 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 101/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Diskussion im Hinblick auf die Anerkennung von Beratungsangeboten zur Suizidhilfe 4 2.1. Gesetzentwürfe und Regelungsvorschläge 5 2.2. Regelungen im Ausland 7 2.2.1. Schweiz 7 2.2.2. Niederlande 7 2.2.3. Belgien 8 2.2.4. US-Bundesstaat Oregon 9 3. Sonderproblem: Schutz von Minderjährigen 9 4. Fazit 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 101/20 Seite 4 1. Vorbemerkung Im Hinblick auf den Schutz des menschlichen Lebens – gerade wenn dieser im Konflikt mit der freien Willensausübung steht – steht der Gesetzgeber vor der Herausforderung, verschiedene Verfassungsgüter in einen sachgerechten und dabei auch ethisch vertretbaren Einklang zu bringen. In diesem Zusammenhang steht seit Jahren die strafrechtliche Regelung zum ärztlich assistierten Suizid in der Diskussion. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 26. Februar 20201 festgestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst, welches die Freiheit einschließt, sich das Leben zu nehmen und hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) verenge die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung in einem solchen Umfang, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibe. Der Gesetzgeber müsse sicherstellen, dass trotz dieses Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibe. Eine Neuregelung des Zugangs zur Suizidhilfe ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erforderlich. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie eine Beratungslösung ausgestaltet werden könnte. Die Erörterung der verfassungsrechtlichen und ethischen Diskussion um eine Beibehaltung der Strafbarkeit der Suizidbeihilfe2 soll nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. 2. Diskussion im Hinblick auf die Anerkennung von Beratungsangeboten zur Suizidhilfe Das Bundesverfassungsgericht geht in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 davon aus, dass der Gesetzgeber berechtigt ist, eine Regelung im Hinblick auf die Suizidhilfe zu treffen.3 Aus der Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB folge nicht, dass der Gesetzgeber sich einer Regulierung der Suizidhilfe vollständig zu enthalten habe. Die verfassungsrechtliche Anerkennung des Einzelnen als zur Selbstbestimmung befähigten Menschen verlange aber eine strikte Beschränkung staatlicher Intervention auf den Schutz der Selbstbestimmung, der durch Elemente der medizinischen und pharmakologischen Qualitätssicherung und des Missbrauchsschutzes ergänzt werden könne. Das Bundesverfassungsgericht selbst verweist auf die Möglichkeit gesetzlich festgeschriebener 1 Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 u. a., abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht .de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/02/rs20200226_2bvr234715.html. 2 So hatten etwa das Kommissariat der Deutschen Bischöfe, die Evangelische Kirche in Deutschland, der Zentralrat der Juden in Deutschland, die Bundesärztekammer, der Marburger Bund, der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe, die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, die Deutsche PalliativStiftung, die Deutsche Stiftung Patientenschutz und der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband e. V. in Stellungnahmen im Vorfeld der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 (2 BvF2/90) mit verschiedenen Begründungen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 217 Abs. 1 StGB vertreten, vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 u. a., Rn. 142 ff., abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht .de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/02/rs20200226_2bvr234715.html . 3 Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 u. a., Rn. 338, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen /DE/2020/02/rs20200226_2bvr234715.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 101/20 Seite 5 Aufklärungs- und Wartepflichten, auf Erlaubnisvorbehalte, die die Zuverlässigkeit von Suizidhilfeangeboten sichern, und auf Verbote besonders gefahrträchtiger Erscheinungsformen der Suizidhilfe entsprechend dem Regelungsgedanken des § 217 StGB.4 Es verbiete sich, die Zulässigkeit einer Hilfe zur Selbsttötung etwa vom Vorliegen einer unheilbaren oder tödlich verlaufenden Krankheit abhängig zu machen.5 Dies verhindere aber nicht, dass je nach Lebenssituation unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Selbsttötungswillens gestellt werden könnten. Jede regulatorische Einschränkung der assistierten Selbsttötung müsse schließlich sicherstellen, dass sie dem verfassungsrechtlich geschützten Recht des Einzelnen, aufgrund freier Entscheidung mit Unterstützung Dritter aus dem Leben zu scheiden, auch faktisch hinreichenden Raum zur Entfaltung und Umsetzung belasse.6 2.1. Gesetzentwürfe und Regelungsvorschläge Vorschläge zur Ausgestaltung einer Beratungsregelung finden sich etwa im (abgelehnten) Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung (BT-Drs. 18/5375)7. Ziel des Entwurfs war ausweislich der Begründung ein Mehr an Fürsorge und Beratung.8 Es solle eine eigenverantwortliche Entscheidung unterstützt werden. Es handele sich dabei um ein Gebot der Menschenwürde. Nach dem Entwurf sollte die Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich straflos sein, wenn der sterbewillige Mensch den Wunsch zur Selbsttötung freiverantwortlich gefasst und geäußert hat. Wird die Hilfe in organisierter oder geschäftsmäßiger Form durchgeführt, so sah der Entwurf die Durchführung eines Beratungsgesprächs vor (vgl. § 7 des Entwurfs). Das Beratungsgespräch sollte stets zumindest auch durch einen Arzt erfolgen. Die Person solle umfassend und ergebnisoffen im Beratungsgespräch über ihren Zustand aufgeklärt werden, es sollten Möglichkeiten der medizinischen Behandlung und Alternativen zur Selbsttötung – insbesondere palliativmedizinische – aufgezeigt werden, weitere Beratungsmöglichkeiten empfohlen sowie auf mögliche Folgen eines fehlgeschlagenen Selbsttötungsversuches hingewiesen werden. Ein Verstoß gegen die Beratungspflicht sollte nach dem Entwurf strafbewehrt sein (vgl. § 9 des Entwurfs). 4 Ebd., Rn. 339. 5 Ebd., Rn. 340. 6 Ebd., Rn. 341. 7 Gesetzentwurf der Abgeordneten Renate Künast, Dr. Petra Sitte, Kai Gehring u. a., Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung, 30. Juni 2015, BT-Drs. 18/5375. 8 Ebd., vgl. Begründung, S. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 101/20 Seite 6 Eine Beratungslösung wurde auch im (ebenfalls abgelehnten) Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz, BT-Drs. 18/5374)9 vorgeschlagen . Der Entwurf sah vor, eine ärztliche Suizidassistenz nur unter der Voraussetzung zu ermöglichen , dass eine unheilbare, unmittelbar zum Tode führende Erkrankung durch mindestens zwei Ärzte nach dem Vier-Augen-Prinzip festgestellt wurde, eine umfassende ärztliche Beratung über mögliche Behandlungsalternativen stattgefunden hat, der Patient volljährig und einwilligungsfähig ist und sowohl die Beratung des Patienten wie auch die Durchführung der Suizidhilfe ausschließlich durch einen Arzt und auf freiwilliger Grundlage erfolgt.10 Die Beratung sollte infrage kommende alternative Behandlungen sowie die Art und Weise der Suizidassistenz umfassen und sollte ausweislich der Entwurfsbegründung der Suizidprävention dienen und den Möglichkeiten der palliativen Versorgung ein besonderes Gewicht verleihen.11 Ein weiterer Vorschlag einer Neuregelung von § 217 StGB findet sich in einem Aufsatz des Verfassungs - und Medizinrechtlers Josef Franz Lindner.12 Geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung soll hiernach nur zulässig sein, wenn der freiverantwortlich gebildete Wille der sterbewilligen Person zur Selbsttötung zweifelsfrei erkennbar sei. Hiervon müssten sich zwei Personen, darunter ein Arzt oder eine Ärztin, unabhängig voneinander überzeugen und dies schriftlich begründen . Für den Fall, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Entschluss zur Selbsttötung nicht freiverantwortlich gefasst sein könnte, insbesondere auf Druck oder durch Beeinflussung einer anderen Person zustande gekommen ist, dürfe die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung nur erfolgen, wenn eine nach Landesrecht gebildete Ethikkommission eine zustimmende Bewertung abgegeben habe. Zudem sei nach dem Entwurf eine auf die Vermeidung der Selbsttötung gerichtete psychosoziale und im Falle einer schwerwiegenden Erkrankung medizinische , insbesondere palliativmedizinische Beratung durchzuführen und eine Überdenkungsfrist von mindestens einer Woche einzuhalten. Bei Minderjährigen sei eine Frist von vier Wochen einzuhalten und im Anschluss erneut eine psychosoziale Beratung durchzuführen.13 9 Gesetzentwurf der Abgeordneten Peter Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Karl Lauterbach u. a., Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz), 30. Juni 2015, BT-Drs. 18/5374. 10 Ebd., vgl. § 1921a Abs. 2 BGB-E. 11 Ebd., vgl. Begründung, S. 13. 12 Lindner, Josef Franz, Sterbehilfe in Deutschland – mögliche Regelungsoptionen, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2020, 66 ff. Lindner ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Augsburg und Mitglied der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der LMU München, vgl. die Informationen unter: https://www.uni-augsburg.de/de/fakultaet/jura/lehrende/lindner/lehrstuhl -team/prof-dr-josef-franz-lindner/. 13 Ebd., S. 69. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 101/20 Seite 7 2.2. Regelungen im Ausland Im Ausland bestehen in einigen Staaten Regelungen zur Suizidhilfe, die diese unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleiben lassen.14 Im Folgenden soll auf einige Beispiele eingegangen werden. 2.2.1. Schweiz In der Schweiz ist die Tötung auf Verlangen auch für Ärzte verboten (vgl. Art. 114 schweizerisches Strafgesetzbuch15). Die Beihilfe zu einer (ausgeführten oder versuchten) Selbsttötung nach Art. 115 des schweizerischen Strafgesetzbuchs ist aber nur unter der Voraussetzung strafbar, dass sie aus „selbstsüchtigen Beweggründen“ erfolgt. Die Vorschrift gilt für Ärzte wie für Nichtärzte gleichermaßen. Allerdings kommt den Ärzten eine Kontrollfunktion zu, da nach der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts zur Selbsttötung16 geeignete Wirkstoffe ärztlich verschrieben werden müssen. Dies soll unter anderem gewährleisten, dass eine den ärztlichen Berufs - und Sorgfaltspflichten entsprechende Diagnose, eine Indikationsstellung und ein Aufklärungsgespräch stattfinden und die Urteilsfähigkeit durch einen Arzt ebenso geprüft wird, wie die medizinischen Unterlagen und die Ausschöpfung von Behandlungsmaßnahmen. Die ärztliche Verschreibung stellt hiernach ein Kontrollverfahren dar, das sicherstellen soll, dass eine Suizidentscheidung tatsächlich dem freien und wohlerwogenen Willen des Betroffenen entspricht. Ärzte müssen damit in jeden begleiteten Suizid eingebunden werden, der mit einem dem schweizerischen Betäubungsmittel- oder Heilmittelrecht unterfallenden Wirkstoff ausgeführt wird.17 2.2.2. Niederlande In den Niederlanden, wo sowohl die Tötung auf Verlangen als auch die Beihilfe zur Selbsttötung strafbar sind (vgl. Art. 293 Abs. 1, Art. 294 Abs. 2 Satz 1 niederländisches Strafgesetzbuch 18), gilt ein besonderer Strafausschließungsgrund für Ärzte (vgl. Art. 293 Abs. 2, Art. 294 Abs. 2 Satz 2 niederländisches Strafgesetzbuch). Hiernach bleibt ein Arzt, der aktiv Sterbehilfe oder Beihilfe zur Selbsttötung leistet, straflos, wenn er bestimmte Sorgfaltsanforderungen einhält und über den 14 Vgl. zur Situation im Ausland auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundest ages, Fachbereich WD 9, Organisierte Sterbehilfe und ärztlich assistierter Suizid in der Schweiz, den Niederlanden und in Belgien , 13. Mai 2020, WD 9 – 017/20. 15 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, mit Stand vom 1. Juli 2020, abrufbar un ter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19370083/index.html. 16 vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 3. November 2006, 2A.48/2006 / 2A.66/2006, BGE 133 I 58, 71 f., abrufbar unter: https://www.servat.unibe.ch/dfr/bge/c1133058.html. 17 Siehe Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 u. a., Rn. 27, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen /DE/2020/02/rs20200226_2bvr234715.html, mit weiteren Nachweisen zur Rechtslage in der Schweiz: Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, S. 64-107; Tag, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) 2016, S. 73 ff. 18 Wetboek van Strafrecht vom 3. März 1881, in der Fassung vom 25. Juli 2020, abrufbar unter: https://wetten.overheid .nl/BWBR0001854/2020-07-25. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 101/20 Seite 8 Vorgang Meldung erstattet. Der Arzt muss zunächst prüfen, ob der Patient den Wunsch nach Lebensbeendigung freiwillig und nach reiflicher Überlegung äußert. Des Weiteren muss der Arzt den Patienten über seine Situation und über die medizinische Prognose aufklären und mindestens einen anderen, unabhängigen Arzt zu Rate ziehen, der den Patienten untersucht und seinerseits schriftlich zur Einhaltung der Sorgfaltskriterien Stellung nimmt. Eine psychiatrische Untersuchung ist nicht zwingend vorgeschrieben. Die Sterbehilfe oder Hilfe bei der Selbsttötung muss zudem medizinisch fachgerecht durchgeführt werden. Tötung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung sind nicht auf terminale Erkrankungen beschränkt. Ausreichend ist, dass keine Aussicht auf Besserung besteht, der Patient „unerträglich leidet“ und es für seine Situation keine „andere annehmbare Lösung“ gibt. Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch Minderjährigen ab dem zwölften Lebensjahr Sterbehilfe geleistet werden. Sogenannte regionale Kontrollkommissionen für Sterbehilfe prüfen, ob die Sorgfaltsanforderungen eingehalten wurden. Sterbe- und Suizidhilfe ist für den Arzt freiwillig.19 2.2.3. Belgien In Belgien bestehen Regelungen zur Straffreiheit von Ärzten bei einer Tötung auf Verlangen, die im Übrigen als Totschlag oder Mord strafbar ist (vgl. Art. 393, 394 belgisches Strafgesetzbuch 20). Anders als in den Niederlanden ist in Belgien die Beihilfe zur Selbsttötung nicht strafbewehrt. Nach Art. 3 des Gesetzes über die Sterbehilfe muss sich der Arzt, der Sterbehilfe leistet, vergewissern , dass der Patient eine handlungsfähige Person ist, die zum Zeitpunkt ihrer Bitte bei Bewusstsein ist, und dass die Bitte freiwillig, überlegt und wiederholt formuliert worden und nicht durch Druck von außen zustande gekommen ist. Voraussetzung ist, dass sich der Patient in einer medizinisch aussichtslosen Lage befindet und sich auf eine anhaltende, unerträgliche körperliche oder psychische Qual beruft, die nicht gelindert werden kann. Sie muss zudem Folge eines schlimmen und unheilbaren unfall- oder krankheitsbedingten Leidens sein. Um sich nicht strafbar zu machen, muss der Arzt weiter die durch das Gesetz im Einzelnen vorgeschriebenen Bedingungen und Vorgehensweisen beachten. Dazu gehört insbesondere, dass der Arzt den Patienten über dessen Gesundheitszustand und Lebenserwartung informiert sowie mit ihm verbleibende Therapie- und palliative Behandlungsmöglichkeiten bespricht. Weiterhin muss der Arzt einen anderen unabhängigen und fachkundigen Arzt zur Beurteilung des körperlichen oder psychischen Leidens zu Rate ziehen, der Einsicht in die medizinische Akte nimmt und den Patienten untersucht. Soweit der (natürliche) Tod nicht in absehbarer Zeit eintritt, muss er einen weiteren Arzt, der Psychiater oder Facharzt für die betreffende Erkrankung sein muss, hinzuziehen, der selbstständig den gesundheitlichen Zustand sowie die Freiwilligkeit und Überlegtheit des Sterbewunsches beurteilt. Ferner muss mindestens ein Monat zwischen der Bitte des Patienten nach 19 Siehe Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 u. a., Rn. 28, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen /DE/2020/02/rs20200226_2bvr234715.html, mit weiteren Nachweisen zur Rechtslage in den Niederlanden: Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, S. 107-144; Lindemann, ZStW 2005, S. 208 ff.; Mackor, ZStW 2016, S. 24 ff. 20 Code Pénal vom 9. Juni 1867 in der Fassung vom 18. Mai 2020, abrufbar unter: http://www.ejustice .just.fgov.be/img_l/pdf/1867/06/08/1867060850_F.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 101/20 Seite 9 Sterbehilfe und deren Leistung vergehen. Auch Minderjährigen darf ohne Altersbeschränkung Sterbehilfe geleistet werden.21 2.2.4. US-Bundesstaat Oregon Auch in dem US-amerikanischen Bundesstaat Oregon kann ein Arzt tödlich wirkende Medikamente verschreiben, ohne sich strafbar zu machen, wenn er die Anforderungen des Oregon Death with Dignity Act22 beachtet. Nach dessen Bestimmungen können urteilsfähige, volljährige und in Oregon wohnhafte Patienten einen Antrag auf Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments stellen. Sie müssen an einer unheilbaren, irreversiblen Krankheit leiden, die nach begründeter medizinischer Einschätzung innerhalb von höchstens sechs Monaten zum Tod führt. Der behandelnde Arzt muss die terminale Erkrankung, die Urteilsfähigkeit des Patienten sowie die Freiwilligkeit des Sterbewunsches feststellen. Es ist ein beratender Arzt hinzuzuziehen, der – nach einer eigenen Untersuchung und Durchsicht der medizinischen Unterlagen – die Einschätzung des behandelnden Arztes schriftlich bestätigen muss. In Zweifelsfällen ist eine psychiatrische Untersuchung notwendig. Den behandelnden Arzt trifft außerdem eine umfassende Aufklärungspflicht : Er muss den Patienten über dessen medizinische Diagnose und Prognose, Risiken und das zu erwartende Ergebnis der Einnahme des zum Tod führenden Medikaments sowie über mögliche Alternativen einschließlich der Palliativpflege, Hospizbetreuung und Schmerzbehandlung aufklären und damit sicherstellen, dass der Patient eine informierte Entscheidung über sein Lebensende treffen kann. In formeller Hinsicht muss der Sterbewillige seinen Sterbewunsch zweimal mündlich äußern und einmal schriftlich in Anwesenheit zweier Zeugen erklären, die ebenfalls von der Urteilsfähigkeit des Sterbewilligen und der Freiwilligkeit des geäußerten Sterbewunsches überzeugt sein müssen. Die Erklärungen müssen mindestens 15 Tage auseinanderliegen .23. 3. Sonderproblem: Schutz von Minderjährigen Besonderer Aufmerksamkeit bedarf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen auch bei Minderjährigen Suizidhilfe zulässig sein kann. Wie bereits dargelegt, kann sowohl in Belgien als auch in den Niederlanden unter bestimmten Voraussetzungen auch Minderjährigen Sterbehilfe 21 Siehe Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 u. a., Rn. 29, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen /DE/2020/02/rs20200226_2bvr234715.html, mit weiteren Nachweisen zur Rechtslage in Belgien: Khorrami, MedR 2003, S. 19, 22 f.; Adams/Nys, Medical Law Review 2003, S. 353 ff.; Nys, European Journal of Health Law 2005, S. 39 ff. 22 Oregon’s Death With Dignity Act, Oregon Revised Statute, Chapter 127, abrufbar unter: https://www.oregon.gov/oha/PH/PROVIDERPARTNERRESOURCES/EVALUATIONRESEARCH/DEATHWITH- DIGNITYACT/Pages/ors.aspx. 23 Siehe Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 u. a., Rn. 29, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen /DE/2020/02/rs20200226_2bvr234715.html, mit weiteren Nachweisen zur Rechtslage in Oregon: Ganzini, in: Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing, Assistierter Suizid: Der Stand der Wissenschaft, 2017, S. 7 ff.; Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, S. 192-203; Schmaltz, Sterbehilfe, Rechtsvergleich Deutschland - USA, 2000, S. 107-114. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 101/20 Seite 10 geleistet werden. Auch Lindner berücksichtigt diese Möglichkeit in seinem Entwurf, unter der Voraussetzung, dass die Wartefrist verlängert und eine erneute Beratung durchgeführt wird. Gerade bei Minderjährigen kann die Freiverantwortlichkeit und Selbstbestimmtheit24 der Entscheidung fraglich sein. Der Vatikan hat die belgische Regelung als „Signal des Todes“ kritisiert und angemerkt, sie nehme den Minderjährigen ihr Recht auf Leben.25 Der Medizin- und Sozialrechtler Frank Czerner hat sich in einem Aufsatz26 mit der Thematik auf verfassungsrechtlicher Ebene auseinandergesetzt und kommt zu dem Ergebnis, dass eine Suizidhilfe bei Minderjährigen ohne Zustimmung der Eltern aufgrund des elterlichen Erziehungsrechts von vornherein ausscheide. Selbst wenn diese vorliege, sei aber zu bedenken, dass ein Grundrechtsverzicht eine freiwillige und hinreichend konkretisierte Entscheidung erfordere. Ob dies im Hinblick auf eine Suizidentscheidung bei Kindern und Jugendlichen gegeben sei, sei äußerst fraglich. Bestrebungen zur Liberalisierung sei aus gesellschaftspolitischen und ethischen Gründen eine Absage zu erteilen, auch wenn die verfassungsrechtliche Abwägung auch andere Ergebnisse zulasse. 4. Fazit Die Thematik von Beratungsangeboten im Hinblick auf Suizidhilfe und die damit verbundene verfassungsrechtliche Abwägung ist hochkomplex: Vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Rechtsprechung müssen Schutzpflichten des Staates, der Lebensschutz, die Menschenwürde und das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Einklang gebracht werden. Beratungsangebote müssen daher unabhängig, umfassend und fachgerecht erfolgen. Die bestehenden Vorschläge und Lösungen auf dem Gebiet der Suizidhilfe wollen dies zumeist durch eine ärztliche Beratung gewährleisten, deren Umfang verschiedentlich geregelt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat nähere Kriterien einer Beratungslösung nicht definiert. Es bleibt daher Aufgabe des Gesetzgebers , eine verfassungskonforme Regelung zu treffen. *** 24 Allgemein zur Thematik der Freiverantwortlichkeit einer Suizidentscheidung siehe : Cording, Clemens / Saß, Henning, Die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung für einen assistierten Suizid – Ein Diskussionsbeitrag aus forensisch-psychiatrischer Perspektive, NJW 2020, 2695 ff. 25 Vatikan kritisiert ersten Fall von Sterbehilfe für Minderjährige , sueddeutsche.de, 18. September 2016, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/panorama/belgien-vatikan-kritisiert-ersten-fall-von-sterbehilfe-fuer-minderjaehrige -1.3168216. 26 Czerner, Frank, Aktive Sterbehilfe auch gegenüber Kindern? Zur Übertragbarkeit der aktuellen Diskussion in den Niederlanden auf die Bundesrepublik Deutschland unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, MedR 2001, 354 ff. Czerner ist Professor auf dem Gebiet des Rechts in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Mittelweida , vgl. https://www.sw.hs-mittweida.de/professuren/prof-dr-jur-frank-czerner.html.