© 2021 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 098/20 Zur Praktizierung weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsi chtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 098/20 Seite 2 Zur Praktizierung weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 098/20 Abschluss der Arbeit: 4. Dezember 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 098/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zahlen zu in Deutschland betroffenen Frauen und gefährdeten Mädchen 4 3. Praktizierung in Europa, insbesondere in Deutschland 5 3.1. Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 7 3.2. Hinweise auf Praktizierungen in Deutschland 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 098/20 Seite 4 1. Einleitung Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am 6. Februar 2020 anlässlich des jährlichen Internationalen Tages gegen weibliche Genitalverstümmelung (in englischer Sprache: Female Genital Mutilation – FGM) erneut deren Ende gefordert und dabei auch auf die Sterberate bei Mädchen und Frauen hingewiesen: Nach Erkenntnissen der WHO würden weltweit 25 Prozent während des Eingriffs oder an dessen Folgen sterben.1 Mit § 226a Strafgesetzbuch (StGB)2 existiert mit Wirkung vom 28. September 2013 eine spezialgesetzliche Regelung, wonach FGM in Deutschland strafbar ist. Seit 2015 ist gem. § 5 Abs. 9a StGB auch eine im Ausland begangene FGM strafbar, wenn der Täter oder die Täterin zur Tatzeit die deutsche Staatsangehörigkeit besaß oder wenn das Opfer zur Tatzeit seinen Wohnsitz in Deutschland hatte. Eine Einwilligung der Betroffenen in die FGM entfaltet gem. § 228 StGB keine rechtfertigende Wirkung, wenn die Tat gegen die guten Sitten verstößt, was regelmäßig der Fall sein dürfte.3 Der vorliegende Sachstand befasst sich mit Zahlen zu in Deutschland von FGM betroffenen Frauen und gefährdeten Mädchen sowie mit der Praktizierung der FGM in Deutschland. Dabei werden zunächst die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erläutert und anschließend Einblicke zur Praktizierung in Deutschland, soweit möglich, gegeben. 2. Zahlen zu in Deutschland betroffenen Frauen und gefährdeten Mädchen Die Zahl der von FGM betroffenen Frauen in Deutschland wird nach einer durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) beauftragten Erhebung auf derzeit rund 67.000 geschätzt.4 Im Vergleich zu den im Februar 2017 vom BMFSFJ veröffentlichten Zahlen ist das ein Anstieg von rund 40 Prozent.5 Die meisten betroffenen Frauen stammen aus Eritrea , Somalia, Indonesien, Ägypten und dem Irak. Die Erhebung überträgt die in den Herkunfts- 1 SWR aktuell, WHO fordert Stopp, Weibliche Genitalverstümmelung: Fast 20.000 Mädchen in Deutschland bedroht , 6. Februar 2020, abrufbar unter: https://www.swr.de/swraktuell/genitalverstuemmelung-who-100.html (dieser sowie alle weiteren Links wurden zuletzt abgerufen am 4. Dezember 2020). 2 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 9. Oktober 2020 (BGBl. I S. 2075) geändert worden ist . 3 Knauer/Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, 3. Auflage 2018, § 226a, Rn. 3; Böse, in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen , Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 226a, Rn. 16. 4 Presseerklärung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 25. Juni 2020, An die 67.000 Frauen und Mädchen in Deutschland betroffen, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles /alle-meldungen/an-die-67-000-frauen-und-maedchen-in-deutschland-betroffen/156806. 5 Vgl. hierzu die Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland: Gesundheitliche Auswirkungen und Präventionsmaßnahmen, WD 9 – 023/18, Dokumentation vom 24. April 2018, S. 4, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/557698/259d14b816ce5ada304073c98eefa069/wd-9---023-18-pdf-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 098/20 Seite 5 ländern erhobenen Prävalenzdaten auf die nach Deutschland eingewanderte Bevölkerungsgruppe . Die Schätzung bezieht sich damit auf Frauen, die eine FGM im Ausland erlitten haben.6 Die geschätzte Zahl der bedrohten Mädchen unter 18 Jahren differiert zwischen 2.785 und 14.752.7 Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, ob diese Mädchen eher von einer im Ausland praktizierten oder eher im Inland praktizierten FGM bedroht sind.8 Der Verein Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e. V. gibt seit einigen Jahren, seit dem Jahr 2018 auch aufgeschlüsselt nach Bundesländern, eine eigene Einschätzung der von FGM betroffenen und gefährdeten Mädchen und Frauen in Deutschland heraus. Datengrundlage seien die Angaben des Statistischen Bundesamtes zu Frauen und Mädchen mit nichtdeutscher Staatsbürgerschaft sowie die von UNICEF, dem Population Reference Bureau und Amnesty International verbreiteten Betroffenenquoten aus den bereits erforschten Prävalenzländern. Für das Jahr 2020 schätzt der Verein die von FGM betroffenen und in Deutschland lebenden Frauen auf rund 75.000, während schätzungsweise etwas über 20.000 Mädchen von FGM bedroht seien.9 3. Praktizierung in Europa, insbesondere in Deutschland Die in Deutschland lebenden betroffenen Mädchen werden teilweise über die Sommerferien in ihre Heimatländer geflogen, um sie dort zu beschneiden (sog. Ferienbeschneidung).10 Teilweise erfolge die FGM in Europa, offenbar – jedenfalls in der Vergangenheit – auch in Deutschland.11 Gesicherte Erkenntnisse, in welchem Ausmaß FGM in Deutschland praktiziert wird, liegen nicht 6 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Suding, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, Bekämpfung weiblicher Genitalverstümmelung – Teil 2, Bundestags-Drucksache 19/21760 vom 20. August 2020, S. 3 f. 7 Presseerklärung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 25. Juni 2020, An die 67.000 Frauen und Mädchen in Deutschland betroffen, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles /alle-meldungen/an-die-67-000-frauen-und-maedchen-in-deutschland-betroffen/156806. 8 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Suding, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, Bekämpfung weiblicher Genitalverstümmelung – Teil 2, Bundestags-Drucksache 19/21760 vom 20. August 2020, S. 4. 9 Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e. V., Dunkelzifferstatistik zu weiblicher Genitalverstümmelung , 29. April 2015, abrufbar unter: https://www.frauenrechte.de/index.php/themen-und-aktionen/weiblichegenitalverstuemmelung 2/unser-engagement/aktivitaeten/1787-dunkelzifferstatistik-zu-weiblicher-genitalverstuemmelung . 10 Hoppe, Ann Kathrin, Präventionsmaßnahmen bei drohender weiblicher Genitalverstümmelung, Bielefeld 2013, S. 11. 11 Wüstenberg, Dirk, Tatbestandsmerkmal Genitalverstümmelung, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 95 (2012), Heft 4, S. 463 ff. (464). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 098/20 Seite 6 vor. Seit 1996 soll es aber vermehrt Hinweise geben, dass FGM ebenso in Deutschland durchgeführt wird bzw. wurde.12 Auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien sind Fälle von FGM bekannt geworden.13 Durch Migration werde FGM weltweit und auch in Deutschland praktiziert. Traditionen und Bräuche würden in einigen Familien bewahrt und auch bei Veränderungen des Wohnorts aufrechterhalten.14 So wurde im Jahr 2019 eine aus Uganda stammende und in London lebende Frau für schuldig befunden, an ihrer zum Tatzeitpunkt drei Jahre alten Tochter eine FGM durchgeführt zu haben. FGM steht in Großbritannien bereits seit 1985 ausdrücklich unter Strafe. Die Frau wurde wegen der FGM zu elf Jahren Haft verurteilt.15 In Frankreich wurden ebenfalls Personen wegen Durchführung einer FGM verurteilt. Der Schluss auch auf vorhandene Fälle in Deutschland liege nahe. Täterinnen bzw. Täter und Opfer schwiegen allerdings in der überwiegenden Zahl der Fälle.16 Auch die Europäische Kommission und das Europäische Parlament gehen davon aus, dass FGM nicht allein in den Herkunftsstaaten , sondern auch im Hoheitsgebiet der EU durchgeführt wird, z. B. in Frankreich, Italien , Spanien, Dänemark und Schweden.17 12 Kalthegener, Regina, Strafrechtliche Regelungen in Europäischen Staaten, in: Terre des Femmes (Hrsg.), Schnitt in die Seele, 2. Auflage 2015, S. 185 ff. (187). 13 Gruber, Franziska/ Kulik, Katrin/ Binder, Ute, Studie zu weiblicher Genitalverstümmelung (FGM – Female Genital Mutilation), Terre des Femmes e. V. (Hrs.), 2005, S. 10 f., abrufbar unter: https://www.frauenrechte .de/images/downloads/fgm/EU-Studie-FGM.pdf; zur Praktizierung speziell in Frankreich: Weil-Curiel, Linda, Weibliche Genitalverstümmelung aus Sicht einer französischen Rechtsanwältin und Aktivistin, in: Terre des Femmes (Hrsg.), Schnitt in die Seele, 2. Auflage 2015, S. 195 ff. 14 Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e. V., Weibliche Genitalverstümmelung, Verbreitung weltweit und in Deutschland, abrufbar unter: https://www.frauenrechte.de/unsere-arbeit/themen/weibliche-genitalverstuemmelung /34-was-ist-weibliche-genitalverstuemmelung; Amnesty International, Weibliche Genitalverstümmelung , 2018, abrufbar unter: https://amnesty-frauen.de/themen/fgm/; Plan International Deutschland e. V., Weibliche Genitalverstümmelung im Flüchtlingskontext , Herausforderungen und Handlungsempfehlungen, 2018, S. 7, abrufbar unter: https://www.plan.de/fileadmin/website/05._Ueber_uns/Bilder_Wirkungsbereiche /Kinderschutz/Genitalverstuemmelung/Weibliche_Genitalverstuemmelung_im_Fluechtlingskontext.pdf . 15 Mother of three-year-old is first person convicted of FGM in UK, in: The Guardian, 1. Februar 2019, abrufbar unter: https://www.theguardian.com/society/2019/feb/01/fgm-mother-of-three-year-old-first-person-convictedin -uk; Urteil in Großbritannien, Lange Haft für Genitalverstümmelung, in: Tagesschau.de, 8. März 2019, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/ausland/genitalverstuemmelung-103.html. 16 Wüstenberg, Dirk, Genitalverstümmelung: Keine Anzeige, keine Ermittlung, kein Urteil, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ.net, 20. September 2011, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten /genitalverstuemmelung-keine-anzeige-keine-ermittlung-kein-urteil-11290281.html. 17 Abschaffung der Genitalverstümmelungen bei Frauen und Mädchen, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 6. Februar 2014 zu der Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Abschaffung der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM)“ (2014/2511(RSP)) , (2017/C 093/24), ABl. EU C 93/142 vom 24. März 2014, E: „[…] in der Erwägung, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien ein brutaler Brauch ist, der nicht nur in Drittstaaten vorkommt, sondern auch Frauen und Mädchen in der EU betrifft, die entweder im Hoheitsgebiet der EU oder vor ihrer Einreise in die EU bzw. während Aufenthalten außerhalb der EU in ihren Heimatländern der Genitalverstümmelung unterworfen werden; […]“ sowie Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, Abschaffung der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM), 25. November 2013, S. 5 f., abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52013DC0833&from=DE. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 098/20 Seite 7 3.1. Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik Die PKS18 weist für das Jahr 2018 vier Delikte nach § 226a StGB (davon ein Versuch) mit fünf Opfern aus. Offenbar stellt davon ein Fall eine Fehlerfassung dar.19 Für das Jahr 2019 weist die PKS ein Delikt (Versuchstat mit zwei Opfern in einem Lebensalter von unter sechs Jahren) aus. Laut einem Fachbeitrag zum Thema des § 226a StGB in der PKS ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um Inlandstaten handelt, da Auslandsstraftaten laut den PKS-Richtlinien nicht in der PKS zu erfassen seien. Im Ergebnis sei festzustellen, dass die Taten nahezu ausschließlich im Dunkelfeld (Ausland oder Inland) und ohne jegliche polizeiliche Erkenntnisse stattfänden. Die Autorin weist zudem darauf hin, dass es nahezu unmöglich sei, eine FGM zu verhindern, wenn sie von den initiierenden Personen gewollt sei.20 Die Bundesregierung teilt in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage mit, dass sie zur Anzahl von eingeleiteten Gerichtsverfahren wegen § 226a StGB keine Erkenntnisse habe.21 3.2. Hinweise auf Praktizierungen in Deutschland Das ARD-Politmagazin "Report Mainz" filmte 1999 einen in Berlin praktizierenden, ägyptischen Arzt, der sich vor versteckter Kamera bereit erklärt habe, für umgerechnet 610 € eine FGM an einem Mädchen zu praktizieren. Die polizeilichen Ermittlungen seien später mangels Beweisen eingestellt worden.22 Laut einem im Jahr 2006 erschienenen Artikel einer Fachärztin und eines Facharztes im Deutschen Ärzteblatt wurde einem in Berlin praktizierenden Arzt, der FGM durchführte, 1999 die Approbation entzogen.23 18 In der PKS werden die der Polizei bekannt gewordenen strafrechtlichen Sachverhalte erfasst. 19 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Suding, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, Bekämpfung weiblicher Genitalverstümmelung – Teil 2, Bundestags-Drucksache 19/21760 vom 20. August 2020, S. 2. 20 Behn, Helen, Verstümmelung weiblicher Genitalien (§ 226a StGB). Die hohe Diskrepanz zwischen Hell - und Dunkelfeld, in: Kriminalistik 7/2020, S. 433 ff. 21 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Sud ing, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, Bekämpfung weiblicher Genitalverstümmelung – Teil 2, Bundestags-Drucksache 19/21760 vom 20. August 2020, S. 2. 22 Gruber, Franziska/ Kulik, Katrin/ Binder, Ute, Studie zu weiblicher Genitalverstümmelung (FGM – Female Genital Mutilation), Terre des Femmes e. V. (Hrs.), 2005, S. 10 f., abrufbar unter: https://www.frauenrechte .de/images/downloads/fgm/EU-Studie-FGM.pdf; Kalthegener, Regina, Strafrechtliche Regelungen in Europäischen Staaten, in: Terre des Femmes (Hrsg.), Schnitt in die Seele, 2. Auflage 2015, S. 185 ff. (187). 23 Kentenich, Heribert/ Utz-Billing, Isabell, Weibliche Genitalverstümmelung: Lebenslanges Leiden, in: Deutsches Ärzteblatt 2006, 103(13): A-842 / B-716 / C-692, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/50783/Weibliche -Genitalverstuemmelung-Lebenslanges-Leiden. Nähere Informationen dazu konnten allerdings nicht verifiziert werden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 098/20 Seite 8 Einer bereits im Jahr 2000 veröffentlichten Umfrage der Afrikanischen Frauenorganisation in Wien zufolge, praktizierten von 54 befragten Familien 88,5 Prozent FGM im Heimatland, während 11,5 Prozent den Eingriff in Europa durchführen ließen; davon 9,6 Prozent in Deutschland und Holland.24 Eine im Jahr 2005 veröffentlichte Umfrage unter Gynäkologinnen und Gynäkologen zur Situation beschnittener Mädchen und Frauen in Deutschland weist aus: „Insgesamt 48 (9,7 %) gaben an, von in Deutschland vorgenommenen Beschneidungen gehört zu haben.“ Der Umfrage zufolge wurden drei Gynäkologinnen bzw. Gynäkologen (0,6 Prozent) überdies selbst gefragt, ob sie eine Beschneidung durchführen könnten.25 Das Amtsgericht Bremen geht in einem 2007 durchgeführten Familiengerichtsverfahren zur Einschränkung des elterlichen Aufenthaltsbestimmungsrechts mit dem Ziel, die Tochter vor einer FGM im Ausland zu schützen, davon aus, „dass auch im Inland die Gefahr besteht, dass Genitalverstümmelungen durchgeführt werden“.26 Dabei bezieht sich das Gericht auf eine Befragung unter anderem des Vereins Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e. V. durch den Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Jahr 2007. Der Verein habe in dem Zusammenhang von Andeutungen zu durchgeführten bzw. bevorstehenden FGM berichtet, die verschiedene Personen, wie eine Krankenschwester und eine Apothekerin, in den 90er Jahren gegenüber dem Verein vorgebracht hätten. Der Verein informierte ebenfalls dazu, dass er Anfang 2005 Anzeige gegen einen Arzt in Bochum erstattet habe, nachdem Hinweise eingegangen seien, dass der Arzt FGM in Deutschland durchgeführt hätte. Das Ermittlungsverfahren sei mangels genügender Beweise eingestellt worden.27 Das Oberlandesgericht Karlsruhe legt einem Beschluss aus dem Jahr 2008 zugrunde, dass auch in EU-Staaten FGM durchgeführt würden. Dies sei unstrittig.28 In einem sich auf den Beschluss beziehenden Beitrag wird im Hinblick auf eine mögliche Durchführung einer FGM in Deutschland , wie folgt Stellung bezogen: „Dass ‚operationsbereite‘ Ärzte auch in Deutschland aufgesucht 24 Afrikanische Frauenorganisation in Wien, Die Anwendung der Female Genital Mutilation (FGM) bei MigrantInnen in Österreich, 2000, S. 19, abrufbar unter: http://webcache.googleusercontent.com/search ?q=cache:QRe85QR31_sJ:www.african-women.org/documents/FGM_Austria/stud_migrant .doc+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=de. 25 Berufsverband der Frauenärzte, Terre des Femmes, Unicef (Hrsg.), Schnitte in Körper und Seele, Eine Umfrage zur Situation beschnittener Mädchen und Frauen in Deutschland, 2005, S. 6, abrufbar unter: https://www.frauenrechte .de/images/downloads/fgm/UNICEF-Studie.pdf. 26 AG Bremen, Beschluss vom 28. August 2007 – 61 F 2311/07, in: Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ) 2008, S. 338 ff. 27 Gruber, Franziska/ Kalthegener, Regina, Stellungnahme von TERRE DES FEMMES e. V. –Menschenrechte für die Frau zu der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema „Bekämpfung von Genitalverstümmelungen“ am 19. September 2007, S. 3 f., abrufbar unter: https://www.frauenrechte .de/images/downloads/fgm/TDF-Stellungnahme_zu-FGM-2007.pdf. 28 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. Mai 2008 – 16 UF 3/08, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ) 2009 S. 130 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 098/20 Seite 9 werden, ist insiderbekannt. […] Im Streitfall hatte der Kindsvater zugegeben, dass er einen Arzt in Deutschland aufgesucht hatte.“29 *** 29 Wüstenberg, Dirk, Genitalverstümmelung und familienrechtliche Rechtsprechung, in: ZKJ 2008, S. 411 (414).