© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 – 095/19 Gesetzgeberische Maßnahmen zur Vermeidung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln Überwachungs- und Sanktionierungsmöglichkeiten gegenüber den pharmazeutischen Herstellern Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 095/19 Seite 2 Gesetzgeberische Maßnahmen zur Vermeidung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln Überwachungs- und Sanktionierungsmöglichkeiten gegenüber den pharmazeutischen Herstellern Aktenzeichen: WD 9 - 3000 – 095/19 Abschluss der Arbeit: 22. Januar 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 095/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Aktuelle Rechtslage 6 2.1. Regelungen im Arzneimittelgesetz 6 2.2. Regelungen im Fünften Buch des Sozialgesetzbuches 7 3. Zurückliegende Initiativen und Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung 7 3.1. Antrag der SPD-Fraktion aus dem Jahr 2013 7 3.2. Einrichtung des sogenannten Pharmadialogs 8 4. Aktuelle Entwicklung 9 4.1. Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD 9 4.2. Antrag der AfD-Fraktion 10 4.3. Stellungnahmen von Sachverständigen zu den Anträgen 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 095/19 Seite 4 1. Vorbemerkung Trotz der hochentwickelten Gesundheitsversorgung in Deutschland ist es in den letzten Jahren – von der Öffentlichkeit erst vor kurzem als großes Problem erkannt – zu einer besorgniserregenden Zunahme von Lieferengpässen bei Arzneimitteln gekommen.1 Auf politischer und auf Fachebene wird seit längerem diskutiert, wie diesen Engpässen durch gesetzgeberische und weitere Maßnahmen entgegengewirkt werden kann. In einer vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführten Liste werden aktuell Lieferengpässe bei 267 Humanarzneimitteln (ohne Impfstoffe, Stand: 13. Januar 2020) aufgeführt, die von pharmazeutischen Unternehmen auf Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung gemeldet wurden .2 Ein entsprechendes Lieferengpassregister, in dem pharmazeutische Unternehmer als Inhaber einer Zulassung auf freiwilliger Basis Lieferengpässe melden können, wenn ein besonderes Interesse der Fachöffentlichkeit besteht, wurde bereits im Jahr 2013 vom BfArM in Absprache mit dem BMG eingeführt.3 Zwar führt nicht jeder Lieferengpass zu einem Versorgungsengpass, da häufig Alternativpräparate verfügbar sind. Allerdings ist dies nicht immer der Fall, so dass gesundheitsgefährdende bis hin zu lebensbedrohliche Situationen eintreten können, wenn eine Therapie aufgrund des Fehlens eines Medikamentes oder Wirkstoffes verspätet oder gar nicht begonnen werden kann. Doch selbst wenn Alternativpräparate zur Verfügung stehen, führt der Wechsel vom bewährten Medikament zu einem Ersatzarzneimittel häufig zu Umstellungsschwierigkeiten oder – gerade bei älteren Patienten – im äußersten Fall zu einer Therapieverweigerung. Zudem kann es 1 Zur Entwicklung der Zahlen seit dem Jahr 2013 siehe die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Andrew Ullmann, Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/13357 – Arzneimittellieferengpässe in Deutschland, BT-Drs. 19/13807 vom 8. Oktober 2019, S. 3. 2 Siehe hierzu BfArM - Aktuell offene Lieferengpässe für Humanarzneimittel in Deutschland (ohne Impfstoffe), abrufbar unter http://lieferengpass.bfarm.de/ords/f?p=30274:2:609130577714; Informationen des BfArM zur Datenbank und zum Umgang mit Lieferengpässen finden sich unter: https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel /Arzneimittelzulassung/Arzneimittelinformationen/Lieferengpaesse/_functions/Filtersuche_Formular .html?queryResultId=null&pageNo=0; dieser und alle weiteren Online-Nachweise wurden zuletzt abgerufen am 13. Januar 2019. 3 Siehe hierzu Bundesministerium für Gesundheit, Neues Register beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über Lieferengpässe bei Arzneimitteln, Pressemitteilung, 25. April 2013, abrufbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/4_Pressemitteilungen /2013/2013_2/130425_PM_33_Neues_Register_beim_BfArM_ueber_Lieferaengpaesse_bei_Arzneimittel.pdf; Dahl, Christiane / Horn, Michael, Liefer- und Versorgungsengpässe bei Humanarzneimitteln – Eine Übersicht über die Aktivitäten des BfArM, in: Bulletin zur Arzneimittelsicherheit – Informationen aus BfArM und PEI, Ausgabe 4, Dezember 2016, S. 22 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 095/19 Seite 5 insbesondere bei gesetzlich Versicherten zu weiteren Problemen bei der Kostenübernahme kommen , etwa wenn ein – möglicherweise rabattiertes – Generikum nicht verfügbar ist und durch das teurere Originalpräparat ersetzt werden muss.4 Als Ursache für die Lieferengpässe werden zum einen die Bündelung der Produktion einzelner Medikamente bei nur wenigen Herstellern und die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland , insbesondere nach Asien, bemängelt, wo es etwa aufgrund abweichender Sicherheitsanforderungen häufiger als in Europa zu Produktionsausfällen oder -beeinträchtigungen kommen könne; zum anderen wird häufig auch auf die Praxis des Abschlusses exklusiver Rabattverträge zwischen Herstellern und Krankenkassen angeführt, die dazu führe, dass die Produktion für andere Hersteller unrentabel werde, die dann im Bedarfsfall nicht liefern könnten.5 Die Bundesregierung hat es sich zu Beginn dieser Legislaturperiode erneut zur Aufgabe gemacht, alles für eine flächendeckend gute Gesundheitsversorgung zu tun.6 So haben die Regierungsfraktionen der CDU/CSU und der SPD zuletzt einen Änderungsantrag zum Entwurf des Fairer-Kassenwettbewerb -Gesetzes (GKV-FKG)7 eingebracht, welcher sich unter anderem mit der Thematik der Lieferengpässe auseinandersetzt und der derzeit im Gesundheitsausschuss beraten wird. Zuletzt hat hierzu am 18. Dezember 2019 eine öffentliche Anhörung stattgefunden.8 Auftragsgemäß werden in diesem Sachstand die aktuelle Rechtslage sowie aktuelle Entwicklungen erläutert; dies insbesondere im Hinblick auf Sanktions- und Überwachungsmöglichkeiten gegenüber den pharmazeutischen Herstellern. 4 Olsen, Jana, Gehen uns die Medikamente aus?, in: Mitteldeutscher Rundfunk (mdr) aktuell, 17. Oktober 2019, abrufbar unter https://www.mdr.de/nachrichten/ratgeber/gesundheit/hg-medikamentenengpaesse-gehen-unsdie -medikamente-aus-100.html. 5 Vgl. u.a. Ismar, Georg / Neuhaus, Carla / Trappe, Thomas, Koalition will Pharmakonzerne in Europa fördern, in: Tagesspiegel, 18. November 2019, abrufbar unter https://www.tagesspiegel.de/verbraucher/vom-blutdrucksenker -bis-zum-schmerzmittel-warum-medikamente-immer-haeufiger-knapp-werden/25238300.html; Stadler, Rainer, Wenn Aspirin knapp wird, in: Süddeutsche Zeitung, 1. Oktober 2019, abrufbar unter https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/medikamenten-engpass-pharmaindustrie-1.4623737?reduced=true; Müller, Martin U., In Deutschland werden selbst lebenswichtige Medikamente knapp, in: Der Spiegel, 24. Mai 2019, S. 68, abrufbar unter https://www.spiegel.de/plus/deutschland-lebenswichtige-medikamente-werden -knapp-a-00000000-0002-0001-0000-000164076188. 6 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 12. März 2018, Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, abrufbar unter https://www.bundesregierung .de/resource/blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertragdata .pdf, S. 14, S. 95 ff., insbes. S. 98. 7 Änderungsantrag 4 der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum Entwurf eines Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz – GKV-FKG, BT-Drs. 19/15662), Ausschussdrucksache 19(14)122.1, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/670640/a92d081dba2310f7e196fba5df0a6d95/19_14_0122-1_AeA-1-7-Koa_GKV-FKG-data.pdf. 8 Siehe hierzu: Deutscher Bundestag, Ausschuss für Gesundheit, Wortprotokoll der 75. Sitzung vom 18. Dezember 2019, Prot.-Nr. 19/75, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/676282/9a49a340c852dd58865333fa66271f46/1-075_18-12-19_Protokoll_GKV-FKG_nicht-lektorierte -Fassung-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 095/19 Seite 6 2. Aktuelle Rechtslage Im Folgenden sollen auftragsgemäß insbesondere die aktuellen gesetzlichen Regelungen im Hinblick auf die Vermeidung von Lieferengpässen dargestellt werden, die pharmazeutische Unternehmen , also im Regelfall die Hersteller von Arzneimitteln, betreffen.9 Solche finden sich insbesondere in Vorschriften des AMG. Ebenfalls in diesem Kontext werden häufig die Regelungen zum Abschluss von Rabattverträgen zwischen pharmazeutischen Unternehmern und Krankenkassen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)10 diskutiert. Weitere Regelungen im Hinblick auf die Vermeidung von Engpässen finden sich in der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Diese beziehen sich jedoch nicht auf die pharmazeutischen Hersteller und werden vorliegend daher nicht erörtert. 2.1. Regelungen im Arzneimittelgesetz Gemäß § 52b AMG sind pharmazeutische Unternehmer, ebenso wie Betreiber von Arzneimittelgroßhandlungen , verpflichtet, eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung der von ihnen vertriebenen Arzneimittel sicherzustellen, die tatsächlich in Verkehr gebracht und zur Anwendung im oder am Menschen bestimmt sind. Die Vorschrift sieht einen Anspruch der vollversorgenden Großhändler auf eine entsprechende Belieferung gegenüber den pharmazeutischen Unternehmen vor. Der Belieferungsanspruch solle allerdings keinen Zwang zum Abschluss von Verträgen begründen. Allerdings sei zu gewährleisten, dass der vollversorgende Großhandel seinen Bereitstellungsauftrag erfüllen könne.11 Eine Belieferungspflicht der vollversorgenden Arzneimittelgroßhändler zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten und kontinuierlichen Belieferung der mit ihnen in Geschäftsbeziehung stehenden Apotheken ist in § 52b Abs. 3 AMG gesetzlich geregelt. Zudem sind pharmazeutische Unternehmer nach § 52b Abs. 3a AMG12 verpflichtet, im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit Krankenhäuser im Falle ihnen bekannt gewordener Lieferengpässe bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zur stationären Versorgung umgehend zu informieren. In einem solchen Falle stellt nach der Gesetzesbegründung ein Lieferengpass eine potentielle 9 Zu den gesetzlichen Regelungen im Hinblick auf Lieferengpässe siehe auch: Vermeidung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln, Entwicklung der gesetzlichen Regelungen, Sachstand, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand. WD 9 - 3000 - 084/19. 10 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung, Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2019, BGBl. I S. 2913. 11 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/12256 vom 16. März 2009, S. 52; so auch Rehmann, Wolfgang, in: Rehmann, Arzneimittelgesetz (AMG), Kommentar, 4. Auflage 2017, § 52b, Bereitstellung von Arzneimitteln, Rn. 2 ff. und Heßhaus, Matthias, in: Spickhoff, Medizinrecht, 3. Auflage 2018, § 52b AMG, Rn. 3 f. 12 Eingefügt durch Art. 5 Nr. 3 des Gesetzes vom 4. Mai 2017 (BGBl I S. 1050). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 095/19 Seite 7 Beeinträchtigung für Patientinnen oder Patienten dar. Es handele sich überwiegend um Arzneimittel zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen, so dass eine frühzeitige Information besonders wichtig sei. Sanktionierungsmöglichkeiten für den Fall eines Verstoßes durch ein pharmazeutisches Unternehmen oder einen Großhändler waren und sind auch weiterhin nicht im Gesetz vorgesehen.13 2.2. Regelungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) In § 130a SGB V Abs. 8 ist geregelt, dass beim Abschluss einer Rabattvereinbarung zwischen Krankenkasse und pharmazeutischem Unternehmer nicht nur die Vielfalt der Anbieter, sondern auch die Gewährleistung einer unterbrechungsfreien und bedarfsgerechten Lieferfähigkeit zu berücksichtigen ist; dies ist auch bei der Ausschreibung und Vergabe solcher Verträge zu berücksichtigen . Gemäß § 130a Abs. 8a SGB V können die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen mit pharmazeutischen Unternehmern überdies Rabatte für Fertigarzneimittel vereinbaren , um Patienten mit in der Apotheke hergestellten Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung in der Onkologie zu versorgen (Satz 1). Neben der „Vielfalt der Anbieter“ soll auch hierbei eine „bedarfsgerechte Versorgung“ der Versicherten berücksichtigt werden (Satz 3). Zudem wurde in § 130a Abs. 8a SGB V klargestellt, dass Rabattvereinbarungen der Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen mit pharmazeutischen Unternehmern einheitlich zu treffen sind.14 3. Zurückliegende Initiativen und Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung Über die erwähnten Veränderungen der Gesetzeslage hinaus wurden im genannten Zeitraum weitere Anläufe zur Verbesserung der Vorbeugung von Lieferengpässen unternommen. 3.1. Antrag der SPD-Fraktion aus dem Jahr 2013 Am 20. März 2013 beantragte die SPD-Fraktion unter dem Titel „Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen“15 die Einführung verschiedener Maßnahmen zum Umgang mit beziehungsweise zur Vermeidung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln. Gefordert wurden neben einem zentralen Melderegister und einer Meldepflicht für Lieferengpässe mit verknüpfter Berichtspflicht des BfArM und des Paul-Ehrlich-Instituts für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (PEI) auch die Einführung erweiterter Anordnungsbefugnisse für die Länderbehörden, eine Verpflichtung der Hersteller, Medikamente in ausreichender Menge für sechs Monate vorzuhalten, die Herkunft von Medikamenten auf der Verpackung kenntlich zu machen sowie zu prüfen, ob in 13 So auch Pfohl, Michael, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: 226. Ergänzungslieferung August 2019, AMG § 52b, Rn. 1. 14 Im Hinblick auf Rabattverträge siehe auch Hess, Rainer, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand: 106. Ergänzungslieferung September 2019, SGB V § 130a, Rabatte der pharmazeutischen Unternehmen, Rn. 22 ff. 15 Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen, Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, BT-Drs. 17/12847 vom 20. März 2013. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 095/19 Seite 8 Fällen einer „profitorientierten Zulassungsrückgabe“ der Patentschutz bezüglich des betreffenden Arzneimittels eingeschränkt werden könne.16 Der Antrag blieb ohne Erfolg. Das im April 2013 eingeführte freiwillige Melderegister17 befand sich Medienberichten zufolge bereits zu einem früheren Zeitraum in Planung und war das Ergebnis von Gesprächen des BMG mit Vertretern maßgeblicher Organisationen und Verbände.18 3.2. Einrichtung des sogenannten Pharmadialogs Über die bestehenden gesetzlichen Regelungen hinaus wurden jedoch weitere Maßnahmen getroffen, um Lieferengpässen entgegenzuwirken. Im Jahr 2014 hat das BMG unter Mitwirkung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) den sogenannten Pharmadialog eingerichtet, bei dem gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der pharmazeutischen Verbände über die Stärkung des Pharmastandorts Deutschland und die Gewährleistung einer flächendeckenden, innovativen und sicheren Arzneimittelversorgung in Deutschland diskutiert wird.19 In diesem Rahmen wurde im Jahr 2016 ein Jour Fixe zum Thema Lieferengpässe unter Beteiligung der Bundesoberbehörden und der Fachkreise ins Leben gerufen, der etwa drei Mal im Jahr stattfindet und der der Beobachtung und Bewertung der Versorgungslage dienen soll.20 Zudem hat sich im Rahmen des Pharmadialogs die pharmazeutische Industrie zur Optimierung von Prozessen und Qualitätsmanagement verpflichtet. So sollen Krankhäuser und Behörden im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung über drohende Lieferengpässe bei 16 Vgl. Plenarprotokoll 17/244 vom 7. Juni 2013 – S. 30882 (B). 17 Siehe hierzu Bundesministerium für Gesundheit, Neues Register beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über Lieferengpässe bei Arzneimitteln, Pressemitteilung, 25. April 2013, abrufbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/4_Pressemitteilungen /2013/2013_2/130425_PM_33_Neues_Register_beim_BfArM_ueber_Lieferaengpaesse_bei_Arzneimittel.pdf. 18 So etwa Sucker-Sket, Kirsten, Melderegister in Vorbereitung, in: DAZ.online, 22. März 2013, abrufbar unter https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2013/03/22/melderegister-in-vorbereitung. 19 Vgl. Bundesregierung setzt Pharmadialog fort, Pressemitteilung des BMBF, 16. November 2018, abrufbar unter https://www.bmbf.de/de/bundesregierung-setzt-pharmadialog-fort-7335.html. 20 Dahl, Christiane/Horn, Michael, Liefer- und Versorgungsengpässe bei Humanarzneimitteln – Eine Übersicht über die Aktivitäten des BfArM, in: Bulletin zur Arzneimittelsicherheit – Informationen aus BfArM und PEI, Ausgabe 4, Dezember 2016, S. 22 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 095/19 Seite 9 versorgungsrelevanten Wirkstoffen frühzeitig informiert werden. Auch wird eine Liste versorgungsrelevanter Arzneimittel geführt, bei denen Lieferengpässe drohen, um Versorgungslücken entgegenzuwirken und die Versorgung zu gewährleisten.21 4. Aktuelle Entwicklung Derzeit wird im Ausschuss für Gesundheit ein Änderungsantrag der Regierungsfraktionen der CDU/CSU und der SPD zum Entwurf GKV-FKG behandelt, der unter anderem Regelungen zur Vermeidung von Lieferengpässen zum Gegenstand hat. Eine öffentliche Anhörung hierzu fand am 18. Dezember 2019 statt. Ebenfalls Gegenstand der Anhörung war ein Antrag der Fraktion der AfD zur Begrenzung von Lieferengpässen.22 4.1. Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD schlagen vor, § 10 AMG um einen Abs. 1a und § 11 AMG um einen Absatz 1c zu erweitern. Diese sollen es ermöglichen, dass im Falle eines drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpasses auf Antrag des Zulassungsinhabers – also in der Regel des pharmazeutischen Herstellers – Arzneimittel, die unmittelbar durch Ärzte oder Zahnärzte beim Menschen angewandt werden, auch mit einer Kennzeichnung oder Verpackungsbeilage in einer Fremdsprache in Verkehr gebracht werden dürfen. Zudem soll § 52b AMG erweitert werden. Der bereits oben beschriebene Jour Fixe soll als Beirat beim BfArM eine gesetzliche Grundlage erhalten; der Beirat soll die Versorgungslage mit Arzneimitteln zur Anwendung beim Menschen kontinuierlich beobachten und bewerten (vorgeschlagener § 52b Abs. 3b AMG). Nach Anhörung des Beirats soll die zuständige Bundesoberbehörde (also in der Regel das BfArM) eine jeweils aktuelle Liste versorgungsrelevanter und versorgungskritischer Wirkstoffe auf ihrer Internetseite bekanntgeben (vorgeschlagener § 52b Abs. 3c AMG). Weiterhin soll die zuständige Bundesoberbehörde ermächtigt werden, im Falle eines drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpasses geeignete Maßnahmen zu dessen Abwendung zu treffen (vorgeschlagener § 52b Abs. 3d AMG). Insbesondere soll sie anordnen können , dass pharmazeutische Unternehmer ebenso wie Arzneimittelgroßhandlungen geeignete Maßnahmen zur angemessenen und kontinuierlichen Bereitstellung von Arzneimitteln ergreifen können. Ausdrücklich genannt werden in dem Gesetzesentwurf dabei Maßnahmen zur Lagerhaltung und Kontingentierung. Schließlich wird vorgeschlagen, dass pharmazeutische Unternehmer und vollversorgende Arzneimittelgroßhandlungen verpflichtet sein sollen, Daten zu verfügbaren Beständen, zur Produktion und zur Absatzmenge sowie zu drohenden Lieferengpässen von Arzneimitteln mitzuteilen, 21 Vgl. hierzu Dahl, Christiane/Horn, Michael, Liefer- und Versorgungsengpässe bei Humanarzneimitteln – Eine Übersicht über die Aktivitäten des BfArM, in: Bulletin zur Arzneimittelsicherheit – Informationen aus BfArM und PEI, Ausgabe 4, Dezember 2016, S. 22 ff. 22 Lieferengpässe bei Arzneimitteln wirksam begrenzen, Abhängigkeit der Arzneimittelversorgung vom Nicht-EU-Ausland abbauen, Antrag der Abgeordneten Detlev Spangenberg, Dr. Robby Schlund, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD, 11. Dezember 2019, BT-Drs. 19/15789. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 095/19 Seite 10 sofern die zuständige Behörde dies zur Vermeidung oder Abschwächung eines drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpasses fordert (vorgeschlagener § 52b Abs. 3e AMG). 4.2. Antrag der AfD-Fraktion Die AfD-Fraktion fordert in ihrem Antrag die Einführung einer Meldepflicht der pharmazeutischen Unternehmer, wenn ein Lieferengpass eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels in Deutschland droht. Darüber hinaus verlangt sie ein Exportverbot im Hinblick auf betroffene Arzneimittel sowie eine Änderung im Hinblick auf die Vergabe von Rabattverträgen. Letztere sollen grundsätzlich mit zwei unterschiedlichen Anbietern geschlossen werden, von denen mindestens einer sowohl das Fertigarzneimittel als auch den Wirkstoff in der Europäischen Union herstellt oder herstellen lässt. 4.3. Stellungnahmen von Sachverständigen zu den Anträgen Im Rahmen einer öffentlichen Anhörung am 18. Dezember 2019 haben bereits zahlreiche Verbände und Sachverständige die Gelegenheit genutzt, sich zu den genannten Anträgen zu äußern.23 Dem Grunde nach werden Initiativen zur Vermeidung von Lieferengpässen aufgrund der zunehmend präsenten Thematik begrüßt. Es werden jedoch weitere Änderungen angeregt und die Vorschläge teilweise als unzureichend oder nicht zielführend kritisiert, da die tatsächlichen Ursachen der Lieferengpässe nicht beseitigt würden.24 23 Die im Folgenden in Bezug genommenen Stellungnahmen sowie weitere Stellungnahmen von geladenen Sachverständigen sind abrufbar unter https://www.bundestag.de/ausschuesse/a14/anhoerungen/stellungnahmeninhalt -668392. 24 So etwa Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung und den Änderungsanträgen (Ausschuss für Gesundheit Drs. 19 (14) 122.1 vom 28.11.2019), S. 8 ff.; Bundesverband des Pharmazeutischen Großhandels e.V. (PHAGRO), Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung, BT-Drs. 19/15662, Hier: Änderungsantrag Nr. 4 „Bekämpfung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln“, S. 1; Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. (ABDA), Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung, BT-Drs. 19/15662 vom 3.12.2019 und zur Ausschussdrucksache 19 (14) 122.1 vom 28.11.2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 095/19 Seite 11 Soweit Maßnahmen im Hinblick auf eine erweiterte Lagerhaltung im Raum stehen, wird dies insbesondere von Vertretern der Industrie und des Großhandels kritisiert.25 Es wird etwa ein Rückzug pharmazeutischer Hersteller aus einzelnen Marktsegmenten befürchtet, da derartige Vorgaben zur Lagerhaltung und Kontingentierung den bestehenden Kostendruck verstärken würden.26 Darüber hinaus seien verpflichtende Maßnahmen nur wirksam, wenn überhaupt ausreichend produziert werden könne. Sie gestalteten sich außerdem als schwer umsetzbar im Falle von Arzneimitteln mit kurzen Haltbarkeitsspannen.27 Über die genannten Aspekte hinaus werden von Verbänden unter anderem die Einführung von Exportbeschränkungen,28 die Stärkung der Produktion in Europa,29 die Mehrfachvergabe bei Rabattverträgen 30 und schließlich die Einführung von Sanktionsmöglichkeiten31 gefordert. Letztere sind auch nach den vorliegenden Anträgen weiterhin nicht vorgesehen. *** 25 Siehe unter anderem Bundesverband der Arzneimittelhersteller e.V. (BAH), Stellungnahme zu den Änderungsanträgen 1 bis 5 der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum Entwurf eines Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (Ausschussdrucksache 19(14)122.1), S. 9 f.; Verband forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa), Stellungnahme zu Änderungsanträgen der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zum Entwurf eines Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz – GKV-FKG) Ausschussdrucksache 19(14)122.1, S. 5; Bundesverband des Pharmazeutischen Großhandels e. V. (PHAGRO), a. a. O., S. 2 f. 26 Bundesverband der Arzneimittelhersteller e. V. (BAH), a. a. O., S. 9 f. 27 Bundesverband der Arzneimittelhersteller e. V. (BAH), a. a. O., S. 9 f. 28 Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA), a. a. O., S. 5. 29 Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI), a. a. O., S. 11. 30 So etwa Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI), a.a.O., S. 10, Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA), a. a. O., S. 6 f., Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung , chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. (BAG SELBSTHILFE), Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FKG) - Anhörung im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages am 18.12.2019, S. 12, anders etwa IKK e. V. - Gemeinsame Vertretung der Innungskrankenkassen, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz – GKV-FKG), BT-Drs. 19/15662, S. 25. 31 Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA), a. a. O., S. 6.