© 2018 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 095/18 Soziale Mobilität in Deutschland Studien und weitere Literatur Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 095/18 Seite 2 Soziale Mobilität in Deutschland Studien und weitere Literatur Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 095/18 Abschluss der Arbeit: 12. Dezember 2018 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 095/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Studien 4 2.1. Studien zur sozialen Mobilität im Berufsstatus 4 2.2. Studien zur sozialen Mobilität während der Schulphase 8 3. Weitere Literatur 9 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 095/18 Seite 4 1. Einleitung Bildung bestimmt in zunehmendem Maße über individuelle Lebenschancen und über die Zukunft moderner Gesellschaften.1 Die Bildungsexpansion seit den 1960er Jahren hat zu besseren Bildungschancen für alle Sozialschichten und einer Höherqualifizierung der Bevölkerung geführt .2 Dennoch sind in Deutschland nach wie vor Bildungsungleichheiten aufgrund der sozialen Herkunft auszumachen; das Einkommen beeinflusst die Entwicklungs- und Teilhabemöglichkeiten von Menschen maßgeblich. Die Große Koalition hat daher dieser Thematik einen besonderen Stellenwert eingeräumt: „Wir geben allen Kindern und Jugendlichen gleiche Bildungschancen, damit Leistung und Talent über die persönliche Zukunft entscheiden, nicht die soziale Herkunft .“3 Die vorliegende Dokumentation führt auftragsgemäß Studien zur sozialen Mobilität im Berufsstatus auf. Daneben werden weitere Studien zusammengestellt, die sich vor allem mit der sozialen Mobilität während der Schulphase befassen. Abschließend wird auf Literatur zu der Thematik verwiesen. Dabei werden auch internationale Vergleiche berücksichtigt. 2. Studien 2.1. Studien zur sozialen Mobilität im Berufsstatus Braun, Sebastian/ Stuhler, Jan, The transmission of inequality across multiple generations: Testing recent theories with evidence from Germany, in: The Economic Journal, 2018, S. 576-610, abrufbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/ecoj.12453. Die Forscher untersuchten Daten, die über vier Generationen den sozialen Status von Familien in Deutschland im 20. Jahrhundert beschreiben. Als Basis dienten Datenerhebungen der Deutschen Lebensverlaufsstudie (GLHS)4, der Berliner Altersstudie5 und der „National Educational Panel 1 Bundeszentrale für politische Bildung, Bildung - Die wichtigste Investition in die Zukunft, abrufbar unter: http://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/138024/bildung . Dieser und alle weiteren Links zuletzt abgerufen am 5. Dezember 2018. 2 Als Bildungsexpansion wird der Ausbau der sekundären (Klassen 5 bis 13 und berufliche Schulen) und tertiären Bildungseinrichtungen (Hoch- und Fachschulen) seit den 1960 er Jahren bezeichnet. Vgl. auch Andreas Hadjar/Becker, Rolf, Bildungsexpansion – erwartete und unerwartete Folgen, 2006, Einleitung, S. 11, abrufbar unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-531-90325-5.pdf. 3 „Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dynamik für Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD 19. Legislaturperiode, S. 4. Siehe auch Offensive für Bildung , Forschung und Digitalisierung ab S. 28. 4 Seit über 20 Jahren werden am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPIB) Lebensverlaufsdaten erhoben. Einzelheiten sind abrufbar über das MPIB, Die Deutsche Lebensverlaufsstudie (GLHS) unter: https://www.mpib-berlin.mpg.de/de/forschung/beendete-bereiche/bildung-arbeit-und-gesellschaftliche-entwicklung /deutsche-lebensverlaufsstudie. 5 Die Berliner Altersstudie ist eine multidisziplinäre Untersuchung alter Menschen im Alter von 70 bis über 100, die im ehemaligen Westteil Berlins lebten. Näheres ist abrufbar unter: https://www.base-berlin.mpg.de/de. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 095/18 Seite 5 Study“ (NEPS)6. Die Mehrgenerationenstudie kommt zu dem Ergebnis, dass durchschnittlich 60 Prozent der für den sozialen Status einer Person maßgeblichen Faktoren von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Dazu könnten etwa Lebensumstände wie soziale Netzwerke oder vererbte Begabungen zählen. Je höher der soziale Status der Ur-Großeltern, desto höher der Status ihrer Nachfahren heute (S. 600 ff.). Soziale Ungleichheit baut sich in Deutschland nur sehr langsam ab. Der Vergleich mit Schweden zeige, dass der Zusammenhang zwischen dem Sozialstatus der Eltern und dem der Kinder in Deutschland 20 bis 30 Prozent größer sei (S. 595). Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Sozialer Auf- und Abstieg: Angleichung bei Männern und Frauen, 2018, abrufbar unter https://www.diw.de/de/diw_01.c.584241.de/themen _nachrichten/soziale_mobilitaet_in_deutschland_durchlaessigkeit_hat_sich_in_den_letzten _30_jahren_kaum_veraendert.html Die Studie untersucht die soziale Mobilität im Berufsstatus, also Veränderungen in der beruflichen Position einer Person im Vergleich zu ihren Eltern. Dafür wurden Daten der Langzeitstudie Sozioökonomisches Panel (SOEP)7 zu westdeutschen Personen mittleren Alters ausgewertet, die zwischen 1939 und 1971 geboren wurden. Gegenüber den Eltern hat sich das Niveau der sozialen Stellung im Durchschnitt verbessert (absolute soziale Mobilität). Dagegen hat sich die relative soziale Mobilität, also inwiefern Kinder im Vergleich zu anderen aus der gleichen Generation besser gestellt sind, als dies bei ihren Eltern der Fall war, seit dem Zweiten Weltkrieg kaum verändert . Insgesamt gilt weiterhin, dass es deutlich wahrscheinlicher ist, selbst einen Beruf in der obersten Statusgruppe der leitenden Angestellten zu erreichen, wenn die eigenen Eltern bereits einen solchen Beruf hatten. Betrachtet man einzelne gesellschaftliche Gruppen, ist das Bild differenzierter . So haben sich die Mobilitätsmuster für Männer und Frauen im Beobachtungszeitraum weitestgehend einander angeglichen. Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), A Broken Social Elevator? How to Promote Social Mobility, Paris 2018, abrufbar unter: https://www.oecd-ilibrary .org/docserver/9789264301085-en.pdf?expires=1542280816&id=id&accname =ocid177634&checksum=23C3F3C5D7B5F93DC7711535AC4C79E7 Die Studie untersucht und vergleicht die soziale Mobilität in OECD-Ländern und deckt Langzeit- Trends in Bezug auf den Sozialstatus auf. Im Ergebnis zeigt sich, dass die soziale Mobilität in den Nordischen Ländern am höchsten ist. An den Unterschieden zwischen den Ländern zeige sich, welchen Einfluss politische Entscheidungen Einfluss auf den Grad der sozialen Mobilität hätten (S.178). In Deutschland sei ein sozialer Aufstieg schwieriger als in den meisten anderen Industrieländern : Während der Aufstieg aus den unteren Einkommensklassen im OECD-Durchschnitt bei viereinhalb Generationen liegt (S. 26), liegt er in Deutschland bei sechs Generationen, in Dänemark , dem Land mit der größten sozialen Durchlässigkeit, bei zwei Generationen. 6 Zum Aufbau und Inhalt der NEPS-Erwachsenenstudie siehe NEPS Bildungsverläufe in Deutschland, abrufbar unter: https://www.neps-studie.de/studien/arbeiten-und-lernen-im-wandel-und-bildung-im-erwachsenenalterund -lebenslanges-lernen/aufbau-und-inhalt1/. 7 Das am DIW Berlin angesiedelte Sozioökonomische Panel (SOEP) ist die größte und seit 1984 laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland. Näheres ist abrufbar über das DIW unter: https://www.diw.de/de/diw_01.c.412809.de/presse/diw_glossar/sozio_oekonomisches_panel_soep.html. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 095/18 Seite 6 Datenreport 2018, Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland, Statistisches Bundesamt (Destatis), Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in Zusammenarbeit mit SOEP am DIW Berlin, Bonn 2018, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Datenreport /Downloads/Datenreport2018.pdf?__blob=publicationFile Die Ergebnisse basieren auf Bevölkerungsumfragen von 1976 bis 2016. Bei der Vererbung von Klassenpositionen zeigt sich, dass es insgesamt mehr Aufstiege als Abstiege gibt und dass Frauen zunehmend bessere Klassenpositionen erreichen. Darüber hinaus wird ein Trend für westdeutsche Männer hin zu einem abnehmenden Einfluss der sozialen Herkunft auf die eigene Klassenposition deutlich. Im Osten dagegen nimmt der Einfluss der sozialen Herkunft auf die eigene Position zu und somit die Chancengleichheit ab (ab S. 262). OECD, Bildung auf einen Blick, Paris 2018, abrufbar unter: https://www.oecd-ilibrary.org/docserver /6001821lw.pdf?expires=1542293581&id=id&accname =ocid177634&checksum=F140C46436232DEDBE3BD346D1BE995F Die OECD-Studie untersucht Chancengerechtigkeit in der Bildung. Damit ist die Frage gemeint, ob in Bezug auf Bildungszugang, Bildungsbeteiligung und Bildungsverlauf allen eine hochwertige Bildung offensteht, unabhängig von persönlichen und sozialen Bedingungen wie Geschlecht, familiärer Hintergrund oder Herkunft. Im Durchschnitt dauert es in den OECD-Ländern vier bis fünf Generationen, bis Kinder aus dem unteren Bereich der Einkommensverteilung das mittlere Einkommensniveau erreichen. Die Ergebnisse zeigen, dass es für viele Länder schwierig bleibt, Chancengerechtigkeit bei der Bildungsteilnahme und eine hohe Qualität der Lernergebnisse zu erreichen. OECD, Catching Up? Country Studies on Intergenerational Mobility and Children of Immigrants , Paris 2018, abrufbar unter: https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/9789264301030- en.pdf?expires=1542295628&id=id&accname=ocid177634&checksum =59E9540FE8485FF0BB1B7EA5E009F795 Es werden Fallstudien aus verschiedenen Ländern zur sozialen Mobilität von Einwandererfamilien dargestellt; so unter anderem aus Deutschland, Frankreich und Österreich. In der Fallstudie aus Deutschland geht es insbesondere um Kinder von Eltern, die aus der Türkei eingewandert sind. So haben Kinder türkischer Einwanderer im Vergleich zu deutschen Kindern trotz ähnlicher Bildungsabschlüsse immer noch einen etwas niedrigeren beruflichen Status. Generell verdeutlicht die Fallstudie jedoch, dass die Integration für alle Gruppen von Kindern Zugewanderter voranschreitet. Stockhausen, Maximilian, Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW), Wie der Vater, so der Sohn? Zur intergenerationalen Einkommensmobilität in Deutschland, IW-Trends April 2017 S. 57-74, abrufbar unter: https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/IW- Trends/PDF/2018/IW-Trends_2017-04_Einkommensmobilitaet.pdf Die Studie basiert auf Daten des SOEP und betrachtet den Zusammenhang zwischen dem Einkommen von Vätern aus Westdeutschland und dem Einkommen ihrer Söhne. Demnach haben rund 63 Prozent der Söhne der Jahrgänge von 1955-1975 ein höheres Arbeitseinkommen als ihre Väter. Insbesondere am unteren Ende der Einkommensskala sind die Ergebnisse auffällig: 90 Pro- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 095/18 Seite 7 zent der Söhne von Vätern aus dem untersten Einkommensviertel weisen ein höheres Einkommen als die Väter auf. Bei Söhnen im oberen Einkommensviertel konnten 30 Prozent ein höheres Einkommen als die Väter erzielen. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Einkommensmobilität in Deutschland höher als in den USA ist, aber niedriger als in den skandinavischen Ländern (S. 1). Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e. V. (LIfBi)8, Soziale Ungleichheit: Bildungsbiografien über vier Generationen ausgewertet (NEPS Ergebnisse), Bamberg 2017, abrufbar unter https://www.neps-studie.de/ergebnisse?id=55 In ihrer Studie9 untersuchten Pia N. Blossfeld, Gwendolin J. Blossfeld und Hans-Peter Blossfeld anhand von 13.152 Bildungsbiografien über vier Generationen, wie sich das Bildungsniveau von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen im Laufe der Zeit entwickelt hat. Hierzu betrachtete das Forscherteam schulische und berufliche Bildungsabschlüsse sowie den familiären Hintergrund von Personen, die zwischen 1919 und 1980 in Deutschland geboren wurden. Grundlage waren Interviewdaten aus der GLHS und aus der NEPS-Erwachsenenstudie. Ein zentrales Ergebnis ist, dass – obwohl die Zahl der Studierenden steigt – nach wie vor überwiegend junge Menschen aus sozial bessergestellten Elternhäusern an einer Universität studieren. Das liege nicht zuletzt daran, dass höher gebildete Eltern ihre Kinder beim Lernen besser unterstützen könnten. Beim Fachhochschulabschluss stellte das Forscherteam hingegen keinen Einfluss der Bildungsherkunft zugunsten der privilegierten Absolventen fest. Lauterbach, Wolfgang/Fend, Helmut/Gläßer, Jana, LifE-Lebensverläufe von der späten Kindheit ins fortgeschrittene Erwachsenenalter, Beschreibung der Studie, Potsdam 2016, abrufbar unter https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/8742/file/life-studie .pdf Die LifE-Studie hat von 1979 bis 2012 – also über 33 Jahre hinweg – Informationen über individuelle Lebensläufe zwischen dem 12. und dem 45. Lebensjahr erhoben. Dabei hat sie insbesondere danach gefragt, welche herkunftsbezogenen, persönlichen und sozialen Ressourcen jeweils zu einer gelingenden Lebensbewältigung beigetragen haben. Im Verlauf der Studie zeigte sich, dass hier – im Vergleich zu anderen Studien – sowohl die unteren (mit 16,7 Prozent) als auch die obersten Bildungsgruppen (mit 3,5 Prozent) unterrepräsentiert waren, Personen mit mittlerer Reife dagegen (mit 44,1 Prozent) überrepräsentiert. Entsprechend lag in der LifE-Studie das durchschnittliche Monatseinkommen der befragten Männer deutlich über dem der SOEP-Studie. 8 Die Studie Bildungsverläufe in Deutschland – das Nationale Bildungspanel (NEPS) – wird seit dem 1. Januar 2014 vom LIfBi betreut. Erforscht wird, wie sich die Menschen während ihres gesamten Lebens Wissen und Fähigkeiten aneignen. Näheres ist abrufbar unter: https://www.lifbi.de/. 9 Originalliteratur: Blossfeld, P. N., Blossfeld, G. J. & Blossfeld, H.-P., Educational expansion and inequalities in educational opportunity: Long-term changes for East and West Germany. European Sociological Review, 2015, 31(2), 144–160, abrufbar unter: https://academic.oup.com/esr/article/31/2/144/2367573 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 095/18 Seite 8 Werner Georg, Prädiktion des Berufsstatus – Zur unterschiedlichen Bedeutung personaler Ressourcen bei Frauen und Männern, in: Fend, Helmut/Berger, Fred/Grob, Urs (Hrsg.) Lebensverläufe , Lebensbewältigung, Lebensglück. Ergebnisse der LifE-Studie, 1. Auflage Wiesbaden 2009, S.141-160, abrufbar unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-531-91547- 0.pdf 1500 Personen wurden im Alter von zwölf bis 16 Jahren und nochmals mit 35 Jahren befragt. Aus soziologischer Perspektive interessierte im Rahmen der Jugendstudie besonders die Bedeutung der Schule und der sozialen Herkunft für den beruflichen Erfolg. Dazu wurden auch Übergangswahrscheinlichkeiten von der sozialen Herkunft über die Ausbildungsstufen bis in den Beruf hinein herausgearbeitet. Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e.V. an der Universität Tübingen (IAW), Aktuelle Entwicklungen der sozialen Mobilität und der Dynamik von Armutsrisiken in Deutschland (Follow Up-Studie zur Armuts- und Reichtumsberichterstattung) Abschlussbericht, Tübingen 2015, abrufbar unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a- 305-1-abschlussbericht-entwicklungen-soziale-mobilit%C3%A4t.pdf?__blob=publication- File&v=2 In dieser vorbereitenden Studie zum aktuellen 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wurden Ursachen der sozialen Mobilität sowie die damit einhergehenden Risiko- und Erfolgsfaktoren untersucht. Die Datenbasis setzt sich aus unterschiedlichen Datenquellen zusammen , so etwa dem SOEP oder NEPS. Zentrale Ergebnisse sind, dass die Bildungsvoraussetzungen im Elternhaus zu den stärksten Determinanten von Bildungs- und Statusungleichheit gehören und zwischen dem Erwerbsstatus der Eltern und dem Ausbildungsweg der Kinder über die Bildungsstufen hinweg signifikante Zusammenhänge bestehen. 2.2. Studien zur sozialen Mobilität während der Schulphase An Unfair Start – Inequality in Children´s Education in Rich Countries, UNICEF Innocenti Report Card 15, Florence, October 2018, abrufbar unter https://www.unicef.de/informieren/aktuelles /presse/2018/ungleiche-bildungschancen-kinder-in-industrielaendern/177516 sowie als deutsche Zusammenfassung abrufbar unter https://www.unicef.de/blob/177556/a6282e479e4a7188ecc27607fad15dd8/zusammenfassungreportcard 15-data.pdf Die UNICEF-Studie untersucht, warum manche Kinder im internationalen Vergleich schlechtere Bildungschancen haben als andere. Dafür wurden vergleichbare Daten zu Schlüsselindikatoren für die kindliche Entwicklung wie Zugang zur frühkindlichen Förderung und Lesekompetenz aus 41 Ländern der Europäischen Union (EU) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) analysiert. Berücksichtigt wurde im Anschluss, in welchem Maße in den jeweiligen Ländern Faktoren wie z. B. der Berufsstand der Eltern diese Ungleichheiten beeinflussen . Im Ergebnis liegt Deutschland in den drei Dimensionen frühkindliche Förderung, Lesekompetenz in der Grundschule und in der Sekundarstufe auf Platz 23 von insgesamt 38. Dies ist ein Platz im unteren Mittelfeld. Lettland ist das Land mit der geringsten Bildungsungleichheit zwischen Kindern. Bulgarien und Malta stehen mit einer vergleichsweise großen Bildungsungleichheit ganz am Ende der Liste (S. 8 f.). Eine spezielle Auswertung für Deutschland zeigt, dass Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 095/18 Seite 9 70 Prozent der Kinder, von denen ein Elternteil eine Arbeit mit hohem Status hat, auf das Gymnasium gehen, während nur rund 30 Prozent der Kinder, von denen ein Elternteil eine Arbeit mit niedrigem Status hat, dies tun (S. 42 f.). OECD, PISA 2015 Ergebnisse, Exzellenz und Chancengerechtigkeit in der Bildung, Band I, 2016 Die PISA-Studien der OECD sind internationale Schulleistungsuntersuchungen. Untersucht wird unter anderem die Chancengerechtigkeit in der Bildung (ab S. 217). Die Ergebnisse zeigen, dass global ein Zusammenhang von Bildungserfolg und sozialer Herkunft festzustellen ist. Ein hohes Maß an Bildungsgerechtigkeit erzielen die Länder Dänemark, Estland oder Hongkong (China). Auch in Deutschland ist die Entwicklung positiv; Bei den Naturwissenschaften hat sich der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg in den vergangenen Jahren abgeschwächt, bleibt aber dennoch weiter über dem OECD-Durchschnitt. Der Anteil von Schülern, die trotz nachteiliger sozialer Herkunft sehr gut abschneiden, ist deutlich gestiegen. Bei Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund aber bleibt das Leistungsgefälle deutlich. Wendt, Heike/Bos, Wilfried/Selter, Christoph/Köller, Olaf/Schwippert, Knut/Kasper, Daniel (Hrsg.), TIMSS 2015, Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich, Münster, New York, 2016, abrufbar unter https://www.pedocs.de/volltexte/2017/14022/pdf/Wendt_et_al_2016_TIMSS_2015.pdf In allen 48 Teilnehmerstaaten finden sich signifikante Unterschiede in den mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen zwischen den Kindern der oberen beziehungsweise der unteren sozialen Lagen. In Deutschland hat sich das Ausmaß dieser Disparitäten – trotz verbreiteter Bemühungen – seit TIMSS 2007 nicht signifikant verändert. Die Leistungsunterschiede zwischen Kindern, deren Eltern oberen Klassen angehören, und Kindern, deren Eltern den Gruppen der Arbeiter angehören, betragen in etwa ein bis zwei Lernjahre. OECD, Vodafone Stiftung Deutschland gGmbH, Erfolgsfaktor Resilienz, Düsseldorf, Januar 2018, abrufbar unter: http://www.oecd.org/berlin/publikationen/VSD_OECD_Erfolgsfaktor%20Resilienz .pdf Die Studie ist eine PISA-Sonderauswertung der OECD in Kooperation mit der Vodafone Stiftung zum Schulerfolg sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler. In Bezug auf Chancengleichheit wird aufgezeigt, dass sich diese zwar in den letzten Jahren positiv entwickelt hat, Deutschland aber noch immer unter dem OECD-Durchschnitt liegt. Es bestehe nach wie vor ein Zusammenhang von Leistung und sozialer Herkunft, denn es gebe große Leistungsunterschiede zwischen sozial bessergestellten und sozial benachteiligten Schülern. 3. Weitere Literatur Zinnecker, Jürgen/Stecher, Ludwig, Gesellschaftliche Ungleichheit im Spiegel hierarchisch geordneter Bildungsgänge, Die Bedeutung ökonomischen, kulturellen und ethnischen Kapitals der Familie für den Schulbesuch der Kinder, S. 291 in: Georg, Werner (Hrsg.), Soziale Ungleichheit im Bildungssystem, Köln 2018. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 095/18 Seite 10 Die Autoren dieses Sammelbandes untersuchen, welche Ursachen die fortdauernde hohe soziale Selektivität im deutschen Bildungssystem hat. Mit den Daten einer Schülerbefragung in Nordrhein -Westfalen aus dem Jahr 2003 wird z. B. die soziale Ungleichheit im Rahmen hierarchisch geordneter Bildungsgänge analysiert. Mit Hilfe von Entscheidungsbaumanalysen untersuchen die Autoren in Abhängigkeit vom sozioökonomischen und vom Bildungsstatus der Eltern sowie weiterer Aspekte spezifische Konfigurationen und Kumulationen von Benachteiligung bzw. Bevorzugung hinsichtlich des relativen Schulbesuchs. Kratz, Fabian/Bauer, Gerritt/Brüderl, Josef, Die Vererbung sozialer Ungleichheit: ein neuer Ansatz zur Untersuchung einer klassischen soziologischen Frage, S. 71-88 in: Giesselmann, Marco/Golsch, Katrin/Lohmann, Henning/Schmidt-Catran, Alexander (Hrsg.), Lebensbedingungen in Deutschland in der Längsschnittperspektive, Wiesbaden 2018, abrufbar unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-658-19206-8.pdf . In diesem Sammelband ist vor allem der Beitrag „Die Vererbung sozialer Ungleichheit: ein neuer Ansatz zur Untersuchung einer klassischen soziologischen Frage“ zu nennen, der den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Lebenszufriedenheit analysiert. Dabei werden Daten des SOEP 1984 bis 2014 verwendet. Danach bestehen im Ergebnis im jungen Erwachsenenalter nur kleine Herkunftsunterschiede in der Lebenszufriedenheit. Ab einem Alter von 30 bis zu einem Alter von 50 Lebensjahren nehme der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Lebenszufriedenheit jedoch stetig zu. Steuerwald, Christian, Soziale Mobilität in: Huster, Ernst-Ulrich/Boeckh, Jürgen/ Mogge-Grotjahn , Hildegard (Hrsg.), Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung, 3. Auflage Wiesbaden 2018, S. 203, abrufbar unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-658-19077-4.pdf . Steuerwald stellt den historischen Verlauf der Mobilität seit dem ausgehenden Spätmittelalter in Deutschland sowie eine Übersicht über Mobilitätstheorien dar. Daneben führt er die Mobilitätsquoten in Westdeutschland zwischen 1976 bis 2014 näher aus: „Auch wenn im Zeitverlauf die Bedeutung der sozialen Herkunft in Folge der Ausweitung der Bildung und Qualifikationen seit den 1950er Jahren abgenommen hat, sind die Mobilitätschancen immer noch von der Herkunftsfamilie , ihrer Kapitalausstattung und ihren Netzwerken abhängig.“ (S. 218). Eckert (Hrsg.), Thomas/ Gniewosz (Hrsg.), Burkhard, Bildungsgerechtigkeit, Wiesbaden 2017. Das Buch enthält verschiedene Beiträge zur Bildungsgerechtigkeit in Deutschland. So wird etwa die Bedeutung der Familie für den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen beleuchtet (S. 187). Auch wird thematisiert, ob durch die Öffnung des gegliederten Schulsystems Ungleichheiten reduziert werden können (S. 249), da gerade die Differenzierung von Bildungsgängen unter Gesichtspunkten der sozialen Gerechtigkeit zu den strittigen Merkmalen des Bildungssystems in Deutschland zählen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 095/18 Seite 11 Dippelhofer-Stiem, Barbara, Sind Arbeiterkinder im Studium benachteiligt? Empirische Erkundungen zur schichtspezifischen Sozialisation an der Universität, 1. Auflage, Weinheim Basel 2017. Die Autorin beleuchtet soziale Ungerechtigkeit insbesondere bezogen auf Hochschulen, angesichts dessen, dass der Zugang zu höherer Bildung immer noch von der sozialen Herkunft abhängig ist. So werden soziale Disparitäten trotz eines erfolgreichen Bildungsaufstiegs und Schwierigkeiten , die sich Studierenden aus unteren sozialen Schichten (sog. „first-generation-students“) stellen, verdeutlicht (vgl. S. 10, 46, 73). Dazu werden Erfahrungen und Sichtweisen von Studierenden unterschiedlicher sozialer Herkunft analysiert. Becker, Rolf/Lauterbach, Wolfgang (Hrsg.), Bildung als Privileg, Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der Bildungsungleichheit, 5. Auflage Wiesbaden 2016, abrufbar unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-658-11952-2.pdf . In den einzelnen Beiträgen dieses Sammelbandes werden sozial selektive Zugänge zur Bildung sowie soziale Ungleichheit von Bildungschancen und Bildungsergebnisse im Lebensverlauf analysiert . Im Vordergrund stehen neben den Ursachen vor allem die Mechanismen und Prozesse, die für die Entwicklung und Dauerhaftigkeit von Bildungsungleichheit verantwortlich sind. Dabei stellen Rolf Becker und Wolfgang Lauterbach in der Einleitung „Bildung als Privileg – Ursachen , Mechanismen, Prozesse und Wirkungen“ den Einfluss der Schichtzugehörigkeit für die Realisierung der Bildungsübergänge von der Grundschule auf die weiterführenden Schullaufbahnen dar (S. 3). Lange-Vester/Sander, Tobias (Hrsg.), Soziale Ungleichheiten, Milieus und Habitus im Hochschulstudium , Weinheim und Basel 2016. Der Sammelband schafft einen Überblick über vorhandene Untersuchungen zu Motiven, Haltungen und Praktiken von Studierenden mit Blick auf biographische und lebensweltliche Zusammenhänge sowie sozialstrukturelle Verankerungen der Studierenden. Kurz, Karin/Böhner-Taute, Eileen, Wer profitiert von den Korrekturmöglichkeiten in der Sekundarstufe ? in: Zeitschrift für Soziologie 2016, 45 (6), S. 431, abrufbar unter https://www.degruyter .com/downloadpdf/j/zfsoz.2016.45.issue-6/zfsoz-2015-1025/zfsoz-2015-1025.pdf . Auf der Basis von SOEP-Daten kommen die Autorinnen zu dem Ergebnis, dass in Deutschland ein Abbau ungleicher Bildungschancen im Laufe der Sekundarstufe stattfindet. Dies betreffe aber vor allem Kinder mit Migrationshintergrund, während für Schüler mit niedriger Bildungsherkunft keine generelle Verbesserung ihrer relativen Bildungschancen im Bildungsverlauf nachweisbar sei. Insgesamt gebe es mehr Aufstiege als Abstiege im Sekundarschulsystem. Jungkamp (Hrsg.), Burkhard/ John-Ohnesorg, Marei, Soziale Herkunft und Bildungserfolg, Berlin 2016. Nach Auffassung der Autoren haben zwar diverse Bildungsreformen zur positiven Entwicklung beigetragen, gleichwohl ist der Zusammenhang von Bildungserfolg und sozialer Herkunft in Deutschland noch immer stärker als in anderen Ländern. Angesichts dessen werden in den Bei- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 095/18 Seite 12 trägen etwa folgende Fragen aufgeworfen: Warum gibt es trotz Bildungsexpansion unterschiedliche Bildungschancen, inwieweit verursachen Strukturen des Bildungssystems Bildungsungerechtigkeit und was können Politik und Schule tun, um Chancengleichheit zu verwirklichen? So wird etwa ein durchlässigeres, anschlussfähiges Bildungssystem gefordert, um mehr Chancen zu ermöglichen. Ein Mittel hierzu kann etwa ein Rahmenlehrplan sein, wie ihn Berlin und Brandenburg für die Jahrgangsstufen eins bis zehn bereits entwickelt haben. Arslan, Emre/Bozay, Kemal (Hrsg.), Symbolische Ordnung und Bildungsungleichheit in der Migrationsgesellschaft , Wiesbaden 2016, abrufbar unter https://link.springer.com/content /pdf/10.1007%2F978-3-658-13703-8.pdf . Dieser Sammelband setzt sich mit den kontinuierlichen und strukturellen Benachteiligungen von Personen mit Migrationshintergrund im Bildungssystem auseinander. Dabei wird u. a. der Frage nachgegangen, inwiefern hierarchische Bilder über ethnische Merkmale die Reproduktion der sozialen Ungleichheit im Bildungssystem beeinflussen. Diskutiert werden auch die Auswirkungen der Alltagserfahrungen sowie Mechanismen und Auswirkungen, die zur Bildungsungleichheit beitragen. Grunau, Janika, Habitus und Studium, Rekonstruktion und Typisierung studentischer Bildungsorientierungen , Dissertation an der Universität Osnabrück 2016, Wiesbaden 2017, abrufbar unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-658-16034-0.pdf . Die Dissertation behandelt Chancengleichheit im Bildungssystem, insbesondere die Bildungswege und -orientierungen von Studierenden akademischer und nicht-akademischer Herkunft. Die empirischen Daten basieren auf 15 narrativ-fundierten Interviews mit fortgeschrittenen Studierenden aus nicht-akademischen und akademischen Elternhäusern. Nach den Ergebnissen stellt die soziale Herkunft nach wie vor einen entscheidenden Faktor für die Verteilung von Bildungschancen in Deutschland dar. ***