© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 094/20 Zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen Meldeverfahren und Zahlen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 094/20 Seite 2 Zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen Meldeverfahren und Zahlen Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 094/20 Abschluss der Arbeit: 17. November 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 094/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Meldeverfahren beim Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen 4 3. Anzahl der Verdachtsmeldungen 6 4. Krankenhausaufnahmen 8 5. Todesfälle 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 094/20 Seite 4 1. Einleitung Die Anwendung eines Arzneimittels kann unerwünschte Nebenwirkungen verursachen. Das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG)1 definiert in § 4 Absatz 13 Nebenwirkungen wie folgt: „Nebenwirkungen sind bei Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind, schädliche und unbeabsichtigte Reaktionen auf das Arzneimittel. Schwerwiegende Nebenwirkungen sind Nebenwirkungen, die tödlich oder lebensbedrohend sind, eine stationäre Behandlung oder Verlängerung einer stationären Behandlung erforderlich machen, zu bleibender oder schwerwiegender Behinderung, Invalidität, kongenitalen Anomalien oder Geburtsfehlern führen .“2 Alle anderen Nebenwirkungen werden damit als nicht schwerwiegend eingestuft. Die Vermeidung solch unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) wird im Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland (Aktionsplan AMTS 2016–2019) des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) als zentrales Thema ausgewiesen.3 Der vorliegende Sachstand geht zunächst auf das Meldeverfahren beim Auftreten von UAW ein und befasst sich anschließend mit der Anzahl der in Deutschland vorgenommenen Meldungen von UAW sowie der diesbezüglichen Krankenhausaufnahmen und Todesfälle. 2. Meldeverfahren beim Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen Das AMG sieht in § 62 Absatz 1 vor, dass nach der Zulassung eines Arzneimittels die Erfahrungen bei seiner Anwendung systematisch dokumentiert und ausgewertet werden. Dementsprechend ist ein Spontanmeldesystem für Verdachtsfälle zu UAW geschaffen worden.4 Das Spontanmeldesystem hält die Hürde für eine Meldung ganz bewusst niedrig. So muss eine Nebenwirkung 1 Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes vom 25. Juni 2020 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist. 2 Unter den Nebenwirkungsbegriff bei Humanarzneimitteln fallen auch solche unerwünschten Begleiterscheinungen , die auf eine nicht bestimmungsgemäße Verwendung des Arzneimittels zurückzuführen sind; so Rehmann, in: Rehmann, Arzneimittelgesetz (AMG), 5. Auflage 2020, § 4 Rn. 12. Vor dem 26. Oktober 2012 wurde in der Legaldefinition auf eine bestimmungsgemäße Verwendung abgestellt. 3 BMG, Aktionsplan 2016-2019 zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland – Aktionsplan AMTS 2016 – 2019, S. 1, abrufbar unter: https://www.akdae.de/AMTS/Aktionsplan/Aktionsplan-2016- 2019/Aktionsplan-AMTS-2016-2019.pdf (dieser sowie alle weiteren Links wurden zuletzt abgerufen am 17. November 2020. 4 Um UAW nach Markteinführung eines Arzneimittels identifizieren zu können, gibt es neben dem Spontanmeldesystem vor allem auch klinische und pharmakoepidemiologische Studien. Näheres hierzu siehe Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen, Pharmakovigilanz, Informationen für Apothekerinnen und Apotheker, Stand: Juli 2016, S. 19 ff., abrufbar unter: https://www.lzg.nrw.de/_php/login/dl.php?u=/_media/pdf/service /Pub/pub-arz/pharmakovigilanz-infos-apotheken.pdf. Daneben wurden in Deutschland nationale Pharmakovigilanzzentren eingerichtet, die in Ergänzung zum Spontanmeldesystem z. B. bei Krankenhausaufnahmen, schweren Krankheitsbildern oder in spezifischen Personengruppen gezielt nach UAW suchen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 094/20 Seite 5 nicht nachgewiesenermaßen von einem Arzneimittel herrühren. Neben einem zeitlich plausiblen Zusammenhang zwischen der Einnahme und dem Auftreten des Arzneimittel-bezogenen Problems ist ein bloßer Verdacht ausreichend. Außerdem sind offensichtliche andere Ursachen auszuschließen .5 Aufgabe der pharmazeutischen Hersteller sowie der Behörden ist es dann, den Grad der Wahrscheinlichkeit zu ermitteln, nach dem das Arzneimittel Ursache für die UAW ist.6 Das Spontanmeldesystem enthält verschiedene Meldewege: Patientinnen und Patienten, die UAW nach der Anwendung eines Medikaments feststellen , teilen dies in der Regel ihrer Ärztin bzw. ihrem Arzt oder der Apotheke mit. Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker sind nach ihren Berufsordnungen verpflichtet, UAW zu melden.7 Die Meldung erfolgt an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) bzw. an die Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker (AMK). Die Arzneimittelkommissionen bewerten die Meldungen und kommunizieren relevante Sicherheitsprobleme im Zusammenhang mit Arzneimitteln an ihre Fachkreise wie das Deutsche Ärzteblatt. Die Meldung wird von den Arzneimittelkommissionen an die nach § 77 AMG zuständige Bundesoberbehörde – das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bzw. das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) – weitergeleitet .8 Das PEI ist im Bereich der Human-Arzneimittel zuständig für Impfstoffe, Sera, Blut, Knochenmark- und Gewebezubereitungen, Allergene, Arzneimittel für neuartige Therapien und gentechnisch hergestellte Blutbestandteile. Für alle anderen Arzneimittel ist das BfArM zuständig (§ 77 Absatz 1 und 2 AMG). Neben den Meldungen von Angehörigen der Gesundheitsberufe können auch Patientinnen und Patienten UAW direkt an die beiden Bundesoberbehörden melden.9 5 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Nebenwirkungen melden, Ein Leitfaden für Ärzte, 2019, S. 3, abrufbar unter: https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/LF/PDF/Nebenwirkungen_melden.pdf; Ude, Christian/Wurglics, Mario, Spontanmeldungen: Frühwarnsystem für Arzneimittelrisiken, in: Pharmazeutische Zeitung, Ausgabe 33/2014, abrufbar unter: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe- 332014/fruehwarnsystem-fuer-arzneimittelrisiken/. 6 Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen, Pharmakovigilanz, Informationen für Apothekerinnen und Apotheker, Stand: Juli 2016, S. 15, abrufbar unter: https://www.lzg.nrw.de/_php/login/dl.php?u=/_media /pdf/service/Pub/pub-arz/pharmakovigilanz-infos-apotheken.pdf. 7 § 6 (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä 1997 – in der Fassung der Beschlüsse des 121. Deutschen Ärztetages 2018 in Erfurt, geändert durch Beschluss des Vorstandes der Bundesärztekammer am 14. Dezember 2018, abrufbar unter: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user _upload/downloads/pdf-Ordner/MBO/MBO-AE.pdf sowie z. B. § 6 Bayerische Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker vom 21. Mai 2006 (PZ v. 22. Juni 2006, S. 2432 ff.), zuletzt geändert 8. Juni 2018 (PZ v. 28. Juni 2018, S. 1863), abrufbar unter: https://www.blak.de/berufsordnung. 8 Vgl. hierzu § 62 Absatz 1 AMG, wonach die Bundesoberbehörden den Arzneimittelkommissionen der Kammern der Heilberufe zusammenarbeiten. 9 Der Meldebogen ist abrufbar über das BfArM unter: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Formulare/DE/Arzneimittel /Pharmakovigilanz/aa-uaw-melde-bogen.html. Die Behörden bevorzugen jedoch die Online-Meldung, die für Angehörige der Heilberufe unter: https://humanweb.pei.de/index_form.php?PHP- SESSID=8r0qfrl58j1qudj8v76cmvjfr3 und für Patientinnen und Patienten unter: https://nebenwirkungen .pei.de/nw/DE/home/home_node.html abrufbar sind. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 094/20 Seite 6 Angehörige der Heilberufe sowie Patientinnen und Patienten können UAW-Meldungen auch gegenüber den Zulassungsinhabern vornehmen (§ 63b Absatz 1 AMG).10 § 62 Absatz 3 AMG sieht vor, dass die Bundesoberbehörden Informationen zu UAW elektronisch an die Europäische Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen (EudraVigilance-Datenbank) bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA, englisch: European Medicines Agency) übermitteln. Für die Zulassungsinhaber ist dies in § 63c Absatz 2 AMG geregelt. Durch Zusammenarbeit der Bundesbehörden mit der EMA und dem Zulassungsinhaber sollen dabei Doppelerfassungen von Verdachtsmeldungen festgestellt werden (62 Absatz 3 Satz 3 AMG). Die Europäische Datenbank ermöglicht einen Überblick – auch für die Öffentlichkeit – über vorliegende Verdachtsfälle von Nebenwirkungen von Arzneimitteln, die innerhalb der EU zugelassen sind. Zugriff wird sowohl über den Namen des Arzneimittels als auch über den Namen des Wirkstoffs gewährt.11 Die in EudraVigilance gespeicherten Nebenwirkungsmeldungen werden durch Experten der EMA und der nationalen Behörden fortlaufend analysiert.12 3. Anzahl der Verdachtsmeldungen Nicht alle Verdachtsmeldungen zu UAW werden gemeldet. Die Gründe dafür sind vielfältig: So informieren Patientinnen und Patienten ihre Ärztin bzw. ihren Arzt nicht über jede Beobachtung oder der mögliche Zusammenhang zwischen einer Reaktion bzw. deren Symptomen und dem Arzneimittel wird nicht erkannt, z. B. wenn die tatsächlichen Nebenwirkungs-assoziierten Symptome fälschlicherweise der Grunderkrankung zugeordnet werden. UAW zu Arzneimitteln, die bereits länger auf dem Markt sind, werden weniger häufig gemeldet als solche zu neuen Arzneimitteln .13 Damit kann das Spontanmeldesystem keine Informationen über die absolute Häufigkeit einer UAW liefern. Es lässt auch in der Regel keine vergleichende Bewertung von Arzneimitteln im Hinblick auf ein bestimmtes Risiko zu, da nicht bekannt ist, wie viele UAW nicht berichtet 10 Siehe hierzu z. B. Bayer AG, Eine Nebenwirkung melden, abrufbar unter: https://www.bayer.com/de/produkte /eine-nebenwirkung-melden. 11 Europäische Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen, Online-Zugriff auf Verdachtsfallmeldungen über Nebenwirkungen, abrufbar unter: http://www.adrreports.eu/de/index.html. Die Meldeverpflichtungen sind in den EU-Rechtsvorschriften festgelegt, insbesondere in Verordnung (EG) Nr. 726/2004. In den Zugriffsrichtlinien für EudraVigilance ist festgelegt, wie interessierte Gruppen, z. B. nationale Arzneimittelbehörden, Angehörige der Heilberufe, Patientinnen und Patienten sowie Zulassungsinhaber und Hochschulen, auf Informationen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen zugreifen können. Näheres ist abrufbar über die EMA, Zugriffsrichtlinien, unter: http://www.adrreports.eu/de/access_policy.html. 12 Kommas, Eva/Lex, Dennis/Huber, Martin Huber/Paeschke, Norbert, Verdachtsfälle melden. Warum am behördlichen Nebenwirkungsmelde-System kein Weg vorbeiführt, in: Deutsche Apothekerzeitung (DAZ) 2019, Nr. 37, S. 44, abrufbar unter: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2019/daz-37-2019/verdachtsfaellemelden . 13 Weitere Gründe sind zu finden in einer Veröffentlichung des Landeszentrums Gesundheit Nordrhein-Westfalen, Pharmakovigilanz, Informationen für Apothekerinnen und Apotheker, Stand: Juli 2016, S. 24 f., abrufbar unter: https://www.lzg.nrw.de/_php/login/dl.php?u=/_media/pdf/service/Pub/pub-arz/pharmakovigilanz-infos-apotheken .pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 094/20 Seite 7 wurden und wie oft ein Arzneimittel angewandt wurde. Die Effizienz des Systems steigt aber mit der Anzahl der Meldungen.14 Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat einen Leitfaden zur Meldung von UAW publiziert, die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) hat einen entsprechenden Flyer entwickelt.15 Für das Jahr 2019 wurden der Europäischen Nebenwirkungsdatenbank Eudra-Vigilance 83.054 Spontanfälle aus Deutschland gemeldet. Davon waren: 18.516 von Angehörigen der Gesundheitsberufe als schwerwiegend, 31.543 von Angehörigen der Gesundheitsberufe als nicht-schwerwiegend, 4.773 von Patientinnen und Patienten bzw. ihnen zuzurechnenden Personen wie Angehörigen als schwerwiegend und 28.222 von Patientinnen und Patienten bzw. ihnen zuzurechnenden Personen wie Angehörigen als nicht-schwerwiegend gemeldet worden.16 Für das Jahr 2018 wurden der Europäischen Nebenwirkungsdatenbank Eudra-Vigilance 78.253 und für das Jahr 2017 60.323 Spontanfälle aus Deutschland gemeldet.17 Die Entwicklung der Meldeeingänge an das BfArM über eine Zeitschiene von 2012 bis einschließlich 2019 zeigt grundsätzlich eine jährliche Zunahme an Meldungen. So sind beim BfArM im Jahr 2012 6.906 Meldungen von Angehörigen der Gesundheitsberufe (insbesondere über die 14 Zagermann-Muncke, Petra/Fröhlich, Sonja/Schulz, Martin, Unerwünschte Wirkungen an die AMK melden, in: Pharmazeutische Zeitung 10/2010:16-23, abrufbar unter: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe- 102010/unerwuenschte-wirkungen-an-die-amk-melden/. 15 AkdÄ, Nebenwirkungen melden, Ein Leitfaden für Ärzte, 2019, abrufbar unter: https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie /LF/PDF/Nebenwirkungen_melden.pdf; AMK, Für mehr Arzneimittelsicherheit, Flyer zum Download , abrufbar unter: https://www.abda.de/fuer-apotheker/arzneimittelkommission/amk/. 16 BfArM, Nebenwirkungsmeldungen, Sachstand BfArM, 86. Routinesitzung, 31. März 2020, abrufbar unter: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien/Routinesitzung- Par63AMG/86Sitzung/pkt-2-1-1.pdf?__blob=publicationFile&v=2. 17 BfArM, Nebenwirkungsmeldungen, Sachstand BfArM, 84. Routinesitzung, 21. März 2019, abrufbar unter.: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien/Routinesitzung- Par63AMG/84Sitzung/pkt-2-1a.pdf?__blob=publicationFile&v=3 sowie BfArM, Eingänge zu UAW-Berichten, Sachstand BfArM, 82. Routinesitzung, 19. April 2018, abrufbar unter: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads /DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien/RoutinesitzungPar63AMG/82Sitzung/pkt-2-1- 1.pdf?__blob=publicationFile&v=1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 094/20 Seite 8 AkdÄ und die AMK) und 310 Meldungen von Patientinnen und Patienten bzw. ihnen zuzurechnenden Personen wie Angehörigen eingegangen, während es im Jahr 2019 schon 11.010 bzw. 4.832 waren.18 4. Krankenhausaufnahmen Genaue Zahlen, in wie vielen Fällen eine UAW zu einem Krankenhausaufenthalt19 führt, gibt es nicht. Nach einer im Jahr 2018 veröffentlichten Studie sind UAW mit einem durchschnittlichen Anteil von 6,5 Prozent ein relevanter Grund für Vorstellungen in der Krankenhausnotaufnahme und führen häufig zu stationären Aufnahmen. Für diese Schlussfolgerung wurde an vier größeren Krankenhäusern in den Städten Ulm, Fürth, Bonn und Stuttgart eine 30-tägige Beobachtungsphase mit mehr als 10.000 Vorstellungen in der Notaufnahme durchgeführt, um den Anteil von UAW-Verdachtsfällen an allen Vorstellungen in der Krankenhausnotaufnahme abzuschätzen. Im Ergebnis habe bei 6,5 Prozent der Aufnahmen eine mögliche, wahrscheinliche oder gesicherte UAW vorgelegen.20 Unter Bezugnahme auf ältere Studien wird der Anteil nebenwirkungsbedingter stationärer Aufnahmen in Deutschland in 2018 erschienenen Beiträgen zum Teil auf 2,4 bis 5,7 Prozent geschätzt .21 Ein früherer Artikel aus dem Jahr 2013 bezieht sich ebenfalls auf ältere Studien. Von allen Krankenhausaufnahmen des Jahres 2006 seien 0,92 Prozent sicher durch UAW bedingt gewesen . Die Dunkelziffer der UAW-bedingten Krankenhausaufnahmen werde gemessen an allen Patienten mit 4,8 Prozent und bei älteren Patienten mit 10 bis 15 Prozent angegeben.22 Bezogen 18 BfArM, Nebenwirkungsmeldungen, Sachstand BfArM, 86. Routinesitzung, 31. März 2020, S. 6, abrufbar unter: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien/Routinesitzung- Par63AMG/86Sitzung/pkt-2-1-1.pdf?__blob=publicationFile&v=2. 19 Die jährlichen Fallzahlen zu Krankenhausaufnahmen ab dem Jahr 1991 bis einschließlich 2018 sind abrufbar über das Statistische Bundesamt unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit /Krankenhaeuser/Tabellen/gd-krankenhaeuser-jahre.html. So erfolgten im Jahr 2010 mehr als 18 Millionen und im Jahr 2018 mehr als 19 Millionen Krankenhausaufnahmen. 20 Schurig, Marlen/Böhme, Miriam/Just, Katja/Scholl et al., Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) in der Krankenhausnotaufnahme Prävalenz von UAW-Verdachtsfällen in vier Notaufnahmezentren in Deutschland, in: Deutsches Ärzteblatt International 2018, 115: 251–8, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv /197352/Unerwuenschte-Arzneimittelwirkungen-(UAW)-in-der-Krankenhausnotaufnahme. 21 Bräutigam, Katrin/ Köberle, Ursula/Prause, Lea, AkdÄ, Projekt zur Erfassung und Bewertung von Medikationsfehlern , Abschlussbericht Teil 1: Sachbericht, 29. Juni 2018, S. 8, abrufbar unter: https://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit /Medikationsfehler/20181217.pdf; Köberle, Ursula/Stammschulte, Thomas/Gundert-Remy, Ursula et al., Erfassung und Bewertung von Medikationsfehlern, Erfahrungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, in: Bundesgesundheitsblatt 2018, 61:1066–1074, S. 1, abrufbar unter: https://link.springer .com/article/10.1007/s00103-018-2779-y. 22 Fuchs, Stephan/Neumann, Joachim/Klement, Andreas, Arzneimittelüberwachung: Potenziell lebensrettend (mit Verweis auf weitere Studien), in: Deutsches Ärzteblatt 2013; 110(44); A-2070/B-1828/C-1788, S. 1, abrufbar unter : https://www.aerzteblatt.de/archiv/148520/Arzneimittelueberwachung-Potenziell-lebensrettend. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 094/20 Seite 9 auf vermeidbare Medikationsfehler spricht das BfArM von schätzungsweise 500.000 Krankenhausnotaufnahmen pro Jahr.23 Nach dem Krankenhausreport 2014 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) betreffen unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit medikamentöser Therapie schätzungsweise 5 bis 15 Prozent der stationär behandelten Patienten.24 5. Todesfälle Wie viele Menschen durch UAW in Deutschland versterben, ist nicht bekannt. Diesbezügliche Daten existieren – wie auch schon Daten zu entsprechenden Krankenhausaufnahmen – nicht; wohl aber Schätzungen, die allerdings nicht unerheblich voneinander abweichen. Eine im Jahr 2016 publizierte Dissertation nennt unter Bezug auf – allerdings bereits 2009, 2005 und 2003 – erfolgte Veröffentlichungen eine Bandbreite von geschätzt jährlich 16.000 bis 58.000 arzneimittelbedingten Todesfällen in Deutschland.25 Auch Pressemeldungen greifen teils dieses Spektrum auf, teils bewegen sie sich am oberen oder unteren Rand der Schätzung.26 Der vom WidO publizierte Krankenhausreport 2014 geht von geringeren Zahlen aus. Geschätzt 18.800 Tote (rund 0,1 Prozent der Krankenhausaufnahmen) jährlich in Krankenhäusern seien auf unerwünschte Ereignisse insgesamt zurückzuführen. Neben Medikamenten-assoziierten Ursachen zählten dazu allerdings zu einem größeren Anteil auch Operationen und weitere Ursachen .27 23 BfArM, Medikationsfehler als Ursache für Krankenhauseinweisungen: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte startet neues Forschungsprojekt, Pressemitteilung Nummer 17/14 vom 28. November 2014, abrufbar unter: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2014/pm17-2014.html. 24 Thürmann, Petra, Arzneimitteltherapiesicherheit im Krankenhaus, in: Klauber, Jürgen/Geraedts, Max/Friedrich, Jörg/Wasem, Jürgen, Krankenhausreport 2014, Schwerpunkt: Patientensicherheit, 2014, 12. Kapitel, S. 169, abrufbar unter: https://www.wido.de/fileadmin/Dateien/Dokumente/Publikationen_Produkte/Buchreihen/Krankenhausreport /2014/Kapitel%20mit%20Deckblatt/wido_khr2014_gesamt.pdf . 25 Shoshi, Alban, Analyse von unerwünschten Arzneimittelwirkungen basierend auf einer pharmakologischen und molekularbiologischen Informationsfusion, 2016, S. 4, abrufbar unter: https://pub.uni-bielefeld.de/download /2904877/2904878/Dissertation_AShoshi.pdf. 26 Bartens, Werner, Nebenwirkungen von Arzneien, Tod aus der Pillendose, in: Süddeutsche Zeitung, 17. Mai 2010, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/wissen/nebenwirkungen-von-arzneien-tod-aus-derpillendose -1.623012; Wegener, Basil, Bis zu 25.000 Todesfälle durch Medikamente, in: Süddeutsche Zeitung, 17. Mai 2010, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/wissen/medikamente-und-nebenwirkungen-bis-zu- 25-000-todesfaelle-durch-medikamente-1.793240; „25.000 Todesfälle“: Bremer Forscher warnt vor Wechselwirkungen , in: Die Tageszeitung (TAZ), 9. November 2007, abrufbar unter: https://taz.de/25000-Todesfaelle /!217798/; Walter, Tanja, 58.000 Tote jährlich durch falsche Medikamente: Wie Ärzte ihre Patienten gefährden , in: Rheinische Post Online, 25. November 2013, abrufbar unter: https://rp-online.de/leben/gesundheit/medizin /wie-aerzte-ihre-patienten-gefaehrden_aid-14458949. 27 Geraedts, Max, Das Krankenhaus als Risikofaktor, in: Klauber, Jürgen/Geraedts, Max/Friedrich, Jörg/Wasem, Jürgen, Krankenhausreport 2014, Schwerpunkt: Patientensicherheit, 2014, 1. Kapitel, S. 6, abrufbar unter: https://www.wido.de/fileadmin/Dateien/Dokumente/Publikationen_Produkte/Buchreihen/Krankenhausreport /2014/Kapitel%20mit%20Deckblatt/wido_khr2014_gesamt.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 094/20 Seite 10 Eine bereits im Jahr 2003 veröffentlichte Arbeit schätzt mit Verweis auf norwegische Studien, dass bei rund 6 Millionen jährlich stationär behandelten internistischen Patientinnen und Patienten in Deutschland mit bis zu 57.000 Todesfällen infolge von UAW gerechnet werden müsse (also beinahe ein Prozent), von denen 28.000 als potenziell vermeidbar einzustufen seien.28 Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) bezweifelt allerdings in einem Artikel aus dem Jahr 2005, dass sich Ergebnisse ausländischer Studien ohne Weiteres auf Deutschland übertragen ließen. Verschiedene Länder und Gesellschaften hätten unterschiedliche Traditionen im Umgang mit Arzneimitteln.29 Nach einem in vier Bremer Krankenhäusern eingerichteten Erfassungssystem für arzneimittelbedingte Erkrankungen, das von 1993 bis 1995 insgesamt 587 Fälle dokumentierte, wird die Zahl tödlicher UAW in Deutschland auf ca. 8.000 geschätzt.30 *** 28 Schnurrer/Fröhlich, Zur Häufigkeit und Vermeidbarkeit von tödlichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen, in: Der Internist 2003. 44: 889–895, abrufbar unter: https://www.researchgate.net/profile/Juergen_Froelich /publication/226020380_Zur_Hufigkeit_und_Vermeidbarkeit_von_tdlichen_unerwnschten_Arzneimittelwirkungen /links/02e7e520cc34f6494f000000/Zur-Hufigkeit-und-Vermeidbarkeit-von-tdlichen-unerwnschten-Arzneimittelwirkungen .pdf. 29 ABDA, Schätzungen zu Arzneimittel-Nebenwirkungen oft übertrieben hoch, Pressemitteilung vom 24. Juni 2005, abrufbar unter: https://verbaende.com/news.php/Schaetzungen-zu-Arzneimittel-Nebenwirkungen -oft-uebertrieben-hoch?m=31754. 30 Strohmaier, Birgit, Symposium zur klinischen Pharmakologie: Unerwünschten Wirkungen auf der Spur, in: Deutsches Ärzteblatt 1998, 95(20): A-1216 / B-1040 / C-972, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv /11231/Symposium-zur-klinischen-Pharmakologie-Unerwuenschten-Wirkungen-auf-der-Spur.