© 2019 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 092/18 Zur Feststellung des Todes als Voraussetzung für die „postmortale“ Organspende in Deutschland, Österreich und der Schweiz Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 2 Zur Feststellung des Todes als Voraussetzung für die „postmortale“ Organspende in Deutschland, Österreich und der Schweiz Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 092/18 Abschluss der Arbeit: 14. Dezember 2018 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Zur Diskussion über den Eintritt des Hirntodes als maßgebender Zeitpunkt für die „postmortale“ Organspende 5 2.1. Normative Ausgangslage in Deutschland 5 2.2. Ethische Auseinandersetzung mit der Hirntodkonzeption 9 3. Deutschland 11 3.1. Zulässigkeitsvoraussetzungen 11 3.2. Feststellung des Hirntods 12 4. Österreich 15 4.1. Zulässigkeitsvoraussetzungen 15 4.2. Todesfeststellung 15 4.2.1. Spende nach Hirntod 16 4.2.2. Spende nach Kreislaufstillstand 18 4.3. Ethische Fragestellungen im Zusammenhang mit der Organspende 19 5. Schweiz 19 5.1. Zulässigkeitsvoraussetzungen 20 5.2. Todesfeststellung 21 5.2.1. Spende nach Hirntod 22 5.2.2. Spende nach Kreislaufstillstand 23 5.3. Stellungnahmen zu ethischen Fragestellungen 24 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 4 1. Vorbemerkung Das Thema Organspende wird seit vielen Jahren in Deutschland wie auch im Ausland intensiv diskutiert. Im Zuge des medizinischen Fortschritts und der Entwicklung insbesondere in der Intensivmedizin erhöht sich der Bedarf an Spenderorganen, die Schwerkranken ein Weiterleben unter gesundheitlich guten Bedingungen ermöglichen. Zugleich ist aber festzustellen, dass es in Deutschland wie in vielen anderen Ländern eine vergleichsweise geringe Zahl an zur Verfügung stehenden Spenderorganen gibt.1 Ende 2017 lag die Zahl der Patienten in Deutschland, die auf ein Spenderorgan warteten, bei 10.1072, die Zahl von durchgeführten Organspenden ist seit 2012 kontinuierlich zurückgegangen und hat im Jahr 2017 mit 7973 einen Tiefstand erreicht4. Das Europäische Parlament hat im Jahr 2010 einen Aktionsplan zur Förderung der Organspendebereitschaft beschlossen. Im gleichen Jahr hat die Europäische Union die Transplantationsrichtlinie verabschiedet, mit der europaweit Mindeststandards bzgl. der Qualität und Sicherheit bei Organtransplantationen festgelegt werden.5 Am 1. Dezember 1997 hat der deutsche Gesetzgeber das Transplantationsgesetz (TPG) vom 5. November 1997 verabschiedet, das seit seiner Neubekanntmachung im Jahr 2007 mehrfach geändert wurde.6 Am 2. November 2018 legte die Bundesregierung einen neuen Gesetzesentwurf vor, auf dessen Grundlage die Strukturen in Bezug auf die Organspende in den Entnahmekrankenhäusern 1 In diesem Zusammenhang wird verwiesen auf den rechtsvergleichenden Sachstand vom 9. August 2018 „Widerspruchslösungen bei der Organspende in Mitgliedstaaten der Europäischen Union“, Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Fachbereich 3; WD 3 – 3000 – 208/18. 2 Eurotransplant, „Active waiting list (at year-end) in All ET, by year, by country, by organ“, Statistics Report Library, abrufbar unter: http://statistics.eurotransplant.org/index.php?search_type=waiting+list&search_organ =&search_region=All+ET&search_period=by+year&search_characteristic=&search_text=, dieser und alle weiteren Links wurden zuletzt abgerufen am 12. Dezember 2018. 3 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Statistiken zur Organspende, abrufbar unter: https://www.organspende -info.de/infothek/statistiken. 4 Hierzu siehe auch Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende, BR-Drs. 547/18, S. 1, abrufbar unter: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2018/0501-0600/547- 18.pdf;jsessionid=F35FD0125B319604C7403961B5142BBA.2_cid349?__blob=publicationFile&v=1. 5 Richtlinie 2010/45/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2010 über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe, ABl. L 207/14, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex:32010L0053. 6 Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz [TPG]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. September 2007 (BGBl. I S. 2206), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2757) m. W. v. 29. Juli 2017; abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/tpg/TPG.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 5 verbessert und angemessen vergütet sowie die Verantwortlichkeiten der am Prozess der Organspende beteiligten Personen gestärkt werden soll.7 Im Rahmen einer Orientierungsdebatte am 28. November 2018 im Deutschen Bundestag wurde beraten, ob durch die Einführung einer erweiterten Widerspruchslösung das Spendenaufkommen langfristig erhöht werden könnte. In diesem Zusammenhang wurde unter anderem zu bedenken gegeben, dass die Definition des Hirntods als entscheidendes Kriterium für die Zulässigkeit der Organentnahme nach wie vor umstritten sei.8 Der vorliegende Sachstand greift diese letzte Frage auf und gibt einen Überblick über die Ansätze zur Diskussion. Im Anschluss daran wird die Situation in Österreich und der Schweiz vorgestellt . 2. Zur Diskussion über den Eintritt des Hirntodes als maßgebender Zeitpunkt für die „postmortale “ Organspende 2.1. Normative Ausgangslage in Deutschland Eine postmortale Organ- oder Gewebeentnahme ist nach § 3 Abs. 1 TPG zulässig, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten in die Entnahme seiner Organe eingewilligt hat, der Tod des Organ- oder Gewebespenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist und der Eingriff durch einen Arzt vorgenommen wird. Nach § 3 Abs. 2 TPG ist die Entnahme von Organen und Gewebe unzulässig, wenn die Person, deren Tod festgestellt ist, der Organ- oder Gewebeentnahme widersprochen hat und vor der Entnahme bei dem Organ- oder Gewebespender nicht der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. In § 3 TPG ist damit zugleich die international geltende „Dead-Donor-Rule“ verankert, wonach ein Organspender abgesehen von der an besondere Voraussetzungen gebundenen Lebendspende bei der Organentnahme tot sein muss.9 7 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen der Organspende, Gesetzesentwurf der Bundesregierung , BR-Drs. 547/18. 8 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 67. Sitzung, Berlin, 28. November 2018, Plenarprotokoll 19/67, S. 7664 (D). 9 Hierzu siehe auch Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, Stellungnahme vom 24. Februar 2015, S. 12, 96 ff., abrufbar unter: https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen /deutsch/stellungnahme-hirntod-und-entscheidung-zur-organspende.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 6 Im Jahr 1968 hatte sich das Komitee der Harvard Medical School mit den möglichen Kriterien zur Feststellung des Todes befasst.10 Grund hierfür war vor allem der medizinische Fortschritt in der Intensivmedizin, der inzwischen erste Herztransplantationen möglich machte, mit der Folge, dass der Stillstand von Atmung und Herzschlag – bisheriges Todeskriterium – nicht mehr zwingend den Tod der Patienten auslöst. Ziel der Arbeit der Harvard Medical School war es deshalb, ein neues Kriterium zur Feststellung des Todes zu entwickeln. Im sog. Harvard-Bericht wird ausgeführt , dass es notwendig sei, ein neues Kriterium für die Todesfeststellung festzulegen, zum einen aufgrund der medizinischen Entwicklung, zum anderen, um klare Bedingungen für die Organspende zu schaffen. Hier sei die irreversible Hirnschädigung ein geeignetes Kriterium.11 Diesem Kriterium zur Todesfeststellung wurde bereits kurz nach Veröffentlichung des Berichts entgegengehalten, dass Patienten mit einer irreversiblen Hirnschädigung noch so lange leben würden, wie die Vitalfunktionen aller Organe aufrechterhalten werden, auch wenn dies mit Hilfe medizinisch-technischer Unterstützung geschehe. Es seien dann lebende Menschen, die Organe spenden würden, man dürfe hier nicht von Organentnahmen von Toten sprechen.12 In der Vergangenheit wurde wiederholt von Organentnahmen berichtet, bei denen vor oder während der Operation phänomenologisch Reaktionen der Organspender festzustellen waren. In der Konsequenz hätte man Sterbenden Betäubungsmittel gegeben oder sogar Fixierungen angelegt13, was nicht zuletzt auch für Ärzte und Pfleger eine schwere Belastung bedeutet hätte, die sich offenbar in vielen Fällen danach geweigert hätten, die Organentnahmen durchzuführen. 10 Siehe den Bericht der Harvard Medical School: A Definition of Irreversible Coma, Report of the Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School to Examine the Definition of Brain Death, in: Journal of the American Medical Association (JAMA), August 1968, S. 337-340, abrufbar unter: https://hods.org/English/hissues /documents/ADefinitionofIrreversibleComa-JAMA1968.pdf. 11 Harvard Medical School: A Definition of Irreversible Coma, Report of the Ad Hoc Commit-tee oft he Harvard Medical School to Examine the Definition of Brain Death, in: Journal of the American Medical Association (JAMA), August 1968, S. 85-88 (S. 85), abrufbar unter: https://hods.org/English/h-issues/documents/ADefinitionof IrreversibleComa-JAMA1968.pdf. 12 So der Neurobiologe Ralph Dawirs, zitiert in Frankfurter Rundschau vom 15. August 2012, vom Lehn, Birgitta, Ungereimtheiten im Hirntod-Konzept, abrufbar unter: http://www.fr.de/wissen/gesundheit/organspende-ungereimtheiten -im-hirntod-konzept-a-812390. 13 Siehe hierzu: Christdemokraten für das Leben e.V., Positionspapier, Organentnahme nach Hirntod-Diagnose – kritisch betrachtet, Stand: 10. Dezember 2012, abrufbar unter: https://cdl-online.net/uploads/pdf/positionspapier -der-cdl-hirntoddiagnose-kritisch-betrachtet.pdf (S. 2); zu Berichten von Ärzten und Pflegern über Bewegungen von Sterbenden nach festgestelltem Hirntod: Liesen, Thomas, Die Untoten, Über die Nähe von Hirntod und Leben, Deutschlandfunk.de vom 14. Dezember 2014, https://www.deutschlandfunk.de/medizin-die-untoten .740.de.html?dram:article_id=305199. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 7 Das Hirntodkonzept der Harvard Medical School wurde jedoch inzwischen von vielen Ländern, wie auch von Deutschland übernommen. So stellt z. B. das Schweizerische Transplantationsgesetz in Art. 9 Abs. 1 im Wege einer Legaldefinition des Todes fest: „Der Mensch ist tot, wenn die Funktionen seines Hirns einschließlich des Hirnstamms irreversibel ausgefallen sind.“14 Der deutsche Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P vom 16. April 1996 zum Gesetz über die Spende, Entnahme und die Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) hatte in der Überschrift zum Zweiten Abschnitt klargestellt, dass die Organentnahme nach endgültigem, nicht behebbarem Ausfall der gesamten Hirnfunktion oder Stillstand von Herz und Kreislauf vorgesehen ist15. Diese beiden Alternativen wurden in § 5 des Gesetzentwurfs wieder aufgegriffen. Im TPG, das am 1. Dezember 1997 in Kraft getreten ist, wurden diese Formulierungen so nicht übernommen, § 3 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 regelt, dass die Organentnahme zulässig ist, wenn „der Tod des Organ- oder Gewebespenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist“. Offen bleibt an dieser Stelle, wie der Tod des Betreffenden festzustellen ist. Die darauffolgende Bestimmung, § 3 Abs. 2 TPG, benennt dann den Zustand, vor dessen Eintritt eine Organentnahme unzulässig ist. In diesem Zusammenhang wird „der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns , des Kleinhirns und des Hirnstamms“ genannt. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht habe der Gesetzgeber hiermit ein „Glanzstück legistischer Trickserei“ geschaffen, mit dem er das Hirntodkonzept zwar etabliert habe, ohne aber sich offen dazu zu bekennen16. Im Übrigen sieht das Gesetz in § 16 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 vor, dass die Bundesärztekammer den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien feststellt und dass hierzu auch die Regelung zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion der Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Ziffer 2 zählen würden. Die entsprechenden Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes hat die Bundesärztekammer im Jahr 1998 veröffentlicht17. 14 Bundesgesetz über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz) vom 8. Oktober 2004, zuletzt geändert durch Beschluss vom 18. März 2016, AS 2017 2745, abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20010918/201711150000/810.21.pdf. 15 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P, Entwurf eines Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG), BT-Drs. 13/4355. 16 So die Ausführungen von Höfling, Wolfram, Die „postmortale“ Organspende – eine Kritik der Hirntodkonzeption aus verfassungsrechtlicher Perspektive, in: Evangelischer Pressedienst (epd), 2017 Nr. 2, Hirntod und Organspende – Impulsvorträge und Diskussion, Tagung des Evangelischen Juristenforums, Kassel, 19. April 2016, S. 14 (15). 17 Richtlinien zur Feststellung der Hirntodes, Dritte Fortschreibung 1997 mit Ergänzungen gemäß Transplantationsgesetz (TPG), in: Deutsches Ärzteblatt, 24. Juli 1998, A-1861-A-1868. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 8 Geht man davon aus, dass Organspender trotz Feststellung der Hirntodes noch leben, womit in der Konsequenz die Dead-Donor-Rule aufgegeben würde18, stellen sich strafrechtliche wie auch verfassungsrechtliche Fragen. Wenn die Betreffenden zu gesunden Zeiten ihre Einwilligung zur späteren Organentnahme erteilt haben, könnte die Frage aufgeworfen werden, ob bei der Organentnahme , die den Tod des Patienten endgültig zur Folge hat, nicht eine Tötung auf Verlangen im Sinne von § 216 Strafgesetzbuch vorliegt. Im Falle des diagnostizierten Hirntodes ist aber – so wird dies in der Literatur ganz überwiegend vertreten - davon auszugehen, dass eine Weiterbehandlung des Betroffenen in seinem Interesse nicht mehr sinnvoll ist, da mit der Entnahme der Organe zwar in die allerletzte Sterbephase des Patienten eingegriffen wird, dies aber zu einem Zeitpunkt geschieht, zu dem der Betroffene ohne Bereitschaft zur Organspende bereits verstorben wäre. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht angemessen, die auf der Grundlage einer informierten Einwilligung erfolgende Organentnahme als ein Tötungsdelikt zu qualifizieren19. Verfassungsrechtlich stellt sich die Frage, ob die Hirntodkonzeption mit der in Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantierten Menschenwürde und dem Grundrecht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar ist20. Nach Auffassung einiger Verfassungsrechtler endet der Würdeschutz gemäß Art. 1 Abs. 1 GG erst mit dem Eintritt des Herztodes. Hirntote seien zwar „todgeweihte “ Menschen, aber noch keine Toten. Gleichwohl sei eine verfassungskonforme Regelung der postmortalen Organspende möglich, sofern diese im Einklang mit dem erklärten Willen des Sterbenden stehe, da sich hier ein „entwicklungsoffener“ Würdeschutz bei einem erlöschenden, auf rein vegetative Funktionen beschränkten Leben aktualisiere21. Aus der Garantie der Menschenwürde lässt sich aber schon deshalb kein tragfähiges Argument gegen das Hirntodkonzept herleiten, weil es verfassungsrechtlich für die Zulässigkeit der Organentnahme unerheblich ist, ob das Recht auf Leben mit dem Hirntod oder mit dem klinischen (Herz-)Tod erlischt. Der Wille des Spenders wird in beiden Fällen respektiert, weil zwischen den beiden Zeitpunkten entweder das postmortale Persönlichkeitsrecht eingreift22 oder das Recht auf Leben anhält. Wie immer aber die Reichweite des Rechts auf Leben bemessen wird, die Würde des freiwilligen Organspenders 18 So auch Schöller, Aline, Der Hirntod als Todeskriterium und Voraussetzung für eine Organtransplantation: Die Entwicklung der ethischen Diskussion unter Berücksichtigung aktueller neurowissenschaftlicher Erkenntnisse, Dissertation, Tübingen 2015, S. 114, abrufbar unter: https://hsbiblio.uni-tuebingen .de/xmlui/bitstream/handle/10900/66365/Dissertation_Schöller.pdf?sequence=1&isAllowed=y. Ebenso Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, Stellungnahme vom 24. Februar 2015, S. 96 ff. 19 So die Ausführungen von Höfling, Wolfram, Die „postmortale“ Organspende – eine Kritik der Hirntodkonzeption aus verfassungsrechtlicher Perspektive, in: Evangelischer Pressedienst (epd), 2017 Nr. 2, Hirntod und Organspende – Impulsvorträge und Diskussion, Tagung des Evangelischen Juristenforums, Kassel, 19. April 2016, S. 14 (17). 20 Die Frage, ob die Anerkennung des Hirntodkonzepts einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten kann, ist seit Jahren Kernbestandteil der Debatte um ein sachgerechtes Todeskriterium. 21 So die Ausführungen von Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattwerk, Stand: 84. Ergänzungslieferung August 2018, Art. 1 Rn. 56 unter Hinweis auf gleichlautende Stellungnahmen in der verfassungsrechtlichen Literatur. 22 Zur Ableitung des postmortalen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG vgl. näher Herdegen, in: Maunz/Dürig , Grundgesetz-Kommentar, Art. 1 Rn. 57. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 9 bleibt unberührt23. Schließlich stößt auch unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG das Hirntodkonzept letztlich auf keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken24. In den letzten Jahren wurde immer wieder diskutiert, ob anstelle des sog. Hirntodkonzepts mit Hilfe eines sog. Herztodkonzepts (Non-Heart-Beating-Donor) eine Zunahme an verfügbaren Spenderorganen erreicht werden könnte. Hierbei wäre eine Organentnahme – unter den Voraussetzungen des Mastricht-Protokolls25 - nach einem endgültigen Herz-Kreislaufstillstand möglich, ohne dass – in der Regel – der Hirntod schon eingetreten ist. Eurotransplant hatte im Jahr 1998 in einem Newsletter erklärt, der Herz- und Kreislaufstillstand von zehn Minuten bei normaler Körpertemperatur sei ein Äquivalent zum Hirntod26. Die Bundesärztekammer widerspricht dieser Auffassung : Der Herz- und Kreislaufstillstand sei bislang gerade kein sicheres Äquivalent. Im Übrigen wird dem sog. Herztodkonzept entgegengehalten, dass hier der Herztod immer erst während der Spende eintrete, d. h. der ärztliche Eingriff wäre ursächlich für den Tod des Patienten. Auch hier, und hier erst recht, stellt sich die Frage, ob sich der betreffende Arzt eines Tötungsdelikts strafbar machen würde, im Falle einer vorliegenden Einwilligung einer Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB.27 2.2. Ethische Auseinandersetzung mit der Hirntodkonzeption Der amerikanische Ethikrat hat sich im Jahr 2008 mit der Diskussion über den Hirntod befasst und grundlegend dazu Stellung genommen: „Controversies in the Determination of Death“ des President's Council on Bioethics. 28 Er stellt fest, dass der anhaltende Dissens zum Hirntodkriterium und neue empirische Ergebnisse zum integrierten Funktionieren des Körpers von Hirntoten 23 So die überzeugenden Ausführungen von Isensee, in: Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band 4, Heidelberg 2011, § 87 Rn. 218. 24 Zur Grundrechtskonformität des Hirntodkonzepts am Prüfungsmaßstab des Grundrechts auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vgl. eingehend Neuefeind, Yvonne, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation – Ein Beitrag zur Novellierung des Transplantationsrechts, Duncker & Humblot, Berlin 2018, S. 272-276 mit umfassenden Nachweisen aus der verfassungsrechtlichen Literatur. 25 Siehe hierzu die Ausführungen zur Rechtslage in der Schweiz und in Österreich, Gliederungspunkt 4.2.2. und 5.2.2. 26 So zitiert vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer, Organentnahme/Herzstillstand 8“Non heartbeating donor“), Stand: 11. Dezember 1998, abrufbar unter: https://www.bundesaerztekammer.de/richtlinien /empfehlungenstellungnahmen/organentnahme-herzstillstand/. 27 Siehe hierzu die Ausführungen bei Heyers, Johannes, Wann ist der Mensch tot? Medizinrechtliche und –ethische Grundfragen sowie ihre Bedeutung für öffentlich- bzw. straf- und zivilrechtliche Fragen in der aktuellen Diskussion, in: Juristische Ausbildung 2016, S. 709-718. 28 The President's Council on Bioethics, Controversies in the Determination of Death, December 2008, abrufbar unter: https://repository.library.georgetown.edu/bitstream/handle/10822/559343/Controversies %20in%20the%20Determination%20of%20Death%20for%20the%20Web.pdf?sequence=1&isAllowed=y. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 10 eine erneute Debatte über den Hirntod erforderten. Der Rat räumte ein, dass das integrierte Funktionieren des Körpers nicht unbedingt kurz nach Eintritt des Hirntodes aufhöre. Der Deutsche Ethikrat hat im April 2015 zu Hirntod und Entscheidung zur Organspende Stellung genommen und dabei die Hirntodkonzeption genau analysiert. Die Mehrheit der Mitglieder des Ethikrates (sog. Position A) hat sich für den Hirntod als ein sicheres Zeichen für den Tod des Menschen ausgesprochen29. Dies sei damit zu begründen, dass mit dem Ausfall der Hirnfunktionen die den Menschen konstituierende körperlich-geistige Einheit für immer zerstört sei. Das Gehirn sei das zentrale Integrations-, Kommunikations- und Koordinierungsorgan. Es integriere die sensorischen und sensiblen Reize aus dem Organismus, die Reize von außerhalb, ermögliche die motorischen Leistungen sowie die Kommunikation und reguliere die Abstimmungsvorgänge in und zwischen den anderen Organsystemen. Während die spezifischen Funktionen anderer Organe vorübergehend und mitunter über große Zeiträume technisch aufrechterhalten oder ersetzt werden könnten, ließen sich die Funktionen des Gehirns nicht ersetzen. Lediglich Teilsysteme könnten durch externe Substitution auf einem rudimentären Niveau aufrechterhalten werden. Wenn durch den irreversiblen Ausfall aller Gehirnfunktionen die notwendigen Voraussetzungen mentaler Aktivität, jedes Empfindungsvermögens und damit jedwede Möglichkeit von selbst gesteuertem Verhalten bzw. des Austauschs mit der Umwelt für immer erloschen und außerdem die Einheit des Organismus zerbrochen sei, könne von dem in diesem Zustand befindlichen Körper nicht mehr als einem lebendigem Menschen gesprochen werden30. Eine Minderheit der Mitglieder des Ethikrates (sog. Position B) geht demgegenüber davon aus, dass der Hirntod keine hinreichende Bedingung für den Tod des Menschen sei31. Ein Mensch mit irreversiblem Hirnversagen sei in organismischer Hinsicht nicht als tot zu bezeichnen. Die Integration zu einem Organismus als einem Ganzen sei auch bei einem Patienten mit irreversiblem Ganzhirnversagen noch gegeben, denn das Leben sei als eine Art „Systemeigenschaft“ zu verstehen . Entscheidend sei die Idee der Wechselwirkung unterschiedlicher Komponenten auf verschiedenen funktionalen Ebenen miteinander und mit der Umwelt, basiere jedoch nicht auf dem Prinzip der zentralen Steuerung. Auch nach dem Absterben des Gehirns verfüge der Organismus mit Hilfe einer apparativ-intensivmedizinischen Unterstützung noch über vielfältige Funktionen, die nicht nur partiell „wirkten“ sondern für den Organismus als Ganzen integrierende Funktion hätten32. 29 Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, Stellungnahme vom 24. Februar 2015, S. 72 ff. und S. 159 f. 30 Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, Stellungnahme vom 24. Februar 2015, S. 159 f. 31 Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, Stellungnahme vom 24. Februar 2015, S. 84 ff. und S. 160 f. 32 Ähnlich argumentiert auch der Neurologe D. Alan Shewman von der University of California in Los Angeles, Vortrag im Forum Bioethik am 21. März 2012 in Berlin zum Thema Hirntod und Organentnahme – Gibt es neue Erkenntnisse zum Ende des menschlichen Lebens? Bericht, S. 4-9 (S. 9), abrufbar unter: https://www.ethikrat .org/fileadmin/PDF-Dateien/Veranstaltungen/forum-bioethik-2012-03-21.pdf; siehe dazu auch Neuefeind, Yvonne, Ethik, Recht und Politik der postmortalen Organtransplantation, Ein Beitrag zur Novellierung des Transplantationsrechts, Dissertation, Berlin 2018, S. 216. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 11 Der Deutsche Ethikrat hat sich in seiner Stellungnahme auch mit der Frage der Zulässigkeit einer Non-Heart-beating-Donation auseinandergesetzt. Die Mehrheit des Ethikrates vertritt die Ansicht, der kontrollierte Herztod, der in diesen Fällen herbeigeführt würde, sei ethisch nicht zu rechtfertigen . Da im Übrigen die Entnahme anders als beim Hirntod sehr schnell nach dem Herz-Kreislaufstillstand durchgeführt werden müsse, fehle für alle Beteiligten und insbesondere die Angehörigen die nötige Zeit für die angemessene psychologische, emotionale und spirituelle Begleitung . Eine Minderheit des Ethikrates verweist dagegen auf das Verfahren in der Schweiz und gibt zu bedenken, dass das Herztodkonzept eine gute Ergänzung zum Hirntodkonzept sein könnte 33. Die Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz hat im April 2015 Orientierungshilfen verfasst, die sich u. a. mit der Frage der Plausibilität des Hirntodkriteriums befasst34. Im Ergebnis hält die Katholische Kirche an dem nachgewiesenen Hirntod als Kriterium für eine Organentnahme fest. Trotz Einwänden gegen das Hirntodkonzept sei es das beste und sicherste Kriterium für die Feststellung des Todes eines Menschen. Sie stellt klar, dass das Gewicht auf der Gestaltung der Willensäußerung des Patienten liegen sollte und eine künftige Rechtsänderung eine sog. enge Zustimmungslösung enthalten sollte, mit der das Selbstbestimmungsrecht des Patienten besonders hervorzuheben wäre. Wichtig sei außerdem, die Patienten umfassend aufzuklären, und zwar über alle Phasen der medizinischen Behandlung bis hin zur Organentnahme, über die Konsequenzen ihrer Entscheidung sowie über die Folgen für das soziale Umfeld des Patienten, d. h. insbesondere seine Angehörigen35. 3. Deutschland 3.1. Zulässigkeitsvoraussetzungen In Deutschland gilt bislang die sog. „erweiterte Zustimmungsregelung“. § 4 TPG normiert, unter welchen Voraussetzungen der nächste Angehörige, eine volljährige Person, die dem möglichen Organ- oder Gewebespender bis zu seinem Tode in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahegestanden hat oder eine Person, auf die der Verstorbene die Entscheidung über eine Organ- oder Gewebeentnahme übertragen hat, einer Organ- oder Gewebeentnahme bei dem Verstorbenen unter Beachtung seines mutmaßlichen Willens zustimmen kann. Nach § 5 Abs. 1 TPG ist die Feststellung des Todes nach § 3 TPG jeweils durch zwei qualifizierte Ärzte zu treffen, die den Organ- oder Gewebespender unabhängig voneinander untersucht haben. Hiervon abweichend genügt zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 TPG die Untersuchung und Feststellung durch einen Arzt, wenn der endgültige, nicht behebbare Stillstand von Herz und Kreislauf eingetreten ist und seitdem mehr als drei Stunden vergangen sind. Die an den Untersuchungen beteiligten Ärzte dürfen nach § 5 Abs. 2 TPG weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe oder Gewebe des Spenders beteiligt sein. Sie dürfen auch nicht den Weisungen eines Arztes unterstehen, der an diesen Maßnahmen beteiligt ist. Die Feststellung der Un- 33 Deutscher Ethikrat, Hirntod und Entscheidung zur Organspende, Stellungnahme vom 24. Februar 2015, S. 116. 34 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Hirntod und Organspende, Bonn 2015, Signatur Bibliothek Deutscher Bundestag P 5148240. 35 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Hirntod und Organspende, Bonn 2015, S. 21-23. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 12 tersuchungsergebnisse und ihr Zeitpunkt sind von den Ärzten unter Angabe der zugrunde liegenden Untersuchungsbefunde unverzüglich jeweils in einer Niederschrift aufzuzeichnen und zu unterschreiben. 3.2. Feststellung des Hirntods In der „Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG“36 der Bundesärztekammer ist geregelt, wie, nach welchem Verfahren und durch wen der Hirntod eines potentiellen Organspenders festgestellt wird.37 Der irreversible Hirnfunktionsausfall wird, wie oben dargelegt38, nach § 3 Abs. 2 TPG definiert als Zustand, der unumkehrbar erloschenen Gesamtfunktion des Gehirns (Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm).39 Nach der vorgenannten Richtlinie der Bundesärztekammer erfordert die Diagnostik des Hirntods den Nachweis einer primären oder sekundären Hirnschädigung40 und darüber hinaus den Ausschluss reversibler Ursachen der klinischen Symptome des Hirnfunktionsausfalls 41. Im Einzelnen gilt danach Folgendes: 36 „Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG“, vom Vorstand der Bundesärztekammer in seiner Sitzung vom 30. Januar 2015 beschlossen und vom Bundesministerium für Gesundheit am 30. März 2015 genehmigt, abrufbar unter: http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads /irrev.Hirnfunktionsausfall.pdf. Siehe hierzu auch den Leitfaden der Deutschen Stiftung Organtransplantation für die Organspende, abrufbar unter: https://www.dso.de/uploads/tx_dsodl/Leitfaden.pdf. 37 Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TPG stellt die Bundesärztekammer den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG einschließlich der jeweils erforderlichen ärztlichen Qualifikation in Richtlinien fest. § 16 Abs. 2 TPG regelt dabei die formellen Anforderungen an die Richtlinien und wer an deren Erarbeitung zu beteiligen ist, beziehungsweise hinzugezogen werden soll. Nach § 16 Abs. 3 Satz 1 TPG sind die Richtlinien sowie deren Änderungen dem Bundesministerium für Gesundheit zur Genehmigung vorzulegen. 38 S. o. 2.1. 39 Durch eine kontrollierte Beatmung und andere intensivmedizinische Maßnahmen kann gleichwohl die Herzund Kreislauffunktion aufrechterhalten werden. 40 Ziffer 1.1. der Richtlinie. 41 Ziffer 1.2. der Richtlinie. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 13 Eine akute schwere primäre Schädigung des Gehirns42 liegt vor, wenn das Gehirn selbst unmittelbar betroffen ist, wie beispielsweise bei Blutungen, Durchblutungsstörungen, Tumoren und Entzündungen des Gehirns oder schweren Schädel-Hirn-Verletzungen. Demgegenüber spricht man von einer sekundären Hirnschädigung, wenn über den Stoffwechsel das Gehirn nur mittelbar betroffen ist, beispielsweise als Folge eines Kreislaufstillstandes oder einer Vergiftung. Darüber hinaus müssen die nachfolgenden klinischen Symptome des Ausfalls der Hirnfunktion43 nachgewiesen werden: - Bewusstlosigkeit des Spenders - Lichtstarre beider ohne Mydriatikum44 mittel- bzw. maximal weiten Pupillen - Beidseistiges Fehlen des okulozephalen45 bzw. des vestibulookulären Reflexes - Beidseistiges Fehlen des Kornealreflexes46 - Fehlende Reaktionen auf Schmerzreize beidseits im Trigeminusbereich und von zerebralen Reaktionen auf Schmerzreize außerhalb des Trigeminusbereichs - Fehlen des Pharyngeal- und Trachealreflexes47 - Ausfall der Spontanatmung. Können nicht alle klinischen Ausfallsymptome überprüft werden, ist eine ergänzende apparative Untersuchung erforderlich. Abschließend ist die Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome nachzuweisen.48 Dieser Nachweis gelingt entweder durch das Abwarten einer sog. Beobachtungszeit, deren Dauer je nachdem variiert, ob es sich um eine primäre oder sekundäre Gehirnschädigung beziehungsweise um einen Neugeborenen oder ein Kind unter zwei Jahren handelt und einer nochmaligen Unter- 42 Zu unterscheiden ist zwischen der primären infratentoriellen Schädigung des Gehirns, bei der das Großhirn betroffen ist, und der primären supratentoriellen Schädigung, bei der das Kleinhirn bzw. der Hirnstamm betroffen ist. 43 Siehe Ziffer 2. der Richtlinie. 44 Mydriatika nach Pschyrembel-Online: Lokal angewendete Arzneimittel in Tropfenform, deren Wirkung in einer Weitstellung der Pupille (Mydriasis) besteht. 45 Okulozephaler Reflex nach Pschyrembel-Online: Hierbei wird einem bewusstlosen Patienten rasch der Kopf zur Seite gedreht. Die Augen machen bei lebendigen Personen dabei reflektorisch eine Gegenbewegung (Puppenaugenphänomen ). Der okulozephale Reflex (OCR) prüft die Auslösbarkeit des vestibulookulären Reflexes (VOR). 46 Kornea nach Pschyrembel-Online: Durchsichtiger Abschnitt der Augapfelhülle (=Hornhaut). Der Kornealreflex wird auch als Blink- oder Lidschlussreflex bezeichnet. Dabei handelt es sich um einen reflektorischen Schutzmechanismus des Auges. Er wird durch die mechanische Einwirkung auf die Hornhaut und die nähere Augenumgebung ausgelöst. 47 Trachea nach Pschyrembel-Online: 10–12 cm langer Abschnitt der Atemwege, der unterhalb des Ringknorpels beginnt und mit der Aufzweigung in die Hauptbronchien endet (Bifurcatio tracheae). Die Luftröhre besteht aus 16–20 knorpeligen Trachealspangen sowie einem bindegewebigen Anteil. 48 Siehe Ziffer 3. der Richtlinie. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 14 suchung der klinischen Symptome. Alternativ, das heißt, ohne dass die Beobachtungszeit abgewartet und klinische Verlaufsuntersuchungen durchgeführt werden müssen, kann die Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalls durch die nachfolgenden ergänzenden apparativen Untersuchungen 49 nachgewiesen werden: - Isoelektrische Elektroenzephalografie (EEG) - Erlöschen oder Ausfall evozierter Potentiale50 - zerebraler Zirkulationsstillstand alternativ mittels Dopplersonographie Duplexsonographie zerebraler Perfusionszintigraphie CT-Angiographie Im Falle einer primären Schädigung des Großhirns muss das apparative Verfahren ergänzend angewandt werden. Besonderheiten gelten auch für Kinder bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr ; die Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalls ist nur nachgewiesen, wenn ergänzend zur klinischen Untersuchung eine ergänzende apparative Untersuchung stattgefunden hat.51 Die klinische Untersuchung zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls muss von zwei Ärzten, die nicht an der Entnahme oder Übertragung der Organe beteiligt sind, unabhängig voneinander erfolgen. Hierzu bedarf es einer Facharztanerkennung und der mehrjährigen Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen. Dies bedeutet, dass der untersuchende Facharzt die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten aufweisen muss, die Indikation zur Diagnostik eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls zu prüfen, die klinischen Untersuchungen durchzuführen und die angewandte apparative Zusatzdiagnostik im Kontext diagnostischer Maßnahmen beurteilen zu können. Außerdem muss je Untersuchungsgang ein Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie beteiligt sein. Bei Kindern bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres bedarf es zusätzlich eines Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin. Der Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls52 erfolgt durch ein entsprechendes Dokument , das die diagnostischen Voraussetzungen sowie die klinischen und ergänzenden apparativen Untersuchungsbefunde mit Datum, Uhrzeit und den Namen der untersuchenden Ärzte beinhaltet . Die Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls muss durch die Unterschriften beider Ärzte auf dem abschließenden Protokollbogen dokumentiert werden. 49 Ziffer 3.2. der Richtlinie und Anmerkung 9. 50 Nach Pschyrembel-Online: Potenziale (auch ereigniskorrelierte Potenziale), die durch äußere Reize, deren kognitive Verarbeitung (kognitive Potenziale) oder emotionale Vorgänge ausgelöst werden. Im engeren Sinn sind evozierte Potenziale akustisch, visuell oder anderweitig ausgelöste frühe Potenziale im EEG sowie motorische evozierte Potenziale. Sie dienen der Funktionsdiagnostik neurologischer Störungen. 51 Siehe Ziffer 4. der Richtlinie. 52 Siehe Ziffer 7. der Richtlinie. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 15 4. Österreich In Österreich ist die Organentnahme und -transplantation seit 2012 im bundeseinheitlich geltenden Organtransplantationsgesetz (OTPG)53 geregelt. 4.1. Zulässigkeitsvoraussetzungen In Österreich gilt die Widerspruchslösung. Eine postmortale Organentnahme ist danach zulässig, wenn der Verstorbene einer solchen nicht zu Lebzeiten widersprochen hat. Die Entnahme von Organen von Verstorbenen zum Zwecke der Transplantation regelt § 5 OTPG. Nach Absatz 1 ist es zulässig, Verstorbenen einzelne Organe zu entnehmen, um durch deren Transplantation das Leben eines anderen Menschen zu retten oder dessen Gesundheit wiederherzustellen . Die Beurteilung und Auswahl der Organe hat entsprechend dem Stand der medizinischen Wissenschaft zu erfolgen. Eine Entnahme ist unzulässig, wenn dem behandelnden Arzt eine Erklärung vorliegt, mit der der Verstorbene oder vor dessen Tod sein gesetzlicher Vertreter die Organspende ausdrücklich abgelehnt hat. Als eine entsprechende Erklärung wird auch der Eintrag in das bei der Gesundheit Österreich GmbH geführte Widerspruchsregister54 angesehen. Die Entnahme von Organen darf nach § 5 Abs. 2 OTPG erst durchgeführt werden, wenn ein zur selbstständigen Berufsausübung berechtigter Arzt den Tod des Spenders festgestellt hat. Dieser Arzt darf weder die Transplantation vornehmen, noch an diesen Eingriffen beteiligt oder sonst durch diese betroffen sein. 4.2. Todesfeststellung In Österreich ist eine Organentnahme sowohl nach festgestelltem Hirntod als auch nach der Feststellung des Todes nach irreversiblem Kreislaufstillstand möglich. Hierzu existieren die „Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme“55 und die „Empfehlungen zur Durchführung der Todesfeststellung bei einer geplanten Organentnahme 53 Bundesgesetz über die Transplantation von menschlichen Organen (Organtransplantationsgesetz – OTPG), BGBl. I Nr. 108/2012, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 37/2018, abrufbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/Geltende Fassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20008119. 54 Vgl. § 6 OTPG. 55 „Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme“ entsprechend dem Beschluss des Obersten Sanitätsrates vom 16. November 2013, abrufbar unter: http://www.austrotransplant .at/download/Empfehlungen_Hirntoddiagnostik.pdf. Diese wurden erstmals 1997 von einem am Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen angesiedelten interdisziplinären Expertengremium erarbeitet, deren Anwendung später vom Obersten Sanitätsrat empfohlen wurde. Diese Empfehlungen wurden nach einer Überarbeitung in den Jahren 2003 bis 2004 im Jahr 2013 erneut einer Revision durch ein interdisziplinäres Expertengremium unterzogen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 16 nach Hirntod durch Kreislaufstillstand“56 des Österreichischen Instituts für Gesundheitswesen (ÖBIG). 4.2.1. Spende nach Hirntod Maßgeblich für die Spende nach Hirntod (donation after brain death [DBD]) ist der tatsächliche Eintritt des Hirntods. Er wird definiert als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms.57 Die Feststellung des Hirntodes hat nach den anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft entsprechend dem jeweiligen Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erfolgen. Die mit der Todesfeststellung befassten Ärzte sollen Fachärzte sein, die über entsprechende Erfahrungen in der klinischen Beurteilung von Patienten mit schwerer Hirnschädigung (Neurologen, Neurochirurgen, Intensivmediziner) verfügen . Die Feststellung des Hirntods erfolgt durch eine klinisch-neurologische Untersuchung, eine ergänzende Untersuchung und den Nachweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome. Wie in Deutschland darf die Hirntoddiagnostik nur bei einer akuten primären oder sekundären Hirnschädigung durchgeführt werden.58 Anschließend erfolgt eine Überprüfung der nachfolgend aufgeführten klinischen Symptome59: - Koma60 - Fehlen sämtlicher Hirnstammreflexe und der schlaffen Tetraplegie61 Keine Pupillenreaktion auf Licht bei mittel- bis maximalweiten Pupillen Keine spontanen oder durch Passivbewegung des Kopfes oder durch kalorische Stimulation bedingten Augenbewegungen. Dies inkludiert: » kein okulozephaler Reflex » kein vestibulookulärer Reflex 56 „Empfehlungen zur Durchführung der Todesfeststellung bei einer geplanten Organentnahme nach Hirntod durch Kreislaufstillstand“ entsprechend dem Beschluss des Obersten Sanitätsrates vom 16. November 2013, abrufbar unter: http://www.austrotransplant.at/download/Empfehlungen_Todesfeststellung_Kreislaufstillstand .pdf. 57 Ziffer 2 der Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme. 58 Ziffer 3 der Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme. 59 Ziffer 3.2 der Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme. 60 Ziffer 3.2 Anleitung 2 der Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme . 61 Ziffer 3.2 Anleitung 3 der Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 17 Fehlen des Ziliospinalreflexes62 Fehlen des Masseterreflexes63 Fehlen des Kornealreflexes Fehlen des Pharyngealreflexes (Würgreflex) Fehlen des Hustenreflexes beim endotrachealen Absaugen Kein Grimassieren (bzw. systolischer Blutdruckanstieg > 40 mm Hg) auf Druckprovokation an den Bulbi oder Austrittsstellen des Nervus trigeminus bzw. bei Schmerzprovokation am Nasenseptum Schlaffe Tetraplegie Atropintest zur Überprüfung des fehlenden Anstiegs der Herzausgangsfrequenz Wenn die klinische Untersuchung durch besondere Umstände oder das Verletzungsmuster des Spenders keine ausreichende Beurteilung zulässt, kann der Hirntod dennoch festgestellt werden, wenn zusätzlich zur klinisch-neurologischen Untersuchung zwei ergänzende Untersuchungen den Hirntod bestätigen. Als letzte klinisch-neurologische Untersuchung und erst bei nachgewiesener sonstiger Hirnstammareflexie und schlaffer Tetraplegie wird der Apnoetest64 durchgeführt. Als ergänzende Untersuchung zum Nachweis des zerebralen Kreislaufstillstandes65, die bei primären infratentoriellen Läsionen66 zwingend vorgeschrieben ist, kommen die nachfolgenden Untersuchungen in Betracht: - vorrangig ein EEG67 - eine transkranielle Dopplersonographie (TCD)68 - eine farbcodierte Duplex-Sonographie (FDS) 62 Nach Pschyrembel-Online: Als Reaktion auf einen Schmerzreiz erfolgende Mydriasis (Pupillenerweiterung), im Rahmen der Koma-Diagnostik meist durch Kneifen der Haut am Nacken ausgelöst. 63 Nach MedLexi: Eigenreflex der Kaumuskulatur, der durch einen Schlag auf den Unterkiefer ausgelöst wird und den Kiefer schließt. 64 Ziffer 3.2 Anleitung 3 und Anleitung 4 der Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme. 65 Ziffer 3.3.2 der Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme. 66 Nach Lexikon der Neurowissenschaft: Schädigung des Nervengewebes unterhalb der zwischen dem Großhirn und dem Kleinhirn wie ein Zelt (Tentorium) gespannten harten Hirnhaut (Dura mater). 67 Ziffer 3.3 und 3.3.1 und Anleitung 5 der Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme. 68 Ziffer 3.3.2.1 und Anleitung 6 der Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 18 - oder eine Computertomographie-Angiographie (CTA)69 Kann aufgrund des Zustands des Patienten keine dieser Untersuchungen durchgeführt werden, muss vor der zweiten klinisch-neurologischen Untersuchung eine Beobachtungszeit eingehalten werden. Die Beschränkung auf zwei klinisch-neurologische Untersuchungen ist nur zulässig, wenn eine primäre supratentorielle Läsion70 vorliegt und keine Beeinträchtigung durch zentral wirksame Substanzen gegeben ist. Die Beobachtungszeit variiert je nachdem, ob es sich bei dem potentiellen Spender um einen Erwachsenen beziehungsweise ein Kind über 12 Jahren (12 Stunden), um ein Kleinkind von zwei Monaten bis zu zwei Jahren (24 Stunden) oder um einen Säugling von einem Alter von sieben Lebenstagen bis zu zwei Monaten (72 Stunden) handelt. Sofern die klinisch-neurologische Untersuchung und die ergänzende Untersuchung die Diagnose Hirntodsyndrom bestätigen, muss der Nachweis der Irreversibilität mittels einer zweiten klinischen Untersuchung erbracht werden. Wurde eine ergänzende Untersuchung durchgeführt, muss die altersabhängige Beobachtungszeit nicht eingehalten werden. War die Durchführung einer ergänzenden Untersuchung nicht möglich, muss vor der Durchführung der zweiten klinisch-neurologischen Untersuchung eine altersabhängige Beobachtungszeit von mindestens 12 Stunden eingehalten werden.71 4.2.2. Spende nach Kreislaufstillstand Für die Spende nach Kreislaufstillstand (donation after cardiac death [DCD]) wird zur näheren Beschreibung die Maastricht-Klassifikation herangezogen, die zwischen folgenden Situationen des infausten Kreislaufstillstandes unterscheidet: - Tod bei Ankunft im Krankenhaus - Tod nach erfolgloser Reanimation - Tod nach Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen - Kreislaufstillstand bei vorangegangenem Tod infolge primärer Hirnschädigung Der Tod wird auch in diesem Zusammenhang definiert als Zustand des irreversiblen Ausfalls der Funktionen des gesamten Gehirns, der durch den Ausfall der zentralen Steuerfunktion zum Absterben aller Organe, Gewebe und Zellen führt. Zu Beginn der Todesfeststellung muss dabei stets der anhaltende, nicht mit dem Überleben des Patienten vereinbare Kreislaufstillstand stehen, der entweder über invasive Blutdruckmessung oder mittels Echokardiographie festgestellt wird. Anschließend folgt eine Beobachtungszeit von 10 69 Ziffer 3.3.2.2 und Anleitung 7 der Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme. 70 Nach DocCheck: Schädigung des Nervengewebes oberhalb der zwischen dem Großhirn und dem Kleinhirn wie ein Zelt (Tentorium) gespannten harten Hirnhaut (Dura mater). 71 Ziffer 3.4 der Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 19 Minuten, in der keine Reanimationsmaßnahmen durchgeführt werden. Am Ende der Beobachtungszeit muss der Funktionsausfall des gesamten Hirns durch eine klinische Untersuchung diagnostiziert werden. Dazu müssen mindestens die folgenden Kriterien erfüllt sein: - Bewusstlosigkeit - Keine Pupillenreaktion auf Lichtreiz bei mittel- bis maximalweiten Pupillen - Schlaffe Tetraplegie - Fehlender Kornealreflex - Fehlender Hustenreflex - Apnoe Die klinische Untersuchung muss im Beisein eines zweiten zur selbstständigen Berufsausübung berechtigten Arztes erfolgen, der weder die Entnahme noch die Transplantation durchführen wird oder an diesen Eingriffen beteiligt beziehungsweise durch sie betroffen sein wird. Eine Zusatzuntersuchung ist nicht notwendig.72 Die klinische Untersuchung, die Namen der untersuchenden Ärzte sowie Zeitpunkt und Ort der Todesfeststellung sind detailliert in der Krankengeschichte zu dokumentieren.73 4.3. Ethische Fragestellungen im Zusammenhang mit der Organspende Auch in Österreich werden seit einigen Jahren ethische Fragen zum Thema Organspende aufgeworfen , darunter auch zur Todesfeststellung. An der Universität Wien befasst sich das Institut für Ethik und Recht in der Medizin (Vorstand: Professor Ulrich Körtner) mit der Problematik. Neben der Frage zum Hirntod wird diskutiert, ob die Widerspruchslösung auch unter ethischen Gesichtspunkten gerechtfertigt ist.74 5. Schweiz In der Schweiz ist die Entnahme und Transplantation von Organen im Bundesgesetz über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz) vom 8. Oktober 2004 geregelt75. 72 Ziffer 2.2 der Empfehlungen zur Durchführung der Todesfeststellung bei einer geplanten Organentnahme nach Hirntod durch Kreislaufstillstand. 73 Ziffer 2.4 der Empfehlungen zur Durchführung der Todesfeststellung bei einer geplanten Organentnahme nach Hirntod durch Kreislaufstillstand. 74 Vgl. Körtner, Ulrich, Organtransplantationen aus ethischer Sicht, abrufbar unter: https://www.meduniwien .ac.at/hp/chirurgie/abteilungen/transplantation/organtransplantationen-aus-ethischer-sicht/. Siehe hierzu auch den Bericht über die Tagung zu Hirntod und Organtransplantation am 6. und 7. November 2014, abrufbar unter: https://sciencev2.orf.at/stories/1749005/index.html. 75 Bundesgesetz über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz) vom 8. Oktober 2004, zuletzt geändert durch Beschluss vom 18. März 2016, AS 2017 2745, abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20010918/201711150000/810.21.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 20 5.1. Zulässigkeitsvoraussetzungen In der Schweiz gilt die erweiterte Zustimmungslösung. Nach Art. 8 Abs. 1 Transplantationsgesetz dürfen einer verstorbenen Person Organe, Gewebe oder Zellen entnommen werden, wenn sie einer Entnahme vor ihrem Tod zugestimmt hat und ihr Tod festgestellt worden ist. Eine Erklärung zur Spende kann nach Art. 8 Abs. 8 abgeben, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat. Hat der Verstorbene einer Entnahme nicht in dokumentierter Form zugestimmt oder diese abgelehnt, ist nach Art. 8 Abs. 2 bzw. Abs. 6 bei den nächsten Angehörigen76 oder der Person seines Vertrauens , der er diese Entscheidung nachweislich übertragen hat, anzufragen, ob eine Erklärung zur Spende bekannt ist. Ist keine Erklärung bekannt, kann diese unter Beachtung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen einer Entnahme zustimmen, wobei sich der Wille des Verstorbenen gegenüber dem Willen des Angehörigen durchsetzt, Art. 8 Abs. 3, Abs. 5. Sind nähere Angehörige des Verstorbenen nicht vorhanden oder sind diese nicht erreichbar, ist eine Entnahme unzulässig , Art. 8 Abs. 4. Art. 9 normiert das entscheidende Kriterium zur Feststellung des Todes und regelt dessen Feststellung . Nach Absatz 1 ist ein Mensch tot, wenn die Funktionen seines Hirnes einschließlich des Hirnstamms irreversibel ausgefallen sind. Nach Absatz 2 erlässt der Schweizerische Bundesrat Vorschriften zur Feststellung des Todes; er legt insbesondere fest, welche klinischen Zeichen vorliegen müssen, damit auf den irreversiblen Ausfall der Funktionen des Hirns einschließlich des Hirnstamms geschlossen werden kann und welche Anforderungen die Ärzte, die den Tod feststellen, zu erfüllen haben. Art. 10 enthält eine Regelung zu vorbereitenden medizinischen Maßnahmen. Eine vergleichbare Regelung existiert in Deutschland nicht. Nach Absatz 1 dürfen medizinische Maßnahmen, die ausschließlich der Erhaltung von Organen, Geweben und Zellen dienen, vor dem Tod des Spenders nur vorgenommen werden, wenn dieser umfassend informiert worden ist und zugestimmt hat. Die Absätze 2, 3, 5 und 6 enthalten eine einschränkende Regelung für den Fall, dass der Spender nicht urteilsfähig ist und keine Zustimmung vorliegt. Absatz 7 erklärt vorbereitende medizinische Maßnahmen für unzulässig, wenn sie den Tod des Spenders beschleunigen oder dazu führen können, dass dieser in einen dauernden vegetativen Zustand verfällt. Absatz 8 enthält eine Sonderregel, die es nach dem Tod des Spenders gestattet, vorbereitende medizinische Maßnahmen durchzuführen, bis die Entscheidung der nächsten Angehörigen vorliegt , wenn keine Erklärung zur Spende vorliegt77. Nach Art. 11 Abs. 1 dürfen die Ärzte, die den Tod eines Menschen feststellen, weder an der Entnahme , noch an der Transplantation von Organen, Geweben oder Zellen mitwirken oder Weisungen einer ärztlichen Fachperson unterstehen, die an solchen Maßnahmen beteiligt ist. Personen, 76 Hierzu vgl. Ziffer 2.5. der Richtlinie „Feststellung des Todes im Hinblick auf Organtransplantationen und Vorbereitung der Organentnahme“, medizinisch-ethische Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, Stand November 2017 (Anhang). 77 Ausweislich Ziffer 2.3.2. der Richtlinie zur Feststellung des Todes im Hinblick auf Organtransplantationen und Vorbereitung der Organentnahme gilt dies jedoch längstens für einen Zeitraum von 72 Stunden. Zu den vorbereitenden medizinischen Maßnahmen siehe Ziffer 4.1. der Richtlinie. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 21 die den Sterbenden betreuen oder den Tod feststellen, dürfen von Ärzten, die Organe, Gewebe oder Zellen entnehmen oder transplantieren, nicht unter Zeitdruck gesetzt oder anderweitig beeinflusst werden, Art. 11 Abs. 2.78 5.2. Todesfeststellung In Art. 7 Transplantationsverordnung des Schweizerischen Bundesrats79 wird zur Feststellung des Todes im Bereich der postmortalen Organspende auf Anhang 1 der Verordnung und damit auf Ziffer II. 3. sowie Ziffer III. C-H der medizinisch-ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften zur Feststellung des Todes im Hinblick auf Organtransplantationen und Vorbereitung der Organentnahme in der Fassung vom 16. Mai 2017 verwiesen 80. Die Richtlinie richtet sich an Ärzte und medizinische Fachpersonen, die Patienten betreuen , die nach ihrem Tod als Organspender in Frage kommen, und normieren die notwendigen Voraussetzungen und Aufklärungspflichten im Hinblick auf die Organentnahme. Der Tod des Spenders kann danach durch folgende Ursachen eintreten: - durch eine primäre Hirnschädigung bzw. -erkrankung, die bei irreversiblem Funktionsausfall des Hirns einschließlich des Hirnstamms zum Tod führt (=Tod infolge primärer Hirnschädigung) - durch anhaltenden Kreislaufstillstand, der die Durchblutung des Hirns so lange reduziert oder unterbricht, bis der irreversible Funktionsausfall von Hirn und Hirnstamm und damit der Tod eingetreten ist (=Tod nach anhaltendem Kreislaufstillstand) Voraussetzung für die Feststellung des Todes ist der Nachweis einer primären oder sekundären Hirnschädigung.81 Bevor der Tod durch die klinische Hirntoddiagnostik festgestellt werden kann, müssen alle Zustände ausgeschlossen werden, die eine korrekte Hirntoddiagnostik unmöglich machen. Insbesondere müssen Diagnosen und/oder Zustände ausgeschlossen werden, die eine Beurteilung der Funktionen der Großhirnrinde oder des Hirnstammes beeinträchtigen, da einige 78 Diese personellen Schranken sind auch in Ziffer 3.1.2. der Richtlinie zur Feststellung des Todes im Hinblick auf Organtransplantationen und Vorbereitung der Organentnahme niedergelegt. 79 Verordnung über die Transplantation von menschlichen Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsverordnung ) vom 16. März 2007 (Stand am 15. November 2017), abrufbar unter: https://www.admin .ch/opc/de/classified-compilation/20051806/index.html. Die Transplantationsverordnung des Schweizerischen Bundesrats ist auf die Ermächtigungsgrundlage in Art. 9 Abs. 2 Transplantationsgesetz gestützt. 80 „Feststellung des Todes im Hinblick auf Organtransplantationen und Vorbereitung der Organentnahme“, medizinisch -ethische Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, Stand November 2017 (Anhang). Die gegenwärtige Fassung dieser Richtlinie berücksichtigt die schweizerische Revision des Transplantationsgesetzes vom 19. Juni 2015. 81 Vgl. Ziffer 3.1.1. der Richtlinie. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 22 Krankheitsbilder initial den Tod zunächst nur simulieren, in ihrem Verlauf aber zum Tod führen .82 Die klinische Beurteilung des Todes muss durch Fachärzte mit Weiterbildung im Bereich Hirntoddiagnostik und einer nachweislich ausreichenden Erfahrung erfolgen. Für die Hirntoddiagnostik bei Erwachsenen ist eine abgeschlossene fachärztliche Weiterbildung in Neurologie oder Intensivmedizin und im Kinderbereich eine fachärztliche Weiterbildung in pädiatrischer Intensivmedizin oder Neuropädiatrie erforderlich. Die Durchführung einer Zusatzuntersuchung muss durch einen Facharzt mit der jeweiligen Qualifikation erfolgen83. 5.2.1. Spende nach Hirntod Die Feststellung des Todes erfolgt bei einer primären Hirnschädigung durch eine gemeinsame klinische Untersuchung zweier Fachärzte, von denen einer nicht direkt in die Betreuung des Patienten involviert sein darf84. Diese muss bei einer minimalen Körpertemperatur von 35 °C die sieben nachfolgend aufgezählten Anzeichen (Checkliste) kumulativ nachweisen85: - Bewusstlosigkeit - beidseits mittelweite bis weite, auf Licht nicht reagierende Pupillen - Fehlen der vestibulookulären Reflexe - Fehlen der Kornealreflexe - Fehlen zerebraler Reaktionen auf schmerzhafte Reize - fehlende Reflexantwort auf tracheale und pharyngeale Reize - Fehlen der Spontanatmung Sind alle Voraussetzungen erfüllt, beschränkt sich die Diagnostik auf die einmalige Überprüfung der klinischen Anzeichen.86 Ist der Funktionsausfall des Gehirns dementgegen nicht hinreichend geklärt, können potentiell reversible Faktoren als Mitursache nicht ausgeschlossen oder die Funktionen der Hirnnerven klinisch nicht untersucht werden, ist der Nachweis einer fehlenden zerebralen Durchblutung mittels geeigneter Zusatzuntersuchung erforderlich87. Durch den Nachweis eines zerebralen Durchblutungsstillstandes werden potentiell reversible Ursachen des klinischen Zustands ausgeschlossen. 82 Vgl. Voraussetzungen zur Diagnostik des Todes Anhang Lit. C der Richtlinie. 83 Vgl. Ziffer 3.1.3. der Richtlinie. 84 Vgl. Ziffer 3.2.1. der Richtlinie. 85 Vgl. hierzu Anhang Lit. D. Klinische Anzeichen des Todes. 86 Nach der Richtlinie, Fußnote 20 ist die Zuverlässigkeit der klinischen Anzeichen allgemein anerkannt. Es gebe keine Hinweise dafür, dass die Wiederholung der Untersuchung nach einem Beobachtungsintervall bessere Resultate ergebe, sofern die erste Untersuchung lege artis erfolgt sei. 87 Hierzu siehe auch Anhang Lit. E der Richtlinie. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 23 Die nachfolgenden Zusatzuntersuchungen sind nach der Richtlinie grundsätzlich geeignet, den Stillstand der zerebralen Zirkulation zu beweisen und die Irreversibilität des Funktionsausfalls des Gehirns zu bestätigen: - Perfusions-CT - Angio-CT - transkranielle Doppler- und Farbduplexsonographie - digitale Subtraktionsangiographie - Magnetresonanztomographie (MRI) Dabei ist es möglich, dass klinische Untersuchung und technische Zusatzuntersuchung einander widersprechende Ergebnisse aufzeigen. Die Diagnose kann dann nur gestellt werden, wenn ein übereinstimmendes Resultat vorliegt.88 5.2.2. Spende nach Kreislaufstillstand In der Schweiz kann die Feststellung des Todes auch nach anhaltendem Kreislaufstillstand festgestellt werden89. Dabei wird - wie in Österreich - nach der Art des Kreislaufstillstandes unterschieden und eine Einteilung nach der Maastricht-Klassifikation vorgenommen. Der Tod nach anhaltendem Kreislaufstillstand ist durch den irreversiblen Ausfall der Funktionen des Gehirns einschließlich des Hirnstamms definiert. Er tritt durch die anhaltende Unterbrechung der Durchblutung des Gehirns ein. Nach Feststellung des Kreislaufstillstands durch - transthorakale Echokardiographie (TTE) im 4-Kammer-Blick in der subxiphoidalen Einstellung oder - transösophagealer Echokradiographie (TEE) und nach Ablauf einer Wartezeit von mindestens 5 Minuten ohne Durchführung von Reanimationsmaßnahmen werden die nachfolgenden sechs klinischen Zeichen geprüft, die kumulativ vorliegen müssen90: - komatöser Zustand (areaktive91 Bewusstlosigkeit) - beidseits mittelweite bis weite, auf Licht nicht reagierende Pupillen - Fehlen der vestibulo-okulären Reflexe (VOR) - Fehlen der Kornealreflexe - Fehlen zerebraler Reaktionen auf schmerzhafte Reize 88 Eine instruktive graphische Darstellung der Todesfeststellung bei primärer Hirnschädigung findet sich im Anhang F.1. und F.2. der Richtlinie. 89 Vgl. Ziffer 3.2.2. der Richtlinie. 90 Eine instruktive graphische Darstellung der Todesfeststellung bei Kreislaufstillstand findet sich im Anhang F.3. der Richtlinie. 91 Keine Reaktion zeigend. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 092/18 Seite 24 - fehlende Reflexantwort auf tracheale und pharyngeale Reize92 5.3. Stellungnahmen zu ethischen Fragestellungen Ethische Fragestellungen zum Todesbegriff waren im Januar 2018 Gegenstand eines Symposiums in St. Gallen. Hier wurde u. a. thematisiert, dass Überlegungen zum Todesbegriff gerade vor dem Hintergrund der technischen Weiterentwicklung der Intensivmedizin mit der Folge, Organfunktionen bei einem zerebralen Funktionsausfall aufrechtzuerhalten, weitergehen müssen.93 Die Nationale Ethikkommission hat sich in ihrer Stellungnahme vom Oktober 2012 mit ethischen Gesichtspunkten im Zusammenhang mit der Diskussion über die Einführung der Widerspruchslösung beschäftigt. Sie hat die Einführung der Widerspruchslösung einstimmig abgelehnt. Die Mehrheit der Kommission berief sich dabei auf die Persönlichkeitsrechte der Spender.94 Aktuell wird in der Schweiz diskutiert, ob die Organentnahme nach Herz-Kreislaufstillstand tragfähig ist. Dies wird in Frage gestellt, weil trotz geprüfter Reflexe nicht bewiesen werden könne, dass die Gehirnfunktion tatsächlich irreversibel ausgefallen sei. Die Organisation Human-Life- International-Schweiz fordere daher gemeinsam mit der Vereinigung der Katholischen Ärzte der Schweiz eine unabhängige Untersuchung, ob die Regelung in der Richtlinie gegen das Transplantationsgesetz verstoße. Im Übrigen gäben sie zu bedenken, dass Spendenwillige keine Möglichkeit hätten, im Organspendeausweis zu differenzieren, ob sie mit einer Spende im Falle des Hirnoder aber des Herztodes einverstanden seien95. *** 92 Auf den Apnoetest wird in diesem Zusammenhang verzichtet, weil die fünfminütige beatmungsfreie Wartezeit ohne das Wiedereinsetzen der Spontanatmung einen hinreichenden Beweis für die Abwesenheit der Spontanatmung erbringt. 93 Siehe Endermann, Susann, Ethische Aspekte der Organspende, 22. St. Galler IPS-Symposium am 9. Januar 2018, abrufbar unter: http://www.chips.kssg.ch/content/dam/dokument_library/container _chips/CHIPS/IPS2018/08_Endermann_S_Ethische_Aspekte_Organspende_2018.pdf.ocFile/08_Endermann _S_Ethische_Aspekte_Organspende_2018.pdf. 94 Nationale Ethikkommission, Stellungnahme Nr. 19/2012 im Bereich Humanmedizin, Bern, Oktober 2012, abrufbar unter: https://www.nek-cne.admin.ch/inhalte/Themen/Stellungnahmen/NEK-CNE_Widerspruchsloesung .pdf. 95 Schweizerische Depeschenagentur, Ist die Organentnahme nach Herz-Kreislaufstillstand illegal? 28. September 2018, abrufbar unter: https://www.nau.ch/news/schweiz/ist-die-organentnahme-nach-herz-kreislaufstillstandillegal -65434307.