Deutscher Bundestag Datenlage und gesundheitliche Folgen von Beschneidungen von Jungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2012 Deutscher Bundestag WD 9 – 3000/085-12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/085-12 Seite 2 Datenlage und gesundheitliche Folgen von Beschneidungen von Jungen Aktenzeichen: WD 9 – 3000/085-12 Abschluss der Arbeit: 17. Juli 2012 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/085-12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die physiologische Bedeutung der Vorhaut 4 3. Statistische Daten zur Häufigkeit von Beschneidungen (Zirkumzisionen) von Jungen 5 3.1.1. Situation in Deutschland 5 3.1.2. Situation weltweit 5 4. Gesundheitliche Aspekte einer Beschneidung von Jungen 6 4.1.1. Methoden von Beschneidungen bei Jungen 6 4.1.2. Medizinische Aspekte 8 4.1.2.1. Prävalenzen von Beschneidungen von Jungen 8 4.1.3. Psychologische Aspekte 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/085-12 Seite 4 1. Einleitung Am 7. Mai 2012 stellte das Landgericht Köln fest, dass die aus religiösen Gründen und auf Wunsch der Eltern vorgenommene Beschneidung eines Jungen eine rechtswidrige Körperverletzung darstelle. Seitdem findet eine rege Debatte zu der Frage statt, ob eine Beschneidung von Jungen aus religiösen Motiven mit geltendem Recht vereinbar sei. Im Folgenden werden hierzu medizinische und psychologische Aspekte erläutert und statistisches Material vorgestellt.1 2. Die physiologische Bedeutung der Vorhaut In der Diskussion über die physiologische Bedeutung der Vorhaut wird ins Feld geführt, dass es eine solche nicht gebe, und sie daher verzichtbar sei. Im historischen Kontext ist diese Einschätzung jedoch nicht durchgängig zu finden. Während in der wissenschaftlichen Diskussion des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts gelehrt wurde, dass die Vorhaut ein „kleiner Geburtsfehler“ sei, den Ärzte nach der Geburt schnell beheben müssten2, gab es beispielsweise in der Renaissance die Vorstellung, dass die Anatomie der männlichen Geschlechtsorgane die der Frau widerspiegelten , so die männliche Vorhaut die weiblichen Schamlippen. Seit den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird die Bedeutung der Vorhaut für die männliche Physiologie neuen Betrachtungen unterzogen. Heute wird eingeschätzt, dass „die Vorhaut eine komplizierte physiologische Struktur mit spezialisierten Bereichen“ aufweise, deren Funktionen aber noch nicht in Gänze bekannt seien. Gleichwohl seien Hautzellen der männlichen Vorhaut genutzt worden, um biotechnischen Hautersatz zu erzeugen, wobei nur diese Hautzellen die entsprechenden biochemischen und genetischen Voraussetzungen erfüllten.3 Weiterhin habe die Vorhaut eine schützende, sensorische und sexuelle Funktion.4 Darüber hinaus befände sich in der Vorhaut eine Verdichtung von so genannten Meissner-Tastkörperchen. Dabei handelt es sich um Druckrezeptoren, die ansonsten im menschlichen Körper in dieser Dichte nur in den Fingerkuppen vorhanden seien.5 Bei männlichen Säuglingen ist physiologisch bedingt die Vorhaut noch verklebt. Ab dem ersten Lebensjahr kann die Vorhaut bei ca. 50 Prozent und nach dem dritten Lebensjahr die 90 Prozent der männlichen Kinders zurückgeschoben werden. Bei Jugendlichen ist dies dann bei 16- bis 17- 1 Diese Debatte findet auch innerhalb von Religionsgemeinschaften statt. Während eine große Mehrheit beispielsweise der jüdischen Gemeinden die Beschneidung von Jungen für unabdingbar hält, gibt es von jüdischer Seite auch Stimmen, die sich gegen die Beschneidung von Jungen aus religiösen Motiven wendet. Hierzu ein Beispiel: Jewish Voices against Circumcision getting stronger, auf: http://www.circinfo.org/Jews_against_circumcision.html (Stand 16. Juli 2012). 2 Gollaher, David, Das Verletzte Geschlecht. Die Geschichte der Beschneidung, Berlin, 2002, S. 155. 3 Ebenda, S. 167. 4 Nach Ball, Peter, zitiert auf: http://www.beschneidung-von-jungen.de/home/die-vorhaut/funktion-dervorhaut .html (Stand 13. Juli 2012). 5 Ebenda, Kapitel 5.3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/085-12 Seite 5 jährigen die Regel.6 Es wird vermutet, dass die Vorhaut im Säuglingsalter für die Eichel eine schützende Funktion hat.7 3. Statistische Daten zur Häufigkeit von Beschneidungen (Zirkumzisionen) von Jungen 3.1.1. Situation in Deutschland Es existieren keine belastbaren bundesweiten Statistiken zu der Frage, wie häufig in Deutschland rituell motivierte Beschneidungen von Jungen8 veranlasst werden.9 Die Erhebungen des BMG und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) beziehen sich nur auf medizinisch notwendige Beschneidungen von Jungen, weil andere Indikationen nicht durch die gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden. Demnach wurden im Jahr 2010 3.129 und im Jahr 2011 2.835 entsprechende chirurgische Eingriffe vorgenommen.10 Gleichwohl werden aber auch Zirkumzisionen aus anderen Gründen vorgenommen, deren Kosten dann privat erstattet werden müssen. Im Rahmen einer Dissertation11 wurden die Daten am Uniklinikum Frankfurt/Main analysiert. Demnach fanden in den Jahren 2000 bis 2004 zwischen 95 und 145 Zirkumzisionen statt. In zwischen 15 und 25 Prozent aller Fälle erfolgte der Eingriff auf ausschließlichen Wunsch der Eltern, obwohl keine medizinische Indikation vorlag. 3.1.2. Situation weltweit Nach Schätzungen der World Health Organization (WHO)12 wurde eine rituelle Beschneidung bei allen jüdischen und muslimischen Männern durchgeführt, was einem Anteil von 69,6 Prozent der männlichen Weltbevölkerung, die beschnitten wurden, ausmacht. 6 Nach: Urologenportal, Die Beschneidung beim Mann, auf: http://www.dgu.de/beschneidung.html#c276 (Stand 18. Juni 2012). 7 Bühmann, Wolfgang, Pressesprecher des Verbandes Deutscher Urologen, zitiert in Focus, Ohne medizinische Indikation keine Beschneidung, Online-Ausgabe, 13. Juli 2012, eingestellt auf: http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/maenner/news/tid-26514/beschneidung-ist-koerperverletzung-ohnemedizinische -indikation-keine-beschneidung_aid_781114.html (Stand 18. Juli 2012). 8 Einen Überblick zu medizinischen Aspekten der Beschneidung von Jungen bietet die Deutsche Gesellschaft für Urologie auf: http://www.urologenportal.de/textsuche.html?&no_cache=1 (Stand 10. Juli 2012) und hier insbesondere auf http://www.urologenportal.de/beschneidung.html (Stand 10. Juli 2012). 9 In diesem Zusammenhang erfolgten entsprechende Rückmeldungen des BMG, des BMFSFJ, des Berufsverbands der niedergelassenen Kinderchirurgen Deutschlands (BNKD) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KVB). 10 Gemäß Email der KBV vom 10. Juli 2012. 11 Schneider, Jochen, Die männliche Beschneidung (Zirkumzision) Minderjähriger als verfassungs- und sozialrechtliches Problem, Berlin 2008. 12 Nach: WHO, Male Circumcision. Global Trends and Determinants of Prevalence, Safety and Acceptability, 2007, eingestellt auf: http://whqlibdoc.who.int/publications/2007/9789241596169_eng.pdf (Stand 10. Juli 2012). Beigefügt als Anlage 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/085-12 Seite 6 Bei der nicht-muslimischen bzw. nicht-jüdischen männlichen Bevölkerung ist der Anteil von beschnittenen Männern in den USA am höchsten (75 Prozent). Andere Angaben gehen für die USA in den Jahren 1994 bis 1997 von einer Quote von 62,8 Prozent aus, wobei starke regionale Unterschiede ausgemacht werden. So habe der Anteil im mittleren Westen in diesem Zeitraum bei 80 Prozent, der im Westen der USA bei nur 30-40 Prozent gelegen. Der jährliche Rückgang bei Beschneidungen von Jungen liege bei ca. 2,3 Prozent im Jahr.13 In Australien lag er im Jahr 2007 bei 59 Prozent und in Großbritannien bei 6 Prozent. In einigen Ländern ist der Anteil beschnittener Männer an der nicht-jüdischen beziehungsweise nichtmuslimischen Bevölkerung besonders hoch. Hierzu zählen unter anderem Madagaskar (98 Prozent ), Äthiopien (92 Prozent), die Philippinen (90 Prozent) oder Nigeria (90 Prozent). Weltweit wird von der WHO der Anteil der beschnittenen Männer auf insgesamt 33 Prozent geschätzt. 4. Gesundheitliche Aspekte einer Beschneidung von Jungen 4.1.1. Methoden von Beschneidungen bei Jungen Die Beschneidung von Jungen ist einer der am häufigsten durchgeführten chirurgischen Eingriffe. Hierbei wird die Vorhaut des Penis teilweise oder in Gänze entfernt. In den meisten Fällen finden Beschneidungen, die in einem rituellen und religiös motivierten und nicht medizinisch indizierten Kontext vollzogen werden, nicht in Praxen oder Kliniken, sondern öffentlich auf eigens hierzu ausgerichteten Familienfeiern oder in Gotteshäusern statt. Durchgeführt werden Beschneidungen bei rituellen religiösen Handlungen entweder von Ärzten, oder von hierzu berufenen Vertretern von Religionsgemeinschaften14, im Judentum beispielsweise von einem Mohel.15 In der jüdischen Tradition ist es verpflichtend, den Eingriff bei männlichen Säuglingen am achten Tag nach der Geburt durchzuführen. Die Beschneidung von moslemischen Kindern und Jugendlichen erfolgt in der Regel zwischen dem achten und dreizehnten Lebensjahr. 13 National Center for Health Studies, Hyattsville, USA, zitiert in: Schneider, Jochen, a.a.O., S. 3.. 15 Eine Beschreibung, wie die Beschneidung im jüdischen Kontext praktisch und rituell durchgeführt wird, findet sich auf: http://www.judentum-projekt.de/religion/juedischerlebenskreis/beschneidung/index.html (Stand 12. Juli 2012). Eine kontroverse Diskussion wird derzeit innerhalb jüdischer Lehrmeinungen in den USA über die von ultra-orthodoxen jüdischen Vertretern praktizierte Methode „metzitzah b’peh“ geführt, bei der ein Rabbi die Vorhaut des Säuglings zwischen die Zähne nimmt, die Vorhaut mit einem Messer durchtrennt und austretendes Blut aussaugt. Es wird vermutet, dass diese Methode zu Herpes-Infektionen bei Säuglingen mit Todesfolge geführt habe. Siehe hierzu auch, The Jewish Week, New York, 27. März 2012: http://www.thejewishweek.com/news/new_york/haredi_rift_opens_over_bris_ritual (Stand 11. Juli 2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/085-12 Seite 7 Häufigste Methode ist die zirkuläre Durchtrennung der Vorhaut mit einem Skalpell oder anderen speziell für diesen Eingriff gefertigten rituellen Schneidewerkzeugen, um die Eichel in Gänze oder teilweise freizulegen. Vor allem in klinischen Kontexten und hier in den USA finden weitere Methoden Anwendung, je nach dem, ob die Vorhaut in Gänze oder nur teilweise abgetrennt werden soll: Das Plastibell- Verfahren, die Morgan-Klemme, die Tara-Klemme, der Cisc-Ring und die Glomco-Klemme. Einige Verfahren zielen darauf ab, Blutungen soweit wie möglich zu verhindern. So wird bei der Plastibell-Methode „ein glockenähnliches Instrument über die Eichel geschoben. Darüber wird die Vorhaut gezogen. Im Bereich der Schnittlinie wird ein Faden sehr dicht um die Vorhaut geschnürt , so dass es zum Absterben der Vorhaut kommt, die vor dem Faden liegt. Die absterbende Haut wird abgeschnitten. Die über die Eichel gezogene Plastikhülse (Glocke) fällt nach mehreren Tagen ab.“16 Weiterhin gibt es einige spezifische rituelle Methoden, die aber nur vereinzelt durchgeführt werden.17 Wenn die Beschneidung bei Säuglingen durchgeführt wird, werden diese mehrfach fixiert, um Komplikationen bedingt durch plötzliche Bewegungen des Säuglings zu vermeiden, insbesondere in den Fällen, in denen keine Betäubung oder Narkose durchgeführt wird.18 Betäubungen werden von fachlicher Seite, aber auch von Religionsgemeinschaften, bei denen Beschneidungen eine rituelle Rolle spielen, angeraten. Allerdings ist der Einsatz von Betäubungen nicht die Regel oder verpflichtend. Auch in den USA werden Beschneidungen von Säuglingen in den meisten Fällen noch ohne Betäubung durchgeführt. Hintergrund hierzu ist, dass vermutet wird, dass Säuglinge ein vermindertes Schmerzempfinden hätten. Dagegen stellt der Pressesprecher des Deutschen Urologenverbandes in einem Interview fest, dass „Die Senkung der Sauerstoffwerte im Blut, der Anstieg des Stresshormons Cortisol und der psychische Rückzug des Säuglings …. neben dem Schreien sichere, objektive Zeichen der Schmerzempfindung“ seien. Weiter sei die ohne Betäubung und von Laien durchgeführte Beschneidung eine unnötige Belastung und kann für das Kind durchaus ein anhaltendes seelisches Trauma bedeuten. Sicher könne sich ein Kind später nicht daran erinnern, was es als Säugling da erleben musste, doch im Unterbewusstsein sei das abgespeichert.19 16 Zitiert nach: http://www.vasweb.org/de/leistungen/beschneidungszentrum-/beschneidungstechniken-undbeschneidungsstile -aller-art-/beschneidungstechniken-und-beschneidungsstile-aller-art-.html(Stand 11. Juli 2012). Auf dieser Seite werden auch die anderen genannten Formen einer Beschneidung vorgestellt. Videoaufnahmen von den verschiedenen Formen sind dort zur Veranschaulichung ebenfalls abrufbar. 17 Siehe beispielsweise Anmerkung 15. 18 Hierbei werden unterschiedliche Vorrichtungen zur Fixierung genutzt. Zur Anschauung hier ein Beispiel eines so genannten „Circumstraint Newborn Immobilizer“: http://www.quickmedical.com/olympicmedical/circumstraint/immobolizer.html (Stand 11. Juli 2012). 19 Bühmann, Wolfgang, Pressesprecher des Verbandes Deutscher Urologen, zitiert in Focus, Ohne medizinische Indikation keine Beschneidung, Online-Ausgabe, 13. Juli 2012, eingestellt auf: http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/maenner/news/tid-26514/beschneidung-ist-koerperverletzung-ohnemedizinische -indikation-keine-beschneidung_aid_781114.html (Stand 18. Juli 2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/085-12 Seite 8 4.1.2. Medizinische Aspekte 4.1.2.1. Prävalenzen von Beschneidungen von Jungen In der Diskussion stehen zum einen medizinische Prävalenzen von Beschneidungen von Jungen und deren präventive und/oder hygienische Funktion. Eine Beschneidung von Jungen aus medizinischen Gründen wird in Deutschland in den meisten Fällen nach der Diagnose einer Phimose, also einer Verengung der Vorhaut, durchgeführt. Als negative gesundheitliche Reaktionen auf eine Beschneidung werden allergische Reaktionen beispielsweise auf Betäubungsmittel oder Nachblutungen genannt. Zu den Risiken einer Zirkumzision wurden Aufklärungsbögen entwickelt, die auf www.procompliance.de abrufbar sind. Dort werden als mögliche gesundheitliche Risiken Verletzungen der Eichel, Risiko der Schwellung des Vorhautrestes, das Risiko der Entwicklung von Fisteln, Haut- und Weichteilschäden, Nervenund Venenreizungen genannt. Als mögliche bleibende Schäden sind Taubheitsgefühle oder Missempfinden angeführt.20 Unterschiedliche Angaben werden von beschnittenen Männern über die Folgen der Beschneidung auf ihre Sexualität gemacht. Die freiliegende Eichel sei etwas unempfindlicher. Einige beschnittene Männer empfänden dies als Vorteil, andere als Nachteil. Gleichwohl sei das sexuelle Empfinden viel zu komplex, als dass die Beschneidung hier eine größere Rolle spiele. Eine weitaus größere Bedeutung habe beispielsweise die Einstellung der Partnerin zur Beschneidung. Entscheidend seien aus medizinischer Sicht letztlich die Umstände, unter denen der Eingriff durchgeführt werde. Hierbei sei es insbesondere wichtig, dass bei dem Eingriff Betäubungsmittel eingesetzt und Hygieneaspekte Beachtung finden müssten.21 Die Beschneidung von Jungen wird als notwendige präventive Maßnahme zur Verhinderung von Krankheiten gefordert. Ältere Begründungen, vor allem aus dem anglo-amerikanischen Kontext, verweisen auf die Notwendigkeit einer Beschneidung, um – neben der Verhinderung von Masturbation 22 – Epilepsie und Hysterie zu vermeiden.23 Studien der WHO zufolge gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen einer Beschneidung von Jungen und Männern und einer geringeren Wahrscheinlichkeit, sich - bei ungeschütztem - Sexualverkehr mit dem HIV-Virus zu infizieren.24 20 Zitiert in Schneider, Jochen, a.a.O., S. 19 21 Nach: Information von Karl Becker, Sprecher des Berufsverbandes der niedergelassenen Kinderchirurgen Deutschlands in einer Information an den Autor vom 6. Juli 2012. 22 Diese Einschätzung ist inzwischen widerlegt. 23 Franz, Mathias, Ritual, Trauma, Kindeswohl, in FAZ, 9. Juli 2012, beigefügt in der Anlage 2. Prof. Franz lehrt Psychosomatische Medizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. 24 WHO, Use of Divices for Adult Male Circumcision in Public Health HIV Prevention Programs, März 2012, eingestellt auf: http://whqlibdoc.who.int/hq/2012/WHO_HIV_2012.7_eng.pdf (Stand 10. Juli 2012). Beigefügt als Anlage 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/085-12 Seite 9 Als weitere vorbeugende gesundheitliche Folgen von Beschneidungen werden die hygienebedingte Verringerung von Harnweginfektionen und Entzündungen der Vorhaut sowie von Phimosen angegeben. 25 Gemäß einer australischen Studie werde auch die Wahrscheinlichkeit von Peniskarzinomen durch eine Beschneidung verringert.26 Diese Sichtweise wird auch vom Zentralrat der Juden geteilt. Dagegen werden von dieser Seite gesundheitliche Gefahren ausgeschlossen. Von einer Vollnarkose rät der Zentralrat ab, da diese für einen Säugling eine Gefährdung darstellen könne. Allerdings spräche nichts gegen eine lokale Betäubung bei dem Eingriff. Zu der Frage, welche weiteren Folgen eine Beschneidung von Jungen hat, wird vom Zentralrat der Juden ausgeführt: „Zu Recht hebt die UN-Kinderrechtskonvention hervor, dass alle Bräuche, die der Gesundheit eines Kindes schaden, abgeschafft werden (müssen). Die Beschneidung jedoch schadet dem Kind in keiner Weise. Im Gegenteil, es verschafft ihm sogar gesundheitlichen Nutzen. Zudem mindert es die Gefahr eines möglichen psychischen Drucks und der Stigmatisierung innerhalb der peer group, falls ein Junge nicht beschnitten wurde.“27 Allerdings werden die präventiven Aspekte in der Literatur kontrovers diskutiert. So seinen Männer, die sich regelmäßig waschen und dabei die Vorhaut zurückschieben, nicht gefährdeter für die aufgeführten Krankheiten als beschnittene Männer. „Das Argument, Beschneidung ist sinnvoll, weil man damit diese Krankheiten verhindern kann, ist also genauso unsinnig, als würde man fordern, den Blinddarm eines jeden Menschen herauszuschneiden, weil er sich entzünden kann“28. Zu der Frage, welchen Stellenwert medizinische Begründungen bei der Frage der Notwendigkeit von Beschneidungen spielen, wird angeführt, dass diese „wohl insgesamt nur als Rationalisierungen von sozialen Vorgängen“29 zu bewerten seien. 4.1.3. Psychologische Aspekte Beschnittene Männer berichteten in Psychotherapien darüber, dass sie unter dem Gefühl litten, es sei ihnen ohne ihr Einverständnis etwas weggenommen worden.30 Dies gelte vor allem bei muslimischen Jugendlichen, die durch Beschneidungen traumatisiert worden seien, da die Be- 25 Schneider, Jochen, a.a.O., S. 10 26 Nach http://www.urologenportal.de/beschneidung.html (Stand 10. Juli 2012). 27 Vergleiche: http://www.zentralratdjuden.de/de/article/3731.html (Stand 11. Juli 2012). 28 Bühmann, Wolfgang, Pressesprecher des Verbandes Deutscher Urologen, zitiert in Focus, Ohne medizinische Indikation keine Beschneidung, Online-Ausgabe, 13. Juli 2012, eingestellt auf: http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/maenner/news/tid-26514/beschneidung-ist-koerperverletzung-ohnemedizinische -indikation-keine-beschneidung_aid_781114.html (Stand 18. Juli 2012). 29 Scheider, Jochen, a.a.O., S. 23. und Franz, Mathias, Ritual, Trauma, Kindeswohl, in FAZ, 9. Juli 2012. 30 Schmidbauer, Wolfgang, Süddeutsche Zeitung, Beschneidung ist nicht harmlos, elektronische Ausgabe vom 4. Juli 2012, eingestellt auf: http://www.sueddeutsche.de/wissen/nach-dem-koelner-urteil-beschneidung-ist-nichtharmlos -1.1401049 (Stand 10. Juli 2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/085-12 Seite 10 schneidungen nicht im Säuglingsalter, sondern erst später vorgenommen worden seien. Andererseits gebe es Schilderungen, dass Jugendliche das Beschneidungszeremoniell positiv erlebten, weil es sie mit Stolz erfüllte und sie im Mittelpunkt eines Festes stünden.31 Gerade dieses „klaglose Eingehen“ wird als Folge der Übernahme von Männlichkeitsriten analysiert („Ein Junge weint nicht“). Weiterhin wird angenommen, dass die von den Eltern veranlasste Gewaltanwendung durch das männliche Beschneidungsopfer als „Empathiebruch“ verstanden werde. Die Tradierung von Handlungen bis hin zum Ritual habe seine Ursache in der Verinnerlichung eines Traumas mit der Wahrnehmung, dass nicht das schlecht gewesen sein könne, „was die Eltern damals mit mir gemacht haben. Deshalb mache ich es auch“. Auch die im „Körpergedächtnis konservierten Schmerzen“ seien psychologisch noch über Jahre nachweisbar, zumal der Eingriff in vielen Fällen ohne Narkose vorgenommen wird. Wenn die Erfahrungen von männlichen Beschneidungsopfern traumatisierten, könnten Störungen der Sexualfunktionen sowie Partnerschaftskonflikte die Folge sein.32 Allerdings wurde kein statistisch verwertbares Material zu der Frage gefunden, wie häufig Traumatisierungen von Jungen oder Männern als Folge von Beschneidungen auftreten. 31 Becker, Karl, a.a.O. 32 Franz, Mathias, Ritual, Trauma, Kindeswohl, in FAZ, 9. Juli 2012