© 2019 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 083/19 Zur Entwicklung und zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 083/19 Seite 2 Zur Entwicklung und zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 083/19 Abschluss der Arbeit: 29. November 2019 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 083/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Entwicklung von Wirkstoffen und Arzneimitteln 4 3. Zulassung von Arzneimitteln 5 3.1. Anzuwendende Vorschriften 5 3.2. Einzelheiten des Zulassungsverfahrens 6 3.3. Sonderfall: Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedsstaat bestehenden Zulassung 7 3.4. Sonderfall: Parallelimport 7 3.5. Sonderfall: Zulassung von Generika 8 4. Nach der Zulassung 8 4.1. Apothekenpflicht und Verschreibungspflicht 9 4.2. Weitere Forschung und Erprobung des Arzneimittels 9 4.3. Wegfall der Zulassung 10 5. Auswahl von Arzneimitteln und Ausschreibung von Rabattverträgen 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 083/19 Seite 4 1. Vorbemerkung Aktuell wird in Deutschland in verschiedenen Zusammenhängen über Medikamente, deren Verabreichung und Wirkung diskutiert, so etwa über überteuerte Arzneimittel, über Nebenwirkungen und insbesondere über Lieferengpässe bei Wirkstoffen und Arzneimitteln.1 Die vorliegende Arbeit soll vor diesem Hintergrund die Anforderungen im Zusammenhang mit Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln darlegen und geht darüber hinaus auf die Grundlagen der Auswahl von Arzneimitteln zur Ausgabe an den Patienten durch die Apotheken ein. 2. Entwicklung von Wirkstoffen und Arzneimitteln Bei der Entwicklung von Arzneimitteln ist die größtmögliche Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten und insbesondere sicherzustellen, dass neue Präparate wirksam und die mit der Einnahme verbundenen Risiken und Nebenwirkungen verhältnismäßig sind. Die weit überwiegende Mehrzahl der Projekte zur Entwicklung neuer Medikamente führt dabei aufgrund mangelnder Wirksamkeit oder starker Nebenwirkungen nicht zu einer erfolgreichen Marktzulassung.2 Zu Beginn der Entwicklung eines neuen Medikaments steht in der Regel eine ausgedehnte Forschungsphase , in der zunächst nach einem geeigneten Wirkstoff gesucht wird, der möglichst wenige schädliche Nebenwirkungen hat und der zuverlässig in großen Mengen hergestellt werden kann.3 Um dies zu gewährleisten, werden zahlreiche Labortests durchgeführt, bis der Wirkstoff in die präklinische Entwicklung gegeben werden kann. In diesem Stadium werden Tests an Zellkulturen sowie Tierversuche durchgeführt, bevor der Wirkstoff am Menschen erprobt werden kann.4 Letzteres erfolgt erst im Stadium der klinischen Entwicklung. In der sogenannten Phase I wird der Wirkstoff hierbei an wenigen gesunden, erwachsenen Probanden erprobt, um festzustellen , ob sich die Ergebnisse der vorklinischen Entwicklung bestätigen. Daran schließt sich in 1 Vgl. Stadler, Rainer, Wenn Aspirin knapp wird, in: Süddeutsche Zeitung, 1. Oktober 2019, abrufbar unter https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/medikamenten-engpass-pharmaindustrie-1.4623737?reduced=true; Kluge, Christoph, In Berlins Apotheken sind einige Medikamente knapp, in: Der Tagesspiegel, 4. November 2019, abrufbar unter https://www.tagesspiegel.de/berlin/immer-wieder-lieferengpaesse-in-berlins-apothekensind -einige-medikamente-knapp/25177408.html; diese und weitere Online-Nachweise zuletzt abgerufen am 27. November 2019. 2 Von etwa 5.000-10.000 untersuchten Substanzen kommt im Durchschnitt nur eine schlussendlich auf den Markt, vgl. Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Wie ein Arzneimittel entsteht, abrufbar unter https://www.bfarm.de/DE/Buerger/Arzneimittel/Arzneimittelentwicklung/_node.html. 3 BfArM, https://www.bfarm.de/DE/Buerger/Arzneimittel/Arzneimittelentwicklung/_node.html; siehe auch Hoerner , Katrin, Jagd nach neuen Wirkstoffen, in: focus online, abrufbar unter https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber /medikamente/forschung/tid-5788/arzneimittelforschung-jagd-nach-neuen-wirkstoffen_aid_56903.html; Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., So entsteht ein neues Medikament, 7. Februar 2018, abrufbar unter https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/so-funktioniert-pharmaforschung/so-entsteht-ein-medikament .html. 4 Vgl. Haas, Bodo / Eckstein, Niels, Vom Wirkstoff zum Arzneimittel, 1. Teil: Von der Präklinik zur Phase-I-Studie , in: Deutsche Apotheker Zeitung, 21.Juni 2012, abrufbar unter https://www.deutsche-apotheker-zeitung .de/daz-az/2012/daz-25-2012/vom-wirkstoff-zum-arzneimittel. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 083/19 Seite 5 Phase II die Erprobung zunächst mit wenigen Erkrankten an, bis in Phase III das Medikament schließlich bei größeren Gruppen von Patienten eingesetzt wird, um auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu untersuchen.5 3. Zulassung von Arzneimitteln Bevor ein neues Fertigarzneimittel, also ein Arzneimittel, das im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Verpackung ausgegeben wird – 4 Abs. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG)6 – in den Verkehr gebracht werden darf, muss es ein Zulassungsverfahren durchlaufen. Erst nach dieser Zulassung kann das Arzneimittel vom Hersteller in den Vertrieb gegeben und damit Ärzten und Patienten zur Verfügung gestellt werden. 3.1. Anzuwendende Vorschriften Rechtsgrundlagen für die Zulassung von Humanarzneimitteln finden sich auf nationaler Ebene in §§ 21 ff. AMG (sowie auf europäischer Ebene in der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (VO (EG) Nr. 2004/726)7 sowie in der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (RL 2001/83/EG).8 Wie genau das Zulassungsverfahren ausgestaltet ist, hängt davon ab, wo das Arzneimittel in Verkehr gebracht werden soll. Wird eine Zulassung im gesamten EU-Wirtschaftsraum angestrebt, ist das zentrale Zulassungsverfahren durchzuführen, welches in der VO (EG) Nr. 726/2004 geregelt ist. Zuständig für das Verfahren ist nach Art. 1 ff. der VO (EG) Nr. 726/2004 die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) mit Sitz in Amsterdam. Hauptaufgabe der EMA ist die wissenschaftliche Evaluierung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln.9 Die Prüfung der Antragsunterlagen erfolgt gemäß Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 726/2004 durch den Ausschuss für Humanarzneimittel 5 Vgl. Haas, Bodo / Eckstein, Niels, Vom Wirkstoff zum Arzneimittel, 2. Teil: Klinische Prüfungen, in: Deutsche Apotheker Zeitung, 19. Juli 2012, https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2012/daz-29-2012/vomwirkstoff -zum-arzneimittel. 6 Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl I S. 3394), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 9. August 2019 (BGBl I S. 1202). 7 Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. L 136, S. 1 ff.) 8 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67 ff.). 9 Vgl. die Informationen der Europäischen Union zur Europäischen Arzneimittelagentur, abrufbar unter https://europa.eu/european-union/about-eu/agencies/ema_de; vgl. weiterhin European Medicines Agency, About Us; abrufbar unter https://www.ema.europa.eu/en/about-us (nur englisch). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 083/19 Seite 6 (CHMP) als Teil der EMA. Die Entscheidung über die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen – welche der nationalen Zulassung entspricht – trifft die Europäische Kommission (Art. 10 VO (EG) Nr. 726/2004). Soll das Arzneimittel nur in Deutschland zugelassen werden, ist das nationale Zulassungsverfahren durchzuführen, das in §§ 21 ff. AMG geregelt ist. Zuständige Behörde ist bei Humanarzneimitteln nach §§ 21, 77 Abs. 1 AMG im Regelfall das BfArM. Das BfArM, das seinen Sitz in Bonn hat, ist schwerpunktmäßig mit der Zulassung von Fertigarzneimitteln auf der Grundlage des Arzneimittelgesetzes befasst.10 Bei Sera, Impfstoffen, Blutzubereitungen, Knochenmarkzubereitungen , Gewebezubereitungen, Geweben, Allergenen, Arzneimitteln für neuartige Therapien, xenogenen Arzneimitteln und gentechnisch hergestellten Blutbestandteilen ist gemäß § 77 Abs. 2 AMG das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, das Paul-Ehrlich- Institut (PEI), zuständig, das in Langen bei Frankfurt am Main ansässig ist.11 Darüber hinaus muss die Zulassung eines Arzneimittels grundsätzlich in jedem weiteren Mitgliedsstaat erfolgen, in dem das Arzneimittel in Verkehr gebracht werden soll (sogenanntes dezentrales Verfahren, DCP).12 3.2. Einzelheiten des Zulassungsverfahrens Im Rahmen des Zulassungsverfahrens wird geprüft, ob das Arzneimittel wirksam und unbedenklich ist und die erforderliche pharmazeutische Qualität vorliegt. Der Hersteller legt hierzu im zentralen Verfahren gemäß Art. 3 der VO (EG) Nr. 726/2004 die nach Art. 8 Abs. 3 und Art. 10, 10a, 10b bzw. 11 sowie im Anhang I der RL 2001/83/EG genannten Angaben und Unterlagen vor, die analytische, pharmakologisch-toxikologische und klinische Prüfungen, entsprechende Sachverständigengutachten , aber auch Gebrauchs- und Fachinformationen, Kennzeichnungstexte und Angaben zu den Packungsgrößen enthalten müssen. Nicht zuletzt ist Bestandteil der Zulassungsunterlagen auch die genaue Beschreibung des vorgesehenen Pharmakovigilanz- bzw. Risikomanagement -Systems, also der beabsichtigten Überwachung der Sicherheit des Arzneimittels zur Erkennung von Nebenwirkungen und zur Risikominimierung.13 Im nationalen Zulassungsverfahren besteht eine entsprechende Pflicht zur Vorlage anhand von §§ 22-24 AMG, welche die genannten Vorschriften der RL 2001/83/EG ins nationale Recht umsetzen . Das nationale Zulassungsverfahren ist nach § 27 AMG auf eine Dauer von sieben Monaten beschränkt ; hinzu kommt allerdings die Zeit, die dem Hersteller gewährt wird, um etwaige Mängel zu beseitigen. Für letzteres ist nach § 25 Abs. 4 AMG eine Frist von nicht mehr als sechs Monaten vorgesehen. Auch im zentralen Verfahren ist in Art. 6 Abs. 3, 9 Abs. 2 und 3 sowie 10 Abs. 1 10 Vgl. BfArM, Über das BfArM, abrufbar unter https://www.bfarm.de/DE/BfArM/_node.html. 11 Näheres zum PEI findet sich unter https://www.pei.de/DE/institut/institut-node.html. 12 Vgl. BfArM, DCP, abrufbar unter https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelzulassung/Zulassungsverfahren /DCP/_node.html. 13 Vgl. § 4 Abs. 36, 38 AMG. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 083/19 Seite 7 und 2 der VO (EG) Nr. 726/2004 für die einzelnen Verfahrensschritte, z.B. die Erstellung eines Gutachtens durch den Ausschuss für Humanarzneimittel und die Erstellung eines Entscheidungsentwurfs durch die Kommission, jeweils eine Maximaldauer festgelegt. Im nationalen Verfahren darf die zuständige Behörde nach § 25 Abs. 2 AMG die Zulassung nur versagen, wenn einer der in Nr. 1 – 7 gelisteten Ausschlusstatbestände vorliegt, also beispielsweise die Zulassungsunterlagen unvollständig sind, das Arzneimittel nicht hinreichend überprüft wurde oder bei einem einzelnen Wirkstoff eines kombinierten Präparats die Begründung fehlt, warum gerade dieser Wirkstoff einen positiven Nutzen haben soll. Zentral ist in der Regel die Frage, ob das Nutzen-Risiko-Verhältnis gemäß § 4 Abs. 28 AMG positiv ist. § 28 AMG ermöglicht eine Zulassung unter Auflagen, beispielsweise bezüglich der Packungsbeilage, der Form der Verpackung oder der Anbringung von Warnhinweisen. Im zentralen Verfahren ist nach Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 726/2004 die Zulassung zu versagen, wenn die Überprüfung der vorgelegten Unterlagen ergibt, dass der Antragsteller die Qualität, die Sicherheit oder die Wirksamkeit des Arzneimittels nicht angemessen oder ausreichend nachgewiesen hat. Eine Zulassung unter besonderen Bedingungen oder Auflagen kann nach Art. 14 Abs. 7 und 8 der VO (EG) Nr. 726/2004 erfolgen. Die Zulassung wird zunächst für den Einsatz bei erwachsenen Patienten erteilt.14 Im nationalen Zulassungsverfahren sind gemäß § 29 AMG Änderungen in den für die Zulassung vorzulegenden Unterlagen der zuständigen Behörde von dem Inhaber der Zulassung unverzüglich mitzuteilen. In bestimmten Fällen muss die zuständige Behörde der Änderung zustimmen (Abs. 2a); in anderen Fällen ist eine neue Zulassung zu beantragen (Abs. 3) – etwa, wenn sich die Wirkstoffzusammensetzung ändert. Im zentralen Verfahren ist für Änderungen gemäß Art. 16 VO (EG) Nr. 726/2004 eine Genehmigung bei der EMA zu beantragen. 3.3. Sonderfall: Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedsstaat bestehenden Zulassung Ist ein Arzneimittel in einem anderen EU-Mitgliedsstaat bereits zugelassen, so ist nach § 25b Abs.°2 AMG die Zulassung anzuerkennen, es sei denn, dass Anlass zu der Annahme besteht, dass die Zulassung des Arzneimittels eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt. In diesem Fall sind gemäß § 25b Abs. 2 i. V. m. Art. 29 RL 2001/83/EG der Antragsteller , die EMA sowie alle betroffenen Mitgliedsstaaten zu informieren, damit in Zusammenarbeit mit dem Antragsteller eine gemeinsame Lösung gefunden oder der CHMP gemäß Art. 32 RL 2001/83/EG über die Angelegenheit beraten kann. 3.4. Sonderfall: Zulassung bei einem Parallelimport Einen Sonderfall stellt der sogenannte Parallelimport dar. Ein vom Hersteller verschiedenes Unternehmen erwirbt dabei in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ein dort zugelassenes Arzneimittel, 14 Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., So entsteht ein neues Medikament, 7. Februar 2018, abrufbar unter https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/so-funktioniert-pharmaforschung/so-entsteht-ein-medikament .html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 083/19 Seite 8 das mit einem in Deutschland zugelassenen Arzneimittel im Wesentlichen übereinstimmt, und importiert dieses nach Deutschland.15 Auch in diesem Fall ist ein (vereinfachtes) Zulassungsverfahren zu durchlaufen. Da dem Importeur die notwendigen Zulassungsunterlagen in der Regel nicht vorliegen, das Bezugsarzneimittel aber bereits über eine Zulassung verfügt, genügt es, Unterlagen vorzulegen, die die wesentliche Gleichheit von Bezugs- und Einfuhrarzneimittel belegen . Die Arzneimittel müssen hierbei nicht exakt übereinstimmen; es genügt, dass die für das schon zugelassene inländische (Bezugs-)Arzneimittel durchgeführte Beurteilung der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit ohne Risiko für die Gesundheit und das Leben für das Zulassungsverfahren für das Importarzneimittel verwendet werden kann (sog. Produktidentität). Der Wirkstoff muss beispielsweise in jedem Fall identisch sein; Hilfsstoffe können abweichen, wenn nachgewiesen wird, dass kein Einfluss auf die Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels besteht. Unterschiede in der Bezeichnung sind wiederum stets unschädlich, da Auswirkungen auf Wirksamkeit und Sicherheit nicht gegeben sind.16 Bei einem im zentralen Verfahren zugelassenen Medikament, das in Deutschland erstmals vertrieben werden soll (sog. Parallelvertrieb), ist ein Notifizierungsverfahren bei der EMA durchzuführen und anschließend der Parallelvertrieb dem BfArM gemäß § 29 AMG anzuzeigen.17 3.5. Sonderfall: Zulassung von Generika Wird ein neu entwickeltes, patentiertes Arzneimittel in den Verkehr gebracht, so gilt nach Art. 14 Abs. 11 VO (EG) Nr. 726/2004 bzw. § 24 Abs. 1 Satz 2 AMG eine Vermarktungsschutzfrist von mehreren Jahren ab der Zulassung. Nach Ablauf dieser Schutzfrist besteht die Möglichkeit für andere pharmazeutische Hersteller, die Zulassung eines sogenannten Generikums zu beantragen. Ein Generikum zeichnet sich dadurch aus, dass es mit dem Originalpräparat im Wesentlichen übereinstimmt. Dies führt – ähnlich wie beim Parallelimport – zu einer Vereinfachung des Zulassungsverfahrens , da nach § 24b Abs. 1 AMG bzw. Art. 3 Abs. 3 VO (EG) Nr. 726/2004 i. V. m. Art. 10 RL 2001/83/EG auf die ursprüngliche Zulassung Bezug genommen werden kann. Generika sind in der Regel deutlich preisgünstiger als das Originalpräparat.18 4. Verfahrensschritte nach der Zulassung Auch nach der Zulassung sind weitere Maßnahmen zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit zu treffen. Beispielsweise muss entschieden werden, ob ein Arzneimittel frei verkäuflich 15 BfArM, Parallelimport von Arzneimitteln, abrufbar unter https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelzulassung /Zulassungsverfahren/Parallelimport/_node.html. 16 Vgl. hierzu Kügel, Wilfried, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 2. Auflage 2016, Vorbemerkung zu § 72, Rn. 6 ff., insbesondere Rn. 10 ff. 17 BfArM, Parallelvertrieb von in der EU zentral zugelassenen Arzneimitteln, https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel /Arzneimittelzulassung/Zulassungsverfahren/Parallelimport/Parallelvertrieb.html. 18 Bundesgesundheitsministerium, Wie Arzneimittelpreise entstehen und wie man sie senken kann, 28. Februar 2019, abrufbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/arzneimittelpreise.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 083/19 Seite 9 sein soll, oder ob eine Apotheken- oder Verschreibungspflicht vorzusehen ist. Zudem ist das Arzneimittel in seiner Anwendung weiter zu beobachten, damit die Zulassung, falls notwendig, modifiziert , zurückgenommen oder widerrufen werden kann. 4.1. Entscheidung über die Apotheken- bzw. Verschreibungspflicht Ob ein Arzneimittel apothekenpflichtig ist, also lediglich in Apotheken verkauft werden darf, oder ob eine Verschreibungspflicht besteht, das Arzneimittel also nur abgegeben werden darf, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt, richtet sich nach § 43 Abs. 1 AMG in Verbindung mit der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel (AMVerkRV)19 bzw. nach § 48 Abs. 1 AMG in Verbindung mit der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (AMVV)20. Entscheidend hierfür ist in erster Linie der verwendete Wirkstoff. Ein Sachverständigenausschuss nach § 53 AMG beschließt Empfehlungen für Änderungen der Verordnungen , also beispielsweise für die Aufnahme von Wirkstoffen in den Kreis der verschreibungspflichtigen Stoffe.21 4.2. Weitere Forschung und Erprobung des Arzneimittels Auch nach der Zulassung eines Arzneimittels finden weitere Erprobungen und Studien statt. Zum einen wird im Regelfall eine kindgerechte Darreichungsform entwickelt, damit das Arzneimittel auch bei Kindern eingesetzt werden darf.22 Zum anderen werden Anwendungsbeobachtungen anhand von anonymen Auszügen aus Krankenakten durchgeführt, um beispielsweise sehr seltene Nebenwirkungen, die weniger als einen von 10.000 Patienten betreffen, feststellen zu können.23 Neben dieser sogenannten Phase IV können aber auch zu diesem Zeitpunkt weitere Phase-II- und Phase-III-Studien durchgeführt werden, um weitere Darreichungsformen zu entwickeln oder den Einsatz bei anderen Krankheiten zu testen.24 19 Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel (AMVerkRV) vom 24. November 1988 (BGBl. I S. 2150), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 26. September 2018 (BGBl. I S. 1386). 20 Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) vom 21. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3632), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 25. Oktober 2019 (BGBl. I S. 1490). 21 BfArM, Apothekenpflicht, abrufbar unter https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien /Apothekenpflicht/_node.html sowie BfArM, Verschreibungspflicht, abrufbar unter https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien/Verschreibungspflicht/_node.html. 22 Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., So entsteht ein neues Medikament, 7. Februar 2018, abrufbar unter https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/so-funktioniert-pharmaforschung/so-entsteht-ein-medikament .html. 23 Mende, Anette, Nach der Zulassung weiter forschen, in: Pharmazeutische Zeitung, 12. Juni 2012, abrufbar unter https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-242012/nach-der-zulassung-weiter-forschen/. 24 Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., So entsteht ein neues Medikament, 7. Februar 2018, abrufbar unter https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/so-funktioniert-pharmaforschung/so-entsteht-ein-medikament .html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 083/19 Seite 10 4.3. Wegfall der Zulassung Eine erstmals erteilte Zulassung gilt zunächst für fünf Jahre; im Anschluss kann eine Verlängerung beantragt werden. Wird diese gewährt, gilt die Zulassung ab diesem Zeitpunkt unbegrenzt. Die Zulassung erlischt im Übrigen, wenn das Arzneimittel innerhalb von drei Jahren nach Erteilung nicht in den Verkehr gebracht wurde oder wenn auf die Zulassung verzichtet wird. Dies ergibt sich für das zentrale Verfahren aus Art. 14 VO (EG) Nr. 726/2004 und für das nationale Verfahren aus § 31 Abs. 1 bis 3 AMG. Darüber hinaus kann die Zulassung zurückgenommen bzw. widerrufen werden, so etwa, wenn einer der Versagungsgründe des § 25 Abs. 2 Nr. 3, 5, 5a, 6 oder 7 AMG bei der Erteilung bereits vorgelegen hat oder nachträglich eingetreten ist, wenn sich herausstellt, dass die therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels fehlt oder sich nicht hinreichend begründen lässt oder wenn der Antragsteller im Zulassungsverfahren falsche Angaben gemacht hat. Auch für ein im zentralen Verfahren zugelassenes Arzneimittel kann nach Art. 20 VO (EG) Nr. 726/2004 i. V. m. Art. 116 der RL 2001/83/EG die Genehmigung für das Inverkehrbringen widerrufen oder ausgesetzt werden, wenn sich herausstellt, dass entweder das Arzneimittel schädlich ist, seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder das Arzneimittel nicht die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufweist. 5. Auswahl von Arzneimitteln und Ausschreibung von Rabattverträgen § 129 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) 25 sieht vor, bei der Auswahlentscheidung vor der Abgabe verordneter Arzneimittel wirtschaftliche Gesichtspunkte heranzuziehen. Neben weiteren Regelungen sind Apotheken beispielsweise verpflichtet, ein preisgünstiges Arzneimittel auszugeben, wenn der verordnende Arzt die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Präparat nicht ausgeschlossen hat oder von vornherein nur eine Wirkstoffbezeichnung angegeben hat. Zudem sind Importarzneimittel abzugeben, wenn diese um festgelegte Beträge günstiger sind als das Bezugsarzneimittel. Mit § 130a Abs. 8 SGB V hat der Gesetzgeber die Möglichkeit für Krankenkassen und Verbände geschaffen, mit pharmazeutischen Unternehmen Rabattverträge im Hinblick auf Arzneimittel abzuschließen . Sowohl für die Krankenkasse, die günstige Preise erzielen möchte, als auch für den pharmazeutischen Hersteller, der keine Marktanteile an seine Konkurrenz verlieren will, stellt dies eine attraktive Möglichkeit zur Wahrung der eigenen Interessen dar. Dies führt bei Generika allerdings seitens der anderen Hersteller in der Regel zu einer Verringerung der Produktion. Hierdurch steigt die Gefahr von Lieferengpässen bei Produktionsschwierigkeiten – gerade wenn ein solcher Vertrag tatsächlich nur mit einem Hersteller geschlossen wird.26 25 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. August 2019 (BGBl. I S. 1202). 26 Kluge, Christoph, In Berlins Apotheken sind einige Medikamente knapp, in: Der Tagesspiegel, 4. November 2019, abrufbar unter https://www.tagesspiegel.de/berlin/immer-wieder-lieferengpaesse-in-berlins-apothekensind -einige-medikamente-knapp/25177408.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 083/19 Seite 11 Der Abschluss eines Rabattvertrags über Generika ist öffentlich auszuschreiben. Dies ergibt sich aus § 69 Abs. 2 SGB V. Ob dies bei patentierten Arzneimitteln ebenfalls der Fall ist, die nur von einem einzigen Hersteller produziert werden, ist in der Rechtsprechung und der Fachliteratur umstritten. Ein Verzicht auf die öffentliche Ausschreibung würde das Verfahren deutlich beschleunigen und vereinfachen, da in diesem Fall ein Rabattvertrag unmittelbar und ohne Verzögerung mit dem Hersteller des patentierten Arzneimittels abgeschlossen werden könnte. Teilweise wird vertreten, dass aufgrund der Möglichkeit beispielsweise des Parallelimports auch in diesem Fall mehrere Hersteller fähig seien, das Produkt zu liefern und daher eine öffentliche Ausschreibung erforderlich sei.27 Für den Fall, dass mehrere Wirkstoffe zur Therapie einer Krankheit zugelassen seien, dürfe eine Ausschreibung nicht nur in Bezug auf einen Wirkstoff erfolgen .28 Demgegenüber wird angeführt, dass ausschließlich der Arzt die Auswahl der zu verordnenden Arzneimittel treffe und dem Rabattvertrag daher keine Steuerungswirkung zukomme und er den Absatz des betroffenen Arzneimittels nicht fördere. Es fehle daher an einer dem öffentlichen Auftraggeber zurechenbaren Auswahlentscheidung.29 *** 27 Weiner, Gabriel / Weiner, Katharina, Arzneimittelrabattvertragsausschreibungen im generischen und patentgeschützten Bereich: Überblick über den aktuellen Streitstand, in: Neue Zeitschrift für Sozialrecht (NZS) 2009, S. 422. 28 So etwa Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 20. Oktober 2008, VII-Verg 46/08 und Beschluss vom 22. Oktober 2008, Az. I–27 U 2/08. 29 So etwa Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Oktober 2008, Az. L 11 KR 481/08 ER-B.