Deutscher Bundestag Das Verhältnis von Leistungen zur Pflege nach dem SGB XI gegenüber Leistungen nach dem SGB XII und dem SGB IX Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 9 – 3000/83 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 2 Das Verhältnis der Leistungen zur Pflege nach dem SGB XI gegenüber Leistungen nach den SGB XII und IX Aktenzeichen: WD 8 – 3000/83 Abschluss der Arbeit: 30.8.2011 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Leistungen zur Pflege nach dem SGB XI 5 2.1. Personenkreis 5 2.2. Umfang 5 2.3. Leistungsform 5 3. Verhältnis von Leistungen nach dem SGB XI zu Leistungen nach dem SGB XII 8 3.1. Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe 8 3.2. Das Konkurrenzverhältnis bei einzelnen Leistungen 10 3.3. Pflegegeld und Sachleistung, bzw. Kombinationsleistungen 10 3.4. Das Prinzip der Selbstobliegenheit und die Ausnahme im Arbeitgebermodell 11 3.5. Eingliederungshilfe 12 3.6. Aufwendungen für soziale Betreuung 13 4. Verhältnis von Leistungen nach SGB XI zu Leistungen nach SGB IX 13 4.1. Grundsatz des Vorrangs der Prävention 13 4.2. Leistungen des Persönlichen Budgets 13 5. Verhältnis von Leistungen nach dem SGB XI untereinander 14 5.1. Leistungen nach § 45 b SGB XI 14 5.2. Vorrang von ambulanten Leistungen 14 6. Literatur 15 7. Anlagenverzeichnis 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 4 1. Zusammenfassung Die Ausarbeitung setzt den Schwerpunkt auf das Rang- bzw. Konkurrenzverhältnis der Leistungen untereinander sowie auf die Unterschiede zwischen den verschiedenen Leistungen zur Pflege nach dem SGB XI im Vergleich zu Leistungen nach den SGB XII und IX. Der entscheidende Unterschied zwischen den Leistungen der Pflegeversicherung gegenüber jenen zur Sozialhilfe ist, dass die Pflegeversicherung keine bedarfsdeckende Versorgung vorsieht, sondern eine Deckelung der zu finanzierenden Leistungen der Höhe nach beinhaltet. Eine darüber hinaus gehende Selbstbeteiligung des Pflegebedürftigen ist dabei mit einkalkuliert. Michael Hauer vom Institut für Vorsorge und Finanzplanung veranschlagt für eine pflegebedürftige Person im Durchschnitt Kosten von 24.000 Euro, die über die Pflegeversicherung hinaus aufgebracht werden müssen.1 Verfügt der Pflegebedürftige nicht über eigenes Vermögen und kann die darüber hinausgehenden Kosten selbst nicht finanzieren, muss die Sozialhilfe dafür aufkommen. Maßstab der Leistungspflicht der Sozialhilfe ist grundsätzlich der individuelle Hilfebedarf ohne Beschränkung durch Höchstgrenzen.2 Leistungen zur Pflegevermeidung sieht die Pflegeversicherung nicht vor, da Voraussetzung für einen Leistungsanspruch nach SGB XI gerade die bereits eingetretene Pflegebedürftigkeit in einem gewissen Ausmaß (mindestens Pflegestufe 1) ist. Zwar prüft der Medizinische Dienst im Rahmen der Einordnung zu einer Pflegestufe auch, ob noch kein Leistungsanspruch, aber Präventionsbedarf besteht (§ 18 Abs.1 S. 3 SGB XI), die Pflegekasse ist aber nicht der zuständige Träger zur Erbringung der Rehabilitationsleistungen.3 Eine prophylaktische Leistung zur Pflegevermeidung fällt nicht in das Leistungsspektrum der Pflegeversicherung. Aus diesem Grund werden Leistungen zur Pflegevermeidung hier nicht näher beleuchtet.4 Im Verhältnis der Pflegeversicherung zur Sozialhilfe gilt der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe . Dennoch gibt es zahlreiche Fallkonstellationen, in denen neben dem Anspruch des Pflegebedürftigen nach SGB XI auch Leistungen der Sozialhilfe nach SGB XII in Betracht kommen. Darunter fallen unter anderem weitergehende Ansprüche, wie die der Aufwendungen für Pflegepersonen , das sog. Rest-Pflegegeld oder die Kosten für eine selbst eingestellte Pflegekraft im Rahmen des „Arbeitgebermodells“. 1 „Alt sein, ohne arm zu werden“, SZ 6./.8.2011, S. 30. 2 Udsching, SGB XI, § 13 Rn. 13. 3 Pfitzner, in: Beck´scher Online Kommentar zum Sozialrecht, § 18 SGB XI. 4 Leistungen wegen drohender Pflegebedürftigkeit erbringen die Krankenkassen (§§ 11Abs. 2 S. 1, 23 Abs. 1 Nr. 4, Abs., 2 Abs. 4 SGB V) ebenso wie Leistungen zur Beseitigung, Minderung, Milderung oder gegen die Verschlimmerung von Pflegebedürftigkeit (§ 11 Abs,. 2, 40 Abs. 1, 2 SGB V), vgl. Lackwitz/Schellhorn/Welti, HK SGB IX, § 8 Rn. 33. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 5 2. Leistungen zur Pflege nach dem SGB XI 2.1. Personenkreis Um zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem SGB XI zu gehören, muss der Versicherte die Voraussetzungen erfüllen, die das Gesetz an den Begriff der Pflegebedürftigkeit knüpft (§ 14 SGB XI). Der Hilfebedarf muss auf eine körperliche, seelische oder geistige Krankheit oder Behinderung zurückzuführen sein. Der erforderliche Hilfebedarf muss bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens bestehen, zu diesen gehört der Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Außerdem muss der Hilfebedarf voraussichtlich für mindestens sechs Monate bestehen . Das bedeutet, dass die Pflegeversicherung bei einer vermutlich oder ersichtlich nur kurzfristigen Pflegebedürftigkeit aufgrund einer Erkrankung nicht greift. Zu den allgemeinen Voraussetzungen gehören überdies die Versicherung bei einer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung, die Erfüllung der Vorversicherungszeiten (§ 33 Abs. 2 SGB XI) und ein Antrag auf Leistung bei der Pflegekasse. 2.2. Umfang Der Umfang der Leistungen richtet sich nach der Intensität der Pflegebedürftigkeit. Durch die Einteilung in verschiedene Pflegestufen wird das Maß festgelegt. Dieses Prinzip der Abstufung gilt nicht bei der Verhinderungspflege, der Kurzzeitpflege, den Pflegemitteln und den Betreuungsleistungen nach § 45 b SGBXI. Bei den sonstigen Leistungen der Pflegeversicherung erfolgt eine Einordnung in drei verschiedene Pflegestufen. Die höchste Stufe 3 enthält zudem noch eine Sonderregelung für sog. Härtefälle. Die Einordnung in eine der Pflegestufen richtet sich nach dem täglichen Pflegebedarf und dem dabei notwendigen Zeitpensum. Pflegestufe 1 erreicht, wer bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt; der Zeitaufwand muss bei mindestens 90 Minuten täglich5 liegen. Wer diese Voraussetzungen nicht erfüllt, aber dennoch der Hilfe bedarf, weil er z.B. in anderen Bereichen Hilfe benötigt, kann Leistungen zur Pflege nur von der Sozialhilfe erhalten (sog. Pflegestufe 0). 2.3. Leistungsform Das Leistungsspektrum der Pflegeversicherung ist in § 28 SGB XI niedergelegt. Es umfasst 14 Leistungsarten. 1.Pflegesachleistung (§ 36), Die Dienstleistung zur häuslichen Pflege wird von zugelassenen Pflegeeinrichtungen, geeigneten Pflegekräften oder durch Einzelpersonen, mit denen die Pflegekasse einen Vertrag nach § 77 SGB XI abgeschlossen hat, erbracht. Das Beschäftigungsverhältnis wird nicht mit dem Pflegebedürftigen 5 Bei Pflegestufe 2 entsprechend 3 Stunden, bei Pflegestunden 3 sind es 5 Stunden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 6 selbst abgeschlossen, sondern mit der Einrichtung, der Pflegekraft oder der Einzelperson. Inhalt der häuslichen Pflegehilfe sind die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung. Die Leistungen sind inhaltlich und betragsmäßig (je nach Pflegestufe 440-1510 Euro) begrenzt. 2.Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen (§ 37), Das Pflegegeld ist das am häufigsten in Anspruch genommene Instrumentarium und soll die häuslich Pflege durch nahestehende Pflegepersonen ermöglichen. Es ist nach den drei Pflegestufen gestaffelt und beträgt derzeit zwischen 225-685 Euro. 3.Kombination von Geldleistung und Sachleistung (§ 38), Bei der Kombination beider Leistungen wird das Pflegegeld in Höhe des Prozentsatzes gewährt, in der die Sachleistung nicht in Anspruch genommen wird. 4.häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson (§ 39), Bei kurzfristiger Verhinderung der Pflegeperson, z.B. wegen Urlaubs oder eigener Krankheit, werden die Kosten für eine notwendige Ersatzpflege für höchstens vier Wochen im Kalenderjahr von der Pflegekasse übernommen. Der Anspruch für Aufwendungen der Ersatzpflege ist auf max. 1510 Euro pro Kalenderjahr begrenzt. Bei der Ersatzpflege durch nahe Angehörige wird (nur) das Pflegegeld gemessen an der jeweiligen Pflegestufe ausgezahlt. 5.Pflegehilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen (§ 40), Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfelds werden mit bis 2557 Euro pro Maßnahme als Kann-Leistung, zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel mit 30 Euro pro Jahr und technische Hilfsmittel unbegrenzt unterstützt, dabei wird ein Eigenanteil von 10%, max. 25 Euro pro Hilfsmittel veranschlagt. 6.Tagespflege und Nachtpflege (§ 41), Kann die häusliche Pflege nicht ausreichend sichergestellt werden, besteht ein Anspruch auf Tages- oder Nachtpflege in einer teilstationären Einrichtung einschließlich der notwendigen Beförderung . Pflegegeld und Pflegesachleistung können nach Wahl des Pflegebedürftigen auch mit einem Anspruch auf Tages- und Nachtpflege kombiniert werden. Dabei darf das 1,5 fache des jeweiligen Höchstbetrags der Sachleistung aus § 36 Abs. 3 und 4 nicht überschritten werden.6 6 Näheres mit Rechenbeispielen und Tabelle bei Griep/Renn, Pflegesozialrecht Praxiskommentar, S. 155f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 7 7.Kurzzeitpflege (§ 42), Der Anspruch auf Kurzzeitpflege in einer vollstationären Einrichtung setzt voraus, dass weder die häusliche noch die teilstationäre Pflege ausreicht. Er ist auf vier Wochen pro Kalenderjahr beschränkt und dient insbesondere der Überbrückung von Krisensituationen oder für die Übergangszeit im Anschluss an eine stationäre Behandlung. Die erstattungsfähige Höchstgrenze liegt derzeit bei 1510 Euro . 8.vollstationäre Pflege (§ 43), Kann ambulante oder teilstationäre Pflege nicht erbracht werden, gewährt die Pflegeversicherung bei vollstationärer Unterbringung je nach Pflegestufe „Sachleistungen“ in Höhe von 1023-1525 Euro pro Monat (im besonders schweren Härtefall 1825 Euro). 9.Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen (§ 43 a), Für behinderte Menschen, die in einer vollstationären Einrichtung leben, zahlt die Pflegekasse (bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen) 10% des Heimgeldes nach § 43 a SGB XI (mit einer Begrenzung auf jährlich 256 Euro). 10.Leistungen zur sozialen Sicherung der Pflegepersonen (§ 44), Hierunter fallen Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Personen, um den Arbeitsausfall zu kompensieren , der für die Pflege der Angehörigen in Kauf genommen wird, sowie der Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung. Der Pflegebedarf muss bei mind. 14 Stunden pro Woche liegen und die Pflegeperson darf nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig sein.7 11.zusätzliche Leistungen bei Pflegezeit (§ 44 a), Diese umfassen Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung werden an pflegende Personen erbracht , die von der Arbeit freigestellt sind oder nur geringfügig beschäftigt werden. 12.Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen (§ 45), Dieses Instrumentarium soll die pflegenden Personen schulen und zur Verbesserung und Erleichterung der Pflege und Betreuung beitragen sowie die körperliche und seelische Belastung der Pflegeperson mindern. 7 Eine ergänzende Leistung zur Sicherung Altersversorgung ist auch in § 65 SGB XII vorgesehen, der Anspruch richtet sich im Rahmen der Sozialhilfe indes danach, ob bereits eine angemessene Altersversorgung besteht. Dies wird in einer Einzelfallprüfung bewertet, vgl. BVerwGE 85, 103. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 8 13.zusätzliche Betreuungsleistungen (§ 45 b), Der Betrag von 100-200 Euro ist zweckgebunden für qualitätsgesicherte Betreuungsleistungen einzusetzen und dient der Erstattung von Aufwendungen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Leistungen der Tages-und Nachtpflege, der Kurzzeitpflege etc.8 14.Leistungen des Persönlichen Budgets nach § 17 Abs. 2 bis 4 des Neunten Buches (§ 35 a). Bei pflegebedürftigen Personen mit einer Behinderung können für Sachleistungen Leistungsgutscheine ausgestellt werden, die dann bei den zugelassenen Pflegeeinrichtungen eingelöst werden können. Das Pflegegeld ist budgetfähig (i.e.S.) und kann selbstbestimmt und eigenverantwortlich eingesetzt werden. 3. Verhältnis von Leistungen nach dem SGB XI zu Leistungen nach dem SGB XII Das Verhältnis der verschiedenen Leistungen zur Pflege wird in verschiedenen Regelungen festgeschrieben . 3.1. Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe Im Verhältnis von Leistungen der Pflegeversicherung gegenüber jenen der Sozialhilfe gilt zunächst einmal der Grundsatz des Vorrangs von Pflegeleistungen nach SGB XI (§ 13 Abs. 3 SGB XI). Das bedeutet, Fürsorgeleistungen zur Pflege nach dem SGB XII sind gegenüber den Pflegeleistungen nach SGB XI grundsätzlich subsidiär. Dies gilt aber nur insoweit, als die Leistungen nach dem SGB XII nicht im Einzelfall über jene Leistungen nach SGB XI hinausgehen. Der Versicherte hat somit einen Anspruch auf die jeweils „umfangreichere“ Hilfe. Dies gilt einschränkend aber nur in den Fällen, in denen auch die Leistungsvoraussetzung nach SGB XII erfüllt sind. Hierbei sind insbesondere die Einkommensgrenze sowie der Einsatz des eigenen Vermögens nach §§ 85 ff. SGB XII zu beachten. Beispiele für weitergehende ambulante Leistungen aus § 65 SGB XII sind die Übernahme der Kosten einer besonderen Pflegekraft, die Erstattung der angemessenen Aufwendungen der Pflegeperson 9 , Hilfsmittel und Kommunikationsmittel sowie Beihilfen für die Pflegeperson (auch „kleines Pflegegeld“ genannt). Die Aufwendungen der Pflegeperson müssen nachgewiesen werden , die Angemessenheit findet ihre Grenze in den Kosten des entsprechenden Einsatzes beruflichen Pflegekräfte.10 Diese Pflegekraftkostenübernahme erscheint als die wichtigste und umfangreichste Leistung gem. § 65 SGB XII. Da auch hier der sozialhilferechtliche Bedarfsdeckelungsgrundsatz gilt, ist die 8 Näheres bei Griep/Renn, Pflegesozialrecht Praxiskommentar, S. 123. 9 Eine Pflegeperson ist (anders als im pflegewissenschaftlichen Sprachgebrauch) jeder Person, die nichterwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen in seiner häuslichen Umgebung pflegt. Sie ist zu unterscheiden von der beruflich tätigen professionellen Pflegekraft. 10 Klie, in: Hauck/Noftz/Klie, SGB XII, § 65, Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 9 Übernahme der erforderlichen Kosten nicht an das Erreichen einer bestimmten Pflegestufe gebunden oder durch das nach der Pflegestufe zugestandene Pflegegeld begrenzt. Es erfolgt indes eine Überprüfung, ob die Entlohnung der Pflegekraft angemessen ist, dabei stellt der Sozialhilfeträger einen Vergleich mit dem ansonsten üblichen Stundenlohn her. Die Gewährung dieses qualitativen Mehrbedarfs ist in § 65 SGB XII geregelt. Die dort genannten Leistungen gehen über jene der Pflegeversicherung hinaus und haben eine andere Zielrichtung. Daneben ist auch ein quantitativer Mehrbedarf z.B. in Form eines sog. „Rest-Pflegegelds“ vorgesehen .11 Der Nachrang der Leistungen zur Sozialhilfe wirkt sich erst dann aus, wenn die Leistungsvoraussetzungen des SGB XI auch tatsächlich erfüllt sind. Die Voraussetzungen sind in §14 SGB VI festgelegt (s.o., Pflegebedarf bei Verrichtungen des täglichen Lebens, Ursache in körperlicher, seelischer oder geistiger Erkrankung, mind. Pflegestufe 1, Pflegebedarf für mind. sechs Monate). Liegt der Pflegebedarf danach unterhalb der Anforderungen der Pflegestufe 1 oder ist Hilfe in anderen als den aufgeführten Verrichtungen erforderlich bzw. besteht der Pflegebedarf für weniger als sechs Monate, so ist ein Anspruch auf Leistungen zur Sozialhilfe nicht ausgeschlossen.12 Allerdings gelten für die Leistungen der Hilfe zur Pflege bestimmte Einkommensgrenzen (§§ 85ff. SGB XII). Das eigene Vermögen muss zudem bis zu bestimmten Grenzen eingesetzt werden. Der grundsätzliche Nachrang der Sozialhilfe soll das Wunsch- und Wahlrecht des Versicherten, das der Sicherung seiner Selbstbestimmung dient und damit grundrechtlich besonders geschützt ist, nicht einschränken. Das bedeutet, dass dem Versicherten die Wahl zwischen Pflegesachleistungen und Pflegegeld erhalten bleibt.13 Die Voraussetzungen, unter denen jemand als pflegebedürftig und damit anspruchsberechtigt gilt, sind nach dem SGB XI und SGB XII nicht ganz identisch. Die Definition der Pflegebedürftigkeit in § 14 SGB XI ist nicht vollständig deckungsgleich mit den Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB XII. Das SGB XII enthält insoweit einen eigenständigen sozialhilferechtlichen Pflegebedürftigkeitsbegriff, der über den des SGB XI hinausgeht( § 61 Abs. 1 S. 2). Es wird jedoch eine Harmonisierung der beiden Sozialleistungsbereiche angestrebt, so dass die Definitionen zumindest im Wesentlichen übereinstimmen. Im SGB XII sind weitergehend noch andere Krankheiten oder Behinderungen als Ursachen der Pflegebedürftigkeit aufgeführt ( § 61 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII). Durch diese „Öffnungsklausel“ soll sichergestellt werden, dass jemandem, der den strengen definitorischen Voraussetzungen nicht entspricht, dennoch Hilfe gewährt wird, wenn er nach dem Gesamtbild der Verfassung der Hilfe bedarf und Pflegeleistungen erforderlich sind.14 11 Dazu ausführlich bei Kominationsleistungen, siehe 3.3. 12 Udsching, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 13 SGB XI, Rn.8. 13 Wagner, in: Hauck/Noftz, SGB XI, § 13, Rn. 29. 14 Wagner, in: Hauck/Noftz, SGB XI, §13, Rn. 33. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 10 Daher ist auch ein Hilfebedarf bei anderen als den (in § 14 Abs. 4) aufgeführten Verrichtungen beachtlich. Hierzu gehört etwa ein Hilfebedarf bei der Kommunikation15; hier ist insbesondere der Kommunikationsbedarf bei Sprachbehinderten und Gehörlosen zu nennen. Zudem sind nach § 61 I 2 SGB XII auch solche Verrichtungen zu beachten, die zwar einem der in § 14 Abs. 4 genannten Bereiche (Körperpflege, Mobilität, Ernährung und Hauswirtschaft) zugeordnet werden können, dort aber nicht speziell aufgeführt sind; zB. Haar- und Nagelpflege, Monatshygiene bei Frauen.16 Darüber hinaus gibt es einen kleinen Personenkreis, die über keinen Krankenversicherungsschutz verfügen und deshalb keine Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen können. Bei dieser Personengruppe (Schätzung 320.000 Personen17) übernimmt die Sozialhilfe den Gesamtbedarf . Überdies kommt die Sozialhilfe auch in Not- und Eilfällen zum Tragen, wenn sich z.B. das Feststellungsverfahren zur Einordnung in eine Pflegestufe verzögert oder der Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung streitig ist. 3.2. Das Konkurrenzverhältnis bei einzelnen Leistungen Trotz des Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe kommt es häufig zu einem Nebeneinander von Leistungen der Pflegeversicherung und der Hilfe zu Pflege nach dem SGB XII, was sich auch durch die unterschiedlichen Systeme der Sozialleistungsbereiche erklärt. Während der Sozialhilfeträger aufgrund des Bedarfsdeckungsprinzips einen umfassenden Hilfsauftrag für behinderte Menschen zu erfüllen hat, garantiert die Pflegeversicherung mit ihrem auf bestimmte Beträge begrenzten Leistungsrahmen keine Vollabsicherung des Pflegebedarfs. 3.3. Pflegegeld und Sachleistung, bzw. Kombinationsleistungen Das System des Pflegegelds ist nach seinen Voraussetzungen und der Höhe in beiden Büchern des SGB XII und XI angeglichen. Das Pflegegeld der sozialen und privaten Pflegeversicherung wird aufgrund des Nachrangs der Sozialhilfe voll auf das Pflegegeld nach SGB XII angerechnet, so dass ein Nebeneinander oder eine Doppelleistung grundsätzlich ausscheidet. Eine weitergehende und damit nicht subsidiäre Leistung ist das Blindengeld (§ 72 SGB XII); diese Leistung wird nur zu 70% auf das Pflegegeld angerechnet. Werden Sachleistungen oder Kombinationsleistungen in Anspruch genommen, kommt darüber hinaus ein Anspruch auf ein sogenanntes Rest-Pflegegeld (§ 64 SGB XII) in Betracht. In dieser Konstellation ist eine Kombination von Leistungen aus SGB XI und XII möglich und sinnvoll, um gewissermaßen den Leistungsumfang bestmöglich auszuschöpfen. Das (Rest-)Pflegegeld kann um bis zu 2/3 gekürzt werden, die Höhe der Kürzung ist eine Ermessensentscheidung. Neben dem 15 vgl. Lachwitz/Schellhorn/Welti, SGB IX, §13 Rn. 142 bis 144, 295. 16 Udsching, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 13 SGB XI, Rn.9. 17 Wagner, in: Hauck/Noftz, SGB XI, Rn. 30. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 11 Pflegegeld nach § 36 SGB XI ist ein (Rest-)Pflegegeld nach § 64 Abs. 2 S. 2 SGB XII nicht möglich , wohl aber neben Sach- und Kombinationsleistungen. 18 Der grundsätzliche Nachrang der Sozialhilfe greift hier nicht ein, da die Leistungen der Sozialhilfe weitergehend sind als die der Pflegeversicherung. Allerdings muss der Pflegebedürftige die Leistungsvoraussetzung in § 19 Abs. 3 SGB XI erfüllen; dem Pflegebedürftigen sowie unterhaltsverpflichteten Angehörigen darf es nicht zumutbar sein, die Mittel für die Pflege selbst aufzubringen . Bei der Inanspruchnahmen von Kombinationsleistungen (Kombination aus Sachleistung und Pflegegeld) nach § 38 SGB XI muss das nach dem SGB XII geleistete Pflegegeld grundsätzlich angerechnet werden, da die Sachleistung nach § 36 SGB XI gleichartig zu der Hilfe nach § 65 Abs. 1 ist, das SGX-XII-Pflegegeld gleichartig ist mit dem Pflegegeld aus § 37 SGB XI und das Restpflegegeld nach § 38 SGB XI übersteigt. Durch die Anrechnung soll also eine Doppelleistung vermieden werden, da beide Leistungen zumindest zum Teil demselben Zweck der Sicherstellung der Pflegeversorgung dienen. Strittig ist, ob bei der Inanspruchnahme von Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI und Pflegegeld nach § 64 SGB XII zuerst angerechnet und dann gekürzt19 oder erst gekürzt und dann angerechnet werden soll.20 Die zweite Berechnungsmethode hat den Nachteil, dass das zuerst gekürzte Pflegegeld durch eine erst danach folgende Anrechnung gänzlich aufgezehrt werden kann.21 Da dies der gesetzgeberischen Intention aus § 66 Ab. 2 S. 2 SGB XII widerspricht, ist der ersten Berechnungsmethode der Vorrang zu gewähren. 3.4. Das Prinzip der Selbstobliegenheit und die Ausnahme im Arbeitgebermodell Wenn ein Leistungsanspruch gegenüber der Pflegeversicherung besteht, gilt das Prinzip der Selbstobliegenheit22; das bedeutet, die grundsätzlich nachrangige Sozialhilfe wird nicht gewährt, wenn jemand es versäumt, (zumutbar) realisierbare Ansprüche geltend zu machen (§ 66 Abs. 4 S. 1 SGB XII). Dieses Prinzip kennt indes eine in der Praxis bedeutsame Ausnahme im Bereich des sog. Arbeitgebermodells (auch Assistenzmodell genannt). Pflegekräfte dürfen im Rahmen der Pflegeversicherung kein eigenes Beschäftigungsverhältnis (mehr) mit den Pflegebedürftigen eingehen (§ 77 SGB XI). Es gibt lediglich eine Regelung für sog. Altverträge aus Gründen des Vertrauens- und Bestandsschutzes. Überdies ist es mittlerweile möglich, dass die Pflegekassen Verträge mit Einzelpersonen abschließen, wenn dies wirtschaftlich ist und dem Pflegebedürftigen besonders hilft, ein selbständiges Leben zu führen. Den Pflegekassen steht bei der Entscheidung über den Ab- 18 Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII; §66 Rn: 12f. 19 dafür: Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, Rn. 15; Hauck/Noftz, SGB XI, § 13, Rn. 35 20 dafür: Kaiser, in: Beck´scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 66SGB XII, Rn. 4. 21 Cordes, ZfF 2002, 100. 22 Wagner, in: Hauck/Noftz, SGB XI,§ 13 Rn. 37. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 12 schluss entsprechender Verträge Ermessen zu.23 Verträge mit Angehörigen sind allerdings nicht möglich. Die Pflegebedürftigen können somit regelmäßig nicht selbst als Arbeitgeber eine eigene Pflegekraft auswählen, das Beschäftigungsverhältnis wird vielmehr zwischen der Pflegekraft und der Pflegeversicherung begründet. Um hierdurch entstehende unbillige Härten zu verhindern, ist die angemessenen Kostenerstattung für eine eigens angestellte Pflegekraft nach § 65 Abs, 1, 66 Abs. 4 S. 2 SGB XII im Rahmen der Sozialhilfe möglich. Die „besondere Pflegekraft“ unterscheidet sich von den nichterwerbsmäßig tätigen Pflegepersonen durch ihre fachliche Befähigung. 24 Der Begriff ist allerdings nicht identisch mit einer „geeigneten Pflegekraft“ nach § 36 SGB XI. Als besondere Pflegekraft kommen auch Personen in Betracht, die in der Pflegeversicherung nicht zur Erbringung der Pflegesachleistung zugelassen sind.25 Es muss allerdings ein umfassendes, konkretes Konzept vorliegen, dass die Sicherstellung der Pflege belegt.26 In einem solchen Fall können die Kosten für die selbst eingestellte Pflegekraft nicht als Sachleistung i.S.d.§ 36 SGB XI verbucht werden. Die pflegebedürftige Person muss sich aber das ihr ansonsten zustehende Pflegegeld auf die Sozialhilfeleistung anrechnen lassen (§ 66 Abs. 4 S. 3 SGB XII). Auch in diesem Fall besteht ggf. ein Anspruch auf ein sog. Rest-Pflegegeld nach § 64 SGB XII27, wobei bei der Kürzung zu berücksichtigen ist, in welchem Umfang die Pflege von der besonderen Pflegekraft übernommen wird und in welchem zeitlichen Umfang die Pflegeperson eingebunden ist. In Zukunft könnte das trägerübergreifende Budget diese Praxis beenden, wenn auf die sachleistungsbasierte Vereinbarung zwischen Pflegekasse und Assistenzkraft verzichtet wird.28 3.5. Eingliederungshilfe Leistungen zur Eingliederungshilfe nach dem SGB XII (§ 54) sind ausdrücklich von dieser Regelung ausgenommen, sie sind gegenüber Pflegeleistungen nicht nachrangig, der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe ist für die in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe erbrachten Pflegeleistungen durchbrochen. 29 23 Dieses kann jedoch auf Null reduziert sein, wenn der Pflegebedürftige ein berechtigtes Interesse an der Versorgung durch eine ihm vertraute qualifizierte Pflegekraft hat, vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm SGB XII, § 66 Rn., 23a. 24 Klie, in: Hauck/Noftz/Klie, SGB XII, § 65 Rn. 7. 25 Näheres dazu bei Schlegel/Voelzke, Praxiskommentar, SGB XII, § 65 Rn. 13. 26 Meßling, in Juris Praxis Kommentar, SGB II, § 66 Rn. 47. 27 Meßling, in Juris Praxis Kommentar, SGB II, § 66 Rn. 49. 28 Klie, in Hauck/Noftz/Klie, SGB XII, § 66 Rn. 8. 29 Wagner, in: Hauck/Noftz, SGB XI, § 13 Rn. 47. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 13 Für behinderte Menschen, die in einer vollstationären Einrichtung leben, zahlt die Pflegekasse (bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen) 10% des Heimgeldes nach § 43 a SGB XI (mit einer Begrenzung auf jährlich 256 Euro). 3.6. Aufwendungen für soziale Betreuung Auch im Rahmen der Pflegeversicherung sind theoretisch Leistungen für die Kommunikation enthalten. In der Praxis hatte die darauf abzielende Einfügung in § 28 Abs. 4 S. 2 SGB XI jedoch keinerlei Auswirkung, da mit den zur Verfügung gestellten Höchstbeträgen die normale Pflege kaum gewährleistet werden kann, so dass weitere Kosten für besondere Kommunikationsbedürfnisse entweder selbst oder von der Sozialhilfe getragen werden muss. 4. Verhältnis von Leistungen nach SGB XI zu Leistungen nach SGB IX 4.1. Grundsatz des Vorrangs der Prävention Für das Verhältnis von Leistungen nach dem SGB IX zu Pflegeleistungen nach dem SGB XI ist in §31 SGB XI der Grundsatz verankert, dass die Leistungen zur Teilhabe grundsätzlichen Vorrang vor Pflegeleistungen genießen. Das bedeutet, dass vor der Inanspruchnahme von Renten- und Pflegeleistungen zunächst alle Möglichkeiten zur Rehabilitation ausgeschöpft werden müssen. Auch wenn sich im Laufe der Zeit eine Verbesserung zeigt oder Maßnahmen zur Rehabilitation erst später erfolgversprechend werden, gilt von dem Moment an erneut der Vorrang der Rehabilitation vor der Pflege. Die Pflegekassen prüfen also auch bei einer fortwährenden Leistungsgewährung die Möglichkeit einer Rehabilitation im Einzelfall. Obwohl die Pflegekassen nicht Träger der Rehabilitationsleistungen sind, kommt ihr im Eilfall eine Ersatzfunktion zu. So erbringt die Pflegekasse vorläufige medizinische Leistungen zur Rehabilitation , wenn eine sofortige Leistungserbringung erforderlich ist, um eine unmittelbar drohende Pflegebedürftigkeit zu verhindern. 30 4.2. Leistungen des Persönlichen Budgets § 17 Abs. 2-4 SGB XI regelt, dass die leistungsberechtigte Person mit Behinderung beim zuständigen Leistungsträger beantragen kann, dass ihr die Teilhabeleistung als Persönliches Budget und damit als Geldbetrag zur Verfügung gestellt wird, mit dem sie dann selbstbestimmt die erforderlichen Teilhabeleistungen „einkaufen“ kann. Das Persönliche Budget soll so bemessen werden, dass der individuelle Bedarf gedeckt wird. Die bisherige Sachleistung dient hier als Obergrenze.31 In § 35a SGB XI ist auch eine Beteiligung der Pflegekassen (sowie der Sozialhilfeträger) an einem trägerübergreifenden Persönlichen Budget vorgesehen. Als budgetfähige Leistungen kommen die häuslichen Pflege (§36), das Pflegegeld (§37), die Kombinationsleistungen (§38), die Hilfmittel (§41) und die Tages- und Nachtpflege (§41) in Betracht. Der mit dem persönlichen Budget verfolgte Paradigmenwechsel – von dem sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis und Sachleistungs- 30 Griep/Renn, Pflegesozialrecht, Praxiskommentar, S. 97, Rn. 115. 31 Griep/Renn, Pflegesozialrecht, Praxiskommentar, 13.6.1., Rn. 288. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 14 prinzip hin zur selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Marktteilnahme32 – erfährt im Rahmen der Pflegeversicherung eine erhebliche Einschränkung. Nur jene Leistungen, die ohnehin als Geldleistung vorgesehen sind (Pflegegeld und Pflegegeldanteil der Kombinationsleistung) sind wirklich budgetfähig, für die übrigen oben genannten Sachleistungen werden lediglich Gutscheine ausgestellt, die bei zugelassenen Pflegeeinrichtungen eingelöst werden können. Diese Einschränkung besteht im Rahmen der Sozialhilfe nicht. 5. Verhältnis von Leistungen nach dem SGB XI untereinander 5.1. Leistungen nach § 45 b SGB XI Die nach § 45 b SGB XI möglichen zusätzlichen Betreuungsleistungen für Pflegebedürftige mit einem erheblichen Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung werden nicht bei den Fürsorgeleistungen angerechnet und bestehen damit parallel zu weiteren Ansprüchen auf Pflegeleistungen nach dem SGB XI. Grund hierfür ist die gesetzgeberische Intention, mit den zusätzlichen Betreuungsleistungen eine effektive Entlastung der Angehörigen bewirken zu wollen. Dieses Ziel könnte mit einer Anrechnung der Leistungen nicht erreicht werden.33 Leistungen nach § 45 b SGB XI überschneiden sich sowohl mit pflegerischen als auch mit Teilhabeleistungen; sie schließen aber nach dem Sinn der Vorschrift auch weitergehende Leistungen, z.B. nach § 53, 65 SGB XII nicht aus. 5.2. Vorrang von ambulanten Leistungen Sowohl innerhalb der Pflegeversicherung als auch im Rahmen der Sozialhilfe gilt grundsätzlich der Vorrang von ambulanten Leistungen vor (teil)stationären Leistungen. Dieses Prinzip kann mit dem Wahlrecht der Pflegebedürftigen im Einzelfall kollidieren. Der Vorrang wird unter anderem dadurch durchgesetzt, dass Leistungen in stationären Einrichtungen nur dann (teil)finanziert werden, wenn diese notwendig sind und eine ambulante Pflege nicht möglich oder nicht ausreichend ist. Entscheidet sich der Pflegebedürftige dennoch für eine stationäre Einrichtung, kann er nur die Kosten geltend machen, die er bei einer ambulanten Pflege ersetzt bekäme. Der grundsätzliche Vorrang wird dort unterbrochen, wo das Prinzip der Wirtschaftlichkeit eine andere Bewertung erfordert. Schließlich können die Leistungen bei häuslicher Pflege einschließlich der Leistungen für behandlungspflegerische Maßnahmen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege (§ 37 SGB V) und die ergänzende Tages- bzw. Nachtpflege insgesamt deutlich höher sein als das entsprechende Gesamtheimentgeld bei einer Pflege in einem Pflegeheim. Sprechen Gründe der Wirtschaftlichkeit demnach für eine stationäre Unterbringung, muss zunächst die 32 Griep/Renn, Pflegesozialrecht, Praxiskommentar, 13.6.1., Rn. 288. 33 Auch ein Leistungsanspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V bleibt bei festgestellter Pflegebedürftigkeit nach § 14 SGB XI zunächst unberührt. Allerdings dürfen die Versicherten auch keine Doppelleistungen erhalten. Pflegebedürftige, die Anspruch sowohl auf häusliche Krankenpflege gegenüber der Krankenkasse als auch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung haben, verfügen bezogen auf verrichtungsbezogene Maßnahmen der Behandlungspflege, die vom Grundpflegekatalog des § 14 SGB XI erfasst werden, über ein Wahlrecht, vgl. Pfitzner, in: Rolfs/ Giesen/ Kreikebohm/ Udsching, Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 14 SGB XI, Rn 134a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/83 Seite 15 Zumutbarkeit der stationären Leistung geprüft werden. Bei Zumutbarkeit einer solchen Unterbringung ist diese bei unverhältnismäßigen Kosten für die ambulante Versorgung nach § 13 Abs. 1 S. 3 SGB XII zu erbringen. Die Unverhältnismäßigkeit der Kosten wird indes erst dann bejaht, wenn die Kosten für die ambulante Versorgung doppelt so hoch sind wie die der zumutbaren stationären Versorgung.34 6. Literatur Cordes, Michael, Zeitschrift für das Fürsorgewesen ZfF 2002, 100 Griep, Heinrich/ Renn, Heribert: Pflegesozialrecht Praxiskommentar, 4. Auflage 2008 Grube, Christian/Wahrendorf, Volker: SGB XII, Sozialhilfe, 3. Auflage 2010 Hauck, Karl/Noftz, Wolfgang: SGB XI, Soziale Pflegeversicherung, Loseblattkommentar, Stand 2011 Hauck, Karl/Noftz, Wolfgang, SGB XII, Sozialhilfe, Loseblattsammlung, Stand 2011 Lackwitz, Klaus/Schellhorn, Walter/Welti, Felix: HK SGB IX, Handkommentar zum Sozialgesetzbuch , 3. Auflage 2009 Rolfs, Christian/ Giesen, Richard/ Kreikebohm, Ralf/ Udsching, Peter: Beck´scher Online Kommentar zum Sozialrecht, Stand Juni 2011 Schellhorn, Walter/Schellhorn, Helmut/Hohm, Karl-Heinz: SGB XII, 18. Auflage 2011 Schlegel, Rainer/Voelzke, Thomas: Juris Praxiskommentar, SGB XII, 2011 Spickhoff, Andreas: Medizinrecht, 2011 Udsching, Peter: SGB XI, Soziale Pflegeversicherung, 3. Auflage 2010 7. Anlagenverzeichnis Tabelle aus Griep, Heinrich/ Renn, Heribert: Pflegesozialrecht Praxiskommentar, 4. Auflage 2008