Deutscher Bundestag Zur betäubungsmittelrechtlichen Zulässigkeit von Forschungsprojekten mit kontrollierter Abgabe von Cannabisprodukten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2016 Deutscher Bundestag WD 9 – 3000 – 081/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 2 Zur betäubungsmittelrechtlichen Zulässigkeit von Forschungsprojekten mit kontrollierter Abgabe von Cannabisprodukten Aktenzeichen: WD 9 – 3000 – 081/13 Abschluss der Arbeit: 20. November 2013 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Einführung 4 3. Zur betäubungsmittelrechtlichen Zulässigkeit von Forschungsprojekten mit kontrollierter Abgabe von Cannabisprodukten 6 3.1. Abgabe, Veräußerung und Erwerb von Betäubungsmitteln 7 3.2. Erlaubnispflicht nach § 3 Abs. 2 BtMG in besonderen Fällen 7 3.3. Das Vorliegen eines wissenschaftlichen Zwecks 9 3.4. Das Vorliegen eines im öffentlichen Interesse liegenden Zwecks 10 3.5. Prüfungsumfang und methodische Anforderungen an das Forschungsprojekt 12 3.6. Die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG 13 3.6.1. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG 13 3.6.2. § 5 Abs. 1 Nr. 3 BtMG 13 3.6.3. § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG 13 3.6.4. § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG 14 3.7. Der Versagungsgrund nach § 5 Abs. 2 BtMG 15 4. Schlussbemerkung 16 5. Literaturverzeichnis 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 4 1. Zusammenfassung Forschungsprojekte mit kontrollierter Abgabe von Cannabis sind nach geltendem Betäubungsmittelrecht nur im Rahmen einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) 1 zulässig. Die Erteilung der Erlaubnis liegt im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde. Hierbei sind wesentlich die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Forschungsprojekte mit kontrollierter Cannabisabgabe zur Überprüfung der Grundlagen und Wirkung des geltenden Verkehrsverbots können (zum Beispiel hinsichtlich ihrer Dauer, des räumlichen Einzugsbereichs , der Bedingungen der Teilnahme und der Teilnehmerzahl) sehr unterschiedlich ausfallen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind auch etwaige Risiken einzuschätzen und abzuwägen. Generelle Aussagen über die Erlaubnisfähigkeit und rechtliche Zulässigkeit dieser Projekte sind daher kaum möglich. Aus dem geltenden Betäubungsmittelrecht ergeben sich hohe Hürden für die Genehmigung entsprechender Projekte. Die Erlaubnis darf „nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken“ erteilt werden. Im Einzelfall sind die Versagungsgründe nach § 5 BtMG zu prüfen, u. a. die Frage einer Gefährdung der Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs. Nach dem BtMG wäre auch der Cannabiserwerb der einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einem Projekt erlaubnispflichtig. Die Durchführung entsprechender Genehmigungsverfahren dürfte in der Praxis auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen. 2. Einführung Der Ausarbeitung liegt folgende Frage zugrunde: Sind Forschungsprojekte zur kontrollierten, legalen Abgabe von Cannabisprodukten, in deren Rahmen die dem geltenden Cannabisverbot zugrundeliegenden Annahmen und seine beabsichtigten generalpräventiven Effekte untersucht werden sollen, mit dem geltenden Betäubungsmittelrecht vereinbar? Nach derzeitiger Rechtslage ist Cannabis ein Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes , das in Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG aufgeführt wird und daher nicht verkehrsfähig ist. Es darf weder verschrieben noch verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 3 BtMG). Ausnahmen gelten etwa für die Herstellung cannabishaltiger Fertigarzneimittel2, nicht aber für den vorliegenden Fragenkreis. Dem Cannabisverbot liegt unter anderem die Einschätzung zugrunde, dass der gelegentliche oder regelmäßige Cannabiskonsum zu erheblichen Gesundheitsgefährdungen führe und Cannabis ei- 1 Betäubungsmittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl. I S. 358), das durch Artikel 4 Absatz 7 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154) geändert worden ist. 2 Cannabis zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken ist in der Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG gelistet und daher verkehrsfähig. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 5 nen „Umsteigeeffekt“ auf härtere illegale Drogen haben könne.3 Das Verbot soll Cannabiskonsum verhindern, auch durch Verteuerung.4 Der Gesetzgeber ging hierbei davon aus, dass das generelle Cannabisverbot eine größere Anzahl potenzieller Konsumentinnen und Konsumenten abschrecke als andere rechtliche Lösungen. Es sei daher zum Rechtsgüterschutz besser geeignet als die Aufhebung der Strafdrohung.5 Dem steht die Annahme gegenüber, eine lizenzierte Abgabe von Cannabis könne eine Trennung der Märkte erreichen und damit den Umstieg auf härtere Drogen verhindern.6 Der bestehende Schwarzmarkt berge zusätzliche gesundheitliche Risiken (etwa durch den Zusatz anderer gesundheitsschädlicher Stoffe wie Blei oder Glas).7 Eine wirksame Drogenprävention mit dem Ziel der Reduzierung des riskanten Cannabisgebrauchs werde durch das Verbot behindert.8 Das Bundesverfassungsgericht wies 1994 darauf hin, dass die kriminalpolitische Diskussion darüber , ob eine Verminderung des Cannabiskonsums eher durch die generalpräventive Wirkung des Strafrechts oder aber durch die Freigabe von Cannabis und eine davon erhoffte Trennung der Drogenmärkte erreicht werde, noch nicht abgeschlossen sei: „Wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse , die zwingend für die Richtigkeit des einen oder anderen Weges sprächen, liegen nicht vor. Die internationalen Abkommen, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, setzen bei der Bekämpfung des Drogenmißbrauchs und des unerlaubten Verkehrs mit Drogen zunehmend auf den Einsatz strafrechtlicher Mittel. Ob es unter Berücksichtigung dieser internationalen Rechtsentwicklung gelingen könnte, durch eine Freigabe von Cannabisprodukten eine Trennung der Drogenmärkte im nationalen Rahmen herbeizuführen, oder ob nicht vielmehr die Bundesrepublik zu einem neuen Mittelpunkt des internationalen Drogenhandels werden würde, ist zumindest offen. Ebenso ungewiß ist, ob durch einen Wegfall des ,Reizes des Verbotenen‘ oder durch Aufklärungsmaßnahmen über die Gefahren des Cannabiskonsums eine Verminderung des Cannabisverbrauchs bewirkt werden würde.“9 Das Land Schleswig-Holstein beantragte im Jahr 1997 eine Erlaubnis für ein Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis in Apotheken (Kieler Cannabis-Projekt). Der Antrag wurde unter anderem mit der Begründung zurückgewiesen, die Risiken würden den Nutzen bei Weitem überwiegen. Zu einem Klageverfahren kam es nicht.10 3 Vgl. BT-Drs. 16/11762, S. 2 sowie Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 9. März 1994, NJW 1994, S. 1577 (1581). 4 Vgl. BT-Drs. 16/11762, S. 2. 5 BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994, NJW 1994, S. 1577 (1581). 6 Weber, Betäubungsmittelgesetz Kommentar, Einleitung Rn. 146, sowie BT-Drs. 16/11762, S. 4. 7 BT-Drs. 16/11762, S. 3. 8 BT-Drs. 16/11762, S. 3 (4). 9 BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994, NJW 1994, S. 1577 (1581). 10 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 67. Vgl. auch die Dokumentation des Antrags bei Burkhardt, Antrag des Landes Schleswig-Holstein beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Genehmigung eines Modellprojekts zur Veräußerung von Cannabisprodukten in Apotheken Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 6 3. Zur betäubungsmittelrechtlichen Zulässigkeit von Forschungsprojekten mit kontrollierter Abgabe von Cannabisprodukten Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind noch nicht genehmigte Forschungsprojekte, in deren Rahmen Cannabis legal abgegeben oder veräußert werden soll. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG bedarf derjenige, der Betäubungsmittel abgeben, veräußern oder erwerben will, einer Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann die Behörde nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BtMG). Da im Rahmen des Projekts das in der Anlage I gelistete Cannabis abgegeben werden soll, ist hierfür eine Erlaubnis des nach § 3 Abs. 2 BtMG erforderlich. Eine entsprechende Genehmigung kann auf Antrag nicht nur an wissenschaftliche Einrichtungen , Untersuchungsanstalten der Länder und Kommunalbehörden, Apotheken, private Laboratorien , Forschungsabteilungen von Pharmaunternehmen, sondern auch an Einzelpersonen erteilt werden.11 Denkbar ist auch, dass eine Kommune oder ein Bundesland in vergleichbarer Weise wie ein universitärer Forschungsbereich Träger eines Forschungsprojekts ist.12 Über die Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG ist vom BfArM nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden .13 Die Erlaubnis darf „nicht ohne triftigen Grund“ 14 verweigert werden. Bei Ermessensentscheidungen sind von der Behörde grundsätzlich die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen . Forschungsprojekte mit kontrollierter Cannabisabgabe zur Überprüfung der Grundlagen und Wirkung des geltenden Verkehrsverbots können sehr unterschiedlich ausfallen. So können die Dauer des Modellversuchs, dessen räumlicher Einzugsbereich, die Bedingungen für die Teilnahme , die erwartete oder angestrebte Teilnehmerzahl, die Zielgruppe, Sicherungsmaßnahmen gegen Missbrauch und zahlreiche weitere Faktoren stark differieren. Dementsprechend vielfältig können auch die Ergebnisse einer Nutzen-Risiko-Abwägung ausfallen. Präzise Aussagen über Erlaubnisfähigkeit und damit die rechtliche Zulässigkeit dieser Projekte sind daher kaum möglich . Aus dem geltenden Betäubungsmittelrecht ergeben sich aber einige Fragestellungen, die bei der Prüfung der Erlaubnisfähigkeit eines solchen Projekts von besonderer Bedeutung sein könnten . Diese sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. (vom 10.2.1997), StV 1997, S. 327-330. Zu weiteren Aspekten des Projekts siehe Hanssen, „Trennung der Märkte “, S. 31-59 und Raschke/Kalke, Cannabis in Apotheken. 11 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 36. Zu privaten Einzelpersonen vgl. auch Weber, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 89. 12 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 38. Verwaltungsgericht (VG) Berlin, Urteil vom 27. Juni 1996, NJW 1997, S. 816 (817). 13 Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. Mai 2005, NJW 2005, S. 3300 (3303). 14 Gutachten Prof. Dr. jur. Lorenz Böllinger und OStA Harald Hans Körner vom 15.02.2009 „Rechtsgutachten zur Erlaubnispraxis des BfArM betr. medizinische Verwendung der natürlichen Substanz Cannabis“. Online abrufbar unter: http://www.cannabis-med.org/german/gutachten_boe-koe.pdf (Stand: 4. November 2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 7 3.1. Abgabe, Veräußerung und Erwerb von Betäubungsmitteln Die Erlaubnispflicht nach § 3 BtMG bezieht sich auf bestimmte Handlungsformen (insbesondere die Abgabe, die Veräußerung und den Erwerb von Betäubungsmitteln). Eine Abgabe im Sinne des Betäubungsmittelrechts liegt vor, wenn die Verfügungsgewalt über ein Betäubungsmittel entgeltlich oder unentgeltlich auf eine andere Person übertragen wird.15 Eine Veräußerung ist hingegen die Abgabe im Rahmen eines entgeltlichen Rechtsgeschäfts.16 Erwerben bedeutet, dass die jeweilige Person „eigene tatsächliche Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel […] durch ein Rechtsgeschäft“17 erhält. Dabei kann es sich um einen entgeltlichen (zum Beispiel Kauf oder Tausch) oder unentgeltlichen Vorgang (zum Beispiel eine Schenkung ) handeln. Zwar ergibt sich aus der Rechtsprechung der Strafgerichte, dass ausnahmsweise kein Erwerb im Sinne des BtMG vorliegt, wenn Betäubungsmittel „in einzelnen Konsumportionen zum Mitgenuss oder in verbrauchsgerechter Menge zum sofortigen Gebrauch an Ort und Stelle hingegeben“18 werden. Bei den bisher bekannten Projekten (niederländische Coffeeshops, Kieler Cannabis-Projekt) bestand aber keine Verpflichtung zum Konsum des Cannabis an Ort und Stelle.19 Auf Seiten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einem solchen Projekt wird daher in der Regel ein „Erwerb“ im Sinne des BtMG vorliegen. Die hier fraglichen Forschungsprojekte wären also unter dem Gesichtspunkt der Abgabe, Veräußerung und des Erwerbs von Cannabis erlaubnispflichtig.20 3.2. Erlaubnispflicht nach § 3 Abs. 2 BtMG in besonderen Fällen Nach § 3 BtMG bedarf jeder, der ein Betäubungsmittel abgibt, veräußert oder erwirbt, einer Erlaubnis . Gemäß § 4 BtMG gelten Ausnahmen von der Erlaubnispflicht zum Beispiel für Personen, die Betäubungsmittel der Anlage III aufgrund einer ärztlichen Verschreibung erwerben (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 lit. a BtMG). Eine Ausnahme von der Erlaubnispflicht für den Erwerb von Betäubungsmitteln der Anlage I gilt hingegen nur für Probanden oder Patienten im Rahmen einer klinischen Prüfung oder in Härtefällen nach § 21 Abs. 2 Nr. 6 des Arzneimittelgesetzes (§ 4 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). 15 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 6. 16 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 29 Rn. 3. 17 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 29 Rn. 4. 18 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 29 Rn. 11. 19 Zu den niederländischen Coffeeshops vgl. die Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes vom 15. Juli 2010 in der Rechtssache C-137/09. Online abrufbar unter: http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2010-07/cp100076de.pdf (Stand 19.11.13). Zum Kieler Cannabis-Projekt vgl. Burkhardt, Antrag des Landes Schleswig-Holstein beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Genehmigung eines Modellprojekts zur Veräußerung von Cannabisprodukten in Apotheken (vom 10.2.1997), StV 1997, S. 327. Siehe auch Raschke /Kalke, Cannabis in Apotheken. 20 Soweit auch Cannabis angebaut oder hergestellt werden soll, wäre dies ebenfalls erlaubnisbedürftig (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 8 Da Cannabis im vorliegenden Fall nicht auf seine medizinischen Wirkungen hin getestet werden soll, besteht keine Ausnahme von der Erlaubnispflicht für die Erwerber. Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Modellprojekts zur kontrollierten Cannabisabgabe benötigen daher eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG.21 Dies ergibt sich auch aus § 12 BtMG. Danach dürfen Betäubungsmittel nur an Personen abgegeben werden, die eine Erlaubnis nach § 3 BtMG besitzen. Dem BtMG lassen sich keine Hinweise entnehmen, dass es eine Art „Generalerlaubnis“ für eine Einrichtung geben könnte, die neben der Erlaubnis zur Abgabe auch eine generelle Erwerbserlaubnis für alle Konsumenten umfasst.22 Vielmehr sind die Normen der § 3 und 4 BtMG auf die Erteilung individueller Erlaubnisse zugeschnitten. Im Rahmen dieser individuellen Erlaubnisverfahren wäre der einzelne Konsument als „Verantwortlicher“ im Sinne des § 5 BtMG anzusehen.23 Die Beantragung einer Erwerbserlaubnis für jeden einzelnen Konsumenten dürfte aber in der Praxis kaum durchführbar sein.24 Für das Kieler Cannabis-Projekt wäre darüberhinaus nach Auffassung des BfArM eine Genehmigung für jeden einzelnen Apotheker erforderlich gewesen.25 Soweit im Rahmen eines Modellprojekts Cannabis von mehreren unabhängigen Einrichtungen abgegeben werden sollte, könnte auch dies zu einer Multiplizierung der Genehmigungsverfahren führen. Die Antragstellerin im Fall des Kieler Cannabis-Projekts war der Auffassung, dass aufgrund der besonderen Fragestellung des Modellprojekts die auf den Einzelfall ausgerichtete Kontrolle, wie sie in § 12 BtMG ausformuliert sei, durch die Kontrolle innerhalb des Modellprojekts und der begleitenden Forschung realisiert werde.26 Allerdings finden sich in der gesichteten Literatur keine Erläuterungen dazu, aufgrund welcher Rechtsgrundlage ein solcher Verzicht auf das gesetzlich vorgesehene Genehmigungsverfahren für die Erwerber zulässig sein sollte. In der Literatur wird im Übrigen darauf hingewiesen, dass gegebenenfalls auch alle einbezogenen Cannabisanbauer und -händler einer eigenen Erlaubnis bedürften.27 21 Weber, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 9. Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar § 5 Rn. 9. 22 Ebenso Weber, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 9. Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz , Kommentar § 5 Rn. 9. 23 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 9. 24 Vgl. Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 9. Raschke /Kalke (Cannabis in Apotheken , 1997, S. 61) weisen darauf hin, dass mit zunehmender Kontrolle die Akzeptanz eines Modellversuchs sinkt. 25 Alle Hinweise in dieser Ausarbeitung auf den Inhalt der Entscheidung des BfArM über den Antrag zum Kieler Cannabis-Projekt beruhen auf den Ausführungen bei Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar . Vgl. dort § 4 Rn. 3. 26 Burkhardt, Antrag des Landes Schleswig-Holstein beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Genehmigung eines Modellprojekts zur Veräußerung von Cannabisprodukten in Apotheken (vom 10.2.1997), StV 1997, S. 327 (328). 27 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 7 Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 9 3.3. Das Vorliegen eines wissenschaftlichen Zwecks Um erlaubnisfähig zu sein, muss einem Antrag auf Cannabisabgabe ein wissenschaftlicher oder im öffentlichen Interesse liegender Zweck zugrundeliegen. Nicht erforderlich ist, dass beide Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind.28 Als Wissenschaft ist alles anzusehen, „was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist. […] Wissenschaft heißt der autonome geistige Prozess planmäßiger, methodischer und eigenverantwortlicher Suche nach Erkenntnissen sachbezogen-objektiver Wahrheit sowie kommunikativer Vermittlung solcher Erkenntnisse.“29 Bei den in dieser Ausarbeitung angesprochenen Forschungsprojekten soll es um die Frage gehen, ob die dem geltenden Cannabisverbot zugrunde liegenden Annahmen zutreffen und inwieweit die mit dem Verbot intendierten generalpräventiven Erfolge tatsächlich eintreten. Eine solche Fragestellung kann Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sein und fällt in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG.30 Die grundrechtlich garantierte Forschungsfreiheit gilt allerdings nicht schrankenlos, insbesondere dürfen nicht Grundrechte Dritter im Übermaß verletzt werden.31 Bei der Frage, ob ein wissenschaftlicher Zweck im Sinne des § 3 Abs. 2 BtMG gegeben ist, wären als verfassungsimmanente Schranken der Wissenschaftsfreiheit auch kollidierende Grundrechte zu berücksichtigen. Hierzu ist eine Abwägung vorzunehmen, um den beiden widerstreitenden Grundrechtspositionen zu praktischer Konkordanz zu verhelfen. Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin hatte über eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG betreffend die kontrollierte Abgabe von Heroin an 100 Abhängige über fünf Jahre im Rahmen eines medizinischen Forschungsprojekts32 zu entscheiden. Das Gericht ging – ohne weitere Ausführungen – davon aus, dass es für die Verletzung kollidierender Grundrechte keinerlei Anhaltspunkte gebe. Auch die ethisch-immanente Schranke des Sittengesetzes sowie Bestimmungen des Strafrechts seien ersichtlich nicht tangiert.33 Für die Frage, ob die Verletzung von Grundrechten anderer im Einzelfall dazu führt, dass eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nicht erteilt wird, wäre auf die Umstände des konkreten Falls 28 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 36 m. w. N. 29 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 37 m. w. N. 30 Ebenso Hanssen, „Trennung der Märkte“, S. 45 f. Hingegen sei das BfArM bei der Ablehnung des Kieler Cannabis -Projekts davon ausgegangen, dass dieses keinen „wissenschaftlichen Zweck“ im Sinne des § 3 Abs. 2 BtMG erfülle. 31 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 37. 32 Es handelte sich um ein wissenschaftlich begleitetes Frankfurter Diamorphinprojekt zur ärztlich kontrollierten Heroinvergabe an Schwerstabhängige („Diapro“). 33 VG Berlin, Urteil vom 27. Juni 1996, NJW 1997, S. 816 (817). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 10 abzustellen. Dabei sind auch weitergehende Aspekte verfassungsrechtlicher Natur zu berücksichtigen , die über die Fragestellung dieser Ausarbeitung hinausgehen.34 3.4. Das Vorliegen eines im öffentlichen Interesse liegenden Zwecks Liegt ein wissenschaftlicher Zweck nicht vor, käme eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur in Betracht, wenn andere im öffentlichen Interesse liegende Zwecke bejaht werden können. Nach der Rechtsprechung kann insbesondere die medizinische Versorgung einzelner oder mehrerer Personen beziehungsweise der ganzen Bevölkerung im öffentlichen Interesse liegen.35 Dies betrifft etwa den therapeutischen Einsatz von Betäubungsmitteln, was vorliegend jedoch nicht der Fall ist. Für die kontrollierte Abgabe von Cannabis im Rahmen eines Experiments wird in der Literatur teilweise das öffentliche Interesse bejaht.36 Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 9. März 199437 eine Überprüfungspflicht des geltenden Cannabisverbots statuiert habe: „Angesichts der dargestellten offenen kriminalpolitischen und wissenschaftlichen Diskussion über die vom Cannabiskonsum ausgehenden Gefahren und den richtigen Weg ihrer Bekämpfung […] hat der Gesetzgeber die Auswirkungen des geltenden Rechts unter Einschluß der Erfahrungen des Auslandes zu beobachten und zu überprüfen […]. Dabei wird er insbesondere einzuschätzen haben, ob und inwieweit die Freigabe von Cannabis zu einer Trennung der Drogenmärkte führen und damit zur Eindämmung des Betäubungsmittelkonsums insgesamt beitragen kann oder ob umgekehrt nur die strafbewehrte Gegenwehr gegen den Drogenmarkt insgesamt und die sie bestimmende organisierte Kriminalität hinreichenden Erfolg verspricht.“38 Die Erfüllung dieser vom Bundesverfassungsgericht übertragenen Prüfungspflicht liege im öffentlichen Interesse.39 Auch die Antragsteller im Kieler Cannabis-Projekt waren der Ansicht, dass das öffentliche Interesse gegeben sei, da zum einen die Klärung von wissenschaftlich umstrittenen Thesen ermög- 34 Hierzu wird auf den gesonderten Sachstand „Schutzbereich der Forschungsfreiheit“ (WD 3 – 3000 – 197) verwiesen. 35 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 58. 36 Scheerer, Cannabis als Genußmittel? ZRP 1996, S. 187 (191). 37 BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994, NJW 1994, S. 1577 (1581). 38 Der Richter Sommer äußerte in einem Sondervotum die Auffassung, dass schon zum Zeitpunkt der Entscheidung weiterer Prüfungsbedarf bestand. Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994, NJW 1994, S. 1577 (1588). 39 Scheerer, Cannabis als Genußmittel? ZRP 1996, S. 187 (191). Die Auffassung, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber verpflichtete habe, die drogenpolitischen Auswirkungen des Cannabisverbots, eventuell auch durch eine Freigabe, zu überprüfen, teilen weitere Autoren: vgl. Schneider, Haschisch im sanktionsfreien Raum, StV 1994, S. 390 sowie Hanssen, „Trennung der Märkte“, S. 58. Siehe im Übrigen auch Kniesel, Nach der Entscheidung des BVerfG zur Strafbarkeit weicher Drogen: Anfang vom Ende der Drogenpolitik durch Strafrecht , ZRP 1994, S. 352 (357). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 11 licht werde. Zum anderen solle der Umstieg von weichen zu harten Drogen vermieden und damit die allgemeine Gesundheit gefördert werden.40 Andere Autoren verneinen das öffentliche Interesse bei solchen Projekten jedenfalls dann, wenn Anträge nicht auf die Zulassung eines Ausnahmefalls abzielten, sondern das gesetzliche Verbot „in sein Gegenteil verkehren würden“. Wenn das gesetzliche Verbot und der Schutzzweck des BtMG im Kern berührt seien, gehe dies über die in § 3 BtMG vorgesehenen Verwaltungsverfahren hinaus.41 Die Erprobung einer im Verbotsumfang und im Schutzzweck geänderten Rechtslage sei Sache des Gesetz- und Verordnungsgebers.42 Ähnlich argumentierte die zuständige Behörde im Falle des Kieler Cannabis-Projekts. Geplant war, dass über fünf Jahre 50.000 bis 80.000 Cannabiskonsumenten einbezogen würden und der Versuch im weiteren Verlauf auf ganz Schleswig- Holstein ausgedehnt werden sollte.43 Er wurde unter anderem mit der Begründung abgelehnt, nur der Gesetz- und Verordnungsgeber könne über eine partielle Aufhebung des Verkehrsverbots zur Erprobung einer geänderten Rechtslage entscheiden.44 Dass diese Argumentation nicht bei jeder Erprobung einer geänderten Rechtslage Bestand haben kann, zeigt aber die bereits erwähnte Entscheidung des VG Berlin zur kontrollierten Abgabe von Heroin an Abhängige im Rahmen eines medizinischen Forschungsprojekts. Der Argumentation der zuständigen Behörde, dass eine Notwendigkeit der Prüfung bestimmter Eigenschaften von Heroin nicht bestehe, weil Heroin nicht als Substitutionsmittel anerkannt sei, folgte das Gericht nicht. Es handele sich um einen Zirkelschluss. Aus § 1 Abs. 2 BtMG45 ergebe sich, das die Einordnung der verschiedenen Betäubungsmittel in die Anlagen zum BtMG anhand wissenschaftlicher Forschungsergebnisse überdacht und geändert werden könne. Um wissenschaftliche Forschungsergebnisse zu erlangen, müsse zunächst die Möglichkeit geschaffen werden, entsprechende Forschungen durchzuführen. Dem diene die Regelung des § 3 Abs. 2 BtMG. Daher könne 40 Burkhardt, Antrag des Landes Schleswig-Holstein beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Genehmigung eines Modellprojekts zur Veräußerung von Cannabisprodukten in Apotheken (vom 10.2.1997). StV 1997, S. 327 (328). Dagegen äußert Kreuzer eine Cannabisabgabe an (gesunde) Probierer könne nicht auf Gründe des Gesundheitsschutzes oder der Gefahrenprävention gestützt werden (Kreuzer, Drogenkontrolle zwischen Repression und Therapie. NStZ 1998, S. 217, 221). 41 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 59. Ebenso Weber, Betäubungsmittelgesetz , Kommentar, § 3 Rn. 83. 42 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 48. 43 Burkhardt, Antrag des Landes Schleswig-Holstein beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Genehmigung eines Modellprojekts zur Veräußerung von Cannabisprodukten in Apotheken (vom 10.2.1997). StV 1997, S. 327 (329 f.). 44 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 59. Vgl. hierzu auch der Hinweis von Hanssen, das BfArM habe sich für unzuständig erklärt, was aber rechtswidrig sei (Hanssen, „Trennung der Märkte“, S. 45). 45 In § 1 Abs. 2 BtMG wird die Bundesregierung ermächtigt, nach Anhörung von Sachverständigen durch Rechtsverordnung die Anlagen I bis III zu ändern oder zu ergänzen, wenn dies nach wissenschaftlicher Erkenntnis wegen der Wirkungsweise eines Stoffes oder zur Kontrolle des Verkehrs mit Betäubungsmitteln erforderlich ist. In der Rechtsverordnung können einzelne Stoffe oder Zubereitungen ganz oder teilweise von der Anwendung es BtMG ausgenommen werden, soweit die Sicherheit und die Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs gewährleistet bleiben. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 12 die Versagung der Genehmigung nicht damit begründet werden, das entsprechende Betäubungsmittel sei nicht verkehrsfähig. Die Behörde müsse das Ziel des Projekts, Forschungsergebnisse zu schaffen, die Grundlage einer Neueinordnung des Betäubungsmittels sein könnten, als wissenschaftliche Zwecksetzung akzeptieren.46 Die Erlaubnisfähigkeit eines Projekts muss also nicht automatisch daran scheitern, dass eine geänderte Rechtslage ausprobiert werden soll. Für die Prüfung des öffentlichen Interesses müssten aber im Einzelfall eine ganze Reihe weiterer Faktoren bewertet werden. Entscheidend kommt es hierbei auch auf die Versagungsgründe nach § 5 BtMG an (dazu unter 3.6 und 3.7). 3.5. Prüfungsumfang und methodische Anforderungen an das Forschungsprojekt Im Hinblick auf die in Art. 5 Abs. 3 GG garantierte Forschungsfreiheit können Verwaltungsbehörden und auch Gerichte bei der Prüfung von Forschungsprojekten nur eine „qualifizierte Plausibilitätskontrolle “47 durchführen. Im Einzelnen wird hierzu darauf hingewiesen, dass die Verwaltungsbehörde sowohl entgegenstehende ethische oder rechtliche Erwägungen als auch die Frage zu prüfen habe, ob Forschungszweck und Forschungsziel mit dem Projekt überhaupt erreichbar sind. In einem wissenschaftlichen Meinungsstreit sei sie aber zur Neutralität verpflichtet .48 Wenn jedoch die mit dem Forschungsprojekt einhergehenden „Risiken für die Bevölkerung und für die Anwender durch weitgehende Kontrollen“49 minimiert werden, dürfe die Forschungsfreiheit nicht durch unverhältnismäßige Durchführungs- und Teilnahmebedingungen eingeschränkt werden.50 Hinsichtlich des Konzepts und der Methodik des Forschungsprojekts werden in der Fachliteratur detaillierte Anforderungen an die Erlaubnisfähigkeit genannt: Es müsse ein wissenschaftlicher Arbeitsansatz vorliegen, „bei dem der Umgang mit dem Betäubungsmittel nicht einem einzelnen Anwendungs- oder Konsumfall, sondern der Klärung noch unbekannter Sachverhalte dient. Von einem wissenschaftlichen Ansatz kann nur gesprochen werden, wenn sach- und fachkompetente, wissenschaftlich erfahrene Personen an einem ausgereiften, überwachten Modellvorhaben arbeiten . Das wissenschaftliche Forschungsprojekt bzw. der wissenschaftliche Modellversuch muss gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 BtMG die wissenschaftlichen Fragestellungen, die Untersuchungsmethode , das Versuchsgebiet, den Versuchszeitraum, die Auswahl der Probanden, die für das Versuchsprojekt verantwortlichen Personen, die vorgesehenen Räumlichkeiten und die benötigten Betäubungsmittelmengen unter Bezugnahme auf die einschlägige wissenschaftliche Literatur benennen. Das Modellvorhaben muss eine Risikoabschätzung vornehmen, um unvertretbare Gefährdungen der Bevölkerung zu vermeiden. Das Modellvorhaben muss wissenschaftlich begleitet und in seinem Verlauf kontrolliert werden, um es bei ungünstiger Entwicklung abbrechen zu 46 Zustimmend zu dieser Entscheidung Körner, StV 1996, S. 624 (625). 47 VG Berlin, Urteil vom 27. Juni 1996, NJW 1997, S. 816 (819). 48 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 39. 49 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 45. 50 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 45. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 13 können. Das Modellvorhaben muss reversibel sein, d. h. bei Beendigung des Modellvorhabens müssen die Anfangsbedingungen wiederherstellbar sein.“51 3.6. Die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG Nach § 5 Abs. 1 BtMG ist die Erlaubnis in bestimmten Fällen zwingend zu versagen. Versagungsgründe sind das Fehlen eines Verantwortlichen in den Betriebsstätten (Abs. 1 Nr. 1), fehlende Sachkenntnis oder Unzuverlässigkeit der Verantwortlichen (Abs. 1 Nr. 2 und 3), ungeeignete Räume, Einrichtungen oder Sicherungen (Abs. 1 Nr. 4), die Gefährdung der Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs aus anderen Gründen (Abs. 1 Nr. 5), die Unvereinbarkeit mit den Zwecken des BtMG (Abs. 1 Nr. 6) sowie die fehlende Nachbesserung eines mangelhaften Antrags (Abs. 1 Nr. 7). Ob einer dieser Versagungsgründe vorliegt, kann nur im konkreten Fall beurteilt werden. Aus der ausgewerteten Literatur ergeben sich allerdings Hinweise auf mögliche Problemlagen bei Modellprojekten für eine kontrollierte Cannabisabgabe. 3.6.1. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG Im Zusammenhang mit Coffeeshops ergeben sich möglicherweise Probleme der Eignung der Räume (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) und der erforderlichen Sachkenntnis der Verantwortlichen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 3 BtMG).52 3.6.2. § 5 Abs. 1 Nr. 3 BtMG Bei dem Kieler Cannabis-Projekt war das BfArM der Auffassung, es müsse – im Rahmen der individuellen Erlaubnisverfahren53 – für jeden einzelnen abgebenden Apotheker und für alle Cannabiserwerber eine Zuverlässigkeitsprüfung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BtMG durchgeführt werden, denn das BtMG sehe eine „Schirmherrnerlaubnis“ nicht vor.54 3.6.3. § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG Besondere Bedeutung kommt dem Versagungsgrund der Gefährdung der Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs aus anderen Gründen (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG) zu. Für die Erlaubnisfähigkeit muss sichergestellt sein, dass Betäubungsmittel nicht in den illegalen Verkehr 51 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 3 Rn. 40. 52 Raschke /Kalke, Cannabis in Apotheken, S. 48. 53 Vgl. dazu oben unter 3.2. 54 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 14 gelangen oder sonstiger Missbrauch geübt wird. Die Feststellungslast liegt beim Antragsteller.55 Bleibt offen, ob eine Gefährdung eintreten kann, geht dies zu Lasten der Antragsteller.56 Das VG Berlin wies bei der Prüfung des Versagungsgrundes gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG darauf hin, dass auch im Rahmen der nur ausnahmsweise zu erteilenden Erlaubnis nach § 3 Abs. 3 BtMG nicht allein darauf abgestellt werden dürfe, dass es sich bei dem dort streitigen Forschungsvorhaben zur Abgabe von Heroin um einen Versuch mit einem Betäubungsmittel der Anlage I handele. Zwar berge Heroin ein erhebliches Sucht- und Gefahrenpotenzial. Es solle jedoch nach dem Ziel des geplanten Pilotprojektes nicht etwa der Verkehr mit dem genannten Rauschmittel freigegeben werden. Vielmehr wolle die Antragstellerin lediglich erforschen, ob eine Überführung von Heroin in die Anlage III zukünftig sinnvoll sein könnte. Die Zweckmäßigkeit einer Änderung oder Ergänzung der Anlagen I bis III könnte ansonsten überhaupt nicht erforscht werden . Bei geplanten Projekten mit Cannabisabgabe ist im Rahmen der Prüfung des Versagungsgrundes gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG zum Beispiel von Interesse, inwieweit eine Weitergabe an Dritte oder der Erwerb mehrerer Tages-Höchstmengen durch eine Person verhindert werden kann. In der Literatur wird teilweise davon ausgegangen, dass bei Abgabe von Cannabis in Apotheken die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet sei.57 3.6.4. § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG Im Zusammenhang mit Modellprojekten zur kontrollierten Cannabisabgabe ist auch die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG von Bedeutung. Danach ist die Erlaubnis zu versagen, wenn die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen , vereinbar ist. Substitutionsprogramme, mit denen Drogenfreiheit erst mittel- oder langfristig erreicht wird, werden durch diese Regelung nicht ausgeschlossen, wie sich aus der gesetzlichen Formulierung „soweit wie möglich“ ergibt.58 Dasselbe gilt für eine kontrollierte Heroinabgabe an Schwerstabhängige mit dem Fernziel der Überwindung der Drogenabhängigkeit der Probanden.59 55 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 12. Weber, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 33. 56 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 12. Weber, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 33. 57 Weber, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 34. 58 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, §5 Rn. 16. 59 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 15 Das Kieler Cannabis-Projekt wurde auch unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG abgelehnt, da es entgegen der Ziele des Gesetzes gesunde Personen mit schädlichen Stoffen versorge und den Missbrauch erleichtere.60 Die Antragstellerin hatte hingegen ausgeführt, das Projekt ziele darauf ab, das Hauptanliegen des Gesetzes, das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, besser erfüllen zu können. Gelegenheitskonsumenten sollten vom Markt für harte Drogen ferngehalten und so der Konsum harter Drogen gemindert werden.61 Dieser Argumentation folgend wird auch in der Literatur teilweise angenommen, dass der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG hier nicht gegeben sei.62 3.7. Der Versagungsgrund nach § 5 Abs. 2 BtMG Nach § 5 Abs. 2 BtMG kann die Erlaubnis versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist. Anders als bei den in § 5 Abs. 1 BtMG genannten absoluten Versagungsgründen steht die Entscheidung im Ermessen der Behörde.63 Ob eine Erlaubnis von Projekten zur versuchsweisen Abgabe von Cannabis den internationalen Suchtstoffübereinkommen oder europäischem Recht widerspräche, ist streitig: Die Vereinbarkeit mit internationalen Abkommen wird u. a. mit dem Hinweis begründet, es handele sich nur um eine „zeitlich befristete Datensammlung zur Frage der künftigen Haltung der Bundesrepublik“64. Die wissenschaftliche Erforschung der Cannabisabgabe an eine begrenzte Zahl von Teilnehmern sei mit Art. 4 der Single Convention von 196165 vereinbar, denn der Wortlaut des Einheits- Übereinkommens lasse erkennen, dass ein Verbot nicht immer das geeignete Mittel sei. Die Vertragsparteien seien zur generellen Ächtung von Drogen verpflichtet, aber in der Wahl der geeigneten Mittel und Wege nicht gebunden.66 Auch stehe das Abkommen einer Ausnahmegenehmi- 60 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 17. 61 Burkhardt, Antrag des Landes Schleswig-Holstein beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Genehmigung eines Modellprojekts zur Veräußerung von Cannabisprodukten in Apotheken (vom 10.2.1997). StV 1997, S. 327 (328). 62 Scheerer, Cannabis als Genußmittel? ZRP 1996, S. 187, 191. Hanssen diskutiert verschiedene Auslegungsvarianten der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Nach einer Auslegungsvariante wäre jedes Pilotprojekt, das nicht medizinisch indiziert ist, von der Erlaubnis ausgeschlossen. Nach der anderen Variante müsste eine Pilotprojekt der kontrollierten Cannabisabgabe nicht in jedem Fall an der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG scheitern (Hanssen, „Trennung der Märkte“, S. 48, Fn. 142). 63 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn 23. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005, NJW 2005, S. 3300 (3303). 64 Scheerer, Cannabis als Genußmittel? ZRP 1996, S. 187 (191). Ähnlich Hanssen, „Trennung der Märkte“, S. 133. 65 Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe – Single Convention on Narcotic Drugs – (BGBl. 1973 II S. 1353). 66 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 24. Auch Paul hält eine Cannabisfreigabe auch im Hinblick auf internationale Abkommen für „nicht gänzlich unmöglich “ (Paul, Überlegungen zum Cannabisverbot. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 2005, S. 273, 279). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 16 gung nach § 3 Abs. 2 BtMG zu wissenschaftlichen Zwecken nicht entgegen.67 Andere Autoren halten jedenfalls die endgültige Freigabe bzw. eine nur eingeschränkte Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis für unvereinbar mit internationalem Recht.68 Das BfArM hätte im Rahmen einer Ermessensentscheidung – d. h. auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des konkreten Falls – zu bewerten, ob eventuelle Bedenken gegen die Vereinbarkeit mit internationalen Abkommen dazu führen, die Erlaubnis zu versagen. 4. Schlussbemerkung Anders als der deutsche Gesetzgeber haben sich in den USA die Bundesstaaten Colorado und Washington entschieden, Erwachsenen (über 21 Jahre) den legalen Erwerb von Cannabis zu ermöglichen . Entsprechende Regelungen sollen im Januar 2014 in Kraft treten. Allerdings haben zahlreiche Kommunen in Colorado eine entsprechende gesetzliche Möglichkeit genutzt und Moratorien verhängt oder den Verkauf verboten.69 Ob sich aus dieser Entwicklung Erkenntnisse über die Wirkungen und Effekte des (hiesigen) Cannabisverbots ergeben, bleibt allerdings abzuwarten. 5. Literaturverzeichnis Böllinger, Lorenz/Körner, Harald Hans: „Rechtsgutachten zur Erlaubnispraxis des BfArM betr. medizinische Verwendung der natürlichen Substanz Cannabis“ vom 15.02.2009. Online abrufbar unter: http://www.cannabis-med.org/german/gutachten_boe-koe.pdf (Stand: 4. November 2013). Burkhardt, Sven (1997). Antrag des Landes Schleswig-Holstein beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Genehmigung eines Modellprojekts zur Veräußerung von Cannabisprodukten in Apotheken (vom 10.2.1997). Strafverteidiger (StV) 1997, S. 327-330. Hanssen, Christian (1999), „Trennung der Märkte“, Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag. Kniesel, Michael (1994), Nach der Entscheidung des BVerfG zur Strafbarkeit weicher Drogen: Anfang vom Ende der Drogenpolitik durch Strafrecht, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 1994, S. 352 – 358. Körner, Harald Hans (1996), Anmerkung zum Urteil des VG Berlin vom 27. Juni 1996, Strafverteidiger (StV) 1996, S. 624 - 625. Kreuzer, Arthur (1998), Drogenkontrolle zwischen Repression und Therapie, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 1998, S. 217 - 222. 67 Patzak, in: Körner (u. a.), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, § 5 Rn. 26. 68 Scheerer, Cannabis als Genußmittel? ZRP 1996, S. 187 (190). Weber, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, Einleitung Rn. 217. Kreuzer, Drogenkontrolle zwischen Repression und Therapie. NStZ 1998, S. 217 (221). 69 Zeit Online: Das Geschäft mit dem Gras. 7. Oktober 2013. Online abrufbar unter: http://www.zeit.de/wirtschaft/2013-10/marihuana-legalisierung-usa (Stand: 19. November 2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 081/13 Seite 17 Patzak, Jörn (2012), in: Körner, Harald Hans Körner/Patzak, Jörn/Volkmer, Mathias. Betäubungsmittelgesetz . Beck’sche Kurz-Kommentare (7., neu bearb. Aufl.), München: Beck, 2012. Paul, Andreas (2005), Überlegungen zum Cannabisverbot, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 2005, S. 273 - 289. Raschke, Peter/Kalke, Jens (1997), Cannabis in Apotheken. Kontrollierte Abgabe als Heroinprävention , Freiburg im Breisgau, Lambertus-Verlag. Scheerer, Sebastian (1996), Cannabis als Genußmittel? Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 1996, S. 187 – 191. Schneider, Hartmut (1994), Haschisch im sanktionsfreien Raum, Strafverteidiger (StV) 1994, S. 390 – 393. Weber, Klaus (2013), Betäubungsmittelgesetz, Kommentar (4., neu bearb. und erw. Aufl.), München : Beck, 2013.