Deutscher Bundestag Vorbildliche Praxisbeispiele für betriebliches Gesundheitsmanagement in den Mitgliedstaaten der EU Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2011 Deutscher Bundestag WD9 – 3000/-080/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 –3000-80/11 Seite 2 Vorbildliche Praxisbeispiele für betriebliches Gesundheitsmanagement in den Mitgliedstaaten der EU Aktenzeichen: WD9 – 3000/-080/11 Abschluss der Arbeit: 04.08.2011 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familien, Senioren, Frauen und Jugend Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 –3000-80/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Beispiele aus der Unternehmenspraxis in anderen EU- Mitgliedstaaten 5 2.1. SAB Tours (Österreich) 5 2.2. Unilever Hellas (Griechenland) 6 2.3. Trinity Hotel (Dänemark) 6 2.4. Stadtwerke Klagenfurt Gruppe (Österreich) 6 3. Bewährte Instrumente aus der Praxis 7 4. Praxisbeispiele aus Unternehmen in Deutschland 9 4.1. Landeseigenes Entsorgungsunternehmen BSR (Berlin) 9 4.2. Finanzdienstleister Schwäbisch Hall 10 5. Zusammenfassung 10 6. Quellen und Literatur 11 6.1. Literatur 11 6.2. Internet 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 –3000-80/11 Seite 4 1. Einleitung Betriebliche Gesundheitsförderung bzw. -management ist ein vergleichsweise jüngeres Thema, das über die Bereiche des klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutzes hinausgeht und Gesundheit nicht nur auf das Nichtvorhandensein von Krankheit beschränkt, sondern den Erhalt der Gesundheit und die Steigerung des Wohlbefindens der Mitarbeiter als wirtschaftlichen und unternehmenspolitischen Erfolgsfaktor begreift. Nach der Poterschen Hypothese erzeugen normative Auflagen in Unternehmen einen Innovationsdruck, der zu höherer Effizienz und damit einer verbesserten Ertragslage führt.1 Maßnahmen zur Erhaltung von Gesundheit und die Förderung gesundheitsbewussten Verhaltens führen langfristig zu einer signifikanten Senkung des Fehlstandes, einer Erhöhung der Produktivität , einer Verbesserung des allgemeinen Betriebsklimas und einer geringeren Fluktuation von Mitarbeitern2. Systematische Übersichtsarbeiten zeigen, dass Krankheitskosten und krankheitsbedingte Fehlzeiten um durchschnittlich 26% reduziert werden können.3 Da die Verantwortung in diesem Bereich zuvorderst den Arbeitgebern zufällt, besteht eine wichtige Aufgabe darin, diese zu informieren und zu motivieren, in die betrieblichen Gesundheitsförderung zu investieren. Innerhalb der EU gibt es eine Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA), die sich auch die Vermittlung von guten praktischen Lösungen im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit und die Förderung von Wissensaustausch zum Ziel gesetzt hat.4 Die aktuelle europäische Kampagne 2010/11 trägt den Titel "Gesunde Arbeitsplätze sichere Instandhaltung "5. Deren Ziel besteht darin, durch die Förderung eines integrierten und strukturierten Konzepts für die Instandhaltung auf gesunde und sichere Arbeitsplätze hinzuwirken. In diesem Zusammenhang wird zur Einreichung von Beiträgen für den zehnten Europäischen Wettbewerb für gute praktische Lösungen aufgerufen ("European Good Practice Award"). Im Rahmen der Preisverleihung werden Unternehmen bzw. Organisationen ausgezeichnet, die herausragende und innovative Beiträge zur Förderung eines integrierten Managementkonzepts für eine sichere Instandhaltung geleistet haben. Daneben gibt es ein Europäisches Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung ( The European Network for Workplace Health Promotion, ENWHP)6, das ebenfalls eine ganze Reihe von Praxisbeispielen publiziert und verschiedene Initiativen zur Gesundheitsförderung organisiert. 1 Wagner, in: The Porter Hypothesis Revisited 2 Hauck/Noftz, SGB V, § 20a, Rn.5 3 Bödeker/Kramer/Sockoll, in: Arbeit, 2009, S. 340. 4 http://osha.europa.eu/en/front-page 5 http://osha.europa.eu/de/campaigns/hw2010/about 6 http://www.enwhp.org/home.html Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 –3000-80/11 Seite 5 Die aktuelle Initiative trägt den Titel „Work in Tune“ und setzt als Schwerpunkt die Prävention von psychosozialen Risiken.7 In Deutschland hat sich eine Gemeinschaftsinitiative aus Bund, Ländern, Sozialpartnern, Sozialversicherungsträgern , Stiftungen und Unternehmen, die Initiative für eine Neue Qualität in der Arbeit (INQA)8, herausgebildet Diese Initiative hat es sich ebenfalls zum Ziel gesetzt, den Wissenstransfer zu unterstützen, innovative Projekte zu fördern und gute Praxisbeispiele zu verbreiten . 2. Beispiele aus der Unternehmenspraxis in anderen EU-Mitgliedstaaten Bei der nachfolgenden Zusammenstellung von Praxisbeispielen liegt der Fokus auf ganz konkreten Maßnahmen am Arbeitsplatz, dem Arbeitsumfeld und den Arbeitsbedingungen zur Reduzierung von arbeitsbedingtem Stress und gesundheitlichen Risiken. Das Hauptaugenmerk ist folglich nicht auf das Angebot besonderer Sport-, Ernährungs- oder Entspannungskurse gerichtet, sondern vielmehr darauf, wie durch die Beteiligung der Mitarbeiter eine ganz konkrete Verbesserung der Arbeitsplatzsituation initiiert wird. Grund für dieses Auswahlkriterium ist die Langlebigkeit einer solchen Maßnahme. Während das Interesse an Sport- oder Gesundheitskursen in der Regel recht temporär ist und ein solches Programm nur eine bestimmte, ohnehin interessierte Gruppe anspricht, ist die nachhaltige Veränderung von Arbeitsbedingungen eine Methode der Gesundheitsförderung, von der alle Arbeitnehmern profitieren. 2.1. SAB Tours (Österreich)9 In Österreich hat das Unternehmen SAB Tours herausgefunden, dass ihre Busfahrer einer ganz besonders hohen Belastung ausgesetzt sind und das eigene Stressniveau während der Arbeitszeit als sehr belastend einschätzen. Zur Reduzierung des Stressniveaus für Busfahrer haben die Verantwortlichen ein recht ungewöhnliches Mittel eingesetzt. Mithilfe von externen Experten, Psychologen und einem Kamerateam wurde ein Video hergestellt, in dem die besondere Belastung von Busfahrern im Berufsverkehr und anderen Stresssituationen aufgegriffen und dargestellt wird. Dieses Video wurde der Polizei, der Stadt und verschiedenen Verwaltungsbehörden sowie den Schulen zu Verfügung gestellt, um für Verständnis und – durch den Perspektivenwechsel – für einen rücksichtsvolleren Umgang zu werben. Damit sich die Busfahrer voll auf den Verkehr konzentrieren können, wurden außerdem neue Kassenautomaten für Tickets installiert, so dass die Busfahrer nicht mehr länger kassieren und verkaufen müssen, was eine zusätzliche Entlastung darstellt. Daneben wurden Fördermittel für den Abschluss einer Mitgliedschaft in einem Fitness-Studio bereitgestellt sowie die Möglichkeiten von Teilzeitarbeit ausgebaut. Überdies wurde ein Gesundheitszirkel eingerichtet und ver- 7 http://www.enwhp.org/enwhp-initiatives/8th-initiative-work-in-tune-with-life.html 8 http://www.inqa.de/Inqa/Navigation/inqa.html 9 http://www.enwhp.org/enwhp-initiatives/8th-initiative-work-in-tune-with-life/models-of-goodpractice .html Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 –3000-80/11 Seite 6 stärkt auf die rasche Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen geachtet. All diese Maßnahmen werden in einem jährlicher Gesundheitsreport zusammengetragen. 2.2. Unilever Hellas (Griechenland)10 Das Unternehmen Unilever Hellas in Griechenland hat ein ausgeklügeltes Benefit-System entworfen , um auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter einzugehen. Jeder Standort verfügt über einen Gesundheitsservice, der den Mitarbeitern als Ansprechpartner bei allen gesundheitlichen Fragen, die sie selbst oder auch ihre Familienmitglieder betreffen, zur Verfügung steht. Das Unternehmen setzt auf flexible Arbeitszeiten, insbesondere für arbeitende Mütter. Ein Tag pro Woche kann von zu Hause aus („Home-Office“) gearbeitet werden. Für Eltern gibt es bezahlten Erziehungsurlaub und für Mitarbeiter, die bereits seit zehn Jahren in dem Unternehmen arbeiten, gibt es zusätzliche Urlaubstage. Außerdem können pro Jahr zwei Urlaubstage zusätzlich genommen werden, wenn Familienmitglieder krank sind und versorgt werden müssen. Bei einer länger andauernden Krankheit bietet das Unternehmen für bis zu sechs Monate vollen Lohnausgleich. Den Mitarbeitern werden neben Lernangeboten auch Ausflüge und Exkursionen mit der Familie angeboten sowie psychologische Seminare. 2.3. Trinity Hotel (Dänemark)11 Um aufzuzeigen, dass auch für kleinere Unternehmen, ohne größeres Budget, mit weniger als 100 Mitarbeitern, gelungene Maßnahmen in Sachen Gesundheitsförderung möglich sind, kann das Trinity Hotel in Dänemark als Beispiel herangezogen werden. Hier arbeiten nur ca. 60 Vollzeitkräfte und 25 Teilzeitkräfte. Vorteile eines kleines Unternehmens sind kurzfristige Umsetzungsmöglichkeiten und flache Hierarchien. Das Betriebsklima ist hier von besonderer Bedeutung. Aus diesem Grund hat das Trinity Hotel ein Einführungsprogramm zum Thema „Wie akzeptiere ich einen neuen Mitarbeiter?“ entwickelt. Außerdem stellt das Unternehmen jedem neuen Mitarbeiter einen „Buddy“ als Hilfe zur Eingliederung in das Unternehmen zur Seite. Auch hier gibt es eine jährliche Befragung der Mitarbeiter, in der sie Bewertungen und Anregungen abgeben können . Ein solches Instrument ist allerdings erst ab einer gewissen Betriebsgröße sinnvoll. Zudem haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, ein persönliches Gesundheitsprofil und einen Fitnessund Aktionsplan erstellen zu lassen. Um das allgemeine Wohlbefinden zu steigern, wurde das Essen in der Kantine verbessert und das Angebot abwechslungsreicher gestaltet. 2.4. Stadtwerke Klagenfurt Gruppe (Österreich)12 In der Stadtwerke Klagenfurt Gruppe (Österreich) sah sich das Unternehmen nach einer Umstrukturierung und Privatisierung zu Maßnahmen der Gesundheitsförderung veranlasst. Veränderungen in der Unternehmensstruktur und eine hohe Mitarbeiterfluktuation hinterließen Spuren 10 http://www.enwhp.org/enwhp-initiatives/8th-initiative-work-in-tune-with-life/models-of-goodpractice .html 11 http://www.enwhp.org/enwhp-initiatives/8th-initiative-work-in-tune-with-life/models-of-goodpractice .html 12 http://www.enwhp.org/toolbox/liste_tools.php?q=6 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 –3000-80/11 Seite 7 bei der Belegschaft, sorgten für Verunsicherung und eine psychische Belastung, die sich auf die Fehltage und den allgemeinen gesundheitlichen Zustand der Mitarbeiter auswirkten. Das Unternehmen hat deshalb eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, aus denen exemplarisch einige herausgegriffen werden. Mittelfristiges Ziel war es, die Aufmerksamkeit für Maßnahmen der Gesundheitsförderung und der Prävention zu erhöhen, die Eigenmotivation zu stärken sowie die Identifikation mit dem Unternehmen zu fördern. Dabei sollte auch die Managementebene von der Wichtigkeit solcher Förderprogramme überzeugt werden. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollten sich auf das berufliche und private Leben der Mitarbeiter erstrecken. Die Mitarbeiter wurden über sämtliche Maßnahmen umfassend informiert werden, um eine höhere Akzeptanz zu erzielen. Die Einbindung älterer Mitarbeiter hat sich hierbei als besonders wichtig erwiesen. Die Befragungen ließen bei ihnen eine höhere Stressbelastung erkennen, z.B. bei Fahrern, die sich durch Staus und schwierige Fahrgäste besonders belastet fühlten. Neben Befragungen und Gesundheitszirkeln wurden auch Einzelgespräche geführt. In Zusammenarbeit mit der Managementebene, dem Betriebsarzt, dem Betriebsrat, dem Sicherheitsbeauftragten , der Marketingabteilung und externen Experten zur betrieblichen Gesundheitsförderung wurden Ziele vereinbart und Prioritäten festgelegt. Diese wurden auch intern kommuniziert . Transparenz der Ziele, der Mittel und der Methoden war von besonderer Bedeutung. Für die Manager gab es einen Workshop für Stressfaktoren im Job und Zufriedenheitsfaktoren. Zusätzlich wurde ein Workshop für „Etikette in der Kommunikation“ angeboten. Die Schulung der Mitarbeiter war auch auf eine bessere Selbstreflexion, das Erkennen von Stressfaktoren, sog. Triggern und den Umgang mit Konflikten und schwierigen sozialen Situationen angelegt. Das Unternehmen beschreibt selbst den Wechsel von Kommunikationsmustern anhand eines Beispiels : Man habe die Formel„Wir müssen…“ ausgewechselt und benutze nun die Formulierung „Wir wollen…“ . Mitarbeiter mit gesundheitlichen oder psychischen Schwierigkeiten konnten sich auch anonym beraten lassen. Weitere Angebote waren ein Entspannungskurs, ein Kurs zum Konfliktmanagement , zur Bewältigung von Arbeitsstress, psychologische Beratung, Coaching und die Möglichkeit besonderer Betreuung nach traumatischen Erlebnissen. Die Gesundheitsförderung wurde hier als wichtiger Bestandteil in die neue Unternehmenskultur aufgenommen. Transparenz und Integration der Belegschaft sind zwei Grundsätze, die hier besondere Beachtung finden. Steigende Aufmerksamkeit erlangen mittlerweile auch externe Evaluationen , um die Wirksamkeit und Akzeptanz bereits etablierter Maßnahmen zu überprüfen und die bestehenden Programme weiterzuentwickeln.13 3. Bewährte Instrumente aus der Praxis Innerhalb der Mitgliedstaaten der EU gibt es eine Fülle von verschiedenen Beispielen für sog. „best practice“ oder„Models of good practice“. Hierbei muss zwischen Großunternehmen und mittleren bis kleinen Unternehmen unterschieden werden. Je kleiner die Unternehmen sind, des- 13 vgl. Walter/Plaumann/Dubben/Nöcker, in: Prävention und Gesundheitsförderung 2011, 94ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 –3000-80/11 Seite 8 to weniger verfügen sie über zeitliche, finanzielle und personelle Ressourcen für ein ausgeklügeltes betriebliches Gesundheitsmanagement. Aber auch kleinere Programme, wie die Einrichtung eines regelmäßigen Gesundheitszirkels, der unter der Beteiligung der Belegschaft nach Problemen im Bereich des Arbeitsplatzes sucht und gemeinsam Lösungen erarbeitet, können zu einer Steigerung der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft sowie zu einer Verbesserung der Kommunikation und des Betriebsklimas sorgen.14 Grundsätzlich hat sich der – auch in §20 a SGB V vorgesehene – dreistufige Aufbau bewährt. Der erste Schritt der Erhebung und Analyse der gesundheitlichen Situation und der besonderen Risiken ermöglicht es, konkrete Ziele zu formulieren und passgenaue Lösungen zu entwerfen. Gesundheitsförderung muss sich stets an der individuellen Situation des Betriebs und der Mitarbeiter orientieren, um erfolgreich sein zu können. Zu den gängigen und gleichzeitig bewährten Instrumenten gehören die Analyse von Fehltagen, Betriebsunfällen und Unfallrisiken sowie die Erhebung von besonderen Stressfaktoren durch Mitarbeiterbefragungen15. Auf der zweiten Stufe – der sog. Konzeptentwicklung – hat sich gezeigt, dass die konkrete Befragung der Mitarbeiter nach Anregungen und Wünschen ein besonders gutes Mittel ist, um die Schwachpunkte und die Probleme am Arbeitsplatz herauszufiltern. Die Arbeitnehmer sind Experten , was ihren eigenen Arbeitsplatz angeht. Zudem führt die Einbindung der Mitarbeiter in die Lösungsfindungsprozesse zu einer erhöhten Akzeptanz neuer Maßnahmen und ist förderlich für das allgemeine Betriebsklima16. Auf der dritten Stufe – der tatsächlichen Umsetzung von Maßnahmen – werden Programme zur Gesundheitsförderung, wie z.B. Sport- und Entspannungskurse, angeboten. Dies reicht von der Förderung von Fitnessclub-Mitgliedschaften bis zu speziellen Rücken- und Haltungstrainingskursen . Zum Teil wird den Mitarbeitern zu einer individuellen Analyse ihres Trainings- und Fitnesszustands verholfen und ein individueller Trainingsplan herausgearbeitet. Dabei hat sich gezeigt , dass die Integration von Maßnahmen in den Arbeitsalltag ein Erfolgsfaktor ist. Ein Angebot erst im Anschluss an den Arbeitstag wird demgegenüber wesentlich zurückhaltender angenommen und genutzt. Als vierte – in § 20 a SGB V nicht vorgesehene – Stufe, die noch nicht so stark verbreitet ist, kommt die Evaluation bestehender Programme und Maßnahmen in Betracht17. Hierdurch wird die Wirksamkeit und Akzeptanz sowie die Zufriedenheit der Mitarbeiter erhoben und bereits etablierte Instrumente können weiterentwickelt und verbessert werden. Die Evaluation hat sich im Bereich der Gesundheitsförderung noch nicht überall durchgesetzt. Das liegt auch daran, dass die Unternehmen zunächst darauf fokussiert sind, geeignete Lösungsansätze zu erarbeiten und umzusetzen. 14 Lück/Macco/Stallauke, in: Fehlzeiten-Report 2010, S 40f. 15 Lück/Macco/Stallauke, in: Fehlzeiten-Report 2010, S 40f. 16 Lück/Macco/Stallauke, in: Fehlzeiten-Report 2010, S 40f. 17 Präventionsbericht 2010, S. 106; Präventionsbericht 2009, S.110 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 –3000-80/11 Seite 9 4. Praxisbeispiele aus Unternehmen in Deutschland 4.1. Landeseigenes Entsorgungsunternehmen BSR (Berlin)18 Beim Entsorgungsunternehmen BSR in Berlin sah man sich aufgrund jahrelangen Einstellungsstopps mit einem besonderen Demographie-Problem konfrontiert: Das Durchschnittsalter der Beschäftigen lag bei 47 Jahren. Hinzu kam, dass die in diesem Betrieb körperlich oft schwere Arbeit bei jahrzehntelanger Berufspraxis besonders spürbar war und zu Belastungserscheinungen führte. Das Unternehmen hat hierauf reagiert und eine große Anzahl von verschiedenen Maßnahmen ergriffen, um dem steigenden Arbeitsausfall durch Krankentage etc. entgegenzuwirken. Aus dem Marketingbereich wurden lustige Slogans und Claims entworfen, wie „We kehr for you“ „Promenadenwischung“ und „Fleiß am Stiel“, die für eine gute Stimmung sorgen und das positives Image des Unternehmens und die freundliche Zustimmung aus der Bevölkerung verstärken sollen. Zudem setzt das Unternehmen nicht mehr auf Outsourcing, sondern auf Insourcing. Dies bedeutet, dass Aufgaben, die früher von Fremdfirmen übernommen worden waren, wieder in das Unternehmen zurückgeholt wurden und nunmehr von Mitarbeitern mit Schwerbehinderung oder leistungsgeminderten Mitarbeitern ausgeführt werden. Hierbei handelt es sich um leichtere Tätigkeiten , wie z.B. die Reinigung, Reparatur oder Lackierung der 20.000 Papierkörbe. Auch der Einsatz von sog. Scouts, die täglich auf Berliner Boulevards und Plätzen patrouillieren und für die sog. Blitzreinigung zuständig sind, kann von dieser besonderen Mitarbeitergruppe übernommen werden. Ein Schwerpunkt im Bereich der Gesundheitsförderung liegt im Bereich der Vermeidung körperlicher Belastungen und der Erleichterung von körperlich schwerer Arbeit zur Erhaltung der Arbeitskraft . Hierfür werden z.B. neue Fahrersitze bereitgestellt oder bessere Büroeinrichtungen angeschafft. Zudem setzt das Unternehmen auf den Einsatz eines Gesundheits- und Sozialberaters als Ansprechpartner für individuelle Probleme und Anregungen. Im Bereich der Berufskleidung und der Arbeitsmittel wird auf die gesundheitspräventive Wirkung geachtet. Die Füße der Mitarbeiter werden vor jeder neuen Bestellung von Arbeitsschuhen vermessen, für besondere Einlagen gibt es einen Orthopädie-Schuhmeister. Aber auch die größeren Arbeitsmittel, wie z.B. neue Fahrzeuge werden mit niedrigeren Einstiegen bestellt, so dass das permanente Ein- und Aussteigen die Mitarbeiter weniger belastet. Überdies sind ehrenamtliche Gesundheitslotsen für die Beratung in Sachen Betriebssport, Nikotinentwöhung und Alkoholprävention zuständig. Es gibt sog. Gesundheitstage, an denen die Mitarbeiter freiwillig teilnehmen können. Für all diese Programme und Angebote gibt es einen sog. Gesundheitspass, in den eingetragen wird, welche Angebote der Mitarbeiter wahrgenommen hat. Als Belohnung werden Prämien wie Einkaufsgutscheine ausgelobt. Auch im Bereich „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist das Unternehmen tätig geworden. Flexible Arbeitszeiten sind ebenso möglich wie die Umwandlung von Gehalt in Freizeit bei Bedarf . Außerdem gibt es für den Fall, dass die Eltern kurzfristig keine Betreuungsmöglichkeit für 18 http://www.inqa.de/Inqa/Navigation/gute-praxis,did=203774.html Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 –3000-80/11 Seite 10 ihr Kind gefunden haben, für die Angestellten der Verwaltung ein sog. Eltern-Kind-Zimmer mit PC-Arbeitsplatz. 4.2. Finanzdienstleister Schwäbisch Hall19 Der Bedarf an betrieblicher Gesundheitsförderung hängt immer von dem konkreten Betätigungsfeld und den Arbeitsbedingungen der Belegschaft ab. Bei dem Finanzdienstleister Schwäbisch Hall üben die knapp 3000 Beschäftigten überwiegend eine sitzende Tätigkeit am Schreibtisch aus. Ihre Problempunkte sind daher Stress, mangelnde Bewegung, unausgewogene Ernährung und private Überlastung. Das Unternehmen setzt als Instrument für die betriebliche Gesundheitsförderung verstärkt auf sog. Gesundheitszirkel, das heißt Gesprächskreise, in denen die Mitarbeiter /innen selbst ermitteln, wie ihr Wohlbefinden am Arbeitsplatz gesteigert werden kann. Hierbei ist auch eine Beteiligung der Vorgesetzten, des Betriebsarztes und des Betriebsrats vorgesehen. Eine Befragung der Mitarbeiter hat z.B. ergeben, dass die Kommunikation zwischen den Teilzeitkräften verbesserungswürdig ist. Daraufhin wurden im Gesundheitszirkel Maßnahmen zur Verbesserung des Informationsaustausches erarbeitet. Mitarbeiter der Call-Center wünschten sich einen geringeren Lärmpegel. Da eine völlige Umstrukturierung der Arbeitsplätze nicht umsetzbar war, setzte man auf Stimmtrainingskurse, um den Einsatz der Stimme zu verbessern und den Lärmpegel insgesamt zu senken. Daneben werden Entspannungs- und Stressmanagementkursen angeboten. Außerdem wurde ein Ruheraum für die Mitarbeiter eingerichtet. Da die Arbeit am Bildschirm zu spezifischen Haltungsproblemen führen kann, werden darüber hinaus besondere gymnastische Übungen angeboten . Die Mitarbeiter können sich zudem beim Gesundheitsdienst oder den Trainern informieren und für ein Einzelcoaching anmelden, ohne dass ihr Vorgesetzter davon erfährt. Die dabei eingehaltene Diskretion soll die Hemmschwelle senken, sich externer Hilfe zu bedienen. 5. Zusammenfassung Bei der Analyse der einzelnen Praxisbeispiele wird deutlich, dass es ein Paradebeispiel besonders gelungener betrieblicher Gesundheitsförderung nicht geben kann. Die möglichen Maßnahmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement hängen von der Größe des Betriebs, den Arbeitsbedingungen , dem finanziellen Budget und dem Arbeitsumfeld ab. Als erfolgversprechende Grundsätze können die Beteiligung der Mitarbeiter, und die Entwicklung gemeinsamer Ziele und Lösung genannt werden. Entwicklungsbedarf besteht hingegen noch bei der Einbindung und Beachtung besonderer Gruppen 20, wie älteren Mitarbeitern oder Mitarbeitern mit Migrationshintergrund21 innerhalb der Belegschaft . Das betriebliche Gesundheitsmanagement schafft es dank seiner monetären Effekte so- 19 http://www.inqa.de/Inqa/Navigation/gute-praxis,did=203774.html 20 Präventionsbericht 2009. S. 86. 21 Harms/Salman/Bödeker, in: Fehlzeiten-Report, S. 153ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 –3000-80/11 Seite 11 gar, den Widerspruch zwischen dem Wunsch nach Gewinnmaximierung und der Fürsorgeverpflichtung gegenüber den Arbeitnehmern aufzulösen, indem die Gesundheit der Belegschaft als Quelle der Wertschöpfung verstanden wird22. 6. Quellen und Literatur 6.1. Literatur Badura, Bernhard/Schröder, Helmut/ Klose, Jochim / Macco, Katrin; Fehlzeiten-Report 2010, Vielfalt managen: Gesundheit fördern – Potenziale nutzen, Heidelberg 2010 Bödeker, Wolfgang/ Kramer, Ina / Sockoll, Ina: Rentable Investition oder soziale Norm? Zur Wirtschaftlichkeit betrieblichen Gesundheitsmanagements, in: Arbeit, Zeitschrift für Arbeitsforschung , 2009, S. 340-352 Hauck, Karl/ Noftz, Wolfgang, SGB V Kommentar, Loseblattwerk, Stand Mai 2011, Berlin Rolfs, Christian/Giesen, Richard/Kreikebohm, Ralf/Udsching, Peter, Beck´scher Online- Kommentar Sozialrecht, Stand Juni 2011 GKV-Spitzenverband MDS, Präventionsbericht 2009 , Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ; Primärprävention und betriebliche Gesundheitsförderung, Berichtjahr 2008, Essen 2009 GKV-Spitzenverband MDS, Präventionsbericht 2010 , Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ; Primärprävention und betriebliche Gesundheitsförderung, Berichtjahr 2009, Essen 2010 6.2. Internet Hompage des Europäischen Netzwerks für betriebliche Gesundheitsförderung http://www.enwhp.org/toolbox/suche.php http://www.enwhp.org/good-whp-practice/methods-tools-mogp/model-of-good-practice/modelsof -good-practice-by-country.html http://www.enwhp.org/enwhp-initiatives/8th-initiative-work-in-tune-with-life/models-of-goodpractice .html 22 Bödeker/Kramer/Sokoll, Arbeit 2009, 342. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 –3000-80/11 Seite 12 Homepage der Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU- OSHA) http://osha.europa.eu/fop/germany/de/ Homepage der Initiative Neue Qualität der Arbeit http://www.inqa.de/Inqa/Navigation/gute-praxis,did=203774.html Homepage von Prof. Marcus Wagner, Universität Würzburg http://www.leuphana.de/institute/csm/personen/nachhaltigkeitsmanagement/marcuswagner .html