© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 – 079/20 Langzeiterkrankungen und chronische Krankheiten in Deutschland Rechtslage, Strategien und Initiativen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 079/20 Seite 2 Langzeiterkrankungen und chronische Krankheiten in Deutschland Rechtslage, Strategien und Initiativen Aktenzeichen: WD 9 - 3000 – 079/20 Abschluss der Arbeit: Datum: 10. September 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 079/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Gesetzliche Regelungen zugunsten Langzeiterkrankter und chronisch Kranker 4 2. Statistische Daten zu Langzeiterkrankungen und chronischen Krankheiten 5 3. Strategien zum Umgang mit Langzeiterkrankungen und chronischen Krankheiten 5 4. Zuständige staatliche Institutionen 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 079/20 Seite 4 1. Gesetzliche Regelungen zugunsten Langzeiterkrankter und chronisch Kranker Im deutschen Recht wird zwischen Langzeiterkrankungen und chronischen Erkrankungen unterschieden . Für Langzeiterkrankungen von Arbeitnehmern wurden im Arbeitsrecht spezielle Vorschriften geschaffen. Grundsätzlich regelt § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG), dass dem Arbeitnehmer im Krankheitsfall ein Anspruch auf Lohnfortzahlung über einen Zeitraum von sechs Wochen zusteht. Ist ein Arbeitnehmer länger als sechs Wochen erkrankt, hat er keinen Anspruch mehr auf Lohnfortzahlung, aber in der Regel einen Anspruch auf Krankengeld. Dies setzt voraus, dass der Arbeitnehmer gesetzlich krankenversichert ist. Gemäß § 44 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) besteht ein Anspruch auf Krankengeld, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist. Die Höhe des Krankengeldes berechnet sich nach § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V und beträgt in der Regel 70 Prozent des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens. Im Ausnahmefall kann der Anspruch auch höher sein, das Krankengeld darf jedoch 90 Prozent des Nettoarbeitsentgeltes nicht übersteigen. Das Krankengeld wird gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V höchstens über einen Zeitraum von 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren ausgezahlt. Abgesehen von der finanziellen Absicherung sieht das deutsche Sozialrecht mit § 74 SGB V auch eine stufenweise Wiedereingliederung für Langzeiterkrankte vor. Die Bedürfnisse von chronisch kranken Menschen finden vorwiegend im Sozialrecht Beachtung. Chronisch kranke Menschen fallen seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus dem Jahr 20131 meist in den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX)2. Sie sind deshalb wie Menschen mit einer Behinderung zu behandeln, werden durch das SGB IX besonders geschützt und erhalten einen Nachteilsausgleich. Die Regelungen über die Entgeltfortzahlung und das Krankengeld finden dabei zusätzlich Anwendung. Darüber hinaus werden chronisch kranke Menschen durch eine geringere Belastungsgrenze gemäß § 62 SGB V3 geschützt. Die Vorschrift regelt, dass chronisch kranke Menschen Zuzahlungen zu Leistungen der Gesetzlichen Krankenkasse nur bis zu einer Belastungsgrenze von eins von Hundert der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt leisten müssen, während sie für alle anderen Versicherten zwei von Hundert beträgt. Auch psychische oder seelische Erkrankungen können nach deutschem Recht eine Behinderung im Sinne des SGB IX darstellen und somit Grund für einen Nachteilsausgleich sein.4 1 EuGH, Urteil vom 11. April 2013 – C-335/11 und C-337/11 –, juris. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234), zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 14. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2789). 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477, 2482), zuletzt geändert durch Artikel 311 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). 4 Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), zuletzt geändert durch Artikel 27 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2652), Anlage zu § 2, Teil B: GdS-Tabelle, 3, Nerven und Psyche . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 079/20 Seite 5 2. Statistische Daten zu Langzeiterkrankungen und chronischen Krankheiten Für die Erhebung von Daten in Bezug auf die Verbreitung von Krankheiten ist das Robert Koch-Institut (RKI)5 zuständig. Das RKI hat zuletzt im Jahr 2015 einen umfassenden Gesundheitsbericht veröffentlicht und darin festgestellt, dass chronische Krankheiten in Deutschland immer mehr an Bedeutung gewinnen.6 Speziell zur Verbreitung von Diabetes publizierte das RKI einen Bericht für das Jahr 2019. In diesem wird festgestellt, dass 9,2 Prozent der 18- bis 79-Jährigen in Deutschland an Diabetes leiden, darunter 2,0 Prozent mit einem unerkannten Diabetes.7 Darüber hinaus veröffentlichen die Gesetzlichen Krankenkassen jährliche Gesundheitsreporte, in denen sie auch Auskunft geben über registrierte Arbeitsunfähigkeiten aufgrund chronischer Erkrankungen .8 3. Strategien zum Umgang mit Langzeiterkrankungen und chronischen Krankheiten In Bezug auf bestimmte chronische Krankheiten finden regelmäßig nationale Kongresse und Konferenzen statt. Dabei ist insbesondere die Nationale Krebskonferenz zu erwähnen, die vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mitveranstaltet wird. Hier werden Strategien zur Finanzierung , zur Forschung und zur Umsetzung des im Jahr 2008 ins Leben gerufenen „Nationalen Krebsplans“ entwickelt.9 Auch für Menschen mit Diabetes gibt es staatlich geförderte Anlaufstellen . So gibt es ein von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) initiiertes Diabetes -Informationsportal10, das durch die BZgA, das BMG sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Für bestimmte chronische Krankheiten – derzeit für Diabetes mellitus (Typ 1 und Typ 2), Brustkrebs , koronare Herzkrankheit, Asthma bronchiale, chronisch obstruktive Lungenkrankheit 5 Abrufbar in Englisch: https://www.rki.de/EN/Home/homepage_node.html. 6 Gesundheitsberichtserstattung des Bundes, gemeinsam getragen von RKI und Destatis, Gesundheit in Deutschland – die wichtigsten Entwicklungen, S. 31, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring /Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsGiD/2015/kurzfassung_gesundheit_in_deutschland .pdf?__blob=publicationFile. 7 Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Pressemitteilung, Welt-Diabetestag am 14. November – Erster Bericht zur Nationalen Diabetesüberwachung, abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium .de/presse/pressemitteilungen/2019/4-quartal/welt-diabetestag.html. 8 Abrufbar unter: BARMER: https://www.barmer.de/blob/227512/4f989562e2da4b0fbc785f15ff011ebe/data/dlarztreport 2020-komplett.pdf; DAK: https://www.dak.de/dak/bundesthemen/gesundheitsreport-2018- 2108874.html#/; Techniker Krankenkasse: https://www.tk.de/resource /blob/2080570/7b2be29d67fd4836da2e48f6362a022e/gesundheitsreport-2020-data.pdf; 9 Abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/nationaler-krebsplan .html. 10 Abrufbar unter: https://www.diabinfo.de/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 079/20 Seite 6 (COPD) und Depressionen – bieten die Gesetzlichen Krankenkassen strukturierte Behandlungsprogramme an.11 Das BMBF fördert derzeit 21 Kompetenznetzwerke für diverse Krankheitsbilder. Darunter sind auch zahlreiche chronische Krankheiten wie etwa Depression, Asthma, Schizophrenie oder Multiple Sklerose.12 Im Falle einer Diskriminierung aufgrund einer chronischen Erkrankung kann sich der oder die Betroffene an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden , um dort Hilfe zu bekommen oder um beraten zu werden.13 Zur Vermeidung der Entwicklung von stressbedingten psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz wurden bundesweit Koordinierungsstellen für die betriebliche Gesundheitsförderung eingerichtet . Derartige Koordinierungsstellen finden sich in jedem Bundesland in Zusammenarbeit mit den gesetzlichen Krankenkassen.14 Die Koordinationsstellen ermöglichen es den Unternehmen, eine umfassende Beratung zur betrieblichen Gesundheitsförderung zu erhalten und Strategien zur Umsetzung am Arbeitsplatz zu entwickeln. Zudem wurde eine Reihe von Kampagnen für bestimmte Krankheitsbilder ins Leben gerufen: Krebs: Die Deutsche Krebshilfe bietet eine umfangreiche Beratung und Hilfe für Betroffene und Angehörige an. Sie startete zur Prävention von Krebserkrankungen in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) die Initiative „Bewegung gegen Krebs“, um auf die Wichtigkeit von Sport und Bewegung in der Krebsprävention aufmerksam zu machen.15 Speziell in Bezug auf Brustkrebs wurde im Jahr 2010 auch in Deutschland die weltweit bekannte Pink Ribbon Kampagne ins Leben gerufen.16 Diabetes: Die Deutsche Diabeteshilfe hat im Jahr 2013 ihre Kampagne „Diabetes stoppen. Jetzt handeln!“ gestartet. Diese fordert bis heute die Schaffung eines Nationalen Diabetesplans für die Bundesrepublik Deutschland. Im Jahr 2019 initiierte das Helmholtz Zentrum München eine Kampagne namens: „Lasst uns über 1 reden“ um einen Dialog über die Krankheit Typ 1-Diabetes zu fördern.17 11 Sog. Disease Management Programme (DMP), abrufbar unter: https://www.g-ba.de/themen/disease-management -programme/. 12 Abrufbar auf Englisch unter: http://www.kompetenznetze-medizin.de/language/en-us/Home.aspx. 13 Abrufbar auf Englisch unter: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/EN/AdviceForIndividuals/GroundsFor- Discrimination/Disability_and_chronic_diseases/disability_node.html. 14 Abrufbar unter: https://bgf-koordinierungsstelle.de/. 15 Abrufbar unter: https://www.krebshilfe.de/informieren/ueber-krebs/ihr-krebsrisiko-senken/bewegung-undkrebs /bewegung-gegen-krebs/ueber-das-projekt/. 16 Abrufbar unter: https://www.pinkribbon-deutschland.de/. 17 Abrufbar unter: https://www.aworldwithout1.de/dialog. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 079/20 Seite 7 Depressionen: Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe macht mit diversen Plakatkampagnen und Fernsehwerbespots auf die Heilbarkeit von Depressionen aufmerksam.18 Auch die Robert-Enke- Stiftung startete im Jahr 2020 eine Plakatkampagne mit dem Slogan „Ich schaff das nicht“, um die Wichtigkeit einer frühzeitigen Behandlung von Depressionen zu vermitteln.19 Multiple Sklerose (MS): Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (dmsg) hat eine Kampagne mit TV-Werbespots unter dem Hashtag #MiteinanderStark ins Leben gerufen, in welcher Betroffene die Möglichkeit bekommen, von ihren Erfahrungen mit der Krankheit zu erzählen.20 Für diverse andere chronische Krankheiten wie etwa Morbus Crohn, Epilepsie oder Borreliose besteht ein Angebot von Beratungszentren und Selbsthilfegruppen.21 4. Zuständige staatliche Institutionen Im Rahmen der parlamentarischen Arbeit ist der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages für die Belange chronisch kranker oder langzeiterkrankter Menschen zuständig. Auf Bundesebene kümmern sich weitere Behörden und Einrichtungen um die Belange Langzeiterkrankter und chronisch Kranker: Bundesministerium für Gesundheit (BMG): Grundsätzlich ist das BMG für alle Fragen der nationalen Gesundheit zuständig. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): Hinsichtlich der Qualifizierung des Grades einer Behinderung hat das BMAS im Rahmen seiner Zuständigkeit die Versorgungsmedizin -Verordnung (VersMedV)22 erlassen. Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung23 Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Antidiskriminierungsstelle des Bundes *** 18 Abrufbar unter: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/unsere-angebote/kampagnen-und-aktionen. 19 Abrufbar unter: https://robert-enke-stiftung.de/. 20 Abrufbar unter: https://www.dmsg.de/. 21 Abrufbar unter: http://www.ced-hilfe.de/; https://www.epilepsie-vereinigung.de/; https://www.borreliosebund .de/. 22 Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), zuletzt geändert durch Artikel 27 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2652). 23 Abrufbar auf Englisch unter: https://www.behindertenbeauftragter.de/EN/Englisch.html?nn=2950120.