© 2019 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 079/19 Störungen der Geschlechtsidentität und Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen Informationen zum aktuellen Forschungsstand Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 2 Störungen der Geschlechtsidentität und Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen Informationen zum aktuellen Forschungsstand Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 079/19 Abschluss der Arbeit: 15. November 2019 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 6 2. Beiträge, die einen Überblick zur Thematik vermitteln 8 3. Die Begriffe „Geschlechtsidentitätsstörung“ und „Geschlechtsdysphorie“ in den verschiedenen diagnostischen Klassifikationssystemen 9 3.1. Die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (ICD-10-GM) 9 3.2. Die „International Classification of Diseases for Mortality and Morbidity Statistics“ der WHO (ICD-11-WHO) 11 3.3. Die „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Discorders“ der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (DSM-5) 13 4. Leitlinien und Behandlungsstandards 13 4.1. Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlung in Deutschland 13 4.1.1. Die S1-Leitlinie „Störungen der Geschlechtsidentität im Kindesund Jugendalter (F64)“ 13 4.1.2. Begutachtungsrichtlinie des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS 2009) 14 4.2. Internationale Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlung 14 4.2.1. Standards of Care der World Professional Association for Transgender Health (WPATH) 14 4.2.2. Guidelines der Endocrine Society 15 5. Datenlage zur Prävalenz und Persistenz einer Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter 15 5.1. Datenlage zur Prävalenz 15 5.2. Datenlage zur Persistenz 17 6. Die Behandlung von Geschlechtsdysphorien bzw. Geschlechtsinkongruenzen 18 6.1. Psychologische und psychiatrische Begleitung und Behandlung 19 6.1.1. Beratungs- und Unterstützungsaufgaben 19 6.1.2. Zur Frage eines etwaigen erhöhten Suizidrisikos 19 6.2. Die pubertätshemmende Hormonbehandlung 21 6.2.1. Ziele der pubertätshemmenden Hormonbehandlung 21 6.2.2. Voraussetzungen für eine pubertätsblockierende Hormonbehandlung und die fachwissenschaftliche Kontroverse über den Zeitpunkt des Beginns dieser Hormontherapie 22 6.2.2.1. Die Standards of Care der WPATH 22 6.2.2.2. Die S1-Leitlinie der DGKJP 23 6.2.2.3. Die fachwissenschaftliche Kontroverse über den Beginn einer pubertätshemmenden Hormonbehandlung 23 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 4 6.2.3. Die in der pubertätsunterdrückenden Behandlung eingesetzten Hormone und Präparate sowie deren unerwünschte Nebenwirkungen und mögliche Risiken 25 6.2.3.1. Behandlung mit GnRH-Analoga bei biologischen Jungen und biologischen Mädchen und die mit dieser Therapie möglicherweise verbundenen Nebenwirkungen 25 6.2.3.2. Behandlung mit Gestagenen bei biologischen Mädchen 28 6.2.3.3. Behandlung mit Antiandrogenen bei biologischen Jungen 29 6.2.4. Datenlage zur Häufigkeit pubertätsunterdrückender Behandlungen in Deutschland und zur Menge der an Kinder und Jugendliche verschriebenen Hormonpräparate 29 6.2.5. Anwendung von GnRH-Analoga, Gestagenen und Antiandrogenen außerhalb einer pubertätshemmenden Hormontherapie und die mit deren Einsatz verbundenen Nebenwirkungen 30 6.2.5.1. Anwendung von GnRH-Analoga 30 6.2.5.2. Anwendung von Gestagenen 31 6.2.5.3. Anwendung von Antiandrogenen 32 6.3. Die gegengeschlechtliche Hormonbehandlung 33 6.3.1. Ziel und körperliche Auswirkungen der gegengeschlechtlichen Hormontherapie 33 6.3.2. Voraussetzungen für eine gegengeschlechtliche Hormontherapie 34 6.3.2.1. Standards of Care der WPATH 34 6.3.2.2. S1-Leitlinie der DGKJP und Dutch Protocol 35 6.3.2.3. Weitere fachwissenschaftliche Stellungnahmen 35 6.3.3. Die im Rahmen einer maskulinisierenden Hormonbehandlung eingesetzten Sexualhormone 36 6.3.4. Die im Rahmen einer feminisierenden Hormontherapie eingesetzten Sexualhormone 36 6.3.5. Risiken bzw. unerwünschte Nebenwirkungen gegengeschlechtlicher Hormonbehandlungen 37 6.3.6. Datenlage zur Häufigkeit gegengeschlechtlicher Behandlungen in Deutschland und zur Menge der an Kinder und Jugendliche verschriebenen Hormonpräparate 37 6.3.7. Anwendung von Androgenen und Östrogenen außerhalb einer gegengeschlechtlichen Hormontherapie und die mit deren Einsatz verbundenen Nebenwirkungen 38 6.3.7.1. Anwendung von Androgenen 38 6.3.7.2. Anwendung von Östrogenen 39 6.4. Geschlechtsangleichende operative Eingriffe 40 6.4.1. Voraussetzungen geschlechtsangleichender operativer Maßnahmen 40 6.4.2. Überblick über die chirurgischen Maßnahmen bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Geschlechtsdysphorie 41 6.4.3. Studien zum Suizidrisiko nach einer geschlechtsangleichenden Operation 42 6.4.4. Datenlage zur Häufigkeit geschlechtsangleichender Operationen in Deutschland 42 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 5 7. Projekte und Initiativen, die sich mit Fragen der Geschlechtsidentität befassen 43 7.1. Maßnahmen der Bundesregierung 43 7.2. Beiträge zu Forschung und Lehre 43 7.3. Weitere Initiativen 44 8. Literaturverzeichnis 45 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 6 1. Einleitung Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Diagnostik und den Behandlungsmöglichkeiten bei Kindern und Jugendlichen, die den Wunsch verspüren, sich einer Geschlechtsanpassung zu unterziehen , weil ihr biologisch vorgegebenes Geschlecht und ihre erlebte Geschlechtsidentität nicht übereinstimmen. Die Situation dieser Heranwachsenden ist von der der sog. Intersexuellen zu unterscheiden, bei denen das biologische Geschlecht nicht eindeutig der Kategorie „männlich “ oder „weiblich“ zugeordnet werden kann. Mit der Frage, inwieweit Menschen, die über Geschlechtsmerkmale verfügen, die nicht ihrem Empfinden über ihr Geschlecht entsprechen, mit geschlechtsändernden Therapien behandelt werden können, hat sich in Deutschland bereits in den 1920er Jahren der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld befasst. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden in der Medizin Maßnahmen zur Behandlung der damals so bezeichneten „Transmenschen“ entwickelt, und zwar zunächst in den USA. Der Psychologe Harry Benjamin begann im Rahmen seiner Therapien damit , psychologische Beratung, Hormonbehandlungen und auch chirurgische Eingriffe als mögliche Maßnahmen für die Betroffenen vorzusehen. In Deutschland hat man sich seit den 1970er Jahren ebenfalls mehr und mehr mit diesen Behandlungsmethoden befasst.1 Das Thema Transsexualität wirft seit jeher neben den medizinischen Problemstellungen auch die Frage auf, ob und inwieweit geschlechtsangleichende Behandlungen im Einklang mit christlichen Werten stehen und wie sichergestellt werden kann, dass auch sonstige ethische Grundprinzipien hinreichend Beachtung finden.2 Die im Zusammenhang mit der Behandlung geschlechtsidentitätsgestörter Kinder und Jugendlicher in den letzten Jahrzehnten entwickelten Standards und die hierzu geführte wissenschaftliche Diskussion zeigen, dass immer wieder versucht wird, gerade auch den ethischen Herausforderungen gerecht zu werden. Am 1. Januar 1981 trat das Transsexuellengesetz (TSG)3 in Kraft, mit dem den hier Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt wurde, rechtlich in der von ihnen empfundenen Geschlechtsidentität 1 Ausführlich zur medizinischen Entwicklung: Weitzel, Transidentität/Transsexualität gestern und heute, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Hrsg., Reformation für Alle* - Transidentität , Transsexualität und Kirche, 2017, S. 6, abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/blob/114152/befae 36ba9e306d97c839eeddd3c55ff/reformation-fuer-alle---transidentitaet---transsexualitaet-und-kirche-data.pdf. 2 Siehe hierzu etwa den Beitrag von Schreiber, Geschlechtliche Vielfalt als Thema der Theologie, in: BMFSFJ (Hrsg.), Reformation für Alle* - Transidentität, Transsexualität und Kirche, 2017, S. 14, abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/blob/114152/befae36ba9e306d97c839eeddd3c55ff/reformation-fuer-alle---transidentitaet ---transsexualitaet-und-kirche-data.pdf sowie die Ausführungen von Matern, … und schuf sie als Mann und Frau, Ethische Herausforderungen transidenter Individualität aus theologischer Perspektive, in: Schochow, Gehrmann u. a. (Hrsg.), Inter* und Trans*identitäten, Ethische, soziale und juristische Aspekte, 2016, S. 135ff, vgl. darüber hinaus Lintner, Transsexualität: Identitätsfindungsprozess im Spannungsfeld von Natur, Kultur und persönlicher Reifung. Eine theologisch-ethische Auseinandersetzung, abrufbar unter: http://cejsh.icm.edu.pl/cejsh/element/bwmeta1.element.desklight-034a5425-0d29-4727-b680- 99bc24e37b8b/c/06_Lintner.pdf. 3 Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG) vom 10. September 1980 (BGBl. I S. 1654), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 3 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2787). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 7 festgelegt zu werden. Das TSG regelt nur die Änderung des Vornamens und des Personenstandes bei Transsexualität, nicht jedoch Fragen der medizinischen Behandlung. Seit einer Entscheidung des Bundessozialgerichts im Jahr 1987 wird Transsexualität in der gesetzlichen Krankenversicherung als Krankheit verstanden, mit der Folge, dass die gesetzlichen Krankenkassen bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die Kosten für geschlechtsanpassende Behandlungen übernehmen.4 Auch die private Krankenversicherung erstattet inzwischen die Krankheitskosten.5 Transsexualität bzw. Störungen der Geschlechtsidentität und Geschlechtsdysphorie werden in internationalen Diagnosesystemen klassifiziert. Maßgeblich sind insoweit die derzeit noch gültigen „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“ der WHO (ICD-10-WHO) und die auf diesem Klassifikationssystem beruhende deutsche Adaption, die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (ICD-10-GM), die „International Classification of Diseases for Mortality and Morbidity Statistics“ der WHO (ICD-11-WHO), die am 1. Januar 2022 in Kraft treten soll, sowie die „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Discorders“ der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (DSM-5). International wie auch national gibt es Leitlinien mit Empfehlungen für die Behandelnden, hierzu zählen insbesondere die Standards of Care der World Professional Association for Transgender Health (WPATH) und Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF). In der Fachliteratur besteht Einigkeit darüber, dass sich die betreffenden Kinder und Jugendlichen in einer psychisch sehr schwierigen Situation befinden und dass es an oberster Stelle stehen muss, ihnen in dieser Drucksituation bestmöglich zu helfen. In diesem Zusammenhang wird auch von Depressionen, bis hin zu Selbstmord-Fällen und Selbstmord-Absichten von Jugendlichen berichtet, die offenbar darauf zurückzuführen seien, dass sich die Betroffenen keiner geschlechtsverändernden Therapie unterzogen hätten, andererseits gebe es aber ebenso Fälle von versuchtem oder vollendeten Suizid nach einer Behandlung zur Geschlechtsumwandlung. Dies allein zeigt, dass es keine einfache Antwort auf die Frage geben kann, ob, und wenn ja, wann und wie diejenigen, die an einer Störung ihrer geschlechtlichen Identität bzw. einer Geschlechtsdysphorie leiden, zu therapieren sind. Und es zeigt außerdem, welch ein hohes Maß an Verantwortung diejenigen übernehmen, die gerade die Kinder und Jugendlichen bei diesem Thema begleiten; das gilt für die Familien, das weitere soziale Umfeld und natürlich ganz besonders für die Behandelnden, von denen erwartet wird, dass sie zu den richtigen Entscheidungen raten und diese dann auch durchführen. 4 Vgl. das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 6. August 1987, AZ: 3 RK 15/86, in: BSGE 62, 83-85. 5 Vgl. hierzu das Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 11. April 1994, AZ: 5 U 80/93, in: VersR 1995, S. 447- 449 und den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. März 1995, AZ: IV ZR 153/94, abrufbar über https://www.juris.de. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 8 Viele Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, können bislang nicht abschließend beantwortet werden, u. a. deshalb, weil bisher durchgeführte Studien aus unterschiedlichen Gründen noch nicht die nötigen Erkenntnisse liefern konnten. Dies gilt z. B. für die Frage, wie hoch der Anteil derjenigen, bei denen die Geschlechtsidentitätsstörung bzw. Geschlechtsdysphorie später in eine transsexuelle Identität des Erwachsenen einmünden wird (sog. Persisters), im Verhältnis zur Zahl derjenigen ist, die sich langfristig mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren (sog. Desisters). Unter ethischen Aspekten stellt sich hier die Frage, ob eine geschlechtsanpassende Behandlung verantwortbar ist, solange über den weiteren Verlauf Unklarheit besteht. Bei der pubertätshemmenden Behandlung ist insbesondere umstritten, zu welchem Zeitpunkt mit ihr begonnen werden sollte. Bei ihr wie auch bei der hormonellen gegengeschlechtlichen Therapie wird nach wie vor zu den Risiken der Hormonpräparate geforscht. Im Hinblick auf operative Eingriffe diskutiert man bislang noch, ob diese Behandlung das Selbstmordrisiko der Betroffenen senkt oder aber doch eher erhöht. Der Kinderpsychiater Alexander Korte, der sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt hat, fasst den derzeitigen Stand wie folgt zusammen: „Die Verantwortung, einen völlig gesunden jugendlichen Körper einer tiefgreifenden medizinischen Intervention mit irreversiblen Folgen zu unterziehen ist groß – und die Anforderungen an die behandelnden Ärzte sind dementsprechend hoch. In diesem Dilemma zwischen einer gewissen Unsicherheit bei der Indikationsstellung und dem oftmals großen Leidensdruck der Betroffenen müssen die Behandler eine Entscheidung treffen, die sich auf das langfristige Wohl dieser jungen Menschen konzentriert. Angesichts dieser Tatsache sollte das vorrangige Ziel der Forschung und die Aufgabe aller auf dem Gebiet klinisch Tätigen darin bestehen, … genauere Kenntnis darüber zu erlangen, ob und – wenn ja – welche verlässlichen Kriterien es gibt, die eine frühzeitige Einleitung einer Transitionsbehandlung vertretbar erscheinen lassen.“6 2. Beiträge, die einen Überblick zur Thematik vermitteln Eine Reihe von Experten, insbesondere Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin, Sexualwissenschaftler und Psychiater haben sich in ausführlichen Beiträgen mit den Verläufen, Diagnosen und Behandlungsmethoden zur Behebung von Störungen der geschlechtlichen Identität bzw. Geschlechtsdysphorie befasst und geben dabei auch zum Teil einen Überblick zu Studien, die in den letzten 20 Jahren durchgeführt worden sind. Korte/Wüsthof, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen, in: Kinder- und Jugendgynäkologie (Hrsg.: Oppelt/Dörr) 2015, S. 452-469 Anlage 1 Korte/Beier/Bosinski, Behandlung von Geschlechtsidentitätsstörungen (Geschlechtsdysphorie) im Kindes- und Jugendalter – Ausgangsoffene psychotherapeutische Begleitung oder frühzeitige 6 Korte/Wüsthof, Geschlechtsdypshorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen, in: Oppelt/Dörr (Hrsg.), Kinder- und Jugendgynäkologie 2015, S. 452 (468.), Anlage 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 9 Festlegung und Weichenstellung durch Einleitung einer hormonellen Therapie? In: Sexuologie 2016, S. 117-132 Anlage 2 Döhnert/Richter-Unruh/Herrmann, Geschlechtsdysphorie, Ein Überblick über die aktuelle Studienlage und die kontroverse Diskussion zur Hormontherapie im Kindes- und Jugendalter, in: Kinder- und Jugendmedizin 3/2018, S. 190-198 Anlage 3 Specht/Gesing, u. a., Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter, in: Kinder- und Jugendmedizin 2017, S. 170-176 Anlage 4 Pauli, Geschlechtsinkongruenz und Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen, in: PSYCH up2date 2017, S. 529-543 Anlage 5 Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik, Psychotherapie und Indikationsstellungen für die hormonelle Behandlung, 2. Auflage München 2019 (Auszug: S. 67-71, 145-150, 221-227, 231-246, 269-286) Anlage 6 3. Die Begriffe „Geschlechtsidentitätsstörung“ und „Geschlechtsdysphorie“ in den verschiedenen diagnostischen Klassifikationssystemen 3.1. Die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme “ (ICD-10-GM) Die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme “, 10. Revision, German Modification (ICD-10-GM) ist die amtliche Klassifikation zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung in Deutschland. Die ICD-10-GM ist in verschiedenen Fassungen und Formaten erhältlich und wird jährlich überarbeitet ; die aktualisierte Version tritt jeweils zu Jahresbeginn in Kraft und ist bis zum Ende des Jahres gültig. Seit dem 1. Januar 2019 ist die ICD-10-GM in der Version 2019 – mit Aktualisierung vom 1. November 2019 – anzuwenden (die derzeit gültige Fassung der ICD-10-GM ist im Internet abrufbar unter: https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche /htmlgm2019/). Herausgegeben wird die ICD-10-GM vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Ihre Anwendung erfolgt im ambulanten Bereich gemäß § 295 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 10 (SGB V)7 und im stationären Bereich gemäß § 301 SGB V, wonach die entsprechenden Diagnosen zu verschlüsseln sind. Bei der ICD-10-GM handelt es sich um eine Adaption der vom DIMDI ins Deutsche übertragenen „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“ der WHO (ICD-10-WHO), die zur Familie der internationalen gesundheitsrelevanten Klassifikationen gehört und weltweit zur Verschlüsselung von Diagnosen dient. Die ICD-10-GM ist eine an die Erfordernisse des deutschen Gesundheitswesens angepasste Fassung, die in Aufbau und Struktur der Vierstelligen Ausführlichen Systematik (VAS) der deutschsprachigen ICD- 10-WHO entspricht. Das Klassifikationssystem ICD-10-GM unterscheidet bei der Gruppe der sog. „Persönlichkeitsund Verhaltensstörungen (F60-F69) u. a. zwischen „Störungen der Geschlechtsidentität“, die unter F64.- gelistet werden und „Psychischen und Verhaltensstörungen in Verbindung mit der sexuellen Entwicklung und Orientierung“, die unter F66.- aufgeführt werden. Orientiert an den verschiedenen Altersgruppen hält die ICD-10-GM unter F64.- und F66.- für geschlechtsidentitätsgestörte Kinder und Jugendlicher im Einzelnen folgende Diagnosen bereit: Der Klassifikation F64.2 zufolge ist die „Störung der Geschlechtsidentität des Kindesalters“ dadurch geprägt, dass sie sich „während der frühen Kindheit, immer lange vor der Pubertät“ zeigt. Sie sei „durch ein anhaltendes und starkes Unbehagen über das zugefallene Geschlecht gekennzeichnet , zusammen mit dem Wunsch oder der ständigen Beteuerung, zum anderen Geschlecht zu gehören“. Es bestehe „eine andauernde Beschäftigung mit der Kleidung oder den Aktivitäten des anderen Geschlechtes und eine Ablehnung des eigenen Geschlechtes“. Die Diagnose erfordere „eine tief greifende Störung der normalen Geschlechtsidentität; eine bloße Knabenhaftigkeit bei Mädchen und ein mädchenhaftes Verhalten bei Jungen“ seien nicht ausreichend. Geschlechtsidentitätsstörungen bei Personen, welche die „Pubertät erreicht“ hätten oder „gerade“ erreichten, seien nicht hier, sondern unter F66.- zu klassifizieren. In der vorgenannten Beschreibung der für eine Störung der Geschlechtsidentität im Kindesalter maßgeblichen diagnostischen Kriterien fällt auf, dass ein Beginn der Symptomatik deutlich vor der Pubertät gefordert wird und die Diagnose „Störung der Geschlechtsidentität des Kindesalters (F64.2)“ bei Kindern nur bis zum Einsetzen der Pubertät vergeben werden kann. Geschlechtsidentitätsstörungen bei Kindern bzw. Jugendlichen, die schon die Pubertät, aber noch nicht das Jugendalter erreicht haben, wären nach ICD-10-GM dagegen unter „Psychische und Verhaltensstörungen in Verbindung mit der sexuellen Entwicklung und Orientierung (F66.-)“ zu klassifizieren .8). Innerhalb dieser Klassifikation werden im ICD-10-GM als Diagnosen unter anderem die „Sexuelle Reifungskrise (F66.0)“ und die „Ichdystone Sexualorientierung (F66.1)“ genannt. Nach der Klassifikation F66.0 liegt eine „Sexuelle Reifungskrise“ vor, wenn die betroffene Person „unter einer Unsicherheit hinsichtlich ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung“ leidet , verbunden mit „Ängsten oder Depressionen“. Meist komme dies bei „Heranwachsenden vor, die sich hinsichtlich ihrer homo-, hetero- oder bisexuellen Orientierung nicht sicher“ seien. Demgegenüber ist die „Ichdystone Sexualorientierung“ im Sinne der Klassifikation F66.1 7 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung – (Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477,2482), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 9. August 2019 (BGBl. I S. 1202). 8 Vgl. Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes-und Jugendalter, S. 146, Anlage 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 11 dadurch gekennzeichnet, dass „die Geschlechtsidentität oder sexuelle Ausrichtung (heterosexuell , homosexuell, bisexuell oder präpubertär) eindeutig“ ist, die betroffene Person aber den Wunsch hat, „dass diese wegen begleitender psychischer oder Verhaltensstörungen anders wäre“ und sich möglicherweise einer Behandlung unterzieht, um diese zu ändern. Nach Abschluss der Pubertät kommt die Diagnose „Transsexualismus (F64.0) in Betracht. Hierunter versteht die ICD-10-GM den „Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden“. Dieser gehe „meist mit Unbehagen oder dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen Geschlecht einher“. Zusätzlich bestehe „der Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht so weit wie möglich anzugleichen“. Preuss vertritt die Auffassung, im Hinblick auf die Gewinnung einer Prozess-Diagnose sei es zwar durchaus sinnvoll, dass die ICD-10-GM für geschlechtsdysphorische Kinder bzw. Jugendliche, die schon die Pubertät, aber noch nicht das Jugendalter erreicht hätten, als Diagnosen die „Sexuelle Reifungskrise F66.0“ und die „Ichdystone Sexualorientierung F66.1“ vorgeschlagen würde. Allerdings berge dies die Gefahr des Missverständnisses, dass für Heranwachsende zwischen dem Beginn ihrer Pubertät und dem Erreichen der Entwicklungsstufe „Jugendliche“ bzw. „Jugendlicher “ auf gar keinen Fall eine Hormonbehandlung in Betracht komme. Vielmehr werde vielfach akzeptiert, dass die Diagnose „Transsexualismus F64.0“ auch für Minderjährige vergeben werde, die erst in die Pubertät eingetreten seien. Zur Begründung weist er darauf hin, es werde viel zu wenig bedacht, dass nach ICD-10-GM die Diagnose „Transsexualismus F64.0“ nicht nur für Erwachsene, für auch für Jugendliche gelte. Lege man die gesetzliche Altersgrenze zu Grunde, so gelte die Diagnose für Personen ab dem 16. Lebensjahr; beziehe man sich auf das Entwicklungsalter, so komme die Diagnose auch für Personen in Betracht, deren Pubertät erst begonnen habe.9 Sind die vorgenannten diagnostischen Kriterien nur teilweise erfüllt oder liegen intersexuelle Fehlbildungen vor, können die ICD-10-GM-Diagnosen „Sonstige Störungen der Geschlechtsidentität (F64.8)“ oder „Störung der Geschlechtsidentität, nicht näher bezeichnet (F64.9)“ vorliegen. Nach Korte und Wüsthof gibt es eine Subgruppe von jugendlichen Patienten, die den Wunsch äußere, als Person des Gegengeschlechts leben zu wollen, jedoch keine operative Geschlechtsangleichung wünsche. Für diese Jugendlichen werde derzeit üblicherweise der Begriff „Transgender “ verwendet10. 3.2. Die „International Classification of Diseases for Mortality and Morbidity Statistics“ der WHO (ICD-11-WHO) Am 25. Mai 2019 hat die 72. Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly, WHA) die „International Classification of Diseases for Mortality and Morbidity Statistics“, 11. Revision (ICD-11-WHO) verabschiedet, die am 1. Januar 2022 in Kraft treten soll und auch im vorliegenden Zusammenhang bereits von Bedeutung ist (die Resolution zur Verabschiedung der ICD-11 9 Vgl. Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, S. 146 f, Anlage 6. 10 Vgl. Korte/Wüsthof, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen , in: Oppelt/Dörr (Hrsg.), Kinder- und Jugendgynäkologie 2015, S. 452, 453, Anlage 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 12 auf der 72. Versammlung der WHA ist im Internet abrufbar unter: http://apps.who.int/gb/ebwha /pdf_files/WHA72/A72_29-en.pdf). Sie ist das Ergebnis 12-jähriger internationaler Entwicklungsarbeit von 96 Mitgliedstaaten, an der auch das DIMDI intensiv beteiligt war. Wesentliche Gründe für die Revision waren der Wunsch, spezielle Sachverhalte differenzierter als bisher verschlüsseln zu können und die Notwendigkeit, die ICD den Bedürfnissen digitalisierter Gesundheitssysteme anzupassen. Die ICD-10-WHO wurde daher inhaltlich (medizinisch-wissenschaftliche Aspekte), strukturell (klassifikatorische Aspekte) und konzeptionell (informationstechnische Aspekte) weiterentwickelt. Der zukünftige Einsatz der ICD-11 in Deutschland zur Mortalitätsund Morbiditätsverschlüsselung ist Gegenstand von Beratungen mehrerer Arbeitsgruppen. Daran beteiligen sich neben dem Bundesministerium für Gesundheit und dem DIMDI die medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), die Selbstverwaltungspartner im Gesundheitswesen und weitere Organisationen des deutschen Gesundheitswesens. Wegen des vielfältigen Einsatzes der ICD- 10- GM besteht die Notwendigkeit, sehr sorgfältig zu evaluieren, wie sich ein Umstieg auswirkt und welche Anforderungen an eine deutsche Fassung der ICD-11 zu stellen sind. Über den konkreten Zeitpunkt einer Einführung der ICD-11 in Deutschland sind laut DIMDI derzeit noch keine Aussagen möglich.11 Zählen in der ICD-10-WHO bzw. der ICD-10-GM die Diagnosen „Störung der Geschlechtsidentität des Kindesalters (F64.2)“ und „Transsexualismus (F64.0)“ – wie bereits erwähnt – noch zu den „Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (F60-F69)“, wurden im ICD-11-WHO mit den Diagnosen „Geschlechtsinkongruenz im Kindesalter (HA61)“ und „Geschlechtsinkongruenz im Jugendund Erwachsenenalter (HA60)“ neue diagnostische Bezeichnungen geschaffen, die nunmehr in das Kapitel 17 als „ Zustände mit Bezug zur sexuellen Gesundheit“ eingeordnet worden sind. Nach Ansicht von Preuss ist es den Autoren der ICD-11-WHO damit gelungen, die seit Jahrzehnten von Gender-Aktivisten und Gender-Therapeuten geforderte „Entpathologisierung“ von transsexuellen Menschen jeden Alters „konsequent umzusetzen“. Auch von den Eltern geschlechtsvarianter Kinder und transsexuellen Jugendlichen sei dies weltweit begrüßt worden. Es handele sich hierbei um eine „erfreuliche Entwicklung“, die als „bemerkenswerter Fortschritt“ verstanden werden könne und sich mit der „historischen Entpathologisierung der Homosexualität“ vergleichen lasse.12 Zur Entwicklung und dem Wandel der diagnostischen Kategorien sowie der Entpathologisierung von Transsexualität bzw. Transidentität vgl. im Übrigen den Beitrag von Strauß/Nieder, Von Transsexualismus zur Geschlechtsdysphorie – Veränderte diagnostische Konzeptionen in der Transgender-Versorgung, in: Schochow/Gehrmann u. a. (Hrsg.), Inter* und Trans*identitäten, Ethische, soziale und juristische Aspekte, 2016, S. 57-69, Anlage 7. 11 Vgl. hierzu näher DIMDI (Hrsg.), ICD-11 – 11. Revision der ICD der WHO, abrufbar im Internet unter: https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icd/icd-11/ und DIMDI (Hrsg.), ICD-11 von der WHA verabschiedet , Pressemeldung vom 27. Mai 2019, abrufbar im Internet unter: https://www.dimdi.de/dynamic/de/dasdimdi /aktuelles/meldung/ICD-11-von-der-WHA-verabschiedet/. Der englischsprachige Originaltext der neuen ICD-11-WHO findet sich im Internet unter: https://icd.who.int/browse11/l-m/en. 12 Vgl. Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, S. 147 f, Anlage 6. Dort (S. 270-272) findet sich auch ein kurzer Überblick über die neuen diagnostischen Begriffe der „Geschlechtsinkongruenz im Kindesalter (HA61)“ und der „Geschlechtsinkongruenz im Jugend- und Erwachsenenalter (HA60) im ICD-11-WHO. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 13 3.3. Die „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Discorders“ der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (DSM-5) Die im Jahr 2013 veröffentlichte fünfte Version des „Diagnostischen und statistischen Manuals psychischer Störungen („Diagnostic and Statistical Manual of Mental Discorders DSM-5“), bildet das dominierende psychiatrische Klassifikationssystem in den USA und spielt dort eine zentrale Rolle bei der Definition von psychischen Erkrankungen. Das DSM-5 wird von der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (American Psychiatric Association, APA) herausgegeben und ist seit Mai 2013 die aktuell gültige und für die psychiatrische Diagnostik verbindliche Ausgabe. Das DSM-5 liefert im Vergleich zur ICD-11-GM präzisere, weil differenziert überprüfbare Kriterien für die Diagnose „Geschlechtsidentitätsstörung“ und weist gegenüber der Vorgängerversion DSM-4 einige bedeutsame Änderungen auf. Hervorzuheben ist insoweit vor allem, dass mit dem DSM-5 die älteren Bezeichnungen des DSM-4 „Geschlechtsidentitätsstörungen bei Kindern“ und „Geschlechtsidentitätsstörungen bei Jugendlichen und Erwachsenen“ aufgegeben wurden, um damit deutlich zu machen, dass transsexuelle Menschen weder „krank“ noch „gestört“ seien, es sich bei ihnen vielmehr um Normvarianten im „Gender-Spektrum“ handele. Krankheitswert habe jedoch das Leiden der Betroffenen darunter, dass ihr Geschlechtszugehörigkeitsgefühl nicht mit ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen übereinstimme: die Geschlechtsdysphorie. Um einer solchen phänomenologischen Reduktion auf das spezifische Leiden geschlechtsdysphorischer Menschen Rechnung zu tragen, wurden im DSM-5 deshalb die Bezeichnungen „Geschlechtsdysphorie des Kindesalters (302.6)“ und „Geschlechtsdysphorie des Jugend- und Erwachsenenalters (302.85)“ verwendet. Beide Diagnosen werden zudem in einem eigenen Kapitel und nicht mehr gemeinsam mit sexuellen Funktionsstörungen abgehandelt.13 4. Leitlinien und Behandlungsstandards 4.1. Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlung in Deutschland 4.1.1. Die S1-Leitlinie „Störungen der Geschlechtsidentität im Kindes- und Jugendalter (F64)“ Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) hat eine Reihe von Leitlinien für bestimmte Diagnosetypen bzw. Symptomenkomplexe erarbeitet, die von der AWMF bereitgestellt werden. Diese Leitlinien sind keine Rechtsnormen sondern, so die AWMF, systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen. Sie werden danach eingestuft, auf welchen Grundlagen bzw. inwieweit 13 Ein Überblick über die diagnostischen Begriffe der „Geschlechtsdysphorie des Kindesalters (302.6)“ und der „Geschlechtsdysphorie des Jugend- und Erwachsenenalters (302.85)“ im DSM-5 finden sich bei Preuss, Geschlechtsdysphorie , Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, S. 148-150, Anlage 6, und bei Korte/Wüsthof, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen , in: Oppelt/Dörr (Hrsg.), Kinder –und Jugendgynäkologie, 2015, S. 452 (454-455), Anlage 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 14 evidenzbasiert die Empfehlungen entwickelt wurden und werden dann entsprechend als S1 (Expertengruppe erarbeitet im informellen Konsens eine Empfehlung), S2e und S2k sowie S3-Leitlinien erfasst.14 Die DGKJP-Leitlinie „Störungen der Geschlechtsidentität im Kindes- und Jugendalter (F64)“ ist publiziert bei: AWMF, Stand: August 2013 (Aktualisierung geplant für September 2020), abrufbar unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-014l_S1_Störungen_Geschlechtsidentität _2013-08_01.pdf. Sie gibt den behandelnden Ärztinnen und Ärzten Empfehlungen zu den Leitsymptomen und diagnostischen Hauptkriterien für das Vorliegen einer Geschlechtsidentitätsstörung , zur störungsspezifischen Diagnostik sowie zu den in Betracht kommenden medizinischen Interventionen, insbesondere zu den verschiedenen geschlechtsangleichenden Maßnahmen. 4.1.2. Begutachtungsrichtlinie des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS 2009) Die Richtlinie, die der Spitzenverband Bund der Krankenkassen am 19. Mai 2009 erlassen hat, versteht sich als eine Begutachtungsanleitung zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen bei Transsexualität: https://www.mds-ev.de/fileadmin/dokumente/Publikationen/GKV/Begutachtungsgrundlagen _GKV/07_RL_Transsex_2009.pdf). Sie soll dazu beitragen, eine bundesweit einheitliche und koordinierte Vorgehensweise bei der Begutachtung medizinischer Fragestellungen der Transsexualität durch die Medizinischen Dienste zu gewährleisten, um Krankenkassen Entscheidungen zu beantragten medizinischen Leistungen zu ermöglichen. Die Begutachtungsanleitung benennt relevante medizinische Maßstäbe und Kriterien, die im Rahmen der sozialmedizinischen Bewertung geschlechtsangleichender Maßnahmen eingehend zu würdigen sind. Sie dient somit der formalen und inhaltlichen Qualitätssicherung und Vergleichbarkeit der Gutachten und soll sicherstellen, dass diese nach bestem Wissen auf gesicherter medizinischer Grundlage erstellt werden. 4.2. Internationale Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlung 4.2.1. Standards of Care der World Professional Association for Transgender Health (WPATH) Der Weltverband für Transgender Gesundheit (WPATH) ist ein internationaler und interdisziplinärer Fachverband, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, u. a. evidenzbasierte Versorgung, Ausbildung und Forschung zu fördern und insbesondere die Beachtung von Transgender-Gesundheitsleistungen voranzubringen. Zu den Hauptaufgaben gehört die Formulierung von Versorgungsempfehlungen für transsexuelle, transgender und geschlechtsnichtkonforme Menschen. Der WPATH hat die Standards of Care – Versorgungsempfehlungen für die Gesundheit von transsexuellen , transgender und geschlechtsnichtkonformen Personen, erarbeitet. Die aktuelle 7. Version aus dem Jahr 2012 liegt in deutscher Übersetzung und fachlicher Überarbeitung vor, 14 Siehe hierzu die Erläuterungen bei AWMF online, AWMF Regelwerk Leitlinien: Stufenklassifikation, abrufbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/awmf-regelwerk/ll-entwicklung/awmf-regelwerk-01-planung-und-organisation /po-stufenklassifikation.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 15 vgl. Richter-Appelt/Nieder, abrufbar unter: https://www.wpath.org/mdia/cms/Documents/SOC%20v7/SOC%20V7_German.pdf. Die Standards of Care gehen zurück auf das sog. Dutch Protocol, das im Jahr 2006 veröffentlicht wurde. Dieses Dokument wurde beim International Paediatric Endocrinology Symposium in Paris 2006 präsentiert. Die dort formulierten Handlungsempfehlungen betreffen Fragen des Verfahrens bei hormonellen Therapien, sowohl der pubertätsverzögernden als auch der gegengeschlechtlichen Behandlungen.15 4.2.2. Guidelines der Endocrine Society Die Endocrine Society, eine weltweit tätige Organisation mit derzeit 17.000 Mitgliedern in mehr als 120 Ländern, befasst sich mit Fragen der Qualitätssteigerung und der Rolle der Endokrinologie in der Forschung und der medizinischen Praxis. Sie hat im 2017 Leitlinien zur hormonellen Behandlung von Menschen mit einer Geschlechtsdysphorie oder Störung der Geschlechtsidentität verabschiedet. Die Leitlinien verstehen sich als Rahmenvorgabe für medizinische Behandlungen und unterstreichen die Notwendigkeit, die Betroffenen umfassend gesundheitlich zu versorgen 16: Endocrine Society, Endocrine Treatment of Gender-Dysphoric/Gender-Incongruent Persons : An Endocrine Society Clinical Practice Guideline, in: J. Clin Endocrinol Metab, November 2017, S. 3869-3903, erstmals veröffentlicht September 2017, Anlage 9. 5. Datenlage zur Prävalenz und Persistenz einer Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter 5.1. Datenlage zur Prävalenz Deutschlandweite oder länderübergreifende Prävalenzraten zur Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen liegen bislang noch nicht vor. Eine Studie von Bosinski u. a. aus dem Jahr 199617 gibt lediglich einen gewissen Anhalt zur Prävalenz von Geschlechtsidentitätsstörungen im Kindes- und Jugendalter im deutschsprachigen Raum. In der Studie wurden Fragebögen an Kinderärzte , Kinder- und Jugendpsychiater, Kinderpsychologen und Beratungsstellen in Schleswig- Holstein verschickt, durch welche ermittelt wurde, wie viele Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie in den letzten fünf Jahren vorstellig wurden. Insgesamt wurde bei 326 Kindern eine Geschlechtsdysphorie diagnostiziert. Da der Anteil der unter 14-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in Schleswig Holstein bei 14,5 Prozent lag, also bei 377.000, konnte die Prävalenz mit ca. 0.086 Prozent angegeben werden. Dieses Ergebnis ist allerdings nur als ungefährer 15 Delemarre-van de Waal/Cohen-Kettenis, Clinical management of gender identity disorder in adolescents: a protocol on psychological and paediatric endocrinology aspects, in: European Journal of Endocrinology 2006, 155, S. 131-137, downzuloaden über: https://www.academia.edu/27204353/Clinical_management_of_gender_identity _disorder_in_adolescents_a_protocol_on_psychological_and_paediatric_endocrinology_aspects, Anlage 8. 16 Siehe hierzu die Internetseite der Endocrine Society, Guidelines and Clinical Practice, abrufbar unter: https://www.endocrine.org/guidelines-and-clinical-practice/clinical-practice-guidelines/gender-dysphoria-gender -incongruence. 17 Vgl. Bosinski/Arndt u. a., Geschlechtsidentitätsstörungen bei Kindern und Jugendlichen: Nosologie und Epidemiologie , in: Monatsschrift für Kinderheilkunde, 1996, S. 1235-1241, abrufbar unter: https://link.springer .com/content/pdf/10.1007%2Fs001120050081.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 16 Wert zu betrachten, da in der Studie darauf hingewiesen wird, dass Doppelnennungen wahrscheinlich seien und man – und dies ist sicherlich ein zentraler Punkt – davon ausgehen müsse, dass keinesfalls alle an Geschlechtsdysphorie leidenden Kinder im betrachteten Zeitraum vorstellig geworden seien. Im Übrigen sind diese Daten für die aktuelle epidemiologische Situation schon deshalb nur sehr eingeschränkt aussagekräftig, weil sie mehr als 20 Jahre alt sind, neuere systematische Erhebungen in Deutschland aber nicht durchgeführt wurden. Unter nationalen und internationalen Fachleuten besteht Konsens über die Feststellung, dass es in den Sprechstunden oder Zentren, die sich auf Geschlechtsdysphorie und Geschlechtsidentitätsstörungen spezialisiert haben, in den letzten 20 Jahren weltweit insgesamt zu einer signifikanten Zunahme der Inanspruchnahme von Beratungs- und Behandlungsangeboten gekommen ist. Eine solche Zunahme der Neuvorstellungen ist dabei auch für Patientinnen und Patienten im Kindes- und Jugendalter dokumentiert.18 So veröffentlichte Zucker jüngst eine Übersichtsarbeit zur Epidemiologie der Geschlechtsdysphorie und Transgender-Identität19 und zitiert für das Kindesalter eine fragenbogenbasierte Studie aus dem Jahr 2013, der zufolge 0,5 bis 1,3 Prozent der befragten Schüler der Klasse 6 bis 8 die Frage bejahten, ob sie sich als „transgender“ ansähen. Für das Jugendalter fanden Clark u. a. für Neuseeland ähnlich hohe Zahlen (1,2 Prozent) für die Selbsteinschätzung als „transgender“.20 Dass dieser Trend offenbar auch für Deutschland gilt, bestätigen die vier wichtigsten Behandlungszentren mit entsprechenden Spezialsprechstunden in den Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universitätskliniken in Frankfurt, Hamburg, Berlin und München. Als mögliche Ursachen für den Anstieg der Neuvorstellungsrate werden in der Fachliteratur verschiedene Faktoren diskutiert, die vermutlich zusammenwirkten. Hingewiesen wird insoweit auf ein größeres Problembewusstsein in der Bevölkerung für Geschlechtsrollen- bzw. Geschlechtsidentitätskonflikte einerseits und die zunehmende mediale Verbreitung von Informationen zu Geschlechtsidentitätsstörungen und Geschlechtsdysphorie insbesondere im Kindesund Jugendalter andererseits. Es könne vermutet werden, dass eine Berichterstattung über immer jüngere Patienten in Fernsehsendungen oder Internet-Foren einen Anstieg an Selbstdiagnosen nach sich ziehe.21 Im Hinblick auf die Geschlechterverteilung gibt es empirische Anhaltpunkte dafür, dass es sich bei den im Kindesalter in der Genderzentren vorgestellten Kindern zu etwa 80 Prozent um Jun- 18 Vgl. Korte/Wüsthof, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen , in: Oppelt/Dörr (Hrsg.), Kinder- und Jugendgynäkologie, 2015, S. 452, 456, Anlage 1. 19 Vgl. Zucker, Epidemiology of gender dysphoria and transgender identity, in: Sex Health 2017, 14 (5): 404-411; Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28838353. 20 Vgl. Clark/Lucassen/Bullen u. a., The health and wellbeing of transgender high school students: results from the New Zealand adolescent health survey (Youth 12), in: Adolesc Health 2014, 55, S. 93-99, Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24438852. 21 Vgl. hierzu näher Korte/Beier u.a., Behandlung von Geschlechtsidentitätsstörungen (Geschlechtsdysphorie) im Kindes- und Jugendalter – Ausgangsoffene psychotherapeutische Begleitung oder frühzeitige Festlegung und Weichenstellung durch Einleitung einer hormonellen Therapie? In: Sexuologie 2016, S. 117, 122, Anlage 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 17 gen handelt, die Vorstellungsraten von Mädchen im Kindesalter also deutlich geringer sind. Erklärt wird dies im Wesentlichen mit der größeren Akzeptanz des sozialen Umfelds gegenüber geschlechtsrollenatypischem Verhalten bei Mädchen. Für männlich geborene Kinder sei es – vor allem aufgrund möglicher Erfahrungen von Stigmatisierung – potenziell mit größeren negativen sozialen Folgen verbunden, eine weibliche Geschlechtsrolle aufzunehmen als umgekehrt. Diese Kinder würden demzufolge eher vorstellig auf Grund einer von ihnen im Vergleich zu biologischen Mädchen höheren psychischen Belastung. Bei den von einer Geschlechtsidentitätsstörung betroffenen Patientinnen und Patienten im Jugendalter wird demgegenüber in den letzten Jahren eine Verschiebung dieser Entwicklung mit einer signifikanten Zunahme des Anteils biologischer Mädchen beobachtet.22 5.2. Datenlage zur Persistenz Die bisherigen prospektiv angelegten Nachuntersuchungen zur psychosexuellen Entwicklung im Jugendalter zeigen, dass sich eine im Kindesalter im Rahmen einer klinischen Untersuchung diagnostizierte Geschlechtsidentitätsstörung bzw. Geschlechtsdysphorie bei der Mehrzahl der Jugendlichen offenbar remittiert (sog. „Desisters“) und diese Entwicklung häufig mit einer späteren homo- oder bisexuellen Orientierung einhergeht. Unter Berücksichtigung aller bisher dazu veröffentlichten Studien wird eine Geschlechtsidentitätsstörung bzw. Geschlechtsdysphorie bis ins Jugendalter – je nach Studie – nur bei 2 Prozent bis maximal etwa 25 Prozent der untersuchten Kinder angenommen (sog. „Persisters“), wobei die unterschiedlichen Persistenzraten in der Fachliteratur vor allem mit Unterschieden in den Studiendesigns der untersuchenden Zentren erklärt werden.23 Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass die Aussagekraft entsprechender Werte schon deshalb problematisch sei, weil bei Studien unterschiedliche Zeiträume berücksichtigt und die Stichprobenauswahl unterschiedlich festgelegt würden. Ergebnisse würden dadurch verzerrt . Allerdings scheint es bei den Persistenzraten Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu geben . In einer niederländischen Nachuntersuchung von jungen Erwachsenen, die als Kinder mit gendervariantem Verhalten vorgestellt worden waren, hatten 50 Prozent der gendervarianten zu- 22 Zur Prävalenz und zum Geschlechterverhältnis von Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter nach derzeitiger nationaler und internationaler Studienlage vgl. näher: Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, Anlage 6; Döhnert/Richter-Unruh/Herrmann, Geschlechtsdysphorie – Ein Überblick über die aktuelle Studienlage und die kontroverse Diskussion zur Hormontherapie im Kindes - und Jugendalter, in: Kinder- und Jugendmedizin, 3/2018, S. 190 (191 f.), Anlage 3; Becker/Briken, Trans im Jugendalter – Aktuelle Forschungsergebnisse, in: Psychotherapie im Dialog, 2/2017, S. 41 (42 f.), Anlage 10; Specht/Gesing/Pfäffle/Kiess/Körner/Kiess, Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter, in: Kinder- und Jugendmedizin, 3/2017, S. 170 (171 f.), Anlage 4; Korte/Beier u.a., Behandlung von Geschlechtsidentitätsstörungen (Geschlechtsdysphorie) im Kindes- und Jugendalter – Ausgangsoffene psychotherapeutische Begleitung oder frühzeitige Festlegung und Weichenstellung durch Einleitung einer hormonellen Therapie?, in: Sexuologie 2016, S. 117 (122), Anlage 2; Pauli, Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen , in: PSYCH up2date 2017, S. 529 (534 f.), Anlage 5. 23 Vgl. hierzu insbesondere Ristori/ Steensma, Gender dysphoria in childhood, Int Rev Psychiatry 2016, 28: S. 13-20, Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26754056 und Becker/Briken , Trans im Jugendalter – Aktuelle Forschungsergebnisse, in: Psychotherapie im Dialog, 2/2017, S. 41, 43, Anlage 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 18 gewiesenen Mädchen, aber nur 20 Prozent der zugewiesenen Jungen später eine dauerhafte Geschlechtsdysphorie entwickelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Homosexualität ohne Geschlechtsidentitätsstörung entwickelte, lag für die Jungen bei 50 Prozent und die Mädchen bei ca. 25 Prozent.24 Welche Faktoren mit einem Überdauern der Geschlechtsidentitätsstörung bis ins Jugend- und Erwachsenenalter assoziiert sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Die vorliegenden prospektiven Studien deuten allerdings darauf hin, dass eine während der Kindheit vergleichsweise intensiv geäußerte Überzeugung, nicht dem biologischen Körpergeschlecht anzugehören, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit der Persistenz im Jugendalter einhergeht.25 Insbesondere Korte und Wüsthof heben in diesem Zusammenhang hervor, dass sich nach dem bisherigen Kenntnisstand die Frage nach Persistenz oder Vergehen einer Geschlechtsidentitätsstörung im Einzelfall nicht mit der notwendigen Sicherheit beantworten lasse. Vorhersagen über das Fortbestehen oder die Auflösung einer Geschlechtsidentitätsstörung bzw. Geschlechtsdysphorie blieben vielmehr rein statistische Wahrscheinlichkeitsaussagen. Die Frage, ob das diskrepante Geschlechtsidentitätsempfinden persistiere oder sich im Zuge der weiteren sozialemotionalen und somatopsychosexuellen Entwicklung der Kinder auflöse, sei jedoch von großer Bedeutung für die Diskussion um unterschiedliche Behandlungsstrategien.26 Auch andere Autoren weisen darauf hin, dass sich mit den bislang vorliegenden Studien keine schlüssige Aussage zur Stabilität einer Geschlechtsidentitätsstörung vom Kindesalter bis zum Erwachsenenalter treffen lasse. Hier bestehe großer Forschungsbedarf , nicht zuletzt auch, um mehr Sicherheit für die Frage zu gewinnen, welcher Jugendliche einer Hormonbehandlung zugeführt werden sollte, die ja für sein weiteres Leben erhebliche Konsequenzen mit sich bringe.27 6. Die Behandlung von Geschlechtsdysphorien bzw. Geschlechtsinkongruenzen Bei der Versorgung bzw. Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie werden verschiedene Maßnahmen angeboten, die zum Teil aufeinander aufbauen, teilweise aber auch nur einzeln in Anspruch genommen werden. Diese Behandlungen werden ausführlich erläutert von Döhnert/ Richter-Unruh/ Herrmann, Geschlechtsdysphorie – Ein Überblick über die aktuelle Studienlage und die kontroverse Diskussion zur Hormontherapie im Kindes- und Jugendalter , in: Kinder- und Jugendmedizin 3/2018, S. 190 (194 ff.), Anlage 3. Danach sind zu unterscheiden : 24 Vgl. Wallien/Cohen-Kettenis, Psychosexual outcome of gender-dysphorie children, in: Journal of the American Academy Child Adolescent Psychiatry 2008, 47 (12), S. 1413-1423, Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18981931. 25 Vgl. Ristori/Steensma, Gender dysphoria in childhood, in: Int Rev Psychiatry 2016, 28: S. 13-20. 26 Vgl. Korte/Wüsthof, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen , in: Oppelt/Dörr (Hrsg.), Kinder- und Jugendgynäkologie, 2015, S. 452, 457 ff, Anlage 1. 27 Vgl. Döhnert/Richter-Unruh/Herrman, Geschlechtsdysphorie – Ein Überblick über die aktuelle Studienlage und die kontroverse Diskussion zur Hormontherapie im Kindes- und Jugendalter, in: Kinder- und Jugendmedizin, 3/2018, S. 190, 192, Anlage 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 19 psychologische und psychiatrische Begleitung und Behandlung hormonelle Pubertätssuppression gegengeschlechtliche Hormonbehandlung chirurgische Eingriffe 6.1. Psychologische und psychiatrische Begleitung und Behandlung Einigkeit besteht bei den Vertretern der verschiedenen medizinischen Fachrichtungen darüber, dass eine gute langfristige psychologische und psychiatrische Betreuung der Betroffenen unabdingbar ist bzw. wäre, um die Kinder und Jugendlichen, wie auch ihre Angehörigen bei Fragen zu geschlechtsverändernden Maßnahmen und deren Durchführung richtig zu begleiten. 6.1.1. Beratungs- und Unterstützungsaufgaben Die Standards of Care benennen eine Reihe von Aufgaben, die im Rahmen der psychischen und psychiatrischen Beratung und Begleitung angeboten bzw. übernommen werden sollten. Hierzu zählen die Begleitung bei der diagnostischen Einschätzung und bei der Aufklärung über Möglichkeiten , eine Störung der geschlechtlichen Identität bzw. Geschlechtsdysphorie zu lindern, die Vorbereitung auf eine Hormontherapie oder eine Operation bis hin zu Angeboten der Familientherapie und der Unterstützung der Betroffenen in ihrer sozialen Umgebung wie Schule, Ausbildung , Studium bzw. Beruf. 6.1.2. Zur Frage eines etwaigen erhöhten Suizidrisikos Die DGKJP hat, gemeinsam mit einer Reihe von medizinischen Fachgesellschaften eine S2k-Leitlinie zum Umgang mit Suizidalität im Kindes- und Jugendalter herausgegeben: DGKJP u. a., Leitlinie Suizidialität im Kindes- und Jugendalter, 4. überarbeitete Version 31. Mai 2016, abrufbar unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-031l_S2k_Suizidalitaet _KiJu_2016-07_01.pdf. Im Kapitel 3 „Störungsspezifische Diagnostik“ wird im Rahmen der assoziierten psychischen Störungen und Probleme (3.1) ausgeführt, dass sich ein erhöhtes Risiko für Suizidalität auch bei Patienten mit sexueller Identitätsstörung finde. Unter Punkt 3.2 „Störungsrelevante Rahmenbedingungen und Risikofaktoren“ wird festgestellt, dass Jugendliche mit Störungen der Geschlechtsidentität bzw. Geschlechtsdysphorie ein erhöhtes Suizidrisiko zeigten, das sich u. a. aus einer erhöhten Komorbidität mit psychischen Störungen und psychosozialen Problemen, wie etwa Stigmatisierung und Mobbing, ergebe. Die Beiträge und insbesondere Studien in der Literatur, die sich mit der psychischen Situation von Kindern und Jugendlichen befassen, die unter einer Geschlechtsidentitätsstörung leiden, greifen die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Geschlechtsidentitätsstörungen einerseits und einem erhöhten Risiko psychischer Erkrankungen bis hin zu Selbstmord oder Selbstmordabsichten andererseits auf, wobei festzustellen ist, dass Rückschlüsse aus Befragungen auf Ursache-Wirkung-Beziehungen auch immer wieder in Frage gestellt werden. Die Vertreter der Ansicht, dass Kindern und Jugendlichen mit einer festgestellten Störung der Geschlechtsidentität eine entsprechende Behandlung ermöglicht werden sollte, ziehen zur Begründung die Ursächlichkeit immer wieder heran, andere sind dagegen der Auffassung, eine klare Aussage zu Ursache und Wirkung sei aus unterschiedlichen Gründen schwierig: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 20 wenn Kinder oder Jugendliche Selbstmord begangen haben, könne häufig gar nicht geklärt werden, welches die präzise Ursache für den Selbstmord gewesen sei bzw. inwieweit verschiedene Umstände zu dem Selbstmord geführt hätten Äußerungen von Kindern und Jugendlichen zu Selbstmordabsichten seien ebenfalls schwer zu bewerten, ebenso wie Berichte von Angehörigen über diese Absichten es sei nach wie vor auch nicht bewiesen, inwieweit eine spätere Geschlechtsumwandlung tatsächlich die Selbstmordabsichten oder -raten reduzieren würde.28 In der US-amerikanischen Literatur wird demgegenüber deutlich gemacht, dass es eine Reihe von Studien gebe, die zu dem Ergebnis kämen, dass Kinder und Jugendliche, denen man eine Behandlung dauerhaft oder zeitnah versage, erheblich hierunter leiden würden und dass Selbstmordraten und Selbstmordversuche gegenüber den bei anderen Kindern und Heranwachsenden erhöht seien.29 Parr, der auch Bezug nimmt auf den Selbstmord von Leelah Alcorn in Ohio30, befasst sich mit der Frage, ob die Gesundheitsversorgung Bedürftiger in den USA, die offenbar in einigen Bundesstaaten , wie z. B. in New York, Jugendlichen mit einer Geschlechtsidentitätsstörung Therapien dauerhaft oder zeitnah versagt, ausgeweitet werden müsste. In diesem Zusammenhang werden eine Reihe von Studien zitiert, die deutlich machen würden, dass sich das Risiko, sich selbst zu verletzen , zu versuchen sich zu töten oder sogar Selbstmord zu begehen, erhöht sei, wenn die Jugendlichen über einen längeren Zeitraum psychisch leiden würden. Der Autor weist allerdings auch darauf hin, dass diese Risiken nicht alle unmittelbar auf dem Schmerzempfinden beruhen würden, dem jeweils anderen Geschlecht angehören zu wollen sondern sie stünden – wie in einigen Studien herausgearbeitet worden sei – auch im Zusammenhang mit Diskriminierungen durch andere, mit Vorurteilen bzw. negativer Einstellung in ihrem sozialen Umfeld gegenüber ihrem „Anderssein“. In der deutschen Literatur wird auf eine Studie aus Kanada verwiesen, die über 900 Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren untersucht und eine stark erhöhte Rate an Depressionen mit 28 Siehe hierzu: Bailey/Blanchard, Suicide or transition: The only options for gender dysphoric kids? In: 4thWaveNow, A community of parents & others questioning the medicalization of gender-atypical youth, 8. September 2017, https://4thwavenow.com/2017/09/08/suicide-or-transition-the-only-options-for-gender-dysphoric -kids/. 29 Siehe hierzu Parr, Fixing Medicaid to „Fix Society“: Extending Medicaid Coverage of Gender-Affirming Healthcare to Transgender Youth, in Fordham Urban Law Journal, 2016, Vol. 43, S. 73-138 (hier: Kapitel III B 3, S. 129-131, „Mental Harm and Risk of Violence That Transgender Youth Face Without Treatment“), abrufbar unter: http://ir.lawnet.fordham.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=2649&context=ulj. 30 Der offensichtliche Selbstmord von Leelah Alcorn im Dezember 2014 im Bundesstaat Ohio, die sich bereits als Vierjährige als Mädchen in einem Jungenkörper gefühlt hatte, deren Eltern einer Geschlechtsangleichung nicht zugestimmt hatten, sorgte in den USA für großes mediales Aufsehen, vgl. Mohney, Lilian Alcorn, Transgender Teen’s reported suicide Note Makes Dramatic Appeal, in: abs news 31. Dezember 2014, https://abcnews.go.com/US/leelah-alcorn-transgender-teens-reported-suicide-note-makes/story?id=27912326. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 21 Selbstmordgefahr und Selbstverletzungen festgestellt habe: Studien hätten darüber hinaus gezeigt , dass bei Kindern und Jugendlichen, die eine Geschlechtsumwandlung erlebt hätten, keine erhöhten Raten festzustellen seien.31 6.2. Die pubertätshemmende Hormonbehandlung Die fachwissenschaftliche Diskussion über den Einsatz von Hormonen zur Pubertätshemmung zeigt, dass die Frage, ob pubertätshemmende Behandlungen überhaupt vorgenommen werden sollten, so nicht ausdrücklich formuliert wird. Viele Experten heben aber hervor, dass sehr hohe Anforderungen an die Mediziner und Psychologen zu stellen seien, die in die Behandlung der Betroffenen eingebunden seien und bei der Entscheidung über eine pubertätshemmende Therapie mitwirkten bzw. diese vollzögen. Es sei zu bedenken, dass es bei den Heranwachsenden auch Fälle einer vorübergehenden Unsicherheit über ihre geschlechtlicher Identität gebe, die im Einzelfall zu Fehldiagnosen führen könne. 32 Wichtig sei außerdem, sich bewusst zu sein, dass Pubertätshemmer auch dazu führen könnten, Persistenzen zu begünstigen, während sich die Jugendlichen ohne ihren Einsatz im Zuge ihrer Reifeentwicklung möglicherweise wieder im Einklang mit ihrem biologischen Geschlecht befänden . Allerdings sei dies bislang wissenschaftlich nicht ausreichend belegt. Es gibt inzwischen einen breiten Konsens unter den Fachleuten, dass der Einsatz von Pubertätshemmern einen wichtigen Beitrag zu einer guten Entwicklung für diejenigen Jugendlichen leisten könne, die sich als dauerhaft geschlechtsdysphorisch erwiesen. Wichtig sei dafür aber, dass die Behandlung entsprechend den hierzu entwickelten Voraussetzungen und Anforderungen vorgenommen werde. Kontrovers wird darüber diskutiert, zu welchem Zeitpunkt mit der pubertätshemmenden Behandlung begonnen werden soll. 6.2.1. Ziele der pubertätshemmenden Hormonbehandlung Ziel einer pubertätshemmenden Hormontherapie ist es zum einen, durch die Verabreichung von pubertätsunterdrückenden Hormonen die Produktion von Östrogen bzw. Testosteron zu stoppen, um auf diesem Wege die pubertäre Entwicklung und damit die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale zu unterbinden, die ohne eine solche Intervention nur schwer oder gar nicht wieder rückgängig gemacht werden können. Der Leidensdruck, der mit der Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale für die betroffenen Jugendlichen entstehe, könne auf diese Weise gemildert werden, ohne gleich irreversible körperliche Veränderungen herbeizuführen. Darüber hinaus sollen, so die Fachleute, bessere körperliche Voraussetzungen für eine sich später möglicherweise anschließende gegengeschlechtliche Hormonbehandlung geschaffen werden. Außerdem sollen die Jugendlichen Zeit gewinnen für die weitere Entfaltung ihrer Geschlechtsidentität und die Bewältigung der psychosozialen Herausforderungen und Belastungen im Rahmen ihrer 31 Pauli, Geschlechtsinkongruenz und Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen, in: PSYCH up2date 2017, S. 536, Anlage 5. 32 Pauli, Geschlechtsinkongruenz und Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen, in: PSYCH up2date 2017, S. 529 (536), Anlage 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 22 Geschlechtsnichtkonformität. Durch eine pubertätshemmende Hormonbehandlung wird schließlich auch den Eltern und betreuenden Psychologen bzw. Ärzten mehr Zeit gegeben, um die Indikation einer gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung abzusichern. Die Unterdrückung der Pubertät kann über einige Jahre fortgesetzt werden. Während dieser Zeit kann entschieden werden, ob die Hormontherapie ganz abgesetzt oder auf eine gegengeschlechtliche, d. h. eine feminisierende bzw. maskulinisierende Hormonbehandlung gewechselt werden soll. Die Pubertätsunterdrückung muss folglich nicht automatisch zu einem Geschlechtsrollenwechsel oder zu geschlechtsanpassenden operativen Maßnahmen führen.33 6.2.2. Voraussetzungen für eine pubertätsblockierende Hormonbehandlung und die fachwissenschaftliche Kontroverse über den Zeitpunkt des Beginns dieser Hormontherapie Die Voraussetzungen, die für eine pubertätsunterdrückende Hormonbehandlung vorliegen sollen, werden sowohl in den Standards of Care der WPATH als auch in der S1-Leitline der DGKJPB behandelt und sind darüber hinaus Gegenstand einer intensiven fachwissenschaftlichen Debatte. Dabei wird insbesondere der Zeitpunkt des Beginns einer pubertätshemmenden hormonellen Behandlung sehr kontrovers diskutiert. 6.2.2.1. Die Standards of Care der WPATH Nach den Standards of Care der WPATH können Jugendliche für eine die Pubertät unterdrückende Hormonbehandlung in Frage kommen, sobald die durch die Pubertät induzierten körperlichen Veränderungen eingesetzt haben, frühestens aber erst nach Erreichen des sog. Tanner-II- Stadiums34. Einige der Betroffenen erreichten diese Stufe bereits in einem sehr jungen Alter (zum Beispiel mit neun Jahren), auch wenn Studien, in denen die pubertätshemmende Hormontherapie evaluiert worden sei, bisher nur Kinder im Alter von mindestens zwölf Jahren berücksichtigt hätten. Als unverzichtbare Kriterien für eine pubertätsunterdrückende Hormonbehandlung werden in den Standards of Care darüber hinaus eine Reihe von Minimalanforderungen genannt. Eine solche Behandlung komme insbesondere nur dann in Betracht, wenn der bzw. die Jugendliche ein anhaltendes und starkes Erleben der Geschlechtsdysphorie zeige und sich die Geschlechtsdysphorie mit dem Einsetzen der Pubertät herausgebildet oder verstärkt habe. In den Empfehlungen der WPATH wird außerdem darauf hingewiesen, dass neben dem Einverständnis der bzw. des Jugendlichen in jedem Fall beide Elternteile mit einbezogen werden sollten, und dass jugendliche Patientinnen bzw. Patienten, bei denen eine pubertätsunterdrückende Hormonbehandlung in Betracht gezogen werde, keine psychischen, medizinischen oder sozialen Probleme aufweisen sollten, die die Behandlung störend beeinflussen könnten.35 33 Zu den Zielen der pubertätsaufhaltenden Behandlung vgl. insbesondere die Standards of Care der WPATH, 2012, S. 24 sowie eingehend Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, S. 237 f, Anlage 6. 34 Die sog. Tanner-Stadien unterscheiden im Hinblick auf die pubertären körperlichen Veränderungen bei Mädchen und Jungen insgesamt fünf Stadien und zwar anhand der Entwicklung der weiblichen Brust und der Entwicklung der männlichen Genitalien. Zu diesen und den anderen Tanner-Stadien vgl. die Darstellung bei Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, S. 269, Anlage 6. 35 Vgl. hierzu die Standards of Care der WPATH, S. 23 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 23 Die Standards of Care betonen insbesondere, dass es sich bei der Einleitung einer pubertätsunterdrückenden Hormonbehandlung oder bei einem Verzicht auf eine solche Intervention keinesfalls um ein „neutrales Geschehen“ handele. Sie benennen deshalb einige Punkte, die für die Abwägung im Einzelfall sehr wichtig sein könnten. Da das spätere Alltagsleben durch die Entstehung von nicht wieder rückgängig zu machenden Geschlechtsmerkmalen und eine jahrelang intensiv erlebte Geschlechtsdysphorie beeinträchtigt werden könne, sei eine frühe Anwendung pubertätsunterdrückender Hormone einerseits zwar geeignet, die negativen und emotionalen Folgen der Geschlechtsdysphorie effektiver abzuwenden als ihr späterer Einsatz. Andererseits gebe es ernst zu nehmende Bedenken wegen etwaiger negativer physischer Nebenwirkungen einer pubertätsunterdrückenden Hormontherapie (etwa bei der Knochenentwicklung und der Körpergröße). Auch wenn die allerersten Ergebnisse dieser Methode vielversprechend seien, könnten die Langzeitwirkungen erst bestimmt werden, wenn die ersten damit behandelten Patientinnen und Patienten das entsprechende Alter erreicht hätten.36 6.2.2.2. Die S1-Leitlinie der DGKJP Den internationalen Standards auf Care der WPATH folgend wird auch in der S1-Leitlinie der DGKJP die Auffassung vertreten, dass mit einer pubertätshemmenden Hormontherapie frühestens nach Erreichen des Tanner-II-Stadiums begonnen werden sollte, nicht etwa prophylaktisch präpubertär . Voraussetzung müsse sein, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine transsexuelle Entwicklung vorliege. Ziel sei es, aus der Reaktion auf die pubertären Veränderungen heraus eine weitere Absicherung der Diagnose zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund der in Fachkreisen kontrovers geführten Diskussion über den Zeitpunkt des Beginns einer pubertätsblockierenden Hormontherapie weist die S1-Leitlinie darauf hin, dass bisher keine systematischen Untersuchungen dazu vorlägen, wie sich eine hormonelle Behandlung vor Pubertätsabschluss auf die weitere Entwicklung der Geschlechtsidentität auswirke bzw. inwiefern hierdurch iatrogen eine Persistenz der Geschlechtsidentitätsstörung induziert werde. Die vorliegenden Nachuntersuchungen jugendlicher geschlechtsidentitätsgestörter Patienten, die frühzeitig hormonell behandelt worden seien, zunächst mit pubertätshemmenden und anschließend mit gegengeschlechtlichen Hormonen, zeigten zwar einen positiven Verlauf im Hinblick auf psychiatrische Komorbidität und das physische Erscheinungsbild. Hierzu kontrollierte Studien durchzuführen, stoße aber auf erhebliche Schwierigkeiten.37. 6.2.2.3. Die fachwissenschaftliche Kontroverse über den Beginn einer pubertätshemmenden Hormonbehandlung Trotz der vorgenannten Empfehlungen in den Standards of Care der WPATH und der S1-Leitlinie der DGKJP zur pubertätshemmenden Hormontherapie wird die Behandlung von Patientinnen bzw. Patienten mit Geschlechtsdysphorie in Fachkreisen sehr kontrovers diskutiert, insbesondere soweit es um eine frühe hormonelle Behandlung noch vor Pubertätsabschluss geht. Einen Überblick über den derzeitigen Stand der Diskussion, die aktuelle Studienlage und insbesondere über 36 Vgl. hierzu die Standards of Care der WPATH, S. 25. 37 Vgl. hierzu die S1-Leitlinie der DGKJP, S. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 24 das Pro und Contra einer frühzeitigen pubertätsblockierenden Hormontherapie findet sich insbesondere bei Korte/Wüsthof, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen, in: Oppelt/Dörr, (Hrsg.), Kinder- und Jugendgynäkologie, 2015, S, 452, 463 ff. (Anlage 1).38 Für eine frühzeitige pubertätshemmende Hormontherapie bereits im Alter zwischen 10 und 13 Jahren werden insbesondere folgende Argumente vorgetragen: Durch eine zeitlich begrenzte Pubertätsunterdrückung könnten Jugendliche wertvolle Zeit für ihre Identitätsentwicklung gewinnen; sie bekämen ein Moratorium, in dem psychische Reifungsprozesse ungestörter und ruhiger ablaufen könnten. Die notwendige, begleitende Psychotherapie unterstütze die Reflexion über die eigene Geschlechtsidentität und fördere die Fähigkeit, Verliebtheitsgefühle, Triebregungen und damit einhergehende Emotionen zu verarbeiten. Die Entscheidung für oder gegen eine spätere geschlechtsangleichende Operation werde so abgesichert. Abwendung gesundheitlicher Langzeitschäden bei den sog. „Persisters“ Rasche Reduktion des – mit der Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale zunehmenden – seelischen Leidensdrucks der betroffenen Jugendlichen, beispielweise im Hinblick auf depressive Symptome Verhinderung der Entwicklung der irreversiblen körperlichen Veränderungen der Pubertät (bei biologischen Mädchen: Brustentwicklung, Menstruation, weiblicher Körperbau; bei biologischen Jungen: Bartwuchs, Stimmbruch, männlicher Körperbau ). Hierdurch ermöglichte bessere kosmetische Ergebnisse im Falle einer späteren, frühestens nach Vollendung des 18. Lebensjahres durchzuführenden, geschlechtsangleichenden Operation sowie gegebenenfalls eine Reduktion der chirurgischen Eingriffe , weil Mastektomie, Kehlkopfoperationen oder kiefer- und gesichtschirurgische Eingriffe bei frühzeitiger Hormonbehandlung unter Umständen gar nicht erforderlich werden. Gegen eine frühzeitige pubertätshemmende Hormontherapie noch vor Pubertätsabschluss, d. h. noch vor dem 16. Lebensjahr, werden demgegenüber insbesondere folgende Argumente vorgebracht : Angesichts der internationalen Datenlage zufolge nur geringen Rate von etwa 2 bis 25 Prozent an Kindern und Jugendlichen, bei denen eine Geschlechtsdysphorie bzw. Geschlechtsidentitätsstörung später in eine transsexuelle Identität des Erwachsenen einmünde, sei eine frühzeitige hormonelle Intervention lediglich für 38 Siehe außerdem die entsprechenden Überblicksdarstellungen bei Wüsthof, Hormonbehandlung transsexueller Jugendlicher, in: Schneider/Baltes-Löhr, Normierte Kinder – Effekte der Geschlechternormativität auf Kindheit und Adoleszenz, 2014, S. 205, 206 ff., Anlage 11; Döhnert/Richter-Unruh/Herrmann, Geschlechtsdysphorie – Ein Überblick über die aktuelle Studienlage und die kontroverse Diskussion zur Hormontherapie im Kindesund Jugendalter, in: Kinder- und Jugendmedizin (Zeitschrift), Heft 3/2018, S. 190, 195 ff., Anlage 3; Pauli, Geschlechtsinkongruenz und Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen, in: PSYCH up2date, 2017, 11, S. 529, 538, Anlage 5; Specht/Gesing, u. a., Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter, in: Kinder- und Jugendmedizin (Zeitschrift), Heft 3, 2017, S. 170, 173 f., Anlage 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 25 diese Minderheit von Patientinnen und Patienten – die sog.“Persisters“ – von Vorteil , während eine derartige Behandlung für die Mehrheit der betroffenen Kinder und Jugendlichen – die sog. „Desisters“ – der falsche Weg sei. Verlässliche diagnostische Prädiktoren, anhand derer eine sichere Vorhersage des Fortbestehens oder Vergehens einer Geschlechtsdysphorie bzw. einer Geschlechtsidentitätsstörung im individuellen Fall möglich sei, stünden derzeit aber nicht zur Verfügung. Die Annahme, eine pubertätshemmende Hormontherapie sei vollständig reversibel , sei mit Blick auf die etwaigen zentralnervösen Auswirkungen einer solchen Behandlung wissenschaftlich nicht hinreichend belegt. Eine Beeinträchtigung des Entwicklungsverlaufs des Kindes und eine irreversible Beeinflussung von dessen Hirnreifung müsse jedoch unbedingt vermieden werden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die pubertätshemmende Therapie zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung der psychosexuellen Entwicklung führe. Eine derartige Behandlung beeinflusse das sexuelle Erleben in Fantasie und Verhalten und verhindere aufgrund der Beeinträchtigung der sexuellen Appetenz und Funktionsfähigkeit das Sammeln altersgerechter sexueller Erfahrungen. Mögliche nicht-transsexuelle Entwicklungen, insbesondere homosexuelle Entwicklungen und andere Variationen der sexuellen Identität könnten durch eine pubertätshemmende Therapie erschwert werden. Unter den Bedingungen einer pubertätshemmenden Hormontherapie sei die – differenzialdiagnostisch wichtige – Aufschlüsselung der sich unter dem Einfluss der Sexualhormone in dieser Zeit konsolidierenden sexuellen Präferenzstruktur und endgültigen geschlechtlichen Identität nahezu unmöglich. 6.2.3. Die in der pubertätsunterdrückenden Behandlung eingesetzten Hormone und Präparate sowie deren unerwünschte Nebenwirkungen und mögliche Risiken Im Rahmen der pubertätsunterdrückenden Hormontherapie werden bestimmte Hormone bzw. Hormonpräparate eingesetzt. Diese sollen nachfolgend ebenso erläutert werden, wie etwaige unerwünschte Nebenwirkungen und mögliche Risiken, die mit deren Verwendung verbunden sein können. Hervorzuheben ist, dass die Kosten sämtlicher Hormonpräparate, die für die Behandlung von Menschen mit zweifelsfrei diagnostizierter, profunder und überdauernder Geschlechtsdysphorie erforderlich sind, von den gesetzlichen Krankenkassen bzw. Krankenversicherungen übernommen werden, obwohl es sich um einen sog. „Off-Label-Use“ handelt, diese Medikamente also nicht explizit für diese Behandlung zugelassen sind.39 6.2.3.1. Behandlung mit GnRH-Analoga bei biologischen Jungen und biologischen Mädchen und die mit dieser Therapie möglicherweise verbundenen Nebenwirkungen Im Rahmen der pubertätsunterdrückenden Hormontherapie werden sowohl bei geburtsgeschlechtlichen Jungen (Trans-Mädchen) als auch bei geburtsgeschlechtlichen Mädchen (Trans- Jungen) sog. Gonadotropin-Releasing-Hormon-Analoga (GnRH-Analoga) eingesetzt, die eine reversible Unterdrückung der pubertären Testosteron- bzw. Östrogen-Ausschüttung bewirken. 39 Allgemein zum „Off-Label-Use“ vgl. etwa Gemeinsamer Bundesausschuss, Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten (Off-Label-Use), abrufbar unter: https://www.g-ba.de/themen /arzneimittel/arzneimittel-richtlinie-anlagen/off-label-use/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 26 GnRH-Analoga bringen die Sekretion, bzw. die Ausschüttung des körpereigenen Gonadotropin- Releasing-Hormons, das im Hypothalamus gebildet wird und bei beiden Geschlechtern gleich ist, zum völligen Erliegen, sodass im Hypophysenvorderlappen keine gonadotropen Hormone mehr gebildet werden, die bei pubertären Jungen die Sekretion der männlichen und bei pubertären Mädchen die Sekretion der weiblichen Geschlechtshormone steuern und zur Stimulierung der Geschlechtshormone in den Keimdrüsen notwendig sind. Die Behandlung mit GnRH-Analoga führt mithin dazu, dass in den Keimdrüsen keine Geschlechtshormone mehr produziert und die pubertären körperlichen Veränderungen auf diesem Wege gestoppt werden. Am häufigsten wird das Präparat Trenantone (Leuprorelin-Depot) mit dem Wirkstoff Leuprorelinacetat verwendet, das den Vorteil hat, dass es nur alle drei Monate in Form einer Depot- Spritze gegeben werden muss. Die Behandlung ist allerdings sehr kostenintensiv, da eine einzige Spritze ca. 450 Euro kostet. Zumindest in Deutschland werden diese Kosten von den Krankenkassen getragen. Alternativ – wenn auch seltener – werden das Präparat Enantone mit dem Wirkstoff Leuprorelin oder das Präparat Decapeptyl eingesetzt – jeweils mit einer Verabreichung in Form eines einmonatigen Depots. Unerwünschte Nebenwirkungen, die unmittelbar oder zeitnah mit einer GnRH-Analoga-Behandlung verbunden sein können, sind, wie in der Literatur vertreten wird, offenbar nach derzeitigem Wissensstand eher selten, nicht besonders gravierend und eher vorübergehend, siehe hierzu insbesondere die Ausführungen bei Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, Anlage 6, S. 240 und Korte/Wüsthof, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen, in: Oppelt/Dörr, (Hrsg.), Kinder - und Jugendgynäkologie, 2015, Anlage 1, S. 452, 465. Berichtet wird von zum Teil vorübergehenden klimakterischen Beschwerden wie Hitzewallungen oder Unruhezuständen, gelegentlichen Rötungen oder Verhärtungen an den Einstichstellen der Injektionen. Nicht abschließend erforscht sind bislang jedoch die längerfristigen Risiken einer pubertätshemmenden Therapie mit GnRH-Analoga bei Kindern und Jugendlichen mit einer Geschlechtsdysphorie . Unter anderem im Hinblick auf die nachfolgend aufgeführten Risiken und eventuell mögliche Effekte einer Behandlung mit GnRH-Analoga wird die wissenschaftliche Datenlage zum aktuellen Zeitpunkt als noch unzureichend angesehen. Längerfristige Auswirkungen auf den Knochenbau: Mit den möglichen Risiken der pubertätsunterdrückenden Behandlung mit GnRH-Analoga für das Größenwachstum befasste sich eine holländische Studie von Schagen u.a. im Jahr 2016.40 Danach führte die Behandlung regelmäßig zu einem langsameren Wachstum. Mit der Entwicklung der Knochendichte und dem damit verbundenen Risiko der Osteoperose beschäftigen sich Delemarre-van der Waal, H./Cohen-Kettenis, P., Clinical management of gender 40 Vgl. Schagen/ Cohen-Kettenis/Delemarre-van de Waal/Hannema, Efficacy and Safety of Gonadotropin-Releasing Hormone Agonist Treatment to Suppress Puberty in Gender Dysphoric Adolescents, in: The Journal of Sexual Medicine 2016, 13 (7), S. 1125-1132, Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed /27318023. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 27 identity disorder in adolescents: a protocol on psychological and paediatric endocrinology aspects , in: European Journal of Endocrinologie, 2006, 1, S. 131-137, Anlage 8. Nach einer Untersuchung von Vanderschueren/Vandenput u. a. aus dem Jahr 2004 besteht ein erhöhtes Risiko, an Osteoperose zu erkanken, allerdings seien transsexuelle Jugendliche, die pubertätshemmend behandelt werden, davon scheinbar nicht betroffen.41 Preuss weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Aufbau der maximalen Knochenmasse allerdings erst nach Beginn der gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung erreicht werde. Deshalb sei es geboten, eine Blockade der Geschlechtshormone nur so lange wie nötig durchzuführen.42 Eventuell mögliches Risiko einer Hirnreifungsverzögerung: Auch die Auswirkungen der Behandlung mit GnRH-Analoga auf die Entwicklung des Gehirns sind bislang noch nicht abschließend geklärt. In Tierexperimenten wurde im Rahmen einer Behandlung mit GnRH-Analoga zum Beispiel eine Zunahme des Amygdala-Volumen43 gefunden, was die Autoren, Nuruddin, Bruchhage u. a. vermuten lässt, dass diese hormonelle Behandlung einen Einfluss auf die Hirnentwicklung nehme.44 Nach Auffassung von Preuss ist das Risiko einer eventuell möglichen – bisher noch nicht nachgewiesenen – Hirnreifungsverzögerung ein gewichtiger Grund, die hormonelle Pubertätsunterdrückung durch die Verabreichung von GnRH-Analoga nicht zu lange fortzuführen. Ergänzend weist er diesbezüglich darauf hin, in seiner bisher gesammelten klinischen Erfahrung hätten sich bei den Patienten, die mit GnRH-Analoga pubertätshemmend behandelt worden seien, allerdings noch keine konkreten Anhaltspunkte für Hirnleistungsstörungen gezeigt.45 41 Vanderschueren/Vandenput, u.a., Androgens and Bone, in: Endocrine Reviews, 2004, 25(3), S. 389-425, downzuloaden über https://academic.oup.com/edrv/article/25/3/389/2355220. 42 Preuss, Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, S. 240, Anlage 6. 43 Siehe zu der medizinischen Bedeutung des Amygdala-Volumens: Weiler/Ottleben, Bildgebende Verfahren und Psychologie, Aufschieber oder Macher? Per MRT Persönlichkeitsmerkmale entlarven? In: laborpraxis.vogel.de, 5. September 2018, abrufbar unter: https://www.laborpraxis.vogel.de/aufschieber-oder-macher-per-mrt-persoenlichkeitsmerkmale -entlarven-a-750672/. 44 Nuruddin/Bruchhage/Ropstad u.a., Effects of peripubertal gonadotropin-releasing hormone agonist on brain development in sheep – a magnetic resonance imaging study, in: Psychoneuroendocrinology, 2013, S. 1994- 2002, Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23579083. 45 Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter 2015, S. 240 f., Anlage 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 28 Risiken für den Herz-, Kreislaufbereich: Die mögliche Entwicklung eines metabolischen Syndroms durch die Behandlung mit GnRH-Analoga war auch Gegenstand einer Studie von Colizzi u. a. aus dem Jahr 2015.46. Die Autoren dieser Untersuchung gelangten dabei zu dem Ergebnis, dass die Behandlung zur Änderung verschiedener Parameter geführt habe und dass neben Herz-Kreislauf-Auffälligkeiten auch psychiatrische Probleme aufgetreten seien. Nicht ausgeschlossene Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Geschlechtsidentität: Systematische Untersuchungen, wie sich eine frühe pubertätsunterdrückende hormonelle Behandlung mit GnRH-Analoga vor Pubertätsabschluss auf die weitere Entwicklung der Geschlechtsidentität auswirkt bzw. inwiefern hierdurch iatrogen eine Persistenz der Geschlechtsidentitätsstörung bzw. Geschlechtsdysphorie induziert wird, liegen bisher noch nicht vor. In der Fachliteratur wird unter Bezugnahme auf die Forschungen von Giedd u. a.47 insbesondere von Korte u. a. in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, die Annahme, dass die Wirkung von GnRH-Analoga vollständig reversibel sei, könne mit Blick auf die etwaigen zentralnervösen Auswirkungen einer solchen hormonellen Pubertätssuppression keinesfalls als belegt gelten. Vielmehr hätten Giedd et al. gezeigt, dass die Pubertät eine Phase erheblicher Umbau- und Reorganisationssprozesse des reifenden Gehirns sei und es deshalb allemal unklar bleibe, was die Pubertätsblockade in dieser Phase bewirke.48 6.2.3.2. Behandlung mit Gestagenen bei biologischen Mädchen Bei geburtsgeschlechtlichen Mädchen (Trans-Jungen) wird in Teilen des fachwissenschaftlichen Schrifttums zur Unterdrückung der Regelblutung als oral anwendbare Alternative zur Behandlung mit GnRH-Analoga die tägliche Einnahme von 5 bis 10 mg des Präparats Orgametril (Lynestrenol ) empfohlen. Dieses Präparat, das zu den Gestagenen gehört, die neben den Östrogenen die zweite wichtige Klasse der weiblichen Geschlechtshormone bilden, befindet sich in Deutschland 46 Vgl. Colizzi,/Costa u.a., Concomitant psychiatric problems and hormonal treatment induced metabolic syndrome in gender dysphoria individuals: a 2 year follow-up study, in: Journal of Psychosomatic Research 2015, 78(4), S. 399-406, Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.sciencedirect.com/science/article /abs/pii/S0022399915000367. 47 Giedd/Raznahan u. a., 2012, Review: magnetic resonance imaging of male/female differences in human adolescent brain anatomy, in: Biology of Sex Differences 3 (19), S. 1-9, Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3472204/. 48 Vgl. Korte/Beier, u. a., Behandlung von Geschlechtsidentitätsstörungen (Geschlechtsdysphorie) im Kindes-und Jugendalter, in: Sexuologie, 2016, S. 117, 128, Anlage 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 29 zwar nicht mehr regulär auf dem Markt, kann aber über internationale Apotheken bezogen werden . Allerdings übernehmen einige Krankenkassen die Kosten der Behandlung mit Orgametril nicht, obwohl sie wesentlich kostengünstiger ist als eine Behandlung mit GnRH-Analoga.49 6.2.3.3. Behandlung mit Antiandrogenen bei biologischen Jungen Bei geburtsgeschlechtlichen Jungen (Trans-Mädchen), deren männliche Pubertätsentwicklung – ausweislich etwa des Stimmbruchs, adulten Hodenvolumens und verstärkter Körperbehaarung – schon recht weit fortgeschritten ist, wird in Teilen der fachwissenschaftlichen Literatur wie bei erwachsenen Mann-zu-Frau-Transsexuellen als Antiandrogen die Verabreichung des Präparats Cyproteronacetat (Androcur) befürwortet. Dieses Präparat habe nicht nur eine periphere antiandrogene Wirkung, sondern supprimiere auch zentral die Ausschüttung von Gonadotropinen. Bereits sehr niedrige Dosierungen von 5 bis 15 mg pro Tag seien ausreichend, um einer Vermännlichung entgegenzuwirken. Unter der Behandlung mit Cyproteronacetat könnten allerdings – so wird kritisch angemerkt – depressive Verstimmungen aller Schweregrade auftreten, sodass die Dosierung so gering wie möglich erfolgen müsse.50 6.2.4. Datenlage zur Häufigkeit pubertätsunterdrückender Behandlungen in Deutschland und zur Menge der an Kinder und Jugendliche verschriebenen Hormonpräparate Daten zur Häufigkeit pubertätsunterdrückender Behandlungen in Deutschland und zur Häufigkeit und Menge der an Kinder und Jugendliche in Deutschland verschriebenen pubertätsblockierenden Hormonpräparate stehen – soweit ersichtlich – nicht zur Verfügung. Der GKV-Spitzenverband hat auf Nachfrage der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages mitgeteilt, dass sich weder aus der amtlichen Statistik, noch aus den im Rahmen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) oder der Arzneimittel-Verordnungen (GAMSI) vorliegenden Daten diesbezügliche Erkenntnisse generiert werden könnten. So enthalte der EBM keine Gebührenordnungsposition , die ausschließlich pubertätsunterdrückende Behandlungen beinhalte. Pubertätshemmende Hormontherapien würden vielmehr unter Pauschalvergütungen subsumiert und könnten dementsprechend auch nicht einzeln ausgewertet werden. Mit Blick auf die Arzneimittelverordnungen sei – so die Auskunft des GKV-Spitzenverbandes – festzustellen, dass die Anwendungsgebiete von Hormonpräparaten so groß bzw. unspezifisch seien, dass sich aus den Verordnungsmengen , für die im Übrigen auch erst einmal eine Arzneimittelübersicht mit Pharmazentralnummer (PZN) erstellt und fachlich abgestimmt werden müsste, auch keine klaren Rückschlüsse auf die Häufigkeit pubertätshemmender Hormonbehandlungen bzw. auf die Häufigkeit und Menge 49 Zur Behandlung mit Gestagenen bei geburtsgeschlechtlichen Mädchen vgl. die Ausführungen bei Preuss, Geschlechtsdysphorie , Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, S. 241, Anlage 6; Korte/Wüsthof, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen, in: Oppelt/Dörr (Hrsg.) Kinder- und Jugendgynäkologie, 2015, S. 452, 465, Anlage 1; Wüsthof, Hormonbehandlung transsexueller Jugendlicher, in: Schneider/Baltes-Löhr (Hrsg.), Normierte Kinder – Effekte der Geschlechternormativität auf Kindheit und Adoleszenz, 2014, S. 205, 209, Anlage 11. 50 Zur Behandlung mit Antiandrogenen bei geburtsgeschlechtlichen Jungen vgl. im Übrigen die Ausführungen bei Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, S. 241, Anlage 6; Korte/Wüsthof, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen, in: Oppelt/Dörr (Hrsg.), Kinder- und Jugendgynäkologie, 2015, S. 452, 465, Anlage 1; Wüsthof, Hormonbehandlung transsexueller Jugendlicher, in: Schneider/Baltes-Löhr (Hrsg.), Normierte Kinder – Effekte der Geschlechternormativität auf Kindheit und Adoleszenz, 2014, S. 205, 209, Anlage 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 30 der an Kinder und Jugendliche verschriebenen pubertätsunterdrückenden Hormonpräparate ziehen ließen. 6.2.5. Anwendung von GnRH-Analoga, Gestagenen und Antiandrogenen außerhalb einer pubertätshemmenden Hormontherapie und die mit deren Einsatz verbundenen Nebenwirkungen 6.2.5.1. Anwendung von GnRH-Analoga Eine wichtige Indikation für den Einsatz von GnRH-Analoga bzw. GnRH-Agonisten in anderen Fällen als einer pubertätsunterdrückenden Hormontherapie besteht in der Hemmung des hormonabhängigen Wachstums von Tumoren. Beim Mann werden GnRH-Analoga zur Behandlung des Prostatakarzinoms eingesetzt. Die Antihormontherapie kommt vor allem für Männer infrage, deren Erkrankung schon weit fortgeschritten ist und zu Metastasen geführt hat. Sie bremst das Wachstum, oft über längere Zeit, kann die Erkrankung langfristig jedoch nicht heilen. Ziel der Hormonentzugstherapie bei Prostatakrebs ist es, dem Tumor männliche Geschlechtshormone, die sogenannten Androgene, zu entziehen, da bei fast allen Patienten mit einem Prostatakarzinom die Krebszellen diese Androgene benötigen, um zu wachsen, vor allem Testosteron. Der Entzug der Geschlechtshormone kann allerdings zu Nebenwirkungen führen, die teilweise den Symptomen von Frauen in den Wechseljahren ähneln . Möglich sind zum Beispiel Hitzewallungen. Auf lange Sicht schränkt die Therapie vor allem die sexuelle Aktivität stark ein. Bei älteren Männern kann möglicherweise auch das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung steigen, vor allem, wenn es schon vorher Anzeichen für eine Herzschädigung gab. Eine antihormonelle Therapie ist nach aktuellen Daten dagegen kein Risikofaktor für eine Alzheimer-Demenz.51. Bei der Frau ist die Antihormontherapie – neben Operation, Chemotherapie und Bestrahlung – eine wichtige Behandlung bei Brustkrebs, da dieser bei vielen betroffenen Frauen hormonabhängig wächst. Diese Therapie soll die Bildung oder Wirkung von Östrogenen blockieren, um das Wachstum hormonempfindlicher Tumorzellen zu verhindern. Damit kann bei vielen Frauen das Risiko für einen Rückfall oder ein Fortschreiten der Erkrankung gesenkt werden. Der Einsatz von GnRH-Analoga wird dabei Frauen vor den Wechseljahren als adjuvante Therapie empfohlen. Zu den häufigen Nebenwirkungen während der Einnahme von GnRH-Analoga zählen Hitzewallungen , Schweißausbrüche, Ausbleiben der Regelblutung, Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressionen sowie eine Verringerung der Knochendichte bei länger andauernder Behandlung.52. 51 Zur Behandlung des Prostatakrebs durch hormonelle Therapie und Hormonentzug sowie zu den mit dieser Therapie möglicherweise verbundenen Nebenwirkungen vgl. den Beitrag des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums (dkfz.) unter dem Titel: „Behandlung bei Prostatakrebs: Hormonelle Therapie und Hormonentzug“; abrufbar im Internet unter: https://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/prostatakrebs /behandlung-antihormontherapie.php. 52 Zur Antihormontherapie bei Brustkrebs vgl. den Beitrag des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums (dkfz.) unter dem Titel: „Brustkrebs: Die Antihormontherapie“; abrufbar unter: https://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/brustkrebs/hormontherapie.php. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 31 Bei Frauen werden GnRH-Analoga außerdem zur Behandlung der Endometriose53 sowie zur Verkleinerung von Gebärmuttermyomen vor einer geplanten chirurgischen Entfernung eingesetzt .54.Für die Behandlung der Endometriose und des Uterus myomatosus werden Präparate von Goserelin (Zoladex-Gyn) und Leuprorelin (Trenantone-Gyn, Enantone-Gyn) verwendet.55 Therapeutisch bedeutsam ist schließlich auch die ovarielle Stimulation mit Gonadotropinen zur Behandlung der weiblichen Infertilität im Rahmen der In-vitro-Fertilisation.56 6.2.5.2. Anwendung von Gestagenen Gestagene wirken zusammen mit Östrogenen auf nahezu alle weiblichen Reproduktionsvorgänge. Sie hemmen die Östrogen-induzierte Proliferation des Endometriums und induzieren die Sekretionsphase . Alle Gestagene unterdrücken dosisabhängig die Ovulation und hemmen die Tubenmotilität . In der Schwangerschaft führt Progesteron zu einer Ruhigstellung des Uterus. Gestagene werden entweder als natürliches Progesteron oder als synthetische Gestagene eingesetzt, die sich von dem natürlichen Gestagen Progesteron oder von Testosteron ableiten. Die meisten Derivate haben unterschiedliche Zusatzeffekte auf androgene und östrogene Hormonwirkungen. Indikation der oralen Progesteronpräparate (z. B. Famenita, Utrogest, Progestan) und von Dyrogesteron (Duphaston) ist neben der Verwendung in der Reproduktionsmedizin die Endometriumprotektion für die postmenopausale Hormontherapie mit Östrogenen bei nicht hysterektomierten Frauen. Das Präparat Crinone Vaginalgel wird zu Unterstützung der Lutealphase praktisch nur bei der assistierten Reproduktion eingesetzt. Zusätzlich steht mit Prolutex ein subkutan täglich zu applizierendes Progesteron zu Verfügung. Außerdem gibt es ein Progesterongel (Progestogel), das bei hormonbedingten prämenstruellen Brustschmerzen zur lokalen Applikation auf der Brust angewendet werden soll.57 53 Die Endometriose ist eine hormonabhängige Erkrankung, bei der sich endometriale Drüsen und Stroma außerhalb der anatomisch regelgerechten Lokalisation des Cavum uteri befinden. Die Hauptsymptome sind Unterbauchschmerzen und Infertilität (vgl. Hertlein/Burges, u. a., Endometriose, Update der aktuellen Therapie, in: gyne, 3/2017, S. 12, 12; abrufbar unter: https://cme.mgo-fachverlage.de/uploads/exam/exam_144.pdf. 54 Zur Behandlung der Endometriose – unter anderem mit GnRH-Analoga – vgl. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. /Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe e. V./Deutsche Gesellschaft für Viszeralchirugie e. V./Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. u. a. „Interdisziplinäre S2k-Leitline für Diagnostik und Therapie der Endometriose“, AWMF-Register Nr. 015/045, aktueller Stand: 08/2013, gültig bis 30. August 2018; abrufbar im Internet unter: https://www.endometriose-vereinigung .de/files/endometriose/reiter%20endometriose/Leitlinie_Diagnostik_Therapie_Endometriose.pdf. 55 Vgl. Schwabe, Hypophysen- und Hypothalamushormone, in: Schwabe/Paffrath, u. a. (Hrsg.), Arzneiverordnungs -Report 2019, S. 731, 733. 56 Vgl. Schwabe, Hypophysen- und Hypothalamushormone, in: Schwabe/Paffrath, u. a. (Hrsg.), Arzneiverordnungs -Report 2019, S. 731, 732. 57 Zur Anwendung von Gestagenen und Progesteronantagonisten vgl. näher Strowitzki, Sexualhormone, in: Schwabe/Paffrath u. a. (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2019, S. 979, 988 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 32 6.2.5.3. Anwendung von Antiandrogenen Da Antiandrogene die männlichen Geschlechtshormone (Androgene) von ihrem Rezeptor verdrängen und dadurch ihre Wirkung aufheben, werden sie außerhalb einer pubertätshemmenden Hormontherapie eingesetzt, um androgenbedingte Krankheitszustände zu behandeln.58 Dazu gehören beim Mann vor allem das Prostatakarzinom und die Sexualdeviation. Nach einem biochemischen Rezidiv des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms gilt der Androgenentzug als das wichtigste Prinzip der systematischen Therapie. Zur Behandlung des fortgeschrittenen hormonabhängigen Prostatakarzinoms werden für die Androgendeprivation in erster Linie allerdings keine Antiandrogene (Androcur bzw. Cyproteron), sondern Gonadorelinanaloga bzw. Gonadorelinantagonisten eingesetzt, die sich zum Standard der Hormontherapie entwickelt haben und wegen der Reversibilität im Vergleich zur Orchiektomie sowie der möglichen intermittierenden Anwendung in Leitlinien empfohlen werden.59 Antiandrogene werden als Alternative zu den Gonadorelinanaloga oder Gonadorelinantagonisten als Monotherapie angewendet, wenn Patienten eine Erhaltung der Sexualfunktion anstreben und bereit sind, Nebenwirkungen wie Gynäkomastie (männliches Brustwachstum) und gegebenenfalls eine verkürzte Überlebenszeit zu akzeptieren .60. Ein Cochrane-Review über 11 klinische Studien mit 3.060 Patienten mit fortgeschrittenen Prostatakarzinom hat bestätigt, dass nicht-steroidale Antiandrogene (Bicalutamid, Flutamid) in Bezug auf Gesamtüberleben, klinische Progression und Therapieversagen weniger wirksam sind als medikamentöse oder chirurgische Kastration. Auch die kombinierte Androgenblockade zusammen mit Gonadorelinanaloga hat kaum zusätzliche Effekte, aber negative Auswirkungen auf die Lebensqualität.61 Bei Frauen werden Antiandrogene (Cyproteronkombinationen mit Ethinylestradiol) zur Behandlung von Hirsutismus, Akne vulgaris und androgenetischem Haarausfall eingesetzt. Daneben gibt es eine Cyproteron-Estradiol-Kombination (Climen), die für die postmenopausale Hormonsubstitution zugelassen ist. Weitere Kombinationen mit antiandrogenen wirksamen Gestagenen wie 58 Vgl. Strowitzki, Sexualhormone, in: Schwabe/Paffrath, u. a. (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2019, S. 979, 982. 59 Vgl. hierzu Deutsche Krebsgesellschaft e. V./Deutsche Krebshilfe/Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V., Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms. Kurzversion 5.1 – Mai 2019, AWMF-Register- Nummer 043/022OL; abrufbar unter: https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload /Downloads/Leitlinien/Prostata_5_0/LL_Prostatakarzinom_Kurzversion_5.1.pdf. 60 Vgl. Ludwig/Schwabe, Onkologika, in: Schwabe/Paffrath, u. a. (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2019, S. 817, 859. 61 Vgl. hierzu die Nachweise bei Ludwig/Schwabe, Onkologika, in: Schwabe/Paffrath, Dieter u. a. (Hrsg.), Arzneiverordnungs -Report 2019, S. 817, 859. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 33 Chlormadinonacetat, Dienogest oder Drospirenon finden sich in verschiedenen hormonalen oralen Kontrazeptiva, Dienogest und Drospirenon auch in Präparaten zur postmenopausalen Hormonsubstitution .62 6.3. Die gegengeschlechtliche Hormonbehandlung Ebenso wie die pubertätshemmende Therapie unterliegt auch bzw. erst recht die gegengeschlechtliche Hormontherapie sehr hohen Anforderungen, sowohl bei der Entscheidung, ob eine solche Therapie eingeleitet wird als auch mit welchen Präparaten. Dies ist vor allem im Hinblick auf Risiken und Nebenwirkungen der verabreichten Mittel der Fall. 6.3.1. Ziel und körperliche Auswirkungen der gegengeschlechtlichen Hormontherapie Ziel einer gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung ist es, eine möglichst weitgehende körperliche Angleichung an das Geschlecht herbeizuführen, das dem eigenen Geschlechtsidentitätsempfinden entspricht, also eine Maskulinisierung oder Feminisierung des Körpers herbeizuführen. Nach den Standards of Care der WPATH ist die maskulinisierende/feminisierende Hormontherapie für viele transsexuelle Menschen mit Geschlechtsdysphorie eine medizinisch notwendige Behandlung , um maskulinisierende oder feminisierende körperliche Veränderungen einzuleiten.63 Mit den körperlichen Auswirkungen befasst sich insbesondere Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, S. 242 f., Anlage 6, Er führt im Einzelnen aus, wie sich Trans-Jungen und Trans-Mädchen entwickeln würden: Bei Trans-Jungen (geburtsgeschlechtlichen Mädchen) entwickle sich bei einer frühzeitigen maskulinisierenden Hormontherapie der Knochenbau kräftiger. Die Körpergröße nehme zwar etwas zu, bleibe aber im Durchschnitt unter der mittleren Körpergröße von Männern. Die Muskulatur werde insgesamt kräftiger, vor allem im Bereich der Schultern und Oberarme. Die Brustbildung werde unterbunden. Außerdem komme es zu einem männlichen Muster der Fettverteilung. Die weiblichen Rundungen im Bereich der Hüfte blieben aus und die Gesichtszüge würden etwas markanter. Darüber hinaus komme es zum Bartwuchs und nicht selten zu stärkerer Körperbehaarung auf Brust, Rücken und an den Armen und Beinen. Die Stimme werde tiefer und kräftiger. Insgesamt komme es zu einer deutlichen Maskulinisierung des Körpers, der es den Patientinnen wesentlich erleichtere, im Alltag als männlicher Jugendlicher angesehen zu werden. Bei Trans-Mädchen (geburtsgeschlechtlichen Jungen) bleibe bei einer frühzeitigen feminisierenden Hormontherapie der Knochenbau zierlicher. Hände und Füße blieben kleiner und die Taille könne sich niedriger ausbilden. Die Muskulatur im Bereich der Schultern und Oberarme trete weniger hervor. Es komme zur Brustbildung und zu weiblichen Rundungen im Bereich der Hüfte. Darüber hinaus blieben die Gesichtszüge weicher. Bartwuchs und Körperbehaarung würden unterdrückt. Die Stimmlage bliebe in höheren Bereichen bzw. senke sich nicht ab. Den Pati- 62 Vgl. Strowitzki, Sexualhormone, in: Schwabe/Paffrath, u. a., (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2019, S. 979, 982). 63 Vgl. hierzu näher die Ausführungen in den Standards of Care S. 42 mit Nachweisen aus der Literatur. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 34 enten würden so spätere Epilationsbehandlungen, Stimmtraining und operative Gesichtsfeminisierungen erspart. Insgesamt komme es mithin zu einer Feminisierung des Körpers, der es den Patienten wesentlich erleichtere, im Alltag als weibliche Jugendliche angesehen zu werden. Zum zeitlichen Ablauf der verschiedenen Veränderungen führen die Standards of Care der WPATH aus, dass die meisten maskulinisierenden wie auch feminisierenden körperlichen Veränderungen innerhalb von zwei Jahren stattfänden. Das Ausmaß der verschiedenen Veränderungen sowie deren zeitlicher Ablauf könnten dabei stark variieren. Nähere Informationen zu den Auswirkungen und dem zeitlichen Verlauf einer maskulinisierenden und feminisierenden Hormontherapie finden sich in den Tabellen 1A und 1B der Standards of Care (vgl. S. 45 – 47). 6.3.2. Voraussetzungen für eine gegengeschlechtliche Hormontherapie Voraussetzungen, die vor Beginn einer gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung vorliegen sollten , sind zum einen Gegenstand der Standards of Care der WPATH und der S1-Leitline der DGKJPB, zum anderen werden diese aber auch in der Literatur behandelt und dabei zum Teil unterschiedlich weit gefasst. 6.3.2.1. Standards of Care der WPATH Die Standards of Care geben vor, dass eine maskulinisierende /feminisierende Hormontherapie unter anderem eine anhaltende und gut dokumentierte Geschlechtsdysphorie sowie die Fähigkeit voraussetzt, eine voll informierte Zustimmung zur Behandlung zu geben, da die gegengeschlechtliche Hormontherapie zu irreversiblen körperlichen Veränderungen führen könne. Lägen signifikante medizinische oder psychische Probleme vor, müssten diese in ausreichendem Maß kontrolliert sein.64 Den Standards of Care zufolge können diese an die Aufnahme einer maskulinisierenden /feminisierenden Hormontherapie zu stellenden Anforderungen grundsätzlich auch von geschlechtsdysphorischen Jugendlichen erfüllt werden. Dabei wird hervorgehoben, dass diese Therapie möglichst auch dann mit dem Einverständnis der Eltern erfolgen solle, wenn – wie in vielen Ländern – Jugendliche bereits als Sechzehnjährige geschäftsfähig und somit rechtlich in der Lage seien, Entscheidungen oder medizinische Interventionen zu treffen. Im Idealfall sollten – so die Standards of Care – die Entscheidungen hinsichtlich der Behandlungsschritte von den Jugendlichen allerdings zusammen mit ihrer Familie und dem Behandlungsteam getroffen werden. In den Standards of Care wird weder eine eindeutige Altersgrenze für den Beginn einer Hormontherapie bei geschlechtsdysphorischen Jugendlichen genannt, noch ein genauer Therapieplan beschrieben. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass sich die Behandlungspläne deutlich von denen für Erwachsene unterschieden und die Hormontherapie für Jugendliche so angepasst werden müsse, dass sie der somatischen, emotionalen und menschlichen Entwicklung , die während des Erwachsenwerdens stattfinde, gerecht werde.65 64 Vgl. hierzu die Standards of Care der WPATH, S. 42 ff. und S. 121. 65 Vgl. hierzu die Standards of Care der WPATH, S. 25 f. mit Nachweisen aus der Literatur. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 35 6.3.2.2. S1-Leitlinie der DGKJP und Dutch Protocol In der S1 Leitlinie der DGKJP wird aus entwicklungspsychologischen Überlegungen heraus und im Einklang mit dem holländischen Behandlungsprotokoll66 die Auffassung vertreten, dass eine gegengeschlechtliche Hormontherapie in der Regel nicht vor dem 16. Lebensjahr begonnen werden sollte.67 6.3.2.3. Weitere fachwissenschaftliche Stellungnahmen Korte/Beier u. a. geben zu bedenken, dass nicht das kalendarische, sondern vielmehr das Entwicklungsalter , insbesondere der Grad der psychosexuellen Reife beurteilungsrelevant sei, da hinsichtlich der somatosexuellen und psychosexuellen Entwicklung ein großer Altersspielraum bestehe und sichere Kriterien, die den Abschluss der psychosexuellen Entwicklung markierten, sich nur schwer definieren ließen. Ein Abschluss der somato- und psychosexuellen Entwicklung könne in Einzelfällen zwar bereits mit 16 Jahren vorliegen, die meisten Jugendlichen seien aber mit 16 Jahren noch mitten in ihrer sexuellen Identitätsfindung, die zunächst diagnostisch-therapeutisch begleitet werden müsse. Die Reifebeurteilung und die damit verbundene Entscheidung über die Indikation einer gegengeschlechtlichen Hormontherapie seien deshalb individuell, auf den einzelnen Patienten bezogen und grundsätzlich interdisziplinär zu treffen.68 Angesichts des mit einer gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung verbundenen Rollenwechsels und der damit einhergehenden tiefgreifenden Veränderung des Lebens transsexueller Jugendlicher schon in ihrer zweiten Lebensdekade weist Preuss darauf hin, dass nicht nur die pubertätshemmende , sondern auch die gegengeschlechtliche Hormonbehandlung in den fortlaufenden diagnostischen und psychotherapeutischen Prozess eingebettet bleiben und ihre Indikation sorgfältig reflektiert werden müsse.69 66 Steensma, Cohen-Kettenis, Dutch approach to gender dysphoria in children and adolescents, in: Homosexuality 2012, 59, S. 301-320. 67 So die Leitlinie „Störungen der Geschlechtsidentität im Kindes- und Jugendalter (F64)“ der DGKJP, S. 7; Korte/Beier u. a., Behandlung von Geschlechtsidentitätsstörungen (Geschlechtsdysphorie) im Kindes- und Jugendalter , in: Sexuologie, 2016, 117, 128, Anlage 2. 68 Korte/Beier, u. a., Behandlung von Geschlechtsidentitätsstörungen (Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter , in: Sexuologie, 2016, S. 117, 128, Anlage 2, und Korte/Wüsthoff, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen, in: Oppelt/Dörr (Hrsg.), Kinder- und Jugendgynäkologie , 2015, S. 452, 466, Anlage 1. 69 Vgl. Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, S. 244, Anlage 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 36 6.3.3. Die im Rahmen einer maskulinisierenden Hormonbehandlung eingesetzten Sexualhormone Jugendliche mit biologisch weiblichem Geschlecht werden bei transsexueller Entwicklung in Deutschland mit dem Sexualhormon Testosteron behandelt, das zu den sog. Androgenen gehört 70. Die angestrebte Vermännlichung des Körpers der Trans-Jungen kann dabei sowohl durch die intramuskuläre Applikation von Testosteronenantat oder Testosteronundecanoat als auch durch eine transdermale Verabreichung (Gel oder Pflaster) erzielt werden. Bezüglich des praktischen Vorgehens im Falle der Entscheidung für eine gegengeschlechtliche Hormontherapie bei Trans-Jungen einschließlich konkreter Dosierungsangaben wird auf die entsprechenden Empfehlungen von pädiatrisch-endokrinologischer Seite verwiesen.71 6.3.4. Die im Rahmen einer feminisierenden Hormontherapie eingesetzten Sexualhormone Jugendliche mit biologisch männlichem Geschlecht werden bei transsexueller Entwicklung in Deutschland mit Östrogenen behandelt. Preuss weist darauf hin, dass zum einen Östrogenpräparate verwendet würden, die den Vorteil hätten, als Tabletten bzw. oral eingenommen werden zu können. Östrogenpräparate in Gel-Form seien dagegen für eine behutsam einschleichende Dosierungserhöhung am Anfang der Behandlung geeignet. Darüber hinaus umgingen Östrogene, die über die Haut aufgenommen würden, den Leberkreislauf und schonten so die Leber.72 Da Östrogene für den Epiphysenverschluss – also den Verschluss der Knochenwachstumsfuge – verantwortlich sind, kann bei geburtsgeschlechtlich männlichen Jugendlichen die endgültige Körpergröße mit dem Beginn der gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung beeinflusst werden. Diese Hormonbehandlung wird auch als Östrogen-Substitutions-Therapie bezeichnet. Sie wird nach Korte/Wüsthoff mit dem Präparat Estradiolvalerat 2 mg/täglich begonnen und gegebenenfalls auf 4 mg/täglich gesteigert.73 Um eine gute Brustentwicklung zu erreichen, wird von diesen Autoren empfohlen, das Estradiol im oberen weiblichen Normbereich zu halten. 70 Im Einzelnen lassen sich Sexualhormone in Androgene, Anabolika, Antiandrogene, Östrogene, Gestagene und Antiöstrogene einteilen (vgl. hierzu Strowitzki, Sexualhormone, in: Schwabe/Paffrath u. a. (Hrsg.), Arzneiverordnungs -Report 2019, S. 979 (980). 71 Vgl. hierzu Korte/Wüsthoff, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen , in: Oppelt/Dörr (Hrsg.), Kinder- und Jugendgynäkologie, 2015, S. 452, 466 f., Anlage 1; Preuss, Geschlechtsdysphorie , Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, S. 244 f., Anlage 6; Specht/Gesing, u.a., Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter, in: Kinder- und Jugendmedizin, 2017, S. 170, 175, Anlage 4; Döhnert/Richter-Unruh, Geschlechtsdysphorie, in: Kinder- und Jugendmedizin, 2018, S. 190, 196 mit Tabelle 5 unter Bezugnahme auf die Leitlinien der „Endocrine Society, Anlage 3. 72 Preuss, Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter, S. 245, Anlage 6. 73 Korte/Wüsthoff, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen, in: Oppelt/Dörr (Hrsg.), Kinder- und Jugendgynäkologie, 2015, S. 452, 467, Anlage 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 37 6.3.5. Risiken bzw. unerwünschte Nebenwirkungen gegengeschlechtlicher Hormonbehandlungen Zu den Risiken bzw. unerwünschten Nebenwirkungen einer maskulinisierenden Hormontherapie bei Trans-Jungen (geburtsgeschlechtliche Mädchen) zählen neben einer Polyzythämie (abnorme Vermehrung von roten Blutzellen) beispielsweise die Ausbildung einer Akne, Gewichtszunahme , eine androgenetische Alopezie (Glatzenbildung) und Schlafapnoe. Unerwünschte Nebenwirkungen einer feminisierenden Hormontherapie bei Trans-Mädchen (geburtsgeschlechtliche Jungen) sind vor allem ein erhöhtes Risiko für venös- thromboembolytische Erkrankungen und Gallensteine, erhöhte Leberenzymwerte, Gewichtszunahme und Hypertriglyceridämie (Fettstoffwechselstörung mit Erhöhung der Triacylglyceride im Blut über den physiologischen Wert hinaus). Die Risiken bzw. unerwünschten Nebenwirkungen, die mit einer maskulinisierenden/feminisierenden Hormonbehandlung bei transsexuellen Jugendlichen verbunden sein können, sind in der Tabelle 2 der Standards of Care der WPATH74 gelistet. Aufgrund der bislang vorliegenden wissenschaftlichen Studien lassen sich diese Risiken danach wie folgt unterteilen: - wahrscheinlich erhöhtes Risiko - wahrscheinlich erhöhtes Risiko bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren - mögliches erhöhtes Risiko - mögliches erhöhtes Risiko bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren - kein bzw. kein eindeutiges Risiko. Die Angaben zu dieser Kategorie schließen jene mit ein, die ein Risiko darstellen könnten, für die es aber zu wenig Belege gibt, um klare Schlussfolgerungen ziehen zu können. Nähere Informationen zu diesen medizinischen Risiken finden sich im Anhang B der Standards of Care75, der sich auf zwei ausführliche evidenzbasierte Übersichtsarbeiten zu maskulinisierender /feminisierender Hormontherapie und eine umfassende Kohortenstudie stützt.76 6.3.6. Datenlage zur Häufigkeit gegengeschlechtlicher Behandlungen in Deutschland und zur Menge der an Kinder und Jugendliche verschriebenen Hormonpräparate Ebenso wie bei der pubertätsunterdrückenden Hormontherapie stehen – soweit ersichtlich – auch hinsichtlich der Häufigkeit gegengeschlechtlicher Behandlungen und der Häufigkeit und Menge der an Kinder und Jugendliche im Rahmen dieser Therapie verschriebenen Hormonpräparate für Deutschland bislang keine Daten zur Verfügung. Nach Auskunft des GKV-Spitzenverbandes können auch für die gegengeschlechtliche Hormontherapie weder aus der amtlichen Statistik , noch aus den im Rahmen des EBM oder der Arzneimittel-Verordnungen vorliegenden Daten entsprechende Erkenntnisse gewonnen werden. 74 Standards of Care der WPATH, S. 49. 75 Standards of Care der WPATH, S. 114–120. 76 Vgl. hierzu die Literaturnachweise bei den Standards of Care der WPATH, S. 48 und 114. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 38 6.3.7. Anwendung von Androgenen und Östrogenen außerhalb einer gegengeschlechtlichen Hormontherapie und die mit deren Einsatz verbundenen Nebenwirkungen Außerhalb einer gegengeschlechtlichen Hormontherapie werden Androgene und Östrogene zur Behandlung von Störungen der Sexualfunktion bei Mann und Frau eingesetzt und dienen dort in erster Linie zur Substitution einer ungenügenden körpereigenen Hormonproduktion. 6.3.7.1. Anwendung von Androgenen Die im Rahmen einer maskulinisierenden Hormontherapie bei Trans-Jungen verwendeten Androgene werden außerhalb dieser gegengeschlechtlichen Behandlung zur Substitutionstherapie bei männlichem Hypogonadismus eingesetzt. Unter männlichem Hypogonadismus ist ein durch Androgenmangel verursachtes klinisches Syndrom zu verstehen, das verschiedene Organfunktionen und die Lebensqualität negativ beeinflussen kann. Androgene spielen in der Entwicklung und Aufrechterhaltung der männlichen reproduktiven und sexuellen Funktionen eine wesentliche Rolle. Niedrige Spiegel der zirkulierenden Androgene können Störungen in der männlichen Sexualentwicklung verursachen, die im späteren Leben zu einer geringeren Fertilität, sexueller Dysfunktion, verminderter Muskelbildung und Knochenmineralisierung, Störungen des Fettmetabolismus und kognitiver Dysfunktion führen können. Beim männlichen Hypogonadismus gonadalen Ursprungs (primärer Hypogonadismus) ist eine Dauertherapie mit lang wirksamen Testosteronpräparaten erforderlich. Beim sekundären Hypogonadismus, der durch Gonadotropinmangel infolge von hypothalamischen oder hypophysären Störungen bedingt ist, werden Behandlungspausen eingelegt, um eine reaktive Stimulation des Steuerungssystems der Hormonsekretion zu induzieren. Bei älteren Männern erhöht Testosteron die Muskelkraft, aber auch das Risiko kardiovaskulärer unerwünschter Ereignisse77, worauf auch die Food and Drug Administration in einer aktualisierten Sicherheitsinformation hingewiesen hat.78 Daher gilt eine Testosteronsupplementation aus geriatrischer Sicht als nicht indiziert.79 Mit dem Einsatz von Androgenen zur Substitutionstherapie bei männlichem Hypogonadismus hat sich Strowitzki befasst80. Darüber hinaus gibt die Leitlinie der European Association of Urology (EAU) zu Diagnostik und Behandlung des männlichen Hypogonadismus aus dem Jahr 2013 praktische Empfehlungen zum Umgang mit primär niedrigem Testosteron und altersbedingtem Testosteronrückgang bei männlichen Patienten sowie zur Behandlung von Testosterondefiziten 77 Vgl. Basaria et al., Adverse events associated with testosterone administration, in: New Engl. J. Med., 2010, 363, S. 109-122. 78 Food and Drug Administration, 2018, FDA Drug Safety Communication: FDA cautions about using testosterone products for low testosterone due to aging; requires labeling change to inform of possible increased risk of heart attack and stroke with use; abrufbar im Internet unter: https://www.fda.gov/drugs/drug-safety-and-availability /fda-drug-safety-communication-fda-cautions-about-using-testosterone-products-low-testosterone-due. 79 Vgl. Hilbert-Walter/Büttner u. a., Testosteron im Alter: ein Update, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift, 2013 (137), S. 2117-2122. 80 Strowitzki, Sexualhormone, in: Schwabe/Paffrath, u. a. (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2019, S. 979 (981). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 39 und -mangelzuständen, die durch andere Erkrankungen verursacht werden.81 Diese Leitlinie befasst sich auch mit den verschiedenen einsetzbaren Präparaten (etwa dem Testosteronundecanoat und dem Testosteronenantat) und beschäftigt sich insbesondere auch eingehend mit den Risikofaktoren der Testosteronbehandlung. Die in der Leitlinie problematisierten Risiken beziehen sich dabei auf die möglichen Folgen für das Prostata- und Mammagewebe, das kardiovaskuläre System und Schlafapnoe.82 6.3.7.2. Anwendung von Östrogenen Östrogene regeln zusammen mit den Gestagenen die Reproduktionsvorgänge bei der Frau, induzieren die Pubertätsveränderungen und erhalten die Funktion der Sexualorgane. Zu den therapeutisch wichtigen Wirkungen der Östrogene gehört die Proliferation der Schleimhaut in Uterus und Vagina sowie die Förderung der Knochenmineralisation. Hauptindikation für die Verordnung natürlicher Östrogene außerhalb einer gegengeschlechtlichen – feminisierenden – Hormontherapie bei Trans-Mädchen mit Östrogenen ist die postmenopausale Hormontherapie und damit die Therapie des klimakterischen Syndroms. Für die Behandlung klimakterischer Ausfallerscheinungen werden Östrogene (etwa Estradiol) mit einem 10-14tägigen Gestagenzusatz (Sequenztherapie ) oder als kontinuierliche Kombinationstherapie (Östrogen/Gestagen) oral oder als Pflaster transdermal angewendet.83 Randomisierte Studien haben Langzeitnebenwirkungen einer postmenopausalen Hormontherapie gezeigt. Ein instruktiver Überblick über den aktuellen internationalen Forschungsstand zu den Risiken dieser Therapie findet sich bei Strowitzki m Arzneiverordnungs-Report 2019.84 Der Autor berücksichtigt dabei unter anderem auch die erste Leitlinie des „National Institute for Health and Care Excellence (NICE)“ zur Behandlung der Menopause aus dem Jahr 201585, mit der die Risiken der postmenopausalen Hormontherapie eine gewisse Neubewertung erfahren haben. Bei der Auswertung der Langzeitrisiken stellte das NICE fest, dass das thromboembolische Risiko durch orale Präparate signifikant erhöht werde, nicht aber durch transdermale Präparate. Auch das kardiovaskuläre Risiko werde bei Frauen unter 60 Jahren durch die Hormontherapie nicht erhöht. Das koronare Risiko und das Brustkrebsrisiko würden nur durch Östrogen-Gestagenkombinationen erhöht, jedoch kaum oder gar nicht durch die Östrogenmonotherapie. Die NICE Guideline bildet auch eine der Grundlagen der im Jahr 2018 neu erschienenen deutschen S3-Leitlinie „Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen“ der Deutschen Gesellschaft für 81 In: Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, 2013, 10 (5-6), S. 279-292, abrufbar im Internet unter : https://uroweb.org/wp-content/uploads/EAU_Guidelines.pdf. 82 Vgl. hierzu im Einzelnen die Ausführungen in der Leitlinie zu Gliederungspunkt 10. 83 Vgl. Strowitzki, Sexualhormone, in: Schwabe/Paffrath, u. a. (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2019, S. 979, 982 f. 84 Strowitzki, Sexualhormone, in: Schwabe/Paffrath, u. a., (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2019, S. 979, 983 ff. 85 Vgl. National Institute for Health and Care Excellence, Menopause: diagnosis and management. NICE guideline, published 12. November 2015, NG 23; abrufbar unter: https://www.nice.org.uk/guidance/ng23/resources/menopause -diagnosis-and-management-pdf-1837330217413. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 40 Gynäkologie und Geburtshilfe86, die insbesondere auch ausführliche Informationen über Nutzen und Risiken der Hormonersatztherapie enthält. 6.4. Geschlechtsangleichende operative Eingriffe Nach einer pubertätshemmenden Hormonbehandlung insbesondere mit GnRH-Analoga als erster möglicher Intervention, gefolgt von einer weiteren hormonellen Behandlung mit gegengeschlechtlichen Sexualhormonen zur Entwicklung der jeweils angestrebten Geschlechtsmerkmale wünschen einige Patientinnen und Patienten schließlich chirurgische Interventionen, um die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale (z. B. im Brustbereich, bei den äußeren und/oder inneren Genitalien, Gesichtsformen, Körperkonturen) zu verändern. Wie bei der Vorbereitung und Durchführung von hormonellen Therapien stehen die Behandelnden auch und gerade bei der operativen Therapie vor großen Herausforderungen, wenn sichergestellt werden soll, dass die Patienten nach der Operation über mehr Lebensqualität verfügen als vor der Geschlechtsumwandlung. Nach einer Querschnittsstudie, die sich mit 13 Studien zu dieser und damit zusammenhängenden Fragen befasst hat, ist unter Einbeziehung dieser untersuchten Studien davon auszugehen, dass sich die Operation in der Tendenz positiv auf die Lebensqualität der Betroffenen ausgewirkt habe. In bestimmten Kategorien (beispielsweise „Schmerzfreiheit “, „Fitness“ und „Energie“) zeigten einzelne Studien allerdings eine Verschlechterung der Lebensqualität. Angemerkt wird aber auch, dass die Erkenntniswerte auf Grund der bisherigen Datenlage noch unzureichend seien.87 6.4.1. Voraussetzungen geschlechtsangleichender operativer Maßnahmen Auch im Hinblick auf die Voraussetzungen, die für geschlechtsangleichende operative Eingriffe vorliegen sollten, besteht innerhalb der Wissenschaft kein vollständiger Konsens. Nach den Standards of Care der WPATH sollen Operationen am Genital erst durchgeführt werden , wenn die Patientinnen bzw. Patienten volljährig sind. Damit sei sichergestellt, dass sie für diese medizinische Intervention eine entsprechende Einverständniserklärung abgeben könnten. Außerdem empfehlen die Standards of Care, dass die Patientinnen und Patienten kontinuierlich seit mindestens zwölf Monaten in der Geschlechtsrolle gelebt haben sollten, die mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimme. Die Standards of Care heben dabei ausdrücklich hervor, dass das Erreichen der Volljährigkeitsgrenze lediglich als Minimalkriterium, nicht aber als Indikation für eine chirurgische Behandlung der Geschlechtsdysphorie angesehen werden dürfe. Brustoperationen bei Frau-zu-Mann (FzM)-Patientinnen könnten demgegenüber bereits früher durchgeführt werden, vorzugsweise nachdem die Personen eine angemessene Zeit in der gewünschten Geschlechtsrolle gelebt hätten und ein Jahr lang mit Testosteron behandelt worden seien. Diese 86 Abrufbar unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015-062l_S3_KF_Peri-Postmenopause-Diagnostik -Intervention_2018-11.pdf. 87 Weinforth/Fakin u. a., Postoperative Lebensqualität nach Mann-zu-Frau geschlechtsangleichender Operation, in: aerzteblatt.de 2019, S. 253-260, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/206672/Postoperative-Lebensqualitaet -nach-Mann-zu-Frau-geschlechtsangleichender-Operation. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 41 Empfehlung verfolge das Ziel, den Jugendlichen ausreichend Gelegenheit zu geben, die männliche Geschlechtsrolle zu leben und sich sozial anzupassen, bevor sie sich einer irreversiblen Behandlungsmaßnahme unterzögen. Andere Vorgehensweisen könnten jedoch zweckmäßiger sein, je nach der spezifischen klinischen Situation der Jugendlichen und ihren Zielvorstellungen hinsichtlich des Ausdrucks ihrer Geschlechtsidentität.88 Auch sonst wird in der Wissenschaft ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass geschlechtsangleichende operative Eingriffe grundsätzlich nicht vor Vollendung des 18. Lebensjahres erfolgen sollten. Aus juristischen Gründen sei die Einwilligung in eine solche den Körper verändernde Operation nach Erreichen der Volljährigkeit für den Operateur weniger risikobehaftet. Vor allem aber sei eine ausreichende Persönlichkeitsreife erforderlich, um die langfristigen Konsequenzen eines solchen Eingriffs zu überblicken. Sofern sich der Körper allerdings ohnehin schon durch eine gegengeschlechtliche Hormonbehandlung stark in Richtung des Identitätsgeschlechts verändert habe, kämen in Einzelfällen operative Maßnahmen aber auch bereits ab 16 Jahren in Betracht.89 Demgegenüber werden in der S1-Leitlinie der DGKJP geschlechtskorrigierende operative Eingriffe vor Vollendung des 18. Lebensjahres ausdrücklich nicht empfohlen.90 6.4.2. Überblick über die chirurgischen Maßnahmen bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Geschlechtsdysphorie Einen Überblick über die verschiedenen chirurgischen Maßnahmen, die für Frau-zu-Mann (FzM)- Patientinnen und Mann-zu-Frau (MzF)-Patienten im Rahmen der Behandlung der Geschlechtsdysphorie in Betracht kommen, vermitteln die Standards of Care der WPATH91 und die Darstellung bei Specht/Giesing u. a.92 Danach ist jeweils zwischen brust- und genitalchirurgischen Operationen und anderen geschlechtsangleichenden Maßnahmen zu unterscheiden, zu denen bei MzF-Patienten beispielweise Maßnahmen zur Feminisierung des Gesichts, Fettabsaugung, Fettunterspritzung im Hüftbereich, Rekonstruktion der Haare sowie weitere ästhetische Verfahren und bei FzM-Patienten zum Beispiel Stimmchirurgie, Fettabsaugung, Pektorale Brustimplantate und weitere ästhetische Verfahren gehören. Die Standards of Care der WPATH bieten darüber hinaus einen Überblick über die Techniken und möglichen Komplikationen brust- und genitalchirurgischer Interventionen.93 88 Zu den vorgenannten Voraussetzungen für geschlechtsangleichende Operationen sowie zu den einzelnen Kriterien für brust- und genitalchirurgische Eingriffe vgl. die Standards of Care der WPATH, S. 26, 70-74 und 122- 124. 89 Vgl. Korte/Wüsthof, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen , in: Oppelt/Dörr, Kinder- und Jugendgynäkologie, 2015, S. 452, 467. 90 Vgl. hierzu die S1-Leitlinie der DGKJP, S. 7. 91 Dort die Ausführungen auf den S. 69-70 und 77. 92 Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter, in: Kinder- und Jugendmedizin, Heft 3/2017, S. 170, 175, Anlage 4. 93 Vgl. dort die Ausführungen auf S. 75-77. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 42 6.4.3. Studien zum Suizidrisiko nach einer geschlechtsangleichenden Operation Das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft berichtet von einer Langzeitstudie, die in Schweden zwischen 1973 und 2003 mit Menschen durchgeführt worden sei, die sich als transsexuell empfunden und sich einer Geschlechtsumwandlungsoperation unterzogen hätten: Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft, Studien über Transsexualität, Suizidrate bei transsexuellen Personen nach Geschlechtsumwandlungsoperation fast 20 Mal höher als in der Allgemeinbevölkerung.94 An dieser Studie seien 324 Personen beteiligt gewesen, deren Daten im Hinblick auf Suizid, Suizidversuche und psychiatrische Erkrankungen nach der Operation erfasst und untersucht worden seien, in Gegenüberstellung zu Daten einer Vergleichsgruppe aus der Allgemeinbevölkerung . Ergebnis sei gewesen, dass ca. zehn Jahre nach der Operation die Sterblichkeitsrate der operierten Transsexuellen etwa dreimal so hoch gewesen sei wie in der Allgemeinbevölkerung und dass das Risiko für einen Selbstmord fast 20 Mal höher gewesen sei. In den US-amerikanischen Medien wird daneben von einer Studie berichtet, die in den Niederlanden durchgeführt und im Jahr 1997 veröffentlicht worden sei95. Auch hier wurde das Selbstmordrisiko nach einer erfolgten Geschlechtsumwandlung erforscht. 1,6 Prozent der geburtsgeschlechtlich männlichen Untersuchten hätten Selbstmord begangen. 6.4.4. Datenlage zur Häufigkeit geschlechtsangleichender Operationen in Deutschland Im Gegensatz zur Datenlage bei der pubertätshemmenden und gegengeschlechtlichen Hormontherapie stehen aufgrund der Gesundheitsberichterstattung des Bundes für den Zeitraum von 2005 bis 2018 für Deutschland Daten zu Operationen und Prozeduren „5-646 Operationen zur Geschlechtsumwandlung“ bei Kindern und Jugendlichen unter 25 Jahren zur Verfügung, die als vollstationäre Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern behandelt worden sind. Die vorliegende Erhebung erstreckt sich dabei auf alle Krankenhäuser, die nach dem DRG-Vergütungssystem abrechnen und dem Anwendungsbereich des § 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG)96 unterliegen . In der Altersgruppe der 15- bis unter 20-Jährigen sei die Anzahl der durchgeführten Operationen zur Geschlechtsumwandlung danach von 7 im Jahr 2006 auf 110 im Jahr 2018 angestiegen . Für die Altersgruppe der 20- bis unter 25-Jährigen werde demgegenüber für das Jahr 2005 eine Anzahl von acht und für das Jahr 2018 eine Anzahl von 384 Operationen ausgewiesen.97 94 Veröffentlicht im Jahr 2011, abrufbar unter: https://www.dijg.de/transsexualitaet-geschlechtsumwandlung/studien /. 95 Bailey/Blanchard, Suicide or transition: The only options for gender dysphoric kids?, 4thWave Now, 8. September 2017, abrufbar unter: https://4thwavenow.com/2017/09/08/suicide-or-transition-the-only-options-for-gender -dysphoric-kids/. 96 Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz – KHEntgG) vom 23. April 2002 (BGBl. I S. 1412, 1422), zuletzt geändert durch Art. 14a des Gesetzes vom 6. Mai 2019 (BGBl. I S. 646). 97 Zur Entwicklung der Zahl der im Zeitraum von 2005 bis 2018 durchgeführten Operationen zur Geschlechtsumwandlung bei diesen beiden Altersgruppen wird auf die vom Statistischen Bundesamt für die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages erstellte Tabelle vom 10. Oktober 2019 verwiesen, Anlage 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 43 7. Projekte und Initiativen, die sich mit Fragen der Geschlechtsidentität befassen 7.1. Maßnahmen der Bundesregierung Das BMFSFJ hat im Jahr 2014 eine Interministerielle Arbeitsgruppe „Inter- und Transsexualität“ eingerichtet, an der das Bundesministerium des Innern, das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, das Bundesministerium für Gesundheit und seit Sommer 2016 das Bundesministerium der Verteidigung mitgewirkt haben. Die Arbeitsgruppe widmete sich dem fachlichen Austausch über die Situation von trans- und intersexuellen Menschen und dem Entwicklungsbedarf in der Forschung, im gesellschaftlichen Diskurs und nicht zuletzt in der Politik: BMFSFJ, Situation von trans- und intersexuellen Menschen im Fokus, Sachstandsinformationen des BMFSFJ, Begleitmaterial zur „Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- und Transsexualität“, Band 5. Oktober 2016, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/blob/112092/f199e9c4b77f89d0a5aa825228384e08/imag-band-5-situationvon -trans-und-intersexuellen-menschen-data.pdf. Die Sachstandsinformationen geben einen Überblick zu den Fragestellungen und wichtigen Ansätzen für die weitere Diskussion des Themas . Im Jahr 2017 legte die Arbeitsgruppe einen Bericht zur aktuellen Situation und Modellen für die weitere Entwicklung vor: Geschlechtervielfalt im Recht: Status Quo & Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt, Begleitmaterial zur „Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- und Transsexualität“, Band 8. Berlin, 19. Juli 2017, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/gutachten--geschlechtervielfalt -im-recht--status-quo-und-entwicklung-von-regelungsmodellen-zur-anerkennung-und-zumschutz -von-geschlechtervielfalt/114072. In diesem Bericht werden insbesondere Fragen zur Verbesserung des rechtlichen Schutzes und der Anerkennung der Vielfalt von körperlichen Geschlechtsentwicklungen , Geschlechtsidentitäten und des Geschlechtsausdrucks diskutiert. Ebenfalls im Jahr 2017 legte die Arbeitsgruppe einen Ergebnisbericht vor: Zusammenfassung Forschungsergebnisse und Erkenntnisse des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus der Begleitarbeit zu der „Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- und Transsexualität “ (IMAG), Begleitmaterial zur „Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- und Transsexualität“, Band 12. Berlin, 2017, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/blob/120644/e2068b3d513b7f772760becf8bd4c70a/imag-band-12-zusammenfassung -der-forschungsergebnisse-data.pdf. Einer der Themenschwerpunkte sind Fragen der medizinischen Versorgung, Kapitel IV. 7.2. Beiträge zu Forschung und Lehre Nachfolgend werden einige Beiträge aufgeführt, die weitere Hinweise auf aktuelle Fragestellungen und Forschungsprojekte geben: Hoenes/Schirmer, Transgender/Transsexualität: Forschungsperspektiven und Herausforderungen , in Kortendiek, Beate/Riegraf, Birgit, u. a. (Hrsg.), Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung , Geschlecht und Gesellschaft, 2019, S. 1203-1212 (Überblicksbeitrag zu Studien aus Bereichen verschiedener Disziplinen), elektronischer Volltext abrufbar bei der Bibliothek des Deutschen Bundestages. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 44 Klein/Brunner u. a., Diagnoseleitlinien sexueller Störungen in der International Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD)-11 – Dokumentation des Revisionsprozesses, abrufbar unter: https://www.researchgate.net/publication/291042254_Diagnoseleitlinien_sexueller _Storungen_in_der_International_Classification_of_Diseases_and_Related_Health_Problems _ICD-11_-_Dokumentation_des_Revisionsprozesses (darin auch Bericht über laufende Feldstudien , in denen u. a. geprüft werden soll, ob die neu vorgeschlagenen Diagnoseleitlinien im Vergleich zu den aktuell bestehenden zu einer Verbesserung der klinischen Praxis und einer Abnahme an Diskriminierung führen würden). Uniklinik RWTH Aachen, Klinik für Phoniatrie, Pädaudiologie und Kommunikationsstörungen, Forschungsprojekt Transsexualität am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, abrufbar unter: https://www.ukaachen.de/kliniken-institute/klinik-fuer-phoniatrie-paedaudiologie -und-kommunikationsstoerungen/forschung/forschungsprojekte.html (das Forschungsprojekt befasst sich u. a. mit der Einordnung der Transsexualität als Krankheit und den derzeit möglichen und zulässigen Behandlungen). LVR Klinikum Essen, Institut für forensische Psychiatrie, Forschungsprojekt Transsexualität und Delinquenz, abrufbar unter: https://www.uni-due.de/rke-forensik/transsexualitaetunddelinquenz .php (über dieses Forschungsprojekt wird auf der Internetseite des Instituts berichtet). Klinik der LMU München, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, abrufbar unter: https://www.kjp.med.uni-muenchen.de/klinik/geschl _id_stoerungen.php, (u. a. ist dort als Oberarzt Dr. Alexander Korte tätig, der bereits eine Reihe von Beiträgen zum Thema veröffentlicht hat, Spezialsprechstunde für Kinder und Jugendliche mit Unsicherheiten in der sexuellen und geschlechtlichen Identitätsentwicklung oder mit sexuellen Verhaltensauffälligkeiten). University of Victoria, British Columbia, weltweit erste Professur für Transgender, seit 2016 Leiter : Aaron Devor, abrufbar unter: https://www.uvic.ca/research/transchair/. Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft (DIJG/Reichelsheim), das Studien- und Forschungszentrum der Kommunität Offensiver Junger Christen (OJC), Transsexualität: Psyche ins Lot bringen statt Genitalien verstümmeln, 18. November 2013, abrufbar unter: http://www.kath.net/news/43743/print/yes (Kritik an geschlechtsumwandelnden Operationen). Krell/Oldemeier, Deutsches Jugendinstitut (DJI), Forschungsprojekt: Coming-Out und dann? Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen, abrufbar unter: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload /bibs2015/DJI_Broschuere_ComingOut.pdf (Online-Befragung von mehr als 5000 Jugendlichen , darunter auch zu Fragen der Geschlechtsanpassung, S. 24 f.). 7.3. Weitere Initiativen Aktion Transsexualität und Menschenrechte e.V. (ATME), Stuttgarter Erklärung, Alternative zu Behandlungsempfehlungen für den Umgang des Gesundheitssystems mit transsexuellen und intersexuellen Menschen, Mai 2015, abrufbar unter: http://die-erklaerung.de/wp-content/uploads /2015/04/StuttgarterErklärung_FINAL_websmall.pdf (der Verein wird u. a. von der Eberhard- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 45 Schultz-Stiftung gefördert, die Erklärung wurde von vielen Ärzten, Therapeuten, Politikern, Betroffenen unterzeichnet (fast 3000 Unterschriften). Evangelische Kirche: Handreichung zu Transsexualität in der Kirche, 3. Auflage 2019, abrufbar unter: https://unsere.ekhn.de/themen/umgang-mit-transsexualitaet.html (die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat erstmals im April 2018 eine Broschüre zum Umgang mit Transsexualität veröffentlicht, die sich vor allem an ehrenamtlich in der Kirche Engagierte richtet). Internationale Konferenz Transsexualität an der Goethe-Universität in Frankfurt, Wissenschaftler aus Neuro- Bio und Rechtswissenschaften im Februar 2016, „Transsexualität. Eine gesellschaftliche Herausforderung im Gespräch zwischen Theologie und Neurowissenschaften“ (die Veranstaltung habe bewusst gemacht, wie wichtig es sei, die Psychopathologisierung und die in unserer Gesellschaft immer noch vorzufindende Diskriminierung (auch) transsexueller Menschen zu beenden , so der Bericht auf der Internetseite der Goethe-Universität), 28. April 2016, abrufbar unter : https://aktuelles.uni-frankfurt.de/veranstaltungen/internationale-konferenz-diskutierte-transsexualitaet /. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, BMBF-Klausurwoche „Ethische, juristische und soziale Aspekte der sexuellen Identität am Beispiel von Intersexualität und Transsexualität, Juni 2016, abrufbar unter: https://innovationen-sachsen-anhalt.de/project/bmbf-klausurwoche-ethische -juristische-17146. 8. Literaturverzeichnis Bailey, J. Michael/ Blanchard, Ray, Suicide or transition: The only options for gender dysphoric kids? in: 4thWaveNow, A community of parents & otheres questioning the medicalization of gender -atypical youth, 8. September 2017, https://4thwavenow.com/2017/09/08/suicide-or-transition -the-only-options-for-gender-dysphoric-kids/. Basaria et al., Adverse events associated with testosterone administration, in: New Engl. J. Med., 2010, 363, S. 109-122. Becker, Inga/Briken, Peer/Nieder, Timo O., Trans im Jugendalter – Aktuelle Forschungsergebnisse , in: Psychotherapie im Dialog, 2/2017, S. 41-45, Anlage 10. Bosinski, H./Arndt, R./Sippel, W./Wille, R., Geschlechtsidentitätsstörungen bei Kindern und Jugendlichen : Nosologie und Epidemiologie, in: Monatsschrift für Kinderheilkunde, 1996, S. 1235- 1241, abrufbar im Internet unter: https://link.springer.com/content /pdf/10.1007%2Fs001120050081.pdf. Clark, Lucassen/Bullen u. a., The health and wellbeing of transgender high school students: results from the New Zealand adolescent health survey (Youth 12), in: Adolesc Health 2014, 55, S. 93-99, Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24438852. Colizzi, Marco/Costa, Rosalia u.a., Concomitant psychiatric problems and hormonal treatment induced metabolic syndrome in gender dysphoria individuals: a 2 year follow-up study, in: Journal of Psychosomatic Research 2015, 78(4), S. 399-406, Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0022399915000367. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 46 Delemarre-van de Waal, Henriette A./Cohen-Kettenis, Peggy, Clinical management of gender identity disorder in adolescents: a protocol on psychological and paediatric endocrinology aspects , in: European Journal of Endocrinology 2006, 155, S. 131-137, downzuloaden über: https://www.academia.edu/27204353/Clinical_management_of_gender_identity_disorder _in_adolescents_a_protocol_on_psychological_and_paediatric_endocrinology_aspects, Anlage 8. Döhnert, Mirko/ Richter-Unruh, Annette/ Herrmann, E., Geschlechtsdysphorie – Ein Überblick über die aktuelle Studienlage und die kontroverse Diskussion zur Hormontherapie im Kindesund Jugendalter, in: Kinder- und Jugendmedizin, Zeitschrift, 3/2018, S. 190-198, Anlage 3. Food and Drug Administration, 2018, FDA Drug Safety Communication: FDA cautions about using testosterone products for low testosterone due to aging; requires labeling change to inform of possible increased risk of heart attack and stroke with use; abrufbar unter: https://www.fda.gov/drugs/drug-safety-and-availability/fda-drug-safety-communication-fda-cautions -about-using-testosterone-products-low-testosterone-due. Giedd, Jay N./Raznahan, Armin u.a., 2012, Review: magnetic resonance imaging of male/female differences in human adolescent brain anatomy, in: Biology of Sex Differences 3 (19), S. 1-9, Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3472204/. Hertlein, Linda/Burges, Alexander, u. a., Endometriose, Update der aktuellen Therapie, in: gyne, 3/2017, S. 12 ff.; abrufbar im Internet unter: https://cme.mgo-fachverlage.de/uploads /exam/exam_144.pdf. Hilbert-Walter, A./Büttner, R. u. a., Testosteron im Alter: ein Update, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift, 2013 (137), S. 2117-2122. Hoenes, Josch/Schirmer, Utan, Transgender/Transsexualität: Forschungsperspektiven und Herausforderungen , in Kortendiek, Beate/Riegraf, Birgit, u. a. (Hrsg.), Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung , Geschlecht und Gesellschaft, 2019, S. 1203-1212, elektronischer Volltext abrufbar bei der Bibliothek des Deutschen Bundestages. Klein, Verena/Brunner, Franziska u. a., Diagnoseleitlinien sexueller Störungen in der International Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD)-11 – Dokumentation des Revisionsprozesses , abrufbar unter: https://www.researchgate.net/publication/291042254_Diagnoseleitlinien _sexueller_Storungen_in_der_International_Classification_of_Diseases_and_Related _Health_Problems_ICD-11_-_Dokumentation_des_Revisionsprozesses. Korte, Alexander/ Beier, Klaus M./Bosinski, Hartmut A.G., Behandlung von Geschlechtsidentitätsstörungen (Geschlechtsdysphorie) im Kindes- und Jugendalter – Ausgangsoffene psychotherapeutische Begleitung oder frühzeitige Festlegung und Weichenstellung durch Einleitung einer hormonellen Therapie? In: Sexuologie 2016, S. 117-132, Anlage 2. Korte, Alexander/Wüsthof, Achim, Geschlechtsdysphorie und Störungen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen, in: Oppelt, Patricia, G./Dörr, Helmuth-Günther (Hrsg.), Kinderund Jugendgynäkologie, 2015, S. 452-469, Anlage 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 47 Krell, Claudia/Oldemeier, Kerstin, Deutsches Jugendinstitut (DJI), Forschungsprojekt: Coming- Out und dann? Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen, abrufbar unter: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2015/DJI_Broschuere_ComingOut.pdf. Lintner, Martin M., Transsexualität: Identitätsfindungsprozess im Spannungsfeld von Natur, Kultur und persönlicher Reifung. Eine theologisch-ethische Auseinandersetzung, abrufbar unter: http://cejsh.icm.edu.pl/cejsh/element/bwmeta1.element.desklight-034a5425-0d29-4727-b680- 99bc24e37b8b/c/06_Lintner.pdf. Ludwig, Wolf-Dieter/Schwabe, Ulrich, Onkologika, in: Schwabe, Ulrich/Paffrath, Dieter u. a., (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2019, S. 817- 875. Matern, Harald: … und schuf sie als Mann und Frau, Ethische Herausforderungen transidenter Individuatilität aus theologischer Perspektive, in: Schochow, Gehrmann u. a. (Hrsg.), Inter* und Trans*identitäten, Ethische, soziale und juristische Aspekte, 2016, S. 135-154. Mohney, Gillian, Lilian Alcorn, Transgender Teen’s reported suicide Note Makes Dramatic Appeal, in: abs news 31. Dezember 2014, https://abcnews.go.com/US/leelah-alcorn-transgenderteens -reported-suicide-note-makes/story?id=27912326. Nuruddin, /Bruchhage/Ropstad u.a., Effects of peripubertal gonadotropin-releasing hormone agonist on brain development in sheep – a magnetic resonance imaging study, in: Psychoneuroendocrinology , 2013, S. 1994-2002, Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23579083. Parr, Henry, Fixing Medicaid to „Fix Society“: Extending Medicaid Coverage of Gender-Affirming Healthcare to Transgender Youth, in Fordham Urban Law Journal, 2016, Vol. 43, S. 73-138 (hier: Kapitel III B 3, S. 129-131, „Mental Harm and Risk of Violence That Transgender Youth Face Without Treatment“), abrufbar unter: http://ir.lawnet.fordham.edu/cgi/viewcontent.cgi?article =2649&context=ulj. Pauli, Dagmar, Geschlechtsinkongruenz und Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen, in: PSYCH up2date 2017, S. 529-543, Anlage 5. Preuss, Wilhelm F., Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik, Psychotherapie und Indikationsstellungen für die hormonelle Behandlung , 2. Auflage München 2019 (Auszug: S. 67-71, 145-150, 221-227, 231-246, 269-286), Anlage 6. Ristori, J./Steensma,TD, Gender dysphoria in childhood, Int Rev Psychiatry 2016, 28: S. 13-20, Zusammenfassung abrufbar unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26754056. Schagen/Cohen-Kettenis/Delemarre-van de Waal/Hannema, Efficacy and Safety of Gonadotropin- Releasing Hormone Agonist Treatment to Suppress Puberty in Gender Dysphoric Adolescents, in: The Journal of Sexual Medicine 2016, 13 (7), S. 1125-1132. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 48 Schreiber, Gerhard, Geschlechtliche Vielfalt als Thema der Theologie, in: BMFSFJ (Hrsg.), Reformation für Alle* - Transidentität, Transsexualität und Kirche, 2017, S. 14, abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/blob/114152/befae36ba9e306d97c839eeddd3c55ff/reformation-fuer-alle--- transidentitaet---transsexualitaet-und-kirche-data.pdf. Vgl. Schwabe, Ulrich, Hypophysen- und Hypothalamushormone, in: Schwabe, Ulrich/Paffrath, Dieter u. a. (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2019, S. 731-740. Specht, A./Gesing, J., u. a., Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter, in: Kinder- und Jugendmedizin 2017, S. 170-1 Specht, A./Gesing, J./Pfäffle, R./Kiess, A./Körner, A./Kiess, W., Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter, in: Kinder- und Jugendmedizin, 3/2017, S. 170- 176, Anlage 4. Steensma TD, Cohen-Kettenis PT, Dutch approach to gender dysphoria in children and adolescents , in: Homosexuality 2012, 59, S. 301-320. Strauß, Bernhard/Nieder, Timo O., Von Transsexualismus zur Geschlechtsdysphorie – Veränderte diagnostische Konzeptionen in der Transgender-Versorgung, in: Schochow, Maximilian /Gehrmann, Saskia u. a. (Hrsg.), Inter* und Trans*identitäten, Ethische, soziale und juristische Aspekte, 2016, S. 57-69, Anlage 7. Strowitzki, Thomas, Sexualhormone, in: Schwabe/Paffrath, u. a. (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2019, S. 979-996. Vanderschueren/Vandenput u. a. aus dem Jahr 2004 Androgens and Bone, in: Endocrine Reviews , 2004, 25(3), S. 389-425. Wallien MS/Cohen-Kettenis PT, Psychosexual outcome of gender-dysphorie children, in: Journal of the American Academy Child Adolescent Psychiatry 2008, 47 (12), S. 1413-1423, Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18981931. Weiler, Julia/Ottleben, Ilka, Bildgebende Verfahren und Psychologie, Aufschieber oder Macher? Per MRT Persönlichkeitsmerkmale entlarven? In: laborpraxis.vogel.de, 5. September 2018, abrufbar unter: https://www.laborpraxis.vogel.de/aufschieber-oder-macher-per-mrt-persoenlichkeitsmerkmale -entlarven-a-750672/. Weinforth, Géraldine/Fakin, Richard u. a., Postoperative Lebensqualität nach Mann-zu-Frau geschlechtsangleichender Operation, in: aerzteblatt.de 2019, S. 253-260, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/206672/Postoperative-Lebensqualitaet-nach-Mann-zu-Fraugeschlechtsangleichender -Operation. Weitzel, Petra, Transidentität/Transsexualität gestern und heute, in: Bundesministerium für Familie , Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Hrsg., Reformation für Alle* - Transidentität, Transsexualität und Kirche, 2017, S. 6, abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/blob/114152/befae 36ba9e306d97c839eeddd3c55ff/reformation-fuer-alle---transidentitaet---transsexualitaet-undkirche -data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 079/19 Seite 49 Wüsthof, Achim, Hormonbehandlung trans-sexueller Jugendlicher, in: Schneider, Erik/Baltes- Löhr, Christel, Normierte Kinder – Effekte der Geschlechternormativität auf Kindheit und Adoleszenz , 2014, S. 205-212, Anlage 11. Zucker, KJ. Epidemiology of gender dysphoria and transgender identity, in: Sex Health 2017, 14 (5): 404-411; Zusammenfassung abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed /28838353. ***