Deutscher Bundestag Fragen zur Kompetenz der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des GKV-Spitzenverbands zur Regelung der Ungültigkeit der bisherigen Krankenversicherungskarte gemäß § 291 SGB V Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2013 Deutscher Bundestag WD 9 – 3000/079/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/079/13 Seite 2 Fragen zur Kompetenz der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des GKV-Spitzenverbands zur Regelung der Ungültigkeit der bisherigen Krankenversicherungskarte gemäß § 291 SGB V Aktenzeichen: WD 9 – 3000/079/13 Abschluss der Arbeit: 21. Oktober 2013 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/079/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Einführung 4 3. Zum gegenwärtigen Stand der Regelungen im Bundesmantelvertrag 5 4. Gesetzliche Hinweise zur Frage des Auslaufens der herkömmlichen Krankenversicherungskarte im SGB V 6 4.1. Die eGK als Erweiterung der Krankenversicherungskarte 6 4.2. Die eGK als flächendeckender obligatorischer Versicherungsnachweis 6 4.3. Hinweise aus der Rechtsprechung 7 4.4. Gesetzliche Zeitangaben zum Umstellungsverfahren 8 4.5. Zwischenergebnis 8 5. Festlegung eines Stichtags im Bundesmantelvertrag 8 5.1. Bundesmantelverträge als Normenverträge 8 5.2. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die gesetzliche Ermächtigung zum Abschluss eines Normenvertrags 9 5.3. Die gesetzliche Ermächtigung in § 291 Abs. 3 SGB V: Wortlaut und Auslegung 10 5.4. Fragen zur Verfassungsmäßigkeit des § 291 Abs. 3 SGB V 10 5.5. Verhältnismäßigkeit der Stichtagsregelung zum 31. Dezember 201311 6. Literaturverzeichnis 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/079/13 Seite 4 1. Zusammenfassung Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) konnten im Bundesmantelvertrag nach § 87 Abs. 1 SGB V eine Regelung über die Ungültigkeit der bisherigen Krankenversicherungskarte zum 1. Januar 2014 treffen. Der Gesetzgeber hat im SGB V die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Erweiterung der Krankenversicherungskarte zur elektronische Gesundheitskarte (eGK) festgelegt. Die Tatsache, dass nach flächendeckender Verteilung der eGK und Etablierung der nötigen Infrastruktur die herkömmliche Karte nicht mehr als Versicherungsnachweis genutzt werden kann, ergibt sich aus dem Gesetz selbst. Zur Regelung dieser Frage bedurfte es daher keiner Regelungskompetenz der vertragsschließenden Parteien des Bundesmantelvertrag – Ärzte (BMV-Ä). Die Festlegung des konkreten Stichtags erfolgte hingegen auf der Grundlage der Ermächtigung in § 291 Abs. 3 SGB V. Es handelt sich um eine Regelung im Rahmen eines Normenvertrages, der auch Rechtswirkungen gegenüber Dritten entfalten kann. Die rechtlichen Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage (§ 291 Abs. 3 SGB V) sind eingehalten worden. Die konkrete Ausformung der Stichtagsregelung in § 4 der Anlage 4a des Bundesmantelvertrags – Ärzte (BMV-Ä) erscheint in der Gesamtschau nicht unverhältnismäßig. Hierbei ist auch zu berücksichtigten , dass die Parteien des Bundesmantelvertrags mittlerweile eine Übergangsfrist von neun Monaten angekündigt haben. 2. Einführung Die eGK wurde mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung1 eingeführt . Hierzu wurde in die Vorschrift des § 291 SGB V2, in der schon zuvor die herkömmliche Krankenversicherungskarte geregelt war, ein Absatz 2a eingefügt. Dieser Absatz lautet: „Die Krankenkasse erweitert die Krankenversichertenkarte nach Absatz 1 bis spätestens zum 1. Januar 2006 zu einer elektronischen Gesundheitskarte nach § 291a. Neben der Verwendung nach Absatz 1 Satz 3 hat die Gesundheitskarte die Durchführung der Anwendungen nach § 291a Abs. 2 und 3 zu gewährleisten. […]“ Weiterhin wurde die neue Regelung des § 291a in das SGB V aufgenommen, deren Absatz 1 lautet : „Die Krankenversichertenkarte nach § 291 Abs. 1 wird bis spätestens zum 1. Januar 2006 zur Verbesserung von Wirtschaftlichkeit, Qualität und Transparenz der Behandlung für die in den Absätzen 2 und 3 genannten Zwecke zu einer elektronischen Gesundheitskarte erweitert.“ Die eGK enthält zunächst – wie die alte Krankenversicherungskarte – die so genannten administrativen Daten nach § 291 Abs. 2 SGB V, die als verpflichtende Angaben auf der Karte gespeichert 1 GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14. November 2003, BGBl. I S. 2190. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/079/13 Seite 5 werden müssen.3 Weitere Pflichtfunktionen ergeben sich aus § 291a Abs. 2 SGB V (z. B. Eignung zur Übermittlung ärztlicher Verordnungen, d. h. das „elektronische Rezept“). Als Neuerung gegenüber der herkömmlichen Krankenversicherungskarte bietet die eGK die Möglichkeit weiterer Anwendungen, die freiwillig genutzt werden können (§ 291a Abs. 3 SGB V). Mit Einwilligung der Versicherten können zusätzliche Angaben (z. B. Befunde oder Diagnosen) auf der Karte gespeichert werden. Die Einwilligung kann jederzeit eingeschränkt oder widerrufen werden (§ 291a Abs. 3 Sätze 4 und 5 SGB V). Gemäß § 291 Abs. 3 SGB V wird das „Nähere über die bundesweite Gestaltung der Krankenversicherungskarte “ von den Vertragspartnern im Rahmen der Verträge nach § 87 Abs. 1 SGB V vereinbart , d. h. im Rahmen des Bundesmantelvertrags zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband). Die Frage, ob und gegebenenfalls wann die bisherige Krankenversicherungskarte ihre Gültigkeit verliert, hat der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt. Auftragsgemäß wird nachfolgend untersucht, ob die KBV und der GKV-Spitzenverband im Bundesmantelvertrag nach § 87 Abs. 1 SGB V Regelungen über die Ungültigkeit der bisherigen Krankenversicherungskarte zum 1. Januar 2014 treffen dürfen. 3. Zum gegenwärtigen Stand der Regelungen im Bundesmantelvertrag Seit dem 1. Oktober dieses Jahres gilt ein neuer einheitlicher Bundesmantelvertrag zwischen KBV und GKV-Spitzenverband zur Regelung der vertragsärztlichen Versorgung, der BMV-Ä. In § 4 der Anlage 4a („Vereinbarung zum Inhalt und zur Anwendung der elektronischen Gesundheitskarte “) wurde Folgendes vereinbart: „Ab 01.01.2014 gilt grundsätzlich gemäß § 19 BMV-Ä die elektronische Gesundheitskarte als Nachweis für die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen. Die Krankenversichertenkarte verliert damit zum 31.12.2013 ihre Gültigkeit.“ Die Vorgängerfassung (Anlage 4a mit Stand 22. April 2008) enthielt diesbezüglich in § 5 die Regelung , dass die beiden Spitzenverbände „gemeinsam einen Stichtag festlegen, ab dem die Krankenversicherungskarte ihre Gültigkeit verliert“. Die neu gefasste Anlage 4a enthält auch Vorschriften über das Verfahren, das bei Nichtvorlage der eGK Anwendung findet. Der Arzt kann in diesem Fall nach Ablauf von zehn Tagen eine Privatvergütung für die Behandlung verlangen, die jedoch zurückzuzahlen ist, wenn dem Arzt eine zum Zeitpunkt der Behandlung gültige elektronische Gesundheitskarte bis zum Ende des Quartals vorgelegt wird oder wenn dem Arzt bis zum Ende des Quartals ein zum Zeitpunkt der Behandlung bestehender Leistungsanspruch des Versicherten von der zuständigen Krankenkasse 3 Deter, Gerhard/Schanze, Julia. Die elektronische Gesundheitskarte. Aktueller Begriff 094/09 vom 21. Oktober 2009. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. Online abrufbar unter: http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/2009/elektronische_gesundheitskarte.pdf (abgerufen am 16. Oktober 2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/079/13 Seite 6 nachgewiesen wird. Verordnungen erfolgen ebenfalls privat mit dem Zusatz „ohne Versicherungsnachweis “. 4 Diese Handhabung ist nicht neu. Auch für die bisherige Krankenversicherungskarte bestehen Regelungen für den Fall der Nichtvorlage, die in einer weiteren Anlage zum Bundesmantelvertrag enthalten sind (§ 6 Anlage 4 BMV-Ä vom 1. Juli 2002): Kann eine Versicherte oder ein Versicherter bei der ersten Inanspruchnahme eines Arztes weder eine gültige Krankenversichertenkarte noch im Ausnahmefall einen Abrechnungschein vorlegen, aus dem der Leistungsanspruch unzweideutig hervorgeht, kann der Arzt nach Ablauf von zehn Tagen eine Privatvergütung verlangen . Wird bis zum Quartalsende die Krankenversichertenkarte oder im Ausnahmefall ein Abrechnungsschein vorgelegt, wird die entrichtete Vergütung zurückgezahlt. Gemäß § 1 BMV-Ä ist Gegenstand des Vertrages die vertragsärztliche Versorgung. Die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern werden hingegen in gesonderten Verträgen und Rahmenempfehlungen geregelt (vgl. hierzu § 112 SGB V). Unmittelbare Rechtswirkungen gegenüber Krankenhäusern hat der BMV-Ä daher nicht. 4. Gesetzliche Hinweise zur Frage des Auslaufens der herkömmlichen Krankenversicherungskarte im SGB V 4.1. Die eGK als Erweiterung der Krankenversicherungskarte Wie bereits erläutert, wird die Frage, ob und gegebenenfalls wann die bisherige Krankenversicherungskarte ihre Gültigkeit verliert, im SGB V selbst nicht explizit beantwortet. Ganz anders verhält es sich für das Ende des früheren Krankenscheins: Nach § 291 Abs. 1 SGB V wurde zum 1. Januar 1995 die Krankenversicherungskarte eingeführt, die nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut den Krankenschein „ersetzt“. Das Auslaufen des Krankenscheins als Versicherungsnachweis wurde also vom Gesetzgeber ausdrücklich geregelt.5 Die eGK ist nach dem SGB V jedoch als „Erweiterung“ der bisherigen Karte vorgesehen (vgl. §§ 291 Abs. 3, 291a Abs. 1 SGB V).6 In der Gesetzesbegründung wird die eGK ebenfalls als Weiterentwicklung der alten Krankenversicherungskarte bezeichnet.7 Da es sich nicht um die Ersetzung eines bisherigen Nachweises handelte, bestand auch kein Anlass, das „Aus“ der herkömmlichen Karte ausdrücklich gesetzlich festzulegen. 4.2. Die eGK als flächendeckender obligatorischer Versicherungsnachweis Die Systematik der §§ 291, 291a SGB V sowie die Gesetzesbegründung lassen erkennen, dass es sich bei der eGK um ein flächendeckendes, obligatorisches Instrument handelt, über dessen Einsatz die Versicherten nicht selbst entscheiden können. 4 Weitere Einzelheiten ergeben sich aus Nr. 2.1 des Anhangs 1 der Anlage 4a. 5 Vergleiche hierzu auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 11/2237, S. 237. 6 Allerdings ist in § 291a Abs. 7 SGB V auch von einer „Einführung“ der eGK die Rede. 7 BT-Drs. 15/1525, S. 144. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/079/13 Seite 7 So ist nach § 291a SGB V zwischen den verpflichtenden Angaben nach Abs. 2 und den freiwilligen Daten nach Abs. 3 zu unterscheiden. Nur im Bereich der fakultativen Anwendungen nach Abs. 3 gilt das Erfordernis der Einwilligung des Versicherten (§ 291a Abs. 3 Satz 4 SGB V). Die Nutzung der Angaben nach § 291a Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 291 Abs. 2 SGB V ist hingegen obligatorisch . Eine Regelung, die zwischen einer obligatorischen Nutzung eines Teils der Karte und der fakultativen Nutzung eines anderen Teils differenziert, aber gleichzeitig (dauerhaft) die Vorlage anderer Berechtigungsnachweise (d. h. der herkömmlichen Krankenversicherungskarte) zulässt, wäre wenig sinnvoll. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der angestrebten (wenn auch möglicherweise nicht erreichten) Wirtschaftlichkeit, die in § 291a SGB V ausdrücklich als Zielsetzung für die eGK in den Gesetzestext aufgenommen wurde.8 Die Gesetzesbegründung zu § 291a Abs. 2 SGB V erläutert hierzu, dass mit dieser Regelung der Einsatz der eGK „für alle Versicherten verbindlich geregelt“ werde. „Im Gegensatz zu der freiwilligen Nutzung der Anwendungen im Bereich der medizinischen Daten und der Patientenquittung (Absatz 3 Satz 1) soll die Verwendung der elektronischen Gesundheitskarte im Zusammenhang mit den administrativen Anwendungen für die Versicherten generell und flächendeckend eingeführt werden, da nur so die Wirtschaftlichkeit und Durchführbarkeit dieser Verfahren gewährleistet ist.“9 Auch in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG)10 ist von einer „endgültigen und flächendeckenden Einführung“ der eGK die Rede.11 Wie sich aus der Systematik der Regelungen und den Gesetzgebungsmaterialien deutlich ergibt, ist die eGK im SGB V als Versicherungsnachweis im Sinne des § 15 Abs. 2 SGB V ausgestaltet, der flächendeckend von den Versicherten zu nutzen ist. Ein dauerhaftes Nebeneinander der bisherigen Karte und der eGK ist mit dieser gesetzlichen Konzeption nicht vereinbar. Das bedeutet gleichzeitig das Auslaufen der alten Karte als Versicherungsnachweis. Da das Ende der alten Karte bereits im SGB V geregelt ist, kommt dem Bundesmantelvertrag in diesem Punkt keine konstitutive Bedeutung zu. Die Vertragsparteien wiederholen insoweit nur gesetzliche Regelungsinhalte. 4.3. Hinweise aus der Rechtsprechung Dieses Ergebnis entspricht den bisherigen vereinzelten Gerichtsentscheidungen zur eGK. Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf war in einem Urteil12 der Auffassung, dass ein Anspruch auf Befreiung von der Einführung der eGK derzeit weder aufgrund einfachen Gesetzes noch aufgrund Verfassungsrechts bestehe. Eine Teilnahme aller gesetzlich Versicherten an der eGK sei nötig, um 8 Zu Fragen der Wirtschaftlichkeit vergleiche auch Kosten-Nutzen-Betrachtungen zur elektronischen Gesundheitskarte, Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes, WD 9 – 3000/098-10 vom 17. Juni 2010. 9 BT-Drs. 15/1525, S. 144. 10 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. März 2007, BGBl. I S. 378. 11 BT-Drs. 16/3100, S. 173. 12 SG Düsseldorf, Urteil vom 28. Juni 2012 (nicht rechtskräftig), S 9 KR 111/09, BeckRS 2012, 70738. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/079/13 Seite 8 das Funktionieren der Inanspruchnahme von Sachleistungen im Rahmen der Massenverwaltung zu gewährleisten. Hinsichtlich der Daten, die nach § 291a Abs. 2 Satz 1 SGB V auf der eGK gespeichert werden, müsse der Kläger damit verbundene Einschränkungen seines informationellen Selbstbestimmungsrechts im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Das Gericht weist auch auf die Vorschrift des § 15 Abs. 2 SGB V hin. Danach haben Versicherte vor Behandlungsbeginn dem Arzt oder der Ärztin ihre Krankenversichertenkarte auszuhändigen. Indem die Krankenversicherungskarte zur eGK erweitert werde, führe der Versicherte mit der eGK den Nachweis, dass er berechtigt sei, Sachleistungen nach dem SGB V in Anspruch zu nehmen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg äußerte sich in ähnlicher Weise und lehnte einen Antrag auf Befreiung von der eGK im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ab.13 4.4. Gesetzliche Zeitangaben zum Umstellungsverfahren Zum Zeitplan des Umstellungsverfahrens auf die eGK wird im Gesetz an zwei Stellen der 1. Januar 2006 als spätestes Datum der „Erweiterung“ bisherigen Karte genannt. Hieraus kann aber allenfalls geschlossen werden, dass das Auslaufen der alten Kartenvariante im zeitlicher Nähe zu diesem Datum geplant war. Weitere Daten ergeben sich z. B. aus § 291a Abs. 5a und 5b SGB V. 4.5. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzustellen: Die Tatsache, dass die Krankenversicherungskarte nach flächendeckender Verteilung der eGK und Etablierung der nötigen Infrastruktur nicht mehr als Versicherungsnachweis genutzt werden kann, ergibt sich aus dem Gesetz selbst und kann daher in Regelungen des Bundesmantelvertrags wiederholt oder auch vorausgesetzt werden, ohne dass es hierfür einer Regelungskompetenz der vertragsschließenden Parteien bedürfte. Anderes gilt aber für die Festlegung des konkreten Datums und etwaige begleitende Vorschriften (z. B. Übergangsregelungen), da diesbezüglich das SGB V nur Indizien liefert (d. h. 1. Januar 2006 als spätestes Datum der Erweiterung bisherigen Karte). 5. Festlegung eines Stichtags im Bundesmantelvertrag Ein konkreter Stichtag für die Ungültigkeit der Krankenversicherungskarte wurde erstmals in § 4 Anlage 4a BMV-Ä vom 1. Oktober 2013 („Vereinbarung zum Inhalt und zur Anwendung der elektronischen Gesundheitskarte“) festgelegt und dadurch die bisherige Fassung der Anlage 4a (Stand: 22. April 2008) abgelöst. Dort war die Regelung enthalten, dass „die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung […] gemeinsam einen Stichtag festlegen [werden], ab dem die Krankenversichertenkarte ihre Gültigkeit verliert.“ 5.1. Bundesmantelverträge als Normenverträge Wie sich aus § 1 Abs. 3 BMV-Ä ergibt, ist die Anlage 4a Bestandteil des Bundesmantelvertrags und teilt dessen Rechtsnatur. Der Bundesmantelvertrag ist ein Normenvertrag. Darunter sind solche Verträge zu verstehen, die unmittelbare Rechtswirkungen nicht nur gegenüber den Vertrags- 13 LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. November 2012, L 11 KR 4746/12 ER-B, BeckRS 2013, 65642. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/079/13 Seite 9 partnern, sondern auch gegen Dritten entfalten.14 Der Normenvertrag stellt eine „exekutive Rechtsnorm“15 eigener Art (sui generis) dar, die sich insbesondere durch ihr Zustandekommen von den sonstigen klassischen Formen exekutiven Rechts (Rechtsverordnung, Satzung) unterscheidet . Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Form der Normsetzung auf vertraglicher Grundlage werden nicht erhoben.16 5.2. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die gesetzliche Ermächtigung zum Abschluss eines Normenvertrags Normenverträge können jedoch nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung abgeschlossen werden. Diese Ermächtigung aufgrund eines formellen Gesetzes muss inhaltlich bestimmten Anforderungen genügen: Der so genannte Parlamentsvorbehalt besagt nach der Rechtsprechung des BVerfG, dass staatliches Handeln in grundlegenden Bereichen durch Parlamentsgesetz legitimiert sein muss. Der parlamentarische Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen in ihren Grundzügen selbst zu treffen.17 Ob es eines Parlamentsgesetzes bedarf, lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Als wesentlich sind Regelungen zu verstehen, die für die Verwirklichung der Grundrechte erhebliche Bedeutung haben.18 Deshalb müssen gesetzliche Bestimmungen erkennen lassen, mit welcher Tendenz und nach welchen Grundsätzen die nähere Ausgestaltung zu erfolgen hat. So sind etwa im Bereich „statusrelevanter Berufsausübungsregelungen“ vom Gesetzgeber die Entscheidungen, die für die Grundrechtsbeschränkung wesentlich sind, selbst zu regeln.19 Außerhalb dieses sensiblen Bereichs sieht z. B. das Bundessozialgericht auch eine weit gefasste Übertragung von Regelungskompetenzen auf untergesetzliche Normgeber als zulässig an.20 Das Bestimmtheitsgebot besagt, dass Rechtsvorschriften so gefasst sein müssen, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage konkret erkennen kann. Die Regelungen müssen so genau gefasst sein, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist.21 14 Vgl. etwa Joussen, Jacob, Die Legitimation zur Normsetzung in der Exekutiven, besonders im Vertragsarztrecht, durch Normenverträge, SGb 6, 2004. S. 334. 15 Joussen, Jacob (2004). Die Legitimation zur Normsetzung in der Exekutiven, besonders im Vertragsarztrecht, durch Normenverträge. In: Die Sozialgerichtsbarkeit (SGb) 6- 2004, S. 334 (339). 16 Ziermann, Karin (2010). In: Sodan, Helge (Hrsg.). Handbuch des Krankenversicherungsrechts. § 21, Rn 21. 17 Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 9.Dezember 2004, B 6 KA 44/03 R, mit weiteren Nachweisen. In: NJOZ, 2005, S. 2476 (2485); Joussen, Jacob (2004). Die Legitimation zur Normsetzung in der Exekutiven, besonders im Vertragsarztrecht, durch Normenverträge. In: Die Sozialgerichtsbarkeit (SGb) 6- 2004, S. 334 (335). 18 BSG, Urteil vom 9.Dezember 2004, B 6 KA 44/03 R, mit weiteren Nachweisen. In: NJOZ, 2005, S. 2476 (2485). 19 Ziermann, Karin (2010). In: Sodan, Helge (Hrsg.). Handbuch des Krankenversicherungsrechts. § 21, Rn 22. 20 Ziermann, Karin (2010). In: Sodan, Helge (Hrsg.). Handbuch des Krankenversicherungsrechts. § 21, Rn 22. 21 Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18. Mai 2004, 2 BvR 2374/99. VerfGE 110, 371 (396). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/079/13 Seite 10 5.3. Die gesetzliche Ermächtigung in § 291 Abs. 3 SGB V: Wortlaut und Auslegung Nach § 291 Abs. 3 SGB V wird das Nähere über die bundesweite Gestaltung der Krankenversicherungskarte von den Vertragspartnern im Rahmen der Verträge nach § 87 Abs. 1 SGB V (Bundesmantelvertrag ) vereinbart. § 291 Abs. 3 SGB V stellt daher die Ermächtigungsnorm für die Anlage 4a BMV-Ä vom 1. Oktober 2013 dar. Die Vorschrift wurde im Rahmen der Einführung der Krankenversichertenkarte mit dem Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (GRG)22 mit folgendem Wortlaut in das SGB V aufgenommen: „Die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen vereinbaren in den Verträgen nach § 87 Abs. 1 das Nähere über die bundesweite Einführung und Gestaltung der Krankenversichertenkarte.“ Die Ermächtigung bezog sich vor diesem Hintergrund ausdrücklich auch auf die Einführung der Krankenversicherungskarte. 2007 wurde § 291 Abs. 3 SGB V durch das GKG-WSG modifiziert und erhielt die heute geltende Fassung. Dieser Verlauf der Gesetzgebung zeigt, dass nicht mehr die Einführung geregelt werden soll, sondern die Umstellung („Erweiterung“ im Sinne des Gesetzes ) der Krankenversichertenkarte auf die eGK. Im vorliegenden Zusammenhang kommt es darauf an, ob auch die Ungültigkeitserklärung der Versichertenkarte unter die „bundesweite Gestaltung“ subsumiert werden kann. Dieser Begriff verweist auf die flächendeckende Implementierung der eGK (etwa im Gegensatz zu regionalen Testphasen), deren Details („das Nähere“) im Rahmen des Bundesmantelvertrages geregelt werden sollen. Vor dem Hintergrund der bereits gesetzlich festgelegten Rahmenbedingungen (vgl. oben unter 3.) kann die Festlegung eines konkreten Stichtags für das Ende der alten Karte als Einzelfrage angesehen werden, die in den Anwendungsbereich der Ermächtigung des § 291 Abs. 3 SGB V fällt. Dies gilt um so mehr, als die Festlegung des Stichtags wesentlich vom konkreten Stand der umfangreichen Vorbereitungsmaßnahmen im Bereich der beiden Vertragspartner abhängig ist (Ausgabe der Karten, Ausstattung der Arztpraxen mit der erforderlichen Infrastruktur). Eine gesetzliche Regelung würde daher auch auf praktische Schwierigkeiten stoßen. 5.4. Fragen zur Verfassungsmäßigkeit des § 291 Abs. 3 SGB V Die der Stichtagsregelung zugrundeliegende Ermächtigungsnorm (§ 291 Abs. 3 SGB V) muss aber auch den unter 4.2 näher bezeichneten Anforderungen (Parlamentsvorbehalt, Bestimmtheitsgebot ) genügen. Der Gesetzgeber hat in §§ 291, 291a SGB V die wesentlichen Grundzüge der eGK geregelt. Dies gilt insbesondere für die Fragen, die sich im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte informationelle Selbstbestimmung ergeben. Das Gesetz bezeichnet detailliert, welche Daten auf der Karte gespeichert sind und von wem sie genutzt werden dürfen, regelt Einwilligungserfordernisse und berücksichtigt Fragen der Datensicherheit (z. B. § 291 Abs. 2a Satz 4 SGB V). Das Gesetz lässt auch erkennen, dass die eGK als flächendeckender verpflichtender Versicherungsnachweis konzipiert ist, dessen Implementierung spätestens zum 1. Januar 2006 zu starten ist (vgl. unter Abschnitt 3.). Nach gesetzlicher Festlegung dieser Rahmenbedingungen ist die Frage, zu welchem 22 Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/079/13 Seite 11 konkreten Datum die alte Karte ihre Gültigkeit verliert, nicht von zusätzlicher grundrechtsrelevanter Bedeutung. Insbesondere ergeben sich aus der Festlegung eines konkreten Stichtags keine weiteren Grundrechtsbeeinträchtigungen. Die Regelung des § 291 Abs. 3 SGB V ist auch bestimmt genug. Die Ermächtigung, das Nähere der bundesweiten Gestaltung vertraglich zu regeln, lässt im Kontext der sonstigen Regelungen der §§ 291, 291a SGB V hinreichend deutlich erkennen, dass insbesondere Fragen der praktischen Umsetzung der bundesweiten Implementierung sowie gesetzlich nicht geregelte Details Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung sein sollen. 5.5. Verhältnismäßigkeit der Stichtagsregelung zum 31. Dezember 2013 Auch für die Ausgestaltung der eGK gilt der im Grundgesetz verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . Der Stichtag 31. Dezember 2013 wurde aufgrund einer Änderung der Anlage 4a zum BMV-Ä, die zum 1. Oktober 201323 in Kraft getreten ist, festgesetzt. Mittlerweile haben KBV und GKV-Spitzenverband öffentlich erklärt, dass die alte Karte auch nach dem 31. Dezember 2013 eingesetzt und von Ärzten bis zum 1. Oktober 2014 verarbeitet werden könne.24 Laut Angaben der GKV verfügen 95 Prozent der Versicherten bereits über eine eGK.25 Der jetzt festgesetzte Stichtag betrifft daher 5 Prozent der Versicherten. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch nach Ablauf des 31. Dezember 2013 Versicherte vereinzelt noch nicht im Besitz der eGK sind. Die Parteien des Bundesmantelvertrags haben mittlerweile eine Übergangsfrist von neun Monaten angekündigt. In der Gesamtschau erscheint die jetzt getroffene Stichtagsregelung daher nicht unverhältnismäßig. 6. Literaturverzeichnis aertzeblatt.de, Meldung vom 1. Oktober 2013. Ab 2014 nur noch mit elektronischer Gesundheitskarte zum Arzt. Online abrufbar unter: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/56027/Ab-2014- nur-noch-mit-elektronischer-Gesundheitskarte-zum-Arzt (abgerufen am 16. Oktober 2013). Deter, Gerhard/Schanze, Julia (2009). Die elektronische Gesundheitskarte. Aktueller Begriff 094/09 vom 21. Oktober 2009. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. Online abrufbar unter: http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/2009/elektronische_gesundheitskarte.pdf (abgerufen am 16. Oktober 2013). 23 Angabe auf der Webseite der KBV. Online abrufbar unter: http://www.kbv.de/rechtsquellen/12366.html (abgerufen am 16. Oktober 2013). 24 Meldung in aertzeblatt.de vom 1. Oktober 2013. Online abrufbar unter: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/56027/Ab-2014-nur-noch-mit-elektronischer-Gesundheitskarte-zum-Arzt (abgerufen am 16. Oktober 2013). 25 Pressemitteilung des GKV-Spitzenverbands vom 1. Oktober 2013. Online abrufbar unter: http://www.gkvspitzenverband .de/media/dokumente/presse/pressemitteilungen/2013/PM_2013-10-01_Abloesung_KVK.pdf (abgerufen am 16. Oktober 2013). In der Meldung in aertzeblatt.de vom 1. Oktober 2013 werden aber auch höhere Zahlen der AOK genannt. Online abrufbar unter: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/56027/Ab-2014-nurnoch -mit-elektronischer-Gesundheitskarte-zum-Arzt (abgerufen am 16. Oktober 2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000/079/13 Seite 12 GKV-Spitzenverband, Pressemitteilung vom 1. Oktober 2013: Ab 2014 gilt nur noch die elektronische Gesundheitskarte. Online abrufbar unter: http://www.gkvspitzenverband .de/media/dokumente/presse/pressemitteilungen/2013/PM_2013-10- 01_Abloesung_KVK.pdf (abgerufen am 16. Oktober 2013). Kosten-Nutzen-Betrachtungen zur elektronischen Gesundheitskarte. Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes, WD 9 – 3000/098-10 vom 17. Juni 2010 (unveröffentlicht ). Joussen, Jacob (2004). Die Legitimation zur Normsetzung in der Exekutiven, besonders im Vertragsarztrecht , durch Normenverträge. In: Die Sozialgerichtsbarkeit (SGb) 6- 2004, S. 334. Berlin: Erich Schmidt Verlag. Ziermann, Karin (2010). In: Sodan, Helge (Hrsg.). Handbuch des Krankenversicherungsrechts. München: Verlag C. H. Beck.