WD 9 - 3000 - 077/20 (3. September 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach § 218 Strafgesetzbuch (StGB)1 rechtlich verboten und steht grundsätzlich unter Strafe. Das Strafgesetzbuch sieht jedoch gemäß § 218a StGB unter bestimmten Voraussetzungen die Straffreiheit eines Schwangerschaftsabbruchs vor – nämlich dann, wenn eine Schwangere durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, wenn der Schwangerschaftsabbruch von einer Ärztin oder einem Arzt vorgenommen wird und wenn seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind (sogenannte „Beratungsregelung“ nach § 218a StGB).2 Ein Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer medizinisch-sozialen oder – innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen – einer kriminologischen Indikation ist nicht rechtswidrig (§ 18a Absatz 2 und 3 StGB). Der oftmals operativ durchgeführte Schwangerschaftsabbruch wird ambulant oder stationär in einem Krankenhaus oder ambulant in einer Arztpraxis durchgeführt. Nach § 12 Absatz 1 und 2 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) ist niemand verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, es sei denn, die Mitwirkung ist notwendig, um von der Frau eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden.3 Diese Ausnahmen sind – so eine Auffassung in der Literatur – schon vom Wortlaut her nicht gleichzusetzen mit den Fällen der medizinischen Indikation, sondern auf akut drohende schwere Gesundheitsgefahren beschränkt.4 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Juni 2019 (BGBl. I S. 844) geändert worden ist. 2 Hier handelt es sich um einen Tatbestandsausschließungsgrund, der die Rechtswidrigkeit unberührt lässt, vgl. Rogall in: Wolter, Systematischer Kommentar zum StGB, 9. Auflage 2017, § 218a Rn. 1. 3 Zum Weigerungsrecht von Krankenhäusern, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zum Weigerungsrecht von Krankenhäusern, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, WD 9 - 3000 - 087/19. 4 Ulsenheimer in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 5. Auflage 2019, § 153 Der Schwangerschaftsabbruch, Rn. 70; Merkel in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Auflage 2017, § 218a Rn. 165; Rogall in: Wolter, Systematischer Kommentar zum StGB, 9. Auflage 2017, § 218a Rn 68. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zum Recht von Ärztinnen und Ärzten, die Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch zu verweigern Kurzinformation Zum Recht von Ärztinnen und Ärzten, die Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch zu verweigern Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und andere Teile der Literatur dagegen sehen hierin die medizinisch indizierten Fälle, so dass das Weigerungsrecht hier keine Anwendung finde.5 Das Weigerungsrecht wird teils als Ausfluss der Gewissensfreiheit nach Artikel 4 Absatz 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG)6 und teils als ein Baustein des durch das ärztliche Berufsbild geprägten Persönlichkeitsrechts nach Artikel 2 Absatz 1 i. V. m. Artikel 12 Absatz 1 GG betrachtet.7 Einer Begründung, warum der Einzelne sich weigert, bedarf es nicht.8 Die Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch darf nicht nur gegenüber der Schwangeren, sondern ebenfalls gegenüber Arbeitgebern und Krankenkassen verweigert werden. Auch wenn die Ärztin oder der Arzt sich generell weigern, solche Abbrüche vorzunehmen, dürfen sich daraus keine beruflichen Nachteile ergeben.9 Ebenso ist das ärztliche Hilfspersonal zur Verweigerung befugt, soweit es unmittelbar betroffen ist, wie z. B. Operationsschwestern. Auch soll die Beschränkung von Krankenhäusern auf bestimmte Fallgruppen oder auf schwere Fälle eines Abbruchs möglich sein.10 Ob das Weigerungsrecht nach dem SchKG auch dann gilt, wenn die Ärztin bzw. der Arzt sich zum Abbruch von Schwangerschaften vertraglich verpflichtet hatte, ist umstritten. Einerseits wird das Weigerungsrecht als nicht vertraglich abdingbar eingestuft11, andererseits wird vertreten , dass durch den freiwilligen Vertragsabschluss das Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt werde, so dass eine Berufung auf das Weigerungsrecht rechtsmissbräuchlich sei.12 5 BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90, 4/92, 5/92 in: NJW 1993, S. 1751 (1763); Ellwanger, Schwangerschaftskonfliktgesetz , 1997, § 12 Rn. 4. 6 Rogall in: Wolter, Systematischer Kommentar zum StGB, 9. Auflage 2017, § 218a Rn 65. Die Berücksichtigung von Gewissensgründen war auch der gesetzgeberische Grund für die Regelung, vgl. Erster Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zu dem von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts (5. StrRG), Bundestags-Drucksache 7/1981 (neu) vom 24. April 1974, S. 18. 7 BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90, 4/92, 5/92 in: NJW 1993, S. 1751 (1763). 8 Eser/Weißer in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 218a Rn. 84. 9 BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90, 4/92, 5/92 in: NJW 1993, S. 1751 (1763); Kröger in: Leipziger Kommentar, Strafgesetzbuch, 12. Auflage 2018, § 218a Rn. 80. 10 Kröger in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage 2018, § 218a Rn. 80; Eser/Weißer in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 218a Rn. 85; Gropp in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 218a Rn.102. 11 Ulsenheimer in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 5. Auflage 2019, § 153, Der Schwangerschaftsabbruch, Rn. 71; Esser, Der Arzt im Abtreibungsstrafrecht, 1992, S. 100; BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90, 4/92, 5/92 in: NJW 1993, S. 1751 (1763). 12 Gitter/Wendling, „Recht“ auf Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch? in: Eser/Hirsch, Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch, 1980, S. 201 f; Maier, Mitwirkungsverweigerung beim Schwangerschaftsabbruch in: NJW 1974, S. 1404 (1409 f.). Kurzinformation Zum Recht von Ärztinnen und Ärzten, die Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch zu verweigern Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Nach § 13 Absatz 2 SchKG13 stellen die Länder ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, können sie Angebote privater Einrichtungen berücksichtigen, müssten aber bei nicht ausreichender Versorgungslage eigene Einrichtungen schaffen. Dabei sind sie auf Ärztinnen und Ärzte angewiesen, die bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen .14 Die Bereitschaft, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, darf zur Einstellungsvoraussetzung gemacht werden. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Jahr 1991 ausdrücklich entschieden.15 Der Gesetzgeber sehe vor, dass einer Schwangeren bei einem Abbruch ärztliche Hilfe zuteil wird (vgl. § 218a Absatz 1 Nummer 2 sowie Absätze 2 bis 4 StGB). Hintergrund der Entscheidung war, dass auch ein öffentliches Krankenhaus Schwangerschaftsabbrüche anbieten sollte und Frauen nicht allein an private Einrichtungen verwiesen werden sollten. Es sei dem sich Bewerbenden zuzumuten, zur Vermeidung eines Gewissenskonfliktes von der Bewerbung abzusehen und die sich daraus ergebenden Nachteile hinzunehmen. Das gesetzlich verankerte Weigerungsrecht und die Pflicht der Bundesländer, Einrichtungen für Schwangerschaftsabbrüche vorzuhalten, stehen in einem Spannungsverhältnis. So ist die Zahl der Ärzte, die Abbrüche vornehmen, zwischen 2003 und 2018 um rund 40 Prozent gesunken, die Zahl der Abtreibungen im gleichen Zeitraum aber nur um 21 Prozent.16 Im Juli 2020 machte die baden-württembergische Sozialstaatssekretärin Bärbl Mielich daher Überlegungen der Landesregierung bekannt, nach denen die Bereitschaft von Ärztinnen und Ärzten, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, zum Einstellungskriterium an Universitätskliniken gemacht werden könnten . 17 Nach öffentlichen Protesten zog sie den Vorschlag wieder zurück erklärte Gesprächsbedarf über dieses „komplexe und ethisch anspruchsvolle Thema“.18 *** 13 Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz - SchKG) vom 27. Juli 1992 (BGBl. I S. 1398), zuletzt geändert durch Artikel 13a des Gesetzes vom 14. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2789). 14 Kluth, Die Neufassung des § 218 STGB - Ärztlicher Auftrag oder Zumutung an den Ärztestand? in: Medizinrecht 1996, S. 546 (548). 15 BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1991 - 7 C 26/90 in: NJW 1992, S. 773 (774). 16 Angaben des Statistischen Bundesamtes, zitiert nach: Grüne rudern zurück – Bereitschaft zu Schwangerschaftsabbrüchen wird kein Einstellungskriterium, in: Deutsches Ärzteblatt, 13. Juli 2020, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/114436/Gruene-rudern-zurueck-Bereitschaft-zu-Schwangerschaftsabbruechen -wird-kein-Einstellungskriterium. 17 Taz, Immer weniger Ärzt:innen bereit, 18. Juli 2020, abrufbar unter https://taz.de/Schwangerschaftsabbruch-an- Uniklinik/!5695313/. 18 Diskussion um Schwangerschaftsabbruch, Presseerklärung des Ministeriums für Soziales und Integration Baden-Württemberg vom 13. Juli 2020, abrufbar unter: https://sozialministerium.baden-wuerttemberg.de/de/service /presse/pressemitteilung/pid/diskussion-um-schwangerschaftsabbruch-1/