© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 076/20 Halluzinogene zur Behandlung psychischer Krankheiten Studienlage und Zulassungsverfahren Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 2 Halluzinogene zur Behandlung psychischer Krankheiten Studienlage und Zulassungsverfahren Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 076/20 Abschluss der Arbeit: 24. September 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Betäubungsmittelrecht 5 2.1. Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG 5 2.2. Weitere Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes 6 3. Arzneimittelrecht 7 3.1. Aktuelle Regelungen 7 3.1.1. Definitionen 7 3.1.2. Prüfablauf 8 3.2. Zukünftige Regelungen 10 4. Zusammenspiel von Betäubungsmittelgesetz und Arzneimittelgesetz 13 5. Deutsche Studien und Problematik 14 5.1. Studienlage in Deutschland 14 5.2. Bedeutung der 12. AMG-Novelle 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 4 1. Vorbemerkung Lyserg-Säure-Diäthylamid (LSD) und Psilocybin gehören zur Gruppe der Halluzinogene. LSD ist das stärkste bekannte Halluzinogen, dessen Wirkungen erstmalig in der Schweiz im Jahr 1943 entdeckt wurden. Bis 1966 wurde es in Amerika zur psychotherapeutischen Behandlung vertrieben , seit 1962 galt es wegen der ungewöhnlichen psychedelischen Erlebnisse als Wunderdroge der Bewegung um den Psychologie-Professor und späteren Wanderprediger Timothy Leary. 1967 wurde LSD wegen angeblicher Todesfälle in den USA, außer zu therapeutischen Zwecken, verboten . Auch in Deutschland wurde es 1967 in das damalige Opiumgesetz1 aufgenommen.2 LSD ist eine farb-, geschmack- und geruchlose Substanz, die illegal als Flüssigkeit oder Pulver, beispielsweise in Form von Tabletten oder Trips, vertrieben wird. Es führt zwar nicht zu einer körperlichen Abhängigkeit, jedoch kann eine psychische Abhängigkeit entstehen.3 Der Stoff Psilocybin stammt ursprünglich aus Rauschpilzen, die auch als „Magic Mushrooms“ bezeichnet werden,4 und fand ebenfalls Eingang in die Bewegung um Timothy Leary. Das Halluzinogen wurde 1966 in den USA verboten und 1971 in das deutsche Betäubungsmittelgesetz (BtMG) 5 aufgenommen. Die Wirkungen ähneln den Wirkungen von LSD, sind aber weniger intensiv .6 Heute werden Psilocybin und LSD synthetisch hergestellt. Vor allem LSD wurde in der Psychotherapie eingesetzt, bevor es verboten wurde. Seit einigen Jahren wird nun wieder mit Halluzinogenen zur Behandlung psychischer Krankheiten wie Angststörungen oder Depressionen geforscht.7 Ein Grund dafür sind die nur bedingt wirkenden Antidepressiva, die aktuell bei der Behandlung eingesetzt werden, sowie fehlende neue Medikamente , die Verbesserungen bringen könnten. Da Halluzinogene noch nicht ausreichend erforscht sind, gibt es einen hohen Bedarf an wissenschaftlichen Studien.8 In den USA hat die Food and Drug Administration (FDA) seit 2018 zwei Studien zur Erforschung von Psilocybin zur Behand- 1 Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Opiumgesetz) vom 10. Dezember 1929 (BGBl. I S. 215), abgelöst durch das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz, BtMG) vom 28. Juli 1981 (BGBl. I S. 681). 2 Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Auflage 2019, Teil I Betäubungsmittel, Rn. 471ff. 3 Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Auflage 2019, Teil I Betäubungsmittel, Rn. 475ff. 4 Weber, BtMG, 5. Auflage 2017, § 1, Rn. 436. 5 Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl. I S. 358), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1691) (Betäubungsmittelgesetz - BtMG). 6 Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Auflage 2019, Teil I Betäubungsmittel, Rn. 441ff. 7 Messing, Mit LSD aus der Depression, in: taz vom 13. Dezember 2019, abrufbar unter: https://taz.de/Klinische- Studien-mit-Psychedelika/!5645130/. 8 Jimenez, Wie stark Psilocybin Depressionen lindert, kann man nicht beurteilen, in: Spektrum vom 10. Januar 2020, abrufbar unter: https://www.spektrum.de/news/psilocybin-in-der-psychotherapie/1697426. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 5 lung von therapieresistenten bzw. schweren Depressionen unterstützt, indem sie ein beschleunigtes Zulassungsverfahren („Breakthrough Therapy“) genehmigt hat.9 In Deutschland gab es in den letzten Jahren hingegen kaum Forschung zu diesem Thema.10 Die vorliegende Ausarbeitung erläutert auftragsgemäß die Voraussetzungen für die Durchführung von Studien mit Halluzinogenen, insbesondere LSD und Psilocybin, und versucht darzulegen, weshalb in Deutschland in den letzten Jahren nur wenig auf diesem Gebiet geforscht wurde. 2. Betäubungsmittelrecht Bei den Stoffen Lyserg-Säure-Diäthylamid (LSD) und Psilocybin handelt es sich um Stoffe, die in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 des BtMG aufgeführt und damit nicht verkehrsfähig sind. Eine Erlaubnis für den Verkehr mit diesen Stoffen kann gemäß § 3 Abs. 2 BtMG nur das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), genauer die Bundesopiumstelle,11 ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Dabei besteht kein Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Erlaubnis, der Antragsteller hat lediglich einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung.12 Eine Ausnahme von der Erlaubnispflicht gemäß § 4 BtMG kommt bei der Durchführung einer klinischen Prüfung nicht in Betracht, sodass eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zwingend erforderlich ist. 2.1. Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG Eine Ausnahmeerlaubnis kann das BfArM, wie bereits erwähnt, ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Wissenschaftlich ist alles, „was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist.“13 Da die Wissenschaft und die Forschung dabei vom 9 Welsch, FDA stuft Psilocybin als Durchbruchstherapie ein, in: Gelbe Liste mit Stand vom 22. Februar 2020, abrufbar unter: https://www.gelbe-liste.de/neurologie/psilocybin-durchbruchstherapie-fda. 10 Jimenez, Wie stark Psilocybin Depressionen lindert, kann man nicht beurteilen, in: Spektrum vom 10. Januar 2020, abrufbar unter: https://www.spektrum.de/news/psilocybin-in-der-psychotherapie/1697426. 11 Informationen zur Bundesopiumstelle sind abrufbar unter: https://www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle /_node.html (Stand: 21. September 2020). 12 BVerfG, NJW 2000, 3126, 3127; Weber, BtMG, 5. Auflage 2017, § 3, Rn. 84. 13 BVerfGE 35, 79, 113 = NJW 1973, 1176; Weber, BtMG, 5. Auflage 2017, § 3 Rn. 96; Patzak, in: Körner /Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Auflage 2019, § 3, Rn. 37. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 6 Grundrecht des Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz (GG)14 geschützt werden, steht den Verwaltungsbehörden und Gerichten nur eine qualifizierte Plausibilitätskontrolle zu.15 Durch die Freiheit von Wissenschaft und Forschung dürfen lediglich keine Grundrechte oder Güter von Verfassungsrang verletzt werden.16 Trotz allem muss die Verwaltungsbehörde prüfen, ob die vorgetragenen Tatsachen belegt sind, ob es ethische oder rechtliche Einschränkungen gibt und ob das Forschungsziel überhaupt erreichbar ist. Bei wissenschaftlichen Meinungsstreits hat sie sich neutral zu verhalten.17 Zudem hat das BfArM die Anträge nach juristischen und medizinischen, nicht jedoch nach politischen Erwägungen zu bescheiden, da die Regelung des § 3 Abs. 2 BtMG gerade deshalb eingeführt wurde, um eine Fortentwicklung von Wissenschaft und Forschung zu ermöglichen.18 Zum ebenfalls in § 3 Abs. 2 BtMG genannten „öffentlichen Interesse“ kann als Sonderfall auch die notwendige medizinische Versorgung von Einzelnen oder der gesamten Bevölkerung gehören .19 2.2. Weitere Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes Auch im Rahmen dieser Ausnahmegenehmigung müssen die Voraussetzungen der §§ 5-7 BtMG eingehalten werden. § 5 BtMG enthält Gründe, bei deren Vorliegen eine Erlaubnis zu versagen ist, zum Beispiel, wenn der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG), oder wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen und anderer Personen ergeben (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 BtMG), oder wenn geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG). 14 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546). 15 BVerfG, NVwZ 1994, 894; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Auflage 2019, § 3, Rn. 37. 16 Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Auflage 2019, § 3, Rn. 37. 17 Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Auflage 2019, § 3, Rn. 39; Weber, BtMG, 5. Auflage 2017, § 3 Rn. 98, 101. 18 Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Auflage 2019, § 3, Rn. 45. 19 Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Auflage 2019, § 3, Rn. 57; Weber, BtMG, 5. Auflage 2017, § 3 Rn. 107ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 7 Der Nachweis über die erforderliche Sachkenntnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG) wird im Falle einer Erlaubnis für wissenschaftliche Zwecke beispielsweise durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichen Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder Veterinärmedizin abgelegten Prüfung erbracht (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 BtMG). § 7 BtMG enthält zahlreiche Regelungen über den notwendigen Inhalt des zu stellenden Antrags. Beispielsweise müssen Nachweise über die erforderliche Sachkenntnis erbracht werden sowie Erklärungen darüber, ob und auf Grund welcher Umstände die den Verantwortlichen obliegenden Verpflichtungen ständig erfüllt werden können (§ 7 Nr. 2 BtMG). Im Falle einer Ausnahmegenehmigung für wissenschaftliche oder andere im öffentlichen Interesse liegende Zwecke ist zudem eine Erläuterung des verfolgten Zwecks unter Bezugnahme auf einschlägige wissenschaftliche Literatur notwendig (§ 7 Nr. 8 BtMG). Das BfArM soll gemäß § 8 Abs. 1 BtMG innerhalb von drei Monaten nach dem Eingang des Antrages über die Erteilung der Erlaubnis entscheiden. Diese Frist wird gehemmt, wenn das BfArM dem Antragsteller Gelegenheit gibt, Mängeln des Antrages abzuhelfen (§ 8 Abs. 2 BtMG). Die Erlaubnis kann nach § 9 BtMG beschränkt, befristet, bedingt oder mit Auflagen versehen werden. Dies darf jedoch nur so weit erfolgen, wie die Einschränkungen für den Antragsteller auch zumutbar und erfüllbar sind. Anderenfalls muss der Antrag abgelehnt werden. Außerdem dürfen die Einschränkungen nicht zu einer verschleierten Ablehnungsentscheidung führen.20 3. Arzneimittelrecht Neben dem Betäubungsmittelrecht kommt das Arzneimittelrecht zur Anwendung, wenn es um klinische Prüfungen mit Arzneimitteln am Menschen geht. 3.1. Aktuelle Regelungen Zunächst werden die aktuellen Regelungen dargestellt, bevor im Anschluss ein kurzer Überblick über die künftigen Regelungen gegeben wird. 3.1.1. Definitionen Arzneimittel sind in § 2 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG)21 definiert als „Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, 1. die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder 2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder 20 Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Auflage 2019, § 3, Rn. 36. 21 Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes vom 25. Juni 2020 (BGBl. I S. 1474) (AMG). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 8 a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder b) eine medizinische Diagnose zu erstellen (…).“ Die Voraussetzungen für die Durchführung von klinischen Prüfungen am Menschen sind vor allem in den §§ 40ff. AMG geregelt. Dazu kommen diverse europarechtliche Regelungen, die über die Jahre verändert und angepasst wurden.22 Besonders relevant ist dabei die RL 2001/20/EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln vom 4. April 2001 (GCP-Richtlinie)23, auf die auch § 40 Abs. 1 S. 1 AMG verweist. Eine aktuelle Definition für „klinische Prüfungen“ findet sich in § 4 Abs. 23 AMG.24 Es handelt sich um „jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu überzeugen .“ Die §§ 40-42c AMG enthalten Regelungen zur Durchführung klinischer Prüfungen und haben die Zweckbestimmung, die Menschenrechte und die Würde des Menschen zu wahren.25 Sie sollen sicherstellen, dass die Prüfung eines Arzneimittels am Menschen unter Berücksichtigung erkennbarer Risiken gerechtfertigt ist und dass notwendige Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, um vermeidbare Risiken für die Probanden auszuschließen. Zudem müssen die Probanden ausreichend aufgeklärt werden und auch in die Durchführung der Prüfung einwilligen.26 3.1.2. Prüfablauf § 40 AMG statuiert für die Durchführung von klinischen Prüfungen ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und regelt die allgemeinen Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung. Gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 AMG sind zunächst die Regeln guter klinischer Praxis (Good Clinical Practice, GCP) nach Maßgabe der europäischen GCP-Richtlinie vom 4. April 2001 zu beachten. Die Regeln wurden in 22 Auslöser dafür waren teilweise erhebliche Unterschiede bei den Voraussetzungen und in der Durchführung von klinischen Prüfungen in den EU-Staaten, Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Auflage 2016, § 40, Rn. 4. 23 RL 2001/20/EG vom 4. April 2001, abrufbar unter: https://eur-lex.eu ropa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=CONSLEG:2001L0020:20090807:DE:PDF. 24 § 4 AMG enthält darüber hinaus weitere wichtige Begriffsbestimmungen, die unter anderem auch für klinische Prüfungen von Bedeutung sind. 25 Rehmann, AMG, 5. Auflage 2020, Vorbemerkung zu §§ 40-42c, Rn. 1. 26 Rehmann, AMG, 5. Auflage 2020, Vorbemerkung zu §§ 40-42c, Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 9 Deutschland durch die 12. AMG-Novelle vom 30. Juli 200427 und die GCP-Verordnung (GCP-V) vom 9. August 2004 umgesetzt.28 Weiterhin muss gemäß § 40 Abs. 1 AMG unter anderem ein Sponsor vorhanden sein, der seinen Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat (Nr. 1). Zudem müssen die vorhersehbaren Risiken und Nachteile gegenüber dem Nutzen für die Person, bei der die Prüfung durchgeführt werden soll, und der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde ärztlich vertretbar sein (Risikoabwägung , Nr. 2). Die betroffene Person (Proband) muss volljährig und in der Lage sein, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und ihren Willen hiernach auszurichten . Sie muss nach Abs. 2 S. 1 aufgeklärt worden sein und schriftlich eingewilligt haben, soweit nichts anderes gesetzlich bestimmt ist. Zudem muss die Person über den Zweck und den Umfang der Datenverarbeitung (Abs. 2a) informiert worden sein und eingewilligt haben (Nr. 3). Sie darf nicht auf gerichtliche oder behördliche Anordnung in einer Anstalt untergebracht sein (Nr. 4). Die Prüfung muss von einem Prüfer mit mindestens zweijähriger Erfahrung in der klinischen Prüfung von Arzneimitteln geleitet werden (Nr. 5), und es muss eine dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechende pharmakologisch-toxikologische Prüfung des Arzneimittels durchgeführt worden sein (Nr. 6). Zudem ist für den Fall, dass bei der Durchführung der Prüfung ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt wird, eine Probandenversicherung abzuschließen (Nr. 8). Weitere Voraussetzungen, beispielsweise für die Durchführung von Prüfungen mit Minderjährigen (Abs. 4), sind in § 40 AMG zu finden. § 41 AMG regelt darüber hinaus besondere Voraussetzungen der klinischen Prüfungen, die noch Bestand haben, bis die VO (EU) 536/201429 in Kraft tritt (S. Kapitel 3.2.). Geregelt sind besondere Voraussetzungen für erkrankte Probanden. Hinzu kommt, dass die Anwendung des zu prüfenden Arzneimittels nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein muss, um das Leben dieser Person zu retten, ihre Gesundheit wiederherzustellen oder ihr Leiden zu erleichtern (Abs. 1 Nr. 1), oder sie muss für die Gruppe der Patienten, die an der gleichen Krankheit leiden wie diese Person, mit einem direkten Nutzen verbunden sein (Abs. 1 Nr. 2). Für die Durchführung von Prüfungen mit minderjährigen oder volljährigen, einwilligungsunfähigen Kranken gelten zusätzliche Anforderungen in Absatz 2 und 3. Die zuständige Ethikkommission muss nach Maßgabe des § 42 Abs. 1 AMG der Durchführung der Prüfung zustimmen und die zuständige Bundesoberbehörde diese nach Maßgabe des § 42 Abs. 2 AMG genehmigen. 27 Zwölftes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 2031). 28 GCP-Verordnung vom 9. August 2004 (BGBl. I S. 2081), zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2192) (GCP-V). 29 Verordnung (EU) Nr. 536/2014 vom 16. April 2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der RL 2001/20/EG, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?uri=CELEX%3A32014R0536. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 10 § 42 Abs. 1 AMG regelt dabei das Verfahren vor der jeweils zuständigen Ethikkommission. In § 42 Abs. 1 Nr. 1-3 AMG sind Ausschlussgründe genannt, bei deren Vorliegen die Ethikkommission ihre Zustimmung verweigern darf. Dies ist der Fall, wenn die vorgelegten Unterlagen auch nach Ablauf einer angemessenen Frist zur Ergänzung unvollständig sind (Nr. 1), die vorgelegten Unterlagen nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen, insbesondere die Prüfung ungeeignet ist, den Nachweis der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit eines Arzneimittels zu erbringen (Nr. 2), oder diverse Anforderungen der §§ 40, 41 AMG nicht erfüllt sind (Nr. 3). Die Zustimmung darf nur aus diesen Gründen versagt werden. In § 42 Abs. 2 AMG geht es um das Genehmigungsverfahren vor der zuständigen Bundesoberbehörde , das ebenfalls Voraussetzung für die Durchführung einer klinischen Prüfung ist. Zuständig ist gemäß § 77 Abs. 1 AMG in den meisten Fällen das BfArM. Auch hier sind Versagungsgründe geregelt, die zum großen Teil den Versagungsgründen für die Ethikkommission entsprechen. Die Genehmigung darf ebenfalls nur in den explizit genannten Fällen versagt werden. Zudem gilt sie als erteilt, wenn die Behörde innerhalb von höchstens 30 Tagen nach Eingang der Antragsunterlagen keine mit Gründen versehenen Einwände übermittelt. Andererseits gilt ein Antrag als abgelehnt , wenn er auf mit Gründen versehene Einwände hin nicht innerhalb einer Frist von höchstens 90 Tagen entsprechend abgeändert wird. § 42 Abs. 3 AMG enthält zudem eine Verordnungsermächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit zum Erlass von Regelungen zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Durchführung einer klinischen Prüfung und der Erzielung dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechender Unterlagen. So enthält die bereits erwähnte GCP-V Einzelheiten für die Planung und Durchführung von klinischen Prüfungen für Arzneimittel.30 Zu den hier genannten Regelungen kommen viele weitere hinzu, die abhängig von der jeweils geplanten klinischen Prüfung sind. Diese sind im Einzelfall zu beachten, können hier jedoch aufgrund ihrer Vielzahl nicht dargestellt werden. 3.2. Zukünftige Regelungen Nachdem es auch mit der GCP-Richtlinie und einigen weiteren EU-Richtlinien noch zu viele Umsetzungs - und Interpretationsspielräume für die Mitgliedstaaten der EU und daher zu unterschiedliche Regelungen gegeben hatte,31 wurde zunächst im Jahr 2014 die EU-Verordnung Nr. 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG32 erlassen. Der Großteil der Verordnung gilt jedoch erst sechs Monate nach Veröffentlichung der Mitteilung der EU-Kommission über die Funktionsfähigkeit eines EU-Portals und 30 Rehmann, AMG, 5. Auflage 2020, Vorbemerkung zu §§ 40-42c, Rn. 4. 31 Sudhop/Krafft, Klinische Prüfung von Arzneimitteln – Änderungen durch die kommende EU-Verordnung, in: Bundesgesundheitsblatt 2017, 793. 32 Verordnung (EU) Nr. 536/2014 vom 16. April 2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der RL 2001/20/EG, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?uri=CELEX%3A32014R0536. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 11 einer Datenbank im Amtsblatt der EU. Diese wird nach aktuellem Stand Ende 2021 erwartet.33 Aufgrund der EU-Verordnung wurden bereits die Regelungen über klinische Prüfungen beim Menschen im AMG neu gestaltet. Darüber hinaus soll künftig das Genehmigungsverfahren für Prüfungen in der EU vereinfacht und beschleunigt werden34, zudem wird ein gemeinsames europäisches Verfahren bei multinationalen klinischen Prüfungen eingeführt, bei dem jedoch jeder Mitgliedstaat weiterhin selbst eine nationale Genehmigung erteilt.35 Die Europäische Kommission nannte zur Begründung ihres Verordnungsvorschlags36 vor allem einen Rückgang der Anträge für Prüfungen, eine Erhöhung der Kosten für die Durchführung von Prüfungen sowie eine Verlängerung der durchschnittlich benötigten Vorlaufzeit vor Beginn einer klinischen Prüfung.37 Obwohl die Verordnung nicht in nationales Recht umgesetzt werden muss, da sie unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt, sind im AMG einige notwendige Änderungen zur Anpassung an die Verordnung vorgenommen worden. Dies geschah mit dem 4. AMG-Änderungsgesetz von 2016.38 Einige dieser Änderungen traten bereits am 24. Dezember 2016 in Kraft, vor allem die §§ 41a-41c AMG, die Regelungen zur Arbeit und Registrierung der Ethikkommissionen enthalten.39 Die restlichen Regelungen treten in Kraft, wenn die EU-Verordnung vollständig in Kraft tritt. Für die Durchführung von klinischen Prüfungen besteht weiterhin ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (§ 40 Abs. 1 n. F.). Das Genehmigungsverfahren wird aber in Zukunft über ein europäisches elektronisches Portal abgewickelt, welches zum aktuellen Zeitpunkt jedoch noch nicht nutzbar ist.40 Gemäß Art. 4 VO (EU) 536/2014 erfolgt die ethische Überprüfung durch eine Ethikkommission nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates. Die Zustimmung der Ethikkommissionen ist also auch in Zukunft Voraussetzung für die Durchführung einer klinischen Prüfung. Jedoch wird es keine strikte Trennung zwischen dem Verfahren bei den Ethikkommissionen und der Bundesbehörde mehr geben. Die beiden Verfahren werden zusammengeführt, es wird dann nur noch ein nationales Genehmigungsverfahren geben, das von der zuständigen Bundesoberbehörde geleitet 33 Kösling/Wolf, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 3. Auflage 2020, § 12, Rn. 107. 34 Rehmann, AMG, 5. Auflage 2020, Vorbemerkung zu §§ 40-42c, Rn. 1. 35 Mende/Frech/Riedel, Grundzüge der EU-Verordnung 536/2014 – Was wird sich ändern?, in: Bundesgesundheitsblatt 2017, 795. 36 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG vom 17. Juli 2012, abrufbar unter: https://eurlex .europa.eu/legal-content/de/TXT/?uri=CELEX:52012PC0369. 37 Greifeneder/Veh, Ausgewählte rechtliche Aspekte bei klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln nach der neuen EU-Verordnung, in: Pharma Recht 2014, 325. 38 Viertes Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 20. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3048). 39 Rehmann, AMG, 5. Auflage 2020, Vorbemerkung zu §§ 40-42c, Rn. 1. 40 Rehmann, AMG, 5. Auflage 2020, Vorbemerkung zu §§ 40 nF, Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 12 wird. 41 Auf Grund des § 41b Abs. 1 AMG hat das Bundesministerium für Gesundheit mit Zustimmung des Bundesrates für die Zusammenarbeit der Institutionen eine entsprechende Verordnung erlassen.42 Um das künftig vorgeschriebene Verfahren und die geänderten Fristen zu erproben , starteten der Arbeitskreis der Medizinischen Ethikkommissionen - unterstützt von der Bundesärztekammer – und die Bundesoberbehörden BfArM und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bereits am 1. Oktober 2015 ein gemeinsames Pilotprojekt. Dabei wird die Bearbeitung von Anträgen möglichst nah an die künftige Regelung angelehnt, so dass sie aber gleichzeitig noch den aktuell gültigen rechtlichen Regelungen entspricht. Vor allem wird die gemeinsame Bewertung von Anträgen geprobt und die engeren Fristen, die die Verordnung vorsieht, werden eingehalten.43 Zudem werden die Veröffentlichungspflichten nach Abschluss der klinischen Prüfung ausgeweitet (Art. 37 Abs. 4 VO (EU) 536/2014). Innerhalb eines Jahres sind künftig sowohl eine Zusammenfassung der Prüfungsergebnisse als auch eine Fassung für Laien vorzulegen. Dabei müssen auch negative Ergebnisse dargestellt werden. In der Literatur wird deshalb teilweise befürchtet, dass die Bereitschaft von Unternehmen in Europa zurückgeht, klinische Prüfungen durchzuführen .44 Die Verordnung führt außerdem für die Zukunft in Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 den Begriff der „klinischen Studie“ ein. Darunter versteht man „eine am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, a) die klinischen, pharmakologischen oder sonstigen pharmakodynamischen Wirkungen eines oder mehrerer Arzneimittel zu erforschen oder zu bestätigen, b) jegliche Nebenwirkungen eines oder mehrerer Arzneimittel festzustellen, oder c) die Absorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung eines oder mehrerer Arzneimittel zu untersuchen, mit dem Ziel, die Sicherheit und/oder Wirksamkeit dieser Arzneimittel festzustellen.“ Die Definition entspricht dem aktuellen Begriff der „klinischen Prüfung“. Die klinische Studie wird jedoch weiter unterteilt in die klinische Prüfung und die nichtinterventionelle Studie. Eine klinische Prüfung liegt dann vor, wenn mindestens eines der vorliegenden Kriterien zusätzlich erfüllt ist: „a) Der Prüfungsteilnehmer wird vorab einer bestimmten Behandlungsstrategie zugewiesen, die nicht der normalen klinischen Praxis des betroffenen Mitgliedstaats entspricht, b) die Entscheidung , die Prüfpräparate zu verschreiben, wird zusammen mit der Entscheidung getroffen, den Prüfungsteilnehmer in die klinische Studie aufzunehmen, oder c) an den Prüfungsteilnehmern werden diagnostische oder Überwachungsverfahren angewendet, die über die normale klinische 41 Sudhop/Krafft, Klinische Prüfung von Arzneimitteln – Änderungen durch die kommende EU-Verordnung, in: Bundesgesundheitsblatt 2017, 793. 42 Verordnung über das Verfahren zur Zusammenarbeit der Bundesoberbehörden und der registrierten Ethik-Kommissionen bei der Bewertung von Anträgen auf Genehmigung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln (Klinische Prüfung-Bewertungsverfahren-Verordnung - KPBV) veröffentlicht am 14. Juli 2017 (BGBl I 2017, 2333). 43 Informationen zum Pilotprojekt „EU-Verordnung“ sind abrufbar auf der Seite des BfArM unter: https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelzulassung/KlinischePruefung/Pilotprojekt/_node.html. 44 Weitere Informationen in: Greifeneder/Veh, Ausgewählte rechtliche Aspekte bei klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln nach der neuen EU-Verordnung, in: Pharma Recht 2014, 325, 329. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 13 Praxis hinausgehen.“ Liegt keines der Kriterien vor, handelt es sich um eine nichtinterventionelle Studie, für die die Verordnung nicht gilt. Diese Definitionsänderung tritt jedoch erst mit der vollständigen Geltung der Verordnung in Kraft. 4. Zusammenspiel von Betäubungsmittelgesetz und Arzneimittelgesetz LSD und Psilocybin sind also sowohl Arzneimittel gemäß § 2 AMG als auch Betäubungsmittel i. S. d. § 1 Abs. 1 BtMG. Den Ausgangspunkt für die Frage nach dem Verhältnis der beiden Gesetze zueinander bietet § 81 AMG. Danach bleiben die Vorschriften des Betäubungsmittelrechts unberührt, die Vorschriften finden nebeneinander Anwendung, kein Gesetz ist lex specialis.45 Somit wird bei einer klinischen Prüfung mit Arzneimitteln, die ebenfalls Betäubungsmittel darstellen , sowohl die Beachtung der §§ 40ff. AMG als auch die Einholung einer Erlaubnis nach § 3 BtMG verlangt. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass für die Behandlung von Patienten gemäß § 41 AMG nicht § 3 BtMG, sondern § 13 Abs. 1 BtMG der Maßstab sei, der die Verschreibung von Betäubungsmitteln der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG durch Ärzte unter bestimmten Umständen zulässt.46 Dieser Streit ist für die vorliegend in Frage stehenden Stoffe jedoch nicht relevant, da diese, wie bereits erläutert, in Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG zu finden sind und § 13 Abs. 1 BtMG daher sowieso keine Anwendung findet, wie auch durch § 13 Abs. 1 S. 3 BtMG deutlich wird. 45 Wagner, Klinische Prüfung mit Betäubungsmitteln und die Verkehrserlaubnis nach § 3 BtMG – ein Junktim, in: Medizinrecht 2004, 373; Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Auflage 2016, § 40, Rn. 37; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Auflage 2019, § 1, Rn. 12. 46 Dähne, Klinische Prüfung mit Betäubungsmitteln – Ein Beitrag zur Deregulierung im Arzneimittelrecht, in: Medizinrecht 2003, 551; das BfArM hingegen verlangt stets eine Erlaubnis nach § 3 BtMG: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Formulare/DE/Bundesopiumstelle/BtM/Hinweise_Klin_Pruefung.pdf;jsessionid =82686369EE79573495BFB585C87E7CF0.1_cid507?__blob=publicationFile&v=5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 14 5. Deutsche Studien und Problematik 5.1. Studienlage in Deutschland In Deutschland gab es, im Unterschied zu einigen anderen Ländern wie den USA47, der Schweiz48 und Großbritannien49, seit 2004 nur eine einzige Studie zu Halluzinogenen an der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité in Berlin.50 Diese Studie wurde bereits 2015 gestartet und findet ohne eine Verabreichung von Substanzen statt. Stattdessen werden Personen, die bereits Erfahrungen mit Halluzinogenen gesammelt haben, zu mittel- und langfristigen Wirkungen und deren subjektiver Bewertung befragt. Die Ergebnisse dieser Befragung sollen dazu dienen, das Potenzial von Halluzinogenen in der Psychotherapie einschätzen zu können.51 Zudem ist eine klinische Prüfung mit Psilocybin geplant, deren Genehmigungsstatus noch im Herbst 2020 bekannt gegeben werden soll. Diese soll vom Zentralinstitut für psychische Gesundheit Mannheim und einer Gruppe von Wissenschaftlern der Charité Universitätsmedizin Berlin gemeinsam mit der MIND-Stiftung durchgeführt werden. Untersucht werden soll die Sicherheit und Wirksamkeit von Psilocybin.52 Als ein Grund für die Tatsache, dass gerade in Deutschland nur wenig zu Halluzinogenen geforscht wird, wird die 12. AMG-Novelle aus dem Jahr 2004 genannt, die die ersten EU-Richtlinien auf diesem Gebiet umsetzte.53 47 Siehe etwa: Rapid and sustained symptom reduction following psilocybin treatment for anxiety and depression in patients with life-threatening cancer: a randomized controlled trial, veröffentlicht am 30. November 2016, abrufbar unter: https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0269881116675512#. 48 Siehe etwa: Long-term follow-up of psilocybin-assisted psychotherapy for psychiatric and existential distress in patients with life-threatening cancer, zuerst veröffentlicht am 9. Januar 2020, abrufbar unter: https://journals.sagepub .com/doi/10.1177/0269881119897615. 49 Die Studien in Großbritannien und anderen EU-Mitgliedstaaten waren möglich, da die EU-Richtlinie genug Spielraum für abweichende Regelungen ließ, siehe: Sudhop/Krafft, Klinische Prüfung von Arzneimitteln – Änderungen durch die kommende EU-Verordnung, in: Bundesgesundheitsblatt 2017, 793; siehe etwa: Psilocybin with psychological support for treatment-resistant depression: an open-label feasibility study, veröffentlicht am 7. Juli 2016, abrufbar unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2215036616300657?via%3Dihub . 50 Informationen zur Studie sind abrufbar unter: https://lzesh-studie.info/. 51 Informationen zur Studie sind abrufbar unter: https://lzesh-studie.info/. 52 Informationen zur Studie sind abrufbar unter: https://mind-foundation.org/research/psilocybin-depressionstudy /. 53 Jimenez, Wie stark Psilocybin Depressionen lindert, kann man nicht beurteilen, in: Spektrum vom 10. Januar 2020, abrufbar unter: https://www.spektrum.de/news/psilocybin-in-der-psychotherapie/1697426. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 15 5.2. Bedeutung der 12. AMG-Novelle Die 12. AMG-Novelle im Jahr 2004 brachte umfangreiche Änderungen im Bereich der klinischen Prüfungen mit sich. Vor der Gesetzesänderung musste eine Ethikkommission dem Vorhaben zustimmen , der Bundesoberbehörde gegenüber musste es jedoch nur angezeigt werden.54 Allerdings war es möglich, eine Ablehnung oder unterbliebene Zustimmung seitens der Ethikkommission zu überwinden, wenn die Behörde der Prüfung nach Eingang der Unterlagen innerhalb einer Frist von zwei Monaten nicht widersprochen hatte.55 Mit der 12. AMG-Novelle wurde das Genehmigungsverfahren vor der Bundesoberbehörde, wie es heute durchzuführen ist, eingeführt.56 Kritisiert wurden schon kurz nach der Gesetzesänderung der erhebliche Bürokratieaufwand und die damit gestiegenen Kosten für das Genehmigungsverfahren.57 Zudem wurde festgestellt, dass die Definition der klinischen Prüfung in § 4 Abs. 23 AMG nur wenige Ausnahmen zulasse und Prüfungen, die nicht von pharmazeutischen Unternehmen initiiert und unterstützt würden, aufgrund des Aufwands an Bedeutung verlören, da es so immer weniger unabhängige Studien gebe.58 Außerdem seien auch die Kosten für Arzneimittelprüfungen erheblich gestiegen.59 So sind für die geplante klinische Prüfung zur Erforschung von Psilocybin beispielsweise 3,8 Millionen Euro veranschlagt. 2,2 Millionen Euro hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) dafür schon bereitgestellt.60 Zwar gibt es für bestimmte Studien Erleichterungen - wie in § 40 Abs. 1b AMG, der eine Ausnahme zur Probandenversicherungspflicht für Prüfungen mit zugelassenen Arzneimitteln enthält , wenn die Anwendung gemäß den in der Zulassung festgelegten Angaben erfolgt und Risiken und Belastungen durch zusätzliche Untersuchungen oder durch den Therapievergleich gering sind und soweit eine anderweitige Versicherung für Prüfer und Sponsor besteht. Jedoch trifft dies 54 Kösling/Wolf, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 3. Auflage 2020, § 12, Rn. 118; Lippert, Die klinische Prüfung von Arzneimitteln nach der 12. Novelle zum AMG – eine erste Bestandsaufnahmen, in: Versicherungsrecht (VersR) 2005, 48. 55 Schlette, Ethik und Recht bei der Arzneimittelprüfung - Landesrechtliche Ethik-Kommissionen nach der 12. AMG-Novelle und die unfreiwillige Vorreiterrolle des Landes Berlin, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2006, 785. 56 Lippert, Die klinische Prüfung von Arzneimitteln nach der 12. Novelle zum AMG – eine erste Bestandsaufnahmen , in: VersR 2005, 48. 57 Lippert, Die klinische Prüfung von Arzneimitteln nach der 12. Novelle zum AMG – eine erste Bestandsaufnahmen , in: VersR 2005, 48. 58 Lippert, Die klinische Prüfung von Arzneimitteln nach der 12. Novelle zum AMG – eine erste Bestandsaufnahmen , in: VersR 2005, 48. 59 Maier/Zenz, Bedenkliche Entwicklung, in: Deutsches Ärzteblatt International 2010, 107, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/78424/Bedenkliche-Entwicklung. 60 Informationen zur Studie und deren Finanzierung sind abrufbar unter: https://mind-foundation.org/rese arch/psilocybin-depression-study/ (Stand: 21. September 2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 076/20 Seite 16 nur auf wenige Fälle zu. Für die vorliegend in Frage stehenden Prüfungen kommen keinerlei Erleichterungen in Betracht. Auch für nicht-kommerzielle klinische Prüfungen gibt es nur wenige Erleichterungen. Darunter versteht man „Prüfungen, die vom wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse geleitet sind und unabhängig von der pharmazeutischen Industrie durchgeführt werden. Die Rolle des Sponsors der klinischen Prüfung mit all seinen Verpflichtungen übernimmt in diesem Fall der initiierende Prüfer /Wissenschaftler oder die jeweilige Fakultät/Träger einer Klinik.“61 Das BfArM hat am 21. Oktober 2009 gemeinsam mit dem Paul-Ehrlich Institut (PEI) eine Bekanntmachung zu diesem Thema veröffentlicht und zunächst klargestellt, dass das Gesetz keine Unterscheidungen zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Prüfungen vornimmt.62 Das primäre Ziel der nicht-kommerziellen Prüfung sei nicht die Arzneimittelzulassung, die einen wirtschaftlichen Gewinn bringen soll, sondern die Erforschung der medizinischen Behandlung. Wenn die Prüfungsergebnisse in eine Arzneimittelzulassung münden, muss jedoch keine neue Prüfung durchgeführt werden. Es besteht die Möglichkeit, gemäß § 3 Abs. 1 AMG-KostV (BfArM) bzw. § 6 KostVO (PEI) einen Antrag auf Gebührenermäßigung zu stellen. Zudem kann ein solcher Antrag gestellt werden, wenn der Sponsor die Voraussetzungen des § 8 Verwaltungskostengesetz (VwKostG) erfüllt.63 Das BfArM und das PEI stellen dabei auch klar, dass es für nicht-kommerzielle Prüfungen keine Definition im Gesetz gibt. Es habe zwar Erörterungen auf EU- und auch auf Bundesebene gegeben, diese seien jedoch nicht zielführend gewesen.64 Wie sich die neue EU-Verordnung auf die Studienlage auswirkt, wenn sie vollständig in Kraft tritt, bleibt abzuwarten. *** 61 Kösling/Wolf, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 3. Auflage 2020, § 12, Rn. 7. 62 Nicht-kommerzielle klinische Prüfungen – Zusammenfassung der regulatorischen Voraussetzungen, Bekanntmachung des BfArM und des PEI vom 21. Oktober 2009, abrufbar unter: https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel /Arzneimittelzulassung/KlinischePruefung/Nicht- kommerziellePruefungen/_node.html. 63 Kösling/Wolf, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 3. Auflage 2020, § 12, Rn. 7. 64 Nicht-kommerzielle klinische Prüfungen – Zusammenfassung der regulatorischen Voraussetzungen, Bekanntmachung des BfArM und des PEI vom 21. Oktober 2009, abrufbar unter: https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel /Arzneimittelzulassung/KlinischePruefung/Nicht- kommerziellePruefungen/_node.html.