© 2014 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 – 074/14 Zur Diskussion über unerwünschte Nebenwirkungen von Schutzimpfungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 2 Zur Diskussion über unerwünschte Nebenwirkungen von Schutzimpfungen Aktenzeichen: WD 9 - 3000 – 074/14 Abschluss der Arbeit: Datum: 8. August 2014 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der Begriff der Schutzimpfung 4 3. Rechtslage in Deutschland 5 4. Zur Einschätzung der Notwendigkeit und Wirksamkeit von Impfungen 7 4.1. Institutionen auf Bundesebene 7 4.1.1. Das Robert-Koch-Institut 7 4.1.1.1. Die Ständige Impfkommission beim Robert Koch-Institut 8 4.1.2. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) 9 4.1.3. Die Bundezentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 10 4.2. Daten und Positionen zum Gefahrenpotential von Schutzimpfungen 10 4.2.1. Datenlage 10 4.2.1.1. Nationaler Impfplan 10 4.2.1.2. Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGGS) 11 4.2.2. Positionen zu Gefährdungspotentialen 12 4.2.2.1. Position des Robert Koch-Instituts 13 4.2.2.2. Position des Paul-Ehrlich-Instituts 13 4.2.2.3. Position der Bundesärztekammer 14 4.2.2.4. Ärzte für individuellen Impfentscheid e.V. 15 4.2.2.5. Einschätzungen aus anthroposophischer Sicht 16 4.2.2.5.1. Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland 16 4.2.2.5.2. Dachverband anthroposophische Medizin in Deutschland 16 4.2.2.6. Einschätzungen aus homöopathischer Sicht 17 4.2.2.6.1. Deutsche Homöopathische Union 17 4.2.2.6.2. Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhA) 17 5. Schlussbemerkung 18 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 4 1. Einleitung Kaum eine Debatte zu gesundheitlichen Fragen wird so kontrovers und vielschichtig geführt wie die nach der Notwendigkeit und den Gefahrenpotentialen von Schutzimpfungen insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Hierbei reicht das Spektrum der Positionen von Notwendigkeit von flächendeckenden Impfungen zur Verhinderung von Epidemien oder Pandemien bis hin zu Einschätzungen, Impfungen seien per se gesundheitsschädlich oder dienten ausschließlich den Interessen der Produzenten von Impfstoffen, die über eine angeblich starke Lobby verfügten. Darüber hinaus finden häufig auch weltanschauliche und religiöse Erwägungen Eingang in die jeweiligen Einschätzungen. Unabhängig von der Frage, ob Schutzimpfungen sinnvoll, sinnlos oder sogar kontraproduktiv sind, haben diese nicht nur eine individuelle sondern auch eine soziale Dimension, da Impfungen nicht nur ein spezifisches Individuum schützen, sondern darüber hinaus die Verbreitung einer Krankheit verhindern sollen. Im Folgenden wird zunächst wird der Begriff der „Schutzimpfung“ erläutert und deren rechtliche Grundlagen werden vorgestellt. Weiterhin wird die Aufgabenstellung des Robert-Koch- Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts erläutert, die im Auftrag der Exekutive mit dem Thema auf Bundesebene befasst sind. Anschließend werden Positionen von Akteuren des deutschen Gesundheitssystems erläutert, die sich zu der Frage von Schutzimpfungskomplikationen positioniert haben. Nicht berücksichtigt dagegen werden in diesem Sachstand weltanschauliche oder religiöse Positionen. Diese befassen sich in den meisten Fällen nicht in erster Linie mit der Frage von Gefahrenpotentialen sondern eher mit der grundsätzlichen Erörterung, ob es statthaft ist, Krankheiten in einen gesunden Körper einzubringen oder Stoffe, die aus (lebenden) Zellkulturen entwickelt wurden, als Impfstoffe zu verwenden. 2. Der Begriff der Schutzimpfung In Deutschland besteht derzeit keine rechtliche Verpflichtung eine Schutzimpfung vorzunehmen. Schutzimpfungen werden von den obersten Gesundheitsbehörden der Länder auf der Grundlage der Ständigen Impfkommission (STIKO), die beim Robert-Koch-Institut angesiedelt ist,1 empfohlen . Gemäß der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses (G-BA) über Schutzimpfungen nach §20 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) wird unter einer Schutzimpfung im Sinne des § 2 Nr. 9 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG)2 die Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer übertragbaren 1 Siehe Kap. 4.1.1.1. 2 Im §2 IfSG sind neben dem der Schutzimpfung eine Reihe weiterer Begriffe definiert, die im Zusammenhang mit Infektionen beim Menschen stehen. Die aktuelle Fassung ist auf http://www.gesetze-iminternet .de/ifsg/__2.html (Stand 29. Juli 2014) eingestellt und in der Anlage 1 beigefügt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 5 Krankheit zu schützen, verstanden. Auf der Website der Gesundheitsberichterstattung des Bundes wird hierzu ergänzend ausgeführt: „Unter Schutzimpfungen versteht man die die künstliche Erzeugung einer spezifischen Immunität als Vorbeugungsmaßnahme gegen bakterielle und virale Infektionskrankheiten. Eine aktive Schutzimpfung oder Immunisierung erfolgt durch Gabe von abgetöteten oder abgeschwächten Erregern oder deren ungefährlich gemachten Giften. Der Impfstoff wird meist eingespritzt oder durch Einritzen in die Haut bzw. durch orale Gabe in den Verdauungstrakt eingebracht . Abgeschwächte Lebendimpfstoffe führen zu einer leichten Infektion ohne Krankheitserscheinungen und werden z.B. gegen Röteln, Mumps, Masern und Tuberkulose eingesetzt . Diese Impfung schützt meist länger als drei bis fünf Jahre. Sog. Totimpfstoffe, die z.T. inzwischen auch gentechnisch hergestellt werden können, werden z.B. gegen Grippe, Keuchhusten , Kinderlähmung, Hepatitis-B, Tollwut, Fleckfieber und Cholera angewendet. Der Impfschutz währt rd. ein bis zwei Jahre. Zur passiven Schutzimpfung oder Immunisierung wird antikörper- bzw. antitoxinhaltiges Immunserum (Serumprophylaxe) oder eine spezifische Fraktion von Immunglobulinen (Immunglobulinprophylaxe) verabreicht. Hierbei ist der Immunschutz zwar nur kurz (rd. drei bis vier Wochen), setzt aber fast sofort ein.“3 Im Folgenden wird der Begriff „Schutzimpfung“ im Sinne dieser Definition und Ergänzung verwendet . 3. Rechtslage in Deutschland Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Durchführung von Schutzimpfungen ist wie beschrieben §20 SGB V. Dort heißt es: „1) Die zuständige obere Bundesbehörde, die obersten Landesgesundheitsbehörden und die von ihnen beauftragten Stellen sowie die Gesundheitsämter informieren die Bevölkerung über die Bedeutung von Schutzimpfungen und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten. (2) Beim Robert Koch-Institut wird eine Ständige Impfkommission eingerichtet. Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung, die der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit bedarf. Die Kommission gibt Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und zur Durchführung anderer Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten und entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung. Die Mitglieder der Kommission werden vom Bundesministerium für Gesundheit im Benehmen mit den obersten Landesgesundheitsbehörden berufen. Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit, der obersten Landesgesundheitsbehörden, des Robert Koch-Institutes und des 3 Siehe: http://www.gbebund .de/gbe10/abrechnung.prc_abr_test_logon?p_uid=gasts&p_aid=&p_knoten=FID&p_sprache=D&p_suchstrin g=8652::schutzImpfungen (Stand 29. Juli 2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 6 Paul-Ehrlich-Institutes nehmen mit beratender Stimme an den Sitzungen teil. Weitere Vertreter von Bundesbehörden können daran teilnehmen. Die Empfehlungen der Kommission werden von dem Robert Koch-Institut den obersten Landesgesundheitsbehörden übermittelt und anschließend veröffentlicht. (3) Die obersten Landesgesundheitsbehörden sollen öffentliche Empfehlungen für Schutzimpfungen oder andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe auf der Grundlage der jeweiligen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission aussprechen. (4) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, nach Anhörung der Ständigen Impfkommission und der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, dass die Kosten für bestimmte Schutzimpfungen von den Trägern der Krankenversicherung nach dem dritten Abschnitt des dritten Kapitels des Fünften Buches Sozialgesetzbuch getragen werden, falls die Person bei einer Krankenkasse nach § 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch versichert ist. In der Rechtsverordnung können auch Regelungen zur Erfassung und Übermittlung von anonymisierten Daten über durchgeführte Schutzimpfungen getroffen werden. (5) Die obersten Landesgesundheitsbehörden können bestimmen, dass die Gesundheitsämter unentgeltlich Schutzimpfungen oder andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe gegen bestimmte übertragbare Krankheiten durchführen. (6) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden. Ein nach dieser Rechtsverordnung Impfpflichtiger, der nach ärztlichem Zeugnis ohne Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit nicht geimpft werden kann, ist von der Impfpflicht freizustellen; dies gilt auch bei anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe. § 15 Abs. 2 gilt entsprechend. (7) Solange das Bundesministerium für Gesundheit von der Ermächtigung nach Absatz 6 keinen Gebrauch macht, sind die Landesregierungen zum Erlass einer Rechtsverordnung nach Absatz 6 ermächtigt. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die obersten Landesgesundheitsbehörden übertragen. Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden .“4 4 Die aktuelle Fassung ist eingestellt auf: http://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__20.html (Stand 29. Juli 2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 7 Auf der Grundlage des § 20 SGB V erließ der G-BA am 18. Oktober 2007 die Richtlinie über Schutzimpfungen, die am 30. November 2077 in Kraft trat.5 Die Richtlinie regelt gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 15 SGB V den Anspruch der Versicherten auf Leistungen für Schutzimpfungen. Maßgeblich ist weiterhin wie beschrieben das IfSG, dessen Zweck gemäß §1 IfSG es ist, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. 4. Zur Einschätzung der Notwendigkeit und Wirksamkeit von Impfungen 4.1. Institutionen auf Bundesebene Auf Bundesebene sind in erster Linie zwei Institutionen mit der Frage befasst, ob und, wenn ja, welche Schutzimpfungen empfohlen werden und ob Gefährdungspotentiale durch eine spezifische Schutzimpfung existieren. Zum einen handelt es sich hierbei um das Robert-Koch-Institut (RKI) und zum anderen um das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). 4.1.1. Das Robert-Koch-Institut Gemäß 4 § IfSG hat das Robert Koch-Institut die Aufgabe, Konzeptionen zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen zu entwickeln. Dies schließt die Entwicklung und Durchführung epidemiologischer und laborgestützter Analysen sowie Forschung zu Ursache, Diagnostik und Prävention übertragbarer Krankheiten ein. Auf dem Gebiet der Zoonosen und mikrobiell bedingten Lebensmittelvergiftungen ist das Bundesinstitut für Risikobewertung zu beteiligen. Auf Ersuchen einer obersten Landesgesundheitsbehörde berät das RKI die zuständigen Stellen bei Maßnahmen zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von schwerwiegenden übertragbaren Krankheiten und die obersten Landesgesundheitsbehörden bei länderübergreifenden Maßnahmen. Auf Ersuchen einer obersten Landesgesundheitsbehörde berät das RKI diese zur Bewertung der Gefahrensituation beim Auftreten einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit. Es arbeitet mit den jeweils zuständigen Bundesbehörden, den zuständigen Länderbehörden, den nationalen Referenzzentren, weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen und Fachgesellschaften sowie ausländischen und internationalen Organisationen und Behörden zusammen und nimmt die Koordinierungsaufgaben im Rahmen des Europäischen Netzes für die epidemiologische Überwachung und die Kontrolle übertragbarer Krankheiten wahr.6 5 Die aktuelle Fassung mit den jüngsten Änderungen mit Wirkung vom 27. Februar 2014 ist eingestellt auf: https://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/60/ (Stand 29. Juli 2014). 6 Zur Aufgabensektrum des RKI in Zusammenhang mit http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/impfen_node.html (Stand 1. August 2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 8 4.1.1.1. Die Ständige Impfkommission beim Robert Koch-Institut Beim RKI ist die Ständige Impfkommission (STIKO) angesiedelt. Aufgabe der STIKO ist es gemäß § 20 Abs. 2 Satz 3 des IfSG, Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und zur Durchführung anderer Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten beim Menschen zu geben. Die Arbeit der STIKO wird durch eine vom Bundesministerium für Gesundheit erlassene Geschäftsordnung geregelt. Auf der Grundlage der Empfehlungen der STIKO entscheiden die obersten Landesgesundheitsbehörden jeweils über ihre öffentlichen Empfehlungen. Auch sind die Empfehlungen gemäß § 20d Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) maßgeblich für Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), in denen die Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang von Schutzimpfungen als Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung bestimmt werden.7 Die STIKO bewertet kontinuierlich Daten zu Impfstoffen und impfpräventablen Erkrankungen. Bei der Bewertung von Daten und der Erarbeitung von Impfempfehlungen folgt die STIKO in wesentlichen Punkten der systematischen Methodik der Evidenzbasierten Medizin (EbM). Im November 2011 beschloss die STIKO eine aktualisierte Version ihrer allgemeinen methodischen Vorgehensweise. Die STIKO führt bei der Erarbeitung von Impfempfehlungen eine Risiko-Nutzen-Bewertung durch. Dabei wird neben dem individuellen Nutzen für die geimpfte Person auch der Nutzen einer Schutzimpfung für die ganze Bevölkerung untersucht, um so genannte Herdeneffekte zu 7 Zur Aufgabenstellung und Arbeitsweise der STIKO siehe: http://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/stiko_node.html (Stand 5.August 2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 9 erreichen und im günstigsten Fall eine Erkrankung zu eliminieren. Gleichwohl können sich nach Darstellung der STIKO unerwünschte negative Effekte eines Schutzimpfprogramms auf Populationsebene ergeben, die beispielsweise durch Replacement-Phänomene oder Altersverschiebungen der Krankheitslast versursacht würden. Dies müsse bei einer Schutzimpfempfehlung berücksichtigt werden..8 Die Empfehlungen der STIKO werden auch auf deren Internetportal aktuell veröffentlicht .9 4.1.2. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) Gemäß Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (BASIG) vom 7. Juli 1972 unterhält der Bund ein Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel als selbständige Bundesbehörde.10 Diese Bundesbehörde ist das Paul- Ehrlich-Institut (PEI). Aufgaben des PEI sind: Sera und Impfstoffe, die zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind, nach Maßgabe der arzneimittelrechtlichen Vorschriften zu prüfen und über die Zulassung sowie über die Freigabe einer Charge zu entscheiden, bei der Erteilung der Erlaubnisse für die Herstellung der in den Nummern 1 bis 3 genannten Sera, Impfstoffe und Arzneimittel nach § 19 Abs. 1 Satz 3 des Arzneimittelgesetzes und nach viehseuchenrechtlichen Vorschriften mitzuwirken, bei der Überwachung des Verkehrs mit den in den Nummern 1 bis 3 genannten Sera, Impfstoffen und Arzneimitteln nach § 40 Abs. 1 Satz 2 des Arzneimittelgesetzes (AMG) und nach viehseuchenrechtlichen Vorschriften mitzuwirken, auf dem Gebiet der in den Nummern 1 bis 3 genannten Sera, Impfstoffe und Arzneimittel, insbesondere auf dem Gebiet der Prüfungsverfahren zu forschen. Das PEI unterhält auch eine Datenbank, die sowohl Verdachtsmeldungen als auch bestätigte Fälle von Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Impfungen beinhaltet. Es untersteht dem Bundesministerium für Gesundheit. 8 Standardvorgehensweise (SOP)der Ständigen Impfkommission (STIKO) für die systematische Entwicklung von Impfempfehlungen (verabschiedet am 10.11.2011), S. 3. Die SOP ist eingestellt auf: http://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Aufgaben_Methoden/methoden_node.html;jsessionid=67 0DC6D8BB450419731C6051E812BEB2.2_cid298 (Stand 1. August 2014) und in der Anlage 2 beigefügt. 9 http://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Empfehlungen/Impfempfehlungen_node.html (Stand 29. Juli 2014). 10 Die aktuelle Fassung des BASIG ist eingestellt auf: http://www.gesetze-iminternet .de/basig/BJNR011630972.html (Stand 29. Juli 2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 10 4.1.3. Die Bundezentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Die BZgA gibt auf dem Portal http://www.impfen-info.de/ (Stand 29. Juli 2014) geordnet nach unterschiedlichen Altersgruppen auf der Grundlage der Empfehlungen der STIKO Informationen zu Schutzimpfungen.11 4.2. Daten und Positionen zum Gefahrenpotential von Schutzimpfungen In der Literatur ist es unstrittig, dass Schutzimpfungen – wie jede medizinische Behandlung oder Medikamentierung auch - ungewollte negative gesundheitliche Nebenwirkungen haben können. In der Diskussion um diese Nebenwirkungen steht – abgesehen von grundsätzlichen Erwägungen – vor allem die Frage nach der Relation zwischen einem durch eine Impfung erzielten gesundheitlichen Nutzen und einem nachgewiesenen Schaden im Vordergrund. Im Folgenden werden nach einer Datenstellung der Datenlage exemplarisch Positionen des RKI, des PEI, der Bundesärztekammer , anthroposophisch orientierter approbierter Ärzte sowie die von Homöopathen dargestellt . 4.2.1. Datenlage 4.2.1.1. Nationaler Impfplan Die Gesundheitsministerkonferenz beschloss 2007 die Durchführung periodischer Nationaler Impfkonferenzen. Ziel hierbei war es, bundesweit Impulse zu geben, um die Durchimpfungsrate in der Bevölkerung zu verbessern.12 Die 1. Nationale Impfkonferenz fand im Jahr 2009 statt. Es nahmen Expertinnen und Experten aus Gesundheitspolitik, Wissenschaft, Forschung, Ärzteschaft , öffentlicher Gesundheitsdienst und der Kostenträger teil. Zur Umsetzung ihrer Ziele haben die Länder im Juni 2009 beschlossen, mit Unterstützung der Fachbehörden auf Bundesebene einen Nationalen Impfplan zu entwickeln und haben diesen daraufhin erarbeitet. 13 Er enthält auch einen Überblick dazu, wie häufig in den Jahren 2005 - 2009 in Deutschland Anträge auf Anerkennung von Impfschäden gestellt und wie viele hiervon anerkannt wurden. Hierzu wird im Impfplan ausgeführt, dass zwischen 2005 und 2009 insgesamt 1036 Anträge auf Anerkennung von Impfschäden gestellt worden seien. In diesem Zeitraum seien 169 Anträge mit der Anerkennung eines Impfschadens abgeschlossen worden. Die formale Anerkennung eines Impfschadens ließe zunächst jedoch keinen Rückschluss auf die Schwere der Schädigung zu und demnach auch nicht darauf, ob es sich um einen vorübergehenden Impfschaden oder eine Impfkomplikation mit einer bleibenden Beeinträchtigung handele. Die Anzahl der in Deutschland gestellten An- 11 Zu den Aufgaben des PEI im Zusammenhang mit Schutzimpfungen siehe: http://www.pei.de/DE/arzneimittel/impfstoff-impfstoffe-fuer-den-menschen/informationen-zu-impfstoffenimpfungen -impfen.html (Stand 3. August 2014). 12 Nach: http://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/ergebnisse-der-80- gesundheitsministerkonferenz-in-ulm/. Die Ergebnisse der bisherigen Nationalen Impfkonferenzen sind eingestellt auf: http://www.nationale-impfkonferenz.de/ (Stand 7. August 2014). Die bisher letzte Nationale Impfkonferenz fand vom 15. bis 16. Mai 2013 in Ünchen statt. 13 Nationaler Impfplan, Impfwesen in Deutschland – Bestandsaufnahme und Handlungsbedarf, Stand 1. Januar 2012, S. 119 ff., eingestellt beispielsweise auf: http://www.saarland.de/93913.htm (Stand 30. Juli 2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 11 träge liege im Mittel jährlich bei 207, darunter die der Anerkennung von Impfschäden bei 34. Sowohl Antragsstellungen als auch Anerkennungen hätten dabei in diesem Zeitraum tendenziell eher zugenommen. Die Zahlen müssten vor dem Hintergrund gesehen werden, dass beispielsweise im Jahr 2008 fast 45 Mio. Impfdosen über die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) abgerechnet und verimpft worden seien. 4.2.1.2. Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGGS) Im Rahmen des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGGS)14 erhob das RKI zwischen Mai 2003 bis Mai 2006 unter anderem Daten zu möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu Schutzimpfungen.15 Insgesamt nahmen 17.641 Kinder und Jugendliche (8656 Mädchen, 8985 Jungen) im Alter von 0 bis 17 Jahren sowie deren Eltern an der Studie teil. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren nach Angaben des RKI nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden. Für 15.958 Kinder und Jugendliche (90,5% aller Untersuchten) seien auch die Fragen nach Impfnebenwirkungen beantwortet worden. Eltern von 332 Kindern und Jugendlichen hätten angegeben, dass bei einer oder mehreren Impfungen Unverträglichkeiten aufgetreten seien. Die am häufigsten mit Nebenwirkungen in Verbindung gebrachte Impfung sei mit 15,2% eine Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) gewesen. Am zweithäufigsten seien mit 11,5% eine Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)-Impfung als schlecht vertragen angegeben worden. Häufigstes Symptom einer von Eltern berichteten Impfnebenwirkung sei Fieber gewesen , dies am häufigsten nach einer MMR-Impfung. Berücksichtigte man alle Mono- und Kombinationsimpfungen gegen Masern, werde Fieber nach 0,11% aller dokumentierten Masernimpfungen genannt. Das Auftreten von Impfmasern sei mit einer Häufigkeit von 0,04% berichtet worden . Würden alle nach einer Masernimpfung aufgetretenen Urtikarien und Hautausschläge als schwer von Impfmasern abgrenzbare Symptome mit berücksichtigt, träten mögliche Impfmasern in 0,08% der Fälle auf. Fieberkrämpfe seien nach fünf Masernimpfungen und damit mit einer Häufigkeit von 0,02% aufgetreten. Nach MedDRA16-Kodierung entspreche dies einem „seltenen Auftreten“. Bezogen auf alle dokumentierten Pertussis-(Keuchhusten)-impfungen wurde bei 0,007% der Impfungen von einem Fieberkrampf berichtet. Bei zwei Kindern mit Impfnebenwirkungen waren diese nach Elternangaben amtlich als Impfschaden anerkannt worden. In beiden Fällen war nach einer BCG-Impfung ein Abszess an der Vakzinationsstelle aufgetreten. Keine der von den Eltern beschriebenen Nebenwirkungen deutete darauf hin, dass es sich bei ihnen um schwere, aber sehr seltene Nebenwirkungen wie idiopathische thrombozytopenische Purpura oder eine hypotone-hyporesponsive Episode gehandelt haben könnte. 14 Der KiGGS wurde von vom Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführt. Ziel des Befragungs- und Untersuchungssurveys war es, umfassende und bundesweit repräsentative Daten zum Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen zu erheben. Insgesamt nahmen 17.641 Kinder und Jugendliche (8656 Mädchen, 8985 Jungen) im Alter von 0 bis 17 Jahren sowie deren Eltern an der Studie teil. 15 Die Ergebnisse sind zusammengefasst dargestellt auf: Poethko-Müller C. u.a., Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung, Fachgebiet Kinder- und Jugendgesundheit, Prävention, Robert Koch-Institut, Berlin , Impfnebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys , Teil 1: Deskriptive Analysen, Bundesgesundheitsblatt 2011, Ausg. 54:357–364, und Teil II: Einflussfaktoren auf elterliche Berichte über Impfungen, Bundesgesundheitsblatt 2011, Ausg. 54:365–371, Online publiziert am 23. Februar 2011 und in der Anlage 3 beigefügt. 16 MeDRA (Medical Dictionary for Regulatory http://www.meddra.org/how-to-use/support-documentation/german Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 12 In der Auswertung der Ergebnisse kommt das RKI zu dem Ergebnis, dass Angaben über Impfnebenwirken vor allem für in den alten Bundesländern lebende Kinder, für Kinder mit einem hohen sozioökonomischen Status, für Kinder ohne Migrationshintergrund und auffällig häufig bei Kindern, deren Eltern es für besser hielten, dass Kinder bestimmte Erkrankungen durchmachten, erkennbar sei.17 Weiter weist das RKI darauf hin, dass im Hinblick auf die Beurteilung der Nebenwirkungshäufigkeit von Impfungen beachtet werden müsse, dass eine zeitliche Assoziation zwischen beobachtetem Symptom und Impfung nicht automatisch gleichzusetzen sei mit einem kausalen Zusammenhang. Insgesamt habe die KIGGS im Hinblick auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Schutzimpfungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen einen Bezug auf die Anzahl der verabreichten Impfdosen ermöglicht, da eine große, repräsentative Gruppe von Kindern und Jugendlichen standardisiert abgefragt worden sei. Jedoch stünden der Berechnung absoluter Nebenwirkungshäufigkeiten methodische Gründe entgegen. Der Wert von Nebenwirkungsberichten durch die Patienten sieht das RKI darin, dass ein hoher Anteil an neuen, bislang unbekannten Nebenwirkungen erfasst werden könne. Allerdings hätten die als Impfnebenwirkungen berichteten Symptome aber weitgehend dem bekannten Nebenwirkungsspektrum entsprochen und hätte keinen Anlass für eine veränderte Bewertung des Risikoprofils von Schutzimpfungen gegeben. 4.2.2. Positionen zu Gefährdungspotentialen Da die Diskussionen Kontroversen zu Fragen des Nutzens und der Gefahrenpotentiale von Schutzimpfungen sowohl generell als auch im Hinblick auf jede einzelne Schutzimpfungen kontrovers geführt wird und jeweils mit Meinungen oder spezifischen Untersuchungen belegt wird, sprengte die Darstellung dieser Positionen den Rahmen dieses Sachstandes. Daher werden im Folgenden – um einen Überblick zu bieten – die Positionen ausgewählter Institutionen und Organisationen zur Schutzimpfung im Allgemeinen und zu bestimmten Schutzimpfungen im Speziellen exemplarisch vorgestellt. Einen Überblick zu möglichen Komplikationen bietet das Epidemologische Bulletin des RKI, Ausgabe 22. Juni 2007, N5. 25. Hierin sind – nach Art der Impfung geordnet – mögliche unerwünschte Nebenwirkungen einer Schutzimpfung jeweils nach den folgenden Kriterien dargestellt : Lokal- und Allgemeinreaktionen Komplikationen und Krankheiten / Krankheitserscheinungen in ungeklärtem ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung Das Bulletin ist in der Anlage 4 beigefügt. 17 Poethko,-Müller, C., Teil II, S. 367 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 13 4.2.2.1. Position des Robert Koch-Instituts Das RKI verneint die Möglichkeit gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch Schutzimpfungen nicht und weist darauf hin, dass gemäß § 6, Abs.1 IfSG allein der Verdacht einer über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch einen behandelnden Arzt an das zuständige Gesundheitsamt namentlich meldepflichtig sei.18 Die Weiterleitung erfolgt anonym über die Landesgesundheitsämter an das PEI.19 Gleichwohl kommt das RKI zu der Einschätzung, dass Impfungen zu den wichtigsten und wirksamsten präventiven Maßnahmen, die in der Medizin zur Verfügung stehen, gehören. Moderne Impfstoffe seien gut verträglich und unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen würden nur in seltenen Fällen beobachtet. Typische Beschwerden nach einer Impfung seien Rötungen, Schwellungen und Schmerzen an der Impfstelle , auch Allgemeinreaktionen wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und Unwohlsein seien möglich. Diese Reaktionen seien aber Ausdruck der erwünschten Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem Impfstoff und klingen in der Regel nach wenigen Tagen ab. Schwerwiegende Komplikationen nach Impfungen seien aus der Sicht des RKI sehr selten. Das RKI führt weiter aus, dass die Feststellung, ob eine im zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung eingetretene gesundheitliche Schädigung durch die Impfung verursacht wurde, Aufgabe des Versorgungsamtes im jeweiligen Bundesland sei. Falls eine impfbedingte Schädigung nachweisbar sei, können Betroffene einen Antrag auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz stellen. Dies ist in § 60 IfSG ausdrücklich geregelt. Gegen eine ablehnende Entscheidung des Versorgungsamtes ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten möglich. Das Gesundheitsamt kann Hilfestellung bei der Einleitung der notwendigen Untersuchungen, die zur Klärung des Falles führen , leisten und Hilfe bei der Einleitung des Entschädigungsverfahrens anbieten. Das Robert Koch-Institut ist demgegenüber eine Bundesbehörde und hat hier keine Zuständigkeit oder Befugnis . 4.2.2.2. Position des Paul-Ehrlich-Instituts Nach Einschätzung des PEI ist in den letzten Jahren eine wachsende Sorge über reale und vermeintliche Risiken von Impfungen zu beobachten. Ein Grund dafür sei, dass die Mehrzahl der in früheren Zeiten häufigen und gefürchteten Infektionen in der Tat aus dem Blickfeld verschwindet , was unter anderem ein Erfolg der Impfungen sei. So erlangten immer wieder sehr seltene oder auch hypothetische, unerwünschte Ereignisse die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Eine nachlassende Akzeptanz von Impfungen und dadurch resultierende sinkende Impfraten könnte aber die Gefahr eines erneuten Anstiegs der durch Impfungen vermeidbaren Erkrankungen mit sich bringen. Impfstoffe seien, wie alle anderen wirksamen Arzneimittel auch, nicht völlig frei von Nebenwirkungen. In äußerst seltenen Fällen könn- 18 Informationen zur Position des RKI nach: http://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Impfsicherheit/sicherheit_impfungen_node.html (30. Juli 2014). 19 Informationen für Ärzte, worin die Meldepflicht besteht, sind eingestellt auf: http://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Impfsicherheit/Aufklaerungsbedarf.html?nn=2521092 (Stand 30. Juli 2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 14 ten sie zu Gesundheitsstörungen und Erkrankungen führen. An ihre Sicherheit würden aber noch höhere Anforderungen gestellt als etwa an Arzneimittel zur Behandlung schwerer Erkrankungen, denn Schutzimpfungen würden zumeist bei gesunden Personen eingesetzt. Dies stelle auch hohe Anforderungen an die Methoden der Arzneimittelsicherheit von Impfstoffen. Impfstoffe seien heute sicherer als je zuvor. Eine wichtige Aufgabe sei es, diese Botschaft der Öffentlichkeit kompetent nahezubringen, damit das Vertrauen in die Impfempfehlungen weiterhin gestärkt werde.20 In einer Email erläutert das PEI zur Frage einer belastbaren Erhebung von Impfschäden, dass das RKI eine Surveillance zu dem Thema durchgeführt habe. Aber auch hier sei das Ungleichgewicht zwischen Geimpften und Ungeimpften deutlich geworden: Aufgrund des geringen Anteils Ungeimpfter in der Bevölkerung ist deren Anzahl selbst in der groß angelegten KIGGS-Studie gering, so dass statistische Auswertungen – insbesondere bei Subgruppenanalysen – auf Fallzahlprobleme stoßen. Eine Schlussfolgerung der Studie sei dennoch, dass die Unterschiede im Auftreten allergischer Erkrankungen und der Häufigkeit von Infekten zwischen Ungeimpften und Geimpften nicht zu beobachten sei.“21 4.2.2.3. Position der Bundesärztekammer Nach Ansicht des Deutschen Ärztetages (die jährliche Hauptversammlung der Bundesärztekammer - BÄK) gehören Schutzimpfungen zu den wirksamsten Maßnahmen der primären Prävention gegen Infektionskrankheiten. Die rechtlichen Grundlagen seien in Deutschland mit dem Infektionsschutzgesetz klar geregelt. Um so erstaunlicher sei die Tatsache, dass auch ärztlicherseits in zunehmendem Maße von empfohlenen Standardimpfungen abgeraten werde, denn behandelnde Ärzte hätten die Pflicht, den Patienten auf die Notwendigkeit und Möglichkeit der Impfung gegen verschiedene Ansteckungskrankheiten aufmerksam zu machen. Entscheidend für eine Schutzimpfung müsse die vorherrschende Ansicht in den Kreisen der wissenschaftlichen Medizin sein. Disziplinarisch und rechtlich bliebe dies zurzeit in Deutschland noch unbeachtet. In diesem Zusammenhang forderte beispielsweise der Deutsche Ärztetag in seiner 109. Tagung vom 23. bis 26. März 2006 die Ärztekammern auf zu prüfen, ob gegen Ärzte, die sich explizit und wiederholt gegen empfohlene Schutzimpfungen nach §20 Abs. 3 IfSG ausgesprochen haben, berufsrechtliche Schritte eingeleitet werden könnten, da sie – so die Auffassung des Ärztetages – mit ihrem Verhalten gegen das Gebot der ärztlichen Sorgfalts- und Qualitätssicherungspflicht verstießen.22 20 Weißer, K., Barth, I., Keller-Stanislawski, B., Bundesinstitut für Sera und Impfstoffe (PEI), Paul-Ehrlich-Institut, Langen, Sicherheit von Impfstoffen, Bundesgesundheitsblatt 2009 · 52:1053–1064, DOI 10.1007/s00103-009- 0961-y, Online publiziert: 14. Oktober 2009, S. 1036, abrufbar auf: http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Nebenwirkungen/nebenwirkungen_node.html (Stand 30. Juli 2014). 21 Das PEI übermittelte die Informationen und Einschätzungen in einer Email vom 28. Juli 2014. Die erwähnte Studie des RKI wird auf http://www.aerzteblatt.de/archiv/80866/ (Stand 6. August 2014) vorgestellt. 22 http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.2.23.3920.3977.4007.4018 (Stand 1. August 2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 15 4.2.2.4. Ärzte für individuellen Impfentscheid e.V. Nach eigenem Verständnis handelt es sich bei dem Verein „Ärzte für Individuelle Impfentscheidung “ um keine Impfgegner, da Impfungen nach dessen Auffassung einen Schutz vor bedrohlichen Erkrankungen vermitteln können. Ihr Einsatz habe weltweit zu einem besseren Gesundheitsstatus vieler Menschen beigetragen. Impfstoffe könnten jedoch – wie alle Arzneimittel – auch schwere unerwünschte Wirkungen hervorrufen, im Einzelfall mit bleibender Beeinträchtigung der Gesundheit. Daher sollten Impfungen – als präventive, am Gesunden vorgenommene Maßnahmen – besonders hohen Sicherheitsansprüchen genügen.23 Es sei in jedem Einzelfall zwischen den Risiken der jeweiligen Erkrankung und dem mit der Impfung verbundenen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit abzuwägen. Dies gelte insbesondere auch für Kinder hinsichtlich ihrer immunologischen und neurologischen Reifung. Eine Entscheidung setze eine umfassende Kenntnis der kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen von Impfstoffen und Impfprogrammen voraus. Derzeit fehlten derartige Untersuchungen fast vollständig. Nur eine differenzierte, ärztliche Aufklärung über alle bekannten individuellen und epidemiologischen Aspekte jeder einzelnen Schutzimpfung oder jedes Impfprogramms könne Eltern bei einer verantwortlichen Entscheidungsfindung helfen. Vor diesem Hintergrund fordert der Verein: Erhalt der freien, individuellen Impfentscheidung nach differenzierter, umfassender und ergebnisoffener ärztlicher Beratung, umfassende und unabhängige Untersuchungen zu Sicherheit, Auswirkungen und Nachhaltigkeit von Schutzimpfungen und Impfprogrammen, freie, öffentliche und vorurteilsfreie Diskussion dieser Erkenntnisse. Eine Impfpflicht wird von dem Verein abgelehnt. In diesem Zusammenhang hebt er kritisch hervor , dass die Empfehlungen der STIKO zunehmend den Charakter medizinischer Standards annähmen . Weiterhin wird unterstrichen, dass eine wichtige Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der STIKO eine völlige Unabhängigkeit jedes einzelnen Mitgliedes von Unternehmen der Pharmaindustrie sei. Finanzielle oder sonstigen Verflechtung konterkarierten Sinn, Aufgabe und Autorität der STIKO. Diese Ziele und Forderungen fanden ihren Niederschlag in dem so genannten Wuppertaler Manifest , das auf einer Konferenz, die vom 01. bis 02. Oktober 2010 in Wuppertal stattfand, verabschiedet wurde.24 Der Verein warnt insbesondere vor Schutzimpfungen, die nicht nur unmittelbare negative, sondern auch langfristige schwerwiegende unerwünschte gesundheitliche Folgen für einen Schutzgeimpften nach sich zögen. Als Beispiel wird in diesem Zusammenhang die Schutzimpfung gegen Windpocken angeführt. Unter Berufung auf namhafte Epidemiologen wird befürchtet, dass durch den Wegfall von Wildwindpockeninfektionen mittelfristig eine Zunahme an Herpes Zos- 23 Folgende Ausführungen siehe: http://www.individuelle-impfentscheidung.de/index.php/er-uns-mainmenu-4 (Stand 30. Juli 2014). 24 Das so genannte „Wuppertaler Manifest“ ist in der Anlage 5 beigefügt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 16 ter-Fällen (Gürtelrose) zu verzeichnen sein werde, wobei pessimistische Prognosen sogar davon ausgingen, dass bis zu 50% der Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen nach einer solchen Impfung hiervon betroffen sein könnten25 Weiterhin wird ausgeführt, dass die im Kindesalter durchlebten Windpocken mit einer Reihe positiver Effekte für das spätere Leben verbunden seien. So verringere sich das Risiko, an Diabetes mellitus, Knochen- und Hirntumoren und möglicherweise auch an anderen Krebsarten zu erkranken. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, ob eine generelle Empfehlung für eine Windpockenschutzimpfung sinnvoll sei. 4.2.2.5. Einschätzungen aus anthroposophischer Sicht Beispielhaft seien hier zwei Organisationen praktizierender Ärzte vorgestellt, die in einer anthroposophischen Tradition stehen und eine kritische Position zu Schutzimpfungen vertreten. Erkenntnisse zu anderen ärztlichen Organisationen von Medizinern in Deutschland, die sich aus weltanschaulichen Gründen kritisch mit dem Thema Impfung auseinandersetzen wurden, liegen nicht vor. 4.2.2.5.1. Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland Anthroposophisch orientierte Ärzte richten nach Darstellung der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland (GAÄD) ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf eine Diagnose und die Entwicklung einer Therapie sondern auch auf die menschliche Fähigkeit des Lernens und dessen Bedeutung beispielsweise für die Entwicklung des Immunsystems (Umgang mit Infektionen, Autoagressionskrankheiten, Tumorimmunologie). Sie betrachten den Menschen als ein „offenes System“, dessen Ressourcen voll nur entwickelt werden könnten, wenn er als Patient sich als Lernender und nicht nur als Leistungsempfänger der Medizin verstehe. Nach dieser Auffassung besitze jeder Mensch vier so genannte „Organisationsebenen“ (Körper, Leben, Seele, Geist). Da diese bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt seien, müsste ein solcher ganzheitlicher Ansatz in einer stark individualisierten Therapie ihren Ausdruck finden. Dies gelte auch für Schutzimpfungen.26 4.2.2.5.2. Dachverband anthroposophische Medizin in Deutschland Nach Ansicht des Dachverbandes Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMiD) stellt eine Impfung einen Eingriff in das bestehende Immunsystem dar. Gerade bei Neugeborenen und Säuglingen, bei denen das Immunsystem noch nicht ausgereift ist, könne nach dem jetzigen Wissensstand aber noch nicht abschließend definiert werden, welche Konsequenzen dieser Eingriff langfristig für das Immunsystem habe. Untersuchungen über langfristige Impfauswirkungen und die Nachhaltigkeit von Impfprogrammen fehlten weiterhin fast vollständig. Auch die toxikologi- 25 Nach http://www.individuelle-impfentscheidung.de/index.php/stellungnahmen-mainmenu-13/28- stellungnahme-zur-windpockenimpfung (Stand 4. August 2014). Die Quellen für diese Position sind auf der genannten Website aufgeführt. 26 Anthroposophische Medizin, eingestellt auf: http://www.gaed.de/gaaed/was-ist-anthroposophischemedizin .html (Stand 31. Juli 2014). Die anthroposophisch orientierte Ärzte Gesellschaft (GAÄD) ist ein Dachverband anthroposophisch orientierter Ärzte in Deutschland. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 17 schen Aspekte von Impfstoffen und möglichen Nebenwirkungen auf die neurologische Entwicklung seien nicht in allen Punkten geklärt. 4.2.2.6. Einschätzungen aus homöopathischer Sicht 4.2.2.6.1. Deutsche Homöopathische Union Die Deutsche Homöopathische Union weist darauf hin, dass ein direkter Ersatz einer Impfung durch homöopathische Arzneimittel nicht möglich sei. Wohl aber sei eine Behandlung von Impfkomplikationen mit homöopathischen Methoden angezeigt. Zu unerwünschten Impfreaktionen aus Sicht der Deutschen Homöopathischen Union zählen: Örtliche Reaktion/Entzündung der Impfstelle: blasse Schwellung, Hitze, stechender Schmerz oder hochrote Schwellung mit pochenden oder brennenden Schmerzen, Bläschenbildung , Abszessbildung oder Eiterung an der Impfstelle, Verschiedenste Hautausschläge mit intensivem Juckreiz, Haut trocken und schuppig sowie Ausschläge, fleckig oder mit Bläschen, juckend, brennend, Unruhezustände, Hohes Fieber, Unruhe trockene Haut, großer Durst, Als Spätreaktion: Infektanfälligkeit, vor allem chronische Mittelohrentzündungen.27 Allerdings gibt es im Spektrum der Homöopathie auch Positionen, die eine Impfung von Kindern grundsätzlich ablehnen, da Kinderkrankheiten eine wichtige Funktion bei der Stabilisierung des Immunsystems und der Stabilisierung gegen den Ausbruch erblich bedingter Krankheiten hätten .28 4.2.2.6.2. Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhA) Der DZVhA weist auf einen nach seiner Wahrnehmung bestehenden Zielkonflikt im Zusammenhang mit Schutzimpfungen hin. So sei im öffentlichen Gesundheitsdienst die Verhinderung von Ansteckung oberstes Ziel, dem eine möglichst hohe Impfrate diene. Für den einzelnen Menschen sei dagegen die Förderung und Erhaltung der eigenen Gesundheit der höchste medizinische Anspruch . Nicht immer ließen sich beide Forderungen gleichzeitig erfüllen. In der individuellen Medizin sei jeder Fall ein besonderer Einzelfall. Eine Impfempfehlung könne daher nur eine Leitlinie sein, die gemäß der individuellen Besonderheiten dem Einzelfall angepasst werden müsse. Dabei müssten Konstitution, Vorerkrankungen, bestehende Krankheiten, aber auch persönliche Einstellungen berücksichtigt werden. Im Zusammenhang mit unerwünschten Nebenwirkungen auf eine Schutzimpfung fordert der DZVhA eine vorurteilsfreie Dokumentation durch den jeweils verantwortlichen Arzt für die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft oder für das PEI. 27 Nach: http://www.dhu.de/seiten/gesundheit/allgemein/impfungen.htm (Stand 4. August 2014). 28 Ein Beispiel hierzu auf: http://www.homoeopathie-luzern.ch/homoeopathieluzern /de/hom/dossiers/impfen/homoeo_impfen.htm (Stand 4. August 2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 – 074/14 Seite 18 Eine vorschnelle Einstufung einer im Zusammenhang mit einer Schutzimpfung auftretenden Erkrankung als zufälliges Aufeinandertreffen verhindere eine aussagekräftige Erfassung möglicher unerwünschter Arzneiwirkungen und eine sofortige sinnvolle Therapie auch leichterer Impffolgen . Die Behandlung von unerwünschten Schutzimpfungsfolgen durch Homöopathie sei mit zahlreichen guten Erfahrungen belegt. Auch der DZVhA unterstreicht, dass es keine „homöopathischen Impfungen“ gebe.29 5. Schlussbemerkung Die Einschätzungen des RKI und die des PEI zu den möglichen Folgeschäden einer Schutzimpfung , die sich im Wesentlichen mit denen der WHO decken,30 einerseits und die von Impfgegnern oder –kritikern andererseits gehen weit auseinander. Eine Verifizierung der einen oder anderen Position aufgrund von belastbaren empirischen Daten ist bisher nicht erfolgt und erscheint auch methodisch schwierig, da eine entsprechende Fragestellung beispielsweise darauf zielen müsste, ob Krankheiten bei geimpften und ungeimpften Personen in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität zu Tage treten. In diesem Zusammenhang weist beispielsweise das PEI darauf hin, dass es eine verschwindend kleine Population von Kindern gebe, die nicht geimpft sei. Dies sei keine gute Grundlage für epidemiologische Studien. Es sei aber auch nicht möglich, eine doppelblinde placebo-kontrollierte Studie durchzuführen, wie Impfkritiker es manchmal forderten . Das bedeute, dass man eine Gruppe Kinder mit Impfstoffen und eine andere mit Placebos impfte, wobei der Arzt nicht wisse, welche Kinder wie behandelt worden seien. Das sei aber ethisch nicht vertretbar. Auch unterscheiden sich das handlungsleitende Interesse beider Positionen in einem wesentlichen Punkt: Während sich Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens – auch qua Auftrag – mit der Frage auseinandersetzen, wie die Allgemeinheit vor Epidemien zu schützen ist, befassen sich beispielsweise anthroposophisch orientierte Mediziner in einem weitaus stärkeren Maße mit der Frage, welche Wirkung in einem ganzheitlichen Sinne eine bestimmte Impfung im Einzelfall haben kann. 29 Gemäß einer Pressemitteilung des DZVHAE eingestellt auf: https://www.dzvhae.de/homoeopathiepresse /pressemitteilungen/-1-563.html 30 Siehe hierzu http://www.who.int/features/qa/84/en/ (Stand 6. August 2014). Die WHO setzt sich an dieser Stelle kritisch mit Argumenten von Impfkritikern auseinander.