WD 9 - 3000 - 069/21 (6. Juli 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. 1. Teleärzte im Notfallsanitätergesetz Mit dem Inkrafttreten von Art. 12 des Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin (MTA-Reform-Gesetz)1 am 4. März 2021 wurde § 2a Notfallsanitätergesetz (NotSanG)2 geschaffen. Dieser regelt die eigenständige Ausübung der Heilkunde bis zum Eintreffen des Notarztes oder dem Beginn einer sonstigen ärztlichen Versorgung. In diesem Zusammenhang finden erstmals auch sogenannte Teleärzte, wie sie bereits in zahlreichen Bundesländern tätig sind3, Erwähnung im Gesetz. § 2a NotSanG lautet: „Bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder bis zum Beginn einer weiteren ärztlichen , auch teleärztlichen, Versorgung dürfen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter heilkundliche Maßnahmen […] dann eigenverantwortlich durchführen, wenn o 1. sie diese Maßnahmen in ihrer Ausbildung erlernt haben und beherrschen und 2. die Maßnahmen jeweils erforderlich sind, um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden von der Patientin oder dem Patienten abzuwenden.“4 Nach der Gesetzesbegründung soll die Einführung des Begriffs der teleärztlichen Versorgung im Gesetz verdeutlichen, dass eine ärztliche Versorgung auch dann gegeben ist, wenn die medizini- 1 MTA-Reformgesetz vom 24. Februar 2021 (BGBl. I S.274). 2 Notfallsanitätergesetz vom 22. Mai 2013 (BGBl. I S. 1348), zuletzt geändert durch Artikel 12 des Gesetzes vom 24. Februar 2021 (BGBl. I S. 274). 3 Häufig wird hierbei auch die Bezeichnung „Telenotarzt“ verwendet. 4 Diese und weitere Hervorhebungen in Zitaten sind im Originalwortlaut nicht enthalten. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Anwendung von Standard Operating Procedures durch Notfallsanitäter bei Verfügbarkeit eines Telenotarztdienstes Kurzinformation Anwendung von Standard Operating Procedures durch Notfallsanitäter bei Verfügbarkeit eines Telenotarztdienstes Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 sche Versorgung über eine räumliche Distanz erfolgt. Dabei komme es darauf an, dass die Entscheidung über eine vorzunehmende Maßnahme dabei von einer Ärztin oder einem Arzt getroffen werde.5 2. Auswirkung auf die Delegation von Aufgaben und sogenannte Standard Operating Procedures Wie sich die Möglichkeit der teleärztlichen Versorgung auf bewährte Vorgehensweisen wie etwa die Verwendung sogenannter standardisierter Handlungsanweisungen oder Standard Operating Procedures (SOP) nach § 4 Abs. 2 Nr. 2c NotSanG auswirkt, regelt das Gesetz nicht ausdrücklich. Diese Standardvorgaben für heilkundliche Maßnahmen für bestimmte notfallmedizinische Zustandsbilder und -situationen beziehen sich auf eine nur durch ihre Symptome gekennzeichnete, aber nicht näher bestimmte Gruppe von Patientinnen und Patienten.6 Angesichts der Verfügbarkeit von Telenotarztdiensten in immer mehr Bundesländern, so etwa seit dem 12. April 2021 in Berlin7, stellt sich die Frage, ob SOP auch bei Vorhandensein eines solchen Dienstes ihre Gültigkeit behalten oder ob die Einschaltung des Telenotarztes zur individuellen Versorgung Vorrang hat. § 2a NotSanG berechtigt den Notfallsanitäter in bestimmten Situationen, in denen eine ärztliche Versorgung noch nicht möglich ist, zur eigenständigen Durchführung heilkundlicher Maßnahmen . Der ursprüngliche Entwurf des § 2a NotSanG sah in Nr. 3 und Nr. 4 die Regelung vor, dass Notfallsanitäter nur dann eigenständig heilkundliche Maßnahmen ergreifen dürfen, wenn „für die vorzunehmende Maßnahme in der konkreten Einsatzsituation standardmäßige Vorgaben für das eigenständige Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen nach § 4 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe c nicht vorliegen oder zwar vorliegen, aber von der Notfallsanitäterin oder dem Notfallsanitäter nicht eigenständig durchgeführt werden dürfen und eine vorherige Abklärung durch eine Ärztin oder einen Arzt unter Berücksichtigung des Patientenwohles nicht möglich ist.“8 5 Entwurf eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze (MTA-Reform-Gesetz) vom 18. November 2020, BT-Drs. 19/24447, S. 85. 6 Ausführlich zur Vorschrift des § 4 Abs. 2 Nr. 2c NotSanG siehe Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Das Berufsbild der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters unter besonderer Berücksichtigung der Ausbildungszielbestimmung des § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c Notfallsanitätergesetz, Bundesrechtliche Vorgaben und Umsetzung in den Bundesländern, Ausarbeitung vom 6. Juni 2019, WD 9 – 3000 – 032/19. 7 Berliner Feuerwehr, Telenotarzt-System bei der Berliner Feuerwehr gestartet, Pressemitteilung vom 17. Mai 2021, abrufbar unter: https://www.berliner-feuerwehr.de/aktuelles/nachrichten/telenotarzt-system-beider -berliner-feuerwehr-gestartet-3796/, zuletzt abgerufen am 6. Juli 2021. 8 Vgl. Artikel 12 des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze (MTA-Reform-Gesetz) vom 18. November 2020, BT-Drs. 19/24447, S. 46 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Kurzinformation Anwendung von Standard Operating Procedures durch Notfallsanitäter bei Verfügbarkeit eines Telenotarztdienstes Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Die Abkehr von diesem Vorschlag wurde damit begründet, dass eine „nochmalige gesetzliche Bezugnahme darauf, dass eigenverantwortliche Ausübung von Heilkunde immer auf die Einsatzsituationen beschränkt ist, in denen weder eine ärztliche Versorgung noch eine ärztliche Veranlassung der Maßnahme (Delegation) möglich oder erfolgt ist“ entbehrlich sei.9 Hieran wird, ebenso wie an § 4 Abs. 2 Nr. 2c NotSanG, deutlich, dass der Gesetzgeber auch delegierte Maßnahmen als Teil der ärztlichen Versorgung begreift. So soll die Ausbildung zum Notfallsanitäter nach § 4 Abs. 2 Nr. 2c NotSanG dazu befähigen, heilkundliche Maßnahmen eigenständig durchzuführen, wenn diese von verantwortlichen Ärzten standardmäßig vorgegeben, überprüft und verantwortet werden. Daraus ergibt sich auch für Fälle, in denen § 2a NotSanG keine Anwendung findet, dass durch die Delegation im Wege der SOP eine ärztliche Behandlung als gegeben anzusehen sein dürfte. Die Hinzuziehung des Telenotarztes dürfte insoweit nicht mehr erforderlich sein, wenn SOP angewendet werden können. Sobald eine weitergehende ärztliche Begleitung erforderlich ist, kann diese sowohl durch den Notarzt vor Ort oder den Telearzt erfolgen. *** BT-Drs. 19/24447 – Entwurf eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze (MTA-Reform-Gesetz), BT-Drs. 19/26249, S. 73. 9 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – BT-Drs. 19/24447 – Entwurf eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze (MTA-Reform-Gesetz), BT-Drs. 19/26249, S. 92.