© 2016 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 065/16 Konsequenzen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Apothekenpreisbindung für Arzneimittel Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Einleitung Für verschreibungspflichtige Arzneimittel (sog. Rx-Arzneimittel) besteht in Deutschland gemäß § 78 Abs. 1 und 2 Arzneimittelgesetz (AMG)1 ein einheitlicher Apothekenabgabepreis. Dieser wird durch die Arzneimittelpreisverordnung2 sichergestellt. Nach § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG gilt die Arzneimittelpreisverordnung auch für Medikamente, die von Apotheken aus anderen EU- Staaten nach Deutschland verbracht werden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 19. Oktober 2016 entschieden, dass die Apothekenpreisbindung gegen das Unionsrecht verstößt.3 Der EuGH ist der Auffassung, die Preisbindung stelle eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs im Sinne einer mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung (Art. 34 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV4) dar. Hintergrund des Urteils ist ein Verfahren der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. (ZBUW) gegen die Deutsche Parkinson Vereinigung e.V. (DPV). Letztere hatte zusammen mit der Versandapotheke DocMorris ein Bonussystem für rezeptpflichtige Arzneimittel beworben. Aufgrund einer Klage der ZBUW wurde diese Werbung verboten. Nachdem die DPV Berufung eingelegt hatte, legte das Oberlandesgericht Düsseldorf dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren unter anderem die Frage vor, ob Art. 34 AEUV so auszulegen sei, dass eine nationale Regelung über eine Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung darstelle. Der EuGH bejahte diese Frage und führte zur Begründung aus, ausländische Apotheken seien von der deutschen Preisbindung stärker betroffen als inländische, da ihnen der Zutritt zum deutschen Markt erschwert werde. Der Versandhandel sei aber für ausländische Apotheken ein wichtigeres Mittel, einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt zu erhalten, als für deutsche Apotheken, wenn nicht gar das einzige Mittel. Zudem sei gerade für Versandapotheken der Preis ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor als für traditionelle Apotheken, da die Versandapotheken nur eingeschränkt eine individuelle Beratung und Notfallversorgung anbieten könnten. Im Folgenden wird auf die Wirkungen eingegangen, die das Urteil für das deutsche Recht haben kann. Anschließend werden die gesetzgeberischen Reaktionsmöglichkeiten auf das Urteil sowie die sich daraus ergebenden Konsequenzen für Apotheken und Verbraucher erläutert. 1 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG), in der Fassung vom 12.12.2005, (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert am 18.7.2016 (BGBl. I S. 1666), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/amg_1976/ (Stand: 15.11.2016). 2 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), vom 14.11.1980 (BGBl. I S. 2147), zuletzt geändert am 27.3.2014 (BGBl. I S. 261), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/ampreisv/BJNR021470980.html (Stand: 15.11.2016). 3 Urteil vom 19.10.2016, C-148/15, abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf?text=&docid=184671&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1 (Stand: 15.11.2016). 4 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), in der Fassung des am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon, zuletzt geändert mit Wirkung vom 1.7.2013 (ABl. EU L 112/21 vom 24.4.2012), abrufbar unter: https://dejure.org/gesetze/AEUV (Stand: 15.11.2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 065/16 Seite 5 2. Auswirkungen des EuGH-Urteils 2.1. Wirkungen für das deutsche Recht Die Rolle des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV besteht darin, das Unionsrecht auszulegen oder über seine Gültigkeit zu entscheiden. Die Anwendung des Unionsrechts auf den dem Ausgangsverfahren zugrundeliegenden Sachverhalt ist hingegen Sache des nationalen Gerichts. Der Gerichtshof entscheidet insbesondere nicht über etwaige Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Auslegung oder Anwendung des nationalen Rechts. Vielmehr muss das vorlegende Gericht die konkreten Konsequenzen aus der Antwort des EuGH ziehen, indem es gegebenenfalls die fragliche nationale Bestimmung nicht anwendet. Dementsprechend erläutert das Urteil in der Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) die Auslegung insbesondere von Art. 36 AEUV mit ex-tunc-Wirkung5 und das vorlegende OLG Düsseldorf muss nunmehr über die – für die Dauer des Vorabentscheidungsverfahrens ausgesetzte – Berufung der DPV entscheiden, wobei es in seiner Entscheidung aufgrund der jedenfalls inter partes6 bindenden Wirkung des EuGH-Urteils (Art. 91 VerfO EuGH) nicht von der Antwort des EuGH abweichen darf. Demnach muss das OLG insbesondere berücksichtigen, dass die Preisbindung für Rx- Arzneimittel im Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit und mithin bei grenzüberschreitenden Sachverhalten mangels Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht nicht anwendbar ist. Dies folgt aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber nationalem Recht, der keinen Geltungsvorrang umfasst. Danach ist mitgliedstaatliches, dem Unionsrecht widersprechendes Recht der Mitgliedstaaten nicht nichtig, sondern im Anwendungsbereich des Unionsrechts unanwendbar .7 Dementsprechend betrifft das EuGH-Urteil über die Auslegung insbesondere von Art. 36 AEUV nicht die Gültigkeit der gesetzlichen Festlegung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises für Rx-Arzneimittel in § 78 Abs. 1 S. 4 AMG, §§ 1 und 3 AMPreisV. Somit bleiben die in Deutschland ansässigen (Versand-)Apotheken an die für sie weiterhin geltenden Vorschriften gebunden . Da das Verbot des Art. 34 AEUV nur einfuhrbehindernde Maßnahmen betrifft, kann es somit durch die Nichtanwendbarkeit der Festpreisregelung nur auf EU-ausländische Marktteil- 5 Vgl. EUGH, verb. Rs. C-10/97 bis C-22/97 (IN.CO.GE.'90 u.a.), ECLI:EU:C:1998:498, Rn. 23; Kokott, Juliane /Henze, Thomas: Die Beschränkung der zeitlichen Wirkung von EuGH-Urteilen in Steuersachen, NJW 2006, S. 177 ff. 6 Zu einer Bindungswirkung erga omnes vgl. Gaitanides, Charlotte, in: von der Groeben, Hans/Schwarze, Jürgen /Hatje, Armin (Hrsg.): Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 267 AEUV, Rn. 90 ff. 7 EuGH, Rs. 6/64 (Costa/ENEL), ECLI:EU:C:1964:66, S. 1269 f.; EuGH, verb. Rs. C-10/97 bis C-22/97 (IN.CO.GE.), ECLI:EU:C:1998:498, Rn. 21; vgl. auch BVerfG, Urteil v. 21.6.2016, 2 BvR 2728/13, Rn. 117 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 065/16 Seite 6 nehmer zu einer Benachteiligung inländischer Marktteilnehmer kommen (sog. Inländerdiskriminierung ).8 Darüber hinaus hat das Urteil keine Auswirkungen auf andere nationale Maßnahmen, die im Kontext des Vertriebs von Arzneimitteln den Zielen gemäß Art. 36 AEUV dienen.9 2.2. Auswirkungen für Apotheken und Verbraucher Die unmittelbare Folge des Urteils ist, dass die Preisbindung gegenüber ausländischen Apotheken nicht mehr anwendbar ist, während sie innerhalb Deutschlands bestehen bleibt. Es ist somit ausländischen Apotheken möglich, deutschen Verbrauchern Vorteile für das Einreichen von Rezepten anzubieten. Dies geschieht üblicherweise durch ein Bonussystem. So gewährt etwa die Versandapotheke „Europa Apotheek Venlo“ bis zu 10 Euro pro rezeptpflichtigem Arzneimittel.10 Für deutsche Apotheken ergibt sich daraus ein Wettbewerbsnachteil gegenüber ausländischen Apotheken. Von Apothekerseite wird ein „Rosinenpicken“ befürchtet: Während die Verbraucher die Vorteile aus der Nichtanwendbarkeit der Preisbindung ausländischen Apotheken zukommen ließen, blieben den deutschen Apotheken die Gemeinwohlaufgaben wie etwa der Notdienst überlassen .11 Interessengemeinschaften der Apotheker warnen bereits vor hohen Schließungszahlen, so etwa der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes: Wenn der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten nicht zeitnah unterbunden werde, müssten viele Apotheken aufgrund des „destruktiven Preiswettbewerbs auf mittlere Sicht schließen.12 Bei einer Umfrage des Apothekenpanels „Aposcope“ im Oktober dieses Jahres unter 406 Apothekern und PTA gaben 82,7 Prozent der Apothekenleiter an, sie erwarteten, dass sich ihre wirtschaftliche Lage aufgrund des Urteils verschlechtern werde, 32 Prozent befürchten sogar eine starke Verschlechterung .13 8 Vgl. Müller-Graff, Peter-Christian, in: von der Groeben, Hans/Schwarze, Jürgen/Hatje, Armin (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 34 AEUV, Rn. 319 ff. 9 Beispielsweise betreffend die Anforderungen an den Besitz und den Betrieb von Apotheken (sog. Fremdbesitzverbot , vgl. EuGH, verb. Rs. C 171/07 und C 172/07 (Apothekenkammer des Saarlandes u.a.), ECLI:EU:C:2007:311) oder die Anforderungen an einen Versandhandel mit Arzneimitteln (vgl. EuGH, Rs. C 322/01 (Deutscher Apothekerverband), ECLI:EU:C:2003:664), vgl. Müller-Graff, Peter-Christian, in: von der Groeben , Hans/Schwarze, Jürgen/Hatje, Armin (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 34 AEUV, Rn. 174. 10 Vgl. https://www.europa-apotheek.com/sofort-bonus.htm?tx=ijd3z18bhtw (Stand: 15.11.2016). 11 Deutsche Apothekerzeitung: Was spricht für ein Rx-Versandverbot?, vom 27.10.2016, abrufbar unter: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/10/27/was-spricht-fuer-ein-rx-versandverbot (Stand: 15.11.2016). 12 Pressemitteilung der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) vom 11.11.2016, abrufbar unter : https://www.abda.de/pressemitteilung/155000-beschaeftigte-in-apotheken-eugh-urteil-gefaehrdet-arbeitsplaetze / (Stand: 15.11.2016). 13 Deutsche Apothekerzeitung: Apotheker sind pessimistisch, vom 25.10.2016, abrufbar unter: https://www.deutsche -apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/10/25/apotheker-sind-pessimistisch (Stand: 15.11.2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 065/16 Seite 7 Ob solche Äußerungen gerechtfertigt sind, muss allerdings kritisch hinterfragt werden. So wurde bereits 2002 von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) ein Apothekensterben aufgrund der Einführung des Versandhandels befürchtet.14 Das Gesundheitsministerium merkte 2006 zu ähnlichen Äußerungen an: „Seit 1989 begleiten die Apotheker Reformen im Gesundheitswesen mit massiven Protesten und der Drohung mit massiven Apothekenschließungen. Tatsächlich jedoch fand dieses ‚Apothekensterben‘ nie statt.“15 Die Zahl der öffentlichen Apotheken ist während der letzten 20 Jahre relativ konstant geblieben und liegt bundesweit bei etwa 20.000 bis 21.000 Apotheken.16 3. Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers und Konsequenzen Um einen Wettbewerbsnachteil deutscher Apotheken zu verhindern, bestehen für den deutschen Gesetzgeber im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, auf das Urteil zu reagieren: entweder die Schaffung eines Verbots des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln oder die Abschaffung der Apothekenpreisbindung. 3.1. Verbot des Versandhandels für verschreibungspflichtige Arzneimittel Das Bundesministerium für Gesundheit plant zurzeit ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln.17 Ein solches Verbot wäre durchzuführen durch eine Änderung des § 43 AMG, der den Versandhandel nach Erteilung einer Erlaubnis gestattet, und des § 73 Abs. 1 Nr. 1a AMG, der einen Versand aus Mitgliedsstaaten der EU und von Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum erlaubt. Durch ein Verbot des Versandhandels könnte ein Wettbewerbsvorteil ausländischer Apotheken weitgehend verhindert werden. Ein Verbot dürfte jedoch nur den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimittel betreffen. Der EuGH hat bereits im Jahr 2003 in seinem Urteil zur Versandapotheke DocMorris entschieden, dass ein Verbot des Versandhandels mit rezeptfreien Medikamenten unionsrechtswidrig wäre. 14 Coenen, Michael/Haucap, Justus/Herr, Annika/Kuchinke, Björn: Wettbewerbspotenziale im deutschen Apothekenmarkt , Düsseldorf 2011, S. 20. 15 Bundesministerium für Gesundheit, Pressemitteilung vom 31.10.2006, zitiert nach: Coenen, Michael/Haucap, Justus/Herr, Annika/Kuchinke, Björn: Wettbewerbspotenziale im deutschen Apothekenmarkt, Düsseldorf 2011, S. 20 (Die Originalmitteilung ist nicht mehr abrufbar). 16 ABDA: Die Apotheke – Zahlen, Daten, Fakten 2016, S. 20, abrufbar unter: http://www.abda.de/fileadmin/assets /Pressetermine/2016/TdA_2016/ABDA_ZDF_2016_Brosch.pdf (Stand: 15.11.2016). 17 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Meldung vom 28.10.2016, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft /wirtschaftspolitik/reaktion-auf-eugh-urteil-groehe-arbeitet-an-gesetz-gegen-medikamenten-versandhandel -14501634.html (Stand: 15.11.2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 065/16 Seite 8 Hinsichtlich rezeptpflichtiger Arzneimittel sei ein Verbot dagegen möglich.18 Auch die EU-Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel sieht in Art. 85c Abs. 1 die Möglichkeit eines Verbots des Fernabsatzhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln vor.19 Der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist nur in 7 von 28 Mitgliedsstaaten der EU erlaubt. Neben Deutschland sind dies derzeit Großbritannien, die Niederlande , Dänemark, Schweden, Finnland und Estland.20 In Deutschland ist der Versandhandel seit dem Jahr 2004 erlaubt.21 Ein Verbot würde daher nur eine Rückkehr zur vormals geltenden Rechtslage darstellen. Verfassungsrechtlich wäre ein solches Verbot an dem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG)22 zu messen. Apotheker wären durch ein Verbot des Versandhandels in der Ausübung ihres Berufs eingeschränkt. Ein solcher Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit lässt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits durch „vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls“ rechtfertigen.23 Ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln hätte sowohl für Versandapotheken als auch für Verbraucher erhebliche Folgen: Versandapotheken würden in ihrem Geschäft stark eingeschränkt und Verbraucher wären allein auf lokale Apotheken angewiesen. Unmittelbare Schließungen aufgrund eines Versandhandelsverbots sind jedoch nicht zu befürchten , da es in Deutschland keine reinen Versandapotheken gibt: Nach § 11a Nr. 1 ApoG darf der Versandhandel nur aus einer Präsenzapotheke zusätzlich zum üblichen Apothekenbetrieb erfolgen . Die Anzahl der betroffenen Apotheken ist eher gering: Etwa 15 Prozent bzw. 3.000 der deutschen Apotheken haben eine Versandhandelserlaubnis. Einen ernstzunehmenden Versandhandel betreiben jedoch nur etwa 150 der etwa 20.000 Apotheken in Deutschland.24 Der Arzneimittelversandhandel wächst jedoch kontinuierlich. Während 2012 16 Millionen Verbraucher Arzneimittel 18 Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 11.12.2003, Rs. C-322/01, ECLI:EU:C:2003:664, abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=48801&pageIndex=0&doclang =de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=444250 (Stand: 15.11.2016). 19 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 6.11.2001 (ABl. L 311 vom 28.11.2001, S. 67) zuletzt geändert durch die Richtlinie 2012/26/EU vom 25. Oktober 2012 (ABl. L 311 vom 27.10.2012, S. 1), abrufbar unter: http://ec.europa.eu/health/files/eudralex/vol-1/dir_2001_83_consol_2012/dir_2001_83_cons_2012_de.pdf (Stand: 15.11.2016). 20 Pressemitteilung der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), abrufbar unter: https://www.abda.de/pressemitteilung/artikel/drei-viertel-aller-eu-staaten-verbieten-versandhandel-mit-rezeptpflichtigen -arzneimitteln/ (Stand: 15.11.2016). 21 Die Erlaubnis wurde durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz ) vom 14.11.2003 (BGBl. I Nr. 55, S. 2190) eingeführt. 22 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 (BGBl. I Nr. 1, S. 1), zuletzt geändert am 23.12.2014 (BGBl. I Nr. 64, S. 2438), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gg/gesamt .pdf (Stand: 15.11.2016). 23 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.6.2010, 1 BvR 2011/07, BVerfGE 126, 112; Beschluss vom 17.10.1990, 1 BvR 283/85, BVerfGE 83, 1. 24 Bundesverband Deutscher Versandapotheken: Daten und Fakten zum Arzneimittelversandhandel in Deutschland , abrufbar unter: http://www.bvdva.de/daten-und-fakten (Stand: 15.11.2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 065/16 Seite 9 in Versandapotheken bestellt haben, waren es 2015 bereits 27 Millionen.25 Im Gegensatz zum lokalen Apothekenverkauf haben rezeptpflichtige Medikamente nur einen sehr untergeordneten Anteil am Versandhandel. In traditionellen Apotheken waren 2015 53,3 Prozent der verkauften Arzneimittel rezeptpflichtig,26 im Versandhandel dagegen nur 4 Prozent.27 Dennoch machen rezeptpflichtige Arzneimittel einen nicht geringen Teil des Umsatzes von Versandapotheken aus: Von dem 2015 erreichten Gesamtumsatz der Versandapotheken von 830 Millionen Euro entfielen 167 Millionen Euro auf rezeptpflichtige Medikamente, also etwa 20 Prozent.28 Die niedrige Zahl der Bestellungen von rezeptpflichtigen Arzneimitteln zeigt, dass Verbraucher von einem Versandhandelsverbot eher in geringem Maße betroffen wären. Bei einer Befragung hinsichtlich der Gründe, die gegen eine Bestellung von Arzneimitteln im Versand sprechen, gaben 53 Prozent der Befragten die Dringlichkeit des Erhalts der Medikamente an, 28 Prozent empfanden das Einreichen eines Rezepts als zu kompliziert und 25 Prozent bemängelten die nicht ausreichende Beratung.29 Der Versandhandel bietet somit eher für chronisch kranke Patienten eine Erleichterung, während er im akuten Krankheitsfall weniger geeignet ist. Probleme könnten sich nach einem Verbot vor allem im ländlichen Bereich und in anderen Gegenden, in denen wenige Ärzte angesiedelt sind, ergeben, da in solchen Gegenden auch die Apothekendichte niedriger ist.30 Hilfreich wären daher Maßnahmen, die eine Ansiedlung von Apotheken in diesen Gebieten attraktiver machten. 3.2. Aufhebung der Preisbindung Alternativ zu einem Verbot des Versandhandels ist auch eine Aufhebung der Apothekenpreisbindung denkbar, um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Apotheken sicherzustellen. Pharmazeuti- 25 Bundesverband Deutscher Versandapotheken: Daten und Fakten zum Arzneimittelversandhandel in Deutschland , abrufbar unter: http://www.bvdva.de/daten-und-fakten (Stand: 15.11.2016). 26 ABDA: Die Apotheke – Zahlen, Daten, Fakten 2016, S. 55, abrufbar unter: http://www.abda.de/fileadmin/assets /Pressetermine/2016/TdA_2016/ABDA_ZDF_2016_Brosch.pdf (Stand: 15.11.2016). 27 IMS Health: Marktbericht, Entwicklung des Deutschen Pharmamarktes im Dezember 2015 und im Jahr 2015, S. 24, abrufbar unter: http://www.imshealth.de/files/web/Germany/Marktbericht/Pharma-Marktbericht-Dezember -2015-IMSHealth-022016.pdf (Stand: 15.11.2016). 28 IMS Health: Marktbericht, Entwicklung des Deutschen Pharmamarktes im Dezember 2015 und im Jahr 2015, S. 23, abrufbar unter: http://www.imshealth.de/files/web/Germany/Marktbericht/Pharma-Marktbericht-Dezember -2015-IMSHealth-022016.pdf (Stand: 15.11.2016). 29 YouGov, Bericht für den Bundesverband Deutscher Versandapotheken vom 20.5.2016, S. 15, abrufbar unter: http://www.bvdva.de/files/downloads/YG-Report-Monitor-Online-Health-fr-den-BVDVA.pdf (Stand: 15.11.2016). 30 Eine Grafik zur Apothekendichte nach Landkreisen findet sich in ABDA: Die Apotheke – Zahlen, Daten, Fakten 2016, S. 12, abrufbar unter: http://www.abda.de/fileadmin/assets/Pressetermine /2016/TdA_2016/ABDA_ZDF_2016_Brosch.pdf (Stand: 15.11.2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 065/16 Seite 10 sche Unternehmer müssen gemäß § 78 Abs. 3 AMG einen einheitlichen Herstellerpreis für Arzneimittel sicherstellen. Der Apothekenabgabepreis wird durch die Arzneimittelpreisverordnung festgelegt, die die Preisspannen für die Zuschläge vorgibt, die Großhändler und Apotheken auf den Herstellerpreis erhalten. Durch die gesetzliche Festlegung wird sichergestellt, dass die Arzneimittel in allen Apotheken zum gleichen Preis verkauft werden. Eine Verletzung der Preisbindung liegt nicht nur dann vor, wenn ein Arzneimittelpreis unter Verletzung der Preisverordnung zustande gekommen ist, sondern auch dann, wenn dem Käufer Vorteile gewährt werden, die an den Kauf des Arzneimittels gebunden sind, etwa Bonuspunkte.31 Eine Aufhebung der Preisbindung wäre durch eine entsprechende Änderung von § 78 AMG sowie der Arzneimittelpreisverordnung möglich. Großhandels- und Apothekenzuschläge wären in der Folge nicht mehr festgelegt und könnten verhandelt werden, zudem wäre eine Vorteilsgewährung durch Apotheken möglich. Die Hauptauswirkung wäre daher ein stärkerer Wettbewerb der Apotheken. Bei einem Beibehalten des Versandhandels würde der Wettbewerb auch gegenüber ausländischen Apotheken bestehen. Die Preisbindung soll der Gesetzesbegründung nach die „flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln“ sicherstellen.32 Insbesondere soll ein potentiell ruinöser Preiswettbewerb verhindert werden. Ein solcher Wettbewerb wäre nach der Befürchtung der Bundesregierung insbesondere eine Gefahr für traditionelle Apotheken in ländlichen oder dünn besiedelten Gebieten.33 In einigen europäischen Ländern wird ein übermäßiger Wettbewerb dadurch verhindert, dass die Apotheken Niederlassungsbeschränkungen unterliegen, die eine zu hohe Apothekendichte in Ballungszentren verhindern.34 In Deutschland wurde eine solche Regelung jedoch vom Bundesverfassungsgericht als unvereinbar mit der Berufsfreiheit aus Art 12 Abs. 1 GG angesehen.35 Der Gesetzgeber hat deshalb als „milderes Mittel“ den Weg gewählt, die Konzentration der Apotheken mittelbar über die Preisbindung zu steuern.36 Der EuGH bezweifelt allerdings in seinem Urteil, dass die Preisbindung überhaupt geeignet sei, das Ziel der Gewährleistung einer flächendeckenden und gleichmäßigen Arzneimittelversorgung 31 Köhler, Andrea: Paradigmenwechsel im Arzneimittelversandhandel – oder scheitert DocMorris mit seinem Preismodell am EuGH?, PharmR 2016, S. 165 ff. (166). 32 Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Vierten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelrechts vom 11.10.1989, BT-Drs. 11/5373, S. 27, abrufbar unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/11/053/1105373.pdf (Stand: 15.11.2016). 33 So das Vorbringen der Bundesregierung im Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, siehe das Urteil vom 19.10.2016 (C-148/15), Rn. 33, abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf?text=&docid=184671&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1 (Stand: 15.11.2016). 34 Köhler, Andrea: Paradigmenwechsel im Arzneimittelversandhandel – oder scheitert DocMorris mit seinem Preismodell am EuGH?, PharmR 2016, S. 165 ff. (169). 35 Urteil vom 11.6.1958, 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, S. 377. 36 Mand, Elmar: Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel vor dem EuGH, WRP 2015, S. 950 ff. (956). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 065/16 Seite 11 zu gewährleisten.37 Stattdessen merkt er an, dass auch eine Förderung des Wettbewerbs positive Auswirkungen auf die Verteilung der Apotheken haben könne, da es durch den Wettbewerb Anreize zur Niederlassung in Gegenden gäbe, in denen wegen der geringeren Zahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden könnten.38 Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen plädiert in einem Gutachten aus dem Jahr 2014 für eine Intensivierung des Wettbewerbs39 und führt aus, dass ein Preiswettbewerb sich eher auf überversorgte Gegenden als auf strukturschwache ländliche Gegenden auswirken würde. Auch dieses Gutachten kommt zu dem Schluss, dass der Wettbewerb die Ansiedlung von Apotheken in ländlichen Gegenden fördern könnte.40 Zum gleichen Ergebnis kam auch die Monopolkommission in einem Gutachten aus dem Jahr 2010.41 Die Kommission schlug daher als Maßnahme für einen „sanften Preiswettbewerb“ die Einführung einer Apothekenpauschale vor, die von den Kunden unabhängig vom Preis des Arzneimittels gezahlt werden solle. Die Pauschale solle von den einzelnen Apotheken bestimmt werden. Zugleich solle die Zuzahlung der Versicherten an die Krankenversicherung entfallen, sodass sich für Verbraucher keine Veränderungen ergäben.42 Der EuGH ist zudem der Ansicht, dass ein Preiswettbewerb Vorteile für den Verbraucher bringen könnte, da günstigere Arzneimittelpreise zu erwarten wären.43 In ländlichen Gegenden könnten sich jedoch auch Nachteile ergeben, da die Apotheken dort mangels Konkurrenz höhere Preise durchsetzen könnten. Diesem Problem könnte wiederum durch eine Beibehaltung des Versandhandels begegnet werden. 37 Urteil vom 19.10.2016 (C-148/15), Rn. 37, abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf?text=&docid=184671&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1 (Stand: 15. 11.2016). 38 Urteil vom 19.10.2016 (C-148/15), Rn. 38, abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf?text=&docid=184671&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1 (Stand: 15. 11.2016). 39 Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen: Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche, Gutachten 2014, S. 119 ff., abrufbar unter: http://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/user_upload/Gutachten/2014/SVR-Gutachten_2014_Langfassung .pdf (Stand: 15.11.2016). 40 Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen: Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche, Gutachten 2014, S. 123, abrufbar unter : http://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/user_upload/Gutachten/2014/SVR-Gutachten_2014_Langfassung .pdf (Stand: 15.11.2016). 41 Achtzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2008/2009, BT-Drs. 17/2600, S. 60, abrufbar unter: http://www.monopolkommission.de/images/PDF/HG/HG18/1702600.pdf (Stand: 15.11.2016). 42 Achtzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2008/2009, BT-Drs. 17/2600, S. 59, abrufbar unter: http://www.monopolkommission.de/images/PDF/HG/HG18/1702600.pdf (Stand: 15.11.2016). 43 Urteil vom 19.10.2016 (C-148/15), Rn. 43, abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf?text=&docid=184671&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1 (Stand: 15. 11.2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 065/16 Seite 12 Sollte die Preisbindung aufgehoben werden, so wäre als Alternative beispielsweise eine Festlegung von Höchstbeträgen für die Apothekenzuschläge denkbar. Eine solche Höchstpreisverordnung wurde bereits 2006 durch die Fraktionen der CDU/CSU und SPD44 sowie die Bundesregierung angestrebt,45 aber letztlich verworfen. *** 44 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD für ein Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 24.10.2006, BT-Drs. 16/3100, Art. 32, S. 76, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/031/1603100.pdf (Stand: 15.11.2016). 45 Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 20.12.2006, BT-Drs. 16/3950, S. 7, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/dip21/btd/16/039/1603950.pdf (Stand: 15.11.2016).