© 2018 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 063/17 Zur Möglichkeit der Verschärfung der Überwachungsvorschriften für Apotheken Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 063/17 Seite 2 Zur Möglichkeit der Verschärfung der Überwachungsvorschriften für Apotheken Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 063/17 Abschluss der Arbeit: 31. Januar 2018 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 063/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Zuständige Überwachungsbehörden 4 3. Mögliche Verschärfung der Überwachungsvorschriften 5 3.1. Legitimer Zweck 6 3.2. Geeignetheit 7 3.3. Erforderlichkeit 7 3.4. Angemessenheit 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 063/17 Seite 4 1. Vorbemerkung Ende 2017 wurde in den Medien über einen Bottroper Apotheker berichtet, der jahrelang und in mehr als 60.000 Fällen Krebsmedikamente in zu niedriger Dosierung hergestellt und abgegeben haben soll.1 Inzwischen ist ein strafrechtliches Verfahren gegen ihn anhängig. Der Fall hat vor allem die Frage aufgeworfen, ob durch ein besseres Überwachungssystem derartige Vorfälle verhindert werden könnten. Inzwischen hat das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Erlasswege Vorschriften für strengere Kontrollen der Apotheken angeordnet .2 Der Sachstand geht auftragsgemäß der Frage nach, wer für die Überwachung der Apotheken zuständig ist, und ob eine bundesweite Verschärfung der Überwachungsvorschriften durch bestimmte Änderungen im Arzneimittelgesetz (AMG)3 möglich wäre. 2. Zuständige Überwachungsbehörden Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 AMG unterliegen Betriebe und Einrichtungen, in denen Arzneimittel hergestellt, geprüft, gelagert, verpackt oder in den Verkehr gebracht werden oder in denen sonst mit ihnen Handel getrieben wird, der Überwachung der zuständigen Behörde. Die Bundesoberbehörden, denen nach dem AMG Aufgaben zugewiesen sind, werden in § 77 AMG abschließend aufgeführt. Für die Apothekenüberwachung nach § 64 AMG ist dort 1 Vgl. etwa Frankfurter Allgemeine Zeitung, Prozess um gepanschte Krebsmedizin, 14. November 2017, S. 1. Siehe dazu auch die Kleine Anfrage der Abgeordneten Gabelmann u.a. und der Fraktion DIE LINKE. vom 12. Januar 2018, Konsequenzen aus dem Bottroper Apothekenskandal, BT-Drs. 19/426. 2 Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger Online, Nach Krebsskandal. NRW verschärft Überwachung von Apotheken, 17. August 2017, abrufbar unter https://www.ksta.de/nrw/nach-krebsskandal-nrw-verschaerft-ueberwachung-von-apotheken -28183162 (Stand: 25. Januar 2018). 3 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG) in der Fassung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2757), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/ (Stand: 26. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 063/17 Seite 5 keine zuständige Behörde genannt. Somit gelten für die Überwachung die allgemeinen Regelungen für den Vollzug der Bundesgesetze.4 Dieser ist gemäß Art. 83 Grundgesetz (GG)5 grundsätzlich Angelegenheit der Länder.6 Die sachlich zuständigen Landesbehörden werden durch Landesrecht bestimmt.7 Für die Apothekenüberwachung sind überwiegend die mittleren Verwaltungsbehörden zuständig, meist die Regierungspräsidenten.8 Die in den einzelnen Bundesländern zuständigen Behörden können auf der Internetseite des Bundesministeriums für Gesundheit eingesehen werden.9 Die zuständige Landesbehörde kann gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 AMG Sachverständige zur Überprüfung beiziehen. Sie soll nach § 64 Abs. 2 Satz 3 AMG Sachverständige der gemäß § 77 AMG zuständigen Bundesoberbehörde beiziehen, „soweit es sich um Blutzubereitungen, Gewebe und Gewebezubereitungen, radioaktive Arzneimittel, gentechnisch hergestellte Arzneimittel, Sera, Impfstoffe, Allergene, Arzneimittel für neuartige Therapien, xenogene Arzneimittel oder um Wirkstoffe oder andere Stoffe, die menschlicher, tierischer oder mikrobieller Herkunft sind oder die auf gentechnischem Wege hergestellt werden, handelt.“ Die zuständige Bundesoberbehörde für die genannten Stoffe und Arzneimittel ist nach § 77 Abs. 2 AMG das Paul-Ehrlich-Institut. Weitere Einzelheiten zur Überwachung nach § 64 AMG enthält die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Arzneimittelgesetzes (AMGVwV).10 So finden sich etwa in § 4 AMGVwV Regelungen für die von den Überwachungsbehörden durchzuführenden Inspektionen und in § 5 AMGVwV Regelungen zu Probenahmen von Arzneimitteln und anderen Stoffen. 3. Mögliche Verschärfung der Überwachungsvorschriften Die Vorschrift zur Überwachung von Apotheken und ähnlichen Betrieben in § 64 Abs. 3 AMG besagt: 4 Delewski, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 2. Aufl. 2016, § 64 AMG Rn. 44. 5 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/gg/ (Stand: 30. Januar 2018). 6 Der Bund kann die Verwaltungskompetenz gemäß Art. 83 Abs. 3 GG durch die Errichtung einer selbstständigen Bundesoberbehörde an sich ziehen. So wurde etwa das Paul-Ehrlich-Institut errichtet, das gemäß § 77 Abs. 2 AMG für Sera, Impfstoffe und weitere bestimmte Stoffe und Arzneimittel zuständig ist. 7 Delewski, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 2. Aufl. 2016, § 64 AMG Rn. 46. 8 Rehmann, Arzneimittelgesetz, 4. Aufl. 2014, § 64 AMG Rn. 1. 9 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/arzneimittelversorgung/arzneimittel /amg-zustaendige-stellen.html (Stand: 25. Januar 2018). 10 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Arzneimittelgesetzes (AMGVwV) vom 29. März 2006, (BAnz. S. 2287), abrufbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads /Gesetze_und_Verordnungen/GuV/A/Allgemeine_Verwaltungsvorschrift_zur_Durchfuehrung_des_Arzneimittelgesetzes _AMGVwV.pdf (Stand: 29: Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 063/17 Seite 6 „Die zuständige Behörde hat sich davon zu überzeugen, dass die Vorschriften über Arzneimittel, Wirkstoffe und andere zur Arzneimittelherstellung bestimmte Stoffe sowie über Gewebe, über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens, des Zweiten Abschnitts des Transfusionsgesetzes, der Abschnitte 2, 3 und 3a des Transplantationsgesetzes und über das Apothekenwesen beachtet werden. Sie hat dafür auf der Grundlage eines Überwachungssystems unter besonderer Berücksichtigung möglicher Risiken in angemessenen Zeitabständen und in angemessenem Umfang sowie erforderlichenfalls auch unangemeldet Inspektionen vorzunehmen und wirksame Folgemaßnahmen festzulegen. Sie hat auch Arzneimittelproben amtlich untersuchen zu lassen.“ Eine Erweiterung der Überwachungsvorschriften könnte an unterschiedlichen Punkten ansetzen. So könnte etwa eine Präzisierung der Formulierung „in angemessenen Zeitabständen und in angemessenem Umfang“ dahingehend erfolgen, dass Mindestanforderungen für die Häufigkeit der Inspektionen festgelegt werden und der Umfang der Inspektionen (Personalkontrollen, Überprüfung der Herstellung von Infusionsarzneimitteln) genauer definiert wird. Des Weiteren könnte die Formulierung „erforderlichenfalls auch unangemeldet“ durch eine Formulierung ersetzt werden , die unangemeldete Inspektionen zwingend vorschreibt. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes folgt aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG. Die Änderungen können die Apotheker (sowie die anderen von Art. 64 Abs. 1 AMG umfassten Berufsgruppen) in ihrer Berufsfreiheit betreffen und sind daher an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Durch die vorgeschlagenen Regelungen, die Kontrollen in bestimmten zeitlichen Abständen, nach bestimmten Maßstäben sowie unangemeldet vorzunehmen, wird die Art und Weise der Berufsausübung der Apotheker beeinträchtigt. Es handelt sich daher um Eingriffe in Art. 12 Abs. 1 GG in Form von sogenannten Berufsausübungsregelungen. Eingriffe in Grundrechte sind verhältnismäßig und somit zulässig, wenn sie einem legitimen Zweck dienen, zum Erreichen dieses Zwecks geeignet und erforderlich sowie angemessen sind. 3.1. Legitimer Zweck Berufsausübungsregelungen sind bereits dann zulässig, wenn vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls sie zweckmäßig erscheinen lassen.11 Die vorgeschlagenen Regelungen sollen dazu dienen, Manipulationen von Arzneimitteln in den vertreibenden Betrieben zu verhindern. Als Zweck der Änderungen kommen daher die Verbesserung der Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit und damit die Sicherung der Gesundheit der Bevölkerung in Betracht. Zweck des AMG ist, „im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel nach Maßgabe der folgenden Vorschriften zu sorgen.“ (§ 1 AMG) In der Literatur heißt es dazu: „Bei der Auslegung und Anwendung der der Arzneimittelsicherheit dienenden Vorschriften ist gleichermaßen zu berücksichtigen, dass das AMG vor allem der Gesundheit der Bevölkerung und damit einem wichtigen Gemeinwohlbelang dient und die Schutzgüter Mensch, Tier und Umwelt auch von den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 11 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2015, 1 BvR 931/12, BVerfGE 138, 261-296, juris Rn. 53 mit weiteren Nachweisen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 063/17 Seite 7 2 II GG und Art. 20a GG erfasst werden.“12 Die Gesundheit der Bevölkerung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Gemeinschaftsgut von hohem Rang.13 Ein legitimer Zweck der Regelungen liegt somit vor. 3.2. Geeignetheit Die erwogenen Regelungen müssten geeignet sein, den legitimen Zweck zu erreichen. Es genügt bereits, dass eine Regelung den Zweck fördert.14 Es erscheint grundsätzlich möglich, dass strengere Anforderungen an die Überprüfung von Apotheken und anderen mit Arzneimitteln tätigen Betrieben dazu führen können, die Sicherheit der Arzneimittelversorgung zu erhöhen und damit die Sicherung der Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. 3.3. Erforderlichkeit Die geplanten Maßnahmen müssten erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Dies ist der Fall, wenn kein milderes Mittel ersichtlich ist, das in gleicher Weise geeignet wäre, den Zweck zu erreichen.15 Geplant ist unter anderem, Mindestanforderungen für die Häufigkeit sowie den Umfang der Inspektionen einzuführen und die Kontrollen unangemeldet durchzuführen. Hiergegen könnte eingewandt werden, dass bereits festgelegt ist, dass die Überprüfungen „in angemessenen Zeitabständen und in angemessenem Umfang“ durchgeführt werden müssen und dass Kontrollen „erforderlichenfalls “ auch unangemeldet erfolgen können. Die bisherigen Regelungen greifen somit weit weniger in die Berufsausübung der Apotheker ein. Der mutmaßliche Fall aus Bottrop kann jedoch herangezogen werden, um zu argumentieren, dass die bisherigen Regelungen nicht ausreichend waren, die Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Gerade angemeldete Überprüfungen sind nicht in gleicher Weise dazu geeignet, Verletzungen der Arzneimittelsicherheit aufzudecken , wie unangemeldete Kontrollen. Eine Präzisierung der Vorgaben hinsichtlich der Häufigkeit der Kontrollen wurde zudem in § 64 Abs. 3a AMG für bestimmte Betriebsarten schon durchgeführt : Betriebe und Einrichtungen, die einer Erlaubnis nach den §§ 13, 20c, 72, 72b Absatz 1 oder § 72c AMG bedürfen, sowie tierärztliche Hausapotheken sind in der Regel alle zwei Jahre zu überprüfen. Dem Gesetzgeber kommt darüber hinaus ein Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Maßnahmen zu, die er für erforderlich hält.16 Die Erforderlichkeit der Regelungen kann somit angenommen werden. 12 Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 1 AMG Rn. 10. 13 Vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 2003, 1 BvR 1972/00, 1 BvR 70/01, juris Rn. 42. 14 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand: 81. EL September 2017, Art. 20 GG Rn. 112. 15 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand: 81. EL September 2017, Art. 20 GG Rn. 113. 16 Ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 2016, 1 BvR 3102/13, , juris Rn. 54. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 063/17 Seite 8 3.4. Angemessenheit Bei der Prüfung der Angemessenheit einer Regelung muss abgewogen werden zwischen ihrem Zweck und den Interessen der Grundrechtsbetroffenen. Hier ist anzumerken, dass die Intensität der Eingriffe in die Berufsfreiheit der Apotheker durch die geplanten Regelungen im Vergleich zur bisherigen Rechtslage nicht übermäßig ins Gewicht fällt. Betriebliche Kontrollen müssen bereits aktuell regelmäßig durchgeführt werden. Eine Beeinträchtigung könnte sich allenfalls aus einer Pflicht zur Durchführung von unangemeldeten Kontrollen ergeben. Solange die Kontrollen jedoch in angemessenen Abständen erfolgen, ist eine unzumutbare Störung des Betriebsablaufs nicht zu erwarten. Auf der anderen Seite stehen die Interessen der Verbraucher an der Sicherheit der Arzneimittel und somit am Schutz der Gesundheit. Von manipulierten Arzneimitteln kann – gerade bei Krebsmedikamenten – eine hohe Gesundheitsgefahr ausgehen. Das Bundesverfassungsgericht hat zum Schutzgut der Gesundheit bereits ausgeführt: „Die zahlreichen Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit , die sich auf die Abgabe von Arzneimitteln beziehen, dienen im weitesten Sinne der Gesundheit der Bevölkerung und damit einem Gemeinschaftsgut von hohem Rang, das selbst empfindliche Eingriffe in die Berufsfreiheit rechtfertigen kann.“17 Die Abwägung dürfte somit ergeben , dass die Interessen der Apotheker hier zurücktreten müssen. Die erwogenen Änderungen des AMG erscheinen somit auch angemessen. *** 17 BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 2003, 1 BvR 1972/00, 1 BvR 70/01, juris Rn. 42.