Soziale Marktwirtschaft und Gesundheitswesen - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 9 - 061/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Soziale Marktwirtschaft und Gesundheitswesen Ausarbeitung WD 9 - 061/07 Abschluss der Arbeit: 26.09.2007 Fachbereich WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Hinweise auf interne oder externe Unterstützung bei der Recherche bzw. Abfassung des Textes Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - - Zusammenfassung - Kurz gesagt kann man sagen, die Zuordnung der Ressourcen und die Preisbildung erfolgt nach den Regeln des freien Marktes während die sich daraus ergebende Einkommensverteilung Gegenstand sozialer Maßnahmen ist. Das Gesundheitswesen hat zwei Schnittpunkte zu dem System der sozialen Marktwirtschaft , das ist zum einen auf der Nachfrageseite vor allem die gesetzliche soziale Krankenversicherung und zum anderen auf der Angebotsseite die Zuordnung der knappen Ressourcen zu den einzelnen Leistungen des Gesundheitsgeschehens. Die Nachfrageseite soll hier nicht behandelt werden, denn die Probleme liegen eher auf der Angebotsseite mit den verschiedenen Schnittstellen, die nachfolgend im Einzelnen kurz dargstellt werden . - 4 - Inhalt Inhaltsverzeichnis Seite 1. Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft 5 2. Zusammenfassung 6 3. Probleme fixer Budgets 7 4. Schwache Marktpositionierung der Leistungserbringer 10 5. Die einzelnen Sektoren 11 5.1. Der ambulante Sektor 13 5.2. Der stationäre Sektor 14 6. Schnittstelle zwischen der ambulanten und stationären Versorgung 15 - 5 - 1. Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft Als Schöpfer des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft gelten Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack. Es handelt sich dabei um eine Verbindung des Prinzips der Freiheit auf dem Markt und dem des sozialen Ausgleichs. Kurz gesagt kann man sagen, die Zuordnung der Ressourcen und die Preisbildung erfolgt nach den Regeln des freien Marktes während die sich daraus ergebende Einkommensverteilung Gegenstand sozialer Maßnahmen ist. Die wichtigsten Elemente der sozialen Marktwirtschaft sind: – Privateigentum an den Produktionsmitteln und freie Preisbildung, – Herstellung einer Wettbewerbsordnung und Sicherung des Wettbewerbs (z.B. durch das Kartellgesetz, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb), – Bewusste Konjunktur- und Wachstumspolitik, – Sicherung der Vollbeschäftigung, – Außenhandelsfreiheit und frei konvertierbare Währungen, – Politik eines stabilen Geldwertes (u. a. durch eine unabhängige Notenbank), – Soziale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und sozialer fortschritt (durch staatliche Umverteilungsmaßnahmen in Form von Sozialhilfeleistungen, Sozialrenten, einem progressiven Einkommensteuersystem, durch die Systeme der sozialen Sicherung wie Renten-, Kranken-, Unfall-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung). Das Gesundheitswesen hat zwei Schnittpunkte zu dem System der sozialen Marktwirtschaft , das ist zum einen auf der Nachfrageseite vor allem die gesetzliche soziale Krankenversicherung und zum anderen auf der Angebotsseite die Zuordnung der knappen Ressourcen zu den einzelnen Leistungen des Gesundheitsgeschehens. Die Nachfrageseite soll hier nicht behandelt werden, denn die Probleme liegen eher auf der Angebotsseite mit den verschiedenen Schnittstellen, die nachfolgend im Einzelnen kurz dargstellt werden . - 6 - 2. Zusammenfassung Infolge der sektoralen Gliederung des deutschen Gesundheitswesens gibt es an den jeweiligen Schnittstellen Probleme. Im Rahmen dieser Ausarbeitung richtet sich der Blick vor allem auf die beiden großen Blöcke der ambulanten und stationären Versorgung. Hinsichtlich der Sektoren mit hauptsächlich auf ärztlichen Verordnungen beruhender Nachfrage wie Arznei-, Heil- und Hilfsmittel gibt es weniger Probleme, da diese innerhalb der Versorgung durch die Krankenkassen keine aktiven Aktionsparameter haben. Ebenso wenig wurde die Schnittstelle zwischen Augenärzten sowie Hals-, Nasen-, Ohrenärzten und den entsprechenden Gesundheitshandwerkern – Augenoptiker und Hörgeräteakustiker – eingegangen, da sich eventuelle Verschiebungen zwischen den Sektoren für die gesetzlichen Krankenversicherungen finanziell nur minimal auswirken. Die wesentlichen finanziellen Auswirkungen entstammen den beiden Sektoren ambulant und stationär, in denen die Leistungserbringer durch ihr Behandlungs- und Überweisungsverhalten über aktive Aktionsparameter verfügen. Je nach Ausgestaltung der Budgets gehen auf die Leistungserbringer Anreize auf eine Leistungsausweitung oder in manchen Fällen auf eine Leistungseinschränkung bis hin zur Rationierung von Leistungen aus. Durch die duale fachärztliche Versorgung im ambulanten Bereich einerseits und im stationären Bereich andererseits gehen Anreize auf eine Leistungsausweitung durch Doppeluntersuchungen aus. Der Markt für Gesundheitsleistungen zeichnet sich durch eine außerordentlich rudimentäre Transparenz aus. Dadurch wird ein rationales Patientenverhalten erschwert, der Patient kann die Qualität der erbrachten Leistungen ebenso kaum beurteilen wie deren Notwendigkeit. Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat diese Problematik, die durch die gleichzeitige Existenz sowohl von Über- wie auch Unter- - 7 - und Fehlversorgung gekennzeichnet ist, in mehreren Gutachten untersucht. Die einzelnen Gutachten sind unter der Adresse www.svr-gesundheit.de abrufbar. 3. Probleme fixer Budgets Schnittstellenprobleme gibt es in allen Bereichen, in denen die Finanzierung der Aktivitäten in sektorale Budgets gegliedert ist. Das gilt prinzipiell gleichermaßen für den Staatshaushalt mit dem allgemein bekannten – als Dezemberfieber bezeichneten – Problem , vorgegebene Budgets auszuschöpfen, um späteren Kürzungen nach Möglichkeit zu entgehen, wie für die gesetzliche Krankenversicherung aber auch für alle Unternehmen, die beispielsweise Budgets für Forschung oder Werbezwecke aufstellen. Die Budgets, die von gewerblichen Unternehmen innerbetrieblich aufgestellt werden, sind nicht starr fixiert sondern flexibel ausgestattet, so dass eine rasche Anpassung an veränderte Entwicklungen mühelos erfolgen kann. Die Budgets im staatlichen Bereich wie auch in der gesetzlichen Krankenversicherung sind in der Regel auf ein Jahr fix festgelegt und in der Regel obendrein auch nicht gegenseitig deckungsfähig. Daraus folgt, dass eine rasche Anpassung an veränderte Bedingungen innerhalb der entsprechenden Planungsperiode nicht erfolgen kann. Die staatlichen Haushalte sind allerdings insofern flexibel, dass nötigenfalls Nachtragshaushalte beschlossen werden können, was innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung nur in sehr engen Grenzen möglich ist, denn eine Kreditaufnahme ist den Krankenversicherungen nicht erlaubt und die Erhöhung der Beitragssätze kann nur mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf erfolgen. Darüber hinaus gilt der in § 71 Abs. 1 SGB V fest geschriebene Grundsatz der Beitragssatzstabilität. Erhöhungen der Beitragssätze, die auch eine direkte Wirkung auf die Lohnnebenkosten haben, sind auch regelmäßig mit einer erheblichen politischen Brisanz verbunden. Darüber hinaus ist die Entwicklung der Budgets in § 71 Abs. 2 SGB V an die Entwicklung der Grundlohnsumme gekoppelt. Aus den jeweiligen Budgets werden die Leistungserbringer der einzelnen Sektoren, die im einzelnen unter Punkt 4 beschrieben werden, bezahlt. In einigen Sektoren werden die Leistungserbringer nach festen Preisen bezahlt – wie zum Beispiel Arzneimittel oder - 8 - Hilfsmittel – oder den einzelnen erbrachten Leistungen werden bestimmte Punkte zugemessen , wobei der Punktwert erst am Ende einer Abrechnungsperiode errechnet wird. Dies betrifft vor allem die niedergelassenen Vertragsärzte oder die Heilmittelerbringer. Bei den Sektoren, in denen feste Preise herrschen1 ergibt sich erfahrungsgemäß schon vor Ende der entsprechenden Periode das Problem der Überschreitung. In der Vergangenheit hat es zum Beispiel eine Vielzahl von Anläufen gegeben, beispielsweise Arzneimittelbudgets verbunden mit entsprechenden Individual- und Kollektivregressregelungen aufzustellen, die allerdings ohne wesentliche Folgen überschritten wurden. Die mit dem Gesundheitsstrukturgesetz–GSG vom 21.12.1992 (BGBl I S. 2266) eingeführten Arzneimittelbudgets mit den entsprechenden Regressandrohungen wurden überschritten , der Regress wurde aber nicht exekutiert sondern mit dem 2. GKV- Neuordnungsgesetz 2. NOG vom 23.6.1997 (BGBl I S. 1520) wurden für die einzelnen Arztpraxen Richtgrößen für die Arzneimittel eingeführt. In diesen Richtgrößen waren nach der Intention des Gesetzgebers die Auswirkungen der Budgetsüberschreitungen berücksichtigt worden, so dass die Grundlage für eine Exekution der Regresse entfiel. Mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22.12.1999 (BGBl I S. 2626) wurde ein erneuter Anlauf unternommen, Arzneimittelbudgets mit entsprechenden Regressandrohungen einzuführen. Auch diese vorgegebenen Arzneimittelbudgets wurden überschritten . Mit dem Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz–ABAG vom 19.12.2001 (BGBl I S. 3773) wurden die entsprechenden Arzneimittelbudgets wiederum aufgehoben , eine Exekution des Regresses ist nicht erfolgt2. Wenn aus einem fixen Budgets Leistungen mit fixen Preisen bezahlt werden, dann gibt es bei einer drohenden Überschreitung zwei Möglichkeiten. Entweder wird das Budget nachträglich aufgestockt und durch die Exekution der angedrohten Regresse wird dieses dann nachträglich wieder auf das ursprüngliche Niveau abgesenkt oder es findet eine Rationierung statt. Bei den Arzneimittelbudgets hat man in den vergangenen Jahren, wie eben ausgeführt, eine Aufstockung vorgenommen, gleichwohl wurde der Regress 1 Die Frage der – vor allem auch wettbewerbsrechtlichen – Problematik der Festsetzung der Preise (Festbeträge) wird hier nicht erörtert. 2 Auch hier soll die rechtliche Problematik der – vor allem Kollektivregresse – nicht erörtert werden. Von Seiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wurde aber immer wieder festgestellt, dass man bei einer Exekution der Regresse diese gerichtlich auf die Verfassungsmäßigkeit überprüfen lassen werde. - 9 - nicht exekutiert, mit der Folge, dass die Ausgaben der Krankenversicherungen insgesamt gestiegen sind, was einen entsprechenden Druck auf die Beitragssätze ausübte. Von einzelnen Krankenhäusern wurde zuweilen versucht, eine Einhaltung der Budgets durch Rationierung zu erreichen, indem am Jahresende nicht dringend notwendige Operationen auf die nächste Periode verschoben wurden. Anders hingegen verhält es sich bei Budgets, aus denen Leistungen mit einem variablen Punktwert, wie bei der vertragsärztlichen Versorgung, bezahlt werden. Theoretisch kann es hier nicht zu Überschreitungen des Budgets kommen, denn am Ende einer Abrechnungsperiode wird die Summe des Budgets durch die Gesamtzahl der Punkte geteilt. Das hat einerseits zur Folge, dass der Leistungserbringer im Laufe der Abrechnungsperiode nicht wissen kann, wie hoch seine Einnahmen in einer Periode sind. Auch kann er nicht wissen, wie viel Geld er für eine einzelne erbrachte Leistung bekommt. Dies führt natürlich zu dem Problem, dass der Leistungserbringer nicht einmal weiß, ob er in einer Abrechnungsperiode zumindest die erheblich ins Gewicht fallenden fixen Kosten seiner Praxis decken kann. Variable Punktwerte haben aber auch zur Folge, dass der Leistungserbringer nicht sicher sein kann, ob er bei einem unveränderten Leistungsspektrum in den nächsten Abrechnungsperioden auch mit unveränderten Einnahmen rechnen kann. Wesentlich sind aber die Auswirkungen auf die in der Regel mit erheblichen Investitionen verbundenen Erhöhungen der Qualität der medizinischen Versorgung, denn der Leistungserbringer hat keinerlei Anhaltspunkte für eine Prognose der veränderten Einnahmen bei einem verbesserten Leistungsspektrum, so dass im Zweifel die eigentlich sinnvolle Investition unterbleibt. Weiter führen fixe Budgets mit variablen Punktwerten für die Leistungserbringer in der Regel zu Leistungsausweitungen der Leistungserbringer, denn diese versuchen dann, durch eine möglichst große Anzahl an Punkten ihren Teil an dem Budget zu sichern. Wenn sich aber alle Leistungserbringer gleich verhalten führt dies über verfallende Punktwerte zu dem bekannten „Hamsterradeffekt“, der marginale Wert der Punkte sinkt erheblich, so dass unter Umständen auch bei einer im Vergleich zur Vorperiode beträchtlich höheren Anzahl an abrechenbaren Punkten die Gesamteinnahmen einer Praxis abnehmen. - 10 - 4. Schwache Marktpositionierung der Leistungserbringer Allein schon die Struktur der Nachfrage nach medizinischen Leistungen erlaubt es den Leistungserbringern kaum, sich gegenüber den Nachfragern oder Patienten zu positionieren . Grob lassen sich die Patienten in zwei große Gruppen einteilen. Zum einen handelt es sich um Personen, die sporadisch spontan akut erkranken. Diese können die individuell gefühlten Symptome im allgemeinen aber keinem Krankheitsbild direkt zuordnen . Diese gehen dann zu ihrem Hausarzt oder, wenn sie keinen Hausarzt haben, nach einer Zufallsauswahl zu einem Arzt. Diesen Patienten gegenüber hat allenfalls der Hausarzt beschränkte Möglichkeiten, sich am Markt zu positionieren. Jegliche Art der Werbung ist dem Arzt untersagt, der Hausarzt kann allenfalls darauf hoffen, dass seine Praxis durch Mund zu Mund Propaganda weiter empfohlen wird.3 In der Regel haben nur sporadisch erkrankende Personen auch kein ausgesprochenes Interesse an medizinischen Leistungen, so dass diese Personen auch dann, wenn in diesem Sektor Werbung erlaubt wäre, nur außerordentlich schwer mit Werbeaussagen erreicht werden könnten. Etwas anders sieht es in dem Bereich der Selbstmedikation aus, in dem Werbung erlaubt ist. Aber auch hier dürfte es schwierig sein, beschwerdefreie Personen anzusprechen. Diese sporadisch erkrankenden Personen haben im allgemeinen keinen Marktüberblick, der es ihnen erlauben würde, im Falle einer Erkrankung eine auf Qualitätsgesichtspunkten basierende rationale Wahl des Leistungserbringers zu treffen. Anders sieht es bei der zweiten Patientengruppe, den chronisch Erkrankten, aus. Aus ihrer langjährigen Erfahrung mit Leistungserbringern haben sie zumindest für das sie betreffende Krankheitsbild eine ausreichende Marktübersicht. Aber auch für sie gilt im Falle einer spontanen akuten Erkrankung an einer anderer Krankheit, dass sie für deren Behandlung keinen ausreichenden Marktüberblick haben. Allerdings haben sie eine langjährige Erfahrung mit dem medizinischen Leistungsgeschehen und sind von daher in ihrer Beurteilungsfähigkeit gestärkt. 3 Der dem Markt für Gesundheitsleistungen nahe stehende Markt für Wellness-Produkte und Leistungen soll hier außer Betracht bleiben, denn dort herrschen ganz andere Gesetzmäßigkeiten. Allerdings ist der Übergang zwischen beiden Märkten fließend. - 11 - Auf der Seite der Leistungserbringer entfällt – bis auf die Selbstmedikation – die Möglichkeit der Marktpositionierung durch Werbung. Bei der zur Zeit geltenden Freiheit der Arztwahl besteht ein direkter potentieller Kontakt nur zwischen Vertragsarzt – abgesehen von Selbsteinweisungen in das Krankenhaus – und dem Patienten. Alle anderen Leistungserbringer sind darauf angewiesen, dass die Patienten entweder zu einer weiteren Behandlung überwiesen werden, wie Krankenhaus oder Heilmittel, oder dass der Vertragsarzt ein entsprechendes Rezept für ein Arzneimittel oder ein Hilfsmittel ausstellt . Daraus folgt, dass die Möglichkeit einer Marktpositionierung für die Erbringer abgeleiteter Leistungen kaum vorhanden ist4. Sowohl aus der Sicht der Anbieter von medizinischen Leistungen wie auch aus der Sicht der in der Regel potentiellen Nachfrager sind daher kaum Möglichkeiten gegeben, eine auch nur rudimentäre Markttransparenz herzustellen . Insgesamt herrscht auf dem Markt für Gesundheitsleistungen die Besonderheit, dass insbesondere der Bereich der ambulanten Versorgung dadurch gekennzeichnet ist, dass es eine angebotsinduzierte Nachfrage gibt. Da der Patient nicht mit Sicherheit erkennen kann, ob zu einem bestimmten Zeitpunkt seine Gesundheit wieder hergestellt ist, kann er auch nicht beurteilen, ob weitere Behandlungen, die vom Arzt angeregt werden überhaupt sinnvoll und notwendig sind. Hier muss er voll auf das Urteil des ihn behandelnden Arztes vertrauen. Im Zweifel wird er sich der weiteren Behandlung unterziehen, auch wenn diese nach objektiven Maßstäben unnötig und überflüssig ist. 5. Die einzelnen Sektoren Die einzelnen Sektoren des Gesundheitswesens sind in Deutschland historisch gewachsen . Schon in der frühen Neuzeit hat sich die Trennung zwischen dem Arzneimittel ver- 4 Die in manchen Zeitschriften veröffentlichten Listen von zum Beispiel den besten Ärzten in Deutschland haben zu erheblichen Irritationen geführt. In den USA hingegen gibt es ein permanentes Ranking von Leistungserbringern. Für die Krankenhäuser vergleiche beispielsweise: http://www.usnews.com/usnews/nycu/health/hosptl/tophosp.htm (zuletzt abgefragt am 02.04.2003) - 12 - schreibenden Sektor und dem Arzneimittel abgebenden und früher in größerem Umfang auch Arzneimittel herstellenden Sektor vollzogen. Daraus resultiert die immer wieder neu aufgeworfene Frage, ob den Ärzten ein Dispensierrecht eingeräumt werden sollte. Die Trennung zwischen dem Arzneimittel abgebenden Sektor, Apotheken, und dem Arzneimittel herstellenden Sektor, Pharmaindustrie, hat sich vornehmlich im 19. Jahrhundert entwickelt, indem einzelne Apotheker standardisierte Arzneimittel in größerem Umfang herstellten. Die beiden Sektoren ambulante und stationäre Versorgung haben sich über die Jahrhunderte entwickelt, indem sich aus Siechenhospizen Krankenhäuser in kirchlicher oder öffentlicher Trägerschaft entwickelten. Die Krankenhäuser in privater Trägerschaft kamen in der Regel später hinzu. Der Wunsch der Nachfrager beziehungsweise der Patienten ist es, bei einer Erkrankung nach einer erfolgreichen Behandlung wieder in einen gesunden Zustand versetzt zu werden. Dabei ist es für den Patienten – neben der notwendigen menschlichen Zuwendung – in der Regel unbedeutend, von welchen Sektoren welche Leistungen erbracht werden, sein vornehmliches Ziel ist die Wiederherstellung der Gesundheit. Dieses Gesamtpaket an einzelnen Leistungen wird aber von keinem der Sektoren allein erbracht. Zumindest kommt es bei der zunächst ambulanten Erstversorgung zu einer Verschreibung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln, so dass Leistungen aus mindestens zwei Sektoren im Zusammenklang erbracht werden müssen. In komplizierteren Fällen kommt dann noch eine Versorgung durch den stationären Sektor hinzu. Vor allem mit der Gesundheitsreform 2000 wurde durch die Einfügung der §§ 140a ff. in das SGB V beabsichtigt, diese Zersplitterung durch die Einführung einer integrierten Versorgung zu überwinden. Die Vorstellung war, dass sich zumindest ambulante Praxisnetze mit stationären Einrichtungen möglichst unter Einbeziehung von Apothekern entwickelten, um den Patienten tatsächlich ein Gesamtpaket anbieten zu können. In der Realität hat sich jedoch die Schaffung dieser integrierten Versorgungsformen als außerordentlich kompliziert dargestellt, da dazu entsprechende Verträge zwischen den betroffenen kassenärztlichen Vereinigungen, Krankenhausgesellschaften, Krankenkassen und eventuell auch Apothekern geschlossen werden müssen. Dabei ist einer der schwierigsten Punkte die Schaffung eines entsprechenden Budgets für diese integrierte Versorgungsform und vor allem die Verteilung der Mittel auf die einzelnen Betroffenen. - 13 - Daneben müssen diese dann geschaffenen Budgets aus den jeweiligen ambulanten und stationären Budgets herausgenommen werden, was offensichtlich auch mit Schwierigkeiten verbunden ist. 5.1. Der ambulante Sektor Innerhalb der kassenärztlichen Vereinigungen ist es notwendig, durch eine entsprechende Gestaltung des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) die Mittel auf die drei Versorgungsformen – hausärztliche Versorgung, fachärztliche Versorgung und psychotherapeutische Versorgung – zu verteilen. Je nach Stimmenverhältnis in der Vertreterversammlung der kassenärztlichen Vereinigung fällt der Maßstab in der Regel nach Meinung von zwei Gruppen zugunsten der dritten Gruppe aus. Dabei kommt es vor, dass die Punkte, die nach dem einheitlichen Bemessungsmaßstab (EBM) den einzelnen Ärzten zugeteilt wird, in den einzelnen Gruppen unterschiedlich bewertet werden. Allgemein gilt, dass der Punktwert umso niedriger ausfällt, je mehr Punkte nach dem EBM verteilt werden. Trotz der politisch forcierten Präferenz für die so genannte sprechende Medizin wird allgemein geklagt, dass die Gerätemedizin tendenziell bei der Bewertung der Punkte bevorzugt wird. Insgesamt wird vor allem von den Psychotherapeuten ein enormer Punktwertverfall beklagt, der manche psychotherapeutische Praxis an den Rand des Ruins treibe. Trotz der feien Arztwahl mit freiem direkten Zugang zum Facharzt kann es zwischen der Gruppe der Hausärzte und der Fachärzte zu Schnittstellenproblemen kommen. Vor allem bei langjährigen Beziehungen zwischen einem Patienten und einem Hausarzt könnte letzterer ein Anreiz spüren, mit der Überweisung an einen Facharzt oder dem Rat, einen Facharzt aufzusuchen, zögerlich umzugehen, um durch eine längere Behandlung mehr Punkte zu erarbeiten. Dieses Problem könnte sich bei der Einführung eines Hausarztmodells mit Lotsenfunktion des Hausarztes verstärken, denn in diesem Fall ist der direkte Zugang zum Facharzt nicht möglich. - 14 - Umgekehrt könnte der Facharzt, wenn er direkt aufgesucht wird, versucht sein, die Behandlung durchzuführen, obwohl eigentlich eine hausärztliche Versorgung völlig ausreichend ist. 5.2. Der stationäre Sektor Obwohl schon mit dem Gesundheitsstrukturgesetz 1992 beschlossen worden war, dass ab 1996 die Abrechnung der Krankenhausleistungen über Fallpauschalen erfolgen sollte , hat sich deren Einführung bis auf das Jahr 2003 verzögert. Die bisherige Abrechnung von Krankenhausleistungen über tagesgleiche Pflegesätze hatte für die Krankenhäuser den unbestreitbaren Vorteil, dass eine Ausdehnung der Liegezeiten mit höheren Einnahmen verbunden war. Auch dies ist ein Beispiel für angebotsinduzierte Nachfrage. Nach langen Diskussionen über die Gestaltung der Fallpauschalen kam man schließlich überein, sich an dem australischen Beispiel zu orientieren, indem die ADRG (Australian Diagnose Related Groups) für Deutschland angepasst werden sollen5. Ursprünglich sollten einige große Bereiche der Krankenhausleistungen – wie zum Beispiel Psychiatrie oder Geriatrie – von den Fallpauschalen ausgenommen werden. Zwischenzeitlich sind diese Bereiche aber einbezogen. Grundsatz der Fallpauschalen ist es, dass für jede Leistung – wie etwa eine Blinddarmoperation – dem Krankenhaus eine Pauschale gezahlt wird, mit der alle Einzelleistungen wie Laborleistungen oder Röntgenuntersuchungen neben der Hauptleistung der eigentlichen Operation abgegolten werden6. Sinn der Einführung der Fallpauschalen ist es, den von den tagesgleichen Pflegesätzen ausgehenden Anreiz für die Krankenhäuser, die Liegezeiten zu verlängern, auszuschalten . Dieser Anreiz wurde umso größer, desto mehr freie Kapazitäten vorhanden waren. 5 Mit ein Grund für die eingetretene Verzögerung bei der Einführung der DRGs war, dass zwischen den Kassen und der Krankenhausgesellschaft heftig gestritten wurde, wer die Anpassung der australischen DRGs finanzieren sollte. Zwischenzeitlich wurde ein paritätisch von beiden Partnern finanzierte Institut mit der Anpassung beauftragt. 6 Auf die Einzelheiten wie Bestimmung der Relativgewichte oder die Entscheidung zwischen bundeseinheitlichen , landeseinheitlichen oder einrichtungsbezogenen DRGs soll hier nicht eingegangen werden. Allerdings sei angemerkt, dass mit der Schaffung von einrichtungsbezogenen Pauschalen den Krankenhäusern sicherlich ein Wettbewerbsparameter zuwachsen würde. - 15 - Allerdings ist dieser Anreiz durch die Einführung der Fallpauschalen nicht ganz ausgeschaltet . Bedurfte es früher für die Verlängerung der durchschnittlichen Liegezeit der Begründung, dass der Patient noch pflegebedürftig sei und nicht nach Hause entlassen werden konnte. Theoretisch könnte in diesen Fällen bei der Anwendung von Fallpauschalen von Seiten des Krankenhauses argumentiert werden, dass zum Beispiel unerwartete Komplikationen eingetreten seien, die eine weitere Fallpauschale rechtfertigten. Ähnlich wie innerhalb des Sektors der ambulanten Versorgung gibt es zwischen den Krankenhäusern Schnittstellenprobleme. Grundsätzlich lässt sich zwischen Krankenhäusern der Grund- und der Spitzenversorgung unterscheiden7. In den Fällen, dass bundes - oder landeseinheitliche Fallpauschalen gelten, und die Behandlungskosten des Krankenhauses der Grundversorgung überschreiten die geltende Fallpauschale, könnte das Krankenhaus der Grundversorgung versucht sein, zu argumentieren, dass es sich um einen komplizierten Fall handele, der nur von einem Krankenhaus der Spitzenversorgung adäquat behandelt werden könne. Umgekehrt könnte der Anreiz eintreten, dass bei unterdurchschnittlichen Behandlungskosten ein Patient in einem Krankenhaus der Grundversorgung behandelt wird, obwohl eigentlich eine Behandlung in einem Krankenhaus der Spitzenversorgung notwendig wäre. 6. Schnittstelle zwischen der ambulanten und stationären Versorgung Eine der bedeutendsten Schnittstellen im medizinischen Leistungsgeschehen stellt die zwischen der ambulanten und stationären Versorgung dar. Seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert, wie eine bessere Verzahnung zwischen den beiden Versorgungsformen erzielt werden könnte. Schon bei den Beratungen des Gesundheitsreformgesetzes 1988 nahm diese Thematik einen breiten Raum ein. Der Konflikt zwischen den beiden Sektoren resultiert vor allem aus der Tatsache, dass nach Möglichkeit eine Behandlung wirtschaftlich unabhängig davon erfolgen soll, wel- 7 Der Bereich der Rehabilitation soll hier außer Acht bleiben. - 16 - che Sektoren in welchem Ausmaß beteiligt sind. Andererseits ist aber die Durchführung einer Behandlung mit finanziellen Auswirkungen für die Leistungserbringer verknüpft. Auch dann, wenn es keine sektoralen Budgets gäbe, ist der Anreiz für den einzelnen Leistungserbringer vorhanden, möglichst viele abrechenbare Leistungen zu erbringen. Durch die Einrichtung sektoraler Budgets wird dieser Konflikt aber noch verstärkt. Im Normalfall findet der erste Kontakt eines Patienten mit dem medizinischen Leistungsgeschehen beim Hausarzt oder seltener beim Facharzt statt. Der Hausarzt entscheidet dann, ob eine ambulante Behandlung ausreichend ist, oder ob eine Krankenhauseinweisung angezeigt ist. In einigen Fällen ist die Entscheidung vorgegeben, beispielsweise bei einer akuten Blinddarmreizung oder gar bei der Unfallchirurgie. In vielen Fällen, vor allem wenn die Symptome diffus sind, findet zunächst eine umfangreiche ambulante Behandlung durch Hausarzt und/oder Facharzt statt. Der Anreiz ist natürlich vorhanden, durch die ambulante Behandlung die Wiederherstellung der Gesundheit zu erreichen, weil einerseits das Prinzip des Vorrangs der ambulanten vor der stationären Behandlung gilt, denn in der Regel sind die Kosten einer ambulanten Behandlung geringer als die einer stationären Behandlung. Daneben bringt eine ausgedehnte ambulante Behandlung unmittelbare finanzielle Vorteile für die ambulanten Leistungserbringer. Andererseits könnte je nach Ausschöpfung eines vorgegebenen Budgets ein Anreiz gegeben sein, eine Krankenhauseinweisung möglichst frühzeitig vorzunehmen, um zumindest einem Punktwertverfall entgegen zu wirken. Auf der anderen Seite sind bei tagesgleichen Pflegesätzen Anreize für das Krankenhaus gegeben, die Verweildauer im Krankenhaus zu verlängern, obwohl schon längst die Überweisung des Patienten in die ambulante Versorgung angezeigt wäre. Andererseits könnte von Fallpauschalen der Anreiz ausgehen, die Liegezeiten möglichst zu verkürzen und den Patienten vorzeitig in die ambulante Versorgung zu überweisen, obwohl dies noch nicht angezeigt ist. Im letzteren Falle würden für das Krankenhaus Mittel frei, mit denen es eine Ausdehnung beispielsweise des Bereichs des ambulanten Operierens unterstützen könnte. Das ambulante Operieren nimmt in der medizinischen Versorgung eine Zwitterstellung ein, denn diese Versorgungsform wird in beiden Sektoren angeboten. Im ambulanten - 17 - Bereich müssen die Investitionskosten für die entsprechenden Vorrichtungen über die Punktwerte finanziert werden. So lange im Bereich des stationären Sektors die zur Zeit geltende dualistische Finanzierung8 praktiziert wird, fallen für das Krankenhaus beim ambulanten Operieren nur die variablen Kosten an. Dadurch entsteht diesem gegenüber dem ambulanten Sektor ein Kostenvorteil. Dies ist der wesentliche Grund für die Bestrebungen der Krankenhäuser, den Bereich des ambulanten Operierens auszudehnen. Ein weiterer Interessenkonflikt der beiden Sektoren besteht bei der Einführung integrierter Versorgungsformen. Dabei geht es vor allem darum, in welcher Weise die Budgets der beiden Sektoren belastet werden. Gleiches gilt bei den Disease Management Programmen (DMP), die für die Behandlung bestimmter chronischer Krankheiten geschaffen werden. Da in Deutschland die fachärztliche Versorgung durch niedergelassene Fachärzte einerseits und Fachärzte im Krankenhaus gewissermaßen doppelt wahrgenommen wird, ist es nicht zu vermeiden, dass eine Vielzahl von Untersuchungen ebenfalls doppelt vorgenommen werden. Das gilt insbesondere für Laboruntersuchungen oder Röntgenaufnahmen . Dadurch bedingt, dass es keine ausreichenden Kontrollen darüber gibt, ob im ambulanten fachärztlichen Sektor schon einmal vorgenommene Untersuchungen unbedingt im stationären Bereich wiederholt werden müssen, kommt es neben einer teils erheblichen Belastung des Patienten – beispielsweise unnötiges Röntgen – zu einer unnötigen Ausweitung des medizinischen Leistungsgeschehens. Die Krankenhausapotheken sind nur für die Versorgung des Krankenhauses zuständig, sie dürfen von ambulanten Patienten keine Rezepte einlösen. Die Krankenhausapotheken beziehen ihre Arzneimittel nicht wie die öffentlichen über den Pharmagroßhandel sondern sie werden größtenteils von den Herstellern direkt beliefert. Die Hersteller benutzen diesen Weg häufig, um die Markteinführung innovativer hochpreisiger Medikamente zu fördern, indem sie diese vergünstigt oder gar kostenlos an die Krankenhaus- 8 Die mit den Investitionen eines Krankenhauses anfallenden Kosten – Anschaffung, Zinsen, Abschreibung – werden bei der Berechnung der Pflegesätze nicht berücksichtigt, sie fallen allein dem Krankenhausträger zur Last. Bei Krankenhäusern in privater Trägerschaft, die in einem Krankenhausbedarfsplan des Landes aufgenommen sind, werden die Investitionskosten durch Förderung durch das Land übernommen. Bei öffentlicher Trägerschaft übernimmt das Land die Investitionskosten . Bei der Verabschiedung des Gesundheitstrukturgesetzes 1992 hat der Bundestag einstimmig einer Entschließung zugestimmt, mittelfristig die monistische Finanzierung einzuführen. Mit dem Gesundheitsreformgesetz 2000 wurde ähnliches beschlossen, gleichwohl gilt unverändert das Prinzip der dualistischen Finanzierung. - 18 - apotheken liefern. Dies entlastet zum einen das Krankenhausbudget. Es hat aber zur Folge, dass Krankenhäuser dazu neigen, die Patienten in ihrer Entlassungsmedikation auf gerade diese Präparate einzustellen. Nicht selten erwarten diese Patienten in der nachfolgenden ambulanten Behandlung, dass ihnen der niedergelassene Arzt eben diese Präparate verordnet, was wiederum das Arzneimittelbudget beziehungsweise die Praxisrichtgröße belastet.