WD 9 - 3000 – 060/20 (23. Juli 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. 1. Zur Inanspruchnahme von medizinischen Behandlungen in Deutschland Der Medizintourismus ist ein weltweit stark wachsender Markt.1 Die gezielte Reise ins Ausland zur medizinischen Behandlung zählt zu den Folgen der wachsenden Globalisierung. Gründe für diese Form des Tourismus sind etwa nicht vorhandene Behandlungsmöglichkeiten in dem jeweiligen Herkunftsland des Patienten, Kostenersparnisse oder die Umgehung von Wartezeiten im Herkunftsland. In Deutschland brachen im Jahr 2017 die Zahlen von Patienten aus dem Ausland stark ein. So ließen sich 2017 zwei Prozent weniger Patienten aus dem Ausland in Deutschland behandeln als im Vorjahr.2 Im Jahr 2018 belief sich der Anteil ausländischer Patienten in Deutschland auf rund 12,7 Prozent.3 Mit Einnahmen von 575 Millionen US-Dollar im Jahr 2018 steht Deutschland an fünfter Stelle der „Top 10 Reiseziele für Medizintourismus“.4 1 Statista, Umsatz des weltweiten Marktes für Medizintourismus in den Jahren 2014 bis 2025, Juni 2018, abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/941153/umfrage/prognose-zum-umsatz-des-weltweiten-medizintouristenmarktes / (dieser Link sowie alle folgenden wurden zuletzt abgerufen am 23. Juli 2020). 2 Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Im Jahr 2017 kamen weniger Medizintouristen ins Land, 31. Januar 2019, abrufbar unter: https://www.h-brs.de/de/pressemitteilung/im-jahr-2017-kamen-weniger-medizintouristen-ins-land; Deutschland, Talsohle im Medizintourismus erreicht? In: Ärzte Zeitung vom 2. Februar 2018, abrufbar unter: https://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/klinikmanagement/article/956805/deutschlandtalsohle-medizintourismus -erreicht.html. 3 Statista, Durchschnittlicher Anteil ausländischer Patienten in ausgewählten Ländern weltweit im Jahr 2018, Dezember 2019, abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/940844/umfrage/anteil-auslaendischer -patienten-in-ausgewaehlten-laendern/. 4 Statista, Ranking der 10 Reiseziele für Medizintourismus mit dem größten Marktvolumen weltweit im Jahr 2018, November 2018, abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1118903/umfrage/volumender -weltweit-fuehrenden-medizintourismusdestinationen/. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Medizintourismus in Deutschland Kurzinformation Medizintourismus in Deutschland Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Die am häufigsten von Patienten aus dem Ausland nachgefragten medizinischen Fachbereiche in Deutschland sind: Orthopädie, Innere Medizin, Kardiologie, Chirurgie.5 2. Abgrenzung zum Gesundheitstourismus Neben den medizinischen Leistungen, die im Rahmen des Medizintourismus angeboten und nachgefragt werden, haben sich in den letzten Jahren zunehmend auch Maßnahmen im Bereich des Gesundheitstourismus entwickelt, die insbesondere von Kurbetrieben, Rehabilitationseinrichtungen und Wellnesszentren bereitgestellt werden. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat hierzu in den Jahren 2009 bis 2011 das Projekt „Innovativer Gesundheitstourismus in Deutschland“ finanziert, einen Leitfaden veröffentlicht sowie Branchenreports zu vielen Beispielen der Umsetzung.6 2. Rechtsgrundlagen Anders als etwa seit kurzer Zeit in Israel7, gibt es in Deutschland bislang keine spezielle gesetzliche Regelung zum Medizintourismus. Krankenhäuser organisieren sich insoweit selbst. Verboten ist in Deutschland jedoch die Vermittlung von Patienten gegen Geld. Mit wachsender Nachfrage nach ärztlicher Behandlung in Deutschland durch Ausländer ist auch die Zahl von Dienstleistern im Gesundheitsbereich gewachsen, die als sog. Patientenvermittler den Patienten etwa bei der Abwicklung von Formalitäten oder der Wahl der Klinik behilflich sind. Bei Patientenvermittlern handelt es sich oft um Einzelpersonen oder Unternehmen, die gegen Provision Patienten an inländische Kliniken vermitteln. Nach einem Urteil des Landgerichts Kiel8 aus dem Jahr 2011 begünstigt Patientenvermittlung aber eine unerwünschte Kommerzialisierung des Arztberufs und begründet einen unlauteren Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Krankenhäusern, die potenziell ebenfalls Patienten aus dem Ausland behandeln könnten. Provisionszahlungen für Patientenvermittlung seien gemäß 5 Jens Juszczak in einem Interview vom 11. Januar 2018, Das Riesengeschäft mit dem Medizintourismus in Deutschland, abrufbar unter: https://www.dw.com/de/das-riesengesch%C3%A4ft-mit-dem-medizintourismusin -deutschland/a-42114866. 6 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Gesundheitstourismus, abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Tourismus/tourismuspolitik-schwerpunkte-gesundheitstourismus .html. 7 Das Medizintourismus Gesetz, das den Medizintourismus in Israel regelt, ist am 29. Januar 2019 in Kraft getreten , vgl.: https://www.health.gov.il/English/Topics/Medical_Tourism/Pages/default.aspx. 8 Urteil des LG Kiel vom 28. Oktober 2011, 8 O 28/11, http://files.vogel.de/iww/iww/quellenmaterial/dokumente /120582.pdf. Kurzinformation Medizintourismus in Deutschland Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sittenwidrig. Ärztliche Tätigkeit solle zwar sachgerecht vergütet werden, da ihr Gegenstand aber Leben und Gesundheit von Patienten betreffe, solle über eine angemessene Vergütung hinaus jegliche Kommerzialisierung vermieden werden. Regelungen, die die Vorteilsgewährung für die Zuweisung von Patienten untersagen, finden sich in den Berufsordnungen für Ärzte sowie zum Teil im Landesrecht: Nach § 31 der Ärzte-Berufsordnungen der Bundesländer – entsprechend der Muster-Berufsordnung –, ist es Ärzten nicht gestattet, für die Zuweisung von Patienten ein Entgelt oder andere Vorteile zu fordern, sich oder Dritten versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.9 § 31a Krankenhausgestaltungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (KHGG NRW) sieht beispielsweise vor, dass es Krankenhäusern und ihren Trägern nicht gestattet ist, für die Zuweisung von Patienten Vorteile zu gewähren oder auch sich gewähren zu lassen.10 Darüber hinaus kann bei Verträgen zwischen Medizineinrichtungen und Patientenvermittlungsunternehmen eine Strafbarkeit nach §§ 299a, 299b Strafgesetzbuch (StGB)11 wegen Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen in Betracht kommen, etwa wenn auf Seiten der Patientenvermittlung ein Angehöriger eines Heilberufs im Sinne des § 299a StGB tätig wird und dieser sich die Zuführung eines Patienten bezahlen lässt. Die Person, die für die Medizineinrichtung tätig wird, kann sich dagegen wegen Bestechung im Gesundheitswesen nach § 299b Nr. 3 StGB strafbar machen. *** 9 Vgl. § 31 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte der Bundesärztekammer , in der Fassung der Beschlüsse des 121. Deutschen Ärztetages 2018 in Erfurt, geändert durch Beschluss des Vorstandes der Bundesärztekammer am 14. Dezember 2018, abrufbar unter: https://www.bundesaerztekammer .de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/MBO/MBO-AE.pdf; vgl. § 31 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin vom 26. November 2014 (ABl. S. 2341), die zuletzt durch die Erste Änderung vom 10. Oktober 2018 geändert worden ist (ABl. 2019 S. 27), abrufbar unter: https://www.aerztekammer-berlin .de/10arzt/30_Berufsrecht/06_Rechtsgrundlagen/30_Berufsrecht/Berufsordnung.pdf. 10 Gesetz vom 11. Dezember 2007, GV NRW S. 702, § 31a eingefügt durch Gesetz vom 16. März 2010, GV NRW S. 184, in Kraft getreten am 31. März 2010; vgl. auch: § 32 Krankenhausgesetz Bremen, Gesetz vom 12. April 2011, Brem. GBl. S. 252. 11 § 299a StGB und § 299b StGB in der Fassung vom 30. Mai 2016.