© 2018 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 060/18 Informationen zu Neuroenhancement Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 060/18 Seite 2 Informationen zu Neuroenhancement : WD 9 - 3000 - 060/18 Abschluss der Arbeit: 17. August2018 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 060/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Beiträge zur gesundheitlichen Bewertung und Wirksamkeit 5 2.1. Stellungnahmen zur gesundheitlichen Bewertung 5 2.2. Stellungnahmen zur Wirksamkeit 6 3. Neuroenhancement – im weitesten Sinne „Doping“? 7 4. Enhancement versus Neuroenhancement – rechtliche Abgrenzung 8 4.1. Zur Abgrenzung des pharmakologischen Neuroenhancements 9 4.2. Beiträge zu neurotechnischem Neuroenhancement 9 5. Zur Möglichkeit der Zulassung pharmazeutischer Mittel zu Neuroenhancement-Zwecken 10 5.1. Zu den Zulassungsvoraussetzungen nach dem geltenden Arzneimittelgesetz 10 5.2. Zur Problematik einer Zulassung pharmazeutischer Substanzen zu Enhancement-Zwecken – de lege ferenda 11 6. Möglichkeiten zur Aufklärung 12 7. Ethische Aspekte 12 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 060/18 Seite 4 1. Einleitung „Neuroenhancement“, umgangssprachlich „Hirndoping“, bedeutet wörtlich „Verbesserung“, „Steigerung“, „Potenzierung“, „Verstärkung“1. Dies erfasst die Ergreifung von Maßnahmen, insbesondere der Einnahme pharmazeutischer Substanzen, durch Gesunde mit dem Ziel der Leistungssteigerung , etwa bezogen auf kognitive Fähigkeiten oder die Psyche. Angesichts des heutzutage bestehenden Leistungsdrucks und der wachsenden Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft, ist der Wille, die intellektuelle Leistungsfähigkeit zu steigern, mit dem Ziel „in der Gesellschaft mitzuhalten“, nachvollziehbar und zeigt sich in einem wachsenden Angebot und auch einer steigenden Nachfrage nach entsprechenden Präparaten. Angesichts des zunehmenden Drucks und steigender Erwartungen in Lern- und Arbeitswelt nimmt „Neuroenhancement “ (nachfolgend: NE) an Bekanntheit zu, und damit auch die Bereitschaft zum Konsum. Gerade dies unterstreicht die Aktualität und Dringlichkeit, sich mit dem Phänomen NE in Politik und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Pharmazeutische Mittel, die zu NE-Zwecken verwendet werden, sind etwa „Ritalin“ (Methylphenidat ), ein Medikament, das an sich zur Therapie von Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität (ADHS-Erkrankungen) eingesetzt wird, oder „Modafinil“, das zur Bekämpfung von Schlafkrankheiten entwickelt wurde2. Ritalin ist laut Anlage III zu § 1 Abs.1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG)3 ein „verkehrsfähiges und verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel“. Dagegen zählt Modafinil nach der Arzneimittelverschreibungsverordnung4 zu einem gewöhnlichen verschreibungspflichtigen Arzneimittel (§ 2 Abs.1 Arzneimittelgesetz, AMG5) und fällt somit in den Anwendungsbereich des Arzneimittelgesetzes. Ritalin darf nach § 13 Abs.1 BtMG nur verschrieben werden, „wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen […] Körper begründet ist“, das heißt, wenn dies der Behandlung von Krankheiten dient. Dasselbe gilt vergleichsweise für Arz- 1 Definition bei https://en.oxforddictionaries.com/definition/enhance; Galert, Thorsten/Bublitz, Christoph, u. a., Das optimierte Gehirn, in: Gehirn und Geist 11/2009, S. 2, abrufbar unter: https://www.spektrum.de/fm/976/Gehirn _und_Geist_Memorandum.pdf; Anmerkung: Diese und alle weiteren Links wurden zuletzt abgerufen am 16. August 2018. 2 Meckel, Miriam/Merten, Milena/ Prange, Sven, Mit diesen Drogen pimpen Manager ihr Gehirn in: Wirtschaftswoche , 19. März 2018, abrufbar unter: https://www.wiwo.de/technologie/forschung/hirndoping-mit-diesendrogen -pimpen-manager-ihr-gehirn/21074926.html. 3 Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln, BtMG i.d.F. d. Bekanntmachung vom 1. März 1994, BGBl. I S. 358, zuletzt geändert durch Art. 1 d. Verordnung vom 2. Juli 2018, BGBl. I S. 1087, Anlage III zu § 1 Abs.1 BtMG, verkehrsfähige und verschreibungsfähige Betäubungsmittel, in der Fassung vom 6. März 2017, BGBl. I 2001, S. 1189 - 1195. 4 Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln, Arzneimittelverschreibungsverordnung – AMVV, Anlage 1 [zu § 1 Nr.1 und § 5 AMVV] Stoffe und Zubereitung nach § 1 Nr.1 AMVV, in der Fassung vom 20. November 2017, https://www.gesetze-im-internet.de/amvv/BJNR363210005.html. 5 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln, Arzneimittelgesetz AMG in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005, BGBl. I S. 3394, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. Juli 2017, BGBl. I S. 2757. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 060/18 Seite 5 neimittel wie Modafinil (vgl. § 48 AMG Verschreibungspflicht; https://www.bundesgesundheitsministerium .de/themen/krankenversicherung/online-ratgeber-krankenversicherung/arznei-heilund -hilfsmittel/zugang-zu-arzneimitteln.html). Folglich können Stoffe wie Ritalin oder Modafinil mit dem bloßen Ziel der Potenzierung der Leistungsfähigkeit nach geltendem Recht nicht verschrieben werden6. Anders als bei „Wachmachern“ wie Kaffee oder „Energy Drinks“ dürfen verschreibungspflichtige Substanzen bei mangelnder medizinischer Notwendigkeit nicht eingenommen werden7. Trotz dessen, wie aus dem aktuellsten DAK-Gesundheitsreport 20158 hervorgeht, nehmen immer mehr Deutsche verschreibungspflichtige Medikamente ein, um ihr Leistungsvermögen am Arbeitsplatz zu erhöhen. Zentrales Ergebnis des DAK-Gesundheitsreports ist, dass die Zahl derer, die „Hirndoping“ betreiben, im Vergleich zu den letzten Erhebungen des DAK-Gesundheitsreports 2009 (DAK-Gesundheitsreport 2009, abrufbar unter: https://www.dak.de/dak/landes-themen /gesundheitsreport-2009-1316282.html) von 4,7 auf 6,7 Prozent enorm gestiegen ist. Darüber hinaus gibt es, so der DAK-Report, offenbar eine hohe Dunkelziffer von etwa 12 Prozent (Pressemitteilung , DAK-Studie: Doping im Job nimmt deutlich zu, Gesundheitsreport 2015, abrufbar unter : https://www.dak.de/dak/bundes-themen/gesundheitsreport-2015-1585966.html). Die Frage, ob in Zukunft rechtlich der Erwerb der verschreibungspflichtigen Mittel mit dem Ziel der Leistungssteigerung möglich sein sollte und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen, ist vor dem Hintergrund von Vorteilen der Einnahme leistungssteigender Mittel einerseits und möglichen gesundheitliche Gefahren sowie ethischen Überlegungen andererseits zu sehen. 2. Beiträge zur gesundheitlichen Bewertung und Wirksamkeit 2.1. Stellungnahmen zur gesundheitlichen Bewertung Vor den Risiken und Nebenwirkungen von pharmazeutischen Mitteln, die zum Zwecke von NE genutzt werden, wird gewarnt. Allerdings mangelt es bislang an Studien, die die Langzeitfolgen und Nebenwirkungen dieser Stoffe an gesunden Konsumenten genauer analysieren9. Grund dafür ist, dass die genannten pharmazeutischen Substanzen zugelassen sind, um Krankheiten wie 6 In diesem Fall wären die Stoffe auch nicht erstattungsfähig gem. § 34 Abs.1 S. 5 SGB V, da sie Mittel sind, „bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht“. 7 Franke, A.G./Lieb, K., Pharmakologisches Neuroenhancement und „Hirndoping“, Chancen und Risiken, in: Bundesgesundheitsblatt, 2010, S. 853, abrufbar unter: https://doi.org/10.1007/s00103-010-1105-0. 8 Marschall, Jörg/Nolting, Hans-Dieter/ u.a., Gesundheits-Report 2015, Analyse der Arbeitsunfähigkeitsdaten, Update : Doping am Arbeitsplatz, abrufbar unter: https://www.dak.de/dak/bundes-themen/gesundheitsreport-2015- 1585966.html. 9 Zu zwei von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Studien, die speziell das Verhalten von Studierenden mit Blick auf Stressreaktionen untersuchen, s.: Middendorff /Poskowsky /Isserstedt, Formen der Stresskompensation und Leistungssteigerung bei Studierenden, HISBUS-Befragung zur Verbreitung und zu Mustern von Hirndoping und Medikamentenmissbrauch, 2012, abrufbar unter: https://www.dzhw.eu/pdf/pub_fh/fh- 201201.pdf; Kurzbericht zur Studie, 2015, abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium .de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Drogen_und_Sucht/Berichte/Kurzbericht_Hisbus.pdf. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 060/18 Seite 6 ADHS oder Narkolepsie zu behandeln und somit auch nur an kranken Menschen getestet wurden . Wie sich die Einnahme der Substanzen auf den gesunden Menschen auswirkt, ist bislang nicht anhand von wissenschaftlichen Studien belegt. Wagner, Greta, Selbstoptimierung – Praxis und Kritik von Neuroenhancement, 2017, Signatur Bibliothek Deutscher Bundestag P 5151990. (S. 35: NE-Substanzen seien nicht nebenwirkungsfrei und erst recht nicht ihre Wirkung auf die vermeintliche Leistungssteigerung begrenzt, da Medikamente naturgemäß auf den ganzen Organismus des Konsumenten einwirken und nicht nur dort wirken würden, wo sie sollen). Schiess Rütimann, Patricia M., Neuroenhancement an Schulen und Universitäten, Bemerkungen zum Bildungsrecht in Deutschland und der Schweiz, in: Lindner, Josef Franz (Hrsg.), Die neuronale Selbstbestimmung des Menschen, 2016, Signatur Bibliothek Deutscher Bundestag P 5150689, S.169-213. (Zu den Gefahren für Konsumenten von NE-Substanzen gehören, so die Autorin, gesundheitliche Schäden, vor allem bei regelmäßigem, hoch dosiertem Einsatz, wie Herzrasen, starke Stimmungsschwankungen, übersteigerte Wachheit, Anhängigkeit und das Überspielen von Symptomen einer physischen oder psychischen Krankheit, weshalb diese dann gegebenenfalls nicht erkannt und behandelt werden kann). DAK-Gesundheitsreport 2015, abrufbar unter: https://www.dak.de/dak/bundes-themen /gesundheitsreport-2015-1585966.html. (Auf S. 37 wird auf erhebliche und gefährliche Nebenwirkungen wie Persönlichkeitsveränderungen , Abhängigkeit und sogar den Verlust von Leistungsfähigkeit bei Einnahme von pharmazeutischen Medikamenten zu leistungssteigernden Zwecken hingewiesen). Schepker, Renate, Hirndoping in Lern- und Lebenswelt junger Menschen, in: Gaßmann /Merchlewicz/Koeppe (Hrsg.), Hirndoping – Der große Schwindel, 2013, Signatur Bibliothek Deutscher Bundestag P 5141455, S.53-62. (S. 57: Die Autorin nennt als häufige Nebenwirkung Blutdruck- und Pulserhöhung und Risiken, wie die Gefahr der Abhängigkeit, das Auslösen oder Verschlimmern von Psychosen und ein erhöhtes Risiko für Depressionen). 2.2. Stellungnahmen zur Wirksamkeit Es erscheint bislang nicht eindeutig und wissenschaftlich belegt, ob Substanzen wie Ritalin oder Modafinil bei gesunden Menschen überhaupt eine Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit bewirken. DAK-Gesundheitsreport 2015, abrufbar unter: https://www.dak.de/dak/bundes-themen /gesundheitsreport-2015-1585966.html. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 060/18 Seite 7 (S. 37: Viele Autoren, die Studien zu Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten auswerten, die von Gesunden mit dem Ziel der Leistungssteigerung eingenommen werden, kämen zu dem Schluss, dass sich mit pharmakologischem Neuroenhancement […] nicht die Wirkungen erzielen ließen, die sich Konsumenten davon versprechen). Wagner, Greta, „Stichwort: Neuroenhancement. Fantasien der Selbstoptimierung“, in: WestEnd, Neue Zeitschrift für Sozialforschung, 11.Jh., Heft 2, 2014, Signatur Bibliothek Deutscher Bundestag J 61535, S.65-68. (Bezüglich der Wirksamkeit der NE-Substanzen weist die Autorin auf S.65-66 auf die Gefahr hin, die Wirksamkeit der Substanzen zur Leistungssteigerung überzubetonen. Mittel, die intelligenter machen, gebe es nicht. Zwar wirkten Mittel wie Ritalin auf den Dopamin- und Nordadrenalinspiegel ein und steigerten gegebenenfalls den Antrieb und die Aufmerksamkeit. Die genannten Mittel seien sogenannte „second order cognitive enhancer“. Vergleichbar zur Koffein unterstützten diese die Konzentration bei Schlafmangel . Bei ausreichendem Schlaf seien die Enhancement-Möglichkeiten begrenzt). Kunz, Eugen, Gehirndoping: Unheil oder Segen?, in: Zeitschrift für Medizinrecht (MedR) 2010, S.471-477 (S.474: Zur Wirksamkeit von NE schildert der Autor, dass sich bislang kaum wissenschaftliche Belege fänden, die eine Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit durch Einnahme pharmazeutischer Substanzen belegten). Anlage 1 3. Neuroenhancement – im weitesten Sinne „Doping“? Sowohl NE als auch Doping haben eine Leistungssteigerung zum Ziel. Die Parallelen sind offensichtlich . Rein nach dem deutschen Sprachgebrauch ist NE gerade kein „Doping“, auch wenn es umgangssprachlich „Hirndoping“ genannt wird. Doping ist die allgemeine Bezeichnung für die Anwendung verbotener Substanzen bzw. Methoden, zur Steigerung der sportlichen Leistungen10. Gesetz gegen Doping im Sport (Anti-Doping-Gesetz – AntiDopG), Gesetz vom 10. Dezember 2015, BGBl. I S. 2210, zuletzt geändert durch Art. 6 Abs. 5 Gesetz vom 13. April 2017, BGBl.I S. 872. (§ 1 AntiDopG nennt als Zweck des Gesetzes die Bekämpfung des Einsatzes von Dopingmitteln und Dopingmethoden im Sport. Der Einsatz von Mitteln zur Leistungssteigerung im Alltag ist gerade nicht erfasst. § 4 AntiDopG nennt Strafvorschriften. So ist nach § 4 Abs.1 Nr.3, das sogenannte „Selbstdoping“ (§3 AntiDopG) mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe unter Strafe gestellt). 10 Zu dem Begriff „Doping“: https://brockhaus.de/ecs/enzy/article/doping. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 060/18 Seite 8 Deutscher Bundestag, Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18.Ausschuss) gem. § 56a der Geschäftsordnung, Pharmakologische Interventionen zur Leistungssteigerung als gesellschaftliche Herausforderung, 17.Wahlperiode , BT-Drucksache 17/7915, 24. November 2011, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/dip21/btd/17/079/1707915.pdf (Auf S. 125 ff. des Berichts geht es um Doping und Enhancement und die Gemeinsam keiten sowie Unterschiede zwischen Sport und Berufsleben. So ist laut des Berichts (S.128) Doping im Sport ein „schillerndes Thema, weil es explizit verboten ist (und darüber auch definiert wird). Dies ist im Berufsleben nicht der Fall, ein formaler Regelverstoß erfolgt nur bei einer Einnahme illegal erlangter Substanzen bzw. Medikamente. Strafbar ist hier auch nicht die Einnahme, sondern lediglich die Abgabe bzw. der Handel mit den Substanzen“). Kunz, Eugen, Gehirndoping: Unheil oder Segen?, in: MedR 2010, S. 471-477 (s. Anlage 1). (S. 473-474: Der Aufsatz zeigt zu dieser Frage auf, woraus sich die Unzulässigkeit von Doping -Mitteln ergeben, so etwa aus der Liste der World Anti Doping Agency (WADA) oder aus dem Anti-Doping-Gesetz (AntiDopG). Der Autor verdeutlicht, dass bestehende Regelungen und Vorschriften lediglich auf Tätigkeiten im Sportbereich abzielen). Merget, Mario, Sportdoping und Neuro-Enhancement bei Minderjährigen – eine strafrechtliche Bewertung, in: Spitzer, Giselher/Franke, Elk, Sport,Doping und Enhancement, 2012, Signatur Bibliothek Deutscher Bundestag P 5141302, S. 75-114 (S. 98-101: Der Aufsatz geht darauf ein, dass sich, anders als beim Doping, bei NE fast keine Strafbarkeit feststellen lassee, insbesondere deshalb, weil Nebenwirkungen bei der Einnahme Gesunder von NE-Substanzen wie Ritalin, bislang nicht durch Studien belegt seien. Auch erwähnt der Autor den Vorschlag der Schaffung eines neuen Straftatbestandes (Verweis auf: Merkel, ZStW 2009, S. 919 (950)), wobei hierfür ein feststehendes gesellschaftliches Unwerturteil gegenüber NE fehle, was angesichts der Anwendung des staatlichen Strafrechts geboten wäre). Anlage 2 4. Enhancement versus Neuroenhancement – rechtliche Abgrenzung Enhancement, als eine Verbesserung von menschlichen Fähigkeiten, kann auf verschiedene Weisen angestrebt werden. Als „Aufputschmittel“ wohl am bekanntesten sind Kaffee und schwarzer Tee. Auch Koffeintabletten sind weit verbreitet und erhältlich in Drogerien. Ein legaler „Schub zusätzlicher Energie“ kann auch durch einen „Energy Drink“ erlangt werden. Diese Mittel sind sogenannte „weiche Mittel“ oder auch „Softenhancer“. Daneben gibt es eine Reihe von nachgewiesen gesunden Möglichkeiten, seine Leistungsfähigkeit zu fördern, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, wie zum Beispiel Sport, Meditation oder Yoga. Der Begriff des NE ist nicht abschließend definiert. Einige fassen alle Mittel, also auch etwa den täglichen Kaffee, die der Steigerung kognitiver Leistungsfähigkeit dienen, unter den Begriff des Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 060/18 Seite 9 NE. In der Literatur wird NE zum Teil so verwandt, dass darunter Verbesserungen durch pharmakologische oder neurotechnische Mittel (etwa Gedächtnischips) verstanden werden11. Am meisten diskutiert wird das pharmakologische NE, als die Einnahme verschreibungspflichtiger Substanzen, die für die Behandlung bestimmter Krankheiten zugelassen sind, außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen („Off-label-use“) sowie außerhalb ärztlicher Verschreibung. Wie bereits oben dargelegt (siehe Gliederungspunkt 1.), können pharmazeutische Stoffe mit dem bloßen Ziel der Leistungssteigerung Gesunder nach geltendem Recht nicht verschrieben werden. Anders also als bei alltäglichen Aufputschmitteln wie Kaffee oder Energy Drinks, stehen die relevanten Produkte, die für pharmakologisches NE Anwendung finden, zu diesem Zweck nicht legal zur Verfügung. 4.1. Zur Abgrenzung des pharmakologischen Neuroenhancements DAK-Gesundheitsreport 2015, abrufbar unter: https://www.dak.de/dak/download/vollstaendiger -bundesweiter-gesundheitsreport-2015-1585948.pdf. (S. 33 ff.: Auf S.35 erfolgt eine Abgrenzung des pharmakologischen NE zu anderen Mitteln: „Die Definition des pharmakologischen Neuroenhancements verläuft also entlang der Kriterien (1) verschreibungspflichtige Medikamente, (2) ohne medizinische Notwendigkeit (durch Gesunde) mit den o.g. Zielen. Demnach ist pharmakologisches Neuroenhancement abzugrenzen von: - der Einnahme von nicht-verschreibungspflichtigen Mitteln (z.B. Ginkgo biloba-Präparaten , Baldrian-Präparate, Koffeintabletten), - der Einnahme illegaler Drogen (z.B. Kokain, Amphetamine), - Techniken wie der transkraniellen Hirnstimulation, - Meditationstechniken, - Alltagsstimulanzien wie Kaffee oder Tee, - Alltagsorganisation mit dem Ziel des Erhalts von Wohlbefinden und (geistiger) Leistungsfähigkeit wie z.B. ausreichend Schlaf, gute Organisation der Arbeit, gesunde Ernährung, Sport“). 4.2. Beiträge zu neurotechnischem Neuroenhancement Neurotechnische NE-Methoden, wie die Anwendung von Hirnimplantaten oder transkranielle Magnetstimulation, sind bislang reine Zukunftsoptionen. Zwar gibt es bereits die Möglichkeit, so etwa bei der Krankheit „Morbus Parkinson“, sog. Hirnschrittmacher einzusetzen. Die Möglichkeit Hirnimplantate zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei Gesunden anzuwenden, 11 So etwa: Galert, Thorsten, Das optimierte Gehirn, in: Gehirn und Geist 11/2009, abrufbar unter: https://www.spektrum.de/fm/976/Gehirn_und_Geist_Memorandum.pdf. Dagegen: Merget, Mario, Sportdoping und Neuro-Enhancement bei Minderjährigen – eine strafrechtliche Bewertung, S. 75-114 in: Spitzer, Giselher/Franke, Elk, Sport,Doping und Enhancement, 2012: Der Autor versteht unter Neuroenhancement nur den Einsatz von Medikamenten. Neurotechnische Mittel wie Hirnimplantate fallen aus der Definition heraus. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 060/18 Seite 10 gibt es bislang jedoch nicht. Auch Forschungsergebnisse oder Studien diesbezüglich liegen nicht vor. Dass eine Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit mittels Hirnimplantaten generell funktionieren kann, haben amerikanische Forscher belegt. Im Rahmen eines Forschungsprojekts setzten sie zwanzig Epilepsiepatienten, denen Elektroden ins Gehirn operiert worden sind, ein Implantat ein und stellten im Laufe der Zeit eine Leistungssteigerung kognitiver Fähigkeiten fest (Nagels, Phillipp, Forschern gelingt Gehirn-Boost mittels Implantat, veröffentlicht am 20. November 2017, abrufbar unter: https://www.welt.de/kmpkt/article170646533/Forschern-gelingt -Gehirn-Boost-mittels-Implantat.html). Anzumerken ist, dass diese vom pharmakologischen NE zu unterscheidende Form des Enhancements aufgrund der besonderen Eingriffsintensität und Form in jedem Fall einer gesonderten rechtlichen Betrachtung bedürfen würde. Ach, Johann/Beck, Birgit/u.a., Neuro-Enhancement: Worum es geht, 2018, abrufbar unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-658-03683-6_3.pdf. (S. 38: Der Autor berichtet von verschiedenen Formen von NE. Neben dem pharmakologischen NE würden auch bioelektrische Verfahren oder Neuro-Prothesen als Enhancement -Mittel diskutiert. Wie aussichtsreich der Einsatz solcher Techniken für Zwecke des NE tatsächlich sei, wird in der Literatur unterschiedlich gesehen. Bis dato kämen sie aufgrund der Komplexität des jeweiligen Verfahrens, des ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses und der fraglichen Rechtfertigbarkeit aus ärztlicher Sicht praktisch nicht zur Anwendung (Hildt 2012, S. 89). Auch ein zukünftiger Einsatz gelte manchen aus den genannten Gründen als grundsätzlich nicht angemessen). 5. Zur Möglichkeit der Zulassung pharmazeutischer Mittel zu Neuroenhancement-Zwecken 5.1. Zu den Zulassungsvoraussetzungen nach dem geltenden Arzneimittelgesetz Im vierten Abschnitt des AMG finden sich Bestimmungen zur Zulassung von Arzneimitteln (s. §§ 21-37 AMG). § 21 Abs.1 AMG setzt zunächst die Zulassungspflicht fest. Im Wesentlichen sind dies Fertigarzneimittel im Sinne des § 2 AMG. Es folgen formale Voraussetzungen zur Zulassung in § 22 AMG. Gemäß § 25 Abs. 1 AMG erteilt die zuständige Bundesbehörde, d. h. das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die Zulassung schriftlich. Nach der Reglung des § 25 Abs. 2 AMG darf die Bundesbehörde die Zulassung in den hier normierten Fällen versagen (Versagungsgründe). Thematisch relevante Versagungsgründe gemäß § 25 Abs.2 AMG: (2) Die zuständige Bundesbehörde darf die Zulassung nur versagen, wenn 1. die vorgelegten Unterlagen […] unvollständig sind, 2. das Arzneimittel nicht nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichend geprüft worden ist oder das andere wissenschaftliche Erkenntnismaterial nach § 22 Abs.3 nicht dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht, 3. […] Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 060/18 Seite 11 4. dem Arzneimittel die vom Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit fehlt oder diese nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller unzureichend begründet ist, 5. das Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig ist. […] 5.2. Zur Problematik einer Zulassung pharmazeutischer Substanzen zu Enhancement-Zwecken – de lege ferenda Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat sich bereits in der 17.Legislaturperiode mit der Thematik befasst und Bedenken gegen eine Zulassung geäußert: Deutscher Bundestag, Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung , Pharmakologische Interventionen zur Leistungssteigerung als gesellschaftliche Herausforderung, 17.Wahlperiode, Drucksache 17/7915, 24. November 2011, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/079/1707915.pdf (S.7: „Für Neuzulassungen muss er [der Hersteller] mittels wissenschaftlich anerkannter Verfahren (klinische Studien) sowohl die Verträglichkeit bzw. Sicherheit (Risikodimensionen ) als auch die medizinische, meist therapeutische Wirksamkeit (Nutzendimension) untersuchen und nachweisen. Die Marktzulassung wird dann für die Behandlung des spezifischen krankheitsrelevanten Zustands gewährt, für den der Hersteller den therapeutischen Nutzen nachgewiesen hat.“ S.11: Eine Zulassung von Arzneimitteln zur Leistungssteigerung Gesunder, scheide nach geltendem Recht aus. Laut des Berichts müsse, wenn man über eine Zulassung pharmazeutischer Stoffe rein zu NE-Zwecken nachdenkt, das Zulassungsverfahren angepasst werden). Bedenken gegen die Zulassung werden auch in der Literatur geäußert: Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas, Arzneimittelrecht, 2.Auflage 2014, Die Zulassung von Arzneimitteln (abrufbar unter: s. o.). (Zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit als zentraler Zulassungsvoraussetzung (Rn. 1 -40): Materielle Versagungsgründe seien (s.o.) nach § 25 Abs.2 AMG etwa der fehlende therapeutische Nachweis oder auch eine unzureichende Begründung der therapeutischen Wirksamkeit. Es bedürfe in jedem Falle einer Arzneimittelprüfung. Eine Zulassung müsse danach versagt werden, wenn sich Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Wirkstoffes zum angegebenen Ziel nicht abschließend beurteilen ließen). Gärditz, Klaus, Pharmakologisches Neuroenhancement als Rechtsproblem, PharmR 2011, S. 46, abrufbar unter: https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata %2Fzeits%2Fpharmr%2F2011%2Fcont%2Fpharmr.2011.46.1.htm&pos=0&hlwords= on. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 060/18 Seite 12 (S. 1 f.: Der Autor schildert die Problematik der Zulassung pharmazeutischer Mittel rein zu NE-Zwecken. NE sei gerade keine Heilbehandlung oder Krankheitsprävention, sondern der Versuch Gesunder das kognitive Leistungsvermögen zu steigern. Hierauf sei das geltende Recht bislang nicht vorbereitet. Arzneimittel zu Zwecken von NE, ohne therapeutisches Ziel zuzulassen, sei de lege lata nicht möglich (§§ 25 Abs.2, S.1, Nr.4 AMG i.V.m. S.3 und §§ 25 Abs.2, S.1, Nr.5 AMG i. V. m. § 4 Abs.18 AMG; §§ 30 Abs.1, S.2-4 AMG; § 69 Abs.1, S.1 AMG). Auch eine Zulassung nach dem Verfahren für Medizinprodukte 12 komme nicht in Betracht, da bei pharmakologischem NE bereits begrifflich eine pharmakologische Wirkung bestehe). Anlage 3 6. Möglichkeiten zur Aufklärung Angesichts der nicht belegten gesundheitlichen Auswirkungen und Risiken der Einnahme pharmazeutischer Mittel zu NE-Zwecken durch Gesunde, scheint eine Aufklärung, etwa durch besondere Kampagnen oder Aufklärungsmaßnahmen nur für bestimmte Risikogruppen (z. B. Studenten), seitens der Bundesregierung zur Zeit nicht sinnvoll, da bislang nicht einmal Forscher evidenzbasiert über ein Nutzen-Schaden-Risiko aufklären können13. In Zukunft könnte sich jedoch durchaus die Frage nach Aufklärungsmöglichkeiten stellen. In dem Falle könnte man gegebenenfalls an Maßnahmen wie etwa beim Thema der Risiken von E-Zigaretten denken. Hier wurden von der Bundesregierung Informationen über Risiken der E-Zigarette in die laufende „rauchfrei“-Kampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) integriert14, nachdem gesundheitliche Risiken durch Studien und Forschungsergebnisse belegt und der Regierung bekannt geworden waren. 7. Ethische Aspekte In der Literatur werden im Zusammenhang mit NE zum Teil auch ethische Überlegungen angestellt . So wird etwa problematisiert, dass hier teilweise von einem künstlich herbeigeführten „Enhancement-Glück“ gesprochen werde oder von mangelnder Fairness unter NE-Konsumenten und Personen, die keine Neuroenhancer einnehmen. Ethisch bedenklich sei auch ein Zwang zum Konsum von NE-Substanzen, der entstehe, wenn sich gesunde Personen 12 Legaldefinition in: § 3 Abs.1, S. 1 MPG, Gesetz über Medizinprodukte. 13 Synofzik, Matthis, Neuroenhancement als Zukunftsproblem? Ein Vorschlag zur Risikoregulierung, S. 265-281 in: Albers, Mario (Hrsg.), Risikoregulierung im Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht, 2011, S. 273. 14 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, EU-Tabakrichtlinie umsetzen, Deutscher Bundestag, 18.Wahlperiode, Drucksache 18/7008, 14. Dezember 2015, S. 4-5, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/doc/btd/18/070/1807008.pdf. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 060/18 Seite 13 über das normale Maß hinaus verbesserten und sich andere zur Einnahme von Neuroenhancern verpflichtet sähen, um mit der Leistungsfähigkeit des Umfeldes mithalten zu können. Maier, Larissa Jasmine, „Pharmakologisches Neuroenhancement“, in: Von Heyden, Maximilian/Jungaberle, Henrik/Mayic, Tomislav (Hrsg.), Handbuch Psychoaktive Substanzen, 2018, Signatur Bibliothek Deutscher Bundestag M 710037, S.229-241. Ach, Johann/Beck, Birgit u. a., Neuro-Enhancement: Worum es geht, 2018, abrufbar unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-658-03683-6_3.pdf. Anlage 4 ***