WD 9 - 3000 - 057/21 (30. April 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. 1. Ausgangslage Im Zuge der steigenden Quote an geimpften und weiteren immunisierten Personen in der Bevölkerung wurde bereits im Gesetzgebungsverfahren des Vierten Bevölkerungsschutzgesetzes1 die Forderung nach Ausnahmeregelungen für diese Personengruppen laut. Aus diesem Grund sieht der neu eingeführte § 28c Infektionsschutzgesetz (IfSG)2 vor, dass durch Bundesverordnung Ausnahmeregelungen geschaffen werden können.3 Die entsprechende Verordnung war zunächst für Ende Mai angekündigt; Äußerungen von Gesundheitsminister Spahn zufolge könnte sie aber bereits am 8. Mai 2021 in Kraft treten.4 In der Zwischenzeit hat eine Vielzahl von Bundesländern bereits entsprechende Ausnahmeregelungen in Landesverordnungen geschaffen – weitere planen dies in Kürze.5 Die Verordnungsermächtigung wurde gemeinsam mit § 28b IfSG (sog. „Bundes-Notbremse“) eingeführt , welcher dann zum Tragen kommt, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt der in § 28b IfSG festgesetzte Schwellenwert überschritten worden ist. Unberührt hiervon bleibt nach § 28b Absatz 5 IfSG die Möglichkeit des Bundes und der Länder, über den Regelungskatalog 1 Viertes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021, BGBl. I S. 802. 2 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. April 2021 (BGBl. I S. 802). 3 Eine eigenständige Regelung war im ursprünglichen Gesetzesentwurf nicht vorgesehen, Gesetzesentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD, Bundestag-Drucksache 19/28444 vom 13. April 2021, S. 5 f., abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/284/1928444.pdf; vielmehr wurde diese erst auf Empfehlung des Ausschusses für Gesundheit eingeführt: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss), Bundestag-Drucksache 19/28732 vom 20. April 2021, S. 21, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/dip21/btd/19/287/1928732.pdf. 4 Bundesgesundheitsministerium, Informationen zum Coronavirus, Aktuelles, Stand: 4. Mai 2021, abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus.html. 5 Freiheiten für Geimpfte – Nur ein Bundesland lockert nicht, tagesschau.de, 1. Mai 2021, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/lockerungen-geimpfte-107.html. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Verhältnis von Bundes- und Länderverordnungen bei der Schaffung von Ausnahmen für immunisierte und negativ getestete Personen Kurzinformation Verhältnis von Bundes- und Länderverordnungen bei der Schaffung von Ausnahmen für immunisierte und negativ getestete Personen Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 des § 28b IfSG hinausgehende Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Rechtsverordnungen, zu erlassen.6 Bestehen bleibt daneben die Verordnungsbefugnis der Länder nach § 32 IfSG, wenn in den jeweiligen Landkreisen oder kreisfreien Städten der Schwellenwert von 100 über den Verlauf von drei Tagen nicht überschritten wird. In der Zwischenzeit haben zahlreiche Bundesländer eigene Regelungen zu Ausnahmen von einzelnen Schutzmaßnahmen im Verordnungswege erlassen, 7 so etwa Bayern8 und Brandenburg9. In Berlin und Niedersachsen waren solche Regelungen bereits zuvor in Kraft.10 Die Schaffung einer Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung in § 28c IfSG könnte die Frage aufwerfen, ob die Rechtsetzung auf Länderebene mit dem gleichen Regelungsziel rechtlich zulässig ist. Dabei wäre einerseits zwischen Ausnahmen im Anwendungsbereich von § 28b IfSG und andererseits solchen im Anwendungsbereich von § 28a IfSG zu differenzieren. Ebenfalls ist zu beachten, dass das IfSG unterschiedliche Regelungen im Hinblick auf Geimpfte und sonstige immunisierte Personen enthält als für negativ Getestete. 2. Ausnahmen von Regelungen in § 28b IfSG Im Hinblick auf landesrechtliche Ausnahmen und Erleichterungen von den Regelungen des § 28b IfSG hat der Gesetzgeber mit § 77 Abs. 7 IfSG eine Übergangsvorschrift geschaffen. Hiernach bleiben bis zum Erlass einer Rechtsverordnung nach § 28c IfSG landesrechtlich geregelte Erleichterungen oder Ausnahmen von Geboten und Verboten nach dem fünften Abschnitt des 6 Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite , Bundestag-Drucksache 19/28444 vom 13. April 2021, S. 15, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/dip21/btd/19/284/1928444.pdf. 7 Übersicht zu bereits bestehenden landesspezifischen Ausnahmeregelungen: Kristina Hofmann, Bundesländer ändern Verordnung. Wo schon jetzt für Geimpfte mehr möglich ist, Beitrag vom 28. April 2021, abrufbar unter: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-testpflicht-geimpfte-bundeslaender-100.html. 8 Zwölfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) vom 5. März 2021 (BayMBl. Nr. 171, BayRS 2126-1-16-G), zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung vom 27. April 2021 (BayMBl. Nr. 290), abrufbar unter: https://www.stmgp.bayern.de/coronavirus/rechtsgrundlagen/. 9 Siebte Verordnung über befristete Eindämmungsmaßnahmen aufgrund des SARS-CoV-2-Virus und COVID-19 im Land Brandenburg (Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung – 7. SARS-CoV-2-EindV) vom 6. März 2021 (GVBl.II/21, [Nr. 24]) zuletzt geändert durch Verordnung vom 23. April 2021 (GVBl.II/21, [Nr. 41]), abrufbar unter: https://msgiv.brandenburg.de/msgiv/de/coronavirus/informationen-zum-neuartigen-coronavirus /. 10 Vierte Verordnung zur Änderung der Zweiten SARS-CoV-2- Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin, 16. April 2021, S. 374 ff., abrufbar unter: https://www.berlin.de/sen/justiz/service /gesetze-und-verordnungen/2021/; dabei sind in Berlin bereits weitere Ausweitungen der Ausnahmen für Geimpfte beschlossen worden, welche zum 1. Mai 2021 in Kraft treten: https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles /pressemitteilungen/2021/pressemitteilung.1079614.php; Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 (Nds. GVBl. S. 368), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 16. April 2021 (Nds. GVBl. S. 191), Lesefassung abrufbar unter: https://www.niedersachsen.de/Coronavirus/vorschriften-der-landesregierung- 185856.html. Kurzinformation Verhältnis von Bundes- und Länderverordnungen bei der Schaffung von Ausnahmen für immunisierte und negativ getestete Personen Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 IfSG für Personen, bei denen von einer Immunisierung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 auszugehen ist, unberührt. Solche Ge- und Verbote dürften sich primär aus dem Regelungsbereich des § 28b IfSG ergeben, da § 28a IfSG keine unmittelbaren Ge- und Verbote enthält.11 Der Anwendungsbereich des § 77 Absatz 7 IfSG umfasst dabei sowohl im Landesrecht vorgesehene und eingeführte Erleichterungen und Ausnahmen für Personen, bei denen von einer Immunisierung auszugehen ist.12 Danach behalten nicht nur bereits bestehende Landesregelungen ihre Gültigkeit, sondern der Anwendungsbereich des § 77 Absatz 7 IfSG dürfte sich auch auf solche Landesverordnungen beziehen, welche bis zu dem Erlass einer Bundesverordnung geschaffen werden bzw. in Kraft treten. Da § 77 Absatz 7 IfSG sich ausdrücklich auf immunisierte Personen bezieht und der Hauptanwendungsfall somit bei geimpften Personen zu sehen sein dürfte13, muss zwischen Ausnahmeregelungen für geimpfte und negativ getestete Personen unterschieden werden. Da § 77 Abs. 7 IfSG landesrechtliche Ausnahmen für negativ Getestete nicht vorsieht und § 28b IfSG selbst für einige Regelungen Ausnahmen für diese Personengruppe enthält (so etwa Abs. 1 Nr. 4, 2. Hs., lit. b), Abs. 1 Nr. 5, 6 und 8), spricht die Auslegung anhand von Wortlaut und Systematik dafür, dass diese durch die Länder nicht geregelt werden können und bestehende Regelungen von § 28b IfSG verdrängt werden.14 3. Ausnahmen von Regelungen aufgrund von § 28a IfSG So lange die Regelungen des § 28b IfSG nicht greifen, können die Länder aufgrund der Ermächtigung in § 32 IfSG unter anderem die in § 28a Abs. 1 IfSG beispielhaft aufgezählten Maßnahmen treffen. Unterhalb des Schwellenwertes steht es den Ländern frei, im Rahmen des § 32 IfSG in Verbindung mit § 28a IfSG Vorgaben und Ausnahmen zu einer Testpflicht zu schaffen. Im Hinblick auf die Wahrung der Verhältnismäßigkeit wird unter Verfassungsrechtlern ganz überwiegend vertreten, dass derartige Ausnahmen zwingend zu schaffen seien.15 Dafür, dass die Länder in diesen Fällen weiterhin tätig bleiben können, spricht auch, dass die Verordnungsermächtigung des Bundes, die nunmehr in § 28c IfSG geregelt ist, bereits zu einem 11 Zu dem Regelbeispielcharakter: Johann, Christian/Gabriel, Moritz in: Eckart, Christian/Winkelmüller, Michael (Hrsg.), BeckOK Infektionsschutzrecht, 4. Edition (Stand: 1. Mai 2021), § 28a Rn. 5 ff. 12 Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss), Bundestag-Drucksache 19/28732 vom 20. April 2021, S. 22, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/287/1928732.pdf; anderer Auffassung ist offenbar Glasenapp, der davon ausgeht, dass die Länder keine Regelungsbefugnis mehr hätten: NDR, Gegenwind für Schwesigs Aussagen zu Geimpften, Beitrag vom 27. April 2021, abrufbar unter: https://www.ndr.de/nachrichten /mecklenburg-vorpommern/Gegenwind-fuer-Schwesigs-Aussagen-zu-Geimpften-,coronavirus5092.html. 13 Vgl. hierzu weitergehend: Johann, Christian/Gabriel, Moritz in: Eckart, Christian/Winkelmüller, Michael (Hrsg.), BeckOK Infektionsschutzrecht, 4. Edition (Stand: 1. Mai 2021), § 28c Rn. 2 ff. 14 Vgl. auch § 28b Abs. 6, der zwar weitergehende Schutzmaßnahmen, aber eben keine leichteren zulässt. 15 So auch Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Verfassungsrechtliche Bewertung der neuen Infektionsschutzgesetzgebung , Ausarbeitung, 15. April 2021, WD 3 – 3000 – 083/21, S. 11. Kurzinformation Verhältnis von Bundes- und Länderverordnungen bei der Schaffung von Ausnahmen für immunisierte und negativ getestete Personen Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 4 frühen Zeitpunkt im Gesetzgebungsverfahren vorgesehen war. § 28b Abs. 6 IfSG-E beschränkte die Verordnungsermächtigung ausdrücklich auf Fälle, in denen der Schwellenwert des § 28b Abs. 1 IfSG überschritten wird.16 Ausweislich der Begründung zum schlussendlich eingeführten § 28c IfSG sollte die „bereits vorgesehene“ Verordnungsermächtigung in eine eigene Vorschrift überführt werden; dies diene der „Präzisierung und Entflechtung der Verordnungsermächtigungen “.17 Dass darüber hinaus eine inhaltliche Änderung gewollt war, ergibt sich aus der Begründung dagegen nicht. *** 16 Vgl. Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, Bundestag-Drucksache 19/28444 vom 13. April 2021, S. 15, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/dip21/btd/19/284/1928444.pdf. 17 Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss), Bundestag-Drucksache 19/28732 vom 20. April 2021, S. 21, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/287/1928732.pdf.