Deutscher Bundestag Maßnahmen zur Herstellung von Generationengerechtigkeit Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 9 – 3000-057/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 2 Maßnahmen zur Herstellung von Generationengerechtigkeit Aktenzeichen: WD 9 – 3000-057/1010 Abschluss der Arbeit: 16.04.2010 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Begriff der Generationengerechtigkeit 4 2. Maßnahmen zur Herstellung von Generationengerechtigkeit 4 2.1. Instrumente, Maßnahmen, Modelle – Überblick 4 2.2. Alternative Analyseinstrumente - Auslandsbezug 5 2.3. Neuere Ansätze im Rahmen des deutschen Gesetzgebungsverfahrens 5 2.3.1. Gesetzgebungsvorhaben der Exekutive 5 2.3.2. Gesetzgebungsvorhaben parlamentarischer Gremien 6 2.3.3. Änderung des Grundgesetzes 6 3. Generationenbilanzen im Besonderen 7 3.1. Konkrete Ausgestaltung 7 3.2. Chancen und Risiken / Vor- und Nachteile 7 3.2.1 Vorteile, Chancen 7 3.2.2 Nachteile, Risiken 8 4. Fachanhörung des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes zur Verankerung der Generationengerechtigkeit (Generationengerechtigkeitsgesetz) 8 4.1. Allgemeines 8 4.2. Zentrale Aspekte hinsichtlich einer Staatszielerweiterung 9 4.2.1. Einleitung: Wirkung von Staatszielbestimmungen im Allgemeinen 9 4.2.2. Notwendigkeit der Staatszielerweiterung? 11 4.2.2.1 Umweltstaatsprinzip, Art. 20a GG 11 4.2.2.2 Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG 11 4.2.2.3 Grundrechte / Allgemeiner Gleichheitssatz 11 4.3. Betroffene Politikfelder bei Grundgesetzänderung 12 4.3.1. Allgemeines 12 4.3.2. Soziale Sicherungssysteme 12 4.3.3. Öffentliche Investitionen 13 5. Zusammenfassung 13 6. Literaturverzeichnis 14 7. Anlagen 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 4 1. Begriff der Generationengerechtigkeit Der Begriff der Generationengerechtigkeit umschreibt einen Teilaspekt des sog. Nachhaltigkeitskonzeptes und statuiert gemeinhin das Gebot bzw. die Verpflichtung der derzeitigen Generation, so zu handeln, dass die Lebensbedingungen und das Wohlergehen zukünftiger Generationen nicht verschlechtert werden1. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ stammt ursprünglich aus dem Bereich der Forstwirtschaft und bedeutet, dass nicht mehr Bäume gefällt werden sollen als neue nachwachsen können2. Im heutigen Sprachgebrauch jedoch meint nachhaltige Entwicklung eine solche , die den Bedürfnissen der gegenwärtigen Generation entspricht, ohne dabei die Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung künftiger Generationen zu gefährden. Nachhaltigkeit ist damit nicht nur interpretationsoffen, sondern erstreckt sich auch auf die unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen3. Zu nennen sind etwa die Soziologie, die Ökologie oder aber die Ökonomie . In der Ökonomie, insbesondere im Bereich der Finanzwirtschaft der öffentlichen Haushalte, ist die Verschuldensproblematik eines der elementaren Themen der Nachhaltigkeit und damit auch der Generationengerechtigkeit. Die Frage, ob sich die gegenwärtige Generation zu Lasten künftiger Generationen verschulden darf oder ob die expliziten und impliziten Schulden der sozialen Sicherungssysteme für künftige Generationen tragbar und zumutbar sind, stellt in diesem Zusammenhang ein gewichtiges Problem dar, welches durch den demographischen Wandel noch verschärft wird. Bedeutsam ist weiterhin die Frage nach der Verrechenbarkeit der in der Gegenwart kreditfinanzierten Investitionen, da sich hierbei, etwa im Bereich des Straßen- oder Schienenbaus oder durch Energieinfrastrukturprogramme, durchaus auch Vorteile für künftige Generationen verzeichnen lassen4. Obgleich der Begriff Generationengerechtigkeit häufig als Synonym für nachhaltige Entwicklung verwendet wird, zeigen sich bei näherer Betrachtung jedoch Unterschiede. Während Nachhaltigkeit auf der deskriptiven Ebene anzusiedeln ist, hat der Begriff der Generationengerechtigkeit einen direkten normativen Bezug und betont die ethische Verantwortung der heutigen Generation für nachfolgende Generationen bei Rückgriff auf Gerechtigkeitsnormen5. 2. Maßnahmen zur Herstellung von Generationengerechtigkeit 2.1. Instrumente, Maßnahmen, Modelle - Überblick Zur Messung bzw. Analyse der Generationengerechtigkeit im Zusammenhang mit finanz- und sozialpolitischen Maßnahmen stehen - nach wie vor - im Wesentlichen vier Verfahren zur Verfügung : die Generationenbilanzierung (generational accounting), die Berechnung impliziter Steuer- 1 vgl. Sesselmeier, KrV 2004, S. 248-249 2 AB Nr. 72/08, S. 1 3 AB Nr. 72/08, S. 1 4 AB Nr. 72/08, S. 1-2 5 AB Nr. 72/08, S. 1-2 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 5 sätze, die Berechnung impliziter Renditen sowie das finanzpolitische OECD-Konzept „fiscal sustainability“, wobei jedoch die Generationenbilanzierung besonders hervorzuheben ist (hierzu ausführlicher unter 3., Seiten 7 ff.). 2.2. Alternative Analyseinstrumente - Auslandsbezug Neben der Generationenbilanzierung wird vor allem auf europäischer Ebene, etwa von der Europäischen Kommission, auch das erwähnte OECD-Konzept „fiscal sustainability“ zur Messung von finanzpolitischer Nachhaltigkeit angewendet. Die Generationenbilanzierung und das „fiscal sustainability“-Konzept der OECD beruhen im Prinzip auf den gleichen Grundprämissen und bedienen sich zudem der gleichen Methoden etwa zur Projektion zukünftiger Staatseinnahmen und –ausgaben. Der Hauptunterschied zwischen diesen Analyseinstrumenten besteht in der Einund Ausgabenschärfe der Messwerte: so erbringt die Generationenbilanzierung ein höheres Maß an Datenoutput, verlangt auf der anderen Seite aber auch ein deutliches Mehr an vorheriger Datenzufuhr 6. Weltweit sind auf gesamtstaatlicher Ebene Generationenbilanzen für bereits 27 Staaten berechnet worden. In Europa lassen sich diesbezüglich Studien unter anderen in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Norwegen, Schweden, Spanien und Ungarn verzeichnen7. 2.3. Neuere Ansätze im Rahmen des deutschen Gesetzgebungsverfahrens Generationengerechtigkeit im weiteren Sinne - namentlich unter Bezugnahme auf das Nachhaltigkeitskonzept - ist neuerdings auch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu berücksichtigen . Dies betrifft sowohl Gesetzgebungsvorhaben aus dem Bereich der Exekutive als auch solche, die dem parlamentarischen Initiativapparat entstammen. 2.3.1. Gesetzgebungsvorhaben der Exekutive Am 03. März 2008 wurde der Bundesregierung eine Empfehlung des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung zugeleitet, in welchem von letzterem eine Änderung der §§ 44 und 47 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) angeregt wurde. Die GGO regelt die Grundsätze für die Organisation und die Zusammenarbeit der Bundesministerien untereinander sowie mit den Verfassungsorganen und anderen Stellen. Die Änderungsanregung des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung sah insbesondere vor, zusätzlich zu der bisher vorzunehmenden allgemeinen Gesetzesfolgenabschätzung noch den weiteren Aspekt der Nachhaltigkeitsprüfung für Gesetzesvorhaben zu implementieren8. Eine dementsprechende Änderung der GGO erfolgte zum 01. Juni 2009. So muss nunmehr in der Begründung neuer Gesetzgebungsvorhaben künftig dargestellt werden, ob die Wirkungen des Vorhabens auch einer nachhaltigen Entwicklung entsprechen und insbesondere, welche langfristigen Wirkungen das Vorhaben hat. 6 Thöne, Gutachten 2006, S. 19 7 Raffelhüschen / Ehrentraut / Haigst, Gutachten 2006, S. 8 8 BT-Drs. 16/12560 v. 30. März 2009, S. 3, 5 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 6 Der Parlamentarische Beirat führt hierzu aus: „Mit dieser Maßnahme leistet die Bundesregierung einen entscheidenden Beitrag, politische Entscheidungen in Deutschland aus der strukturellen Gegenwartsbezogenheit und der Kurzfristigkeit von Legislaturperioden herauszulösen und den Horizont in der Gesetzesfolgenabschätzung deutlich zu erweitern. Letztendlich leistet die Aufnahme der Nachhaltigkeitsprüfung in die Gesetzesfolgenabschätzung und die Berücksichtigung der dabei gewonnen Erkenntnisse im Gesetzgebungsverfahren einen entscheidenden Beitrag zu einer zukunftsfähigen Politik. Daher sind die Konsequenzen auch aus der Nachhaltigkeitsperspektive frühzeitig zu prüfen, um während der Entstehung des Gesetzes noch reagieren zu können. Nachdem die grundsätzliche Entscheidung getroffen worden ist, geht es jetzt darum, die Nachhaltigkeitsprüfung mit Leben zu füllen und kurzfristig ein Prozedere zu entwickeln, das inhaltlich und organisatorisch geeignet ist, die Nachhaltigkeitsprüfung bereits in die Entstehung eines Referentenentwurfes einzubeziehen und so die Nachhaltigkeitsrelevanz politischer Entscheidungen langfristig auch im Bewusstsein der Ministerialmitarbeiterinnen und –mitarbeiter zu verankern9“. 2.3.2. Gesetzgebungsvorhaben parlamentarischer Gremien Eine solche Nachhaltigkeitsprüfung im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren ist auch für parlamentarische Gremien vorgesehen. Zu klären ist allerdings noch, welche Einrichtung im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren künftig die zusätzliche Aufgabe der Nachhaltigkeitsprüfung bzw. deren Kontrolle übernehmen sollte. Da dies eine Querschnittsaufgabe ohne eindeutige Zuordnungsmöglichkeit an einen Fachausschuss darstelle, empfahl der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung den Gremien des 17. Deutschen Bundestages, den Parlamentarischen Beirat selbst künftig mit dieser Aufgabe zu betrauen10. Zu einer effektiven Kontrollmöglichkeit gehöre demnach eine frühzeitige Einsetzung des Parlamentarischen Beirats parallel zur Konstituierung der Ausschüsse des Deutschen Bundestages, dessen formale Beteiligung am Gesetzgebungsvorhaben und schließlich die Möglichkeit, Initiativen eigenständig in die parlamentarischen Abläufe einzubringen11. 2.3.3 Änderung des Grundgesetzes Fasst man die frühzeitige Nachhaltigkeitsprüfung von Gesetzesentwürfen innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens als eine formelle Maßnahme zur Herstellung bzw. Förderung von Generationengerechtigkeit auf, dann kann man die anvisierte Änderung des Grundgesetzes dergestalt, dass mit einem neuen Art. 20b GG das Generationengerechtigkeitsprinzip als eine weitere Staatszielbestimmung in die Rechtsordnung integriert würde, als einen materiellen Beitrag zur Förderung der Nachhaltigkeit in Gestalt der Generationengerechtigkeit verstehen (hierzu ausführlich unter 4., Seiten 8 ff)12. 9 BT-Drs. 16/12560 v. 30. März 2009, S. 5 10 BT-Drs. 16/12560 v. 30. März 2009, S. 6 11 BT-Drs. 16/12560 v. 30. März 2009, S. 7 12 hierzu auch AB Nr. 05/06. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 7 3. Generationenbilanzen im Besonderen 3.1. Konkrete Ausgestaltung13 Generationenbilanzen sind ein Analyseinstrument zur Untersuchung der Fiskal- und Sozialpolitik auf Nachhaltigkeit und intergenerative Verteilungswirkungen14. Die Generationenbilanzierung ist ein Hilfsmittel für die Abschätzung und Berücksichtigung der Entstehung und Verteilung von „Zukunftslasten“ der Staatstätigkeit15. Als Berechnungsgrundlage werden etwa 90 verschiedene Einnahmen- und Ausgabenposten des Staates herangezogen16. Rechentechnisch wird bei der Generationenbilanzierung der Nettobarwert der in der Zukunft zu erwartenden staatlich veranlassten negativen wie positiven Zahlungsströme ermittelt, die ein durchschnittliches Mitglied einer Kohorte leisten muss bzw. erhält. Ein „Generationenkonto“ stellt daher – z.B. bezogen auf die Gesetzliche Rentenversicherung – die Differenz aus den zukünftigen Zahlungen von Zwangsabgaben und den zukünftig erhaltenen Leistungen dar. Ein positives Generationenkonto spiegelt eine Nettozahllast wider, ein negatives Generationenkonto bedeutet eine Nettobegünstigung. Die Summe der Generationenkonten der einzelnen lebenden und künftigen Kohorten ergibt schließlich die zukünftige Tragfähigkeitslücke, welche als Barwert dieser Zahlungsströme unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung, der zukünftigen Zinssätze und des Wachstums verstanden wird17. 3.2. Chancen und Risiken / Vor- und Nachteile 3.2.1. Vorteile, Chancen Generationenbilanzen erlauben eine frühzeitige Quantifizierung von Belastungen, welche künftigen Generationen aus der heutigen Wirtschaftsweise erwachsen. Mithilfe dieser Quantifizierungen kann die Informationsgrundlage für eine vorausschauende Politik erheblich verbessert werden 18. Generationenbilanzen und weitere moderne Tragfähigkeitsrechnungen wirken somit wie ein Indikator, der die Akkumulation von Zukunftslasten aus demographischem Wandel und Staatsverschuldung heraus aufzuzeigen imstande ist. Die aus diesen Modellen abgeleiteten Tragfähigkeitslücken „übersetzen“ zukünftig zu erwartende Lasten sehr anschaulich in aktuelle Handlungsbedarfe und eignen sich damit sehr gut als Indikatoren einer Politik, die sich der Verbesserung der Generationengerechtigkeit verpflichtet sieht19. 13 hierzu sehr ausführliche das Gutachten von Bayer, 2006 14 AB Nr. 06 / 2003 15 Thöne Gutachten 2006, S. 1 16 Raffelhüschen / Ehrentraut / Haigst, Gutachten 2006, S. 1 (Fn. 4) 17 Sesselmeier, KrV 2004, S. 249 18 Schoer, Gutachten 2006, S.1 19 Thöne, Gutachten 2006, S. 2 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 8 3.2.2. Nachteile, Risiken Das Analyseinstrument der Generationenbilanzen ist in mehrfacher Hinsicht nicht unproblematisch . Einerseits sind nicht unerhebliche methodische Schwierigkeiten bei der Berechnungsmethode selbst zu verzeichnen. Diese kann – je nach zugrunde gelegtem Berechnungskonzept – zu quantitativ stark unterschiedlichen Ergebnissen und damit zu Fehlinterpretationen führen. So spielt es etwa eine entscheidende Rolle, ob die Berechnung für derzeit lebende Jahrgänge vorgenommen wird (diese weist die Älteren als Nettobegünstigte aus) oder ob alleine solche Generationen betrachtet werden, die noch den Großteil ihres sozialversicherungspflichtigen Lebens vor sich haben (hierbei ergäben sich Vergleichsprobleme wegen der sich stetig ändernden steuer- und leistungsrechtlichen Bemessungsgrundlagen). Zu beachten ist andererseits, dass die Berechnungen größtenteils auf öffentlich-rechtliche Einnahmen - und Ausgabenparameter bezogen sind. Die vielfältigen Transferleistungen im privaten innerfamiliären Bereich (z.B. Erziehungsinvestitionen, Vererbung20) müssen zwangsläufig – weil kaum quantifizierbar - unberücksichtigt bleiben21. Generationenbilanzen finden ihre Grenzen schließlich auch dann, wenn sich etwa die Berechnungsprämissen unvorhergesehen ändern22. 4. Fachanhörung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes zur Verankerung der Generationengerechtigkeit23 (Generationengerechtigkeitsgesetz )24 4.1. Allgemeines25 In der Sachverständigenanhörung des Parlamentarischen Beirats für Nachhaltige Entwicklung diskutierten Parlamentarier und Wissenschaftler im Oktober 2008 das Für und Wider der Aufnahme einer Nachhaltigkeitsklausel in das Grundgesetz. In der Kritik stand neben der Frage der Effektivität der große Interpretationsspielraum, den die gewählte Formulierung zulasse. Ein konkretes Ziel sei nur durch konkrete Mittel, nicht aber durch allgemein gehaltene Grundsätze zu erreichen. Deshalb sei die Nachhaltigkeitsklausel we- 20 vgl. Thöne, Gutachten 2006, S. 3 21 AB Nr. 06 / 2003 22 Thöne, Gutachten 2006, S.3 23 BT-Drs. Nr. 16/3399 24 Hinweis, bezüglich der Fachanhörung existiert eine dreistündige Videodokumentation: auf der Internetseite http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=1283&id=1134 25 hierzu AB Nr. 72/08, S. 2 sowie AB Nr. 05/06. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 9 nig effektiv und könne nur im günstigsten Fall eine Mentalitätsänderung oder einen hinreichenden Haushaltskonsolidierungsdruck bewirken. Diese Offenheit der Formulierung sei, so ihre Befürworter, gleichzeitig auch ihre Stärke und schaffe einen Handlungsspielraum, der es ermögliche, auf Nachhaltigkeit in ihrer ganzen Breite und Vielfältigkeit einzugehen. Nachhaltigkeit könne auf diese Weise als einklagbares Recht institutionalisiert werden. Dies könne Signalwirkung haben, da auch die Exekutive in Zukunft verpflichtet wäre, sich bei Verstößen, unter anderem mittels einer abstrakten Normenkontrolle mit den Verletzungen von Staatszielen zu befassen. Die vorgeschlagene Grundgesetzsänderung wird von den Sachverständigen vorwiegend als Instrument interpretiert, das dazu beitragen soll, die Staatsverschuldung einzudämmen. Aus fiskalpolitischer Sicht betrachtet könnte die Aufnahme in das Grundgesetz jedoch auch zu einer Institutionalisierung des Schuldenverbotes und damit zum Gegenteil von Generationengerechtigkeit führen, indem verhindert würde, dass möglicherweise notwendige Investitionen in Phasen des konjunkturellen Abschwungs wegen des Schuldenverbotes unterbleiben. Aus philosophischer Perspektive betrachtet verweist die Diskussion um ein Gerechtigkeitskonzept auf ein grundlegendes Problem. Aus der Sicht der Befürworter eines Egalitarismus müsse für künftige Generationen mindestens das gleiche Maß an Bedürfnisbefriedigung zu erreichen sein wie für die gegenwärtige Generation. Aus aristotelischer Sicht ist dies nicht zwangsläufig erforderlich , entscheidend sei danach lediglich das Erreichen eines Niveaus, durch das ein hinreichend gutes Leben ermöglicht werde. 4.2. Zentrale Aspekte hinsichtlich einer Staatszielerweiterung 4.2.1. Einleitung: Wirkung von Staatszielbestimmungen im Allgemeinen26 „Staatsziele sind objektiv-rechtliche Verfassungsnormen mit Bindungswirkung für die öffentliche Gewalt, die sich insoweit aus der Abgrenzung zu subjektiv-rechtlichen Verfassungsnormen, aus denen unmittelbar individuelle Rechte Einzelner abgeleitet werden können, definieren. So gesehen sind Staatszielbestimmungen Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben in Form von sachlich umschriebenen Zielen vorschreiben. Sie umreißen ein bestimmtes Programm der Staatstätigkeit und sind dadurch eine Richtlinie oder Direktive für das staatliche Handeln, auch für die Auslegung von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften. In der rechtwissenschaftlichen Literatur sind Staatzielbestimmungen hinsichtlich ihrer normtheoretischen Struktur als Finalprogramme und Prinzipien gekennzeichnet worden. In diesem Sinne sind sie Optimierungsgebote, die möglichst weitgehend verwirklicht werden sollen. Zielkonflikte werden in der Folge über die Grundsätze der Prinzipienkollision gelöst, wobei die Instrumente der Gewichtung und Abwägung eine entscheidende Rolle spielen. Als zu optimierende Prinzipien legen Staatsziele nicht den Weg oder die Mittel der Zielverwirklichung fest, sondern überlassen die erforderliche Abwägung sowie die Wahl der Instrumente den zuständigen staatlichen Stellen, insbesondere dem Gesetzgeber. 26 Das Folgende zitiert nach Calliess, Gutachten 2008, S. 17-19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 10 Insoweit ist umstritten, ob Staatszielbestimmungen die staatliche Gewalt, insbesondere den Gesetzgeber zum konkreten Tätigwerden verpflichten. Sollen Staatsziele nicht zu politischpathetischen , rechtlich aber wertlosen Proklamationen verkommen, müssen sie – entsprechend ihrem normativen Charakter als Verfassungsprinzipien – einen unmittelbaren Zwang zur politischen Befassung und Entscheidung auslösen. In diesem Rahmen hat allerdings der Abstraktionsgrad eines Ziels erhebliche Auswirkung auf die effektive Normativkraft einer Staatszielbestimmung . Mit Blick auf deren Verbindlichkeit kommt es also auf hinreichend präzise Formulierungen an, die zumindest im Wege der Auslegung konkretisierbar sein müssen. Verfassungsnormen können die Staatsgewalten nur insoweit binden, als ihre Fassung bestimmt genug bzw. hinreichend bestimmbar ist, um eine Norm niederen Ranges daran zu messen. Die Bindungswirkungen von Staatszielbestimmungen unterscheiden sich je nach betroffener Staatsgewalt. Der Gesetzgeber hat den in den jeweiligen Staatszielen verankerten Gestaltungsauftrag im Rahmen seiner Konkretisierungsbefugnis zu aktualisieren, indem er deren Zielbereich und Zielverwirklichung mit Blick auf die verfassungsrechtlichen, insbesondere den durch die Grundrechte gezogenen Grenzen, genauer fasst und zur Lösung von Zielkonflikten Abwägungskriterien und vollziehbare Rechtsnormen entwickelt. Staatsziele müssen vom Gesetzgeber durch ein Verfahren konkretisiert werden, das der den Staatzielen immanenten Optimierungsaufgabe gerecht wird. Hierbei hat der Gesetzgeber den verbindlichen Zielkern des Staatsziels und eines im Hinblick darauf bestehenden Untermaßverbotes zu beachten (im Gegensatz zum sog. Übermaßverbot , bei dem es um die Abwehr unverhältnismäßigen bzw. übermäßigen staatlichen Handelns geht, betrifft das Untermaßverbot die Verpflichtung des Staates zur Leistung bzw. zum Tätigwerden, d.h. er darf ein Mindestmaß an gebotener Leistung nicht unterschreiten, Anm. des Autors). Der Exekutive wird das jeweilige Staatsziel grundsätzlich durch die Konkretisierungen des Gesetzgebers auf einer niedrigeren Abstraktionsebene vermittelt. Dabei hat die Verwaltung auf der einen Seite einen gewissen Spielraum bei der weiteren Konkretisierung durch eigene Normsetzung . Auf der anderen Seite ist sie gehalten, die Gesetze in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Zielvorgaben auszulegen und Ermessensentscheidungen unter Berücksichtigung der Staatszielbestimmungen zu treffen. Die Gerichte schließlich haben die Staatszielbestimmung sowohl bei der Auslegung des einfachen Rechts als auch bei der Interpretation von Verfassungsrecht zu berücksichtigen. Die effektive Durchsetzung von Verfassungsnormen gegenüber dem Gesetzgeber stellt die Kontrolle durch die Verfassungsgerichtsbarkeit dar. Insofern bestehen zwei Kontrollansätze: Zum einen können Staatszielbestimmungen als Maßstab und Grenze konkreter Normen im Rahmen der konkreten Normenkontrolle (Frage: Steht das Gesetz im Einklang mit den Vorgaben der Staatszielbestimmung ?) herangezogen werden. Zum anderen können sie als Handlungsgebote für den Gesetzgeber (Frage: Verpflichtet die Staatszielbestimmung des Gesetzgeber zu einem Tätigwerden?) wirken. Bleibt der Gesetzgeber untätig, obwohl offensichtlicher Handlungsbedarf besteht und verletzt er das erwähnte – dem Zielkern korrespondierende – Untermaßverbot, so kann die zu einer Verfassungswidrigkeit durch unterlassen führen27“. 27 Calliess, Gutachten 2008, S. 17-19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 11 4.2.2. Notwendigkeit der Staatszielerweiterung? Der Aspekt der Staatszielerweiterung stand bei der Diskussion des Gesetzesentwurfes vor allem deshalb im Vordergrund, weil die geltenden Regelungen des Grundgesetzes nur bedingt geeignet sind, als Rahmenvorgaben für die Politik Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit sicherzustellen 28. Beachtlich in diesem Zusammenhang sind etwa das Umweltstaatsprinzip gemäß Art. 20a GG, das Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG sowie die Wirkweise und –richtung der Grundrechte des Grundgesetzes selbst. 4.2.2.1. Umweltstaatsprinzip, Art. 20a GG Art. 20a GG (Umweltstaatsprinzip) benennt zwar ausdrücklich das Prinzip der Verantwortlichkeit für künftige Generationen. Insofern sollen die natürlichen Lebensgrundlagen so geschützt werden, dass sie auch künftigen Generationen erhalten bleiben. Allerdings beinhaltet Art 20a GG nach überwiegender Ansicht eine Regelung zum ökologischen Aspekt der Nachhaltigkeit und ist damit auf den Bereich des Umweltschutzes reduziert. Dies folge bereits aus der ausdrücklichen Beschränkung der Norm auf die „natürlichen Lebensgrundlagen“. Art. 20a GG biete jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass der Wortlaut bzw. der Anwendungsbereich auch auf wirtschaftliche und soziale Entwicklungen anzuwenden wäre. Im Zusammenhang mit der Generationengerechtigkeit komme ein Rückgriff auf das Umweltstaatsprinzip gemäß Art. 20a GG daher nicht in Betracht29. 4.2.2.2. Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG Im Hinblick auf das aus Art. 20 Abs. 1 GG hervorgehende Sozialstaatsprinzip sei demgegenüber zu bedenken, dass es viel zu unbestimmt ist, um daraus in die Zukunft reichende Lösungen im Sinne von Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit ableiten zu können. Die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Herstellung intergenerationeller Ausgewogenheit in den Sozialversicherungen sei diesem Prinzip jedenfalls nicht zu entnehmen. Hierbei wird darauf hingewiesen, dass das Sozialstaatsprinzip keine genauen Vorgaben enthalte, sondern dem Gesetzgeber, der es ausgestalten muss, einen weiten Spielraum zur Verwirklichung sozialer Ziele belasse. Eine justiziable Handlungsverpflichtung des Gesetzgebers entstehe erst dann, wenn die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein der Bürger nicht mehr gewährleistet sind. Daher kann auch das Sozialstaatsprinzip nicht als verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für das Konzept der nachhaltigen Entwicklung (und damit der Generationengerechtigkeit) herangezogen werden 30. 4.2.2.3. Grundrechte / Allgemeiner Gleichheitssatz Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Staatszielerweiterung wurde schließlich die Frage behandelt, ob die Grundrechte selbst möglicherweise zum Schutz künftiger Generationen herangezogen werden können. Dies wird ganz überwiegend jedoch deshalb abgelehnt, weil die Grund- 28 Kahl, Gutachten 2008, S. 5 29 vgl. Calliess, Gutachten 2008, S. 9 30 Calliess, Gutachten 2008, S. 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 12 rechte sowohl ihrem Wortlaut, aber auch ihrem Sinn und Zweck nach auf bestehendes Leben bezogen sind. Soweit zukünftige Generationen noch nicht gezeugt wurden, könne ihnen mithin auch kein Grundrechtsschutz zukommen. Darüber hinaus wird vorgebracht, dass etwa das Recht auf Leben „menschlichen Individuen“ zustehe, künftige Generationen aber (wenn sie noch nicht gezeugt wurden) eine in ihrer Anzahl unbestimmte Gruppe sind; es mangelt also schon an einer möglichen Individualisierung, außerdem hänge vom Zufall ab, ob sich ein bestimmtes Leben überhaupt entwickeln wird oder nicht. Künftige Generationen wären somit zu unbestimmt, um dem Schutz eines auf Individuen ausgerichteten Grundrechts zu unterfallen. Im Zuge dessen scheitern auch grundrechtsdogmatische Versuche, die Generationengerechtigkeit dadurch in das Grundgesetz implementieren zu wollen, dass man den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gleichsam „in die Zeit“ hinein verlängert31. 4.3. Betroffene Politikfelder bei einer Grundgesetzänderung 4.3.1. Allgemeines Die mit dem Generationengerechtigkeitsgesetz einhergehende Grundgesetzänderung hätte – von den vom Parlamentarischen Beirat herangezogenen Experten übereinstimmend beurteilt – Auswirkungen auf eine ganze Bandbreite von Politikfeldern. Zu nennen sind etwa die „politische Gesetzgebung“ an sich, die Arbeitsmarktpolitik, die Klimapolitik, die Regelung zum Ressourcenverbrauch 32 sowie die Wirtschaftspolitik33. Im Rahmen der Fachanhörung des Parlamentarischen Beirates von besonderer Bedeutung waren jedoch die zu erwartenden Auswirkungen der Grundgesetzänderung auf die sozialen Sicherungssysteme und im Bereich der öffentlichen Investitionen . 4.3.2. Soziale Sicherungssysteme Hinsichtlich der sozialen Sicherungssysteme besteht zwar Einigkeit darüber, dass sowohl die Rentenfinanzierung als auch die „Daseinsvorsorge“ des Staates erheblich betroffen sein würde34, jedoch gehen die Meinungen über politische Spannungsbereiche und Folgewirkungen weit auseinander . Reuter differenziert hinsichtlich der Auswirkungen des Generationengerechtigkeitsgesetzes und statuiert, dass es dann positive Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme haben würde, wenn mit ihm ein Schwerpunkt auf die Steigerung der Einkommen „bislang benachteiligter Schichten“ hingearbeitet würde und dass – dem gegenüberstehend - mit negativen Folgen zu 31 vgl. Calliess, Gutachten 2008, S. 11 32 Knell, Gutachten 2008, S. 9 33 Reuter, Gutachten 2008 S. 5-6 34 hierzu Knell, Gutachten 2008, S. 11; Reuter, Gutachten 2008, S. 6, Kahl, Gutachten 2008, S. 4 und 7; Raffelhüschen, Gutachten 2008, S. 5 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 13 rechnen sei, wenn die Daseinsvorsorge des Staates durch die Grundgesetzänderung eine Reduzierung erführe35. Kahl weist darauf hin, dass mit der „neuen“ Staatszielbestimmung das bisherige Umlageverfahren in der Rentenversicherung verfassungswidrig würde mit der notwendigen Folge, zukünftig ein rentenversicherungsbezogenes Kapitaldeckungsverfahren einzuführen36. Schließlich warnt Raffelhüschen davor, dass die Implementierung des Generationengerechtigkeitsprinzips in Grundgesetz wegen der derzeitigen demographischen Entwicklung eine erhebliche finanzielle Zusatzbelastung zukünftiger Generationen zur Folge haben könnte37. 4.3.3. Öffentliche Investitionen Ähnlich vielfältig sind die politischen Folgeneinschätzungen im Bereich der öffentlichen Investitionen . Im Focus steht hierbei die Frage, ob die Aufnahme des Generationengerechtigkeitsprinzips in das Grundgesetz faktisch auch ein weitgehendes „Verbot“ bzw. eine Erschwerung der weiteren Staatsverschuldung verursachte, und welche Folgewirkungen ein solches Verbot bzw. eine Erschwerung nach sich ziehen würde. Auch insofern stehen sich konträre Auffassungen gegenüber: etwa die Einschätzung, dass ein „Verbot“ bzw. eine Erschwerung der Staatsverschuldung „verheerende“ Auswirkungen auf zukunftsgerichtete Investitionen haben könnte38 oder die Beurteilung, dass eine Bremsung der Staatsverschuldung die (notwendige) Entspannung des Staatshaushaltes im Sozialbereich herbeizuführen imstande wäre39 und schließlich die Vorhersage, dass eine Änderung des Grundgesetzes mittels Aufnahme des Prinzips der Generationengerechtigkeit sogar eine (begrüßenswerte) Steigerung der zukunftsorientierten öffentlichen Investitionen zur Folge haben dürfte40. 5. Zusammenfassung Die Diskussion um die Herstellung von Generationengerechtigkeit ist sehr vielseitig. Ursprünglich als ökologische Problematik unter dem Stichwort „Nachhaltigkeit“ thematisiert, wurde dieses Konzept mittlerweile auch in Politik, Wirtschaft und Recht aufgegriffen. Im Prinzip handelt es sich bei dem Konzept der Generationengerechtigkeit um eine handlungsbezogene Direktive innerhalb derjenigen Spannungsfelder, die sich unter Berücksichtigung der heutigen Wirtschaftsweise vor allem im intergenerativen Bereich ergeben. 35 Reuter, Gutachten 2008, S. 6 36 Kahl, Gutachten 2008, S 4 u. 7 37 Raffelhüschen, Gutachten 2008, S. 5 38 Reuter, Gutachten 2008, S. 6 39 Kahl, Gutachten 2008, S. 7 40 Tremmel, Gutachten 2008, S. 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 14 Der Problematik liegen langfristige Interessenskonflikte in ökologischer, ökonomischer sowie in soziologischer Hinsicht zugrunde. Um ihr insbesondere auf politischer Ebene effektiv begegnen zu können, wurden zunächst Instrumente geschaffen mit dem Zweck, das intergenerative Spannungsverhältnis in Zahlen darzustellen. Dabei handelt es sich um aufwendige Rechenmodelle und -methoden. Aus der mathematischen und damit einhergehend aus der ökonomischen Erfassung der Konfliktausmaße lassen sich dann, so erhofft man sich jedenfalls, eindeutige Handlungserfordernisse ausloten, an denen sich politische Entscheidungsträger orientieren können. Um die so gewonnenen Erkenntnisse in verbindliche rechtsetzungspolitische Handlungsgebote zu formen, wurde im Jahre 2006 auf Initiative von über 100 Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine Änderung des Grundgesetzes angeregt. So soll mit einem neuen Art. 20b GG das bereits in Art. 20a GG für ökologische Sachverhalte festgemachte Nachhaltigkeitsgebot auch in ökonomischer und sozialpolitischer Hinsicht manifestiert werden. Eine solche in Form einer Staatszielbestimmung verankerte politische Orientierungsvorgabe hätte den Vorteil, dass das Nachhaltigkeitskonzept im intergenerativen Bereich nicht nur unverbindlicher Programmsatz bliebe, sondern – wie alle Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes – eine für alle Staatsgewalten verbindliche verfassungsrechtliche Vorgabe für Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Rechtsinterpretation in Kraft setzte. Instrumente zur Erfassung von Generationennachhaltigkeit sind etwa die Berechnung impliziter Steuersätze, die Berechnung impliziter Renditen, das finanzpolitische OECD-Konzept „fiscal sustainability“ und schließlich die Generationenbilanzierung (generational accounting). Ein Instrument zur formellen rechtsetzungspolitischen Durchsetzung von Generationengerechtigkeit ist etwa die frühzeitige Nachhaltigkeitsprüfung bereits im Entwurfsstadium eines Gesetzes . Ein Instrument zur materiellen rechtsetzungspolitischen Durchsetzung von Generationengerechtigkeit hingegen wäre die anvisierte Verankerung des Generationengerechtigkeitsprinzip in einem Artikel 20b des Grundgesetzes. 6. Literaturverzeichnis Bayer, Stefan (2006). Gutachterliche Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung am 13. Dezember 2006 zum Thema „Generationenbilanzen “ (zitiert: Tremmel, Gutachten 2006) – abrufbar unter: http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=1283&id=1134 Calliess, Christian (2008). Gutachterliche Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung am 15. Oktober 2008 zum Thema „Generationengerechtigkeitsgesetz “ (zitiert: Calliess, Gutachten 2008) – abrufbar unter: http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=1283&id=1134 Kahl, Wolfgang (2008). Gutachterliche Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung am 15. Oktober 2008 zum Thema „Generationengerechtigkeitsgesetz “ (zitiert: Kahl, Gutachten 2008) – abrufbar unter: http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=1283&id=1134 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 – 3000-057/10 Seite 15 Knell, Sebastian (2008). Gutachterliche Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung am 15. Oktober 2008 zum Thema „Generationengerechtigkeitsgesetz “ (zitiert: Knell, Gutachten 2008) – abrufbar unter: http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=1283&id=1134 Müggenburg, Hardo (2003). Generationengerechtigkeit - Aktueller Begriff des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 11. Februar 2003 (zitiert: AB Nr. 06/2003) Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung (2009). Unterrichtung vom 30. 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Anlagen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes zur Verankerung der Generationengerechtigkeit (Generationengerechtigkeitsgesetz) vom 09. November 2006 – BT-Drs. 16/3399 Anlage 1 Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung – Stellungnahme vom 11. Februar 2009 zur Verankerung der Generationengerechtigkeit im Grundgesetz Anlage 2 Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung (2009). Unterrichtung vom 30. März 2009, Bundestags-Drucksache 16/12560 Anlage 3 Müggenburg, Hardo (2003). Generationengerechtigkeit - Aktueller Begriff des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 11. Februar 2003 Anlage 4 Surholt, Mechthild / Strelau, Lennart (2008). Nachhaltigkeit und die Debatte um die Verankerung von Generationengerechtigkeit im Grundgesetz – Aktueller Begriff des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 20. November 2008 Anlage 5 Sierck, Dr. (2006). Verfassungsgarantie der Generationengerechtigkeit – Aktueller Begriff des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 26.01.2006 Anlage 6 Sesselmeier, Werner (2004). Was bedeutet Generationengerechtigkeit in der Sozialpolitik?, in: Die Krankenversicherung 2004, S. 247-250 Anlage 7