© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 056/20 Therapeutische Betreuung von Opfern sexueller Gewalt Rechtslage und Studien zur Versorgungssituation Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 2 Therapeutische Betreuung von Opfern sexueller Gewalt Rechtslage und Studien zur Versorgungssituation Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 056/20 Abschluss der Arbeit: 11. August 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Beiträge, die einen Überblick zu Begriffsdefinitionen, zur Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Prävention vermitteln 5 3. Empirische Erkenntnisse zum Ausmaß von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen 6 4. Rechtslage 7 4.1. Ansprüche auf ärztliche und psychotherapeutische Behandlung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch 7 4.2. Ansprüche auf psychotherapeutische Behandlung auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes 8 4.3. Leistungen für Opfer sexueller Gewalt in Traumaambulanzen nach den §§ 31 ff. Vierzehntes Buch Sozialgesetzbuch 9 4.4. Anspruch auf Beratung für Kinder und Jugendliche nach § 8 Abs. 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch 9 5. Weitere Vorgaben für die Versorgung von Opfern sexualisierter Gewalt 10 6. Das Ergänzende Hilfesystem des Bundes für Fälle sexuellen Missbrauchs 11 6.1. Der Fonds „sexueller Missbrauch im familiären Bereich“ 11 6.2. Das „Ergänzende Hilfesystem im institutionellen Bereich“ 11 7. Spezialisierte Beratungsangebote 12 8. Studien und weitere Untersuchungen zum Stand der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit sexuellen Gewalterfahrungen 12 9. Ansätze für die weitere Entwicklung der therapeutischen Versorgung 16 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 4 1. Vorbemerkung Am 1. Juli 2020 hat Bundesjustizministerin Christine Lamprecht das Reformpaket zur Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder vorgestellt. Dieses enthält insbesondere Vorschläge zur Änderung im Strafrecht. Anstelle des bisherigen Begriffs des „sexuellen Missbrauchs“ soll künftig die Formulierung „sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ verwendet werden. Der Strafrahmen soll angehoben werden, so, dass die Freiheitsstrafe mindestens ein Jahr beträgt und das Delikt des sexuellen Missbrauchs damit zu einem Verbrechen hochgestuft wird. Diese und weitere gesetzliche Änderungen seien, so das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, erforderlich, um einen besseren Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt zu erzielen, siehe: Reformpaket zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, 1. Juli 2020, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/010720_Reformpaket_Missbrauch .pdf;jsessionid=9198C8E72042257811466FC7FE17D1CF.2_cid334?__blob=publication- File&v=1. Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) hat sich diesen Reformüberlegungen ausdrücklich angeschlossen. Er fordert, dass die von Missbrauch betroffenen Kinder und Jugendlichen im Strafverfahren frühzeitig angehört werden müssten. Siehe hierzu: Hofmann, Kristina/ Waldow, Michaela, Kinderschutzbund, Strafe ja, aber nicht nur, 16. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/kindesmissbrauch-kinderschutzbund-muenster-strafe- 100.html. Neben den strafrechtlichen Regelungen zur Ahndung sexuellen Missbrauchs stehen Opfern von sexualisierter Gewalt unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche auf ärztliche und psychotherapeutische Versorgung zu. Eine Reihe von Studien, die in den letzten Jahren durchgeführt wurden, haben aber gezeigt, dass es trotz der bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen immer wieder zu schwerwiegenden Vorfällen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche kommt und dass die therapeutische Versorgung der Opfer weiter verbessert werden muss. Einige Gremien wurden in den vergangenen zehn Jahren ganz gezielt geschaffen, um die gesetzgeberische Arbeit zu begleiten und Konzepte zur Umsetzung der rechtlichen Vorgaben zu entwickeln : Seit dem Jahr 2010 gibt es das Amt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Organisatorisch ist das Amt beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angegliedert. Unabhängiger Beauftragter ist seit 2011 Johannes Wilhelm Rörig. Zu seinen Aufgaben gehört die Unterstützung der nachhaltigen Verbesserung des Schutzes vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche wie auch die Identifizierung gesetzlicher Handlungsbedarfe und Forschungslücken im gesamten Themenbereich. Vgl. Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Das Amt, abrufbar unter: https://beauftragter -missbrauch.de/der-beauftragte/das-amt. Der Unabhängige Beauftragte und sein Arbeitsstab werden vom Betroffenenrat beraten, der sich im März 2015 konstituiert hat. Die 18 Mitglieder, die ihm aktuell angehören, wurden im Juni 2020 von Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey berufen. Die Mitglieder, die selbst sexualisierte Gewalt in unterschiedlichen Kontexten erlebt haben, arbeiten ehrenamtlich. Sie bringen ihre Erfahrungen in die Erarbeitung von Konzepten und Stellungnahmen des Unabhängi- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 5 gen Beauftragten ein. Siehe hierzu: Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs , Der Betroffenenrat, abrufbar unter: https://beauftragter-missbrauch.de/betroffenenrat /der-betroffenenrat-2. Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (Aufarbeitungskommission ) befasst sich mit der Aufdeckung von Strukturen, die sexuelle Gewalt in der Vergangenheit ermöglicht haben und erarbeitet Handlungsfelder für die Politik. Darüber hinaus bieten die sieben Mitglieder der Kommission Betroffenen Anhörungen an und vermitteln im Übrigen den Kontakt zu besonders bestellten Anhörungsbeauftragten, die in einer Reihe von größeren deutschen Städten zur Verfügung stehen. Siehe: Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, Was wir tun, abrufbar unter: https://www.aufarbeitungskommission .de/kommission/. Im Dezember 2019 hat sich der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen konstituiert. Den Vorsitz teilen sich die Bundesfamilienministerin und der Unabhängige Beauftragte. Der Nationale Rat führt einen interdisziplinären Dialog zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Verantwortungsbereichen auf den Ebenen von Bund, Ländern und Gemeinden. Er verfolgt vor allem das Ziel, die Hilfen für betroffene Kinder und Jugendliche deutlich zu verbessern und wird hierfür konkrete Ziele und Umsetzungsschritte zur Prävention und Intervention entwickeln. Siehe: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Nationaler Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen eingerichtet, Aktuelle Meldung vom 2. Dezember 2019, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/nationaler -rat-gegen-sexuelle-gewalt-an-kindern-und-jugendlichen-eingerichtet/141980. 2. Beiträge, die einen Überblick zu Begriffsdefinitionen, zur Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Prävention vermitteln Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs veröffentlicht auf seiner Internetseite u. a. grundlegende Informationen zum Begriffsverständnis und zu Schutzkonzepten . Insbesondere wird auf das Monitoring zum Stand der Prävention sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Deutschland (2015-2018) hingewiesen, das, bezogen auf verschiedene Lebensbereiche der jungen Menschen, erläutert, welche Schutzkonzepte vorhanden sind und welche Faktoren ausschlaggebend dafür sind, dass Schutzkonzepte gefördert bzw. gehemmt werden, https://beauftragter-missbrauch.de/praevention/schutzkonzepte/instrumente/monitoring . Der Bilanzbericht 2019 der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs erläutert - ausgehend von Anhörungen und schriftlichen Berichten Betroffener sowie von wissenschaftlichen Projekten - die Erkenntnisse zur Situation Geschädigter im Kindes- wie auch im Erwachsenenalter und dabei insbesondere auch die Auswirkungen im sozialen Umfeld: Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, Geschichten, die zählen , Bilanzbericht 2019, Band 1, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/blob/139686/31d218689df1d3a68ebcbf3d68112dd2/geschichten-die-zaehlen -unabhaengige-kommission-zur-aufarbeitung-sexuellen-kindesmissbrauchs-flyer-data.pdf (insbesondere S. 176-200). Zahlreiche Veröffentlichungen haben sich in den vergangenen Jahren mit der Epidemiologie, der Diagnostik und Therapien befasst. Einen kurzen Überblick liefern etwa die folgenden Beiträge: Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 6 Jud, Andreas, Epidemiologie von Kindesmisshandlung, Symposium „Epidemiologie des sexuellen Missbrauchs und andere Formen der Kindesmisshandlung“, in Ulm, 26. September 2017, abrufbar unter: https://www.kinderschutzhotline.de/fileadmin/downloads/PPT_Epidemiologie _Jud_20170926.pdf. Herrmann, Bernd/ Banaschak, Sibylle, u. a., Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmissbrauch , Konzepte, aktuelle Datenlage und Evidenz, in: Ärzteblatt 2014, S. 692-703, abrufbar unter : https://www.aerzteblatt.de/archiv/162668/Medizinische-Diagnostik-bei-sexuellem-Kindesmissbrauch . Fegert, Jörg M.,/ Hoffmann, Ulrike, u. a., Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, Aktuelle (fach-)politische Diskussion und Überblick über Definitionen, Epidemiologie, Diagnostik , Therapie und Prävention, in: Bundesgesundheitsblatt 2013, S. 199-207, abrufbar unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs00103-012-1598-9.pdf. Bundesministerium der Justiz, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Abschlussbericht Runder Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch “ in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich, 30. November 2011, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/Abschlussbericht _RTKM.pdf?__blob=publicationFile. 3. Empirische Erkenntnisse zum Ausmaß von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs veröffentlichte im Januar 2020 einen Beitrag zu Fakten und Zahlen. Er wies dabei auf die Polizeiliche Kriminalstatistik hin, die für das Jahr 2018 von über 12.000 der Polizei bekannt gewordenen Straftaten des sexuellen Kindesmissbrauchs ausgehe. Dies sei jedoch nur das sogenannte Hellfeld. Das Dunkelfeld , d. h. die Zahl der Fälle, die polizeilich nicht erfasst werden konnten, sei wesentlich höher. Der Beauftragte führt aus, dass nach Forschungsergebnissen jeder siebte bis achte Erwachsene im Kindheits- bzw. Jugendalter sexuelle Gewalt erlebt habe. Siehe: Fakten und Zahlen zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen, Stand: Januar 2020, abrufbar unter: https://beauftragtermissbrauch .de/fileadmin/Content/pdf/Pressemitteilungen/2020/01_Januar/28/Fact_Sheet_Zahlen _und_Fakten_sexueller_Missbrauch.pdf. Grundlegend mit der Datenlage und der Frage der tatsächlichen Vorfälle haben sich die Autoren Jud, Andreas/ Rassenhofer, Miriam, u. a., befasst: Häufigkeitsangaben zum sexuellen Missbrauch , Internationale Einordnung, Bewertung der Kenntnislage in Deutschland, Beschreibung des Entwicklungsbedarfs, Expertise, Januar 2016, abrufbar unter: https://beauftragter-missbrauch .de/fileadmin/Content/pdf/Pressemitteilungen/Expertise_H%C3%A4ufigkeitsangaben .pdfhttps://beauftragtermissbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Pressemitteilungen/Expertise _H%C3%A4ufigkeitsangaben.pdf. Die Expertise nimmt dabei vor allem Studien in den Blick und formuliert Empfehlungen, unter welchen Rahmenbedingungen bei künftigen Studien verlässlichere Einschätzungen zu Zahlen von Kindesmissbrauch möglich sein könnten. Witt, Andreas/ Glaesmer, Heide/ Jud, Andreas, u. a. haben hinsichtlich der Frage nach der Häufigkeit eigener Aussage zufolge erstmals eine Studie dazu durchgeführt, welche neueren Trends Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 7 bei der Entwicklung von Fällen von Kindesmisshandlung zu beobachten seien und welche weiteren Formen von Kindesmisshandlung auftreten würden. Der Bericht zu ihrer Untersuchung „Trends in child maltreatment in Germany: comparison of two representative population-based studies“, 2018, ist abrufbar über die Publikation des Kompetenzzentrums Kinderschutz in der Medizin Baden-Württemberg, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychiatrie, Universitätsklinikum Ulm, Wissenstransfer im Kinderschutz, https://www.comcan.de/fileadmin/downloads /2019_10_10__Broschuere_Kompetenzzentrum_Kinderschutz.pdf (S. 24). Mit Einschätzungen zur Entwicklung der sogenannten Hell- und Dunkelziffern befasste sich der Beitrag von Horten, Barbara/ Dölling, Dieter, u. a., Sexueller Missbrauch an Kindern – Entwicklungen im Hell- und Dunkelfeld seit 1953 und Implikationen für das Gesundheitswesen, in: Gesundheitswesen 2018, S. 1042-1047, abrufbar unter: https://www.thieme-connect.de/products /ejournals/pdf/10.1055/a-0725-8226.pdf. 4. Rechtslage 4.1. Ansprüche auf ärztliche und psychotherapeutische Behandlung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch Gesetzlich Krankenversicherte haben nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)1 Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen , zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst dabei auch die ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung (§ 27 Abs. Satz 1 Nr. 1 SGB V). Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 SGB V wird die psychotherapeutische Behandlung einer Krankheit durch Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die zur psychotherapeutischen Behandlung zugelassen sind, sowie von Vertragsärzten nach Maßgabe der Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses2 durchgeführt. Die Richtlinie legt im Einzelnen die psychotherapeutischen Leistungen fest, die zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden können. So haben Patienten gemäß § 11 Abs. 1 u. a. einen Anspruch auf eine psychotherapeutische Sprechstunde als zeitnahen niederschwelligen Zugang zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung. Dieser erste Termin dient vor allem der Abklärung des Vorliegens einer „krankheitswertigen“ Störung und der Entscheidung darüber, ob und ggfs. welche weiteren fachspezifischen Hilfen erforderlich sind. 1 SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung – (Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477), zuletzt geändert durch Art. 311 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328). 2 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie- Richtlinie), in der Fassung vom 19. Februar 2009, zuletzt geändert am 22. November 2019, veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz AT 23. Januar 2020 B4), abrufbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/62-492- 2029/PT-RL_2019-11-22_iK-2020-01-24.pdf. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 8 4.2. Ansprüche auf psychotherapeutische Behandlung auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes Das Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG)3 gewährt einem Opfer von Gewalttaten, wenn der Betreffende eine gesundheitliche Beeinträchtigung erlitten hat, einen Anspruch auf Heilbehandlungs-, Renten- bzw.-Fürsorgeleistungen. Voraussetzung ist, dass es sich bei der Gewalttat um einen vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Angriff oder um die rechtmäßige Abwehr eines solchen Angriffs handelt. Der Anspruch setzt nicht voraus, dass der Täter rechtskräftig verurteilt worden ist. Allerdings kann der Anspruch versagt werden, wenn der Geschädigte das ihm im Zusammenhang mit der Aufklärung des Sachverhalts Zumutbare nicht unternommen hat. Zu den Leistungen, die dem Geschädigten zu gewähren sind, können als Heilbehandlungen auch Psychotherapien zählen. Vgl. den Überblick zu dem Entschädigungsanspruch auf der Internetseite des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, „Heilbehandlungs-, Renten- und Fürsorgeleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz“, abrufbar unter: https://beauftragter-missbrauch.de/recht/schadensersatz -und-entschaedigung/leistungen-nach-dem-opferentschaedigungsgesetz/. Auf der Grundlage des OEG werden auch Traumaambulanzen betrieben, die meist an Psychiatrien oder Krankenhäuser angeschlossen sind. Sie bieten Menschen, die Opfer von Gewaltstraftaten geworden sind, die Möglichkeit, schnell und unkompliziert psychologische Beratung und bei Bedarf psychotherapeutische Unterstützung zu erhalten. Damit sollen längere Wartezeiten vermieden werden. Eine Übersicht zu den Traumaambulanzen findet sich auf der Internetseite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, https://www.bmjv.de/Shared- Docs/Downloads/DE/Themen/OpferhilfeUndGewaltpr%C3%A4vention/Opferbeauftragter /Uebersicht_Traumaambulanzen.html. In Niedersachsen wurden im Zeitraum Dezember 2013 bis Juni 2014 im Wege einer Aktenanalyse Daten von insgesamt 312 Opfern von Gewalttaten gesichtet, die einen Rechtsanspruch auf Leistungen nach dem OEG erworben hatten. Mit dem Ziel, die Versorgung Betroffener weiter zu verbessern, seien die Schädigungsfolgen, insbesondere die Häufigkeiten bestimmter psychischer Störungen, aber auch die Beziehungen zwischen Haupttäter und Opfer erfasst worden. Die Untersuchung habe gezeigt, dass bei mehr als einem Drittel der Geschädigten ein Zeitraum von mehr als fünf Jahren bis zur Antragstellung verstrichen sei. Häufig seien es Täter aus dem Umfeld des Opfers gewesen. Das Angebot frühzeitiger professioneller evidenzbasierter Akuttherapie müsse weiter optimiert werden. Siehe: Franke, Stefanie/ Kalweit, Christine, u. a., Opfer von Gewalttaten im Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz, Merkmale von Betroffenen, Taten, Tätern und Prädiktoren für die Zeitdauer bis zur Inanspruchnahme gesetzlich vorgesehener Hilfen, in Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 2019, S. 105-113 (Zusammenfassung der Studie). 3 Opferentschädigungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Januar 1985 (BGBl. I S. 1), zuletzt geändert durch Art. 2a des Gesetzes vom 15. April 2020 (BGBl. I S. 811). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 9 4.3. Leistungen für Opfer sexueller Gewalt in Traumaambulanzen nach den §§ 31 ff. Vierzehntes Buch Sozialgesetzbuch Am 12. Dezember 2019 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts verabschiedet, mit dem insbesondere durch Art. 1 das Vierzehnte Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Entschädigung (SGB XIV) eingeführt worden ist.4 Mit Hilfe dieses Gesetzes sollen Menschen, die durch ein schädigendes Ereignis, für das die staatliche Gemeinschaft eine besondere Verantwortung trägt, eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, bei der Bewältigung der Folgen unterstützt werden, § 1 Abs. 1. Zu diesen Ereignissen zählen ausdrücklich auch Straftaten des sexuellen Missbrauchs (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 13 Abs. 2). In Kapitel 4 des Gesetzes sind verschiedene Leistungsarten aufgeführt, die den Betroffenen gewährt werden können . Im Rahmen der „Leistungen der Schnellen Hilfen“ werden „Leistungen des Fallmanagements “ und Leistungen in einer Traumaambulanz gewährt. Der Gesetzgeber hat die gesetzliche Verankerung der Traumaambulanz insbesondere mit den Ergebnissen einer Studie begründet, die die positiven Effekte einer Frühintervention in Traumaambulanzen bestätigt haben. Die Studie wurde im Jahr 2014 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom Universitätsklinikum Ulm durchgeführt. Sie habe gezeigt, dass im Falle einer Frühintervention „die Besserung der Traumabelastung hochsignifikant und klinisch bedeutsam“ gewesen sei. Siehe hierzu den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts , BT-Drs. 19/13824 vom 9. Oktober 2019, S. 185 sowie die Studie: Rassenhofer, Miriam/ Laßhof, Annika/ Felix, Sebastian, u. a., Effektivität der Frühintervention in Traumaambulanzen – Ergebnisse des Modellprojekts zur Evaluation von Ambulanzen nach dem Opferentschädigungsgesetzes , in: Psychotherapeut, 2016, S. 197-207, abrufbar unter: https://link.springer .com/content/pdf/10.1007/s00278-015-0073-0.pdf. Eine psychotherapeutische Intervention in einer Traumaambulanz soll im Übrigen auch dann möglich sein, wenn das schädigende Ereignis zwar mehr als zwölf Monate zurückliegt, es aber zu einer akuten psychischen Belastung geführt hat (§ 33). Hier hat der Gesetzgeber gerade den sexuellen Kindesmissbrauch in den Blick genommen, weil in diesen Fällen Geschädigte sehr häufig die Vorfälle verdrängt hätten und gleichwohl eine aktuelle psychische Belastung erleben würden, siehe Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts , BT-Drs. 19/13824 vom 9. Oktober 2019, S. 186. Im Gegensatz zu den übrigen Regelungen des SGB XIV, die am 1. Januar 2024 in Kraft treten, werden die Bestimmungen der §§ 31 bis 37 SGB XIV zu den Traumaambulanzen bereits am 1. Januar 2021 in Kraft treten. 4.4. Anspruch auf Beratung für Kinder und Jugendliche nach § 8 Abs. 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch § 8 Abs. 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII)5 gewährt Kindern und Jugendlichen auch ohne Anwesenheit der Eltern einen Anspruch auf Beratung, wenn diese auf Grund einer Not- 4 BGBl. I S. 2652. 5 Achtes Buch Sozialgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), zuletzt geändert durch Art. 16a Abs. 6 des Gesetzes vom 28. April 2020 (BGBl. I S. 960). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 10 und Konfliktlage erforderlich ist. Die jeweilige Fachkraft im Jugendamt hat in diesen Fällen insbesondere die Aufgabe, mit der hilfesuchenden Person Handlungsmöglichkeiten zu besprechen. Darüber hinaus sieht § 8a SGB VIII einen Schutzauftrag des örtlichen Jugendamtes für den Fall vor, dass ihm gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Kindeswohls bekannt werden. Einen kurzen Überblick zum Verständnis und zur Einordnung des § 8 SGB VIII bietet der Beitrag von Jud, Andreas/ Rassenhofer, Miriam, u. a., Häufigkeitsangaben zum sexuellen Missbrauch, Internationale Einordnung, Bewertung der Kenntnislage in Deutschland, Beschreibung des Entwicklungsbedarfs , Expertise, Januar 2016, abrufbar unter: https://beauftragter-missbrauch .de/fileadmin/Content/pdf/Pressemitteilungen/Expertise_H%C3%A4ufigkeitsangaben.pdf (S. 17-19). 5. Weitere Vorgaben für die Versorgung von Opfern sexualisierter Gewalt Im September 2012 haben die Bundesärztekammer (BÄK), die Bundespsychotherapeutenkammer , die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung gemeinsam eine Rahmenempfehlung verabschiedet: Rahmenempfehlung zur Verbesserung des Informationsangebots, der Zusammenarbeit in der Versorgung von Opfern sexuellen Missbrauchs und des Zugangs zur Versorgung, September 2012, abrufbar unter: https://www.kbv.de/media/sp/201208_Rahmenempfehlung _Opfer_sexuellen_Missbrauchs.pdf. Sie verfolgt insbesondere die Ziele, die Verfügbarkeit bestehender Therapieangebote zu verbessern und die Angebote weiterzuentwickeln. Hierzu werden konkrete Maßnahmen in den Blick genommen, wie etwa die Entwicklung spezifischer Fortbildungsangebote für Therapeuten für die Behandlung besonders schwer oder komplex traumatisierter Opfer von sexueller Gewalt (3.2.4). Siehe hierzu auch: Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Versorgung von Opfern sexuellen Missbrauchs, Informationen zur Rahmenempfehlung , abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung /opferhilfe-sexueller-missbrauch.html. Anlässlich des Missbrauchsfalls in Staufen/Breisgau im Jahr 2018 verfasste der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs Empfehlungen für Bund, Länder und die kommunale Ebene. Sie wurden anlässlich des Expertengesprächs der Kommission Kinderschutz des Landes Baden-Württemberg mit dem Beauftragten am 28. Januar 2019 in Stuttgart erarbeitet. Sie sind abrufbar unter: https://www.bag-asd.de/wp-content/uploads/2019/11/Empfehlung UBSKMStaufen.pdf. Zu den insgesamt elf Empfehlungen zählt u. a. die Erstellung einer Bedarfsanalyse zum Beratungsbedarf durch spezialisierte Fachberatung (Empfehlung 4), mit deren Hilfe die Arbeit der Beratungsstellen landesweit finanziell und personell abgesichert werden soll. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) hat im Februar 2018 die sog. Kinderschutzleitlinie veröffentlicht, die S3-Leitlinie Kindesmisshandlung , -missbrauch und –vernachlässigung unter Einbindung der Jugendhilfe und Pädagogik vom 7. Februar 2019,6, abrufbar unter: https://www.kinderschutzleitlinie.de/de/leitlinie /leitlinie-materialien-zum-downloaden-1/langfassung-der-kinderschutzleitlinie. Die Leitlinie 6 Zu den Leitlinien und der Klassifikation von S3-Leitlinien siehe die Internetseite der AWMF, https://www.awmf.org/leitlinien.html. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 11 soll Fachkräften Handlungsempfehlungen zum Erkennen, Feststellen und Sichern geben sowie Schutz vor Reviktimisierung bei den Opfern ermöglichen. Anhaltspunkte für einen Missbrauch, eine Misshandlung oder Vernachlässigung sollen objektiviert werden und es soll ermöglicht werden , Prognosen im Hinblick auf die weitere Gefährdung der Kinder und Jugendlichen zu entwickeln . Bereits im Dezember 2018 hat die AWMF eine aktualisierte S3-Leitlinie der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (federführende Gesellschaft) für die Traumaanamnese erlassen . https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/155-001l_S3_Posttraumatische_Belastungsstoerung _2020-02_1.pdf. Diese nimmt auch die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bei Kindern und Jugendlichen in den Blick und formuliert Empfehlungen für deren Behandlung. 6. Das Ergänzende Hilfesystem des Bundes für Fälle sexuellen Missbrauchs Auf der Basis der Ergebnisse des Runden Tisches „Sexueller Kindes-Missbrauch“ vom November 2011 wurde das Ergänzende Hilfesystem (EHS) entwickelt. Es soll Opfern sexueller Gewalt zugutekommen und sicherstellen, dass noch andauernde Belastungen ausgeglichen bzw. gemildert werden. Siehe: Fonds Sexueller Missbrauch, Was ist das „Ergänzende Hilfesystem (EHS)“?, abrufbar unter: https://www.fonds-missbrauch.de/meldungen/fragen-und-antworten /was-ist-das-ergaenzende-hilfesystem-ehs/. 6.1. Der Fonds „Sexueller Missbrauch im familiären Bereich“ Seit dem 1. Mai 2013 gibt es im Rahmen des EHS den Fonds „Sexueller Missbrauch im familiären Bereich“. Betroffene haben hier die Möglichkeit, Anträge auf Hilfeleistungen (Sachleistungen, etwa in Form von Therapien, bis max. 10.000 Euro) bei der Geschäftsstelle des Fonds zu stellen. Zu dem familiären Bereich zählen auch Personen im familiären Umfeld, wie etwa der Lebensgefährte eines Elternteils, aber auch z. B. der Babysitter. Der Fonds soll die Betroffenen insbesondere da unterstützen, wo die finanzielle Unterstützung durch die Krankenversicherung fehlt, also z. B. dann, wenn die Finanzierung durch die Krankenversicherung endet, wenn vor dem Beginn einer krankenkassenfinanzierten Therapie eine Überbrückung erforderlich ist oder schließlich auch dann, wenn die Krankenkasse die gewählte Therapie nicht erstattet. Die Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung (DPtV) hat im Juni 2020 darauf hingewiesen, dass es offenbar erhebliche Verzögerungen bei der Bearbeitung der Anträge gebe. Siehe: DPtV, Opfer sexuellen Missbrauchs nicht alleine lassen! DPtV kritisiert Verwaltungsverfahren bei Fonds für sexuellen Missbrauch, Pressemitteilung, abrufbar unter: https://www.deutschepsychotherapeutenvereinigung .de/gesundheitspolitik/aktuelle-meldungen/news-bund/news/opfer-sexuellenmissbrauchs -nicht-alleine-lassen/. 6.2. Das „Ergänzende Hilfesystem im institutionellen Bereich“ Das „Ergänzende Hilfesystem Institutioneller Bereich“ soll Betroffene unterstützen, die als Kinder oder Jugendliche in staatlichen oder nicht-staatlichen Einrichtungen sexuell missbraucht worden sind. Hier beteiligen sich eine Reihe von Institutionen, wie etwa die Deutsche Bischofskonferenz , der Deutsche Caritasverband e. V., das Deutsche Rote Kreuz e. V., aber auch einige Bundesländer. Mit den jeweiligen Institutionen hat der Bund bilaterale Vereinbarungen zur Über- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 12 nahme deren Arbeitgeberverantwortung getroffen. Sexuell Missbrauchte können auch hier Sachleistungen in Form von Psychotherapien bis max. 10.000 Euro beantragen. Die Laufzeit für entsprechende Anträge war ursprünglich auf Ende August 2016 terminiert, eine Reihe von Institutionen beteiligen sich aber weiterhin an dem Hilfesystem. 7. Spezialisierte Beratungsangebote Nach einer Expertise, die der Arbeitsstab des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs im Februar 2016 herausgegeben hat, gibt es aktuell bundesweit 523 Beratungseinrichtungen , die als Fachberatungsstellen bei sexuellem Missbrauch verstanden werden, siehe: Kavemann, Barbara/ Nagel, Bianca/ Hertlein, Julia, Fallbezogene Beratung und Beratung von Institutionen zu Schutzkonzepten bei sexuellem Missbrauch, Erhebung von Handlungsbedarf in den Bundesländern und von Bedarf an Weiterentwicklung der Fachberatungsstellen, abrufbar unter: https://beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Presse_Service/Hintergrundmaterialien /Expertise_Fachberatungsstellen.pdf. Die politische Interessenvertretung der Fachberatungsstellen wird von der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKFS) wahrgenommen , siehe deren Internetauftritt: https://www.bundeskoordinierung.de/. Die Fachberatungsstellen haben bundesweit ganz unterschiedliche Organisations- und Finanzierungsstrukturen . Es gibt Beratungsstellen, die staatliche, regelfinanzierte Kinderschutzstellen sind, andere sind nicht-staatlich, waren dies aber früher und wurden umgewidmet und werden nach wie vor regelfinanziert, teilweise arbeiten Beratungsstellen unter dem Träger eines Wohlfahrtsverbandes oder unter einem Jugendhilfeträger und sind ebenfalls finanziell abgesichert. Daneben gibt es aber auch zahlreiche Stellen, die keinerlei staatliche Finanzierung erhalten oder diese regelmäßig beantragen müssen. Siehe hierzu die Ausführungen in der Expertise von Kavemann / Nagel/ Hertlein, https://beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Presse_Service /Hintergrundmaterialien/Expertise_Fachberatungsstellen.pdf. Zur Frage der Finanzierung der Beratungsstellen siehe im Übrigen die Dokumentation zum Fachtag der BKFS am 16. November 2017 in Berlin, Auf dem Weg zu einer bedarfsgerechten Unterstützung von Betroffenen – Aufgaben und Herausforderungen der spezialisierten Fachberatungsstellen , abrufbar unter: https://www.bundeskoordinierung.de/kontext/controllers /document.php/142.c/e/5359c6.pdf. Ausführungen zur Bedeutung von Fachberatungsstellen und Traumaambulanzen finden sich bei: Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend, Fachberatungsstellen und Traumaambulanzen – zwei sich ergänzende Bausteine in der Unterstützung gewaltbetroffener Menschen, 20. Dezember 2017, abrufbar unter: https://www.bundeskoordinierung.de/de/topic/44.traumaschutzambulanzen.html. 8. Studien und weitere Untersuchungen zum Stand der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit sexuellen Gewalterfahrungen In den vergangenen Jahren sind eine Reihe von Studien durchgeführt worden, die sich neben der Häufigkeit von sexuellem Kindesmissbrauch auch mit Fragen der Inanspruchnahme von thera- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 13 peutischer Versorgung, den Wartezeiten auf einen Therapieplatz und nicht zuletzt den Spätfolgen der traumatischen Erlebnisse befassen. Viele Untersuchungen wurden am Kompetenzzentrum Kinderschutz in der Medizin in Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm unter Leitung von Prof. Dr. Jörg M. Fegert, der Leiter des Kompetenzzentrums und Präsident der Deutschen Traumastiftung ist, durchgeführt. Anlässlich des Weltgesundheitstags am 7. April 2018 berichtete Prof. Fegert über erste Auswertungen vom März 2018 zu einer Studie, die im Auftrag des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs durchgeführt werde. Mehr als 2500 Personen von über 14-Jährigen hätten daran teilgenommen. Mehr als 50 Prozent der Befragten seien der Auffassung gewesen , das Gesundheitssystem müsse besser auf den Umgang mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs vorbereitet sein. 90 Prozent hätten sich dafür ausgesprochen, das Thema altersangemessen gerade auch in Schulen und Kitas bekannt zu machen. Mehr als zwei Drittel der Befragten hätten die Ansicht vertreten, es würde bislang nicht genug investiert, um Kindesmissbrauch zu verhindern und Betroffene angemessen zu unterstützen. Siehe hierzu: Kinder- und Jugendpsychiatrie /Psychotherapie Universitätsklinikum Ulm, Prof. Jörg M. Fegert, Statement zum Weltgesundheitstag 2018, Umfassende Gesundheitsversorgung für Betroffene sexuellen Missbrauchs – weiterhin ein Desiderat – eklatante Unterversorgung von Kindern und Jugendlichen, Stand: 30. März 2018, abrufbar unter: https://www.dgfpi.de/files/homepage/Aktuelles /News%202018/2018-03-30_Statement_Prof_Fegert_Uniklinik_Ulm_Weltgesundheitstag.pdf. Münzer, Annika/Rosner, Rita/ Ganser, Helene Gertrud, u. a. veröffentlichten im Jahr 2018 Ergebnisse zu einer Studie, in der die Inanspruchnahme psychiatrischer und psychotherapeutischer Hilfen durch misshandelte Kinder und Jugendliche, die eine PTBS entwickelt hatten mit einer Gruppe anderer, die andere psychische Störungen aufwiesen, verglichen wurde. 241 junge Menschen im Alter zwischen vier und 17 Jahren hätten an der Untersuchung teilgenommen. 65 Prozent derjenigen, die auf Grund des Missbrauchs an einer PTBS litten, hätten keine therapeutische Hilfe in Anspruch genommen. Zu den weiteren Einzelheiten siehe: Münzer, Annika/ Rosner, Rita, u. a., Usual Care for Maltreatment-Related Pediatric Posttraumatic Stress Disorder in Germany , in: Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 2018, S. 135-141, abrufbar unter: https://econtent.hogrefe.com/doi/full/10.1024/1422-4917/a000548. Bereits im Jahre 2015 berichteten Münzer, Annika/ Fegert, Jörg M. u. a. über eine Studie, deren Teilnehmer mit Hilfe von Beratungsstellen gegen sexuelle Gewalt und Jugendämtern rekrutiert worden seien. An der Befragung hätten 70 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sechs und 17 Jahren teilgenommen. Rund 40 Prozent von ihnen hätten mitgeteilt, dass sie bezogen auf den erlittenen Missbrauch therapeutische Hilfe in Anspruch genommen hätten. Mehr als die Hälfte der Übrigen hätten die Kriterien einer gegenwärtigen Störung nach ICD-10 erfüllt. Die Autoren geben allerdings zu bedenken, dass die Daten zum einen nicht auf einer repräsentativen, sondern auf einer hoch selektiven Stichprobe beruhen würden, und dass es sich zum anderen um junge Menschen gehandelt habe, die bereit gewesen seien, ihre Erfahrungen mitzuteilen und deren Sorgeberechtigte der Befragung zugestimmt hätten. Siehe hierzu: Münzer, Annika/ Fegert, Jörg M. u. a., Inanspruchnahme professioneller Hilfen durch sexuell viktimisierte Kinder und Jugendliche , in Nervenheilkunde 2015, S. 26-32. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 14 Ganser, Helene Gertrud/ Münzer, Annika u. a. haben im Jahr 2016 Ergebnisse einer Studie mit 322 Kindern und Jugendlichen im Alter von vier bis 17 Jahren veröffentlicht, die im Zeitraum von 2012 bis 2015 befragt worden seien, und zwar sowohl zu den erlittenen Misshandlungen als auch zu den in Anspruch genommenen Hilfen. Mehr als 85 Prozent hätten mehr als eine Form der Kindesmisshandlung erlebt. Während mehr als 60 Prozent aller Befragten angegeben hätten, dass sie zumindest aus einem Beratungsbereich Hilfe erhalten hätten, hätte nur etwas mehr als ein Drittel aller Befragten psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung in Anspruch genommen . Die Autoren kommen deshalb zu dem Ergebnis, dass ihre Annahme einer bestehenden Unterversorgung bestätigt worden sei. Gründe hierfür seien mit Hilfe weiterer Studien zu identifizieren . Vgl. hierzu: Ganser, Helene Gertrud/Münzer, Annika, u. a., Kinder und Jugendliche mit Misshandlungserfahrungen: bekommen sie die Versorgung, die sie brauchen?, in: Bundesgesundheitsblatt 2016, S. 803-810, abrufbar unter: https://www.springermedizin.de/kindesmissbrauch /kindesmissbrauch/kinder-und-jugendliche-mit-misshandlungserfahrungen-bekommensie /10190174. Im Jahr 2013 legten Prof. Fegert/ Bergmann, Christine u. a. den Bericht über eine Studie vor, die auf Befragungen beruht habe, die bei der Anlaufstelle des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs mit 4750 Betroffenen durchgeführt worden seien. Das durchschnittliche Alter der Befragten sei 46 Jahre gewesen. Schwerpunkt seien in der Vergangenheit geschehene, schwere oder andauernde Missbrauchsfälle im familiären oder institutionellen Kontext gewesen. Die Autoren stellten im Ergebnis fest, dass bei den Betroffenen großer Bedarf am Ausbau und der Spezialisierung von Therapie- und Beratungsangeboten bestünde. Siehe: Fegert, Jörg M./ Bergmann, C., u. a., Belastungen durch sexuellen Missbrauch und medizinische und therapeutische Behandlung, Erfahrungen und Forderungen von Betroffenen, in: Nervenheilkunde 2013, S. 827-833. Die Bundes-Psychotherapeuten-Kammer (BPtK) hat im Jahr 2018 die Ergebnisse einer Studie zum Thema „Wartezeiten“ veröffentlicht. Anlässlich des Ablaufs des ersten Jahres nach Verabschiedung der Reform der Psychotherapeuten-Richtlinie habe das Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf im Auftrag der Bundespsychotherapeutenkammer und der Landespsychotherapeutenkammern im November und Dezember 2017 eine Online-Befragung der Vertragspsychotherapeuten durchgeführt. Befragt worden seien psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, die in der vertragspsychotherapeutischen Versorgung arbeiten würden . Mehr als 9.000 Therapeuten hätten an der Befragung teilgenommen. Es sei deutlich geworden , dass sich nach der Reform der Richtlinie die Wartezeit auf ein erstes Gespräch deutlich verringert habe, die Wartezeit auf einen ersten Behandlungstermin danach jedoch nach wie vor sehr hoch sei. Bei einer sog. Richtlinientherapie habe – so das Ergebnis der Befragung – die Dauer der Wartezeit für Kinder und Jugendlichen bei fast 18 Wochen im Mittelwert gelegen, bei Erwachsenen bei rund 20 Wochen. Siehe: BPtK, Studie, Ein Jahr nach der Reform der Psychotherapie- Richtlinie, Wartezeiten 2018, 11. April 2018, abrufbar unter: https://www.bptk.de/wp-content /uploads/2019/01/20180411_bptk_studie_wartezeiten_2018.pdf (S. 15). Im Zeitraum September 2011 bis November 2012 hat nach einem Bericht von Sommer die Initiative Phoenix – Bundesnetzwerk für angemessene Psychotherapie e. V. eine Studie durchgeführt, an der 1334 Personen teilgenommen hätten, wobei es sich bei 673 von ihnen um Betroffene, d. h. Therapiebedürftige gehandelt habe, die zum Zeitpunkt der Umfrage oder zuvor in Therapie gewesen seien. Mehr als ein Drittel der Betroffenen habe das Antragsverfahren bei der jeweiligen Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 15 Krankenkasse als verunsichernd beschrieben. Aus finanziellen Gründen hätten viele ihre ambulante Psychotherapie unterbrochen. Die Untersuchung habe gezeigt, dass niederschwellige Angebote für schwer und komplex traumatisierte Menschen fehlen würden und die Wartezeiten auf einen Therapieplatz zu lang seien. Zu den weiteren Einzelheiten siehe: Sommer, Johanna, Die psychotherapeutische Versorgungsrealität komplex traumatisierter Menschen in Deutschland, Ergebnisse einer Studie der Initiative Phoenix – Bundesnetzwerk für angemessene Psychotherapie e. V., in: Trauma & Gewalt, 2016, S. 308-319. Im Januar 2017 legte das Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf den Endbericht eines Gutachtens vor, „Therapieangebote für psychisch traumatisierte, von Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche in Deutschland“. Siehe: UKE Hamburg, Wissenschaftliches Gutachten, Endbericht, Stand: Januar 2017, abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien /5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/Abschlussbericht_Therapieangebote_fuer_traumatisierte _Kinder.pdf. Der Bericht enthält eine umfassende Bestandsaufnahme zu unterschiedlichen „Arbeitspaketen“ und formuliert für die künftige Befassung mit dem Thema drei zentrale Punkte: Die Betroffenen sollten in die Analyse von Hindernissen einer adäquaten Versorgung mit einbezogen werden, insbesondere zu Fragen der Kostenübernahme und der Nutzung integrativer Therapieangebote, Die Funktion der Beratungsstellen müsse weiter analysiert werden sowie Weitere Studien seien erforderlich, um die Wirksamkeit von Therapieverfahren zu untersuchen und damit langfristig zu erhöhen. Weiterführende Informationen zur Thematik der Versorgungssituation enthält der Beitrag von Pawils , Silke/ Nick, Susanne u. a., Versorgungssituation von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit sexuellen Gewalterfahrungen in Deutschland, Ein kritischer Überblick, in: Bundesgesundheitsblatt 2017, S. 1046-1054. Im September 2018 hat die Deutsche Bischofskonferenz den Bericht über das Forschungsprojekt „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht, abrufbar unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-Studie-gesamt .pdf. Ziel sei es gewesen, „die Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs… zu ermitteln, die Formen sexuellen Missbrauchs zu beschreiben und kirchliche Strukturen und Dynamiken zu identifizieren , die das Missbrauchsgeschehen begünstigen könnten.“ Alle Diözesen in Deutschland hätten sich an der Untersuchung beteiligt. Untersucht worden seien die Jahre 1946 bis 2014. Insgesamt seien 3677 Kinder und Jugendliche von sexuellem Missbrauch betroffen gewesen. Etwas mehr als 25 Prozent dieser jungen Menschen hätten unter psychischen bzw. sozialen Folgen zu leiden (siehe S. 153 des Berichts). Die Studie hat allerdings viel Kritik erfahren, darunter auch von Theologen. Die Wissenschaftlichkeit einzelner Projekte im Rahmen der Studie sei fraglich, problematisch sei auch die Aktenführung gewesen, insbesondere deshalb, weil gerade Berichte in den Akten bei der Identifizierung von Vorfällen eine wichtige Rolle gespielt hätten. Vgl. hierzu: Lütz, Manfred: Missbrauchsstudie „mangelhaft und kontraproduktiv“ , in: Die Tagespost, Katholische Zeitschrift für Politik, Gesellschaft und Kultur, 22. September 2018, abrufbar unter: https://www.die-tagespost.de/kirche-aktuell/Manfred-Luetz-Missbrauchsstudie-mangelhaft-undkontraproduktiv ;art312,192172. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 16 9. Ansätze für die weitere Entwicklung der therapeutischen Versorgung Anlässlich der dramatischen Fälle von Kindesmissbrauch in Münster, die im Juni 2020 bekannt geworden sind, veröffentlichte die BKSF neue Überlegungen, die auch die Verbesserung der Versorgung für Betroffene betrifft: „Konkret fordern wir: Die Sicherstellung eines Ausbaus für bedarfsgerechte , flächendeckende Versorgung aller Betroffenen im Zuge der richtigen und notwendigen Sensibilisierungskampagne.“ Die Stellungnahme der BKSF ist abrufbar über die Internetseite der BKSF: https://www.bundeskoordinierung.de/de/article/266.was-tun-gegen-sexualisierte -gewalt-%C3%BCberlegungen-der-bksf-angesichts-der-diskussion-zu-m%C3%BCnster.html. Am 10. Oktober 2018 startete die Kampagne „100% für Beratung“. Die BKSF, unterstützt von Bundesministerin Dr. Franziska Giffey, warb seitdem für mehr Anerkennung der Fachberatungsstellen . Sie forderte vor allem eine gute und sichere Finanzierung der Fachberatungsstellen durch Länder und Kommunen. Die Ministerin hob zu Beginn der Kampagne hervor: „Bund, Länder und Kommunen stehen gemeinsam in der Pflicht, spezialisierte Fachberatungsstellen finanziell und strukturell zu stärken.“ Siehe: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Aktuelle Meldung, Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt fordern bessere Bedingungen , 10. Oktober 2018, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/fachberatungsstellen-gegensexualisierte -gewalt-fordern-bessere-bedingungen/129626. Der Betroffenenrat äußerte sich anlässlich des Weltgesundheitstages 2018 ebenfalls zur Versorgungslage . Zu unterscheiden seien einerseits die niedrigschwellig zugängliche kostenfreie Unterstützung in Fachberatungsstellen und andererseits die Behandlung bei niedergelassenen Therapeuten . Die kostenfreien Angebote seien zwar leicht zugänglich, mangels einer Regelfinanzierung könnten die Einrichtungen aber keine längerfristigen Beratungen anbieten. Bei der Suche nach einem niedergelassenen Therapeuten stelle sich zunächst die Frage nach der Kassenzulassung. Vor allem aber müssten die Betreffenden lange Wartezeiten in Kauf nehmen und riskierten darüber hinaus, dass der freie Therapieplatz fachlich mitunter nicht der richtige sei. Siehe hierzu: Statement des Betroffenenrates zum Weltgesundheitstag 2018, Lücken im System: Warum die gesundheitliche Versorgung Erwachsener mit sexueller Gewalterfahrung dringend einer Anpassung bedarf, 2. April 2018, abrufbar unter: https://beauftragter-missbrauch.de/betroffenenrat/aktuelles /detail/statement-des-betroffenenrats-zum-weltgesundheitstag-2018. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 056/20 Seite 17 Prof. Jörg M. Fegert hat im Juni 2020 zur aktuellen Debatte um Gesetzesänderungen in Bezug auf sexuellen Missbrauch zehn Thesen formuliert, abrufbar unter: https://www.uniklinikulm .de/fileadmin/default/Kliniken/Kinder-Jugendpsychiatrie/Downloads/Thesenpapier_Kinderschutz _Fegert_2020.pdf: (1) Die gesetzlichen Grundlagen sind gut, das Problem ist die unzureichende Umsetzung. (2) Regelmäßiges Monitoring des Kinderschutzes ist erforderlich, um Entwicklungen erkennen zu können. (3) Wichtig ist ein interdisziplinäres Vorgehen, insbes. bei der Risikoabschätzung. (4) Die zunehmenden Herausforderungen, die sich aus der steigenden Digitalisierung, Internetkriminalität und organisiertem Kindesmissbrauch ergeben, müssen in den Fokus genommen werden. (5) Das sogenannte „Sexting“ unter Jugendlichen ist als gesondertes Phänomen zu beachten. (6) Betroffene Kinder müssen trotz laufender Strafverfahren gestärkt werden. (7) Der Zugang zu Hilfsangeboten, zu Frühintervention und zu Therapie muss flächendeckend ermöglicht werden. (8) Mit Hilfe von individuellen Schutzkonzepten muss im Falle von Inobhutnahmen und Fremdunterbringung betroffener Kinder und Jugendlicher Qualitätssicherung erreicht werden. (9) Spezifische Beratung muss gestärkt werden und die „insoweit erfahrenen Fachkräfte“ müssen besser ausgebildet und Beratungsangebote für Fachkräfte in Heilberufen und der Schule verstetigt werden. (10) Die neuen Möglichkeiten für webbasierte Fortbildungen, die auf Grund der Corona-Pandemie entwickelt worden sind, müssen weiterentwickelt werden. ***