© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 050/20 Entschädigungsansprüche infolge der Corona-bedingt angeordneten behördlichen Maßnahmen gegen Einzelne Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 050/20 Seite 2 Entschädigungsansprüche infolge der Corona-bedingt angeordneten behördlichen Maßnahmen gegen Einzelne Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 050/20 Abschluss der Arbeit: 23. Juni 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 050/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Ansprüche infolge behördlicher Maßnahmen 4 2.1. Ansprüche bei rechtmäßigen Maßnahmen 6 2.1.1. § 56 Infektionsschutzgesetz 6 2.1.2. § 65 Infektionsschutzgesetz 7 2.1.3. Sperrwirkung des Infektionsschutzgesetzes 8 2.1.4. Allgemeines landesrechtliches Polizei- und Ordnungsrecht 8 2.1.5. Ansprüche aus enteignendem Eingriff 9 2.2. Ansprüche bei rechtswidrigen Maßnahmen 11 2.2.1. § 56 Infektionsschutzgesetz 11 2.2.2. Allgemeines landesrechtliches Polizei- und Ordnungsrecht 11 2.2.3. Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i. V. m. 34 GG 11 2.2.4. Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff 12 3. Ansprüche gegen Privatpersonen 13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 050/20 Seite 4 1. Vorbemerkung Im Zuge der Corona-Pandemie kam es in den vergangenen Monaten zu flächendeckenden Betriebsschließungen, die ganze Branchen betrafen.1 Die Schließungen, die mehrere Wochen anhielten , brachten eine Vielzahl von Betrieben und Selbstständigen in finanzielle Schwierigkeiten .2 Um sie zu unterstützen, wurden von der Bundesregierung und den Bundesländern seitdem diverse Hilfspakete auf den Weg gebracht.3 Darüber hinaus stellt sich für die Betroffenen die Frage nach möglichen Entschädigungsansprüchen. Informationen über eventuelle Entschädigungsansprüche infolge der flächendeckenden Betriebsschließungen aufgrund von Verordnungen der Bundesländer enthalten bereits zwei Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages.4 Der vorliegende Sachstand beleuchtet die unterschiedlichen behördlichen Maßnahmen und gibt anschließend einen Überblick über mögliche Entschädigungsansprüche nach angeordneten Maßnahmen gegen Einzelne. 2. Ansprüche infolge behördlicher Maßnahmen Die behördlichen Maßnahmen können unterteilt werden in Maßnahmen gegen eine Vielzahl von Personen und Maßnahmen gegen Einzelne. Schon zu Beginn der Pandemie kam es zu flächendeckenden Betriebsschließungen. Die meisten Bundesländer machten dafür von der Verordnungsermächtigung nach § 32 Infektionsschutzgesetz (IfSG)5 Gebrauch und erließen zahlreiche Infektionsschutzmaßnahmen per Rechtsverordnung. Teilweise wurden jedoch - vor allem zu Beginn der 1 Siehe beispielsweise die „Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin“ vom 22. März 2020, abrufbar unter: file:///C:/Users/verwd9ma03/Downloads/001_konsolidierte_eindaemmungsmassnahmenvo_240320.pdf. 2 Gaul/Steffen/Groll, So hilft der Staat Unternehmen durch die Krise, in: Zeit Online vom 19. März 2020, abrufbar unter: https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2020-03/coronavirus-wirtschaftskrise-deutschland-unternehmen -selbststaendige-hilfe-staat. 3 Siehe etwa die Informationen des Bundesministeriums der Finanzen vom 22. Mai 2020, abrufbar unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlaglichter/Corona-Schutzschild /2020-03-13-Milliarden-Schutzschild-fuer-Deutschland.html (Stand: 17. Juni 2020); Siehe zudem die Soforthilfe-Programme der Bundesländer, z. B. Berlin (https://www.ibb.de/de/foerderprogramme/soforthilfecorona .html), Niedersachsen (https://www.nbank.de/Unternehmen/Investition-Wachstum/Niedersachsen-Soforthilfe -Corona/index.jsp). 4 „Anspruchsgrundlagen für Entschädigungen für Corona-bedingte Vermögensschäden von Betrieben“, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 7. Mai 2020, WD 3 - 3000 - 117/20, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/696520/d9175d67a1dad5e87b424f10d2eb2363/WD-3-117- 20-pdf-data.pdf; „Entschädigung für Betriebsschließungen aufgrund von Verordnungen nach § 32 Infektionsschutzgesetz ?“, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 23. April 2020, WD 3 - 3000 - 100/20, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/696608/044bdab751eab8e0b488503242437e34/WD-3-100-20-pdf-data.pdf. 5 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Mai 2020 (BGBl. I S. 1018) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 050/20 Seite 5 Pandemie - auch Allgemeinverfügungen erlassen.6 Allgemeinverfügungen gemäß § 35 S. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)7 weisen im Gegensatz zu Rechtsverordnungen eine Einzelfallbezogenheit auf, wobei es auf eine bestimmte Adressatenanzahl nicht ankommt.8 Diese Einzelfallbezogenheit wird hinsichtlich der Betriebsschließungen bezweifelt, da die Allgemeinverfügungen für ganze Städte oder Bundesländer erlassen wurden. Jedoch wird den Behörden vor allem für die Anfangsphase der Pandemie aufgrund des Grundsatzes der Effektivität der infektionsspezifischen Gefahrenabwehr ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. 9 Zudem haben die Bundesländer die Allgemeinverfügungen mittlerweile durch Rechtsverordnungen ersetzt.10 Unterschiede bezüglich der Entschädigungsregelungen dürften sich nicht ergeben, insbesondere wurden beide Handlungsformen auf das Infektionsschutzgesetz gestützt.11 Weiterhin können die Behörden auch Maßnahmen gegen Einzelne mithilfe von Verwaltungsakten erlassen, bei denen ebenfalls Entschädigungsansprüche in Betracht kommen. Da Gegenstand der aktuellen Literatur bisher vor allem Ansprüche aufgrund von flächendeckenden Betriebsschließungen waren, sollen vorliegend Entschädigungsansprüche infolge dieser Einzelmaßnahmen beleuchtet werden. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 30 IfSG kann die jeweils zuständige Behörde Quarantänemaßnahmen gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider12 anordnen. Zudem kann sie nach § 28 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 31 IfSG „die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten ganz oder teilweise untersagen“, § 31 IfSG. Damit ein- 6 So erließen Bayern (https://www.verkuendung-bayern.de/baymbl/2020-143/), das Saarland (https://corona.saarland .de/DE/service/downloads/_documents/corona-verfuegungen/dld_2020-03-18-infektionsschutzgesetz .pdf?__blob=publicationFile&v=1) und Sachsen (https://www.coronavirus.sachsen.de/download/20-03- 31AllgV-VeranS_Verbot-von-Veranstaltungen.pdf) Allgemeinverfügungen. 7 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 5 Absatz 25 des Gesetzes vom 21. Juni 2019 (BGBl. I S. 846) geändert worden ist. 8 Siegel, Verwaltungsrecht im Krisenmodus, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2020, 577 (579). 9 Rixen, Gesundheitsschutz in der Coronavirus-Krise - Die (Neu-)Regelungen des Infektionsschutzgesetzes, in: Neue Juristische Wochenschrift 2020, 1097 (1100); Siegel, Verwaltungsrecht im Krisenmodus, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2020, 577 (579). 10 Bayern (https://www.verkuendung-bayern.de/files/baymbl/2020/130/baymbl-2020-130.pdf), Saarland (https://corona.saarland.de/DE/service/medieninfos/_documents/pm_2020-03-30-rechtsverordnung.html), Sachsen (https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/235356); Siegel, Verwaltungsrecht im Krisenmodus, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2020, 577 (580). 11 Die in Betracht kommenden Entschädigungsansprüche wurden von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages in zwei Ausarbeitungen bereits ausführlich dargestellt: „Anspruchsgrundlagen für Entschädigungen für Corona-bedingte Vermögensschäden von Betrieben“, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 7. Mai 2020, WD 3 - 3000 - 117/20, abrufbar unter: https://www.bundestag .de/resource/blob/696520/d9175d67a1dad5e87b424f10d2eb2363/WD-3-117-20-pdf-data.pdf; „Entschädigung für Betriebsschließungen aufgrund von Verordnungen nach § 32 Infektionsschutzgesetz?“, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 23. April 2020, WD 3 - 3000 - 100/20, abrufbar unter : https://www.bundestag.de/resource/blob/696608/044bdab751eab8e0b488503242437e34/WD-3-100-20-pdfdata .pdf. 12 Definitionen der Begriffe befinden sich in § 2 IfSG. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 050/20 Seite 6 her geht häufig eine vorübergehende Betriebsschließung. Die in Betracht kommenden Entschädigungsansprüche werden im Folgenden vorgestellt und dabei in Ansprüche nach rechtmäßigen und rechtswidrigen Maßnahmen unterteilt. 2.1. Ansprüche bei rechtmäßigen Maßnahmen 2.1.1. § 56 Infektionsschutzgesetz § 56 IfSG gewährt Störern Entschädigung für den Fall, dass jemand „auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet.“ Die Regelung bezieht sich auf § 31 IfSG, wonach die zuständigen Behörden Tätigkeitsverbote erteilen können. Nach Satz 2 gilt das Gleiche „für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können.“ Die Absonderung, auch Quarantäne genannt, ist in § 30 IfSG geregelt. Eine Entschädigung erhalten auch Selbstständige und in Heimarbeit Beschäftigte.13 Darüber hinaus scheidet eine Ausdehnung des Personenkreises aufgrund des eindeutigen Wortlauts aus.14 Zudem kommt ein Entschädigungsanspruch nur bei den in § 56 IfSG genannten Maßnahmen in Betracht.15 Darüber hinaus haben auch Kranke keinen Anspruch auf Entschädigung, da sie bereits durch die Krankheit arbeitsunfähig sind und daher anderweitige gesetzliche Ansprüche bzw. Ansprüche aus privaten Versicherungen haben.16 Zu beachten ist, dass es sich bei § 56 IfSG lediglich um eine Billigkeitsregelung handelt, da Störer , gegenüber denen rechtmäßige Maßnahmen getroffen werden, diese normalerweise entschädigungslos hinnehmen müssen.17 Es handelt sich somit nicht um eine Art Schadensersatz, sondern nur um den Schutz des Betroffenen vor materieller Not, verursacht durch die angeordneten Maßnahmen .18 Die Höhe der Entschädigung folgt aus § 56 Abs. 2 IfSG: „Die Entschädigung bemisst sich nach dem Verdienstausfall. Für die ersten sechs Wochen wird sie in Höhe des Verdienstausfalls gewährt . Vom Beginn der siebenten Woche an wird sie in Höhe des Krankengeldes nach § 47 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gewährt, soweit der Verdienstausfall die für die gesetzliche 13 Gerhardt, Infektionsschutzgesetz Kommentar, 3. Auflage 2020, § 56 Rn. 21. 14 Winter/Thürk in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 19. 15 Gerhardt, Infektionsschutzgesetz Kommentar, 3. Auflage 2020, § 56 Rn. 6; Winter/Thürk in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 18. 16 Gerhardt, Infektionsschutzgesetz Kommentar, 3. Auflage 2020, § 56 Rn. 4. 17 Gerhardt, Infektionsschutzgesetz Kommentar, 3. Auflage 2020, § 56 Rn. 1. 18 BGH, Urteil vom 30. November 1978, Az. III ZR 43/77, NJW 1979, 422 (424); Erdle, Infektionsschutzgesetz Kommentar , 7. Auflage 2020, § 56 Vorbemerkung; Gerhardt, Infektionsschutzgesetz Kommentar, 3. Auflage 2020, § 56 Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 050/20 Seite 7 Krankenversicherungspflicht maßgebende Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht übersteigt.“ § 56 Abs. 3 IfSG definiert den Verdienstausfall als „Arbeitsentgelt (§ 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ), das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechenden Aufwendungen zur sozialen Sicherung in angemessenem Umfang zusteht (Netto- Arbeitsentgelt).“ Dies bedeutet, dass tatsächlich auch ein Verdienstausfall vorliegen muss. Bestehen anderweitige Ansprüche, wie beispielsweise ein Lohnfortzahlungsanspruch, so besteht kein Anspruch auf Entschädigung nach § 56 IfSG.19 Anderweitige Verluste, wie beispielsweise entgangener Gewinn oder frustrierte Aufwendungen, werden nicht ersetzt.20 Weitere Detailregelungen sind in § 56 IfSG zu finden. Beispielsweise muss der Arbeitgeber nach § 56 Abs. 5 IfSG für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, maximal für sechs Wochen, die Entschädigung für die zuständige Behörde auszahlen. Diese bekommt er dann auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet. Der Antrag muss gemäß § 56 Abs. 11 IfSG innerhalb von 12 Monaten nach dem Ende der Maßnahmen gestellt werden. Zudem muss die zuständige Behörde nach § 56 Abs. 12 IfSG dem Arbeitgeber bzw. dem Selbstständigen auf Antrag einen Vorschuss in der voraussichtlichen Höhe des Erstattungsbetrages bzw. der Entschädigung gewähren. Kein Anspruch auf Entschädigung besteht gemäß § 56 Abs. 1 S. 3 IfSG, wenn der Betroffene die Maßnahmen durch entsprechendes Verhalten hätte vermeiden können, ein Verschulden kann den Anspruch also ausschließen. In Betracht kommt dies beispielsweise bei Reisen in Risikogebiete ohne wichtigen Grund, wenn die Reisewarnung schon bei der Hinfahrt bestand.21 Durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 wurde ein neuer Entschädigungsanspruch für Eltern eingefügt, die einen Verdienstausfall erleiden, weil keine Betreuungsmöglichkeit für die Kinder zur Verfügung steht. Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob sie Störer oder Nichtstörer sind22 und wird für die Betreuung von Kindern, „die das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind“, gemäß § 56 Abs. 1 lit a) IfSG gewährt. 2.1.2. § 65 Infektionsschutzgesetz Ein weiterer infektionsschutzrechtlicher Anspruch ist der Entschädigungsanspruch gemäß § 65 IfSG. Danach müssen behördliche Maßnahmen aufgrund der §§ 16, 17 IfSG getroffen worden sein. Soweit ersichtlich, beruhen die von den Ländern getroffenen Maßnahmen jedoch auf 19 Erdle, Infektionsschutzgesetz Kommentar, 7. Auflage 2020, § 56 Rn. 5; Gerhardt, Infektionsschutzgesetz Kommentar , 3. Auflage 2020, § 56 Rn. 10. 20 Erdle, Infektionsschutzgesetz Kommentar, 7. Auflage 2020, § 56 Rn. 4; Gerhardt, Infektionsschutzgesetz Kommentar , 3. Auflage 2020, § 56 Rn. 16. 21 Weller/Lieberknecht/Habrich, Virulente Leistungsstörungen - Auswirkungen der Corona-Krise auf die Vertragsdurchführung , in: Neue Juristische Wochenschrift 2020, 1017 (1018); Winter/Thürk in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 20. 22 Winter/Thürk in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 21. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 050/20 Seite 8 § 28 Abs. 1 i. V. m. § 32 IfSG.23 Denn während die §§ 16ff. IfSG Regelungen für die Verhütung übertragbarer Krankheiten enthalten, geht es bei den §§ 24ff. IfSG um deren Bekämpfung. Die Maßnahmen wurden erst nach dem Ausbruch der Krankheit getroffen und daher auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützt.24 Für diesen Fall gewährt § 65 IfSG keine Entschädigung. 2.1.3. Sperrwirkung des Infektionsschutzgesetzes Da das Infektionsschutzgesetz sehr detaillierte Entschädigungsansprüche bereithält, stellt sich die Frage, ob auch Ansprüche außerhalb des Infektionsschutzgesetzes in Betracht kommen können . Aufschluss gibt dahingehend bereits die Begründung des Gesetzgebers zum Bundesseuchengesetz , dem Vorgänger des Infektionsschutzgesetzes, vom 27. Mai 1960: „Die Entschädigungsvorschriften des Siebenten Abschnitts stellen keine ausschließliche Regelung dar. Wie sich schon aus der Überschrift dieses Abschnitts ergibt, sind in ihm nur die wichtigsten der nach dem Gesetz in Betracht kommenden Entschädigungsfälle geregelt, ohne daß damit die Entschädigungspflicht in anderen Fällen, soweit eine solche auf Grund anderweitiger Rechtsvorschriften oder auf Grund Gewohnheitsrechts besteht, ausgeschlossen sein soll.“25 Dies lässt sich auch auf das Infektionsschutzgesetz übertragen, da die Entschädigungsregelungen im Wesentlichen übernommen wurden.26 Erkennbar ist dies auch an der Überschrift des 12. Abschnitts , die nach wie vor „Entschädigung in besonderen Fällen“ lautet.27 Anderweitige Entschädigungsansprüche , die über das Infektionsschutzgesetz hinausgehen, kommen somit in Betracht. 2.1.4. Allgemeines landesrechtliches Polizei- und Ordnungsrecht Die Möglichkeit der Anwendung von allgemeinem landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsrecht neben dem Infektionsschutzgesetz ist umstritten. Informationen zum aktuellen Streitstand enthält eine Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages.28 Bejaht man die Anwendbarkeit, so sind die Vorschriften jedoch nur in Einzelfällen anwendbar, nämlich 23 z. B. die Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin vom 22. März 2020, abrufbar unter: file:///C:/Users/verwd9ma03/Downloads /001_konsolidierte_eindaemmungsmassnahmenvo_240320.pdf. 24 Reschke, Entschädigungsansprüche für rechtmäßige infektionsschutzrechtliche Maßnahmen im Zuge der COVID-19-Pandemie, in: Die Öffentliche Verwaltung 2020, 423 (425). 25 BT-Drs. III/1888, S. 27. 26 BT-Drs. 14/2530, S. 88f.; Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 63. 27 Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 63. 28 „Anspruchsgrundlagen für Entschädigungen für Corona-bedingte Vermögensschäden für Betriebe“ Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 7. Mai 2020, WD 3 - 3000 - 117/20, S. 6f, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/696520/d9175d67a1dad5e87b424f10d2eb2363/WD-3- 117-20-pdf-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 050/20 Seite 9 dann, wenn das Infektionsschutzgesetz keine Regelung vorsieht.29 Bei den Vorschriften im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht handelt es sich vor allem um Ansprüche für Nichtstörer.30 2.1.5. Ansprüche aus enteignendem Eingriff In Betracht kommen kann zudem grundsätzlich ein Anspruch aus enteignendem Eingriff. Er ist gesetzlich nicht geregelt, aber gewohnheitsrechtlich anerkannt und wird auf Art. 74, 75 der Einleitung zum Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 gestützt, welche den sogenannten Aufopferungsgedanken enthalten.31 Der Anspruch schützt alle Rechtspositionen, die von Art. 1432 Grundgesetz (GG)33 geschützt sind34 und besteht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann, „wenn rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen bei einem Betroffenen zu Nachteilen führen, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muß, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen“.35 Üblicherweise sollen vor allem „atypische und unvorhergesehene Nachteile“ erfasst werden, was zumindest bei durch Einzelmaßnahmen angeordneten Betriebsschließungen wohl nicht der Fall wäre. 36 Jedoch geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass dies auch kein zwingendes Tatbestandsmerkmal sei.37 Im Fall einer durch Einzelmaßnahme angeordneten Betriebsschließung könnte das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb betroffen sein. Ob ein solches im Rahmen des 29 Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 68. 30 z. B.: § 59 Abs. 1 ASOG Bln; Art. 87 Abs. 1 BayPAG; vgl. Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 64. 31 Wendt, in: Sachs Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 173. 32 Das Recht aus Art. 14 GG umfasst neben dem Sacheigentum aus bürgerlichem Recht auch weitere vermögenswerte Rechte wie Ansprüche und Forderungen aus Privatrecht (Axer, in: Beck´scher Onlinekommentar Grundgesetz , 43. Edition 2019, Rn. 43, 48). Somit sind beispielsweise auch Ansprüche aus einem Zuschauervertrag geschützt (Schulz, Vertragliche Weiterveräußerungsbeschränkungen von Fußball-Bundesligatickets, 2018, S. 312). 33 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546). 34 Reschke, Entschädigungsansprüche für rechtmäßige infektionsschutzrechtliche Maßnahmen im Zuge der COVID-19-Pandemie, in: Die Öffentliche Verwaltung 2020, 423 (427). 35 BGH, Urteil vom 20. Februar 1992, Az. III ZR 188/90; NJW 1992, 3229 (3232); Antweiler, Betriebsuntersagung durch Covid-19-Rechtsverordnungen: Eigentumseingriff und Entschädigung, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2020, 584 (589). 36 Reschke, Entschädigungsansprüche für rechtmäßige infektionsschutzrechtliche Maßnahmen im Zuge der COVID-19-Pandemie, in: Die Öffentliche Verwaltung 2020, 423 (427f.). 37 BGH, Urteil vom 30. Januar 1986, Az. III ZR 34/85; NJW 1986, 2423 (2424); Wendt, in: Sachs Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 180a. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 050/20 Seite 10 Art. 14 GG anerkannt ist, ist jedoch umstritten.38 Erkennt man es an, müssten die Maßnahmen auch unmittelbar zu Nachteilen führen, was bei Betriebsschließungen der Fall ist, da durch die Schließung unmittelbar das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus Art. 14 GG betroffen ist.39 Weiterhin müsste jedoch auch ein sogenanntes Sonderopfer vorliegen, das vom Bundesgerichtshof als „zwangsweise[r] staatliche[r] Zugriff auf das Eigentum“ definiert wird, „der den Betroffenen im Vergleich zu anderen entgegen dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz ungleich behandelt bzw. trifft und ihn zu einem besonderen, den Übrigen nicht zugemuteten Opfer für die Allgemeinheit zwingt“.40 Daneben ist die Sozialbindung des Eigentums in Art. 14 Abs. 2 GG zu beachten, die mit dem Opfer, das durch den staatlichen Zugriff erbracht wird, in Ausgleich gebracht werden muss. Denn gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG muss der Gebrauch des Eigentums dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Letztendlich ist es abhängig vom Einzelfall, ob die Sozialbindung überwiegt, oder ob ein Sonderopfer vorliegt. 41 Im Falle einer durch Einzelmaßnahme angeordneten Betriebsschließung kommt es daher unter anderem darauf an, wie lange die Schließung anhält. Zudem muss eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Unternehmern vorliegen. Es ist fraglich, ob beispielsweise bei einer vorübergehenden Quarantäneanordnung nicht die Sozialbindung des Eigentums überwiegt. Im Übrigen ist der Betroffene einer Einzelmaßnahme nach § 28 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 30 bzw. § 31 IfSG aufgrund des Anspruchs aus § 56 IfSG bereits hinsichtlich des Verdienstausfalls abgesichert.42 Zudem ist zu beachten , dass gesetzliche Entschädigungsansprüche dem enteignenden Eingriff immer vorgehen.43 38 Das Bundesverfassungsgericht hat bisher nicht entschieden, ob das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auch im Verfassungsrecht besteht. Der Bundesgerichtshof hingegen erkennt es als „sonstiges Recht“ im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB in ständiger Rechtsprechung an; Axer, in: Beck´scher Online-Kommentar , Grundgesetz, 43. Edition, Art. 14 Rn. 51; Reschke, Entschädigungsansprüche für rechtmäßige infektionsschutzrechtliche Maßnahmen im Zuge der COVID-19-Pandemie, in: Die Öffentliche Verwaltung 2020, 423 (428). 39 Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 71. 40 BGH, Urteil vom 14. März 2013, Az. III ZR 253/12; NJW 2013, 1736, Rn. 8; Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 74. 41 Reschke, Entschädigungsansprüche für rechtmäßige infektionsschutzrechtliche Maßnahmen im Zuge der COVID-19-Pandemie, in: Die Öffentliche Verwaltung 2020, 423 (428); Winter/Thürk in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 74. 42 Für Kranke gilt dies zwar nicht, jedoch sind diese durch anderweitige Ansprüche abgesichert, siehe unter 2.1.1. 43 Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt/ Klein/ Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 14 Rn. 504. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 050/20 Seite 11 2.2. Ansprüche bei rechtswidrigen Maßnahmen 2.2.1. § 56 Infektionsschutzgesetz § 56 IfSG findet bei rechtswidrigen Maßnahmen keine Anwendung. Voraussetzung ist stets eine rechtmäßige Maßnahme.44 Dennoch kommen Ansprüche aus dem allgemeinen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsrecht, der Amtshaftung oder dem enteignungsgleichen Eingriff in Betracht, wie im Folgenden skizziert werden soll. 2.2.2. Allgemeines landesrechtliches Polizei- und Ordnungsrecht Bezüglich etwaiger Ansprüche aus dem allgemeinen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsrecht kann weitestgehend nach oben verwiesen werden. In einigen Bundesländern gibt es auch Entschädigungsregelungen bei rechtswidrigen Maßnahmen.45 2.2.3. Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i. V. m. 34 GG Ein Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG kommt bei rechtswidrigem Handeln durch Beamte in Betracht, § 839 BGB. Bei der Anordnung von Einzelmaßnahmen, also einer Quarantäne nach § 30 IfSG oder eines Tätigkeitsverbots nach § 31 IfSG, kann eine Amtshaftung unter anderem dann in Betracht kommen, wenn die angeordnete Maßnahme unverhältnismäßig ist.46 Voraussetzung ist, dass eine Amtspflicht verletzt wird, die drittbezogen ist. Die Drittbezogenheit liegt vor, wenn der Zweck der verletzten Amtspflicht gerade auch die Wahrnehmung der Interessen des Geschädigten erfasst.47 Für das Infektionsschutzgesetz ist noch nicht höchstrichterlich geklärt, welche Vorschriften drittbezogen sind. Das Landgericht Köln beispielsweise geht in einem Urteil davon aus, dass keine der Vorschriften eine Drittbezogenheit aufweist.48 Dies ist aber wohl abzulehnen, wie sich in anderen obergerichtlichen Entscheidungen zu einzelnen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes gezeigt hat.49 Zudem ergibt sich bei Maßnahmen gegen Einzelne, die regelmäßig durch Verwaltungsakt angeordnet werden, die Drittbezogenheit auch aus dem Verwaltungsakt selbst, da die Personen Adressaten einer belastenden Entscheidung 44 Erdle, Infektionsschutzgesetz Kommentar, 7. Auflage 2020, § 56 Rn. 1; Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 14. 45 z. B. § 59 Abs. 2 ASOG Bln; § 68 Abs. 1 S. 2 POG RP; vgl. Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 64. 46 Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 115. 47 BGH, Urteil vom 16. Juni 1977, Az. III ZR 179/75; NJW 1977, 1875 (1877); Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 93. 48 LG Köln, Urteil vom 18. Dezember 2018 - 5 O 286/18 -, juris. 49 BGH, Urteil vom 15. Februar 1990, Az. III ZR 100/88; NJW 1990, 2311; OLG Karlsruhe, Neue Juristische Wochenschrift 1990, 2319; Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 97. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 050/20 Seite 12 sind.50 Hergestellt werden soll die Vermögenslage, die ohne die Amtspflichtverletzung bestehen würde. Anders als im Infektionsschutzgesetz wird damit beispielsweise auch der entgangene Gewinn ersetzt.51 Zu beachten ist jedoch die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB.52 2.2.4. Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff Auch Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff sind, wie die Ansprüche aus enteignendem Eingriff, nicht gesetzlich geregelt, aber gewohnheitsrechtlich anerkannt und werden auf Art. 74, 75 der Einleitung zum Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 gestützt .53 Der Bundesgerichtshof führt dazu in ständiger Rechtsprechung aus: „Ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff setzt voraus, daß rechtswidrig in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition von hoher Hand unmittelbar eingegriffen wird, die hoheitliche Maßnahme also unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt, und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird.“54 Rechtswidrig ist eine Maßnahme unter anderem dann, wenn sie unverhältnismäßig ist.55 Im Fall einer durch Einzelmaßnahme angeordneten Betriebsschließung müsste auch hier angenommen werden, dass der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb von Art. 14 GG geschützt ist, um einen Anspruch bejahen zu können.56 Die Unmittelbarkeit kann bei dieser Art von Betriebsschließungen angenommen werden.57 Das Vorliegen eines sogenannten notwendigen Sonderopfers wird bei enteignungsgleichen Eingriffen durch die Rechtswidrigkeit der Maßnahme indiziert.58 Der Betroffene erhält bei einem enteignungsgleichen Eingriff eine angemessene Entschädigung. Bei vorübergehenden Eingriffen in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, vorliegend den vorrübergehenden Betriebsschließungen, vereinfacht der Bundesgerichtshof die Berechnung des Entschädigungsbetrages.59 Erstattet wird der Betrag, „den der Gewerbebetrieb infolge des Eingriffs weniger als ohne den Eingriff „abgeworfen” hat.60 Künftige 50 Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 94, 98. 51 Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 114. 52 Reinert, in: Beck´scher Online-Kommentar BGB, 54. Edition 2020, § 839 Rn. 98. 53 Papier, in: Maunz/Dürig GG, 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 34 Rn. 40. 54 BGH, Urteil vom 10. März 1994, Az. III ZR 9/93; NJW 1994, 1647 (1648); Papier, in: Maunz/Dürig GG, 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 34 Rn. 37. 55 Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 115. 56 Siehe unter 2.2.1.5. 57 Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 82. 58 Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 73. 59 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig GG, 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 14 Rn. 809; Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 77. 60 BGH, Urteil vom 14. Juli 1975, Az. III ZR 141/72; NJW 1975, 1966 (1967); Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 77. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 050/20 Seite 13 Zuwachsraten dürfen dabei jedoch nicht berücksichtigt werden.61 Auch dem enteignungsgleichen Eingriff gehen, wie dem enteignenden Eingriff, spezielle gesetzliche Regelungen vor.62 Zudem ist der Subsidiaritätsgrundsatz zu beachten. Aufgrund des Vorrangs des Primärrechtsschutzes muss der Betroffene zunächst die notwendigen Rechtsbehelfe einlegen, um die Belastung abzuwenden. Erst, wenn diese erfolglos waren, steht ihm der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff zu.63 Der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff wird von einem möglichen Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG nicht verdrängt.64 3. Ansprüche gegen Privatpersonen Auch Ansprüche gegen Privatpersonen, vor allem aus dem Deliktsrecht, können eventuell in Betracht kommen. Denkbar ist unter anderem auch ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB65, wenn ein Arbeitnehmer, der weiß, dass er an Corona erkrankt ist, trotz einer Anweisung an Reiserückkehrer aus Risikogebieten, zu Hause zu bleiben, bei der Arbeit erscheint.66 Derartige Ansprüche sind bisher allerdings weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung behandelt worden. *** 61 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig GG, 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 14 Rn. 809. 62 Wieland, in: Dreier, Grundgesetz, 3. Auflage 2013, Art. 14 Rn. 188. 63 Papier/Shirvani, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 839 BGB, Rn. 53; Winter/Thürk, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 17 Rn. 87. 64 BGH, Urteil vom 11. Januar 2007, Az. III ZR 302/05; NJW 2007, 830 (833); Papier/Shirvani, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 839 BGB, Rn. 53b. 65 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 19. März 2020 (BGBl. I S. 541) geändert worden ist. 66 Weller/Lieberknecht/Habrich, Virulente Leistungsstörungen - Auswirkungen der Corona-Krise auf die Vertragsdurchführung , in: Neue Juristische Wochenschrift 2020, 1017 (1018).