WD 9 - 3000 - 050/19 (10.07.2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. 1. Rechtsgrundlage § 31 Absatz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch Mit Erlass des Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber eine besondere Rechtsgrundlage in § 31 Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)1 eingeführt, die Schwerkranken in bestimmten Fällen eine Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und mit Arzneimitteln, die den Wirkstoff Dronabinol oder Nabilon enthalten, ermöglichen. Die neue gesetzliche Regelung soll dazu beitragen, Patientinnen und Patienten bei fehlenden Therapiealternativen zu helfen, zugleich soll sie sicherstellen, dass der unkontrollierte Eigenanbau von Cannabis zur Selbsttherapie vermieden wird2. Gemäß § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V bedarf die erstmalige ärztliche Verordnung einer Genehmigung durch die Krankenkasse. Die Krankenkasse hat diese Genehmigung, wenn es sich um eine Behandlung im Rahmen der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (§ 37 b SGB V) handelt , innerhalb von drei Tagen nach Eingang des Antrags zu erteilen, § 31 Abs. 6 Satz 3 SGB V. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen eine Versorgung mit cannabishaltigen Medikamenten ermöglichen, wenn eine entsprechende Indikation vorliegt und Therapiealternativen nicht ersichtlich sind. Die neue Vorschrift habe allerdings Ausnahmecharakter, denn hier werde eine Kostenerstattung vorgesehen, ohne dass das an sich erforderliche Evidenzlevel vorliege3. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung, Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477), in Kraft getreten am 1. Januar 1989, 1. Januar 1990 bzw. 1. Januar 1991, zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. Mai 2019 (BGBl. I S. 646). 2 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, BT-Drs. 18/8965 vom 28. Juni 2016, S. 13, siehe http://dip21.bundestag .de/dip21/btd/18/089/1808965.pdf. Dieser und die weiteren Links wurden abgerufen am 10. Juli 2019. 3 Gesetzentwurf BT-Drs. 18/8965, S. 25. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Voraussetzungen für die Verordnung von medizinischem Cannabis im Rahmen der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung Kurzinformation Voraussetzungen für die Verordnung von medizinischem Cannabis im Rahmen der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 2. Reformvorschläge zur erleichterten Verordnung von medizinischem Cannabis durch Erleichterungen beim Genehmigungsvorbehalt Die Bundesregierung hat am 27. März 2019 einen Gesetzentwurf für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung vorgelegt. Dieser hatte u. a. zum Ziel, in § 13 Abs. 6 SGB V zwar keine Streichung des Genehmigungsvorbehalts vorzunehmen, aber – durch Einfügung eines Halbsatzes in Satz 3 und die Anfügung zweier neuer Sätze im Anschluss an die bisherige Regelung des § 31 Abs. 6 Satz 3 – eine Erleichterung bzgl. des Genehmigungserfordernisses vorzusehen: Die verkürzte Genehmigungsfrist von drei Tagen soll auch für die Fälle gelten, bei denen sich die Verordnung von medizinischem Cannabis an eine entsprechende vorherige Medikamentierung während eines stationären Krankenhausaufenthalts anschließt. Darüber hinaus soll eine erneute Genehmigung entfallen, wenn sich lediglich die Dosierung oder die Darreichungsform in bestimmter Weise ändern4. Am 19. November 2018 haben die Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Maria Klein- Schmeink u. a. und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Gesetzentwurf zur Änderung des SGB V vorgelegt, zur erleichterten Verordnung von medizinischem Cannabis für Patientinnen und Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung. Ausgangspunkt sei, dass sich der bislang geltende Genehmigungsvorbehalt in der Praxis nicht bewährt habe. Er könne zur Folge haben, dass sich die Linderung der Beschwerden der Patientinnen und Patienten hinauszögere. Im Übrigen sei die Beantragung der Genehmigung mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden und führe häufig auf Grund von formalen Fehlern zu einer Ablehnung des Antrags5. Die Fraktion DIE LINKE. schlug ebenfalls vor, den Genehmigungsvorbehalt abzuschaffen6. Trotz der gesetzgeberischen Formulierung, dass eine Ablehnung nur in Ausnahmefällen erfolgen solle, zeigten Zahlen zum Verhältnis Genehmigungen/Ausnahmen lediglich eine Genehmigungsquote von rund 60 Prozent der Anträge. Der gesetzgeberische Wille werde damit unterlaufen. 3. Öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages am 20. März 2019 Die Öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss am 20. März 2019 stützte sich hinsichtlich der Fragen zur Genehmigungspflicht gemäß § 31 Abs. 6 SGB V auf die genannten Gesetzentwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Fraktion DIE LINKE.7. Zu diesem Zeitpunkt lag 4 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung , BT-Drs. 19/8753 vom 27. März 2019, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/087/1908753.pdf. 5 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/8965, S. 2. 6 Gesetzentwurf der Abgeordneten Niema Movassat, Dr. André Hahn, u. a. und der Fraktion DIE LINKE., 19/6196 vom 29. November 2018, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/061/1906196.pdf. 7 Anmerkung: Gegenstand der Anhörung waren darüber hinaus zwei Anträge, ein Antrag der Fraktion der F.D.P. und ein Antrag der Fraktion der AfD, die weitere Fragen zum medizinischen Cannabis betrafen und deshalb hier nicht weiter erörtert werden. Kurzinformation Voraussetzungen für die Verordnung von medizinischem Cannabis im Rahmen der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 auch der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit mit den o.g. Vorschlägen zur Erleichterung des Genehmigungserfordernisses vor. In der Öffentlichen Anhörung wurden zu dieser Thematik u. a. folgende Punkte vorgetragen: Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. hob hervor, dass Reformbedarf bestünde. Sie begrüße, dass das Bundesministerium für Gesundheit in seinem Referentenentwurf Erleichterungen beim Genehmigungsverfahren vorgeschlagen habe, insbesondere in den Fällen, in denen nur ein Wechsel in der Darreichungsform erfolge oder aber die Medikamentierung die Weiterbehandlung durch den behandelnden Arzt nach einem stationären Aufenthalt sei. Im Hinblick auf die Vorschläge der Fraktion DIE LINKE. und der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN befürchtet sie aber, dass die Streichung des Genehmigungsvorbehalts allein eher dazu führe, dass Ärzte aus Sorge vor Regress und Wirtschaftlichkeitsprüfungen keine cannabishaltigen Medikamente mehr verschreiben8. Die Bundesärztekammer und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft weisen in ihrer gemeinsamen Stellungnahme vom 14. März 2019 darauf hin, dass es für Cannabis-Medikamente bislang an dem an sich notwendigen Wirksamkeitsnachweis und dem Nachweis über den Nutzen bereits verfügbarer Therapieverfahren fehle. Die Verordnung nach § 31 Abs. 6 SGB V sei eine Ausnahmeverordnung und deshalb bedürfe es der Einzelfallgenehmigung9. Ähnlich argumentiert auch der GKV-Spitzenverband. Er hebt den Ausnahmecharakter der Vorschrift des § 31 Abs. 6 SGB V hervor und begründet das Genehmigungserfordernis darüber hinaus mit dem Schutzbedürfnis für Patienten und Ärzte: Ohne Genehmigung läge das Risiko einer inadäquaten, d. h. insbesondere einer nicht ausreicheichenden Therapie allein bei diesen10. Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie e.V. spricht sich dafür aus, den Genehmigungsvorbehalt beizubehalten, regt jedoch an, die Umsetzung zu verbessern. Insbesondere sei erforderlich , dass der Gesetzgeber den Krankenkassen Entscheidungskriterien vorgebe11. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. schlägt vor, die Frage des Genehmigungserfordernisses danach zu beurteilen, ob eine Verordnung z. B. in Bezug zu einer Indikationsliste erfolgt, die 8 Siehe die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, März 2019, https://www.bundestag .de/resource/blob/629026/80933b51149aabe8e56ee99c903e1b86/19_14_0067-5-_ACM_Med-Cannabisdata .pdf. 9 Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vom 14. März 2019, https://www.bundestag.de/resource /blob/628834/7372051f505de39e5bd280878ff25ef0/19_14_0067-3-_BAeK-und-AkdAe_Med-Cannabisdata .pdf. 10 Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes vom 14. März 2019, https://www.bundestag.de/resource /blob/629114/d537c65be6200252248146a0e5965b5f/19_14_0067-10-3-_GKV_Med-Cannabis_6196- data.pdf. 11 Stellungnahme des Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie e.V. vom 13. März 2019, https://www.bundestag.de/resource/blob/628570/cdc0b3c8fab83fea67ff7e43e386d311/19_14_0067-1-_BPI_Med- Cannabis-data.pdf. Kurzinformation Voraussetzungen für die Verordnung von medizinischem Cannabis im Rahmen der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 4 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss in einer Richtlinie festgelegt wurde. In diesen und in vergleichbaren Fällen könne der Gesetzgeber vom Genehmigungserfordernis absehen, während in anderen Fällen die Überprüfung zu einer qualitätsorientierten Steuerung beitragen könne12. *** 12 Stellungnahme der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. vom 18. März 2019, https://www.bundestag.de/resource /blob/629598/4d5526edf798da9da9f3fed1606073fd/19_14_0067-11-_DGSS_Med-Cannabis-data.pdf.