© 2019 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 049/19 Behandlung von Arthrose mittels Eigenfett-Therapie Erfordernis einer arzneimittelrechtlichen Herstellungserlaubnis für die Eigenfetttransplantation Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 049/19 Seite 2 Behandlung von Arthrose mittels Eigenfett-Therapie Erfordernis einer arzneimittelrechtlichen Herstellungserlaubnis für die Eigenfetttransplantation Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 049/19 Abschluss der Arbeit: 15. August 2019 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 049/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Die Eigenfetttransplantation zur Behandlung von Arthrose 4 3. Rechtliche Grundlagen der Eigenfetttransplantation 5 3.1. Europarechtliche Vorgaben 5 3.1.1. Die Geweberichtlinie 2004/23/EG 5 3.1.2. Verordnung über Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP-VO) 1394/2007 5 3.2. Die rechtliche Situation in Deutschland 6 3.2.1. Das Gewebegesetz 6 3.2.2. Das Arzneimittelgesetz 7 3.2.3. Erfordernis einer arzneimittelrechtlichen Herstellungserlaubnis für die Eigenfetttransplantation zur Behandlung von Arthrose 7 4. Erforderlichkeit einer Herstellungserlaubnis 7 4.1. Anwendbarkeit des AMG – Ausnahmevorschrift § 4a S. 1 Nr. 3 AMG 7 4.1.1. Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg 8 4.1.2. Paul-Ehrlich Institut (PEI) 8 4.1.3. Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) 9 4.2. Ausnahmereglung des § 13 Abs. 2b S. 1 AMG 9 4.2.1. Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg 10 4.2.2. Paul-Ehrlich-Institut (PEI) 10 4.2.3. Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) 10 5. Klinische Studien 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 049/19 Seite 4 1. Vorbemerkung Arthrose ist weltweit die häufigste aller Gelenkerkrankungen bei Erwachsenen. Durch Arthrose wird die Knorpelschicht eines Gelenks mit der Folge zerstört, dass daraus Knochenveränderungen resultieren. In Deutschland leiden rund fünf Millionen Menschen unter arthritischen Beschwerden . Ab einem Lebensalter von 60 Jahren sind etwa die Hälfte der Frauen und ein Drittel der Männer betroffen. In den meisten Fällen entwickelt sich die Arthrose in den Händen, Knien oder Hüftgelenken. Die Erkrankung kann jedoch auch in allen anderen Gelenken des menschlichen Bewegungsapparats auftreten.1 Es gibt derzeit kein Medikament, das Arthrose heilen kann. Die einschlägigen Behandlungsmethoden verfolgen daher das Ziel, die Schmerzen der Betroffenen zu lindern und die Bewegungsfähigkeit der Gelenke wieder herzustellen. Hinsichtlich der Behandlungsmethoden wird zwischen konservativen2 und operativen Maßnahmen unterschieden, wobei ein operativer Eingriff erst dann in Betracht kommt, wenn zur Behandlung der Arthrose die konservativen Methoden nicht mehr ausreichen. In Anbetracht der Alterung der Bevölkerung kann davon ausgegangen werden, dass die Anzahl der Arthrosepatienten weiter ansteigen wird.3 Aus diesem Grund werden in der Medizin stets neuartige Therapieansätze zur Behandlung von Arthrose entwickelt. Einer davon ist das Modell der Stammzellentransplantationen aus dem Fettgewebe der Patienten in das erkrankte Gelenk. Aufgrund der aktuellen rechtlichen Situation in Deutschland ist fraglich, ob diese Behandlung von Ärzten ohne eine Herstellungserlaubnis der Arzneimittelbehörden praktiziert werden darf. 2. Die Eigenfetttransplantation zur Behandlung von Arthrose Die Entnahme von Fettgewebe zur autologen Rücktransplantation in das von der Arthrose betroffene Gelenk wird durch Point-of-Care-Behandlungsmodelle (PoC) vorgenommen. Bei diesen Modellen erfolgt jeder einzelne Arbeitsschritt im Verantwortungs- und Delegationsbereich des behandelnden Arztes.4 Bei der Eigenfetttransplantation wird dabei innerhalb des Behandlungsvorgangs Fettgewebe z.B. vom Bauch oder der Hüfte des Patienten durch eine Nadel mittels Unterdruck im Operationssaal entnommen, welches dann in das arthritische Gelenk zurück transplantiert wird (sog. autologe Eigenfetttransplantation). In Abgrenzung zur ästhetischen Chirurgie, bei der das entnommene Fettgewebe genau in dieser Funktion wieder in einen anderen Körperbe- 1 Journal of Health Monitoring 2017/2(3), Gesundheitliche Lage der Bevölkerung in Deutschland, S. 55, abrufbar unter: http://www.gbe-bund.de/pdf/johm_2017_03_fact3_praevz_arthrose.pdf. Dieser Link und die folgenden wurden zuletzt abgerufen am: 14.08.2019. 2 Konservative Behandlungsmethoden sind unter anderem die Gewichtsreduktion bei Übergewicht, Anpassung von sportlichen Aktivitäten oder die Korrektur von Fehlstellungen. 3 Journal of Health Monitoring 2017/2(3), Gesundheitliche Lage der Bevölkerung in Deutschland, S. 55, abrufbar unter: http://www.gbe-bund.de/pdf/johm_2017_03_fact3_praevz_arthrose.pdf. 4 Faltus/Schulz, Die arzneimittelrechtliche Handhabung zellbasierter Therapien in Point-of-Care-Behandlungsmodellen , PharmR 2015, 228 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 049/19 Seite 5 reich rücktransplantiert wird (z.B. beim Wiederaufbau der weiblichen Brust nach einer Krebserkrankung ), wird das Fettgewebe bei der Behandlung von Arthrose nach der Entnahme in der Regel be- oder verarbeitet, bevor es dann in das betroffene Gelenk injiziert wird. Aufgrund der Vielzahl von Vorgehensweisen, die sich bei der Behandlung von Arthrose mit Eigenfettpräparaten entwickelt haben, muss auf das von dem Arzt individuell vorgenommene Verfahren abgestellt werden, um eine rechtliche Einordnung vornehmen zu können.5 3. Rechtliche Grundlagen der Eigenfetttransplantation 3.1. Europarechtliche Vorgaben 3.1.1. Die Geweberichtlinie 2004/23/EG6 Die Geweberichtlinie beinhaltet konkrete Vorgaben für Behandlungsmethoden mit Geweben und Zellen. Ihr Geltungsbereich wird in Art. 2 Abs. 1 Geweberichtlinie geregelt und umfasst die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen sowie daraus hergestellten Produkten zur Verwendung beim Menschen. In Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie werden Ausnahmen des Geltungsbereichs geregelt. Danach werden Behandlungsmodelle nicht erfasst, bei denen Gewebe und Zellen innerhalb ein und desselben chirurgischen Eingriffs als autologes Transplantat verwendet werden (Art. 2 Abs. 2 lit. a Geweberichtlinie). Auf europarechtlicher Ebene bestehen damit keine Einschränkungen für Behandlungsmodelle, bei denen Gewebe und Zellen auf denselben Patienten wieder rücktransplantiert werden. 3.1.2. Verordnung über Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP-VO) 1394/20077 Die unionsrechtliche Verordnung über Arzneimittel für neuartige Therapien erfasst nach Art. 1, 2 ATMP-VO Gentherapeutik, somatische Zelltherapeutik und biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte . Je nach Vorgehensweise können bei der autologen Rücktransplantation von Eigengewebe durch die Bearbeitung des Gewebes biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte hergestellt werden.8 Nach Art. 2 Abs. 2 lit. c ATMP-VO gelten Zellen und Gewebe als verarbeitet, wenn sie in biologischer, physiologischer oder struktureller Weise substantiell bearbeitet werden 5 Sanzenbacher/Frech, Wenn Gewebe zur Arznei wird, Deutsches Ärzteblatt 2019; 116 (1-2): A-28 f., abrufbar unter : https://www.aerzteblatt.de/archiv/204229/Streitpunkt-Eigenfettbehandlung-Wenn-Gewebe-zur-Arznei-wird. 6 Richtlinie 2004/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Qualitäts - und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen, Abl. L 102 v. 07. April 2004. 7 Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004, ABl. L 324 vom 10. Dezember 2007; („ATMP“ folgt aus der Verordnung in englischer Sprache und steht für: Advanced Therapy Medicinal Products). 8 Faltus/Schulz, Die arzneimittelrechtliche Handhabung zellbasierter Therapien in Point-of-Care-Behandlungsmodellen , PharmR 2015, 228 (231). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 049/19 Seite 6 oder das Zell- bzw. Gewebepräparat nicht dazu bestimmt ist, im Empfänger im Wesentlichen dieselbe (n) Funktion(en) wie beim Spender auszuüben. Ausgenommen von der substanziellen Bearbeitung sind die in Anhang I der ATMP-VO genannten Verfahren, wie z.B. das Schneiden, Formen , Zentrifugieren der Zellen oder des Gewebes. Bei diesen Verfahren werden keine biotechnologisch bearbeiteten Gewebeprodukte hergestellt und somit handelt es sich bei diesen auch nicht um Arzneimittel für neuartige Therapien nach der ATMP-VO. 3.2. Die rechtliche Situation in Deutschland In anderen EU-Ländern ist die autologe Eigenfetttransplantation ein standardisiertes Verfahren, das nicht von arzneimittelrechtlichen Vorschriften umfasst ist. Der deutsche Gesetzgeber hat sich hinsichtlich des Vorliegens eines Arzneimittels für neuartige Therapien, abweichend von der Geweberichtlinie und der ATMP-VO, auf nationaler Ebene für restriktive Regelungen entschieden.9 Der Rechtsbereich „Verkehr mit Arzneien, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften“ ist gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Grundgesetz10 Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung. Danach steht grundsätzlich den Ländern die Gesetzgebungsbefugnis zu, solange und soweit nicht der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Innerhalb des Arzneimittelrechts hat der Bundesgesetzgeber das Gewebegesetz11 und das Arzneimittelgesetz (AMG)12 erlassen. 3.2.1. Das Gewebegesetz Im Juli 2007 hat der deutsche Gesetzgeber zur Umsetzung der europäischen Geweberichtlinie 2004/23/EG ein Artikelgesetz zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Behandlungsmodelle mit menschlichem Gewebe und Zellen erlassen. Die Änderungen betreffen insbesondere das Arzneimittelgesetz (AMG) und das Transplantationsgesetz (TPG).13 Dadurch wurde der Regelungsbereich für Gewebe und dessen Be- und Verarbeitung erheblich erweitert.14 Da somit auch Fettgewebe unter den Anwendungsbereich des AMG und des TPG fallen, sind die 9 BT-Drs. 18/11488 (2017), S. 45. 10 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. März 2019 (BGBl. I S. 404). 11 Gesetz über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen (Gewebegesetz) vom 20. Juli 2007 (BGBl. I S. 1574). 12 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Artikel 11 des Gesetzes vom 6. Mai 2019 (BGBl. I S. 646). 13 Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Gewebe (Transplantationsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. September 2007 (BGBl. I S. 2206), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. März 2019 (BGBl. I S. 352). 14 BT-Drs. 16/3146 (2006), S. 1, 16 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 049/19 Seite 7 durch das Gewebegesetz neu begründeten Regelungen ebenfalls für die Eigenfetttransplantation bei Arthrose relevant. 3.2.2. Das Arzneimittelgesetz Bei dem Arzneimittelgesetz handelt es sich um ein Gefahrenabwehr- und Verbraucherschutzgesetz sowie ein spezielles Tierschutzgesetz. Das Gesetz dient dem Schutz der Patienten, der öffentlichen Gesundheit, der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Vermeidung unerwünschter Auswirkungen auf die Umwelt.15 Wenn während der Behandlung eine Veränderung des Gewebes erfolgt, handelt es sich um die Herstellung und Anwendung von Arzneimitteln gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Für diese ist grundsätzlich nach § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG eine Erlaubnis der zuständigen Behörde erforderlich. 3.2.3. Erfordernis einer arzneimittelrechtlichen Herstellungserlaubnis für die Eigenfetttransplantation zur Behandlung von Arthrose Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat am 26. Februar 2019 entschieden, dass es sich bei der Behandlung einer Arthrose am Daumensattelgelenk (sogenannte Rhizarthrose) durch Transplantation von Eigenfett um eine neuartige Therapie im Rahmen des Arzneimittelgesetzes handelt, die einer Erlaubnis der zuständigen Behörde nach § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG bedarf. Das implantierte körpereigene Fettgewebe stellt nach Auffassung des Gerichts in diesem Fall ein Arzneimittel dar. Hintergrund der Klage war, dass ein Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie seit 2016 in seiner Praxis die Behandlungen von Rhizarthrose mittels der Eigenfetttransplantation bei Patienten vornahm. Bei dem Eingriff entnahm der Kläger seinen Patienten unter Lokalanästhesie Fettgewebe aus einer fettreichen Körperstelle, zentrifugierte und reimplantierte es anschließend in das Daumensattelgelenk. Seiner Auffassung nach war das AMG auf diese Behandlungsmethode nicht anwendbar bzw. ging er davon aus, dass die Herstellungserlaubnispflicht hier entfiele .16 4. Erforderlichkeit einer Herstellungserlaubnis 4.1. Anwendbarkeit des AMG – Ausnahmevorschrift § 4a S. 1 Nr. 3 AMG Voraussetzung für eine Herstellungserlaubnis nach § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG ist, dass das AMG auf die autologe Eigenfetttransplantation anwendbar ist. Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Arzneimittelgesetzes regelt § 4a AMG. Nach § 4a S. 1 Nr. 3 AMG sind Behandlungen vom dem gesetzlichen Anwendungsbereich ausgenommen, bei denen Entnahme und Rückübertragung des Gewebes innerhalb eines Behandlungsvorgangs vorgenommen werden, ohne dass eine Ände 15 Kügel, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, Einführung Rn. 1. 16 OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Februar 2019 – 13 ME 289/19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 049/19 Seite 8 rung der stofflichen Beschaffenheit erfolgt. Um den Geltungsbereich der Vorschrift festzulegen, ist auf den Wortlaut von § 4a S. 1 Nr. 3 AMG „ohne Änderung der stoffgleichen Beschaffenheit“ abzustellen. Da es kein standardisiertes Verfahren bei der Eigenfetttransplantation gibt, ist es vom Einzelfall abhängig, ob die jeweilige Behandlungsmethode unter § 4a S. 1 Nr. 3 AMG gefasst werden kann.17 Hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Herstellungserlaubnis macht es danach keinen Unterschied , ob das Eigenfett in das Daumensattelgelenk, das Knie oder ein anderes Gelenk transplantiert wird. Entscheidend ist vielmehr, ob und wie das Eigenfett während des Behandlungsvorgangs be- oder verarbeitet wird.18 Danach kommt es entscheidend darauf an, wie der Wortlaut des § 4a S. 1 Nr. 3 AMG auszulegen ist. Dies wird zwischen der Rechtsprechung, den Behörden sowie Institutionen der Medizin kontrovers diskutiert. 4.1.1. Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg nimmt in seiner Entscheidung vom 26. Februar 2019 an, dass das AMG bei der Eigenfetttransplantation anwendbar ist. § 4a S. 1 Nr. 3 AMG ist demnach nicht einschlägig, denn bei der autologen Gewebetransplantation wird durch die Zentrifugation des Gewebes dieses be- oder verarbeitet, sodass eine Änderung der stofflichen Beschaffenheit erfolgt . Ausgangspunkt für diese Annahme ist, dass sich der Bundesgesetzgeber bewusst für eine nationale restriktive Regelung entscheiden hat.19 Nach dem AMG sind unter der Veränderung der stofflichen Beschaffenheit lediglich geringfügige Arbeitsschritte zu verstehen. Danach werden das Säubern und Spülen oder Dehnen des autologen Gewebes, das Glätten seiner Schutzränder oder seine sachgerechte Aufbewahrung bis zur Anwendung als geringfügige Arbeitsschritte im Sinne der Vorschrift verstanden.20 Das Homogenisieren oder Zentrifugieren des Gewebes unterfällt dagegen nicht mehr dem Ausnahmetatbestand nach § 4a S. 1 Nr. 3 AMG.21 4.1.2. Paul-Ehrlich Institut (PEI)22 Das PEI ist ebenfalls der Auffassung, dass bei der autologen Rücktransplantation von Fettgewebe § 4a S. 1 Nr. 3 AMG keine Anwendung finde, da lediglich geringfügige Arbeitsschritte von dem 17 Faltus, Rechtsrahmen zur Eigenfettnutzung bei Point-of-Care-Behandlungen in der plastischen und ästhetischen Chirurgie – Straf- und berufsrechtliche Risiken aufgrund des Arzneimittelrechts, Handchirurgie Mikrochirurgie plastische Chirurgie 2016; 48 (04): 219 ff. 18 Faltus/Schulz, Die arzneimittelrechtliche Handhabung zellbasierter Therapien in Point-of-Care-Behandlungsmodellen , PharmR 2015, 228 (228); Sanzenbacher/Frech, Wenn Gewebe zur Arznei wird, Deutsches Ärzteblatt 2019; 116 (1-2): A-28 f.: Beide Berichte stellen allein auf die verschiedenen PoC-Behandlungsmodelle ab und differenzieren nicht bezüglich des behandelten Gelenks. 19 BT-Drs. 16/13428 (2009), S. 78: Ablehnung des Vorschlags, die Ausnahmeregelung des § 4a Abs. 1 Nr. 3 AMG mangels unionsrechtlicher Erforderlichkeit zu streichen; BT-Drs. 16/12256 (2009), S. 43. 20 BT-Drs. 16/13428 (2009), S. 84. 21 OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Februar 2019 – 13 ME 289/19. 22 Das Paul-Ehrlich-Institut ist das deutsche Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 049/19 Seite 9 Tatbestand erfasst seien. Eine mechanische oder enzymatische Bearbeitung des Gewebes führe zu einer Zellsuspension (Homogenisierung), wodurch die stoffliche Beschaffenheit des Gewebes verändert werde. Die Änderung des Gewebes resultiere daraus, dass die feingeweblichen, sogenannten histologischen Bindegewebs- und Kapillarstrukturen zerstört werden, Volumeneffekten entstehen (Macro-, Micro- und Nanofat) und insbesondere eine separationsbedingte An-/Abreicherung verschiedener Zellfraktionen erfolge, wodurch die biologisch-pharmakologischen Eigenschaften des Gewebes verändert werden. Dieses Gewebepräparat werde auch nach Auffassung des PEI mithin nicht mehr von der Ausnahmeregelung des § 4a S. 1 Nr. 3 AMG erfasst.23 4.1.3. Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) Der Vorstand der DGPRÄC hat in Zusammenarbeit mit einer Expertengruppe ein Konsensus- Statement aus praktisch-chirurgischer Sicht zur Bewertung der Situation der Eigenfetttransplantation unter Berücksichtigung des Rechtsrahmens verfasst. Darin wird festgestellt, dass die Eigenfetttransplantation ein seit langem bewährtes Therapieverfahren sei und sich nicht von anderen Gewebetransplantationen unterscheide. Die mechanische Bearbeitung des Eigenfetts stelle dabei keine stoffliche Veränderung des Gewebes dar. Im Vergleich zu anderen Behandlungsmethoden, bei denen eine passgenaue Bearbeitung beispielsweise von Knochen-, Haut- oder Weichgewebstransplantationen erfolge, könne bei der Eigenfetttransplantation ebenfalls das mechanische Schneiden, Zentrifugieren, Filtern, Separieren, Konzentrieren und Reinigen von Fettgewebe unmittelbar im Operationssaal nicht als substanzielles Bearbeiten angesehen werden. Diese Handlungen seien notwendige Bestandteile der autologen Fetttransplantation. Danach sei die Eigenfetttransplantation zur Behandlung von Arthrose von dem Anwendungsbereich des AMG gem. § 4a S. 1 Nr. 3 AMG ausgenommen und bedürfe keiner Herstellungserlaubnis.24 4.2. Ausnahmereglung des § 13 Abs. 2b S. 1 AMG Geht man mit der Rechtsprechung und dem PEI davon aus, dass das Arzneimittelgesetz bei der Eigenfetttransplantation zur Behandlung von Arthrose Anwendung findet, bedarf der praktizierende Arzt einer Herstellungserlaubnis gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG. Dieses Erfordernis entfällt nach § 13 Abs. 2b S. 1 AMG bei Ärzten, soweit die Arzneimittel unter ihrer unmittelbaren fachlichen Verantwortung bei einem bestimmten Patienten hergestellt und angewendet werden.25 Dem steht jedoch die Rückausnahme des § 13 Abs. 2b S. 2 Nr. 1 AMG entgegen, wenn es sich um Arzneimittel für neuartige Therapien handelt. Solche sind gemäß § 4 Abs. 9 AMG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 lit. c ATMP-VO unter anderem biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte. Diese liegen vor, wenn eine Divergenz zwischen den Funktionen des Gewebes beim Empfänger und beim Spender besteht (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. c Tiret 2 ATMP-VO). Bei der Eigenfetttransplantation ist 23 Sanzenbacher/Frech, Wenn Gewebe zur Arznei wird, Deutsches Ärzteblatt 2019; 116 (1-2): A-28 f., abrufbar unter : https://www.aerzteblatt.de/archiv/204229/Streitpunkt-Eigenfettbehandlung-Wenn-Gewebe-zur-Arznei-wird. 24 Konsensus der Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen zur Eigenfetttransplantation , S. 337 ff., abrufbar unter: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals /html/10.1055/s-0042-121893. 25 Kügel, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, § 13 Rn. 67. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 049/19 Seite 10 strittig, ob das beim Empfänger entnommene Gewebe dazu bestimmt ist, im Wesentlichen dieselbe (n) Funktion(en) wie im Spender auszuüben und es sich damit um ein Arzneimittel für neuartige Therapien handelt. 4.2.1. Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg Nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg entfällt die Herstellungserlaubnispflicht nach § 13 Abs. 2b S. 2 Nr. 1 AMG nicht. Das Gericht ist der Auffassung, dass es sich bei dem implantierten Fettgewebe um ein Arzneimittel für neuartige Therapien handelt und damit beim Spender nicht im Wesentlichen dieselben Funktionen wahrnimmt. Das Fettgewebe, das an einer anderen Körperregion eingesetzt wird als dem Ursprungsort, erfüllt dort eine differenzierte Wirkung: Während das Fettgewebe am Entnahmeort lediglich die Funktion einer reinen Volumenfüllung besitzt, ist es an seinem Zielort für die Bildung eines Gleitlagers im Gelenk zuständig . Zudem findet eine Aufbereitung des Fettgewebes statt. Denn bei der Zentrifugation werden die einzelnen Bestandteile (Fettzellen, Stammzellen, Gewebsflüssigkeit, Lokalanästhetikum, Gefäßreste) voneinander getrennt. Das injizierte Gewebspräparat entspricht damit nicht mehr vollständig der Zusammensetzung des ursprünglichen Fettgewebes und gilt daher auch nicht mehr als unbearbeitet. Aus diesen Gründen ist das Verfahren nach Ansicht des Gerichts keine einfache Bearbeitung, sondern eine erlaubnispflichtige Herstellung eines Arzneimittels für neuartige Therapien nach § 4 Abs. 9 AMG.26 4.2.2. Paul-Ehrlich-Institut (PEI) Das PEI stellt ebenfalls fest, dass unter den Oberbegriff „Eigenfetttransplantation“ immer mehr Verfahren fallen, bei denen das Gewebe komplex aufbereitet wird, und es sich aus diesem Grund um eine Herstellung von Arzneimitteln für neuartiger Therapien gemäß § 4 Abs. 9 AMG handele. Damit sei eine Herstellungserlaubnis für die Arthrosebehandlung mit Eigenfett gem. § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG erforderlich. Im Wesentlichen dieselbe Funktion erfülle das Fettgewebe nur, wenn es in ähnlichen anatomischen Zielgeweben und mit vergleichbarer anatomischer Funktion angewendet werde. Der klassische Fall sei die sekundärrekonstruktiven Weichteilaugmentation nach Volumenverlust durch Krankheit, Tumor (Brustkrebs), Trauma oder aufgrund des Alters. Bei der Behandlung von Arthrose mit Eigenfett würden dagegen Gewebepräparate hergestellt, die im Verlauf des Verfahrens substanziell bearbeitet werden.27 4.2.3. Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) Der DGPRÄC ist der Auffassung, dass bei anderen Aufbereitungsverfahren mit dem Ziel, Vorläuferzellen aus dem Eigenfettgewebe anzureichern, nach der derzeitigen Rechtlage eine Einstufung als Arzneimittel nach dem AMG bzw. der ATMP-VO in Frage kommen könnte. Von der autologen Eigenfetttransplantation seien Verfahren zu unterscheiden, die dazu dienten, Vorläuferzellen 26 OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Februar 2019 – 13 ME 289/19. 27 Sanzenbacher/Frech, Wenn Gewebe zur Arznei wird, Deutsches Ärzteblatt 2019; 116(1-2): A-28 f., abrufbar unter : https://www.aerzteblatt.de/archiv/204229/Streitpunkt-Eigenfettbehandlung-Wenn-Gewebe-zur-Arzneiwird . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 049/19 Seite 11 herauszulösen und konzentriert wieder einzusetzen, wie es z.B. bei der enzymatischen Behandlung von Fettgewebe der Fall sei. Würden dabei Zellen von ihrer Substanz her so bearbeitet, dass der biologische Effekt erhöht werde, könne unter Umständen ein Arzneimittel entstehen, so dass das AMG zur Anwendung komme. Dabei müsse jedoch zwischen der Beeinflussung und der vom Gesetz benannten Veränderung der Gewebes eindeutig differenzeiert werden, was aufgrund der Schnelllebigkeit der Behandlung nur schwer nachweisbar sei.28 Es handele sich nur im letzteren Fall um Arzneimittel für neuartige Therapien nach § 4 Abs. 9 AMG, die einer Herstellungserlaubnis nach § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG bedürften.29 5. Klinische Studien Ein erheblicher Kritikpunkt an der Behandlung von Arthrose durch die autologe Rücktransplantation von Fettgewebe in das betroffene Gelenk ist, dass bisher keine klinischen Daten aus Langzeitstudien erhoben wurden. Nach einer Ausarbeitung des Universitätsklinikums Freiburg in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Cochrane Zentrum bezogen auf die allgemeine zellassistierte Eigenfetttransplantation wurde festgestellt, dass aus 3.161 Publikationen nur 78 als relevant zu bewerten sind. Unter diesen befanden sich 13 klinische Studien, von denen lediglich 3 Studien den Kriterien der Evidenzklassen II und III30 entsprachen. Die längste Nachbeobachtungszeit betrug dabei 42 Monate.31 Danach ist die Eigenfetttransplantation in vielen Bereichen der Medizin verbreitet, obwohl eine enorme Unklarheit bezüglich ihrer Sicherheit und Effizienz besteht. Die fehlende Datengewinnung aus Langzeitstudien wird in der Medizin teilweise mit den strengen Voraussetzungen an Arzneimittel für neuartige Therapien durch das AMG begründet. Durch diese werde die Möglichkeit, die Behandlung im Rahmen einer Langzeitstudie anzubieten, erheblich erschwert.32 *** 28 Prantl/Giunta/Horch/Herold/Hassel, Gewebe und nicht Arzneimittel, Deutsches Ärzteblatt 2019; 116(1-2): A-26 f. 29 Konsensus der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen zur Eigenfetttransplantation , S. 337 ff., abrufbar unter: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals /html/10.1055/s-0042-121893. 30 Mit Hilfe von Evidenzklassen erfasst man in der Medizin die wissenschaftliche Aussagefähigkeit klinischer Studien . Dabei unterscheidet man nach den Empfehlungen des AHRQ (Agency for Healthcare Research and Quality ) die Evidenzklassen I bis IV. Studien der Klasse Ia haben die höchste Evidenz, Studien der Klasse IV die geringste. Je höher die Evidenzklasse, desto besser ist die wissenschaftliche Begründbarkeit für eine daraus abgeleitete Therapieempfehlung; abrufbar unter: https://web.archive.org/web/20130927204524/http://www.cochrane.de/de/evidenz-empfehlung. 31 Grabin/Antes/Stark/Motschall/Buroh/Lampert, Zellassistierte Eigenfetttransplantation, Deutsches Ärzteblatt 2015; 112(15): 255 ff., abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/169086/Zellassistierte-Eigenfetttransplantation . 32 Faltus, Rechtsrahmen zur Eigenfettnutzung bei Point-of-Care-Behandlungen in der plastischen und ästhetischen Chirurgie – Straf- und berufsrechtliche Risiken aufgrund des Arzneimittelrechts, Handchirurgie Mikrochirurgie plastische Chirurgie 2016; 48(04): 219 ff; Ruettermann, Eigenfettbehandlung: Hohe Nachfrage, Deutsches Ärzteblatt 2019; 116(8): A-382.