© 2021 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 045/21 Entwicklung von Impfstoffen gegen multiresistente Keime und Sepsis Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 045/21 Seite 2 Entwicklung von Impfstoffen gegen multiresistente Keime und Sepsis und Sepsis Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 045/21 Abschluss der Arbeit: 22. April 2021 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 045/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Schutzimpfungen gegen multiresistente Keime 5 3. Schutzimpfungen gegen Sepsis 7 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 045/21 Seite 4 1. Vorbemerkung Infektionen durch Bakterien lassen sich meist gut mit Antibiotika behandeln. Einige Bakterien sind jedoch unempfindlich gegenüber vielen Antibiotika. Man spricht in diesem Fall von multiresistenten Erregern – kurz: MRE. Am bekanntesten ist der methicillinresistente Staphylococcus aureus – kurz: MRSA. Bei diesen Erregern wirken die meisten Antibiotika nicht.1 MRSA verursacht lebensbedrohliche Erkrankungen, beispielsweise Sepsis. Sofern der Patient nur MRSA-Träger ist und keine Infektion hat, erfolgt die Behandlung („Sanierung “) mittels desinfizierender Seife und spezieller Salbe, um die Bakterien von Haut, Schleimhäuten und anderen Körperoberflächen zu entfernen, wodurch die Trägerschaft beendet wird. Wenn MRSA eine Infektion bei dem Patienten verursacht, werden Antibiotika eingesetzt. Durch Laboruntersuchung kann festgestellt werden, bei welchen Antibiotika das MRSA empfindlich reagiert . Der MRSA-Erreger ist zwar gegen viele Antibiotika resistent – es gibt jedoch gewisse Reserve -Antibiotika, mit denen eine MRSA-Infektion in der Regel wirksam behandelt werden kann. Nach der Antibiotika-Behandlung werden Abstriche genommen, um das Resultat der MRSA-Behandlung zu kontrollieren. Meistens folgt eine vollständige Genesung.2 Damit der Betroffene nach der Antibiotika-Behandlung frei von MRSA ist und um künftige Infektionen zu verhindern, ist neben der Antibiotikagabe zusätzlich eine MRSA-Sanierung erforderlich. Da sich bis zu 50 Prozent der Sanierten innerhalb eines Jahres wiederbesiedeln, sind zudem Kontrollabstriche notwendig. Die Abstrichhäufigkeit unterscheidet sich je nachdem, ob der Patient stationär oder ambulant behandelt wird. Nach 12 Monaten und negativen MRSA-Abstrichen gilt der Sanierte als MRSA-frei.3 Häufig ist zu lesen, dass Impfungen gegen MRSA helfen würden. Gemeint ist damit, dass Vakzine dazu beitragen können, die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen zu verhindern, indem sie bakterielle Infektionen reduzieren, wodurch weniger Antibiotika benötigt würden. Der sogenannte Herdenschutz, der durch das Impfen entsteht, reduziere die Notwendigkeit von Antibiotika noch weiter.4 Auch zur Vorbeugung einer Sepsis könnten Impfungen helfen, denn gegen einige ihrer häufigsten Auslöser stehen Impfungen zur Verfügung, zum Beispiel gegen Pneumokokken , Meningokokken oder die echte Grippe.5 Einen in der Europäischen Union zugelassenen 1 Patienteninformation.de, MRSA und Co. – Was Sie über diese Erreger wissen sollten, abrufbar unter: https://www.patienten-information.de/kurzinformationen/multiresistente-erreger. 2 Vgl. MRSA-net, Kann man MRSA behandeln? Abrufbar unter: https://www.mrsa-net.nl/de/personal/sanierung /allgemein/1025-kann-man-mrsa-behandeln; ausführlich zur Behandlung Kassenärztliche Bundesvereinigung , Sanierung von MRSA-Trägern, abrufbar unter: https://www.kbv.de/html/themen_1292.php. 3 Vgl. Kassenärztliche Bundesvereinigung, Sanierung von MRSA-Trägern, abrufbar unter: https://www.kbv.de/html/themen_1292.php. 4 Der Standard, Antibiotikaresistenzen durch Impfungen reduzieren, Beitrag vom 26. April 2018, abrufbar unter: https://www.derstandard.de/story/2000078634404/durch-impfungen-antibiotikaresistenzen-reduzieren. 5 Vgl. Infektionsschutz.de, Sepsis - ein medizinischer Notfall, abrufbar unter: https://www.infektionsschutz .de/infektionskrankheiten/krankheitsbilder/sepsis-ein-medizinischer-notfall.html. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 045/21 Seite 5 Impfstoff gegen MRSA oder Sepsis selbst gibt es hingegen bislang nicht.6 An einem Impfstoff gegen MRSA wird derzeit geforscht. Diese Arbeit gibt einen Überblick über den Stand der Forschung zur Entwicklung von Impfstoffen gegen multiresistente Keime und Sepsis. 2. Schutzimpfungen gegen multiresistente Keime Im Rahmen einer vom internationalen Pharmaverband (IFPMA) gestarteten Initiative haben 20 führende Pharmaunternehmen zusammen mit Stiftungen und der Europäischen Investitionsbank (EIB) einen gemeinsamen Fond (AMR Action Fund) zur Entwicklung neuer Antibiotika gegründet . Ziel sei es, bis 2030 zwei bis vier neue Wirkstoffe anbieten zu können.7 Die forschenden Pharmaunternehmen (vfa) geben auf ihrer Internetseite einen Überblick über die laufenden Projekte für Antibiotika sowie antibakterielle Impfstoffe.8 Ein Impfstoff gegen MRSA findet sich unter den Impfstoffen gegen bakterielle Infektionen nicht. Die aktive und passive Immunisierung gegen multiresistente Stämme wird jedoch als potentiell wertvolle Alternative zur Antibiotikatherapie angesehen. In der Vergangenheit wurden gegen MRSA schon zahlreiche Impfstoffe entwickelt, allerdings blieben diese in den klinischen Prüfphasen durchweg ohne Erfolg.9 So forschten Olaf Schneewind und Mitarbeiter der Universität Chicago an einem Impfstoff gegen MRSA, für welchen vier Antigene mit der stärksten immunogenen Wirkung zu einem Impfstoff kombiniert wurden. Dieser sollte der Prototyp für einen Impfstoff gegen MRSA sein. In einem ersten Versuch wurden zehn Tiere geimpft und dann mit einem tödlichen MRSA-Stamm infiziert . Alle Tiere überlebten. Im nächsten Schritt wurden jeweils zehn weitere Tiere mit einem von fünf weiteren MRSA-Stämmen geimpft. Dieses Mal schützte der Impfstoff gegen zwei Stämme. Bei den anderen drei Stämmen überlebten 60 bis 90 Prozent der Mäuse. Der Impfstoff war insofern noch nicht völlig ausgereift, zumal es noch weitere Stämme gibt, gegen die noch nicht getestet wurde. Aerzteblatt.de, Antibiotikaresistenz: Kann Impfung vor tödlichen MRSA schützen? Beitrag vom 31. Oktober 2006, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/treffer ?jahr=2006&wo=57&typ=1&nid=26225. Forscher der University of Rochester nutzen für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen MRSA die Zellteilung des resistenten Keims. Sie haben Antikörper entdeckt, die gezielt ein Schlüsselei- 6 Vgl. bezüglich Sepsis: Kassenärztliche Bundesvereinigung, Blutvergiftung (Sepsis) schnell und richtig reagieren, abrufbar unter: https://www.kbv.de/media/sp/Patienteninformation_Sepsis.pdf; Pharma Fakten, Welt-Sepsis- Tag: Impfen gegen Blutvergiftung?, abrufbar unter: https://www.pharma-fakten.de/news/details/667-welt-sepsis -tag-impfen-gegen-blutvergiftung/. 7 Antrag der Fraktion der FDP, Wirksame Strategie für die Bekämpfung von multiresistenten Keimen in Entwicklungsländern vom 29. Januar 2021, BT-Drucksache 19/26314. 8 Die forschenden Pharmaunternehmen, Neue Antibiotika und Impfstoffe gegen Bakterien in Entwicklung, abrufbar unter: https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/antibakterielle-pipeline.html. 9 Vgl. Deutsches Zentrum für Infektionsforschung, Hoffnung auf Impfung gegen Staphylococcus au-reus-Infektionen ? Pressemitteilung vom 19. Januar 2021, abrufbar unter: https://www.dzif.de/de/hoffnung-auf-impfung-gegen -staphylococcus-aureus-infektionen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 045/21 Seite 6 weiß ausschalten, welches das Bakterium für das Abschnüren einer Tochterzelle benötigt. In Laborversuchen an Zellkulturen und auch bereits im Tierversuch an Mäusen konnten sie mit dieser Strategie die Vermehrung der Bakterien verhindern und Infektionen abwehren. Dapd Nachrichtenagentur , Focus Online, Forscher arbeiten an MRSA-Impfung, Beitrag vom 9. September 2015, abrufbar unter: https://www.focus.de/gesundheit/arzt-klinik/news/krankenhauskeime-forscherarbeiten -an-mrsa-impfung_aid_590846.html. Siehe dazu auch die Internetseite des Schwarz Lab der University of Rochester, Bone Infection and MRSA Vaccine, abrufbar unter: https://www.urmc.rochester.edu/labs/schwarz/projects/bone-infection-and-mrsa-vaccine.aspx. Die Europäische Union förderte vom 1. September 2013 bis zum 31. August 2015 ein Projekt, welches die Expression und Regulierung von Virulenzfaktoren bei MRSA sowie potenzielle Impfstoffantigene untersuchte. Die Fördersumme betrug 179.739,60 Euro. Europäische Kommission, CORDIS, Regulation of Expression of Staphylococcus aureus Vaccine Antigen Candidates, abrufbar unter: https://cordis.europa.eu/article/id/190508-new-vaccines-against-staphylococcus/de. Die Molekularbiologin Isabelle Bekeredjian-Ding, Leiterin der Abteilung Mikrobiologie am Paul- Ehrlich-Institut, hält es für möglich, mit mRNA-haltigen Impfstoffen die T-Zell-Antworten gegenüber MRSA im Körper zu verändern und den Anteil schützender T-Zellen zu erhöhen. Beatrice Hamberger, Gesundheitsstadt Berlin, das Hauptstadtnetzwerk, Impfung gegen MRSA nur noch eine Frage der Zeit? Beitrag vom 5. Juni 2017, abrufbar unter: https://www.gesundheitsstadtberlin .de/impfung-gegen-mrsa-nur-noch-eine-frage-der-zeit-11409/. Ein Team von Wissenschaftlern der Uniklinik Köln sowie des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) hat jüngst eine neue Impfstoffstrategie gegen MRSA entwickelt: Zunächst charakterisierten sie mehrere MRSA-Antigene als potentielle Vakzine-Kandidaten. Anschließend konnten sie – mit Hilfe von monoklonalen Antikörpern, die eine schützende Wirkung im Infektionsmodell zeigten – deren Bindungsstellen, die sogenannten Epitope, in den Impfantigenen präzise lokalisieren. Die Wissenschaftler konnten das Epitop auf einen 12-Aminosäuren umfassenden Abschnitt eingrenzen und mit diesem eine schützende Immunantwort gegen die MRSA-Infektion auszulösen. Die Eingrenzung des Impfstoffes auf ein so kleines Epitop stellte eine bisher unerreichte Präzision eines Impfstoffkandidaten gegen MRSA dar. Zudem machten die Wissenschaftler die Beobachtung, dass mehr als 97 Prozent von über 35.000 untersuchten klinischen MRSA-Stämmen dieses Epitop unverändert aufweisen und somit der Impfstoffkandidat eine breite Wirkung erzielen würde. Martin Krönke, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene der Uniklinik Köln, hält die Epitop-basierte Immunisierung für eine neue Qualität in der Impfstoffentwicklung, weil zu erwarten sei, dass weit weniger unerwünschte Immunreaktionen erfolgten, als sie bei der Verwendung von Gesamteiweißstoffen oder gar abgetöteten Erregern immer wieder festzustellen seien. Deutsches Zentrum für Infektionsforschung, Hoffnung auf Impfung gegen Staphylococcus aureus-Infektionen ? Pressemitteilung vom 19. Januar 2021, abrufbar unter: https://www.dzif.de/de/hoffnungauf -impfung-gegen-staphylococcus-aureus-infektionen. Die dazugehörige Studie von Alexander Klimka, Martin Krönke u. a., Epitope-specific immunity against Staphylococcus aureus coproporphyrinogen III oxidase, veröffentlicht am 18. Januar 2021, Nature Partner Journal, NPJ VAC- CINES 6, 11 (2021), ist abrufbar unter: https://www.nature.com/articles/s41541-020-00268-2. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 045/21 Seite 7 3. Schutzimpfungen gegen Sepsis Wissenschaftler des Scripps Forschungsinstituts in La Jolla, Kalifornien, sollen laut einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift "Angewandte Chemie" aus dem Jahr 2002 einen Impfstoff gegen Blutvergiftung entwickelt haben. Ziel war ein Impfstoff, der Patienten z. B. vor einer Operation verabreicht werden kann und das Risiko einer Blutvergiftung während des Krankenhausaufenthalts minimiert. In Mäuse injiziert, habe der Impfstoff zu einer reduzierten Entzündungsreaktion nach einer bakteriellen Infektion geführt. Lerner, Richard A., Janda, Kim D. u. a., Active Immunization with a Glycolipid Transition State Analogue Protects against Endotoxic Shock, veröffentlicht am 12. November 2002 in: Angewandte Chemie, International Edition, 2002, Volume 41, Nr. 22, S. 4415 bis 4418, abrufbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/1521- 3757(20021115)114:22%3C4415::AID-ANGE4415%3E3.0.CO;2-9. Siehe auch Deutsche Apotheker -Zeitung, DAZ 2002, Nr. 47, S. 8, abrufbar unter: https://www.deutsche-apotheker-zeitung .de/daz-az/2002/daz-47-2002/uid-8748. ***