© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 045/20 Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Sinne des § 5 Absatz 1 Infektionsschutzgesetz Begriffsverständnis und Feststellung durch den Deutschen Bundestag Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Begriff der epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Sinne des § 5 Abs. 1 IfSG 7 3.1. Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringenden Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationales Tragweite 7 3.2. Das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 9 3.3. Stellungnahmen zur Gesetzesformulierung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite 11 4. Exkurs: Zum Drei-Stufen-Modell im Epidemiengesetz der Schweiz 13 4.1. Rechtliche Ausgangslage 13 4.1.1. Begriff der „normalen Lage“ 14 4.1.2. Begriff der „besonderen Lage“ 14 4.1.3. Begriff der „ausserordentlichen“ Lage 17 4.2. Umsetzung der rechtlichen Vorgaben durch den Schweizerischen Bundesrat in der Coronaviruskrise 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 4 1. Ausrufung einer Pandemie durch die WHO Am 11. März 2020 hat der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus den COVID-19-Ausbruch offiziell zu einer Pandemie erklärt. Grund für diese Entscheidung war die starke Zunahme der Fallzahlen außerhalb Chinas in den davor liegenden zwei Wochen, allein im Europäischen Raum mehr als 20.000 bestätigte Fälle, vgl. WHO, WHO erklärt COVID-19-Ausbruch zur Pandemie, 12. März 2020, abrufbar unter: http://www.euro.who.int/de/health-topics /health-emergencies/coronavirus-covid-19/news/news/2020/3/who-announces-covid-19-outbreak -a-pandemic. Mit dieser Erklärung wurden zum einen Empfehlungen für die Europäische Region ausgesprochen, so etwa zur Intensivierung ihrer Bereitschaftsplanung und zur Einleitung der erforderlichen Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Zum anderen wurden konkrete Empfehlungen an die Bevölkerung formuliert über Hygienemaßnahmen, frühzeitige Arztbesuche im Verdachtsfall sowie das Einholen und Befolgen von Informationen und Anweisungen des Gesundheitspersonals, siehe: Coronavirus disease (COVID-19) advice for the public, abrufbar unter: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/advice-forpublic . Rechtliche Grundlage der Erklärung der WHO ist Art. 12 der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) vom 23. Mai 2005.1 Gemäß Absatz 1 stellt der Generaldirektor auf der Grundlage der erhaltenen Informationen – insbesondere der des Vertragsstaates, bei dem das Ereignis eingetreten ist – fest, ob ein Ereignis eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite nach den in diesen Vorschriften enthaltenen Kriterien und Verfahren darstellt. Kriterien, die bei der Feststellung, ob ein solches Ereignis vorliegt, sind nach Absatz 4: die vom jeweiligen Vertragsstaat bereitgestellten Informationen das in Anlage 2 aufgeführte Entscheidungsschema der Rat des Notfallausschusses wissenschaftliche Grundsätze, Erkenntnisse und andere Informationen und eine Bewertung der Gefahr für die menschliche Gesundheit, des Risikos der grenzüberschreitenden Ausbreitung der Krankheit und des Risikos der Beeinträchtigung des internationalen Verkehrs. Das Entscheidungsschema in Anlage 2 geht vom Vorliegen bestimmter Ereignisse aus, wobei drei Fallgruppen unterschieden werden. ungewöhnliches oder unerwartetes Auftreten bestimmter dort genannter Krankheiten Ereignisse, die von internationaler Tragweite für die öffentliche Gesundheit sein können Ereignisse, die bestimmte Krankheiten mit sich bringen. Die nachfolgenden Fragestellungen betreffen die Einordnung des Ereignisses als ungewöhnlich oder unerwartet sowie die Frage des Risikos einer grenzüberschreitenden Ausbreitung. Die Meldepflicht gegenüber der WHO entsteht dann, wenn die jeweiligen Fragen mit „Ja“ zu beantworten sind. 1 Vgl. das Gesetz zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) (IGV), BGBl. II 2007, S. 932, geändert durch die 74. Weltgesundheitsversammlung am 24. Mai 2014, BGBl. II 2016, S. 498. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 5 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 6 Weitere Ausführungen zu den maßgeblichen Kriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite finden sich bei Pflug.2 2. Risikoeinschätzung durch das Robert Koch-Institut Das Robert Koch-Institut (RKI) ist das nationale Public-Health-Institut für Deutschland. Zu seinen wichtigsten Arbeitsbereichen gehört seit Jahren die Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Seit 2001 werden Krankheitsausbrüche zunehmend über entsprechende Meldedaten von den Gesundheitsämtern entsprechend den Regelungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)3 an das Institut übermittelt. Das RKI hat erstmals im Jahr 2005 den Nationalen Pandemieplan für Deutschland (NPP) veröffentlicht und diesen seitdem laufend aktualisiert.4 Er enthält Handlungsanweisungen, die Behörden und andere Institutionen auf Bundes- und Länderebene zur Vorbereitung auf eine Influenzapandemie dienen sollen. Teil I des NPP zeigt insbesondere Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung auf, Teil II dient als fachliche Grundlage für Entscheidungen über Maßnahmen und beschreibt den wissenschaftlichen Sachstand zur Influenzapandemieplanung.5 Mit der Veröffentlichung der „Ergänzung zum Nationalen Pandemieplan“ am 5. März 2020 hat das RKI auf den Ausbruch der Corona-Pandemie reagiert und besondere Empfehlungen und Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie aufgezeigt6, ausgehend von den Zielen, die Reduktion der Morbidität und Mortalität in der Gesamtbevölkerung zu erreichen. Zur Bewertung der Gesamtschwere der Epidemie stellte das RKI bereits bei Abfassung des Berichts fest, dass sich diese äußerst schwierig gestalte. Vor allem seien die Auswirkungen der möglichen Ausbreitung noch nicht klar zu beantworten, viele Faktoren seien dabei zu berücksichtigen , die bislang noch nicht einschätzbar seien.7 Hierbei müssten insbesondere drei Hauptkriterien berücksichtigt werden: 2 Pflug, Manuel, Pandemievorsorge – informationelle und kognitive Regelungsstrukturen, 2013, S. 86-89 (der Text in elektronischer Form ist abrufbar über die Bibliothek des Deutschen Bundestages). 3 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 19. Mai 2020 (BGBl. I S. 1018) geändert worden ist. 4 Siehe insbesondere RKI, Nationaler Pandemieplan, Teil I, Strukturen und Maßnahmen, Stand: 2. März 2017, abrufbar unter: https://www.gmkonline.de/documents/pandemieplan_teil-i_1510042222_1585228735.pdf. 5 RKI, Nationaler Pandemieplan, Teil II, Wissenschaftliche Grundlagen, Stand: 8. Dezember 2014, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/I/Influenza/Pandemieplanung/Downloads/Pandemieplan_Teil_II_gesamt .pdf?__blob=publicationFile. 6 Ergänzung zum Nationalen Pandemieplan – COVID-19 – neuartige Coronaviruserkrankung (4. März 2020), abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Ergaenzung_Pandemieplan_Covid .pdf?__blob=publicationFile. 7 Ergänzung zum Nationalen Pandemieplan – COVID-19 -https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges _Coronavirus/Ergaenzung_Pandemieplan_Covid.pdf?__blob=publicationFile, S. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 7 das Risiko der Übertragbarkeit (Transmissibility) der Anteil klinisch schwerer bzw. tödlicher Krankheitsverläufe (Seriousness of disease) und die Auslastung und Kapazität des Gesundheitsversorgungssystems (Impact) des jeweils betroffenen Landes.8 Das RKI nimmt im Übrigen laufend die Beschreibung und Einschätzung der Situation und damit die Risikobewertung für die Bevölkerung in Deutschland vor, zuletzt stellte das Institut am 26. Mai 2020 fest: „Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Die Anzahl der neu übermittelten Fälle ist aktuell rückläufig. Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit weiterhin insgesamt als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch. Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern.9 Die konkrete Risikoeinschätzung richtet sich nach der aktuellen Übertragbarkeit (anhand von Fallzahlen), dem Schwereprofil (Anteil schwerer Krankheitsverläufe) und der Ressourcenbelastung des Gesundheitsversorgungssystems .10 3. Begriff der epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Sinne des § 5 Abs. 1 IfSG 3.1. Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringenden Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationales Tragweite Die Formulierungshilfe des Bundesministeriums für Gesundheit für den Entwurf eines Bevölkerungsschutzgesetzes 11 sah in § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG noch eine Vorschrift vor, in der die Voraussetzungen benannt wurden, unter denen eine epidemische Lage von nationaler Tragweite vorliegt. Nach dieser Bestimmung sollte eine derartige Lage dann vorliegen, „wenn die Bundesregierung eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland festgestellt hat“. Vorgesehen war, dass diese Feststellung durch die Bundesregierung aus zwei Gründen erfolgen kann: Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Entwurfs sollte eine solche Lage zum einen dann gegeben sein, „weil die Weltgesundheitsorganisation eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite ausgerufen hat und die Einschleppung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit in die 8 Ergänzung zum Nationalen Pandemieplan, S. 17. 9 Robert Koch-Institut, Infektionskrankheiten A-Z, Coronavirus SARS CoV-2, Risikobewertung zu COVID-19, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html. 10 Robert Koch-Institut, COVID-19: Grundlagen für die Risikoeinschätzung, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung_Grundlage.html. 11 Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringenden Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite , abrufbar unter: https://wmp-ag.de/wp-content/uploads/2020/03/Eilmaßnahmen_Epidemie.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 8 Bundesrepublik Deutschland droht“. In der Begründung zu dieser Alternative wird darauf hingewiesen , die Feststellung des Eintretens einer solchen Notlage durch den Generaldirektor der WHO gemäß Art. 12 der Internationalen Gesundheitsvorschriften vom 23. Mai 2005 (IGV) sei ihrerseits an bestimmte Kriterien geknüpft und werde restriktiv gehandhabt. Diese Feststellung löse innerstaatlich in der Bundesrepublik Deutschland jedoch keinen Automatismus von Rechtsfolgen aus. Vielmehr bedürfe es stets der gesonderten Feststellung durch die Bundesregierung.12 Die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Entwurfs sah eine Feststellungsbefugnis der Bundesregierung auch ohne eine vorherige Feststellung durch die WHO vor. Eine „ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland“ sollte danach auch dann festgestellt werden können, „weil die dynamische Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit über mehrere Länder in der Bundesrepublik Deutschland droht.“ Von einer solchen Lage sei auszugehen, wenn mehrere Bundesländer von einer dynamischen Verbreitung betroffen seien, wie etwa bei der EHEC-Epidemie 2011.13 Durch die in § 5 Abs. 1 Satz 2 IfSG vorgesehene Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt sollte die nötige Publizität der durch die Bundesregierung erfolgten Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite gewährleistet werden.14 Die geplante Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 1 IfSG sah vor, dass die Bundesregierung die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite unverzüglich aufzuheben hat, wenn die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr vorliegen. Dementsprechend müsse die Bundesregierung die Entwicklung der Lage ständig beobachten und überprüfen. Sobald sich die festgestellte Lage dergestalt fortentwickle, dass die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr gegeben seien, habe die Bundesregierung die Lage unverzüglich für beendet zu erklären.15 Nach der in § 5 Abs. 2 Satz 2 IfSG vorgesehenen Regelung sollte die Bundesregierung auch auf Verlangen des Bundestages oder des Bundesrates verpflichtet sein, die entsprechende Feststellung unverzüglich aufzuheben. Die Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 3 IfSG sah vor, dass die Aufhebung im Bundesgesetzblatt bekannt zu machen ist. Um die „unmittelbare Rückkehr in den Normalzustand“ zu gewährleisten, sollten nach der in § 5 Abs. 2 Satz 4 IfSG vorgesehenen Regelung sämtliche von der Bundesregierung auf der Grundlage des § 5 Abs. 3 IfSG getroffenen 12 Vgl. die Begründung in der Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringenden Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, S. 21 zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 IfSG. 13 Vgl. die Begründung in der Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringenden Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, S. 21 zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 IfSG 14 Vgl. die Begründung in der Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringenden Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, S. 21. 15 Vgl. die Begründung in der Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringenden Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, S. 21 zu § 5 Abs. 2 IfSG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 9 Anordnungen mit der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite als aufgehoben gelten.16 3.2. Das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 Die in der Formulierungshilfe des Bundesministeriums für Gesundheit noch vorgesehene Begriffsbestimmung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in § 5 Abs. 1 IfSG wurde nicht beibehalten. Sie wurde nicht in den von den Fraktionen der CDU, CSU und SPD am 24. März 2020 eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufgenommen17 und hat auch keinen Eingang in das vom Deutschen Bundestag am 25. März 2020 verabschiedete Gesetz gefunden.18 Eine wesentliche Änderung im Vergleich zu der in der Formulierungshilfe vorgesehenen Regelung besteht darüber hinaus darin, dass nach der Gesetz gewordenen Fassung des § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht die Bundesregierung, sondern der Deutsche Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festzustellen hat. Diese Feststellung hat der Deutsche Bundestag unter der stillschweigenden Bedingung, dass das Gesetz in Kraft tritt, im Anschluss an die Verabschiedung des Gesetzes am 25. März 2020 getroffen.19 Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 IfSG hebt der Deutsche Bundestag die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite wieder auf, wenn die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr vorliegen. Die Aufhebung ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 IfSG im Bundesgesetzblatt bekannt zu machen. Die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag hat zur Folge, dass dem Bundministerium für Gesundheit nach Maßgabe der in § 5 Abs. 2 bis 3 IfSG getroffenen Regelungen umfangreiche Ermächtigungen zum Erlass von – sofort vollziehbaren, vgl. § 5 Abs. 4 Satz 4 IfSG – Anordnungen sowie von Rechtsverordnungen zugewachsen sind. Aufgrund von § 5 Abs. 2 IfSG erlassene Rechtsverordnungen treten mit Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite außer Kraft, ansonsten spätestens mit Ablauf des 31. März 2021; Entsprechendes gilt für die Anordnungen (§ 5 Abs. 4 IfSG). Da die Bestimmung des § 5 Abs. 1 IfSG keine Legaldefinition oder gar einen Kriterienkatalog enthält, anhand der bzw. dessen das Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite festgelegt oder überprüfbar wäre, ist für die Frage, wie dieser unbestimmte Rechtsbegriff 16 Vgl. die Begründung in der Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringenden Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, S. 21 zu § 5 Abs. 2 IfSG. 17 Vgl. den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, in: BT-Drs. 18/18111 vom 24. März 2020, S. 6 zu § 5 Abs. 1 IfSG. 18 Ausweislich des Plenarprotokolls 19/154 vom 25. März 2020 haben Erste Lesung, Einbeziehung des Haushaltsausschusses sowie Zweite und Dritte Lesung an einem Tag stattgefunden. 19 Vgl. das Plenarprotoll 19/154 vom 25. März 2020, S. 19169 (C) in Verbindung mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT-Drs. 19/18111 – , Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, in: BT-Drs. 19/18156 vom 25. März 2020. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 10 auszulegen ist, auf die Gesetzesmaterialien zurückzugreifen. Im Allgemeinen Teil des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurfs wird ausgeführt, in der „Normallage“ reiche es aus, dass die Anordnung von Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten den nach Landesrecht zuständigen Behörden obliege, um die Ausbreitung eines Krankheitserregers zu verhindern. Das aktuelle Ausbruchsgeschehen der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Krankheit COVID-19 zeige aber, dass „im seuchenrechtlichen Notfall das Funktionieren des Gemeinwesens erheblich gefährdet sein“ könne. „In einer sich dynamisch entwickelnden Ausbruchssituation“ könne „für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik durch eine sich grenzüberschreitend ausbreitende übertragbare Krankheit eine erhebliche Gefährdung eintreten, der nur begrenzt auf Landesebene begegnet werden“ könne. „Um einer Destabilisierung des gesamten Gesundheitssystems vorzubeugen“, müsse die Bundesregierung auf der Grundlage der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag „in die Lage versetzt werden, schnell mit schützenden Maßnahmen einzugreifen“.20 Aus dieser Begründung lässt sich ableiten, dass eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ im Sinne des § 5 Abs. 1 IfSG nach Auffassung des Gesetzgebers dann vorliegt, wenn: - eine durch den seuchenrechtlichen Notfall hervorgerufene erhebliche Gefährdung des Funktionierens des Gemeinwesens droht, - in einer sich dynamisch entwickelnden Ausbruchssituation die Gefahr des Eintritts einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik besteht , die durch eine sich grenzüberschreitend ausbreitende übertragbare Krankheit gekennzeichnet ist, - dieser Gefährdungslage für die öffentliche Gesundheit nur begrenzt auf Landesebene begegnet werden kann, - der Gefahr einer Destabilisierung des gesamten Gesundheitssystems vorgebeugt werden muss. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Dr. Georg Nüßlein, hob im Rahmen der parlamentarischen Debatte hervor: „Der Deutsche Bundestag stellt heute im Bevölkerungsschutzgesetz die epidemische Lage von nationaler Tragweite fest. Es ist entscheidend , dass wir, das Parlament, das tun.“ Ähnlich äußerte sich dazu auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Fraktion Die Linke., MdB Susanne Ferschl: „Das Gesetz zum Bevölkerungsschutz und zur Pandemiebekämpfung ist notwendig… es braucht mehr Demokratie. Deswegen bin ich sehr froh, dass es – auch aufgrund unserer Intervention – gelungen ist, dass es keine Selbstermächtigung gibt, sondern dass das Parlament entscheidet, ob eine Notsituation vorliegt oder nicht.“21 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber mit dem am 23. Mai 2020 in Kraft getretenen „Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler 20 Vgl. die Begründung im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, in: BT-Drs. 19/18111 vom 24. März 2020, S. 14. 21 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/154 vom 25. März 2020, S. 19159 und 19162. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 11 Tragweite“ vom 19. Mai 202022, mit dem das IfSG erneut geändert wurde23, zum Ausdruck gebracht hat, dass er bislang keine Veranlassung sieht, seine am 25. März 2020 gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG getroffene Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 2 IfSG wieder aufzuheben, weil die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr vorliegen. Dies lässt sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs schließen, wonach die „zunehmende Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2“ zeige, dass „weitere Maßnahmen erforderlich“ seien, „um die mit der durch das Virus ausgelösten Pandemie verbundenen Folgen abzumildern“.24 3.3. Stellungnahmen zur Gesetzesformulierung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite Die Äußerungen von Seiten der Politik und der Wissenschaft betreffen zum einen das Fehlen einer Legaldefinition in § 5 IfSG und zum andern die Entscheidung des Gesetzgebers, dass er selbst die Feststellung über das Vorliegen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite oder deren Aufhebung zu treffen hat. MdB Frank Schäffler, FDP, betrachtet es als wichtige Verbesserung, dass –im Gegensatz zu der Formulierungshilfe des BMG – nicht die Bundesregierung, sondern der Deutsche Bundestag selbst festzustellen habe, ob eine epidemische Lage von nationaler Tragweite bestehe.25 Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Detlev Spangenberg, Paul Viktor Podolay u. a. und die Fraktion der AfD haben am 6. Mai 2020 beantragt, die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufzuheben, BT-Drs. 19/18999. In diesem Zusammenhang weisen sie auch darauf hin, dass das Gesetz keine Legaldefinition zum Begriff der epidemischen Lage von nationaler Tragweite enthalte. Die Kompetenzerweiterung zugunsten des BMG werde im Wesentlichen auf das Ziel einer Stabilisierung des gesamten Gesundheitssystems vor dem Hintergrund der durch die SARS Covi-2 verursachten Epidemie gestützt. 22 BGBl. I S. 1018. 23 Vgl. Art. 1 und 2 des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. 24 Vgl. die Begründung im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, in: BT-Drs. 19/18967 vom 5. Mai 2020, S, 41. 25 Frank Schäffler, Persönliche Erklärung zum Abstimmungsverhalten am 25.03.2020 zu TOP 6 „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, abrufbar unter: https://www.frankschaeffler.de/persoenliche-erklaerung-zum-abstimmungsverhalten-am-25-03-2020-zu-top-6- gesetz-zum-schutz-der-bevoelkerung-bei-einer-epidemischen-lage-von-nationaler-tragweite/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 12 In der Kommentarliteratur findet sich der Hinweis, angesichts der Anordnungskompetenz durch den Deutschen Bundestag sei es nicht erforderlich, im Gesetz zu definieren, wann eine epidemische Lage von nationaler Tragweite anzunehmen sei.26 Nach Ansicht von Rixen ist davon auszugehen, dass sich die Formulierung der Feststellung der besonderen Lage an die der wirtschaftlichen Sicherstellungsgesetze zur Gewährleistung der Daseinsvorsorge Mitte der 60er Jahre anlehne.27 Zitiert wird in diesem Zusammenhang das aktualisierte Ernährungssicherstellungs- und -vorsorgegesetz und hier § 128, in dem geregelt werde, dass eine Versorgungskrise besteht. wenn die Bundesregierung bestimmte – im Weiteren ausgeführte Regelungen – getroffen habe. Der Autor weist allerdings darauf hin, dass die Zuweisung dieser Feststellung an die Bundesregierung der Entwurfsfassung in der o. g. Formulierungshilfe entspreche und nicht der des verabschiedeten Gesetzes. Meßling vertritt die Auffassung, es sei zu begrüßen, dass der neu gefasste § 5 IfSG einen eigenen „Spannungsfall“ definiere, der durch den Bundestag festzustellen sei. Dies diene der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit.29 Cremer hat im Rahmen einer öffentlichen Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales des nordrhein-westfälischen Landtages die Frage aufgeworfen, ob § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG möglicherweise deshalb verfassungswidrig sei, weil die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag einerseits an keine Voraussetzungen gebunden sei, diese Feststellung aber andererseits gravierende Eingriffsbefugnisse nach § 5 Abs. 2 IfSG eröffne.30 26 Häberle, Peter/Lutz, Hans-Joachim, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 1. Auflage 2020, § 5 Rn. 1. 27 Siehe hierzu: Rixen, Stephan, Gesundheitsschutz in der Coronavirus-Krise – Die (Neu-) Regelungen des Infektionsschutzgesetzes , in Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2020, S. 1097 (1102), abrufbar bei juris. 28 Gesetz über die Sicherstellung der Grundversorgung mit Lebensmitteln in einer Versorgungskrise und Maßnahmen zur Vorsorge für eine Versorgungskrise (Ernährungssicherstellungs- und -vorsorgegesetz), beschlossen als Art. 1 des Gesetzes vom 4. April 2017 (BGBl. I S. 772). 29 Meßling, Miriam, Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27.3.2020, in: Neue Zeitschrift für Sozialrecht (NZS), 2020, S. 321 (323). 30 Cremer, Wolfram, Gutachterliche Stellungnahme, Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 6. April 2020 anlässlich des Gesetzentwurfs der Landesregierung (Auswirkungen der Pandemie), in: Landtag NRW, 17. WP, Stellungnahme 17/2464, https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument /MMST17-2464.pdf (S. 4). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 13 4. Exkurs: Zum Drei-Stufen-Modell im Epidemiengesetz der Schweiz 4.1. Rechtliche Ausgangslage Zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 sind in der Schweiz im Frühjahr 2020 erstmals die Bestimmungen des 2016 revidierten Epidemiengesetzes (EpG)31 zur Anwendung gelangt.32 Das EpG, das sich auf Art. 40 Abs. 2, 118 Abs. 2b, 119 Abs. 2 und 120 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft33 stützt, und durch die vom Schweizerischen Bundesrat34 erlassene Epidemienverordnung (EpV)35 sowie die Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) über die Meldung von Beobachtungen übertragbarer Krankheiten des Menschen (EDI-VO36) ergänzt wird, regelt den Schutz des Menschen vor übertragbaren Krankheiten und sieht die dazu nötigen Maßnahmen vor (Art. 1 EpG). Zweck des Gesetzes ist es, den Ausbruch und die Verbreitung übertragbarer Krankheiten zu verhüten und zu bekämpfen. Als übertragbare Krankheit gilt nach Art. 3a EpG eine Krankheit, die durch Krankheitserreger oder deren toxische Produkte auf den Menschen übertragbar ist. Als Krankheitserreger gelten gemäß Art. 3b EpG u. a. natürliche Organismen (z. B. Viren), die eine übertragbare Krankheit verursachen oder verschlimmern können, sodass auch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 von den Begriffsbestimmungen in Art. 3 EpG erfasst wird. Um die rechtlichen Grundlagen für eine sinnvolle Aufgabenteilung und Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen zur Bewältigung von Krisensituationen bzw. Notlagen zu schaffen, wurde mit der im Jahr 2016 in Kraft getretenen Revision des EpG ein dreistufiges Modell eingeführt, das neben der „normalen Lage“ eine „besondere“ und eine „ausserordentliche 31 Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz – EpG) vom 28. September 2012 (Stand am 1. Januar 2017), abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation /20071012/201701010000/818.101.pdf. 32 Arz de Falco, Andrea, Epidemiengesetz besteht Praxistest, in: Die Volkswirtschaft, Plattform für Wirtschaftspolitik , 6/2020, S. 4 ff., abrufbar unter: https://dievolkswirtschaft.ch/content/uploads/2020/05/04_Arzdefalco _DE.pdf. 33 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (Stand am 1. Januar 2020), abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/202001010000/101.pdf. 34 Der Bundesrat ist die Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und nach Art. 174 der Bundesverfassung die „oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes“. 35 Verordnung über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemienverordnung – EpV) des Schweizerischen Bundesrates vom 29. April 2015 (Stand am 1. März 2019), abrufbar unter: https://www.admin .ch/opc/de/classified-compilation/20133212/201903010000/818.101.1.pdf. Gestützt auf Art. 16 Abs. 2 EpG hat der Schweizerischen Bundesrat darüber hinaus die Verordnung über mikrobiologische Laboratorien vom 29. April 2015 (Stand am 1. Januar 2016) erlassen, abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classifiedcompilation /20143116/201601010000/818.101.32.pdf. 36 Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) über die Meldung von Beobachtungen übertragbarer Krankheiten des Menschen (EDI-VO) vom 1. Dezember 2015 (Stand am 1. Februar 2020), abrufbar unter : https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20151622/202002010000/818.101.126.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 14 Lage“ vorsieht.37 Zudem erfolgte eine gezielte Erweiterung der Bundeskompetenzen bei der Vorbereitung auf besondere Gefährdungen der öffentlichen Gesundheit. 4.1.1. Begriff der „normalen Lage“ In einer sog. „normalen Lage“ sind die Kantone für den Vollzug des EpG und der EpV und damit für die Anordnung von Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten zuständig. Nach Maßgabe der Art. 30 bis 40 EpG verfügen die Kantone bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten über ein breites Instrumentarium an Maßnahmen gegenüber einzelnen Personen (beispielweise die Anordnung von Quarantäne oder Absonderung gemäß Art. 35 EpG) sowie gegenüber der Bevölkerung und bestimmten Personengruppen (z. B. die Anordnung von Veranstaltungsverboten gemäß Art. 40 EpG). Der Bund hat in normalen Lagen vor allem eine koordinierende Funktion. Im Übrigen verfügt er in diesen Lagen nur über begrenzte Befugnisse, wie etwa bei Maßnahmen im internationalen Personenverkehr zur Verhinderung einer grenzüberschreitenden Ausbreitung übertragbarer Krankheiten gemäß Art. 41 ff. EpG.38 4.1.2. Begriff der „besonderen Lage“ Bei Vorliegen einer sog. „besonderen Lage“ hat der Bundesrat die Kompetenz, bestimmte Maßnahmen selbst anzuordnen, die normalerweise in der Zuständigkeit der Kantone liegen. Dies geschieht gemäß Art. 6 Abs. 2 EpG allerdings erst nach Anhörung der Kantone, beispielsweise im Rahmen des Koordinationsorgans nach Art. 54 EpG39 oder einer Konsultation der Gesundheitsdirektorenkonferenz .40 Dem Bundesrat wird für die besondere Lage jedoch nur die Befugnis übertragen , selber die erforderlichen Maßnahmen anzuordnen. Der Vollzug der Maßnahmen verbleibt dagegen in jedem Falle bei den Kantonen, wobei das Eidgenössische Departement des Innern die Maßnahmen des Bundes zu koordinieren hat (Art. 6 Abs. 3 EpG). In einer „besonderen Lage“ kann der Bundesrat nach Anhörung der Kantone gemäß Art. 6 Abs. 2a bis d EpG folgende Maßnahmen anordnen: - (a) Maßnahmen gegenüber einzelnen Personen (z. B. flächendeckende Quarantäne für alle Kontaktpersonen), 37 Vgl. die Begründung in der Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zur Revision des Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz – EpG) vom 3. Dezember 2010, BBl 2011, S. 311 (313, 337, 362), abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2011/311.pdf. Zu den Begriffen der „normalen“, „besonderen“ und „ausserordentlichen“ Lage vgl. auch das vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegebene Faktenblatt „Normale, besondere und ausserordentliche Lage“ vom 28. Februar 2020, abrufbar unter: https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/60477.pdf. 38 Bundesamt für Gesundheit (BAG), Normale, besondere, und ausserordentliche Lage, Faktenblatt vom 28. Februar 2020, S. 1 (1). 39 Die Bestimmung des Art. 54 Abs. 1 Satz 1 EpG sieht vor, dass Bund und Kantone ein Organ zur Förderung der Zusammenarbeit (Koordinationsorgan) schaffen. 40 Bundesamt für Gesundheit (BAG), Normale, besondere und ausserordentliche Lage, Faktenblatt vom 28. Februar 2020, S. 1 (1). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 15 - (b) Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung (z. B. Veranstaltungen verbieten oder einschränken; Schulen, andere öffentliche Institutionen und private Unternehmen schließen oder Vorschriften zum Betrieb verfügen; das Betreten und Verlassen bestimmter Gebäude und Gebiete sowie bestimmte Aktivitäten an definierten Orten verbieten oder einschränken ), - (c) Ärztinnen, Ärzte und weitere Gesundheitsfachpersonen (Pflegefachpersonen, Hebammen und medizinisches Hilfspersonal) verpflichten, bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten mitzuwirken und - (d) Impfungen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären. Bei den Maßnahmen gegenüber einzelnen Personen und gegenüber der Bevölkerung nach Art. 6 Abs. 2a und b EpG beschränkt sich der Handlungsspielraum des Bundesrates auf die in den Art. 31 bis 38 EpG sowie die in Art. 40 EpG festgelegten Maßnahmen. Auch im Übrigen werden die rechtlich möglichen Maßnahmen im Gesetz abschließend aufgezählt. Der Bundesrat kann die Maßnahmen entweder in Form einer konkreten Verfügung anordnen (z. B. Verbot einer bestimmten Veranstaltung) oder in Form einer Verordnung erlassen (z. B. Verbot oder Einschränkungen von öffentlichen Veranstaltungen in der Schweiz oder in einem bestimmten Kanton).41 Wann eine besondere Lage vorliegt, die den Bundesrat zur Anordnung der vorgenannten Maßnahmen berechtigt, wird in Art. 6 Abs. 1 EpG anhand bestimmter Kriterien gesetzlich umschrieben . Die gesetzliche Konkretisierung dieser Kriterien soll nach der Gesetzesbegründung zur „Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns beitragen“.42 Nach der Legaldefinition des Art. 6 Abs. 1 EpG gibt es zwei alternative Szenarien, in denen eine besondere Lage vorliegt : Eine besondere Lage ist gemäß Art. 6 Abs. 1a EpG zum einen dann gegeben, wenn einerseits die ordentlichen Vollzugsorgane, also die einzelnen Kantone, nicht (mehr) in der Lage sind, den Ausbruch und die Verbreitung übertragbarer Krankheiten zu verhüten und zu bekämpfen, und zusätzlich eine der folgenden Gefahren besteht: (1) eine erhöhte Ansteckungs- und Ausbreitungsgefahr, (2) eine besondere Gefährdung der öffentlichen Gesundheit, (3) schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft oder auf andere Lebensbereiche . Die unter Buchstabe a Ziffern 1 bis 3 aufgeführten Kriterien sind alternativ zu verstehen. Nach Auffassung des Gesetzgebers können unter diese Kriterien nach heutigem Wissen 41 Bundesamt für Gesundheit (BAG), normale, besondere und ausserordentliche Lage, Faktenblatt vom 28. Februar 2020, S. 1 (2). 42 Vgl. die Begründung in der Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zur Revision des Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz – EpG) vom 3. Dezember 2010, BBl 2011, S. 311 (364). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 16 alle wesentlichen Gefährdungen der öffentlichen Gesundheit subsumiert werden, die ein Handeln des Bundes notwendig machen.43 Eine besondere Lage ist gemäß Art. 6 Abs. 1b EpG zum anderen dann gegeben, wenn die WHO im Rahmen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) vom 23. Mai 2005 (IGV) festgestellt hat, dass eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite besteht und durch diese in der Schweiz eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit droht. In der Gesetzesbegründung wird im Hinblick auf diese Situation ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Feststellung einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite durch den Generaldirektor der WHO aber nicht automatisch zur Anordnung von Maßnahmen in der Schweiz führe.44 In der Literatur45 wird zum Teil kritisch darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Umschreibung der besonderen Lage in Art. 6 Abs. 1 EpG eine ganze Anzahl unbestimmter Rechtsbegriffe enthalte, die erhebliche Interpretationsspielräume eröffneten. Dies führe dazu, dass zwar der Kompetenzübergang von den Kantonen zum Bund abschließend geregelt sei, die dafür maßgeblichen Voraussetzungen und Umstände für den konkreten Anwendungsfall jedoch wenig bestimmt seien. So fielen nach der Legaldefinition des Art. 6 Abs. 1 EpG alle Ausbreitungsszenarien von übertragbaren Krankheitserregern, die einen Bedarf nach breiteren Bundeskompetenzen hervorriefen , unter den Begriff der „besonderen Lage“ im Sinne des EpG.46 Aus juristischer Sicht bestehe deshalb im Interesse der Gesetzesklarheit Bedarf für eine Operationalisierung der „besonderen“ Gefährdung gemäß Art. 6 Abs. 1b EpG auf Verordnungsebene, sei es durch Kriterien – zum Beispiel eine große räumliche Ausbreitung – oder exemplarische Aufzählungen von besonderen Gefährdungen in der Epidemienverordnung. Aus Gründen der Gesetzesklarheit sei es darüber hinaus geboten, zur Bestimmung der „schwerwiegenden“ Auswirkungen auf die Wirtschaft oder auf andere Lebensbereiche im Sinne des Art. 6 Abs. 1a Ziffer 3 EpG auf Verordnungsebene durch Kriterien oder typische Beispiele wenigstens ansatzweise zu objektivieren, unter welchen Bedingungen diese Voraussetzung einer besonderen Lage erfüllt sei.47 43 Vgl. die Begründung in der Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zur Revision des Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz – EpG) vom 3. Dezember 2010, BBl 2011, S. 311 (364). 44 Vgl. die Begründung in der Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zur Revision des Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz – EPG) vom 3. Dezember 2010, BBl 2011, S. 311 (364). 45 Büro Vatter AG (Hrsg.), Analyse besondere Lage gemäss EpG: Aufgaben, Zuständigkeiten und Kompetenzen des Bundes, Schlussbericht, Bern, 31. August 2018, S. 8 ff, abrufbar unter: http://www.buerovatter.ch/pdf/2018- Kompetenzen%20des%20Bundes%20in%20besonderen%20Lagen.pdf. 46 Büro Vatter AG (Hrsg.), Analyse besondere Lage gemäß EpG: Aufgaben, Zuständigkeiten und Kompetenzen des Bundes, Schlussbericht, S. 8. 47 Büro Vatter AG (Hrsg.), Analyse besondere Lage gemäß EpG: Aufgaben, Zuständigkeiten und Kompetenzen des Bundes, Schlussbericht, Zusammenfassung, S. VIII. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 17 4.1.3. Begriff der „ausserordentlichen“ Lage Bei Vorliegen einer außerordentlichen Lage kann der Bundesrat gemäß Art. 7 EpG für das ganze Land oder für einzelne Landesteile die notwendigen Maßnahmen anordnen. Während Art. 6 EpG auf vorhersehbare Lagen bezogen ist, auf die sich die Behörden vorbereiten und für die sie Maßnahmen planen können, geht Art. 7 EpG von der Erfahrung aus, dass es Lagen gibt, die nicht vorhersehbar sind und für welche die in Art. 6 Abs.2 EpG aufgeführten Maßnahmen nicht ausreichen . Die außerordentliche Lage bezieht sich mithin auf die eigentlichen Krisensituationen. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer außerordentlichen Lage sind im EpG nicht näher umschrieben. Der Gesetzgeber des EpG geht davon aus, dass die dritte Eskalationsstufe – also die außerordentliche Lage – gesetzlich nicht näher definiert werden kann. Nach der Gesetzesbegründung kommt der Bestimmung des Art. 7 EpG lediglich eine deklaratorische Bedeutung zu, indem sie auf der Stufe des einfachen Gesetzesrechts die verfassungsmäßige Kompetenz des Bundesrates wiederhole, gemäß Art. 185 Abs. 3 der Schweizerischen Bundesverfassung in außerordentlichen Situationen ohne Grundlage in einem Bundesgesetz „Polizeinotverordnungsrecht“ zu erlassen .48 Im Bereich der übertragbaren Krankheiten sei auch in Zukunft mit unvorhersehbaren, akuten schweren Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit zu rechnen, für die das einfache Gesetzesrecht keine spezifische Regelung bereithalte. In diesen Fällen, die die innere Sicherheit des Landes gefährden könnten, müsse ein rasches und zielgerichtetes Eingreifen möglich sein. Das konstitutionelle Notstandsrecht erlaube es dem Bundesrat, bei unvorhersehbaren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit, die eingetreten seien oder unmittelbar drohten, die adäquaten Maßnahmen rasch und fallspezifisch anzuordnen. Im Gegensatz zur besonderen Lage im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EpG sei deshalb auf der Ebene des einfachen Gesetzes eine ausführliche Definition der außerordentlichen Lage nicht möglich.49 Art. 7 EpG regelt nicht im Einzelnen, welche Maßnahmen der Bundesrat zur Bewältigung der außerordentlichen Lage ergreifen darf oder soll. Die Bestimmung macht lediglich klar, dass der Bundesrat die Beschränkung auf die im Gesetz aufgeführten Maßnahmen, die für die besondere Lage im Sinne des Art. 6 EpG gilt, in einer außerordentlichen Lage durchbrechen darf. Dies folgt daraus, dass die Vorschrift des Art. 7 EpG dem Bundesrat die Befugnis einräumt, nach pflichtgemäßem Ermessen alle zur Abwendung der Notlage „notwendigen“ Maßnahmen zu treffen. Eine inhaltliche Begrenzung der erlaubten Maßnahmen ergibt sich allerdings aus dem Zweck des EpG generell und dem des Art. 7 EpG im Besonderen, der in der Abwehr von Gefahren für das Polizei gut der öffentlichen Gesundheit besteht. Der Wortlaut des Art. 7 EpG ist zwar nicht ausdrücklich auf polizeiliche Maßnahmen in diesem Sinne bezogen, sodass er auch dahingehend verstanden werden könnte, dass andere Gefahren für spezifische Bevölkerungsgruppen oder einzelne Personengruppen ebenfalls genügen würden, um den Bundesrat zur Anordnung aller „notwendigen Maßnahmen“ zu ermächtigen. Die systematische und teleologische Auslegung des Art. 7 EpG 48 Vgl. die Begründung in der Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zur Revision des Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz –EpG) vom 3. Dezember 2010, BBl 2011, S. 311 (365). 49 Vgl. die Begründung in der Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zur Revision des Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz – EpG) vom 3. Dezember 2010, BBl 2011, S, 311 (366). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 18 schließen ein derart weites Begriffsverständnis jedoch aus. Die Bestimmung des Art. 7 EpG folgt unmittelbar auf die des Art. 6 EpG und will im Vergleich zu dieser Regelung einer deutlich gesteigerten Gefahrenlage Rechnung tragen. Art. 6 Abs. 1 EpG setzt in jedem Fall eine Gefahr (Abs. 1a) oder eine gesundheitliche Notlage (Abs. 1 b) voraus, also die Notwendigkeit der Gefahrenabwehr . Da Maßnahmen zur Gefahrenabwehr per definitionem polizeiliche Maßnahmen sind und sich das EpG – wie oben bereits erwähnt – u. a. auf Art. 118 Abs. 2b der Schweizerischen Bundesverfassung stützt, der den Schutz der Gesundheit bezweckt, liegt es auf der Hand, dass das Polizeigut der öffentlichen Gesundheit den Zweck des Art. 7 EpG bildet.50 4.2. Umsetzung der rechtlichen Vorgaben durch den Schweizerischen Bundesrat in der Coronaviruskrise Am 28. Februar 2020 hat der Schweizerische Bundesrat aufgrund der damaligen Entwicklung der Coronavirus-Epidemie die Situation in der Schweiz zunächst als „besondere Lage“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EpG eingestuft51 und gestützt auf die Vorschrift des Art. 6 Abs. 2b EpG die „Verordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19)“52 erlassen. Die in dieser Verordnung getroffenen Maßnahmen dienten gemäß Art. 1 Abs. 2a bis c dazu - (a) die Verbreitung des Coronavirus (Covid-19) in der Schweiz zu verhindern oder einzudämmen , - (b) die Häufigkeit von Übertragungen zu reduzieren, Übertragungsketten zu unterbrechen und lokale Ausbrüche zu verhindern oder einzudämmen und - (c) besonders vulnerable Personen sowie Personen mit erhöhtem Kombinationsrisiko zu schützen. Mit der Regelung in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung wurde es deshalb verboten, öffentliche oder private Veranstaltungen, an denen sich gleichzeitig mehr als 1000 Personen aufhielten, in der Schweiz durchzuführen. Bei öffentlichen oder privaten Veranstaltungen, bei denen weniger als 1000 Personen teilnahmen, mussten die Veranstalter zusammen mit der zuständigen kantonalen Behörde eine Risikoabwägung vornehmen, ob sie die Veranstaltung durchführen können oder nicht (Art. 2 Abs. 2 der Verordnung). Das Veranstaltungsverbot galt gemäß Art. 2 Abs. 3 der Verordnung bis zum 15. März 2020. Angesichts der beschleunigten Ausbreitung des Coronavirus wurde diese Verordnung bereits zwei Wochen später durch die „Verordnung 2 über Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavi- 50 Büro Vatter AG (Hrsg.), Analyse besondere Lage gemäß EpG: Aufgaben, Zuständigkeiten und Kompetenzen des Bundes, Schlussbericht, S. 127 f. 51 Der Bundesrat: Das Portal der Schweizer Regierung, Coronavirus: Bundesrat verbietet große Veranstaltungen, Medienmitteilung vom 28. Februar 2020, abrufbar unter: https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation /medienmitteilungen.msg-id-78289.html. 52 Verordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) vom 28. Februar 2020 (Stand am 28. Februar 2020), abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation /20200619/202002280000/818.101.24.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 045/20 Seite 19 rus (COVID-19)“ vom 13. März 2020 ersetzt und seitdem mehrmals und in hohem Rhythmus angepasst 53, nachdem der Bundesrat die Situation in der Schweiz neu als „ausserordentliche Lage“ im Sinne des Art. 7 EpG eingestuft hatte.54 Am 1. April 2020 wurde die Verordnung zudem in systematischer und terminologischer Hinsicht überprüft und überarbeitet. Die letzten vom Bundesrat verabschiedeten Änderungen dieser Verordnung sind gestaffelt vom 3. bis 8. Juni 2020 in Kraft getreten. *** 53 Vgl. die Verordnung 2 über Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) vom 13. März 2020 (Stand am 8. Juni 2020), abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation /20200744/202006090000/818.101.24.pdf; vgl. zu dieser Verordnung auch die Erläuterungen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) vom 2. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente /mt/k-und-i/aktuelle-ausbrueche-pandemien/2019-nCoV/covid-19-erlaeuterungen-zur-verordnung- 2.pdf.download.pdf/Erlaeuterungen_COVID-19-Verordnung_2_8_Juni.pdf. 54 Bundesamt für Gesundheit (BAG), Coronavirus: Bundesrat erklärt die „ausserordentliche Lage“ und verschärft die Maßnahmen, Medienmitteilung vom 16. März 2020, abrufbar unter: https://www.bag.admin .ch/bag/de/home/das-bag/aktuell/medienmitteilungen.msg-id-78454.html.