© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 044/20 Zur Möglichkeit einer stärkeren Einflussnahme des Bundes auf den Öffentlichen Gesundheitsdienst Verfassungsrechtliche Vorgaben Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 044/20 Seite 2 Zur Möglichkeit einer stärkeren Einflussnahme des Bundes auf den Öffentlichen Gesundheitsdienst Verfassungsrechtliche Vorgaben Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 044/20 Abschluss der Arbeit: 29. Mai 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 044/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die Ausführung der Bundesgesetze 5 2.1. Grundsatz der Landeseigenverwaltung 5 2.2. Bundesauftragsverwaltung 6 2.3. Bundeseigene Verwaltung 7 3. Voraussetzungen einer Verfassungsänderung 8 3.1. Formelle Voraussetzungen 8 3.2. Materielle Voraussetzungen 8 3.2.1. Sozialstaatsprinzip 9 3.2.2. Prinzip der Bundesstaatlichkeit 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 044/20 Seite 4 1. Einleitung Die Gesundheitsämter vor Ort sind ein wichtiger Baustein bei der Bekämpfung der SARS-CoV-2- Pandemie: Sie finden beispielsweise Kontaktpersonen von Infizierten, ordnen Quarantäne an und führen zahlreiche Tests sowie Meldungen durch. Durch die Pandemie sind sie stark belastet1 und stehen auch weiterhin vor großen Herausforderungen. In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob dem Bund durch Verfassungsänderungen mehr Kompetenzen im Bereich des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD), und zwar im Hinblick auf die derzeitigen Aufgaben der Gesundheitsämter vor Ort, übertragen werden könnten. Durch das Zweite Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19. Mai 2020 werden die Gesundheitsämter bereits durch Finanzhilfen des Bundes unterstützt – insbesondere, um Digitalisierung voranzutreiben.2 Dafür stellt der Bund für jedes der 375 Gesundheitsämter in der Bundesrepublik einen Finanzierungsanteil von jeweils ca. 100.000 bis 150.000 Euro für Investitionen der Länder zur Verfügung.3 Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde in der Öffentlichen Anhörung die finanzielle Unterstützung überwiegend positiv bewertet, zum Teil aber auch kritisch gesehen.4 Der ÖGD in Deutschland ist Teil des öffentlichen Gesundheitswesens. Er besteht aus Einrichtungen des öffentlichen Dienstes, die den Gesundheitszustand der Bevölkerung ermitteln, überwachen , vor drohenden Gefahren schützen und fördern. Auf Bundesebene steht das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) an der Spitze des ÖGD. Ihm sind eine Reihe von Institutionen wie das Robert Koch-Institut (RKI) oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nachgeordnet. Auf Länderebene sind die obersten Gesundheitsbehörden die für das Gesundheitswesen zuständigen Landesministerien bzw. Senatsverwaltungen sowie die jeweiligen Landesge- 1 Siehe Presseberichterstattung BR24 vom 14. Mai 2020, Corona-Überwachung: Viele Gesundheitsämter überlastet , abrufbar unter: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/corona-ueberwachung-viele-gesundheitsaemter -ueberlastet,RywQz1s (dieser sowie alle weiteren Links wurden zuletzt abgerufen am 29. Mai 2020). 2 BGBl . I S. 1018. Durch das Zweite Bevölkerungsschutzgesetz wurde das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) geändert, siehe § 5 Nummer 9 IfSG: „Das Bundesministerium für Gesundheit wird im Rahmen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite unbeschadet der Befugnisse der Länder ermächtigt, Finanzhilfen gemäß Artikel 104b Absatz 1 des Grundgesetzes für Investitionen der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände zur technischen Modernisierung der Gesundheitsämter und zum Anschluss dieser an das elektronische Melde- und Informationssystem nach § 14 zur Verfügung zu stellen; das Nähere wird durch Verwaltungsvereinbarungen mit den Ländern geregelt.“ 3 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, Bundestags-Drucksache 19/18967 vom 5. Mai 2020, S. 5, 47, 53. 4 Der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund sowie der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. bewerteten die finanzielle Unterstützung positiv, der Deutsche Landkreistag erläuterte: „Auch wenn es grundsätzlich zu begrüßen ist, dass der Bund die Länder mit ihren Kommunen angesichts der besonderen Herausforderungen der Corona-Krise finanziell unterstützen will, sind die vorgeschlagenen Finanzhilfen in ihrer konkreten Ausgestaltung abzulehnen. Sie sind bereits verfassungsrechtlich unzulässig, weil die Voraussetzungen des Art. 104b Abs. 1 Satz 2 GG – anders als vom Wortlaut des § 5 Abs. 2 Nr. 9 IfSG suggeriert – nicht vorliegen.“ Die Stellungnahmen sind abrufbar über den Ausschuss für Gesundheit unter: https://www.bundestag.de/ausschuesse/a14/anhoerungen/stellungnahmen-inhalt-692562. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 044/20 Seite 5 sundheitsämter. Auf kommunaler Ebene sind die Gesundheitsämter in den Kreisen und kreisfreien Städten Träger des ÖGD. Eine Kernaufgabe des ÖGD ist der Infektionsschutz, für den eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 19 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG)5 besteht.6 Im Folgenden wird exemplarisch an dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG)7 als Bundesgesetz beleuchtet, inwieweit rechtliche Möglichkeiten bestehen, dem Bund diesbezüglich mehr Kompetenzen in Form von mehr Gestaltungs- und Finanzierungsmöglichkeiten einzuräumen. 2. Die Ausführung der Bundesgesetze 2.1. Grundsatz der Landeseigenverwaltung Artikel 83 GG gibt den Grundsatz vor, dass die Bundesländer die Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen. Dies entspricht dem in Artikel 30 GG niedergelegten Prinzip, dass alle staatlichen Aufgaben von den Ländern erfüllt werden, soweit das GG nichts Abweichendes bestimmt . Die Ausführung der Bestimmungen des IfSG ist nach der Kompetenzordnung des GG hinsichtlich der meisten Aufgaben ein Gegenstand der landeseigenen Verwaltung. Folgerichtig definiert § 2 Nummer 14 IfSG das Gesundheitsamt als „die nach Landesrecht für die Durchführung dieses Gesetzes bestimmte und mit einem Amtsarzt besetzte Behörde“. Die Länder regeln grundsätzlich nach Artikel 84 Absatz 1 Satz 1 GG die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren . Die Bundesregierung kann gemäß Artikel 84 Absatz 2 GG im Bereich der Landeseigenverwaltung aber – für die Bundesländer verbindliche – (sog. allgemeine) Verwaltungsvorschriften für die Durchführung der Bundesgesetze erlassen. Artikel 84 Absatz 1 Satz 7 GG enthält allerdings ein Verbot des Zugriffs auf Gemeindeebene: Der Bund darf Gemeinden bzw. Gemeindeverbänden keine Aufgaben übertragen. Das dürfen nur die Länder. Nach der allgemeinen Lastenverteilungsregel des Art. 104a Abs. 1 GG trugen die Länder die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergebenden Ausgaben bisher in Gänze selbst. Konkret zu den Kompetenzen des 5 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546) geändert worden ist. 6 In diesem Zusammenhang wird auf eine Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages hingewiesen : Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zur Frage der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, Sachstand WD 9 - 3000 - 043/19 vom 31. Juli 2019, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/657236/c82ba2db1cd763e2f46439828d73c4e0/WD-9-043-19- pdf-data.pdf. 7 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Mai 2020 (BGBl. I S. 1018) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 044/20 Seite 6 Bundes nach dem IfSG unter Einbeziehung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 20208 wird auf eine Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages verwiesen.9 Als Ausnahmen von der landeseigenen Verwaltung existieren die Bundesauftragsverwaltung (Artikel 85 GG) und die bundeseigene Verwaltung (Artikel 86, 87 ff. GG). Als äußerste Grenze der Verwaltungsbefugnisse des Bundes wird dazu als Voraussetzung vielfach die Reichweite seiner Gesetzgebungsbefugnisse genannt.10 Die Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes – die im Falle des IfSG gegeben sind – stellen danach die äußerste Grenze seiner Verwaltungskompetenz dar. 2.2. Bundesauftragsverwaltung Die Bundesauftragsverwaltung stellt zwar eine Form der Landesverwaltung dar, eröffnet aber dem Bund erhebliche Gestaltungs- und Einwirkungsmöglichkeiten auf die Verwaltungsführung der Länder. Auch hier kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (Artikel 85 Absatz 2 Satz 1 GG). Vor allem aber unterstehen die Landesbehörden den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden (Artikel 85 Absatz 3 Satz 1 GG). Mit dieser Bundesaufsicht, die nach Artikel 85 Absatz 4 GG die Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Gesetzesausführung umfasst11, wird die Eigenständigkeit der Länder bei der Auftragsverwaltung deutlich begrenzt und die Verwaltungsführung einer weitreichenden Kontrolle des Bundes unterworfen. Dies zeigt sich auch in der finanzverfassungsrechtlichen Zuordnung: Die Ausgaben der Länder aus der Bundesauftragsverwaltung trägt gemäß Artikel 104a Absatz 2 GG der Bund.12 Aber auch bei der Bundesauftragsverwaltung dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden keine Aufgaben durch ein Bundesgesetz übertragen werden (Artikel 85 Absatz 1 Satz 2 GG). Die Fälle der Auftragsverwaltung sind im GG benannt. Das GG unterscheidet Fälle der sog. obligatorischen Auftragsverwaltung, in denen die Verfassung den 8 BGBl. I, S. 587. 9 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Koordinierung der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus durch die Bundesregierung, Sachstand WD 3 3000-105/20 vom 22. April, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/692490/5883cb39172f495b6044317360e67a00/WD-3-105-20-pdfdata .pdf. Eine weitere Arbeit befasst sich mit den Verordnungen des Bundes nach § 5 IfSG: Staatsorganisation und § 5 Infektionsschutzgesetz, Sachstand WD 3 3000-080/20 vom 2. April 2020, abrufbar unter: https://www.bundestag.btg/Wissen/Dossiers/Ablage/7912/Ausarbeitung_7912_14.pdf. 10 Bundesverfassungsgerichtsentscheidung (BVerfGE) 12, 205 (229); Broß/Mayer in: von Münch/Kunig, Grundgesetz -Kommentar, 6. Auflage 2012, Artikel 87 Rn. 22; Sodan in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts , 3. Auflage 2018, § 2 Verfassungsrechtliche Grundlagen der Krankenversicherung Rn. 37. 11 Begrifflich wird die Bundesaufsicht teils eng gefasst und auf die Maßnahmen gem. Artikel 85 Absatz 4 GG beschränkt, während die Weisungsbefugnis nach Artikel 85 Absatz 3 GG als aliud im Sinne einer Geschäftsführungs -, Lenkungs- oder Leitungsbefugnis gedeutet wird. Der Begriff der Bundesaufsicht lässt sich hingegen auch in einem weiteren Sinne verstehen, der die Weisungsbefugnis gerade als das zentrale Mittel der Bundesaufsicht erscheinen lässt; so z. B. Suerbaum in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 1. Dezember 2019, Art. 85 Rn. 25. Zum Streitstand ausführlich Hermes in: Dreier, GG-Kommentar, 3. Auflage 2018, § 85 Rn. 20 ff. 12 Dittmann/Winkler in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 85 Rn. 1, 4, 33. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 044/20 Seite 7 Typus selbst zwingend anordnet (z. B. Artikel 90 Absatz 3 GG – Bundesstraßen des Fernverkehrs ), und solche der fakultativen Auftragsverwaltung, in denen der Bundesgesetzgeber zur Einführung dieses besonderen Verwaltungstypus ermächtigt wird (z. B. Artikel 87d Absatz 2 GG – Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung). Diese Aufzählung des Grundgesetzes ist abschließend , sodass eine Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung auf nicht genannte Sachbereiche eine Änderung der Verfassung voraussetzt.13 2.3. Bundeseigene Verwaltung Die Ausführung der Gesetze durch den Bund in Gestalt der bundeseigenen Verwaltung oder in Gestalt der Verwaltung durch bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechtes (Artikel 86 GG) hat zur Folge, dass die Bundesregierung in der Regel die allgemeinen Verwaltungsvorschriften erlässt und die Einrichtung der Behörden regelt. Auch trägt der Bund nach Artikel 104a Absatz 1 GG die Finanzierung. Die Vorschrift selbst begründet indes keine Bundesverwaltungskompetenzen, sondern setzt deren Normierung in den Artikeln 87 ff. GG und anderen Bestimmungen voraus. Zu Artikel 87 GG:14 Artikel 87 Absatz 1 GG regelt, welche Gegenstände zur bundeseigenen Verwaltung gehören (unmittelbare Verwaltung durch Bundesbehörden mit eigenem Verwaltungsunterbau ).15 Artikel 87 Absatz 2 GG regelt, welche Gegenstände durch mittelbare Bundesverwaltung ausgeführt werden (Zwischenschaltung von rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts). Artikel 87 Absatz 3 Satz 1 GG regelt, wie die unmittelbare und mittelbare Bundesverwaltung durch einfaches Bundesgesetz ausgedehnt werden kann: Der Bund darf hier für Angelegenheiten , für die ihm die Gesetzgebung zusteht, selbstständige Bundesoberbehörden ohne Verwaltungsunterbau mit einer Zuständigkeit für das gesamte Bundesgebiet sowie Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts neu errichten. Aus dem Begriff der selbstständigen Bundesoberbehörde ergibt sich, dass deren Errichtung lediglich für Aufgaben möglich ist, die der Sache nach für das ganze Bundesgebiet von einer Oberbehörde ohne Mittel- und Unterbau und ohne Inanspruchnahme von Verwaltungsbehörden der Länder – außer für reine Amtshilfe – wahrgenommen werden können.16 Dies ist 13 Suerbaum in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 1. Dezember 2019, Art. 85 Rn. 9. 14 Suerbaum in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 1. Dezember 2019, Art. 86 Rn.7. 15 Weitere Gegenstände sind in anderen Artikeln des GG genannt; z. B. ist weiterer Gegenstand der unmittelbareren , bundeseigenen Verwaltung: Artikel 87e Absatz 1 GG - Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes. 16 BVerfGE 14, 197 (211); Saurer, Die Rolle von Bundesbehörden im Regulierungsrecht der digitalisierten Energiewende , in: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) 2018 S. 732 (738); Sachs in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Artikel 87 Rn. 64. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 044/20 Seite 8 ebenso Voraussetzung für die Errichtung von Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts.17 Die Aufgaben, zu deren Erfüllung eine Verwaltung auf Bundesebene eingeführt werden soll, müssen also zentral und ohne Hilfe der Länder erledigt werden können .18 Eine solche Irrelevanz örtlicher Verhältnisse dürfte im Falle der Arbeit der jetzigen Gesundheitsämter im Hinblick auf den Infektionsschutz nicht ohne Weiteres begründbar sein Eine Ausweitung der bundeseigenen Bundesverwaltung über die im Grundgesetz vorgesehenen Fälle setzt im vorliegenden Fall also eine Änderung der Verfassung voraus. 3. Voraussetzungen einer Verfassungsänderung Eine Verfassungsänderung wäre an Artikel 79 GG zu messen. 3.1. Formelle Voraussetzungen In formeller Hinsicht ist zunächst das Gebot der grundgesetzinternen Verfassungsänderung aus Artikel 79 Absatz 1 GG zu nennen. Danach kann das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Es dient der Rechtssicherheit im Sinne der Klarheit über den Bestand des jeweils geltenden Verfassungsrechts .19 Ferner bedarf ein verfassungsänderndes Gesetz nach Artikel 79 Absatz 2 GG der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. 3.2. Materielle Voraussetzungen In materieller Hinsicht sind verfassungsändernde Gesetze an der Schranke des Artikels 79 Absatz 3 GG zu messen. Diese sog. Ewigkeitsgarantie schließt die Änderung bestimmter Grundsätze des Grundgesetzes dauerhaft aus. Den geschützten Verfassungskern bilden dabei die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und die in den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes niedergelegten Grundsätze. Gemäß Artikel 79 Absatz 3 GG dürfen die genannten Grundsätze nicht berührt werden. Eine solche Berührung wird bei prinzipieller Preisgabe angenommen.20 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) werden die Grundsätze als solche von vornherein nicht berührt, wenn ihnen im Allgemeinen Rechnung getragen wird und sie nur für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus sachgerechten Gründen modifiziert werden.21 17 Suerbaum in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 1. Dezember 2019, Artikel 87 Rn. 40. 18 Suerbaum in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 1. Dezember 2019, Art. 87 Rn. 28. 19 Dietlein in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 1. Dezember 2019, Art. 79 Rn. 5. 20 BVerfGE 30, 1 (24); Bryde in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, Artikel 79 Rn. 29; Hain in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Artikel 79 Rn. 43. 21 BVerfGE 30, 1 (24). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 044/20 Seite 9 Im vorliegenden Fall ist an das Sozialstaatsprinzip, das zu den in Artikel 20 GG niedergelegten Grundsätzen und damit zum änderungsfesten Kern des Grundgesetzes gehört22, sowie an das Prinzip der Bundesstaatlichkeit zu denken. 3.2.1. Sozialstaatsprinzip Von der Ewigkeitsgarantie erfasst sind die dem Sozialstaatsprinzip innewohnenden Grundelemente mitmenschlicher Solidarität, der Vor- und Fürsorge sowie des Schutzes sozial Schwacher; es besteht jedoch kein Bestandsschutz für einzelne Leistungen oder Versorgungssysteme, selbst wenn diese seit langem etabliert sind.23 Ausdruck des Sozialstaatsprinzips ist damit auch die gesundheitliche Infrastruktur, die ein Teil der staatlichen Daseinsvorsorge ist.24 Das Zurverfügungstellen gesundheitlicher Maßnahmen steht hier nicht in Frage, deren Ausgestaltung ist gerade Sache des Gesetzgebers.25 3.2.2. Prinzip der Bundesstaatlichkeit Von der föderalen Ewigkeitsgarantie ist nicht nur die ausdrücklich genannte Gliederung des Bundes in Länder26, die im vorliegenden Fall nicht in Frage steht, umfasst; umfasst ist auch die in Artikel 20 GG angesprochene Bundesstaatlichkeit als allgemeine Kategorie. Damit ist auch die Grundsubstanz der Eigenstaatlichkeit der Länder garantiert. Dazu zählt vor allem ein gewisser Bestand an Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungskompetenzen27, wobei die Verteilung zwischen Bund und Ländern prinzipiell variabel ist.28 Das Sozialstaatsprinzip sowie das Prinzip der Bundesstaatlichkeit stünden demnach einer Verfassungsänderung mit Blick auf die Verwaltungskompetenzen im Bereich des IfSG nicht entgegen . *** 22 Hain in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Artikel 79 Rn. 72; Dietlein in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 42. Edition, Stand: 1. Dezember 2019, Art. 79 Rn. 50. 23 Dreier in: Dreier, GG Kommentar, 3. Auflage 2015, Artikel 79 Rn. 46. 24 Kersten in: Görres-Gesellschaft, Staatslexikon, 8. Auflage 2017, Band 1, Daseinsvorsorge. 25 Dreier in: Dreier, GG Kommentar, 3. Auflage 2015, Artikel 79 Rn. 46. 26 Nach diesem Grundsatz darf allerdings nur die Existenz von Bundesländern überhaupt nicht berührt werden; es gibt aber keine Bestandsgarantie für einzelne Bundesländer: Dreier in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Artikel 79 Rn. 21. Sachs 27 Dreier in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Artikel 79 Rn. 22, 47 und 48. 28 Herdegen in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 89. EL Oktober 2019, Artikel 79 Rn. 95.