© 2021 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 043/21 Zum Verhältnis von Bundes- und Landesrecht im Kontext des Infektionsschutzes Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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In dem Umfang, in dem der Bundesgesetzgeber tätig geworden ist, tritt eine Sperrwirkung für eine gesetzgeberische Tätigkeit der Länder ein.2 Landesrecht , das trotz Sperrwirkung erlassen wurde, ist nichtig.3 Dies gilt nicht nur, wenn das Landesrecht vom Bundesrecht abweicht, sondern auch dann, wenn es dem Bundesrecht entspricht.4 Allgemein gegen eine Gesetzgebungskompetenz der Länder im Bereich des Infektionsschutzes kann auch die Tatsache sprechen, dass das Infektionsschutzgesetz (IfSG) den Ländern verschiedene Verordnungsermächtigungen erteilt (etwa in § 32 IfSG), während Vorbehalte zugunsten der Landesgesetzgebung nicht benannt sind. Solche Vorbehalte sind im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung zwar nicht erforderlich, um die Kompetenz der Länder zu begründen. Ihr Fehlen kann aber einen Hinweis auf eine erschöpfende Regelung des Bundesgesetzgebers geben.5 In der juristischen Literatur wird zumindest zum Teil von einer generell abschließenden Wirkung des Infektionsschutzgesetzes ausgegangen.6 Stimmen, die ausdrücklich von einer verbleibenden Gesetzgebungskompetenz der Länder ausgehen, sind nicht bekannt. Die Länder haben somit keine Kompetenz, eigene Infektionsschutzgesetze zu erlassen. Sie führen aufgrund von Art. 83 GG allerdings die Bundesgesetze aus; so sind etwa nach § 54 IfSG die zuständigen Behörden durch die Länder zu bestimmen. 2. Rechtsverordnungen der Länder und bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlagen Das IfSG bildet die Ermächtigungsgrundlage für infektionsschutzrechtliche Landesverordnungen. Ermächtigungsgrundlagen finden sich etwa in §§ 28 und 28a IfSG. Die Verordnungen, die einmal auf Basis einer gültigen Ermächtigungsgrundlage erlassen wurden, bleiben nach Auffassung des 1 Vgl. hierzu ausführlich WD 3 – 3000 – 081/20. 2 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 72 Rn. 78. 3 Degenhart, in: Sachs, GG, 8. Auflage 2018, Art. 72 Rn. 38. 4 Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, 89. EL Oktober 2019, Art. 72 Rn. 7. 5 Vgl. Degenhart, in: Sachs, GG, 8. Auflage 2018, Art. 72 Rn. 27; Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Auflage 2018, Art. 72 Rn. 61. 6 Grüner, Biologische Katastrophen, 2017, S. 172; von Steinau-Steinrück, Die staatliche Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten, 2013, S. 65. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 043/21 Seite 4 Bundesverfassungsgerichts weiter bestehen, auch wenn die Ermächtigungsgrundlage sich nachträglich verändert oder erlischt.7 Die Verordnung bleibt daher bis zu ihrer förmlichen Aufhebung gültig. Allerdings tritt sie außer Kraft, wenn sie im Falle der Änderung ihrer Ermächtigungsgrundlage inhaltlich nicht mehr in Einklang mit der neuen Gesetzeslage steht.8 Nichtig ist eine Verordnung dann, wenn das Gesetz, welches die Ermächtigungsgrundlage enthält , zum Zeitpunkt der Verkündung der Verordnung noch nicht oder nicht mehr in Kraft ist.9 3. Inhaltsgleiche Bundes- und landesrechtliche Regelungen aufgrund verschiedener Ermächtigungsgrundlagen In Einzelfällen kann es zum Erlass inhaltlich deckungsgleicher Regelungen z.B. durch den Bundes - und den Landesverordnungsgeber kommen, so etwa aktuell im Hinblick auf verpflichtende Testangebote auf SARS-CoV-2 am Arbeitsplatz. So hat der Berliner Senat in § 6a seiner Zweiten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung Arbeitgeber verpflichtet, ihren Beschäftigten , die am Arbeitsplatz präsent sind, zweimal in der Woche ein Testangebot zu machen. Die Verordnung wurde u.a. aufgrund §§ 28, 28a, 32 IfSG erlassen (vgl. § 1). Auf Bundesebene ist die Aufnahme eines solchen verpflichtenden Testangebots durch den Arbeitgeber, das mindestens einmal pro Woche erfolgen soll, in die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung geplant. Für den Bereich des Arbeitsschutzes hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Grundsätzlich sieht Art. 31 GG vor, dass Bundesrecht Landesrecht bricht. Hierzu ist erforderlich, dass kompetenzgemäße, gültige Rechtsnormen miteinander kollidieren.10 Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt: „Die Kollisionsnorm hinweggedacht, müssen beide Normen auf einen Sachverhalt anwendbar sein und bei ihrer Anwendung zu verschiedenen Ergebnissen führen können.“11 Es ist allerdings zu prüfen, ob eine Harmonisierung durch Auslegung herbeigeführt werden kann.12 7 So etwa BVerfGE 9, 3 (12): „Es ist allgemein anerkannt, dass eine im Zeitpunkt ihres Erlasses auf gesetzlicher Grundlage ergangene Rechtsverordnung nicht durch den Fortfall der Ermächtigungsvorschrift in ihrer Gültigk eit berührt wird“; Uhle, in: BeckOK Grundgesetz, 46. Edition, 15. Februar 2021, Art. 80 Rn. 8 m. w. N. 8 So auch BVerwG NJW 1990, 849. 9 Uhle, in: BeckOK Grundgesetz, 46. Edition, 15. Februar 2021, Art. 80 Rn. 9. 10 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, 3. Auflage 2015, Art. 31 Rn. 36. 11 BVerfGE 36, 342 (363). 12 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, 3. Auflage 2015, Art. 31 Rn. .37. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 043/21 Seite 5 Die herrschende Meinung, derzufolge es für eine Kollision „verschiedener Ergebnisse“ bei der Normanwendung bedarf, läuft auf ein Kriterium des inhaltlichen Widerspruchs hinaus.13 Gleichlautendes Landesrecht wird hiernach nicht gebrochen. Die derzeit geltende Fassung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung enthält überdies in § 1 Abs. 2 eine Regelung, die unter anderem „abweichende Vorschriften der Länder zum Infektionsschutz , insbesondere im Zusammenhang mit der Betreuung von Kindern sowie weitergehende Vorschriften der Länder“ unberührt lässt. Es dürfte davon auszugehen sein, dass diese Regelung auch bei einer Ergänzung der Verordnung um Testpflichten beibehalten werden wird. Die aktuell geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes14 hat demgegenüber auf die Anwendbarkeit der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung keine Auswirkungen. § 28b Abs. 4 IfSG sieht vor, dass weitergehende Schutzmaßnahmen aufgrund des Infektionsschutzgesetzes von den Regelungen in § 28b IfSG („Notbremse“) unberührt bleiben sollen. Die SARS -CoV-2-Arbeitsschutzverordnung hat jedoch § 18 Abs. 3 Arbeitsschutzgesetz zur Grundlage. *** 13 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, 3. Auflage 2015, Art. 31 Rn. 39: „Teilweise wird demgegenüber aber auf die sogenannte Formel von den unvereinbaren Normgehalten zurückgegriffen. Ihr zufolge genügt es zur Annahme eines Kollisionsfalles nicht, wenn das Landesrecht weiter reicht als das Bundesrecht oder hinter ihm zurückbleibt : vielmehr muss die Anwendung der einen Norm tatsächlich zu Ergebnissen führen, die mit denen bei Anwendung der anderen Norm inkompatibel sind“, ebd. m. w. N. 14 Vgl. Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, Formulierungshilfe der Bundesregierung für die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vom 13. April 2021.