© 2019 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 041/19 Die Verwendung von Cannabis zu therapeutischen und anderen Zwecken Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 041/19 Seite 2 Die Verwendung von Cannabis zu therapeutischen und anderen Zwecken Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 041/19 Abschluss der Arbeit: 26. Juni 2019 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Frauen, Senioren, Familie und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 041/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Medizinische Verwendung von Cannabis 4 1.1. Verschreibungspflicht 4 1.2. Indikationen und Erkrankungen für eine Verschreibung von Cannabis oder Cannabinoiden 5 1.3. Abgabe von Cannabis oder Cannabinoiden 5 1.4. Cannabidiol als verschreibungspflichtiges Arzneimittel 5 2. Anbau von Cannabis und Umgang mit Cannabis- Produkten 6 2.1. Anbau von Nutzhanf bzw. von Cannabis zu medizinischen Zwecken 6 2.1.1. Anbau von Nutzhanf zur nicht-medizinischen Verwendung 6 2.1.2. Anbau von Cannabis zur medizinischen Verwendung 7 2.2. Umgang mit bzw. Verwendung von Nutzhanf und von Cannabis zu medizinischen Zwecken 7 2.2.1. Umgang mit Nutzhanf 7 2.2.2. Umgang mit Cannabis, das zur medizinischen Verwendung bestimmt ist 8 3. Zur aktuellen Diskussion in Deutschland 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 041/19 Seite 4 1. Medizinische Verwendung von Cannabis Die Anwendung von Cannabis und Cannabinoiden zu medizinischen Zwecken ist in Deutschland unter bestimmten Bedingungen möglich, gesetzlich jedoch streng reguliert. Die Voraussetzungen, unter denen in Deutschland Cannabis oder Cannabinoide zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden können, sind im Wesentlichen im Betäubungsmittelrecht geregelt. Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG)1 sind nach § 1 Abs. 1 BtMG die in den Anlagen I bis III enumerativ aufgeführten Stoffe und Zubereitungen. Die Anlagen I bis III, auf die § 1 Abs. 1 BtMG verweist, sind danach unterschieden, ob das betreffende Betäubungsmittel nicht verkehrsfähig und nicht verschreibungsfähig (Anlage I), verkehrsfähig, aber nicht verschreibungsfähig (Anlage II) oder verkehrsfähig und verschreibungsfähig (Anlage III) ist. Nach Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG kann Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) verschrieben werden, das aus einem Anbau stammt, der zu medizinischen Zwecken unter staatlicher Kontrolle gemäß den Art. 23 und 28 Abs. 1 des Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe2 erfolgt sowie in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Darüber hinaus sind nach Anlage III auch die Cannabis- Wirkstoffe Dronabinol und Nabilon verkehrs- und verschreibungsfähig. 1.1. Verschreibungspflicht § 13 Abs. 1 BtMG regelt die Voraussetzungen, unter denen die Verschreibung und Abgabe auf Verschreibung zulässig sind. Danach ist eine Verschreibung durch Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte für die in Anlage III aufgeführten Betäubungsmittel zulässig, allerdings nur dann, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BtMG). Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG). Unter den gleichen Voraussetzungen ist im Rahmen einer ärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit auch die Verabreichung oder die Überlassung an einen anderen zum unmittelbaren Verbrauch rechtlich zulässig. Die Einzelheiten des Verschreibens, der Abgabe und des Nachweises des Verbleibs von Betäubungsmitteln – und damit auch von Cannabis – sind in der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV)3 geregelt. 1 Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl I S. 358), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 2. Juli 2018 (BGBl I S. 1078). 2 Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe vom 30. März 1961 (BGBl 1973 II S. 1354). 3 Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln vom 20. Januar 1998 (BGBl I S. 74, 80), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 2. Juli 2018 (BGBl I S. 1078). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 041/19 Seite 5 Wer entgegen § 13 Abs. 1 BtMG Betäubungsmittel verschreibt, verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überlässt, wird gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 6 BtMG mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 1.2. Indikationen und Erkrankungen für eine Verschreibung von Cannabis oder Cannabinoiden Der Gesetzgeber hat weder in § 13 BtMG noch in weiteren betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften Krankheitsbilder festgelegt, für die eine Verschreibung in Betracht kommt. Allerdings findet sich im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)4 in § 31 Abs. 6 die Regelung, dass gesetzlich Krankenversicherte unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung haben, wenn sie an einer schwerwiegenden Erkrankung leiden. Zu diesen schwerwiegenden Erkrankungen zählen unter anderem schwere Krebserkrankungen, Multiple Sklerose oder auch schwere Erkrankungen an Neurodermitis. 1.3. Abgabe von Cannabis oder Cannabinoiden Cannabis und Cannabinoide dürfen gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BtMG nur im Rahmen des Betriebs einer Apotheke und gegen Vorlage der entsprechenden Verschreibung abgegeben werden. Die Apotheker und ihre Mitarbeiter haben in besonderer Weise sicherzustellen, dass die Formerfordernisse der ärztlichen Verschreibung erfüllt sind. Hierzu zählt auch, dass die Verschreibung auf einem Betäubungsmittelformblatt vorgenommen wurde und die wesentlichen Voraussetzungen einer Betäubungsmittelverschreibung vollständig und ordnungsgemäß vorliegen. 1.4. Cannabidiol als verschreibungspflichtiges Arzneimittel In den letzten Jahren werden auch in Deutschland vermehrt Produkte in den Verkehr gebracht, die den Wirkstoff Cannabidiol (CBD) enthalten. Als Einzelsubstanz, der keine berauschende Wirkung zukommt, ist CBD kein Betäubungsmittel im Sinne des BtMG und unterliegt damit nicht den Strafvorschriften dieses Gesetzes. Dies gilt nicht, wenn Arzneimittel über den Wirkstoff CBD hinaus den Wirkstoff THC enthalten und dieser den Grenzwert von 0,2 Prozent übersteigt. In diesem Fällen greifen die betäubungsmittelrechtlichen Bestimmungen. CBD ist seit dem 1. Oktober 2016 in der Anlage 1 der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV)5 ausdrücklich aufgeführt. Arzneimittel, die CBD enthalten, unterliegen daher der 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 6. Mai 2019 (BGBl I S. 646). 5 Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln vom 21. Dezember 2005 (BGBl I S. 3632), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 27. März 2019 (BGBl I S. 366). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 041/19 Seite 6 arzneimittelrechtlichen Verschreibungspflicht nach § 48 Arzneimittelgesetz (AMG)6 und zwar ohne jede Eingrenzung von Dosis oder Verabreichungsweg. Seit Juli 2011 steht mit dem Präparat Satifex in Deutschland ein Fertigarzneimittel (Mundspray) zur Verfügung, das neben CBD auch THC enthält und insbesondere in bestimmten Fällen der Erkrankung an Multipler Sklerose Anwendung findet und teilweise auch in der Krebstherapie eingesetzt wird. Die Verschreibung dieses Präparats unterliegt als cannabishaltiges Produkt auf Grund seines THC-Gehalts oberhalb des Grenzwertes nicht nur den arzneimittelrechtlichen sondern auch den betäubungsmittelrechtlichen Vorgaben. Soweit diese darüber hinaus einen THC-Wert von mehr als 0,2 Prozent enthalten, unterliegt ihre Zulassung und die Verwendung den betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften. 2. Anbau von Cannabis und Umgang mit Cannabis-Produkten 2.1. Anbau von Nutzhanf bzw. von Cannabis zu medizinischen Zwecken Der unerlaubte Anbau der in den Anlagen I bis III zum BtMG genannten Betäubungsmittelpflanzen ist strafbar (siehe hierzu § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG). Hierzu zählt nach Anlage I ausdrücklich auch Cannabis. 2.1.1. Anbau von Nutzhanf zur nicht-medizinischen Verwendung Das Betäubungsmittelgesetz sieht von dem grundsätzlichen Anbauverbot eine Reihe von Ausnahmen vor, wobei zwischen erlaubnisfreiem und erlaubnispflichtigem Anbau zu unterscheiden ist. Erlaubnisfrei sind: der Anbau von Pflanzen (Pflanzengattung Cannabis), die als Schutzstreifen bei der Rübenzüchtung gepflanzt und vor der Blüte vernichtet werden und der Anbau durch landwirtschaftliche Unternehmen, wobei das Unternehmen zum einen bestimmte Anforderungen erfüllen muss und zum andern ausschließlich zertifiziertes Saatgut verwendet werden darf, das im Einklang mit den europäischen Vorgaben steht (vgl. Anlage I Buchstabe d) des auf die Position Cannabis folgenden Spiegelstrichs)7. Dieser Anbau unterliegt nach § 19 Abs. 3 Satz 1 BtMG der Überwachung durch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung und ist gemäß § 24a BtMG anzeigepflichtig. Erlaubnispflichtig ist demgegenüber der Anbau von Pflanzen oder Pflanzenteilen aus zugelassenen EU-Nutzhanfsorten oder sonstigen Pflanzen mit einem THC-Gehalt von maximal 0,2 Prozent, wenn der Verkehr mit ihnen ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen 6 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl I S. 3394), zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes vom 6. Mai 2019 (BGBl I S. 646). 7 Hinweis: In dieser Regelung findet sich die Definition des Begriffs „Nutzhanf“ im Sinne des BtMG. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 041/19 Seite 7 Zwecken dient, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen (Anlage I Buchstabe b) des auf die Position Cannabis folgenden Spiegelstrichs). 2.1.2. Anbau von Cannabis zur medizinischen Verwendung Mit dem am 10. März 2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften8 hat der Gesetzgeber besondere Vorgaben zum Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken geschaffen. Nach dem neu eingefügten § 19 Abs. 2a BtMG unterliegt der Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken der Kontrolle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, das die Aufgaben einer staatlichen Stelle nach Art. 23 Abs. 2 Buchstabe d) und Art. 28 Abs. 1 des Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe vom 30. März 1961 wahrnimmt. Der Anbau erfolgt durch Unternehmen, die von der Cannabis-Agentur (staatliche Stelle beim Bundesinstitut für Arznei- und Medizinprodukte) in einem europaweiten Ausschreibungsverfahren ausgewählt und beauftragt werden. Bislang nicht abschließend geklärt ist, ob und inwieweit unter bestimmten engen Voraussetzungen der Eigenanbau von Cannabis zur eigenen Verwendung als Medikament rechtlich zulässig ist. 2.2. Umgang mit bzw. Verwendung von Nutzhanf und von Cannabis zu medizinischen Zwecken 2.2.1. Umgang mit Nutzhanf Nutzhanf, der entsprechend den gesetzlichen Vorgaben angebaut worden ist, wird im Hinblick auf seine verschiedenen Bestandteile unterschiedlich verwendet: Hanfsamen (insbesondere für Nahrungsmittel und Kosmetikprodukte) Hanffasern (insbesondere in der Textil-, Bau- und Papierindustrie) Hanfblüten (z.B. Öle) sog. Schäben (z.B. als Streumaterial in der Tierhaltung). Maßgebend für den Umgang mit Nutzhanf und den daraus entstehenden Produkten sind grundsätzlich die Regelungen des BtMG. Hierzu gehört insbesondere die Erlaubnisbedürftigkeit aller Verkehrsformen außerhalb des Anbaus, d. h. der Ernte, der Lagerung, der Verarbeitung, der Veräußerung, der Abgabe, des Erwerbs, des Sichverschaffens oder des Handeltreibens mit Nutzhanf und dessen Produkten. Soweit der Anbau von Nutzhanf ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken dient und ein Missbrauch zu Rauschzwecken ausgeschlossen ist, ist – da hier bereits der Anbau erlaubnispflichtig ist – der weitere Verkehr mit Nutzhanf erlaubnisfrei möglich. Wer die erforderlichen Erlaubnisse nicht einholt, macht sich gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG strafbar. 8 Gesetz vom 6. März 2017 (BGBl I S. 403). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 041/19 Seite 8 2.2.2. Umgang mit Cannabis, das zur medizinischen Verwendung bestimmt ist Die Cannabis-Agentur kauft gemäß § 19 Abs. 2a Satz 3 BtMG in Verbindung mit Art. 23 Abs. 2 Buchstabe d) Satz 2 und Art. 28 Abs. 1 des Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe nach den Vorgaben des Vergaberechts Cannabis zu medizinischen Zwecken nach der Ernte. Sie legt nach entsprechender Kostenkalkulation den Herstellerabgabepreis für den Verkauf fest und verkauft den Rohstoff an Arzneimittelhersteller, Großhändler und Apotheken. Der ggfs. weitere Vertrieb erfolgt entsprechend den gesetzlichen Regelungen. 3. Zur aktuellen Diskussion in Deutschland Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften im März 2017 wurde und wird darüber diskutiert, ob für Cannabisprodukte weiteren Regelungsbedarf besteht. So wurde am 20. März 2019 im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag über Vorschläge debattiert, die künftig eine noch bessere therapiegerechte Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Cannabis als Medizin ermöglichen sollen. ***