WD 9 - 3000 - 039/17 (14.9.2017) © 2017 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Die Frage nach einem verfassungsmäßigen Maßstab zur Festsetzung der Beiträge zur Krankenund Pflegeversicherung für Bezieher von Arbeitslosengeld II lässt sich in gleicher Weise beantworten wie die nach den (verfassungs-) rechtlichen Grundlagen für die paritätische Finanzierung der Sozialversicherung. So ist für beide Fragen die grundlegende Feststellung des Bundesverfassungsgerichts relevant, nach der dem Grundgesetz - insbesondere dem Sozialstaatsprinzip - keine Garantie der bestehenden Sozialversicherungssysteme zu entnehmen ist.1 Sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sind vielmehr hinzunehmen, solange dessen Erwägungen „weder offensichtlich fehlerhaft noch mit der Werteordnung des Grundgesetzes unvereinbar“ sind. Ebenso gilt auch für das Verfahren nach § 232a SGB V: "Im deutschen Recht existiert auch kein geschriebenes Sozialfinanzverfassungsrecht, obgleich das Beitragsrecht gleich dem Steuerrecht den Einzelnen finanziell belastet. Geht es also um die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Beitragserhebungen und Beitragslasten, kann man sich nur mit der Rechtsprechung zu diesem Thema behelfen, die dem Beitrags- und Leistungsrecht durch den Gleichheitssatz, das Eigentumsrecht , das Sozialstaatsprinzip etc. eine rechtliche Ordnung gibt, letztlich aber nur den Einzelfall beleuchtet. Grundsätzlich ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums im Interesse der sozialen Sicherung neue Regelungen zu schaffen, soweit er sich an die verfassungsrechtlichen Vorgaben und Grundprinzipien hält."2 Als Träger von Grundrechten ist der Empfänger von Arbeitslosengeld über die Regelung des § 232a SGB V als Individuum sozial geschützt. Die anderen Beitragszahler der GKV wiederum sind Teil einer Solidargemeinschaft, deren Wesen es ist, dass ihre Mitglieder nach Leistungsfähigkeit zahlen und nach Bedürftigkeit (also hier nach medizinischem Bedarf) Leistungen erhalten . Insofern gilt mit Blick auf das Verhältnis von individuellen Beiträgen und individuellen Leistungen der Krankenkassen gerade nicht das Prinzip der Kostendeckung. Bezogen auf das So- 1 Paritätische Finanzierung in der Sozialversicherung, Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, WD 6 – 3000 – 039/17 vom 29. Juni 2017, S. 6. 2 Paritätische Finanzierung in der Sozialversicherung, Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, WD 6 – 3000 – 039/17 vom 29. Juni 2017, S. 8. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zur Festsetzung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Bezieher von Arbeitslosengeld II nach § 232a SGB V Kurzinformation Zur Festsetzung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Bezieher von Arbeitslosengeld II nach § 232a SGB V Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 zialstaatsprinzip ist es allerdings Sorge des Staates, das System der Gesetzlichen Krankenversicherung leistungsfähig zu erhalten. Wie dies im einzelnen sichergestellt werden kann, ist Aufgabe der Politik und spiegelt sich in den zahlreichen Gesundheitsreformen wider, die in den Jahrzehnten seit Bestehen der Bundesrepublik auf den Weg gebracht worden sind. Im Hinblick auf die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für Empfänger von Grundsicherungsleistungen ist die Änderung von § 232a SGB V im Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstrukturund Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz, GKV-FQWG) bedeutsam, mit der das System zur Festsetzung dieser Beiträge grundlegend neu strukturiert wurde. Das bis dahin individuell ausgestaltete (und mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbundene) Beitragsrecht der gesetzlichen Kranken – und Pflegversicherung für Empfänger von Arbeitslosengeld II wurde grundlegend vereinfacht , indem der Vorrang der Familienversicherung abgeschafft wurde. Seither sind alle Empfänger von Arbeitslosengeld II einheitlich in der Kranken- und Pflegeversicherung versicherungspflichtig und die Beiträge, die der Bund über den Gesundheitsfonds an die Gesetzlichen Krankenkassen zahlt, werden auf der Grundlage einer pauschalen beitragspflichtigen Einnahme berechnet 3. Diese Umstellung sollte für die Krankenkassen „finanzneutral“ erfolgen. Dennoch dreht sich seitdem eine Diskussion um die Frage, welche Auswirkungen die veränderte Festsetzung der Beiträge auf die Gesamteinnahmen der GKV hat. Durch die Reform wurden zwar mehr Beziehende von Arbeitslosengeld II versicherungspflichtig, der pauschalierte Beitrag von zunächst 85 Euro fiel allerdings niedriger aus als die bislang gezahlten Beiträge. Daraus wird in der Literatur die Schlussfolgerung gezogen, die solidarische Finanzierung der GKV werde bei den Beziehern von Arbeitslosengeld II durch die Abkopplung von tatsächlicher Höhe der Leistung und Beitragsbemessungsgrundlage „sehr weit ausgedehnt“4. Mit einer „realistischeren Beitragsbemessungsgrundlage “ würde man der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Absicherung dieses Personenkreises gegen Krankheit eher gerecht. Der damals festgesetzte Faktor „0,2060fach“ wurde im Jahr 2016 mit Wirkung zum 1. Januar 2017 auf „0,2155fach“ angehoben.5 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Entwurf des AWStG (Bundestags-Drucksache 18/8647 vom 1. Juni 2016) erklärten diese Anpassung so: „Es handelt sich um eine notwendige Folgeänderung zu der im Rahmen des GKV-FQWG zum 1. Januar 2016 eingeführten Abschaffung des Vorrangs der Familienversicherung und der Pauschalierung des Beitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung bei Beziehenden von Arbeitslosengeld II, um die finanzielle Neutralität dieser Rechts- und Verwaltungsvereinfachungen zu gewährleisten. Eine Überprüfung des Faktors für die Berechnung des pauschalierten 3 ausführlich dazu: Gesetzentwurf GKV-FQWG, Bundestags-Drucksache 18/1307 vom 5. Mai 2014, sowie Thomas Gerner und Hella von Oppen: Die Pauschalierung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für Beziehende von Arbeitslosengeld II – ein Beitrag zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung, in: NZS 2015, S. 288-294. 4 Peters, Klaus, § 232a in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2015, Rn 25. 5 Gesetz zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung (Art. 2a Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz – AWStG, Bundesgesetzblatt Jg. 2016 Teil I Nr. 35, ausgegeben zu Bonn am 22. Juli 2016. Kurzinformation Zur Festsetzung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Bezieher von Arbeitslosengeld II nach § 232a SGB V Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Beitrags in der gesetzlichen Krankenversicherung für Beziehende von Arbeitslosengeld II auf Basis aktuell verfügbarer Daten des Jahres 2015 hat einen entsprechenden Änderungsbedarf aufgezeigt .“ Nach § 232a Absatz 1a ist dieser Faktor „im Hinblick auf die für die Berechnung maßgebliche Struktur der Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II zu überprüfen“, bei Veränderungen mit Wirkung zum 1. Januar 2018 neu zu bestimmen. Damit sollen besondere Entwicklungen am Arbeitsmarkt berücksichtigt werden. Der Bundesrat (Bundesrats-Drucksache 318/1/16 vom 27. Juni 2016) führte in seinen Empfehlungen dazu aus, die Änderung des Faktors und die damit einhergehende Erhöhung des Beitrags des Bundes um 4,17 Euro auf 94,53 Euro sei nachvollziehbar. Indessen sei nicht zu erwarten dass – gerade auch mit Blick auf die gestiegene Zahl der Flüchtlinge – die Änderung der Beitragsberechnung auch über 2016 hinaus „finanzneutral für die Beitragszahler der Solidargemeinschaft“ sei. Daher sei eine Evaluation der durch das GKV-FQWG erforderlich, an der Revisionsklausel nach § 232a Absatz 1a SGB V solle daher festgehalten werden. ***