WD 9 - 3000 – 038/20 (6. Mai 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Im Zusammenhang mit den Herausforderungen der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie stellt sich die Frage, ob sich konkrete Verpflichtungen etwa zur Bereitstellung von Schutzausrüstung oder Desinfektionsmitteln aus einer staatlichen Pflicht zur Daseinsvorsorge ergeben. Die staatliche Daseinsvorsorge beinhaltet das Bereitstellen von Infrastrukturleistungen, die die Bürgerinnen und Bürger zur freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit benötigen und die den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft durch die Produktion öffentlicher Güter gewährleisten. Hiervon umfasst ist unter anderem auch die Infrastruktur, auf die die Bürger im Hinblick etwa auf ihre Gesundheit, Mobilität oder wirtschaftliche Tätigkeit angewiesen sind.1 Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist die staatliche Daseinsvorsorge Ausdruck des Sozialstaatsprinzips,2 das als Staatszielbestimmung in Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG verankert ist.3 Aus dem Sozialstaatsprinzip lassen sich aber keine subjektiven Rechte oder sonstigen unmittelbaren Rechtsfolgen ableiten.4 Die Grundrechte, darunter auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG), verstehen sich in erster Linie als Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Darüber hinaus umfassen sie aber auch eine Schutzfunktion des Staates, insbesondere 1 Kersten, Jens, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 8. Auflage 2017, Stichwort „Daseinsvorsorge“. 2 Ebd. 3 Vgl. u.a. Sommermann, Karl-Peter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band II, 7. Auflage 2018, Art. 20 Rn. 103; Huster, Stefan/Rux, Johannes, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Online-Kommentar GG, Stand: 1. Dezember 2019, 42. Edition, Art. 20 Rn. 209. 4 Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3. Dezember 1969, Az. 1 BvR 624/56, BVerfGE 27, 253 (283); Sachs, Michael, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 8. Auflage 2018, Art. 20, Rn. 47 ff. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Anspruch auf konkrete Leistungen aufgrund der staatlichen Verpflichtung zur Daseinsvorsorge Kurzinformation Anspruch auf konkrete Leistungen aufgrund der staatlichen Verpflichtung zur Daseinsvorsorge Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 vor Eingriffen Dritter in diese Grundrechte. In Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zielt die Schutzfunktion auf die unerlässlichen Voraussetzungen der Existenz und begründet keine individuellen Leistungsansprüche.5 Anerkannt ist, dass sich aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip die Pflicht des Staates ergibt, ein tragfähiges Gesundheitsund Krankenversicherungssystems zu schaffen. Allerdings steht dem Gesetzgeber bei der konkreten Ausgestaltung dieses Systems ein so weiter Gestaltungsspielraum zu, dass sich in der Regel keine originären Leistungsansprüche auf bestimmte medizinische Leistungen daraus ableiten lassen.6 Diese ergeben sich aus dem einfachen Gesetz. Mit der Schaffung des deutschen Krankenversicherungssystems und der gesetzlichen Regelung der Leistungsansprüche ist der Gesetzgeber dieser Pflicht nachgekommen.7 *** 5 Murswiek, Dietrich/Rixen, Stephan, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 8. Auflage 2018, Art. 2 Rn. 224; hiernach bestehe ein Anspruch auf „Leistung der zum Leben unerlässlichen Güter…, sofern der Einzelne darauf angewiesen ist. Dabei geht es um die unerlässlichen Lebensvoraussetzungen, die ‚nackte Existenz‘“, mit weiteren Nachweisen. 6 Bundessozialgericht, Entscheidung vom 15. Juni 2005, Az.: B 1 KR 111/04, mit weiteren Nachweisen aus der ständigen Rechtsprechung; Schulze-Fielitz, Helmuth, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 3. Auflage 2013, Art. 2 II, Rn. 96; Di Fabio, Udo, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 89. Ergänzungslieferung, Stand: Oktober 2019, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 94. 7 So Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. November 2005, Az. 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25; Beschluss vom 31. Oktober 1984, Az. 1 BvR 35/82, BVerfGE 68, 193 (209).