© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 036/20 Blutspende von homo-, bi- und transsexuellen Männern (MSM) in ausgewählten Ländern Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 2 Blutspende von homo-, bi- und transsexuellen Männern (MSM) in ausgewählten Ländern Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 036/20 Abschluss der Arbeit: 27. Mai 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung: Die Situation in Deutschland 4 2. Zulassungs- und Ausschlusskriterien von Blutspenden für MSM in anderen Ländern 7 2.1. Vollständiges Blutspendeverbot 7 2.2. Zeitweilige Ausschlusskriterien 8 2.2.1. Rückstellungsfrist von zwölf Monaten 8 2.2.2. Verkürzungen der Rückstellungsdauer in den vergangenen Jahren 8 2.2.2.1. England, Schottland und Wales 9 2.2.2.2. Kanada 9 2.2.2.3. Niederlande 9 2.2.3. Lockerungen von Rückstellungsfristen in 2020 9 2.2.3.1. Frankreich 9 2.2.3.2. In Dänemark 10 2.2.3.3. Nordirland 10 2.2.3.4. USA 11 2.3. Vollständige Aufhebung zeitweiliger Ausschlusskriterien 11 2.3.1. Allgemeiner Überblick 11 2.3.2. Ungarn seit 2020 12 2.4. Studien zur Wirkung von Aufhebungen und Lockerungen von Rückstellungsfristen 12 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 4 1. Vorbemerkung: Die Situation in Deutschland In Deutschland wird die Blutspende durch das Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens (TFG)1 und durch die Richtlinien der Bundesärztekammer geregelt. In § 5 Abs. 1 Satz 2 TFG wird für die Zulassung eines Spenders festgelegt, dass diese nicht erfolgen soll, soweit und solange die spendewillige Person nach den Richtlinien der Bundesärztekammer von der Spendeentnahme auszuschließen oder zurückzustellen ist. Für die geltenden Ausschlusskriterien zur Spendeentnahme wird damit auf die Richtlinien der Bundesärztekammer verwiesen. Bis zum 7. November 2017 waren nach derzeitigen Richtlinien in Deutschland Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), und transgeschlechtliche Menschen dauerhaft von Blutspenden ausgeschlossen . Mit einer seither in Kraft getretenen Neufassung der „Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen sowie zur Anwendung von Blutprodukten“ (Richtlinie Hämotherapie )2 der Bundesärztekammer wurde das Blutspendeverbot für MSM aufgehoben. Seitdem sind „Personen, deren Sexualverhalten ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten, wie HBV, HCV oder HIV“ birgt, für zwölf Monate von der Spende zurückzustellen. Dazu gehören homo- und bisexuelle Männer sowie transgeschlechtliche Menschen mit sexuellem Risikoverhalten, aber auch heterosexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten, Personen, die Sexualverkehr gegen Geld oder andere Leistungen (z. B. Drogen) anbieten. Der Europäische Gerichtshof hatte am 29. April 2015 festgestellt, dass ein pauschaler Ausschluss von MSM von der Blutspende mit dem Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung in Art. 21 Absatz 1 und Art. 52 Absatz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union3 unvereinbar und damit unzulässig sei, wenn es weniger belastende Methoden gebe, um die Sicherheit der Blutspenden zu gewährleisten. So müsse überprüft werden, "ob es durch gezielte Fragen zum seit der letzten sexuellen Beziehung verstrichenen Zeitraum im Verhältnis zur Dauer des 'diagnostischen Fensters', zur Beständigkeit der Beziehung der betreffenden Person oder zum Schutz in der sexuellen Beziehung möglich wäre, die Höhe des Risikos zu bewerten, das individuell durch den jeweiligen Spender aufgrund seines eigenen Sexualverhaltens besteht.“4. 1 Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens (Transfusionsgesetz – TFG) vom 28. August 2007, BGBl. I S. 2169, zuletzt geändert durch Artikel 11 des Gesetzes vom 19. Mai 2020, BGBl. I S. 1018. 2 Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Richtlinie Hämotherapie) – Gesamtnovelle 2017 am 17. Februar 2017 verabschiedete Fassung mit zuletzt verabschiedeten Anpassungen am 17. Mai 2019, abrufbar unter: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload /downloads/pdf-Ordner/MuE/Richtlinie_Haemotherapie_E_A_2019.pdf. 3 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2000/C 364/01) vom 18. Dezember 2000, abrufbar unter: https://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf. 4 EuGH, Urteil (Vierte Kammer) vom 29. April 2015, Az.: C-528/13, abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf?text=&docid=164021&pageIndex=0&doclang =DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=320515 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 5 Im Zuge dessen erfolgte in Deutschland die Überarbeitung der Richtlinie Hämotherapie und mithin auch die o. g. Anpassung der Zulassungskriterien zur Blutspende für MSM.5 Jedoch endete die lang anhaltende Diskussion darüber nicht. Interessenverbände werfen der Bundesärztekammer vor, die derzeitige Regelung berücksichtige nicht ausreichend aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zum Infektionsrisiko für HIV.6 Die Rückstellungsfrist von zwölf Monaten sei willkürlich gewählt, da sich eine HIV-Infektion mit den modernen Antikörpertests bereits nach sechs Wochen sicher ausschließen lasse.7 In den Deutschen Bundestag wurden bereits mehrere Anträge zur Abschaffung der zwölfmonatigen Rückstellungsfrist für homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen8 eingebracht. Die Bundesärztekammer, die nach § 12a Abs. 1 des Transfusionsgesetzes9 den allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und Technik zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen – unter angemessener Beteiligung von Sachverständigen und den zuständigen Behörden von Bund und Ländern – feststellt, verweist auf ein Gutachten „Blutspende von Personen mit sexuellem Risikoverhalten – Darstellung des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft“ vom 22. Juli 2016, das zu dem Ergebnis kommt: „In der diagnostischen Fensterphase können durch Blut übertragbare Krankheiten nicht ausgeschlossen werden. Da keine weniger belastenden Methoden als eine Nichtzulassung zur Spende zur Verfügung stehen, sind unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Personen mit hohem Infektionsrisiko infolge sexuellen Risikoverhaltens nicht zur Blutspende zuzulassen. Nach Beendigung des Risikoverhaltens ist eine Zulassung zur Blutspende mit einer entsprechenden Latenz möglich. Die gemeinsame Arbeitsgruppe kommt nach Auswertung der aktuellen medizinisch- 5 Vgl. dazu Speckmann, Annika, Der Ausschluss von der Blutspende für Männer, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten, nach Maßgabe der EuGH-Rechtsprechung: Auswirkungen des Vorabentscheidungsverfahrens C-528/13 "Geoffrey Léger" auf die Rechtslage in Deutschland, in: Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung , 2019, S. 3-53 6 Das Robert Koch-Institut kommt in einer Information zum HIV-Testergebnissen mit Stand 27. Juli 2015 zu dem Ergebnis: „Eine Nachuntersuchung länger als 6 Wochen nach dem möglichen Infektionsereignis ist daher nur bei Verwendung von Schnelltesten sowie in Ausnahmefällen sinnvoll, z.B. aus versicherungsrechtlichen Gründen bei beruflichen Expositionen“, s. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/HIVAids/FAQ_05.html 7 siehe dazu die Position der Deutschen AIDS-Hilfe, abrufbar unter: https://www.aidshilfe.de/blutspendeverbotschwule -bisexuelle-maenner; des Lesben- und Schwulenverbands – LSVD, abrufbar unter: https://www.lsvd.de/de/ct/1321-Ausschluss-schwuler-und-bisexueller-Männer-von-der-Blutspende 8 Zuletzt: Deutscher Bundestag, Drucksache 19/17797 vom 11. März 2020, abrufbar unter: https://dip21.bundestag .de/dip21/btd/19/177/1917797.pdf. sowie Deutscher Bundestag, Drucksache 19/18222 vom 26. März 2020, abrufbar unter https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/182/1918222.pdf 9 § 12 a: Richtlinien zum Stand der Erkenntnisse der medizinischen und zahnmedizinischen Wissenschaft und Technik zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen; § 12 a Abs. 2 bestimmt: „Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und Technik wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer nach Absatz 1 beachtet worden sind“. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 6 wissenschaftlichen und epidemiologischen Daten zu dem Ergebnis, dass eine Zulassung zur Blutspende 12 Monaten nach Beendigung des sexuellen Risikoverhaltens nicht zu einer Erhöhung des Risikos für die Empfänger von Blut und Blutprodukten führt.“ 10 Mit dem Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19. Mai 202011 hat der Deutsche Bundestag gerade das Transfusionsgesetz geändert. Nach § 12a Abs.1 Satz 1 wurde eingefügt: „Die Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von bestimmten Personengruppen von der Spende führt, ist im Fall neuer medizinischer, wissenschaftlicher oder epidemiologischer Erkenntnisse zu aktualisieren und daraufhin zu überprüfen, ob der Ausschluss oder die Rückstellung noch erforderlich ist, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau von Empfängerinnen und Empfängern von Blutspenden sicherzustellen.“ Die Bundesärztekammer betonte in einer Stellungnahme vom 5. Mai 2020 zu der geplanten Änderung: „Die Richtlinie Hämotherapie stellt gemäß §12a TFG den allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und Technik zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen fest. Dies impliziert die Aktualität des jeweiligen Standes der Richtlinie, so dass weitergehende Spezifizierungen weder notwendig noch sinnvoll sind.“12 Alle vom Wissenschaftlichen Beirat erstellten Veröffentlichungen würden spätestens alle zwei Jahre bezüglich ihres Aktualitätsgrades geprüft, so auch die Richtlinie Hämotherapie. Diese Selbstverpflichtung beziehe sich bewusst auf die gesamte Richtlinie, eine Prüfung einzelner, spezifischer Aspekte sei dagegen abzulehnen.13 Durch das aktuelle, vom SARS-CoV-2-Virus verursachte Infektionsrisiko ist die Zahl der Blutspender in den letzten Monaten vielen europäischen Ländern stark zurückgegangen. Daher haben einige Länder tatsächlich Lockerungen der Zulässigkeitskriterien für Blutspenden auch von MSM durch eine Verkürzung der bisherigen Rückstellungsfristen auf lediglich vier oder drei Monate beschlossen. Die Kritiker der deutschen Regelung verweisen auch auf diese Absenkung oder Aufhebung von Rückstellungsfristen für MSM-Blutspender in vielen anderen Ländern. Daher wird 10 „Blutspende von Personen mit sexuellem Risikoverhalten – Darstellung des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft“, Beratungsergebnis der gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Vertretern des „Arbeitskreises Blut nach § 24 TFG“, des Ständigen Arbeitskreises „Richtlinien Hämotherapie nach §§ 12a und 18 TFG“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, des Robert Koch-Instituts, des Paul-Ehrlich-Instituts und des Bundesministeriums für Gesundheit „Blutspende von Personen mit sexuellem Risikoverhalten“ vom 22. Juli 2016, abrufbar unter https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner /MuE/Blutspende_22072016.pdf, S. 32f. 11 Zweites Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19. Mai 2020, BGBl Jg. 2020, Teil I Nr. 23, ausgegeben zu Bonn am 22. Mai 2020, Artikel 11, Änderung des Transfusionsgesetzes. 12 Stellungnahme der Bundesärztekammer zu der Formulierungshilfe für die Fraktionen der CDU/CSU und SPD für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringen Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Stand 29.04.2020) vom 11. Mai 2020, S. 12-17, abrufbar unter: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner /Stellungnahmen/Form.hilfe_2._GE_Bevoelkerungsschutzgesetz_SN_BAEK_05052020_final.pdf, S. 14. 13 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 7 im Folgenden auftragsgemäß zusammengefasst, welche Regelungen in ausgewählten Ländern bestehen und ob Studien existieren, die Auswirkung verkürzter Fristen auf das Infektionsrisiko in anderen Ländern untersuchen. 2. Zulassungs- und Ausschlusskriterien von Blutspenden für MSM in anderen Ländern 2.1. Vollständiges Blutspendeverbot Weltweit gilt für MSM noch immer in vielen Ländern ein vollständiger Ausschluss von der Blutspende .14 Beispielsweise dürfen in den Staaten China, Island, Malaysia, Singapur, Trinidad und Tobago und in der Ukraine homo- und bisexuelle Männer dauerhaft und ausnahmslos kein Blut spenden, siehe: Savage/Ohlen, What are the blood donation rules globally for gay and bisexual men?, in Reuters vom 11. April 2020, abrufbar unter: https://www.reuters.com/article/us-globallgbt -health-factbox-trfn/what-are-the-blood-donation-rules-globally-for-gay-and-bisexual-menid USKBN22N2GS. In den genannten Ländern genügt die bloße Zugehörigkeit zur MSM-Gruppe bereits als Ausschlusskriterium zur Blutspende. Dies wird damit begründet, dass das Sexualverhalten homo-, bi- und transsexueller Menschen mit einem hohen Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare Infektionskrankheiten (z.B. Hepatitis B, Hepatitis C, HIV) verbunden sei. Das Gesundheitsministerium in China lockerte zwar ab dem 1. Juli 2012 das seit 1998 geltende generelle Blutspendeverbot für sämtliche Homosexuelle, indem homosexuelle Frauen zur Spende zugelassen wurden; sexuell aktive homosexuelle und bisexuelle Männer blieben jedoch weiterhin ausgeschlossen , siehe dazu: Lesbian blood ban lifted, in Global Times 3. Juli 2012, abrufbar unter: http://www.globaltimes.cn/content/718593.shtml. Auch einige Mitgliedstaaten der Europäischen Union halten an einem dauerhaften Blutspendeverbot für MSM fest, trotz des EuGH-Urteils von 2015. So sind in Griechenland, Kroatien, Litauen und Slowenien15 MSM von der Spendeentnahme ausgeschlossen, siehe dazu: Why some countries still ban gay men from giving blood, in: The Economist vom 16. April 2018, abrufbar unter: https://www.economist.com/the-economist-explains/2018/04/16/why-some-countriesstill -ban-gay-men-from-giving-blood; Savage/Ohlen, What are the blood donation rules globally for gay and bisexual men?, in Reuters vom 11. April 2020, abrufbar unter: https://www.reuters .com/article/us-global-lgbt-health-factbox-trfn/what-are-the-blood-donation-rules-globally-forgay -and-bisexual-men-idUSKBN22N2GS. 14 Vgl. dazu McAdam/Parker, An Antiquated Perspective: Lifetime Ban for MSM Blood An Antiquated Perspective : Lifetime Ban for MSM Blood Donations No Longer Global Norm, DePaul Journal of Health Care Law 2015, Vol. 16/1, abrufbar unter: https://via.library.depaul.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1006&context=jhcl. 15 Vgl. Blood Transfusion Centre of Slovenia, abrufbar unter: http://www.ztm.si/en/blood-donation/who-can-donate -blood/. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 8 2.2. Zeitweilige Ausschlusskriterien Viele Länder haben von einem dauerhaften Blutspendeverbot für MSM Abstand genommen und gestatten eine Blutspende von MSM nur nach zeitweiligem Ausschluss. Die unterschiedlichen Rückstellungsfristen variieren dabei von drei Monaten, wie beispielsweise in England, bis zu fünf Jahren, wie etwa in Taiwan, siehe dazu: New blood donation law approved in Taiwan, in Washingtinblade vom 26.Januar 2018, abrufbar unter: https://www.washingtonblade .com/2018/01/26/new-blood-donation-law-approved-taiwan/; siehe weiter: Calls mount to lift bans on gay men giving blood amid coronavirus, in: Reuters vom 4. April 2020, abrufbar unter : https://www.reuters.com/article/uk-health-coronavirus-lgbt-blood/calls-mount-to-lift-banson -gay-men-giving-blood-amid-coronavirus-idUSKBN21M0FA. 2.2.1. Rückstellungsfrist von zwölf Monaten In den meisten Staaten wurde bei der Umstellung von einem dauerhaften Ausschluss hin zu einer Regulierung eine Rückstellungsdauer von zwölf Monaten gewählt – so auch in Deutschland . Eine zwölfmonatige Rückstellungsfrist gilt auch in Belgien16, Tschechische Republik17, Finnland 18 und Österreich. In Österreich ist zwar im Dezember 2019 eine neue Blutspendeverordnung mit zwölfmonatiger Rückstellungsfrist in Kraft getreten; dennoch fehle es bei der größten Blutspende-Organisation Österreichs – dem Österreichischen Roten Kreuz – an einer praktischen Umsetzung dieser neuen Regelung, siehe: Rotes Kreuz verbietet noch immer allen schwulen Männern die Blutspende, in GGG.at vom 24. April 2020, abrufbar unter: https://www.ggg.at/2020/04/24/rotes-kreuz-verbietet-noch-immer-allen-schwulen-maennern-dieblutspende /, siehe weiter auf Webseite von Österreichisches Rotes Kreuz, abrufbar unter: https://www.roteskreuz.at/blutspende/informationen-zur-blutspende/wer-darf-blutspenden/. 2.2.2. Verkürzungen der Rückstellungsdauer in den vergangenen Jahren In den vergangenen Jahren kam es in einer Reihe von Ländern, die ebenfalls zunächst eine zwölfmonatige Rückstellungsfrist eingeführt hatten, zu Lockerungen der Zulassungskriterien für MSM. Mit der Begründung, dass die modernen Bluttests und neuen medizinischen Methoden eine sichere Nachweisbarkeit von Infektionen in einem kürzeren Zeitraum ermöglichten, haben die folgenden Staaten diese Rückstellungsfrist nun auf drei oder vier Monate verkürzt: 16 Vgl. Rode Kruis Vlaaderen unter „ Sexual partner and risk situations“, abrufbar unter: https://www.rodekruis .be/wat-kan-jij-doen/geef-bloed-of-plasma/mag-ik-geven/#11-seksuele-partner-en-risicosituaties 17 Vgl. Czech Red Cross, abrufbar unter: https://www.cervenykriz.eu/cz/podminky.aspx- 18 Vgl. Finnish Red Cross unter „Sex and sexual behaviour“, abrufbar unter: https://www.bloodservice.fi/blooddonation /donate-blood/can-you-donate- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 9 2.2.2.1. England, Schottland und Wales Seit November 2017 wurde für England, Schottland und Wales die Rückstellungsfrist von zwölf Monaten auf nur noch drei Monate verkürzt. In Nordirland blieb zunächst die Einjahresfrist bestehen . Mit dieser zeitlichen Reduzierung folgte die britische Regierung der Empfehlung eines beratenden Ausschusses, dem sog. „Advisory Committee on the Safety of Blood, Tissues and Organs“. Nach dessen Aussagen basierten die Empfehlungen "auf den aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen und medizinischen Fortschritten, die mehr Menschen die Möglichkeit zur Blutspende bieten werden, ohne die Sicherheit der Blutversorgung zu beeinträchtigen", siehe dazu: Blood donation rules relaxed for gay men and sex workers, in: BBC News vom 23. Juli 2017, abrufbar unter: https://www.bbc.com/news/health-40669950; siehe weiter: New reduced ban on blood donation for gay and bi men starts today, in gaystarnews.com vom 27. November 2017, abrufbar unter: https://www.gaystarnews.com/article/donate-blood-gaybi /#gs.sW7UMAY. 2.2.2.2. Kanada In Kanada wurde 2013 das lebenslange Blutspendeverbot für homo- und bisexuelle Männer aufgehoben und erlaubte zunächst auch Spenden von Männern, die fünf Jahre lang auf Sex mit anderen Männern verzichteten. Im Jahr 2016 wurde diese Rückstellungfrist auf ein Jahr verkürzt. Nun erfolgte ab dem 3. Juni 2019 eine weitere Verkürzung auf drei Monate. Demnach wurden die Änderungen nach eingehender Prüfung der wissenschaftlichen und epidemiologischen Erkenntnisse vorgenommen, siehe dazu Webseite der Canadian Blood Services, abrufbar unter: https://blood.ca/en/blood/am-i-eligible/about-msm; weiter dazu: Blood donation waiting period for men who have sex with men reduced to three month, in blood.ca vom 15.05.2019, abrufbar unter: https://blood.ca/en/about-us/media/newsroom/blood-donation-waiting-period-for-menwho -have-sex-with-men-reduced-to-three-months; siehe auch: Blood-donation deferral period drops to 3 months for gay, bisexual men, in: CBC vom 8. Mai 2019, abrufbar unter: https://www.cbc.ca/news/canada/british-columbia/gay-bisexual-men-blood-donation-deferralperiod -1.5127608. 2.2.2.3. Niederlande In den Niederlanden wurde ebenfalls eine Rückstellungsfrist von anfangs zwölf Monaten für MSM auf vier Monate verkürzt. Der Mikrobiologe Hans Zaaijer erklärte dazu, dass neue Daten zur Verfügung stünden, die eine Verkürzung der Wartezeit auf 4 Monate ermöglichten, siehe hierzu: New rules for gay and bisexual male blood donors found to be safe, in NewScientist vom 29. November 2019, abrufbar unter: https://www.newscientist.com/article/2225154-new-rulesfor -gay-and-bisexual-male-blood-donors-found-to-be-safe/. 2.2.3. Lockerungen von Rückstellungsfristen in 2020 2.2.3.1. Frankreich Die Zulassungskriterien für Blutspenden von MSM wurden in Frankreich 2016 zunächst auf zwölf Monate Rückstellungsfrist festgesetzt. Um eine Verkürzung dieser Wartezeit zu erreichen, Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 10 wurde eine HIV-Risikobewertung mit zwei Szenarien durchgeführt.19 Da deren Ergebnis kein erhöhtes Infektionsrisiko erkennen ließ, führte das französische Gesundheitsministerium eine viermonatige Rückstellungsfrist für MSM Blutspender ab dem 1. Februar 2020 in Frankreich ein. Ab 2022 könne auch eine Gleichstellung homo- und heterosexueller Blutspender zu anderen Blutspendern ohne Wartezeit erfolgen, siehe: France to ease restrictions on blood donations from gay men, in: france24 vom 17. Juli 2019, abrufbar unter: https://www.france24.com/en/20190717-france-12-month-deferral-blood-donations-homosexualgay -men-four-months; weiter unter: Frankreich lockert Blutspende-Regeln für schwule Männer erneut, in: ggg.at vom 25. Juli 2019, abrufbar unter: https://www.ggg.at/2019/07/25/frankreichlockert -blutspende-regeln-fuer-schwule-maenner-erneut/; 2.2.3.2. In Dänemark Dänemark änderte ab März 2020 seine Regelungen zu Blutspenden von MSM. Das dauerhafte Blutspendeverbot wurde aufgehoben und dahingehend geändert, dass MSM mit einer viermonatigen Rückstellungsfrist zur Blutspende zugelassen sind. In Dänemark bestand ein parlamentarischer Konsens darüber, dass das bis dahin geltende Verbot inzwischen veraltet und diskriminierend sei. Diesbezügliche Änderungen wurden bereits im August 2018 von der ehemaligen Gesundheitsministerin Ellen Trane Nørby angekündigt und nun umgesetzt. Der amtierende Gesundheitsminister Magnus Heunicke will die Regelung noch weiter öffnen und erklärte: Es gebe keine Untersuchungen, die bestätigten, dass eine viermonatige Wartezeit überhaupt notwendig sei, siehe Denmark is to change its rules for blood donation from March, introducing a long-awaited provision allowing gay men to give blood, The Local vom 20. Januar 2020, abrufbar unter: https://www.thelocal.dk/20200120/denmark-changes-1988- health-legislation-to-allow-gay-men-to-give-blood; siehe weiter: Denmark will change its health legislation to allow gay and bisexual men to donate blood, in: gcn vom 21. Januar 2020, abrufbar unter: https://gcn.ie/denmark-ban-blood-gay-bisexual-men/; o.g. Brief von Magnus Heunicke in dänischer Sprache ist abrufbar unter: https://www.ft.dk/samling/20191/almdel/SUU/bilag /170/2137560.pdf. 2.2.3.3. Nordirland Ab dem 1. Juni 2020 werden in Nordirland ebenfalls MSM in der Lage sein, drei Monate nach ihrer letzten sexuellen Aktivität Blut zu spenden, teilte das Gesundheitsministerium mit. Ein dauerhaftes Blutspendeverbot für MSM wurde in den 1980er Jahren aufgrund der Gefahr einer HIV-Infektion eingeführt. Dies wurde 2016 zunächst in eine zwölfmonatige Wartezeit umgewandelt . Mit der nun baldig angekündigten Verkürzung der Rückstellungsfrist auf drei Monate folgt Nordirland dem übrigen Vereinigten Königreich, siehe dazu: Northern Ireland blood donation rules relaxed for gay and bisexual men, in: BBC News vom 29. April 2020, abrufbar unter: 19 Pillonel/Pelat, The evolving blood donor deferral policy for men who have sex with men: impact on the risk of HIV transmission by transfusion in France, in Transfusion, Vol. 60/3, abrufbar unter: https://onlinelibrary .wiley.com/doi/full/10.1111/trf.15677, vgl. unten Kapitel 2.4. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 11 https://www.bbc.com/news/uk-northern-ireland-52471308; siehe weiter: Rules on gay blood donations relaxed in Northern Ireland, in: irishtimes.com vom 29. April 2020, abrufbar unter: https://www.irishtimes.com/news/ireland/irish-news/rules-on-gay-blood-donations-relaxed-innorthern -ireland-1.4241307. 2.2.3.4. USA In den USA gab die Food and Drug Administration (F.D.A.), die Lebensmittelüberwachungsund Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten, im April 2020 bekannt, dass sie die Zulassungskriterien für Blutspenden von MSM deutlich lockere und die Rückstellungsfrist von einem Jahr auf drei Monate verkürze - in der Hoffnung, den drastischen Rückgang der Blutspenden während der Coronavirus-Pandemie zu mindern. Die zwölfmonatige Wartezeit war seit ihrer Einführung 2015 als diskriminierend und antiquiert kritisiert worden. Angesichts der Belastung der Blutversorgung durch Covid-19 wurde die F.D.A. zunehmend zu einer Überprüfung der Zulassungskriterien für Blutspenden von MSM gedrängt. Am 2. April 2020 veröffentlichte die F.D.A. dann die überarbeiteten Richtlinien20, die es MSM erlauben, nach einer verkürzten Rückstellungsfrist von drei Monaten Blut zu spenden. Die F.D.A. erklärte, dass "die gegenwärtige Politik bezüglich bestimmter Kriterien für die Spendereignung geändert werden kann, ohne die Sicherheit der Blutversorgung zu gefährden.“, siehe: veröffentlichte Erklärung der F.D.A vom 2. April 2020, abrufbar unter: https://www.fda.gov/news-events/press-announcements/coronavirus-covid-19-update-fda-provides -updated-guidance-address-urgent-need-blood-during-pandemic; weiter dazu: U.S. Eases Restrictions on Gay Men Donating Blood Amid Covid-19, in: Bloomberg vom 2. April 2020, abrufbar unter: https://www.bloomberg.com/news/articles/2020-04-02/u-s-eases-restrictions-on-gay-mendonating -blood-amid-covid-19; weiter siehe: Gay men in US still unable to donate blood despite new coronavirus rules, The Guardian vom 18. April 2020, abrufbar unter: https://www.theguardian .com/us-news/2020/apr/18/us-blood-donation-gay-men-coronavirus. 2.3. Vollständige Aufhebung zeitweiliger Ausschlusskriterien 2.3.1. Allgemeiner Überblick Weltweit haben mehrere Länder ein dauerhaftes Blutspendeverbot vollständig aufgehoben oder Rückstellungsfristen für MSM rückgängig gemacht, darunter Argentinien, Russland und Südafrika , siehe hierzu: Op-Ed: Rules for gay blood donors are based on outdated fear, not science, in Los Angeles Times vom 5 Juli 2018, abrufbar unter: https://www.latimes.com/opinion/oped /la-oe-cuneo-gay-blood-donor-20180705-story.html; siehe weiter: Argentina Lifts Ban on Gay Men Giving Blood, in: Time vom 17. September 2015, abrufbar unter: https://time.com/4038742/argentina-gay-blood-donation/. 20 F.D.A. Richtlinien von April 2020 – sog. Revised Recommendations for Reducing the Risk of Human Immunodeficiency Virus Transmission by Blood and Blood Products – sind in englischer Sprache abrufbar unter: https://www.fda.gov/media/92490/download. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 12 In vielen anderen Ländern, wie etwa Bulgarien, Italien, Lettland Spanien, Portugal und Polen, sind seit Jahren homo- und bisexuelle sowie transsexuelle Männer nicht mehr als MSM einer Risikogruppe zugeordnet, die pauschal zeitweiligen Ausschlusskriterien unterlegen sind. Ihre Zulassung und Eignung als Blutspender hängt in diesen Ländern nicht von dem Geschlecht oder der sexuellen Orientierung ab, sondern von dem individuellen Sexualverhalten. Es existieren keine differenzierenden Sonderregelungen für MSM mehr. Für weitere Informationen siehe: What are the blood donation rules globally for gay and bisexual men?, in: Reuters vom 11. Mai 2020, abrufbar unter: https://www.reuters.com/article/us-global-lgbt-health-factbox-trfnid USKBN22N2GS; siehe weiter: Großunternehmen wollen, dass Schwule in Deutschland Blut spenden können, in: out.tv vom 28. April 2020, abrufbar unter: https://www.out.tv/de_DE/news/grossunternehmen-wollen-dass-schwule-in-deutschland-blutspenden -koennen/?acceptCookies=5ebbb6e687ec0. 2.3.2. Ungarn seit 2020 Der nationale Blutversorgungsdienst in Ungarn (OVSZ) gab Mitte April 2020 überraschend bekannt , dass homo- und bisexuelle Männer ab sofort zur Blutspende zugelassen sind, wenn sie kein Risikoverhalten aufwiesen. Damit schaffte Ungarn die bisher geltende Rückstellungsfrist von zwölf Monaten ab. Die entsprechenden neuen Richtlinien traten rückwirkend zum 1. Januar 2020 in Kraft. Mit der neuen Regelung soll nicht mehr die sexuelle Orientierung der Spender abgefragt werden, sondern das tatsächliche Risikoverhalten, siehe dazu: Hungary Lifts All Gay Blood Donation Bans, in: Gay Nation vom 13. Mai 2020, abrufbar unter: https://gaynation.co/hungary-lifts-all-gayblood -donation-bans/; Ungarn öffnet Blutspende für schwule und bisexuelle Männer, in: ggg.at vom 7. Mai 2020, abrufbar unter: https://www.ggg.at/2020/05/07/ungarn-oeffnet-blutspende-fuerschwule -und-bisexuelle-maenner/; siehe weiter: Ungarn stellt Schwule beim Blutspenden gleich, in: Queer vom 8. Mai 2020, abrufbar unter: https://www.queer.de/detail.php?article_id=36078. 2.4. Studien zur Wirkung von Aufhebungen und Lockerungen von Rückstellungsfristen Die Länder, die Rückstellungsfristen für MSM bei der Blutspende verkürzt oder aufgehoben haben , verwiesen dabei jeweils auf bestehende Untersuchungsergebnisse, die eine sichere Nachweisbarkeit von möglichen Infektionsrisiken belegen könnten. Das Robert Koch-Institut geht auf Grundlage der vorliegenden Daten und Untersuchungen davon aus, dass mit der Verwendung eines modernen Suchtestes der vierten Generation spätestens sechs Wochen nach einer Infektion sicher festgestellt werden könne, ob eine HIV-Infektion vorliege . Ein sicherer Nachweis einer HIV-Infektion wäre zu diesem Zeitpunkt bereits gegeben, würde eine Blutprobe entsprechend der Empfehlungen der Leitlinie der Deutschen Vereinigung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 13 zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV)21 in einem Bestätigungstest (Immunoblot oder Nukleinsäureamplifikationstest (NAT)) weiter untersucht, siehe dazu: Webseite des Robert Koch- Instituts, Wie lange ist die Zeitdauer zwischen Infektion und Nachweisbarkeit von Antikörpern? (Stand 29.09.2018), abrufbar unter: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/HIVAids/FAQ- Liste.html; siehe auch: Stellungnahme der DVV e.V. und der Gesellschaft für Virologie e.V., Nachweis einer Infektion mit Humanem Immundefizienzvirus (HIV): Serologisches Screening mit nachfolgender Bestätigungsdiagnostik durch Antikörper-basierte Testsysteme und/ oder durch HIV-Nukleinsäure-Nachweis, in Bundesgesetzblatt 2015, 58, S. 877-886; abrufbar unter: https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/302/20qaHRqZd7W2U.pdf?sequence=1&isAllowed =y. Eine einschlägige, international anerkannte Studie zum Infektionsrisiko durch MSM als Blutspender gibt es jedoch nicht. Eine Bewertung der tatsächlichen Auswirkungen einer sich ändernden MSM-Blutspendepolitik steht vor praktischen Herausforderungen: Die meisten Blutspendedienste veröffentlichen keine oder nicht ausreichend repräsentative HIV-Überwachungsdaten spezifisch zu MSM oder besitzen eine solche Datensammlung nicht. Die meisten veröffentlichten Studien zu diesem Thema basieren daher auf Schätzungen und nicht auf tatsächlich ausgewertetem Datenmaterial. Sie zeichnen jedoch ein homogenes Bild: Eine Steigerung des Infektionsrisikos nach Verkürzung geltender Rückstellungsfristen für MSM-Blutspender sei nicht nachzuweisen . Im Folgenden eine Auswahl von Studien und Veröffentlichungen, die sich mit dem Infektionsrisiko durch MSM als Blutspender befassen: In Frankreich wurde die ab dem 1. Februar 2020 in Frankreich eingeführte Rückstellungsfrist von vier Monaten mit einer Untersuchung von 2020 zur HIV-Risikobewertung begründet. Diese Untersuchung umfasste zwei Szenarien: Das erste Szenario bildete eine viermonatige Rückstellungsfrist für MSM ab; das zweite Szenario eine viermonatige Rückstellungsfrist nur im Falle von mehr als einem Sexualpartner (also ähnlich wie bei allgemeinen Blutspendern, die nicht einer Risikogruppe zugeordnet sind). Die Auswirkung beider Szenarien auf den Verlauf eines HIV-Infektionsrisikos wurde anhand von Daten aus Umfragen und Schätzungen bei MSM und Blutspendern bewertet. Im Ergebnis blieb das Infektionsrisiko für beide Szenarien sehr niedrig. Für das erste Szenario wurde geschätzt, dass es bei einer Viermonats-Rückstellungsfrist zu keiner Erhöhung des Infektionsrisikos im Vergleich zu einer Einjahres-Rückstellungsfrist kommen würde. Für das zweite Szenario war das Risiko 1,5 mal höher, siehe dazu: Pillonel et al., The evolving blood donor deferral policy for men who have sex with men: impact on the risk of HIV transmission by transfusion in France, in: Transfusion, Volume 60 Issue 3, abrufbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/trf.15677. 21 Leitlinie der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) e.V. und des Robert Koch- Instituts (RKI) zur Prüfung von chemischen Desinfektionsmitteln auf Wirksamkeit gegen Viren in der Humanmedizin , Fassung vom 1. Dezember 2014, abrufbar unter: https://edoc .rki.de/bitstream/handle/176904/178/29aJnlrkfjkM.pdf?sequence=1&isAllowed=y. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 14 Ziel einer Studie in Kanada im Jahr 2019 war es, das Restrisiko für HIV bei MSM abzuschätzen , wenn die zwölfmonatige Rückstellungfrist auf drei Monate reduziert würde. Die Dateneingaben wurden auf Grundlage der stochastischen Monte-Carlo-Simulation anhand von Spenderüberwachung, Spenderbefragungen und veröffentlichten Daten geschätzt. Im Ergebnis wurde das zusätzliche Infektionsrisiko bei einer dreimonatigen Rückstellungsrist als sehr gering eingeschätzt. Dies gelte selbst bei einem pessimistischen Szenario, siehe dazu: O’Brien et al., HIV residual risk in Canada under a three‐month deferral for men who have sex with men, in: Vox Sanguinis vom 27. November 2019, Volume 11, Issue 2, abrufbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/vox.12867. Eine weitere kanadische Studie aus dem Jahr 2019 betrachtete Rechenmodelle älterer Studien in den USA, Kanada, England, Schweden und Frankreich aus den Jahren 2003-2012. Ihr Ziel war es, daraus ein "optimiertes" Modell zu entwickeln, mit dem sich das Infektionsrisiko bei unterschiedlichen Ausschluss-Regelungen für MSM bestimmen lässt. Im Ergebnis bestätigte das optimierte Modell ein geringes Risiko bei Rückstellungsfristen . Davison et al., Changing the deferral for men who have sex with men – an improved model to estimate HIV residual risk, in: Vox Sanguinis vom 1. August 2019, Volume 114, Issue 7, abrufbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/vox.12826. Eine kanadische Untersuchung von 2016 kommt auf mit Verweisen auf den Fortschritt von HIV-Tests, auf neue Ergebnisse mathematischer Modellstudien und empirischer Daten aus anderen Ländern zu dem Schluss, dass eine Änderung der MSM-Blutspendepolitik von einer seinerzeit geltenden fünfjährigen auf eine einjährige Rückstellungsfrist die Zahl der durch Transfusionen übertragenen HIV-Infektionen auch in Kanada nicht erhöhen würde, siehe dazu: Jubran et al., Reevaluating Canada’s policy for blood donations from men who have sex with men (MSM), in: Journal of Public Health Policy vom 17. August 2016, Volume 37, S. 428–439, abrufbar unter: https://link.springer.com/article/10.1057/s41271- 016-0032-1. Eine in Italien im Jahr 2013 veröffentlichte Studie der Nationalen Gesundheitsinstitute und der Lokalen Gesundheitsbehörde von Bologna verglich den Prozentsatz von HIV-positiven MSM-Blutspendern mit heterosexuellen Spendern vor (1999) und nach (2009-2010) einer Umsetzung der Politik der individualisierten Risikobewertung. Die Ergebnisse zeigten keine signifikanten Auswirkungen auf die HIV-Prävalenz in Italien, siehe dazu: Suligoi et al., Changing blood donor screening criteria from permanent deferral for men who have sex with men to individual sexual risk assessment: no evidence of a significant impact on the human immunodeficiency virus epidemic in Italy, in: Blood Transfusion von Juli 2013, 11(3), S. 411-448, abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles /PMC3729137/. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 036/20 Seite 15 Eine retrospektive Studie von 2010 bewertet die Auswirkungen auf die HIV-Prävalenz nach Einführung einer verkürzten zwölfmonatigen Rückstellungsfrist für MSM-Blutspender in Australien. Im Ergebnis wurden keine Hinweise darauf gefunden, dass die Umsetzung des zwölfmonatigen Aufschubs für MSM in Australien zu einem erhöhten Empfängerrisiko für HIV geführt hätte, siehe dazu: Vamvakas, Relative Risk of Reducing the Lifetime Blood Donation Deferral for Men Who Have Had Sex With Men Versus Currently Tolerated Transfusion Risks, in: Transfusion Medicine Reviews von Januar 2011, Volume 25, Issue 1, S.47-60, abrufbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/j.1537-2995.2010.02793.x. Im Jahr 2010 wurden im Rahmen der ersten europäischen MSM-Internet-Umfrage (sog. European MSM Internet Survey, EMIS) selbstberichtete Daten zu HIV-Tests von rund 174.000 MSM in 34 europäischen Ländern gesammelt. Ihr Ziel war es, herauszufinden, wie viele MSM-Spender sich – auch ungeachtet entgegenstehender Regelungen – anlässlich einer Blutspende auf HIV testen lassen und daraus Strategien zur Erhöhung der Sicherheit bei Blutspenden zu entwicklen – wie zum Beispiel ein niedrigschwelliges Angebot zu HIV-Testungen außerhalb von Blutspenden, siehe dazu: Blood donor deferral policies across Europe and characteristics of men whohave sex with men screened for human immunodeficiency virus in bloodestablishments: data from the European Men-who-have-sex-with-men Internet Survey (EMIS), in: Blood Transfusion von Januar 2018, abrufbar unter: http://www.bloodtransfusion.it/articolo .aspx?idart=003113&idriv=000129. ***