Überblick über die heutige Situation Contergangeschädigter - Sachstand - © 2008 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000-035/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Überblick über die heutige Situation Contergangeschädigter Sachstand WD 9 - 3000-035/08 Abschluss der Arbeit: 03.04.2008 Fachbereich WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - 1. Einleitung Aus den Contergan-Kindern sind Erwachsene geworden, die jetzt auf die Fünfzig zugehen . Weil die Gelenke an Beweglichkeit verlieren und durch die jahrzehntelange Überbeanspruchung und Fehlbelastung geschädigt sind, können die Contergangeschädigten ihren Alltag häufig nur noch eingeschränkt und unter Schmerzen bewältigen. Ein Mehrbedarf an Assistenz und Pflege sowie regelmäßiger physiotherapeutischer Maßnahmen ist die Folge. Viele Contergangeschädigte, die ihren Beruf und ihr Privatleben eigenständig meistern konnten, leben nun in großer Sorge um ihre gewohnte Selbständigkeit, Arbeitsfähigkeit und Versorgung im Alter. Der Bundesverband Contergangeschädigter e.V. ist daher der Auffassung, dass die bisher von der Conterganstiftung zuerkannten Leistungen nicht ausreichen. Er ist im Oktober 2007 mit einem Forderungskatalog an den Staat und die Firma Grünenthal herangetreten, der insbesondere höhere monatliche Renten und verbesserte Bedingungen bei der medizinischen Versorgung sowie die Bereitstellung von Pflege und Hilfsmitteln verlangt 1. Zur Situation der Contergangeschädigten liegt ein Bericht der Bundesregierung für den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 12.12.20072 vor, der auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE3 zur Situation Conterganbetroffener verweist. In Ergänzung zu seinem ersten Bericht hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend dem Ausschuss am 23.01.2008 einen Sachstandsbericht zur Entschädigung Contergangeschädigter gegeben 4. 2. Physische und psychische Folgeschäden Die meisten Contergangeschädigten haben verkürzte Arme, rund ein Drittel leidet zusätzlich unter Verkürzungen der Beine. Es kommt vor, dass die Hände oder Füße direkt aus dem Rumpf hervorgehen. Bei etwa einem Viertel sind Arme und Beine betroffen. Um mit dem Fuß zum Beispiel den Tisch abzuwischen oder die Haare zu waschen wurden Knie und Hüftgelenke jahrzehntelang in unphysiologischer Weise überdehnt. Das Benutzen der verformten Hände und Arme führte zu Verschleißerscheinungen im Schultergelenk. Weil die Geschädigten vieles mit Mund und Kopf durchführen gibt es 1 Bundesverband Contergangeschädigter e.V.. Forderungskatalog des Bundesverbands an den Staat und an die Firma Grünenthal. http://www.contergan.de/Forderungskatalog.htm. Stand: 10. Februar 2008 3 BT-Drs. 16/1784. - 4 - Überlastungen im Hals-, aber auch im Brust- und Lendenwirbelbereich. Schmerzen und durch Arthrose bedingte Bewegungseinschränkungen der Betroffenen sind die Folge. Aufgrund dieser Verschlechterungen nehmen Angst und Sorge vor der Zukunft zu. Viele befürchten, ihren Alltag in Zukunft nicht mehr wie bisher bewältigen zu können . . Wissenschaftliche Untersuchungen und Studien zur konkreten Situation der Contergangeschädigten und zu den Folge- und Spätschäden liegen noch nicht vor . Über die Anzahl der nicht mehr erwerbstätigen Betroffenen liegen nach Auskunft der Conterganstiftung sowie des Bundesverbands Contergangeschädigter e.V. ebenfalls keine verlässlichen Angaben vor. 3. Statistisches Material zu den physischen und psychischen Folgeschäden und zur Berufsunfähigkeit Nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes vom 25. März 2008 gibt es keine amtlichen statistischen Angaben zum Thema Contergan-Geschädigte (Physische und psychische Schäden sowie Berufsunfähigkeit). - 5 - 4. Erkrankungen von Kindern der Contergangeschädigten Das als Schlaf- und Beruhigungsmittel verkaufte Arzneimittel Contergan enthielt den Wirkstoff Thalidomid. In der Schwangerschaft eingenommen verursachte dieser Wirkstoff die typischen schweren Schädigungen des ungeborenen Lebens. Nach heutigem Stand der Forschung ist Thalidomid jedoch nicht erbgutschädigend. Anderslautende Behauptungen sind nicht bewiesen worden bzw. beruhen auf einer Verwechselung mit einer seltenen Erbkrankheit, dem Holt-Oram-Syndrom, dessen Behinderungen äußerlich nicht von den Conterganschäden zu unterscheiden sind. Mehr als zwei Drittel der Contergangeschädigten haben Kinder. Diese unterscheiden sich nicht von den Kindern nicht behinderter Eltern. Statistiken hierüber gibt es nicht. 5. Unerkannte Fälle des Wirkstoffes Thalidomid 5.1. In Deutschland Im Jahre 1971 wurde die Stiftung “Hilfswerk für behinderte Kinder“ errichtet und mit Mitteln der Fa. Chemie Grünenthal GmbH und mit Bundesmitteln ausgestattet, um die Contergan-Opfer finanziell zu entschädigen. Die Geschädigten erhalten monatliche Renten, die sich nach der Schwere ihrer Schädigung richten. Das Stiftungsgesetz, das seit dem Jahre 2005 „Conterganstiftungsgesetz für behinderte Menschen (Conterganstifungsgesetz ) heißt, wurde 1982 um eine Ausschlussfrist bis zum 31. Dezember 1983 für die Geltendmachung von Ansprüchen erweitert. Alle Ansprüche, die nach diesem Datum geltend gemacht wurden, wurden nicht mehr auf ihre materielle Berechtigung geprüft, sondern unter Hinweis auf die Fristversäumung abgewiesen. Die genaue Anzahl weiterer Thalidomid-Geschädigter ist daher nicht bekannt. 5.2. Außerhalb Deutschlands Schon kurz nachdem Contergan im Jahre 1961 vom Markt genommen worden war, entdeckte ein israelischer Arzt zufällig, dass das Mittel gegen die Leprareaktion, eine entzündliche Begleiterscheinung der Lepra, hilft. Daraufhin wurde Thalidomid für diese Indikation vor allem in südamerikanischen Ländern getestet. Da die Rate der Analphabeten in Brasilien extrem hoch war, missverstanden viele Frauen das Etikett mit einer durchgestrichenen schwangeren Frau auf der Verpackung als Antibabypille. Es kam zu einer neuen Generation schwer fehlgebildeter Kinder. 480 Schadensfälle sind anerkannt. Brasilien verbot daraufhin die Herausgabe von Thalidomid an Menschen im fortpflanzungsfähigen Alter. - 6 - 6. Quellen Bundesverband Contergangeschädigter e.V.. Forderungskatalog des Bundesverbands an den Staat und an die Firma Grünenthal http://www.contergan.de/Forderungskatalog.htm Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 16/1784 – . Situation Conterganbetroffener. Kamann, Matthias. Neue Hoffnung für Contergan-Opfer. Arznei-Hersteller Grünenthal geht auf Geschädigte zu – Opfergruppe will Entschädigungsfonds in Milliardenhöhe erzwingen. DIE WELT, 12.11.2007, Nr. 264, S. 2. Lenzen-Schulte, Martina. Contergan-Folgen. Der lange Schatten einer Katastrophe. Frankfurter Allgemeine. FAZ.NET. 1. Oktober 2007. http://www.faz.net/s/Rub8E1390D3396F422B869A49268EE.. Kopp, Martin. Vor 40 Jahren wurde Contergan vom Markt genommen, doch erst jetzt zeigen sich die Spätfolgen der Schäden. „Ich weiß nicht, wie lange ich noch arbeiten kann“. DIE WELT, 27.11.2001, Nr. 277, S. 38. Nachgefragt. Erbliche Conterganschäden? Dr. Volkmar Günzler, Berater des Bundesverbands der Contergangeschädigten, zu Gerüchten über Missbildungen bei Kindern ehemaliger Opfer. Süddeutsche Zeitung, 21.08.1997, S. 33. Aktion Mensch Pressezentrum. Pressemitteilungen. 22.03.2001. Contergan-Betroffene warten vergeblich auf Entschädigung. „Grünenthals vergessene Kinder“. http://presse.aktion-mensch.de/pressestelle/pressemitteilung... Contergan politisch kein Thema. Ausschlussfrist abgelaufen. Elbmarsch-Post. http://www.luene-info.d/thema/elbmarsch/artikel/themen/con... - 7 - Hallberg, Stefanie. Comeback des Contergan-Wirkstoffs Thalidomid. Vom Horrormittel zum Hoffnungsträger. WDR.de. Stand: 25.11.2006,06:00 Uhr. http://www.wdr.de/themen/gesundheit/pharmazie/contergan/th...