© 2016 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 – 033/13 Zur rechtlichen Zulässigkeit der Finanzierung externer Gutachten und Studien durch gesetzliche Krankenkassen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 033/13 Seite 2 Zur rechtlichen Zulässigkeit der Finanzierung externer Gutachten und Studien durch gesetzliche Krankenkassen Aktenzeichen: WD 9 - 3000 – 033/13 Abschluss der Arbeit: 11. Juni 2013 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 033/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. § 30 SGB IV als Gesetzesvorbehalt für Aktivitäten und Mittelverwendung der Versicherungsträger 4 2. Mittelverwendung für juristische oder ökonomische Studien mit allgemeinpolitischen Inhalten 6 3. Mittelverwendung für juristische oder ökonomische Studien zum gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum bei der Organisation eines staatlichen Gesundheitssystems insgesamt 6 4. Mittelverwendung für eine juristische Prüfung der gesetzlichen Grundlagen des eigenen körperschaftlichen Handelns der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Ziel, den Versichertenkreis und die Beitragsressourcen zu vergrößern 10 5. Literaturverzeichnis 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 033/13 Seite 4 1. § 30 SGB IV als Gesetzesvorbehalt für Aktivitäten und Mittelverwendung der Versicherungsträger Die Zulässigkeit der Finanzierung externer Gutachten und Studien durch gesetzliche Krankenkassen ist in erster Linie anhand der Vorschriften des § 30 Abs. 1 SGB IV1 und der §§ 259, 260 SGB V2 zu prüfen. Nach § 30 Abs. 1 SGB IV dürfen Versicherungsträger nur Geschäfte zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben führen und ihre Mittel nur für diese Aufgaben sowie die Verwaltungskosten verwenden. Mit dem Begriff der Versicherungsträger werden die Träger der Sozialversicherung (darunter die gesetzlichen Krankenkassen nach SGB V) bezeichnet, die gemäß § 29 Abs. 1 SGB IV den Rechtsstatus einer rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung aufweisen . Geschäfte im Sinne des § 30 Abs. 1 SGB IV sind nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern alle Arten von Aktivitäten.3 Mit der Norm des § 30 Abs. 1 SGB IV wird der Gesetzesvorbehalt für den Bereich der Sozialversicherung konkretisiert.4 Ob der Gesetzesvorbehalt des § 30 Abs. 1 SGB IV nur für die Aufgaben, nicht aber für jedes einzelne Geschäft besteht oder aber im Sinne eines so genannten Totalvorbehalts zu verstehen ist, wird zwar unterschiedlich bewertet.5 Da aber die einschlägigen gesetzlichen Regelungen die Geschäfte der Sozialversicherungen allenfalls allgemein beschreiben, ist davon auszugehen, dass nicht für jedes einzelne Geschäft eine besondere ausdrückliche Ermächtigung vorliegen muss. Vielmehr „muss bei den jeweiligen Maßnahme entschieden werden, inwieweit sie sich unter den allgemeinen Aufgabenkreis subsumieren lassen. Dabei wird die Zurechnung von Geschäften in den Aufgabenkreis um so weiter gehen können, je weniger kostenrelevant die Maßnahme ist.“6 Das Bundesversicherungsamt geht davon aus, dass die Vorschrift gebiete , Aktivitäten nur zur Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen (Pflichtaufgaben) oder zugelassenen Aufgaben (freiwillige Aufgaben) zu entfalten. Den Sozialversicherungsträgern sei untersagt , andere als die im Rahmen ihres Aufgabenbereichs liegenden Geschäfte zu führen.7 1 Das Vierte Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I S. 3710, 3973; 2011 I S. 363), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 2 des Gesetzes vom 20. April 2013 (BGBl. I S. 868) geändert worden ist. 2 Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477, 2482), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 3 des Gesetzes vom 20. April 2013(BGBl. I S. 868) geändert worden ist. 3 Freund, in: Hauck/Noftz, SGB-Kommentar, § 30 SGB IV, Rn. 5. 4 Hassenkamp, in: Wannagat, SGB, § 30 SGB IV, Rn. 1. 5 Schneider-Danwitz, in: jurisPK-SGB IV, § 30, Rn. 24. 6 Schneider-Danwitz, in: jurisPK-SGB IV, § 30, Rn. 24. 7 BVA, Grundsätze für die Beteiligung von Sozialversicherungsträgern an gemeinnützigen Einrichtungen (privatrechtliche Gesellschaften), Stand: November 2012, S. 3. Online abrufbar unter: http://www.bundesversicherungsamt.de/nn_1184598/DE/Finanzen/_C2_A785SGBIV/Grundsaetze__Beteiligung __SV-Traeger,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Grundsaetze_Beteiligung_SV-Traeger.pdf Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 033/13 Seite 5 Hinsichtlich der Mittel ergibt sich aus der Vorschrift, dass diese nur für gesetzlich vorgeschriebene oder zugelassene Aufgaben oder für Verwaltungskosten aufgewendet werden dürfen. Mittel der Sozialversicherung sind nach § 20 Abs. 1 SGB IV die Beiträge der Versicherten, der Arbeitgeber und Dritter sowie staatliche Zuschüsse und sonstige Einnahmen.8 Zu den Mitteln sind auch die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu zählen. Als Verwaltungskosten werden Aufwendungen bezeichnet, die nicht die Leistungen der Sozialversicherung selbst betreffen, die aber zur sachgerechten Durchführung der Aufgaben der Sozialversicherung „unumgänglich oder zweckmäßig“9 beziehungsweise „notwendig“10 sind. Eine hinreichend enge funktionale Beziehung zu den Aufgaben der Sozialversicherung ist also auch hier erforderlich. Verwaltungskosten liegen dann vor, wenn diese „nach vernünftigen Verwaltungsgrundsätzen als den gesetzlichen Zwecken des Versicherungsträgers dienend anzuerkennen sind.“11 Zu den Verwaltungskosten gehören auch „Aufwendungen, die erforderlich sind, um den Versicherungsträger und den für ihn tätigen Organen und Personen eine sachgerechte Willensbildung und eine sachgerechte Durchführung der ihnen obliegenden Aufgaben zu ermöglichen .“12 Soweit die vorgenannten Voraussetzungen gegeben sind, werden auch die Kosten für Fachgutachten als Verwaltungskosten im Sinne dieser Vorschrift angesehen.13 Die Finanzierung externer Studien und Gutachten durch gesetzliche Krankenkassen ist daher nur dann zulässig, wenn diese zur sachgerechten Durchführung der Aufgaben der Krankenversicherung unumgänglich oder zweckmäßig sind.14 Die Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung ergeben sich aus verschiedenen Normen des SGB. Nach § 1 Satz 1 SGB V ist es ihre Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Die Krankenkassen haben den Versicherten dabei durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen und auf gesunde Lebensverhältnisse hinzuwirken (§ 1 Satz 3 SGB V). Weitere Aufgaben sind unter anderem nach §§ 13 bis 15 SGB I15 die Aufklärung, Beratung und Auskunft gegenüber der Bevölkerung hinsichtlich der Rechte und Pflichten nach dem SGB sowie nach § 20 SGB V die Bereitstellung von Leistungen zur Primärprävention. Gemäß § 242 Abs. 1 und 3 SGB V haben die Krankenkassen auch den kassenindividuellen Zusatzbeitrag so festzusetzen, dass er 8 Hassenkamp, in: Wannagat, SGB, § 30 SGB IV, Rn. 16. 9 Hassenkamp, in: Wannagat, SGB, § 30 SGB IV, Rn. 18. 10 Becher/Plate, Anm. 1 zu E § 30 SGB IV. 11 Deutsche Rentenversicherung, SGB, Anm. 3 zu § 30 SGB IV. 12 Freund, in: Hauck/Noftz, SGB-Kommentar, § 30 SGB IV, Rn. 6. 13 Hassenkamp, in: Wannagat, SGB, § 30 SGB IV, Rn. 20; Grühn/Mühlhausen, Soziale Sicherheit 2007, 373, 375 f. 14 Zu den Kosten für Fachgutachten siehe auch Grühn/Mühlhausen, Soziale Sicherheit 2007, 373, 375 f.: „Der Bezug zur sachgerechten Durchführung der Aufgaben muss hier […] gegeben sein. Ist dies nicht der Fall, dürfen folgerichtig für derartige Tätigkeiten auch keine Mittel verwendet werden.“ 15 Das Erste Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes vom 15. Februar 2013 (BGBl. I S. 254) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 033/13 Seite 6 zusammen mit den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds und sonstigen Einnahmen die voraussichtlichen Ausgaben und Rücklageverpflichtungen deckt.16 2. Mittelverwendung für juristische oder ökonomische Studien mit allgemeinpolitischen Inhalten Die inhaltlich unbeschränkte Befugnis, sich „im Gesamtprozess der politischen Meinungs- und Entscheidungsbildung im vorparlamentarischen, gesellschaftlichen Bereich zu beteiligen“17, wird als allgemeinpolitisches Mandat bezeichnet. Dieses kommt gesetzlichen Krankenversicherungen nicht zu. Allgemeinpolitische Äußerungen sind daher nicht Teil ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben und damit unzulässig.18 Die Verwendung von Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung für Studien zu allgemeinpolitischen Fragestellungen, die keinen Bezug zu den gesetzlichen Aufgaben der Krankenversicherung aufweisen, ist weder unumgänglich noch zweckmäßig und daher nach § 30 Abs. 1 SGB IV als unzulässig anzusehen. 3. Mittelverwendung für juristische oder ökonomische Studien zum gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum bei der Organisation eines staatlichen Gesundheitssystems insgesamt Bei juristischen oder ökonomischen Studien zum gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum bei der Organisation eines staatlichen Gesundheitssystems geht es um gesundheitspolitische Fragen. Zur Frage, inwieweit sich gesetzliche Krankenkassen mit gesundheitspolitischen Themen befassen dürfen, ergibt sich aus der Literatur Folgendes: Die Befugnis, sich – trotz fehlender ausdrücklicher Zuständigkeit – gesundheitspolitischer Themen anzunehmen, ergebe sich aus dem Sachzusammenhang mit dem Aufgabenbereich des Sozialversicherungsträgers . Dieser sei für die Funktionsfähigkeit und -tüchtigkeit des Systems verantwortlich .19 Eine effiziente Aufgabenerfüllung durch die Krankenkassen setze die Funktionsfähigkeit des Systems voraus.20 Legitim seien daher „auch kritische Stellungnahmen in der Öffentlichkeit zu gesundheitspolitischen Fragen im Zusammenhang mit Gesetzesinitiativen, insbesondere zu solchen, die zu tiefgreifenden Veränderungen führen sollen“.21 Zu den Aufgaben der Sozialversicherungsträger können danach auch sachliche Informationskampagnen zu laufenden 16 Vgl. hierzu auch § 21 SGB IV. 17 Becher/Plate, Anm. 1 zu E § 30 SGB IV. 18 Becher/Plate, Anm. 1 zu E § 30 SGB IV; Hassenkamp, in: Wannagat, SGB, § 30 SGB IV, Rn. 10; Grühn/Mühlhausen, Soziale Sicherheit 2007, 373, 375. 19 Becher/Plate, Anm. 1 zu E § 30 SGB IV. 20 Freund, in: Hauck/Noftz, SGB-Kommentar, § 30 SGB IV, Rn. 5b. 21 Becher/Plate, Anm. 1 zu E § 30 SGB IV. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 033/13 Seite 7 Gesetzgebungsverfahren und die Vergabe eines Rechtsgutachtens zur Verfassungsmäßigkeit einer umstrittenen Rechtsnorm gehören.22 An anderer Stelle wird darauf hingewiesen, dass zur Vorbereitung und allgemeinen Diskussion gesetzgeberischer Entscheidungen einzelne Sozialrechtsträger Hauptlieferanten des benötigten sozialstatistischen Materials seien. Sozialleistungsträger trügen Verantwortung für die Entwicklung ihres Sozialleistungsbereichs in näherer oder fernerer Zukunft. Damit verbunden sei die genauere Ermittlung des gegenwärtigen Standes und die Beschaffung von Unterlagen für eine Prognose von Entwicklungsaussichten.23 Forschung könne für Sozialleistungsträger als Aufgabe und Tätigkeit nichts grundsätzlich Fremdes sein, sei allerdings nur als ergänzende, die Hauptaufgabe unterstützende Tätigkeit zulässig.24 Im Übrigen wird auch die Interessenvertretung dem Aufgabenkreis der Sozialversicherungsträger zugeordnet. Die Regelung des § 29 Abs. 1 SGB IV, die den Status der Träger der Sozialversicherung als rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung festschreibe, beinhalte auch das „Recht der Selbsterhaltung und somit der Interessenvertretung in den zur Selbstverwaltung zugewiesenen Aufgaben.“25 Daraus folge das Recht, sich gegen Entzug und Schmälerung des Aufgabenkreises zur Wehr zur setzen. Eine „auf den Schutz des bisherigen Aufgabenbestandes gerichtete Interessenvertretung [gehöre] grundsätzlich zur Verbandskompetenz eines Versicherungsträgers“.26 Auch die Finanzierung einer entsprechenden Betätigung durch Haushalsmittel sei nicht ausgeschlossen.27 Inhalt und Umfang einer solchen Interessenvertretung seien so zu gestalten, dass die Pflicht zum Respekt parlamentarischer Gestaltungsrechte nicht verletzt werde.28 Grenzen für Aktivitäten der Krankenkassen können sich unter anderem aus dem Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit) ergeben.29 Auch die Rechtsprechung liefert Hinweise zu der Frage, inwieweit sich gesetzliche Krankenkassen mit gesundheitspolitischen Themen befassen dürfen: 22 Schneider-Danwitz, in: jurisPK-SGB IV, § 30, Rn. 25. Anderer Auffassung hinsichtlich der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes: SG Nürnberg (Fn. 27). 23 Baltzer, 2 f. 24 Baltzer, 3 f. 25 Kluth, GewArch 2006, 446, Abschnitt II.3. 26 Kluth, GewArch 2006, 446, Abschnitt II.4. 27 Kluth, GewArch 2006, 446, Abschnitt II.4. 28 Kluth, GewArch 2006, 446, Abschnitt II.3. 29 Becher/Plate, Anm. 1 zu E § 30 SGB IV. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 033/13 Seite 8 In einem Rechtsstreit der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit der zuständigen Aufsichtsbehörde (dem damaligen Bundesministerium für Arbeit und Soziales) äußerte sich das Sozialgericht (SG) Nürnberg dazu, ob die BA Mittel für ein externes Rechtsgutachten über die Verfassungsmäßigkeit einer bestimmten Norm des SGB II30 verwenden dürfe.31 Das Gericht sah hierin einen Verstoß gegen § 368 Abs. 1 Satz 2 SGB III32 und den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung, denn der öffentlichen Verwaltung komme keine Normverwerfungskompetenz hinsichtlich formeller Gesetze zu. Art. 100 GG33 sehe die Möglichkeit der konkreten Normenkontrolle nur für Gerichte vor. Die Befassung mit der Verfassungsmäßigkeit einer Norm des SGB II sei daher nicht Aufgabe der BA. Vielmehr müsse die BA die Norm unabhängig von der Verfassungsmäßigkeit anwenden. Das Gutachten werde deshalb für die Erfüllung der Aufgaben der BA nicht benötigt und dürfe infolgedessen auch nicht aus Mitteln der BA finanziert werden . Im selben Verfahren befasste sich nachfolgend das Bayerische Landessozialgericht34 im Rahmen einer Kostenentscheidung ebenfalls mit der Frage, ob die BA berechtigt sei, ein formelles Parlamentsgesetz außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens durch Vergabe eines externen Gutachtens einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen. Nach Auffassung des Gerichts ist die BA zwar berechtigt und verpflichtet, (verfassungs-)rechtliche Bedenken – auch in Bezug auf Rechtsvorschriften – gegenüber der Aufsichtsbehörde vorzutragen. Dies habe jedoch ausschließlich mit eigenen personellen Mitteln zu geschehen. Ein weitergehender Einsatz von Beitragsmitteln verstoße gegen den Grundsatz der wirtschaftlichen und sparsamen Beitragsverwaltung. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund erheblicher personeller Ressourcen der Aufsichtsbehörde für die Klärung derartiger Rechtsfragen. Denn „ausgehend vom Kern der Problematik – der Prüfungsbefugnis […] in Bezug auf Rechtsvorschriften – überschreitet die Vergabe eines Rechtsgutachtens die Grenzen des § 368 Abs. 1 SGB III“. Die beiden vorgenannten Urteile beziehen sich unmittelbar nur auf Rechtsgutachten zur Frage der Verfassungsmäßigkeit eines formellen Gesetzes. Aus dem Urteil des Bayerischen Sozialgerichts ergibt sich aber auch, dass in bestimmten Fällen eine interne Befassung, zum Beispiel eine hausinterne Überprüfung durch die eigene Rechtsabteilung, (noch) zulässig sein kann, die Vergabe externer Gutachten jedoch nicht. 30 Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl. I S. 850, 2094), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7. Mai 2013 (BGBl. I S. 1167) geändert worden ist. 31 Sozialgericht Nürnberg, Urteil vom 9. Mai 2007 – S 19 AS 1101/06. 32 Das Dritte Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594, 595), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzes vom 20. April 2013 (BGBl. I S. 868) geändert worden ist. Die Vorschrift § 368 Abs. 1 Satz 2 SGB III lautet: „Sie [d. h. die Bundesanstalt für Arbeit] darf ihre Mittel nur für die gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Zwecke verwenden.“ 33 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) geändert worden ist. 34 Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 25. Februar 2010 – L 10 AL 296/07. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 033/13 Seite 9 In einem weiteren Fall (öffentliche kritische Stellungnahmen der gesetzlichen Krankenkassen zur Gesundheitsreform im Sommer 2006) ist zwar die Aufsichtsbehörde tätig geworden, jedoch ohne dass dies zu aufsichtsrechtlichen Sanktionen oder einem Gerichtsverfahren geführt hätte.35 Legt man den dargestellten Stand der Literatur und Rechtsprechung zugrunde, so ergibt sich für die Frage der Zulässigkeit juristischer oder ökonomischer Studien zum gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum bei der Organisation eines staatlichen Gesundheitssystems, dass eine Mitverantwortung der Sozialversicherungsträger für die Funktionsfähigkeit und -tüchtigkeit des Systems besteht, auch Stellungnahmen zu Gesetzesinitiativen, die zu tiefgreifenden Veränderungen führen können, zulässig sind, und eine auf den Schutz des bisherigen Aufgabenbestandes gerichtete Interessenvertretung zur Verbandskompetenz gehört. Die Befassung einer gesetzlichen Krankenkasse mit der Frage, welche juristischen oder ökonomischen Grenzen sich für den Gesetzgeber bei der Organisation des staatlichen Gesundheitssystems ergeben, kann vor diesem Hintergrund im Einzelfall durchaus als zulässig angesehen werden. Insoweit kommt auch die Vergabe eines externen Gutachtens in Betracht. Abzustellen ist aber stets auf die konkrete Fragestellung des geplanten Gutachtens. Zu beachten sind weiterhin die genannten Einschränkungen (etwa die Grundsätze der wirtschaftlichen und sparsamen Beitragsverwaltung ). Hierbei wird es auch auf die Höhe der aufzuwendenden Mittel ankommen. Weitere Bezüge zum originären Aufgabenkreis der Krankenkassen können sich im Einzelfall zum Beispiel daraus ergeben, dass diese für die kostendeckende Festsetzung der kassenindividuellen Zusatzbeiträge zuständig sind.36 Die wirtschaftlichen Auswirkungen gesetzgeberischer Initiativen zur Neuorganisation des Gesundheitssystems können für individuelle Krankenkassen von Belang sein. Soweit es um den Gestaltungsspielraum für zukünftige gesetzgeberische Initiativen geht, stellen sich auch keine Fragen der (fehlenden) Normverwerfungskompetenz der Verwaltung. Nur wenn die Studie sich mit der Überschreitung des verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraums durch bereits verabschiedete formelle Gesetze befasst, ist nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Bayern im Regelfall von der Rechtswidrigkeit der Mittelverwendung auszugehen. Nach § 211 Abs. 3 SGB V gehört es zu den Aufgaben der Landesverbände der Krankenkassen, die zuständigen Behörden in Fragen der Gesetzgebung und Verwaltung zu unterstützen. Werden von einem Landesverband Mittel für Studien aufgewendet, können sich daher im Einzelfall aus der Vorschrift des § 211 Abs. 3 SGB V weitere Hinweise auf einen funktionalen Zusammenhang mit den Aufgaben des Verbandes ergeben. 35 Grühn/Mühlhausen, Soziale Sicherheit 2007, 373, 377. 36 § 242 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit § 194 Abs. 1 Nr. 4 SGB V; s. a. § 21 SGB IV. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 033/13 Seite 10 4. Mittelverwendung für eine juristische Prüfung der gesetzlichen Grundlagen des eigenen körperschaftlichen Handelns der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Ziel, den Versichertenkreis und die Beitragsressourcen zu vergrößern Über die Ausführungen zu 3. hinaus ist auf Folgendes hinzuweisen: Die Kassenwahlfreiheit der Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen (§ 173 SGB V) führt anerkanntermaßen zu einem verstärkten Wettbewerb um Mitglieder. Weitere Wettbewerbsfelder der Krankenkassen sind insbesondere Innovations-, Beitragssatz-, und Servicewettbewerb. Hierzu sind die „Gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenversicherung vom 19. März 1998 in der Fassung vom 9. November 2006“37 ergangen. Danach sind die Kassen auch im Wettbewerb untereinander zu sparsamer und wirtschaftlicher Mittelverwendung verpflichtet. Bei Maßnahmen, die auf das Gewinnen oder Halten von Mitgliedern gerichtet sind und die weder der Leistungserbringung noch der allgemeinen Aufklärung dienen (so genannte allgemeine Werbemaßnahme), ist dieser Grundsatz regelmäßig gewahrt, solange die jährlichen Ausgaben der einzelnen Krankenkasse 0,15 % der monatlichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV je Mitglied nicht überschreiten.38 Mit Werbemaßnahmen können auch Dritte beauftragt werden. Auch die Rechtsprechung geht davon aus, dass Werbemaßnahmen rechtlich zulässig sein können .39 Grenzen der Zulässigkeit können sich unter anderem aus der Pflicht der Krankenkassen zu Aufklärung, Beratung und Information (§§ 13 bis 15 SGB I) und dem Gebot der Zusammenarbeit der Sozialversicherungsträger ergeben.40 Zulässig sind nur Werbemaßnahmen mit „Gesundheitsbezug “. Nur hierfür dürfen Mitteln verwendet werden.41 Aktivitäten und der Einsatz von Mitteln mit dem Ziel, den Versichertenkreis zu vergrößern oder auf den anderen oben genannten Wettbewerbsfeldern erfolgreich zu sein, sind für gesetzliche Krankenkassen also nicht generell unzulässig. Die Finanzierung einer externen juristischen Prüfung der gesetzlichen Grundlagen des körperschaftlichen Handelns einer Krankenversicherung mit dieser Zielsetzung kann daher im Einzelfall zulässig sein, etwa um im Vorfeld einer geplanten Maßnahme klären zu lassen, welche rechtlichen Beschränkungen sich ergeben könnten. Im konkreten Fall wird aber auch hier auf den genauen Inhalt der Studie und auf die Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der wirtschaftlichen und sparsamen Beitragsverwaltung abzustellen sein. 37 Online abrufbar unter: http://www.bundesversicherungsamt.de/nn_1046658/DE/Krankenversicherung/Wettbewerbsgrundsaetze.html 38 Gemeinsame Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenversicherung vom 19. März 1998 in der Fassung vom 9. November 2006, Rz. 17. 39 Vgl. etwa Bundesozialgericht, Urteil vom 31. März 1998 – B 1 KR 9-95, NJW 1999, 892; SG Berlin, Urteil vom 10. August 2012 – S 81 KR 1280/11. 40 Schneider-Danwitz, in: jurisPK-SGB IV, § 30, Rn. 36. 41 SG Berlin, Urteil vom 10. August 2012 – S 81 KR 1280/11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 033/13 Seite 11 Soweit es in der Studie zum Beispiel um eine Einbeziehung zusätzlicher Personenkreise in die gesetzliche Krankenversicherung oder eine Ausweitung der Beitragspflicht auf weitere Einkommensarten geht, ist auf die Ausführungen zu 3. zu verweisen. 5. Literaturverzeichnis Baltzer, Johannes (1995). Sozialleistungsträger – Forschungsträger. In: Heinze, Meinhard; Schmitt , Jochem (Hrsg.). Festschrift für Wolfgang Gitter. Wiesbaden: Verlag Chmielorz GmbH, 1-7. Becher, Clemens; Plate, Frank (2009). Kommentierung zu E § 30 SGB IV. Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherung. Kommentar. Loseblattausgabe. 22. Lfg. Berlin: Erich Schmidt Verlag. Deutsche Rentenversicherung (2012). Kommentierung zu § 30 SGB IV. In: SGB – Sozialgesetzbuch . Viertes Buch. Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung. Text und Erläuterungen . 20. Aufl. Berlin. Freund, Renate (2010). Kommentierung zu § 30 SGB IV. In: Hauck, Karl; Noftz, Wolfgang; Luth, Ernst-Wilhelm (Hrsg.). Sozialgesetzbuch. Kommentar. Losebalttausgabe. Stand 10/2010. Berlin: Erich Schmidt Verlag. Grühn, Corinna; Mühlhausen, Karl-Heinz. Die Rechte der sozialen Selbstverwaltung. Soziale Sicherheit 2007, 373-378. Hassenkamp, Barbara. Kommentierung zu § 30 SGB IV. In: Wannagat, Georg; Eichenhofer, Eberhard (Hrsg.). Wannagat, Sozialgesetzbuch. 55. Lfg. Köln: Carl Heymanns Verlag. Kluth, Winfried. Grundlagen und Grenzen der staatlichen Aufsicht über die Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung. GewArch 2006, 446. Schneider-Danwitz, Klaus (2011). Kommentierung zu § 30 SGB IV. In: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. Saarbrücken: Juris.