© 2016 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 030/16 Kontrollaufgaben des Verwaltungsrates einer gesetzlichen Krankenkasse in Bezug auf ihren Vorstand Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 030/16 Seite 2 Kontrollaufgaben des Verwaltungsrates einer gesetzlichen Krankenkasse in Bezug auf ihren Vorstand Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 030/16 Abschluss der Arbeit: 24. Mai 2016 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 030/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Organisation der gesetzlichen Krankenkassen 4 3. Aufgaben und Mittel des Verwaltungsrates, insbesondere im Hinblick auf die Kontrolle des Vorstandes 5 3.1. Aufgaben des Verwaltungsrates 5 3.2. Instrumente der Amtsentbindung und der Amtsenthebung von Vorstandsmitgliedern 6 3.2.1. Amtsentbindung 7 3.2.2. Amtsenthebung 7 3.3. Umgang mit Beschwerden gegen ein Vorstandsmitglied 9 4. Staatliche Aufsicht 9 4.1. Umfang der Aufsicht 9 4.2. Zuständige Aufsichtsbehörde 11 5. Haftung der Mitglieder des Verwaltungsrates 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 030/16 Seite 4 1. Einleitung Die gesetzlichen Krankenkassen als ein Zweig der Sozialversicherung sind Selbstverwaltungskörperschaften , deren Aufbau gesetzlich festgeschrieben ist. Ausgehend von der Darstellung der Organisation der gesetzlichen Krankenkassen, wird auftragsgemäß auf die Aufgaben des Verwaltungsrates , insbesondere unter dem Aspekt der Kontrollrechte und -pflichten gegenüber dem Vorstand, eingegangen. Als Konsequenz aus der Kontrollpflicht des Verwaltungsrates kann sich das Verfahren der Amtsentbindung bzw. Amtsenthebung eines Vorstandsmitglieds ergeben. Als weiterer Kontrollmechanismus greift die staatliche Aufsicht über die gesetzlichen Krankenkassen , deren Umfang ebenfalls näher ausgeführt wird. Anschließend wird kurz die Haftung der Mitglieder des Verwaltungsrates als Sanktionsmöglichkeit im Falle einer Untätigkeit erläutert. 2. Organisation der gesetzlichen Krankenkassen Die gesetzlichen Krankenkassen sind nach § 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)1 rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Es gibt folgende Kassenarten: Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK), Betriebskrankenkassen (BKK) Innungskrankenkassen (IKK), Ersatzkassen (EK), Landwirtschaftliche Krankenkassen (LKK) sowie die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (DRV KBS). In Anlehnung des § 4 SGB V an den gleichlautenden für alle Sozialversicherungsträger geltenden § 29 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV)2 ist mit Selbstverwaltung die rechtliche und politische Selbstverwaltung in Form der eigenverantwortlichen Steuerung des gesamten Verwaltungshandelns gemeint, die grundsätzlich lediglich durch eine Rechtsaufsicht begrenzt wird3. Die Krankenkassen führen die ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben demzufolge unter staatlicher Aufsicht organisatorisch und finanziell selbstständig durch und handeln dabei durch ihre Organe. Die Organe der Krankenkassen sind nach § 31 Absatz 3a Satz 1 i. V. m. § 35 Absatz 1 SGB IV bei den Allgemeinen Orts-, Betriebs-, Innungs- und Ersatzkassen der Verwaltungsrat als Selbstverwaltungsorgan sowie der Vorstand. Dabei wird der Verwaltungsrat – nach § 58 Absatz 1 SGB IV alle sechs Jahre - mittels einer Sozialwahl in der Regel paritätisch mit Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber besetzt. Wähler sind gemäß § 46 Absatz 1 SGB IV die Versicherten und die Arbeitgeber. Die Tätigkeit im Verwaltungsrat erfolgt nach § 40 Absatz 1 Satz 1 i. V. m. § 31 Absatz 3a Satz 1 SGB IV ehrenamtlich. Bei den Ersatzkassen besteht der Verwaltungsrat ge- 1 Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung – Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477, 2482), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 12 des Gesetzes vom 17. Februar 2016 (BGBl. I S. 203). 2 Das Vierte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I S. 3710, 3973; 2011 I S. 363), zuletzt geändert durch Artikel 28 des Gesetzes vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010). 3 Löcher in: Eichenhofer/Wenner, Kommentar zum Sozialgesetzbuch I, IV, X, 2012, § 29 SGB IV, Rn. 10 und 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 030/16 Seite 5 mäß § 44 Absatz 1 Nr. 3. SGB IV nur aus Vertretern der Versicherten. Der Vorstand der vorgenannten vier Krankenkassenarten arbeitet nach § 35a Absatz 3 Satz 1 SGB IV hauptamtlich und wird vom Verwaltungsrat gewählt. Gemäß § 35a Absatz 1 SGB IV verwaltet er die Krankenkasse durch die Leitung des laufenden Geschäfts und vertritt sie. Bei diesen Krankenkassenarten sind demzufolge zwei Organe in der Struktur vorgesehen. Bei der Landwirtschaftlichen Krankenkasse und der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft- Bahn-See werden nach § 31 Absatz 1 Satz 1 und 2 SGB IV als Selbstverwaltungsorgane eine Vertreterversammlung und ein Vorstand gebildet. Der Vorstand und die Vertreterversammlung werden aus Vertretern der Versicherten und aus Vertretern der Arbeitgeber gewählt und nehmen ihre Aufgaben ehrenamtlich wahr. Als hauptamtliches Organ steht an der Spitze eine hauptamtliche Geschäftsführung. Bei diesen Krankenkassenarten sind drei Organe in der Struktur vorgesehen. Auftragsgemäß wird im Weiteren allein auf die zweigliedrige Krankenkassenorganisation - ehrenamtlicher Verwaltungsrat und hauptamtlicher Vorstand – eingegangen. 3. Aufgaben und Mittel des Verwaltungsrates, insbesondere im Hinblick auf die Kontrolle des Vorstandes 3.1. Aufgaben des Verwaltungsrates Die Aufgaben des Verwaltungsrates der gesetzlichen Krankenkassen als ein Selbstverwaltungsorgan sind in § 33 SGB IV geregelt und werden durch § 197 SGB V spezifiziert. Danach gehören zu den Aufgaben des Verwaltungsrates insbesondere: Beschluss der Satzung Treffen von Entscheidungen grundsätzlicher Art Feststellung des Haushaltsplans Beschluss über die Entlastung des Vorstands wegen der Jahresrechnung Vertretung der Krankenkasse gegenüber dem Vorstand Beschluss über die Auflösung der Krankenkasse oder die freiwillige Vereinigung mit anderen Krankenkassen Mit dem Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz – GSG) vom 21. Dezember 19924 wurde eine grundlegende Reform der Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenversicherung beschlossen, die mit Wirkung ab 01. Januar 1996 in Kraft trat. Im Zuge dieser Reform wurden die Kompetenzen des Verwaltungsrates gegenüber dem Vorstand gestärkt und zwar durch: 4 BGBl. I S. 2266. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 030/16 Seite 6 Einfügung einer Nummer 1a in Absatz 1 des § 197 SGB V, womit dem Verwaltungsrat die Überwachung des Vorstandes auferlegt wird5. Ergänzung eines Absatz 2 in § 197 SGB V, wonach dem Verwaltungsrat das Recht eingeräumt wird, sämtliche Geschäfts- und Verwaltungsunterlagen einzusehen und zu prüfen. Einführung einer Berichtspflicht des Vorstandes gegenüber dem Verwaltungsrat und seinem Vorsitzenden nach § 35a Absatz 2 SGB IV6. Die Kontrollbefugnisse des Verwaltungsrates gehen jedoch nicht so weit, dass dieser einen vom Vorstand bearbeiteten Vorgang an sich ziehen und selbst entscheiden dürfte. Dies wäre ein Verstoß gegen § 35a Absatz 1 SGB IV, wonach der Vorstand die Krankenkasse verwaltet7. Entsprechend der Gesetzesbegründung im Besonderen Teil des GSG „soll sich der Verwaltungsrat durch Spezialisierung seiner Mitglieder auf bestimmten Fachgebieten Kompetenzen aneignen, um diese Kontrolle des Vorstandes wirkungsvoller ausüben zu können“8. Demzufolge fordert der im Rahmen des GSG neu geschaffene Absatz 3 in § 197 SGB V den Verwaltungsrat auf, für die Erfüllung seiner Aufgaben Fachausschüsse zu bilden. Diese bereiten die Entscheidung des Verwaltungsrates nur vor und treffen keine abschließende Entscheidung9. Für Erledigungsausschüsse , die anstelle des Verwaltungsrates auch entscheiden, gilt § 66 SGB IV. Danach können Selbstverwaltungsorgane, hier der Verwaltungsrat, die Erledigung einzelner Aufgaben Ausschüssen übertragen. Ausdrücklich ist von der Erledigung einzelner Aufgaben die Rede, so dass für die Mehrzahl der Entscheidungen der Verwaltungsrat in seiner Gesamtheit zuständig bleibt10. 3.2. Instrumente der Amtsentbindung und der Amtsenthebung von Vorstandsmitgliedern Das Gesetz nennt im Rahmen des § 197 SGB V keine Instrumente für den Fall, dass die Kontrolle aus Sicht des Verwaltungsrates zu keinem befriedigenden Ergebnis führt11. Instrumente des Verwaltungsrates liegen jedoch in der Amtsentbindung nach § 59 Absatz 2 SGB IV und der Amtsenthebung nach § 59 Absatz 3 SGB IV, die gemäß dem ebenfalls durch das GSG eingefügten § 35a Absatz 7 SGB IV für den hauptamtlichen Vorstand entsprechend gelten. 5 Ausweislich der Gesetzesbegründung zur Ergänzung des § 197 SGB V im Rahmen des GSG sollten „die Befugnisse des Verwaltungsrates gestärkt werden, die Tätigkeit des Vorstandes kontrollierend zu begleiten“, BT-Drs. 12/3608, S. 114. 6 In der Gesetzesbegründung im Rahmen des GSG zu § 35a SGB IV heißt es: „Durch die in Absatz 2 vorgesehene Berichtspflicht des Vorstandes gegenüber dem Verwaltungsrat ….wird die Aufsichts- und Kontrollfunktion des Verwaltungsrates gegenüber dem Vorstand gestärkt“, BT-Drs. 12/3608, S. 128. 7 Bloch in: Maydell (Hrsg.), Gemeinschaftskommentar zum SGB V, 2002, § 197 Rn. 7. 8 BT-Drs. 12/3608, S. 114. 9 Bloch in: Eichenhofer/Wenner, Kommentar zum SGB V, 2. Auflage, 2016, § 197 Rn. 17. 10 Schneider-Danwitz in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB V, 3. Auflage 2016, § 197 Rn. 60. 11 Schneider-Danwitz in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB V, 3. Auflage 2016, § 197 Rn. 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 030/16 Seite 7 3.2.1. Amtsentbindung Eine Amtsentbindung gemäß § 35a Absatz 7 Satz 1 i. V. m. § 59 Absatz 2 SGB IV eines Vorstandsmitglieds ist möglich, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ermessen besteht bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht12; dabei sind unter dem Begriff „wichtiger Grund“ in der Person liegende Ursachen zu verstehen, die eine Fortführung des Amtes unzumutbar machen13. In Betracht kommen14: Eine übermäßige berufliche oder private Inanspruchnahme, die eine ordnungsgemäße Wahrnehmung der Organpflichten nicht mehr zulässt, gesundheitliche Gründe, Wegzug ins Ausland Haftantritt. 3.2.2. Amtsenthebung Eine Amtsenthebung nach § 35a Absatz 7 Satz 1 i. V. m. § 59 Absatz 3 SGB IV kommt in Betracht , wenn das Vorstandsmitglied in grober Weise gegen seine Amtspflichten verstoßen hat. Die Amtspflichten bestimmen sich nach dem gesetzlichen Auftrag und nach der Rechtsstellung des Organmitglieds15. Dem Amtsträger obliegt dabei die persönliche Verhaltenspflicht, seine Aufgaben im Einklang mit dem objektiven Recht sowie übereinstimmend mit Treu und Glauben wahrzunehmen 16. Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts17 ist ein Verstoß grob, wenn er objektiv nach Art und Inhalt erheblich gegen die Amtspflichten verstößt und subjektiv schuldhaft geschieht. Zu den konkreten Beispielen für Amtspflichtverletzungen, die nach der Rechtsprechung eine Amtsenthebung rechtfertigen, gehören18: 12 Schneider-Danwitz in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IV, 3. Auflage 2016, § 35a Rn. 60. 13 Palsherm in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IV, 3. Auflage 2016, § 59 Rn. 19. 14 Palsherm in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IV, 3. Auflage 2016, § 59 Rn. 19. 15 Palsherm in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IV, 3. Auflage 2016, § 59 Rn. 25. 16 Palsherm in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IV, 3. Auflage 2016, § 59 Rn. 25. 17 BSGE 48, 243 (247). 18 Palsherm in: Schlegel/Voelzke, juris PraxiKommentar SGB IV, 3. Auflage 2016, § 59 Rn. 25; Jung in Eichenhofer /Wenner Kommentar zum SGB I, IV, X, 2012, § 59 SGB IV, Rn. 25; Schneider-Danwitz in: Schlegel /Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IV, 3. Auflage 2016, § 35a Rn.114 ff. . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 030/16 Seite 8 Verstöße gegen die Geheimhaltungsvorschriften, Schädigungen des Versicherungsträgers, Verschaffen von ungerechtfertigten Vorteilen erheblichen Ausmaßes, wie z. B. das Beschaffen von Darlehen oder Waren zu außergewöhnlich günstigen Konditionen, mangelhafte Organtätigkeit, z. B. durch häufiges unentschuldigtes Fehlen bei Sitzungen, das gegebene Ehrenwort eines stellvertretenden Vorsitzenden „weder direkt oder wissentlich indirekt mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet“ zu haben, obwohl er mit dem Ministerium für Staatssicherheit kooperiert hat, das Ausnutzen der Stellung als Dienstvorgesetzter durch einen Vorstand, der von einem Mitarbeiter der Krankenkasse die Auszahlung eines bestimmten Betrags auf sein Privatkonto verlangte und dies durch einen gefälschten Beleg verschleierte. Nach § 35a Absatz 7 SGB IV stellen darüber hinaus die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder ein Vertrauensentzug durch den Verwaltungsrat Gründe für eine Amtsenthebung oder Amtsentbindung dar. Entsprechend der Gesetzesbegründung im Rahmen des GSG19 soll durch diese zusätzliche Möglichkeit die „Aufsichts- und Kontrollfunktion des Verwaltungsrates gegenüber dem Vorstand verstärkt“ werden. Die Gründe für den Vertrauensentzug müssen ein ähnliches Gewicht haben wie die Gründe für eine Amtsenthebung oder Amtsentbindung nach § 59 Abs. 2 und 3 SGB IV20. Nach der Rechtsprechung muss sich mangelndes Vertrauen manifestieren . Allein der Hinweis auf Pflichtverstöße genüge nicht für die Annahme mangelnden Vertrauens21. Als Beispiel für einen unsachlichen Grund werden politische Differenzen genannt 22. Der Verwaltungsrat hat gemäß § 33 Absatz 3 Satz 3 i. V. m. § 59 Absatz 2 und 3 SGB IV über die Amtsentbindung oder Amtsenthebung einen Beschluss zu fassen. Dieser Beschluss bedarf entgegen der Regelung in § 59 Absatz 4 Satz 1 SGB IV keiner weiteren Zustimmung, da diese Regelung in Bezug auf den Verwaltungsrat bedeutungslos ist23. Bei der Amtsenthebung kann der Verwaltungsrat nach § 59 Absatz 3 Satz 2 i. V. m. § 35a Absatz 7 Satz 1 SGB V auch die sofortige Vollziehung des Beschlusses anordnen, so dass das betroffene Mitglied des Vorstandes sein Amt nicht mehr ausüben kann. Der Verwaltungsrat trifft Entscheidungen in der Regel im Plenum als Gesamtheit. Dies ergibt sich aus § 64 Absatz 1 SGB IV, wonach die Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung festgelegt wer- 19 BT-Drs. 12/3608, S. 128. 20 Schneider-Danwitz in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IV, 3. Auflage 2016, § 35a Rn.113. 21 LSG Bayern, L 4 KR 328/05 vom 18.01.2007, abrufbar unter http://www.jusmeum.de/urteil/lsg_bayern /4be87bb8c1df21c33c137666218fcb7b4df660102446097b63dfa4bc25a173ac (Stand: 24.05.2016). 22 Schneider-Danwitz in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IV, 3. Auflage 2016, § 35a Rn.113. 23 Palsherm in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IV, 3. Auflage 2016, § 59 Rn. 27; Lorff, Ergänzung des Verwaltungsrates in der gesetzlichen Krankenversicherung in: NZS 1998, S. 158. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 030/16 Seite 9 den sowie aus § 43 Absatz 2 Satz 1 SGB IV, der bei Verhinderung eines Mitglieds des Verwaltungsrates eine Stellvertretung vorsieht. Allein für den Fall, dass ein Erledigungsausschuss gebildet wurde, können einzelne Aufgaben hier entschieden werden24. 3.3. Umgang mit Beschwerden gegen ein Vorstandsmitglied Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass der Verwaltungsrat aufgrund seiner erheblich erweiterten Kompetenzen in Form der Kontrollrechte, die einer Kontrollpflicht entsprechen und eine wesentliche Aufgabe des Verwaltungsrates darstellen, eine Beschwerde gegen ein Vorstandsmitglied der Krankenversicherung zu bearbeiten hat. Eine Beschwerde kann sich dabei auch auf das persönliche Verhalten eines Vorstandsmitglieds beziehen. Dabei ist über die Beschwerde, die auch zu einem Beschluss der Amtsenthebung führen kann, entweder im Erledigungsausschuss oder im Plenum des Verwaltungsrates zu entscheiden. Wird der Verwaltungsrat nicht tätig, besteht die Möglichkeit, die Aufsicht über die gesetzliche Krankenkasse einzubeziehen. 4. Staatliche Aufsicht 4.1. Umfang der Aufsicht Die Erfüllung der Aufgaben und Pflichten einer gesetzlichen Krankenkasse unter Beachtung des Selbstverwaltungsrechts ist Gegenstand der staatlichen Aufsicht, die damit als weiterer Kontrollmechanismus vorgesehen ist. Die Krankenkasse unterliegt dabei hinsichtlich ihrer gesamten Tätigkeit der Aufsicht, die sowohl verwaltungsinterne Vorgänge als auch das Verwaltungshandeln nach außen umfasst25. Nach § 87 Absatz 1 SGB IV erstreckt sich die Aufsicht auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht, das für die gesetzliche Krankenkasse maßgebend ist. Neben den sozialrechtlichen Vorschriften können auch weitere Regelungen im öffentlichen Recht maßgebend sein26. Die Norm gestaltet die staatliche Aufsicht damit im Regelfall als Rechtsaufsicht und nicht als Fachaufsicht aus. Eine Fachaufsicht, welche auch die Prüfung der Zweckmäßigkeit des Handelns umfasst, ist nur dort zulässig, wo es ausdrücklich gesetzlich bestimmt ist27. Damit beschränkt sich die Aufsicht im Regelfall auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Amtsträger der gesetzlichen Krankenkasse. Die Aufsicht dient dem öffentlichen Interesse an der rechtmäßigen Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung. An dem Aufsichtsverhältnis sind allein die Aufsicht und die beauf- 24 Vgl. hierzu Gliederungspunkt 3.1.. 25 Marschner in: : Eichenhofer/Wenner Kommentar zum Sozialgesetzbuch I, IV, X, 2012, § 88 SGB IV, Rn. 4. 26 Breitkreuz in: Winkler, SGB IV, Lehr-und Praxiskommentar, 2007, § 87, Rn. 9; Engelhard in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IV, § 87 Rn.62. 27 Als Beispiel sei hier gemäß § 87 Absatz 2 SGB IV das Gebiet der Prävention in der gesetzlichen Unfallversicherung genannt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 030/16 Seite 10 sichtigte gesetzliche Krankenkasse beteiligt, so dass hier ein interner Vorgang innerhalb der öffentlichen Verwaltung vorliegt28. Wenn aus diesem Grund Dritten kein subjektives Recht auf ein aufsichtsbehördliches Einschreiten zusteht, so können sie dennoch ihre Bedenken in Form einer Aufsichtsbeschwerde geltend machen; der Aufsichtsbehörde bleibt es dabei überlassen, ob und wie sie tätig wird29. Denkbar ist, dass die Aufsichtsbehörde von einer Rechtsverletzung erst aufgrund einer Beschwerde Kenntnis erlangt. Der aus dem Selbstverwaltungsrecht abgeleitete Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht gebietet es, der beaufsichtigten Behörde einen gewissen Bewertungsspielraum zu belassen , sofern sich das Handeln oder Unterlassen des Beaufsichtigten im Bereich des rechtlich noch Vertretbaren bewegt. Das gilt allerdings nur insoweit, als dafür auch entsprechende Gestaltungsspielräume eröffnet sind, indem z.B. das Gesetz einen unbestimmten Rechtsbegriff verwendet, der mehrere Auslegungen zulässt und dessen Auslegung noch ungeklärt ist30. Nach § 89 Absatz 1 Satz 1 SGB IV soll die Aufsichtsbehörde beratend darauf hinwirken, eine Rechtsverletzung zu beheben, wenn durch das Handeln oder Unterlassen einer Krankenkasse Recht verletzt wird. Kommt die Krankenkasse dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde die gesetzliche Krankenkasse gemäß § 89 Absatz 1 Satz 2 SGB IV verpflichten , die Rechtsverletzung zu beheben. Diese Regelung trägt dem Grundgedanken der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht Rechnung31. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz – GKV-VStG) vom 22. Dezember 201132 wurden mit Wirkung zum 01. Januar 2012 die Rechte der Aufsichtsbehörde gegenüber dem Vorstand und dem Verwaltungsrat einer Krankenkasse zur Amtsenthebung eines Vorstandsmitglieds durch Aufnahme eines Satzes 3 in § 35a Absatz 7 SGB IV erheblich gestärkt. Danach hat die Aufsichtsbehörde ein Vorstandsmitglied seines Amtes zu entheben, wenn es in grober Weise gegen seine Amtspflichten verstoßen hat und ein Amtsenthebungsbeschluss des Verwaltungsrates in angemessener Frist nicht zustande gekommen ist. In der Gesetzesbegründung wird dazu ausgeführt :“…In der Vergangenheit hat sich herausgestellt, dass selbst bei groben Pflichtverletzungen 28 Schüffner/Franck in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 2. Auflage, 2014, § 36 Rn. 37; Engelhard in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IV, § 87 Rn. 20 ff; Breitkreuz in: Winkler, SGB IV, Lehrund Praxiskommentar, 2007, § 87 Rn. 11. 29 Engelhard in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IV, § 87 Rn. 21. 30 BSG, Urt. v. 18.07.2006 (Az.: B 1 A 2/05 R), SGb 2007, 103, abrufbar unter: https://www.jurion.de/Urteile /BSG/2006-07-18/B-1-A-2_05-R?from=0:7301368 (Stand: 24.05.2016); BSG, Beschl. v. 19.03.2015 (B 1 A 2/14 B) Rn. 10, abrufbar unter https://www.jurion.de/Urteile/BSG/2015-03-19/B-1-A-2_14-B (Stand: 24.05.2016). 31 Macht, Günther, Selbstverwaltung in der Sozialversicherung in: NZS 1995, S. 405. 32 BGBl. I S. 2983. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 030/16 Seite 11 von Vorstandsmitgliedern…ein Beschluss des Verwaltungsrates, der das Vorstandsmitglied seines Amtes enthoben hätte, nicht zustande gekommen ist. Auf Grund der Bindung der Krankenkassen an Recht und Gesetz ist dies nicht zu rechtfertigen.…“33. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bei Untätigkeit des Verwaltungsrates im Falle einer Beschwerde gegen ein Vorstandsmitglied die staatliche Aufsicht angerufen werden kann. Im Falle einer Rechtsverletzung kann es bei Vorliegen der Voraussetzungen zu einer Amtsenthebung eines Vorstandsmitglieds durch die Aufsichtsbehörde selbst kommen. 4.2. Zuständige Aufsichtsbehörde Die zuständige Aufsichtsbehörde ergibt sich aus den §§ 90, 90a SGB IV. Nach § 90 Absatz 1 Satz 1 SGB IV führt das Bundesversicherungsamt die Aufsicht über die bundesunmittelbaren gesetzlichen Krankenkassen. Bundesunmittelbar sind die Krankenkassen, deren Zuständigkeitsbereich sich über mehr als drei Bundesländer erstreckt (vgl. § 90 Absatz 3 SGB IV). § 90a SGB IV enthält eine Klarstellung zur Abgrenzung der Aufsichtszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass insbesondere die Ersatzkrankenkassen und die überwiegende Zahl der Betriebskrankenkassen deutschlandweit tätig sind und der Aufsicht des Bundesversicherungsamtes unterliegen, während die Allgemeinen Ortskrankenkassen im Regelfall der Landesaufsicht - ausgeübt von den jeweiligen Gesundheits- bzw. Sozialministerien der Länder - unterliegen34. 5. Haftung der Mitglieder des Verwaltungsrates Wie dargestellt, stellt die Tätigkeit des ehrenamtlich handelnden Verwaltungsrates eine erhebliche Verpflichtung im Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben dar. Dem entspricht die persönliche Haftung der Verwaltungsratsmitglieder gemäß § 42 SGV IV. Nach § 42 Absatz 2 SGB IV haften die Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, hier also des Verwaltungsrates, für den Schaden, der der gesetzlichen Krankenkasse aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung der ihnen obliegenden Pflichten entsteht. Damit kann die Haftungsregelung auch dann zum Tragen kommen, wenn der Verwaltungsrat trotz vorliegender Beschwerde über ein Vorstandsmitglied untätig bleibt. Die Regelung betont durch die angedrohte Sanktion die verantwortungsvolle Aufgabe des Verwaltungsrates. Ende der Bearbeitung 33 BT-Drs. 17/6906, S. 101. 34 Zur Auflistung der gesetzlichen Krankenkassen, über die das BVA Aufsicht führt: Bundesversicherungsamt, abrufbar über http://www.bundesversicherungsamt.de/fileadmin/redaktion/allgemeine_dokumente/pdf/Uebersicht _Traeger.pdf (Stand: 24.05.2016).