© 2021 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 028/21 Die Verabreichung von Opiaten durch Notfallsanitäter Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Erforderlichkeit einer ärztlichen Indikationsstellung und Prüfung von Alternativen 8 3.2.3. Bestehende Rechtsunsicherheit 9 4. Reformbestrebungen und Fazit 10 4.1. Gesetzentwurf des Bundesrates zur Ergänzung von § 1 Abs. 1 NotSanG 10 4.2. Schaffung von § 2a NotSanG durch das MTA-Reform-Gesetz 10 4.3. Vorschläge aus der Literatur 11 4.4. Fazit 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 028/21 Seite 4 1. Zulässigkeit der Verabreichung von Opiaten nach dem BtMG Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz - BtMG)1 enthält eine Liste verkehrsfähiger und verschreibungsfähiger Betäubungsmittel. Erfasst sind unter anderem Morphium, Oxycodon, Hydromorphon und Fentanyl, deren Einsatz in der Schmerzmedizin verbreitet ist, aber auch Codein, das zudem als Hustenstiller verwendet wird. Die in Anlage III bezeichneten Arzneimittel dürfen gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 BtMG „nur von Ärzten , Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch […] überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist.“ Wer entgegen § 13 Abs. 1 BtMG Betäubungsmittel verschreibt oder verabreicht bzw. zum unmittelbaren Verbrauch überlässt, macht sich nach § 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe b BtMG strafbar. Eine Rechtfertigung wegen Notstands, § 34 StGB, kommt nur dann in Betracht, wenn der Schmerznotfall nicht durch andere Medikamente beherrschbar ist, da in diesem Falle die Anwendung eines opioidhaltigen Schmerzmittels nicht im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG begründet ist.2 Demgegenüber steht eine mögliche Strafbarkeit wegen Körperverletzung durch Unterlassen gemäß §§ 223, 229, 13 Abs. 1 StGB, wenn ein Schmerzzustand nicht beseitigt wird, obwohl dies möglich wäre.3 In der Praxis besteht Konfliktpotential, wenn nichtärztliches Rettungsdienstpersonal sich Schmerzpatienten gegenüber sieht, deren Behandlung möglich wäre, da die entsprechenden Schmerzmittel im Rettungswagen mitgeführt werden und insbesondere Notfallsanitäter auch zu ihrer Verabreichung ausgebildet sind.4 Während sich der zur Verschreibung berechtigte Personenkreis dem Wortlaut nach auf Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte beschränkt, ist eine Verabreichung der genannten Mittel durch Hilfskräfte des Arztes wie etwa Pflegepersonal, Rettungsassistenten und Notfallsanitäter aufgrund der 1 Betäubungsmittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl. I S. 358), zuletzt geändert durch Artikel 11 des Gesetzes vom 3. Juni 2021 (BGBl. I S. 1309). 2 So Fehn, Karsten, Analgesie mit opioidhaltigen Arzneimitteln durch Notfallsanitäter unter der Geltung des Notfallsanitätergesetzes – Zu Strafbarkeitsrisiken und zur Notwendigkeit von Gesetzesänderungen, Medizinrecht (MedR) 2017, 453 (454). 3 Vgl. Fehn, Karsten, Analgesie mit opioidhaltigen Arzneimitteln durch Notfallsanitäter unter der Geltung des Notfallsanitätergesetzes – Zu Strafbarkeitsrisiken und zur Notwendigkeit von Gesetzesänderungen, Medizinrecht (MedR) 2017, 453 (456 f.). 4 Vgl. Fehn, Karsten, Analgesie mit opioidhaltigen Arzneimitteln durch Notfallsanitäter unter der Geltung des Notfallsanitätergesetzes – Zu Strafbarkeitsrisiken und zur Notwendigkeit von Gesetzesänderungen, Medizinrecht (MedR) 2017, 453 (453). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 028/21 Seite 5 Formulierung „im Rahmen einer ärztlichen Behandlung“ grundsätzlich möglich.5 Die genauen Voraussetzungen sind im BtMG allerdings nicht geregelt. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Zulässigkeit der Verabreichung von Opiaten durch Notfallsanitäter und zeigt bisherige Reformbestrebungen auf. 2. Befugnisse von Notfallsanitätern - die Ausbildungszielbestimmung des § 4 Abs. 2 Nr. 2c NotSanG Das Berufsbild des Notfallsanitäters ist im Gesetz über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters (Notfallsanitätergesetz – NotSanG)6 geregelt, das am 1. Januar 2014 in Kraft getreten ist. Zentrale Vorschrift des Gesetzes ist § 4 NotSanG, der das Ausbildungsziel regelt. Er unterscheidet zwischen Kompetenzen, die befähigen sollen, bestimmte Maßnahmen „eigenverantwortlich“ auszuführen , und solchen, die in die Lage versetzen sollen, bei der notfallmedizinischen Versorgung von Patientinnen und Patienten Aufgaben „im Rahmen der Mitwirkung“ durchzuführen. In § 4 Abs. 2 Nr. 1 NotSanG werden diejenigen Tätigkeiten beschrieben, die den Kernbereich der rettungsdienstlichen Aufgaben darstellen und die die Notfallsanitäterinnen und die Notfallsanitäter im späteren Berufsalltag aufgrund der Ausbildung eigenständig, das heißt auf eigene Verantwortung , ausführen sollen. Dagegen sind die Kompetenzen, die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter in die Lage versetzen sollen, „im Rahmen der Mitwirkung“ Aufgaben der notfallmedizinischen Versorgung wahrzunehmen, in § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstaben a bis c NotSanG geregelt. Nach der Regelung in Buchstabe c dieser Vorschrift soll die Ausbildung insbesondere dazu befähigen , im Rahmen der Mitwirkung „eigenständig“ heilkundliche Maßnahmen durchzuführen, die vom Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) oder entsprechend verantwortlichen Ärztinnen oder Ärzten bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen „standardmäßig vorgegeben, überprüft und verantwortet“ werden. Ob diese Regelung eine Befähigung der Notfallsanitäterinnen und Notsanitäter für die eigenständige Durchführung von heilkundlichen Maßnahmen im Sinne einer Substitution ärztlicher Leistungen anstrebt oder ob derartige Tätigkeiten aus Sicht des Gesetzgebers als vom ÄLRD delegierte Aufgaben aufzufassen sind, ist bislang noch nicht abschließend geklärt.7 Unter Berücksichtigung der (gesetzlich nicht definierten) medizinrechtlichen Begriffe der Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen, des Wortlauts und der Systematik der Ausbildungszielbestimmung des § 4 NotSanG und der Gesetzesbegründung hierzu dürften die besseren Gründe dafür sprechen, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung die ausbildungsmäßigen Voraussetzungen für eine zeitlich 5 Patzak, Jörn, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, § 13, Rn. 3-4. 6 Notfallsanitätergesetz vom 22. Mai 2013 (BGBl. I S. 1348), zuletzt geändert durch Artikel 12 des Gesetzes vom 24. Februar 2021 (BGBl. I S. 274). 7 Siehe hierzu eingehend Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Das Berufsbild der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters unter besonderer Berücksichtigung der Ausbildungszielbestimmung des § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c Notfallsanitätergesetz Bundesrechtliche Vorgaben und Umsetzung in den Bundesländern, Ausarbeitung vom 6. Juni 2019, WD 9 – 3000 – 032/19 mit zahlreichen Nachweisen; die Arbeit bildet den aktuellen Stand der Kommentarliteratur zum NotSanG ab. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 028/21 Seite 6 vorweggenommene Form der Delegation heilkundlicher Aufgaben auf Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter schaffen wollte, eine „Substitutionslösung“ also nicht angestrebt hat.8 Die Annahme, die in § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c NotSanG beschriebenen „eigenständig“ durchgeführten heilkundlichen Maßnahmen seien als Fall von Delegation ärztlicher Leistungen anzusehen , ist allerdings nicht unproblematisch. Das Verständnis von Delegation ärztlichen Handelns in Rechtsprechung und Literatur ist durch einen starken Bezug zum Einzelfall geprägt, bei dem ein Arzt die Indikationsstellung, die daraus folgenden medizinischen Anordnungen und die Personalauswahl jedes Mal konkret verantwortet und lediglich die Durchführungsverantwortung auf nichtärztliches Fachpersonal übergeht.9 Im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c NotSanG kann Delegation zwar mit Hilfe von standardisierten Handlungsanweisungen, sog. Standard Operating Procedures (SOP), umgesetzt werden; von einer „Delegation“ nach allgemeinem juristischem Verständnis ist aber nur dann auszugehen , wenn durch die SOP weitgehend alle Behandlungsoptionen abgedeckt werden und wenn sie so präzise formuliert werden, dass sie möglichst keinen Bewertungsspielraum für die Notfallsanitäterin oder den Notfallsanitäter mehr enthalten. Dort, wo standardisierte Handlungsanweisungen Spielräume offen lassen, liegt zumindest auch eine Behandlungsentscheidung der Notfallsanitäterin bzw. des Notfallsanitäters selbst vor, die nach dem juristischen Verständnis von Delegation ausgeschlossen wäre.10 Nur soweit im Rahmen einer SOP sichergestellt werden kann, dass der Notfallsanitäter keine Diagnosestellung vornimmt und damit in den Kernbereich ärztlicher Tätigkeit eingreift, folgt das symptombezogene Handeln des Notfallsanitäters einer Weisung, wie sie die Delegation voraussetzt. Bei allen übrigen Fällen handelt es sich demgegenüber in der Regel um die Substitution einer ärztlichen Behandlungsentscheidung, die ohne gesetzliche Grundlage rechtlich nicht zulässig ist.11 Auch wenn man die Möglichkeit einer Delegation ärztlicher Leistungen durch standardisierte Handlungsanweisungen unter den vorgenannten Voraussetzungen grundsätzlich bejaht, kommt eine Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten auf Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter mit Hilfe von SOP nur dann in Betracht, wenn die sonstigen von der Rechtsprechung und Literatur herausgearbeiteten Parameter zur Delegation ärztlicher Aufgaben beachtet werden. Denn der Gesetzgeber hat nicht erkennen lassen, dass er mit der in § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c NotSanG getroffenen Regelung von den Grundsätzen zur Delegation ärztlichen Handelns abweichen und eine neues Verständnis von Delegation begründen wollte. Daher muss man davon ausgehen, dass die Vorschrift des NotSanG innerhalb der gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen zu interpretie- 8 Vertiefte Darstellung beider Positionen in Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Das Berufsbild der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters unter besonderer Berücksichtigung der Ausbildungszielbestimmung des § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c Notfallsanitätergesetz, Bundesrechtliche Vorgaben und Umsetzung in den Bundesländern , Ausarbeitung vom 6. Juni 2019, WD 9 – 3000 – 032/19, S. 20 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen . 9 Vgl. hierzu WD 9 – 3000 – 032/19, S. 23 ff. mit weiteren Nachweisen. 10 Vgl. hierzu WD 9 – 3000 – 032/19, S. 23 ff. mit weiteren Nachweisen, insbesondere S. 24 f. 11 Vgl. hierzu WD 9 – 3000 – 032/19, S. 23 ff. mit weiteren Nachweisen, insbesondere S. 24 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 028/21 Seite 7 ren ist, der Gesetzgeber mithin in § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c NotSanG lediglich die ausbildungsmäßigen Voraussetzungen für eine Delegation heilkundlicher Aufgaben, aber keinen neuen Zulässigkeitstatbestand geschaffen hat.12 Die Zulässigkeit der Verabreichung von Betäubungsmitteln im Sinne der Anlage III BtMG ist somit an den Vorgaben des Betäubungsmittelrechts zu messen. § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c NotSanG regelt das Ausbildungsziel und nicht die Befugnis zur Ausübung in der Praxis13. Es sind somit allein die Voraussetzungen der Abgabe von Betäubungsmitteln durch Hilfspersonen des Arztes nach § 13 Abs. 1 BtMG zu beachten.14 3. Delegation der Verabreichung von Betäubungsmitteln 3.1. Grundsätzliche Zulässigkeit der Delegation Einigkeit besteht in der einschlägigen Fachliteratur, dass eine Verabreichung von Betäubungsmitteln im Sinne von Anlage III BtMG durch eine Hilfsperson auf ärztliche Weisung zulässig sein kann.15 Hierfür spricht neben der Formulierung „im Rahmen einer ärztlichen Behandlung“ in § 13 Abs. 1 BtMG auch §5 Abs. 7 und § 5c Abs. 2 der Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung - BtMVV)16, die eine Überlassung von Betäubungsmitteln durch Assistenzpersonal ausdrücklich vorsehen. Welche Qualifikation eine Hilfsperson aufweisen muss, ist nicht ausdrücklich geregelt; § 5 Abs. 10 BtMVV sieht lediglich vor, dass es sich um medizinisches, pharmazeutisches oder pflegerisches Personal handeln muss. Dies steht einer Überlassung von Betäubungsmitteln zum sofortigen Verbrauch durch Notfallsanitäter im Rahmen eines Notfalleinsatzes nicht entgegen. Zudem umfasst die Formulierung „im Rahmen einer ärztlichen Behandlung“ denklogisch auch notärztliche Behandlungen von Notfallpatienten bei einem Rettungseinsatz.17 Es handelt sich bei der Verabreichung von Schmerzmitteln, die in Anlage III BtMG gelistet sind, also grundsätzlich um eine delegationsfähige ärztliche Leistung. 12 Vgl. hierzu WD 9 – 3000 – 032/19, S. 23 ff. mit weiteren Nachweisen, insbesondere S. 28. 13 So auch Tries, Ralf, Strafrechtliche Probleme im Rettungsdienst, 4. Auflage 2015, S. 18 f. 14 Patzak, Jörn, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, § 13, Rn. 4. 15 Patzak, Jörn, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, § 13, Rn. 3-4; Fehn, Karsten, Analgesie mit opioidhaltigen Arzneimitteln durch Notfallsanitäter unter der Geltung des Notfallsanitätergesetzes – Zu Strafbarkeitsrisiken und zur Notwendigkeit von Gesetzesänderungen, Medizinrecht (MedR) 2017, 453 (454); Weber, Klaus, in: Weber, BtMG, 5. Auflage 2017, § 13, Rn. 8; Kotz, Peter / Oğlakcıoğlu, Mustafa Temmuz, Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, Band 6, BtMG, § 13, Rn. 11. 16 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung vom 20. Januar 1998 (BGBl. I S. 74, 80), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 18. Mai 2021 (BGBl. I S. 1096). 17 Fehn, Karsten, Analgesie mit opioidhaltigen Arzneimitteln durch Notfallsanitäter unter der Geltung des Notfallsanitätergesetzes – Zu Strafbarkeitsrisiken und zur Notwendigkeit von Gesetzesänderungen, Medizinrecht (MedR) 2017, 453 (454). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 028/21 Seite 8 3.2. Anforderungen an die ärztliche Weisung Schutzziele des BtMG sind der Erhalt der menschlichen Gesundheit, der Jugendschutz, die Verhinderung von Drogenhandel und die Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit.18 Gemeinsam mit dem Gefahrenpotential von Betäubungsmitteln führt dies dazu, dass eine Delegation nur im Einzelfall erfolgen kann. Auch § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c NotSanG sieht vor, dass Notfallsanitäter im Rahmen der Mitwirkung eigenständig heilkundliche Maßnahmen durchführen, „die vom Ärztlichen Leiter Rettungsdienst oder entsprechend verantwortlichen Ärztinnen oder Ärzten bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen standardmäßig vorgegeben, überprüft und verantwortet werden“. Im Hinblick darauf, welche Anforderungen an die Weisung durch den ÄLRD zu stellen sind, besteht in der Literatur keine Einigkeit. Einerseits wird vertreten, dass eine solche Weisung auch im Rahmen der Festlegung von SOPs erfolgen kann. Die Gabe von Betäubungsmitteln könnte dann für bestimmte notfallmedizinische Zustandsbilder und –situationen und in Bezug auf konkrete Medikamente vorab unabhängig vom Einzelfall freigegeben werden. Von anderer Seite wird vorausgesetzt , dass im konkreten Einzelfall eine Indikationsstellung und eine Prüfung von Behandlungsalternativen durch den Arzt erfolgen. 3.2.1. Zulässigkeit einer Vorabprüfung durch den ÄLRD Für die Zulässigkeit einer abstrakt-generellen Vorabprüfung wird angeführt, dass es die Aufgabe des ÄLRD sei, die Zustandsbilder und –situationen möglichst genau zu beschreiben, in denen die Gabe opioidhaltiger Schmerzmittel zulässig ist, die Dosierung möglichst genau festzulegen und die Fähigkeiten der Notfallsanitäter zu überprüfen. § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c NotSanG setze eine generelle Indikationsstellung und die vorgreifende Delegation von nur im Einzelfall delegationsfähigen ärztlichen Maßnahmen gerade voraus; wenn dies nicht möglich sei, wäre die Regelung widersinnig.19 Die besondere rettungsdienstliche Behandlungssituation führe zu einer Abweichung vom üblichen Behandlungsverlauf, da oft das nichtärztliche Personal vor dem Notarzt an der Einsatzstelle eintreffe und ein Abwarten bis zum Eintreffen des Arztes im Einzelfall mehr schaden als nützen könne.20 3.2.2. Erforderlichkeit einer ärztlichen Indikationsstellung und Prüfung von Alternativen Gegen die Zulässigkeit wird angeführt, dass eine pauschale Vorabprüfung dem jeweiligen Einzelfall nicht gerecht werde. Eine telefonische Anweisung oder gar die Festlegung von SOPs komme 18 Vgl. Patzak, Jörn, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, Einleitung, Rn. 34 ff. 19 Fehn, Karsten, Analgesie mit opioidhaltigen Arzneimitteln durch Notfallsanitäter unter der Geltung des Notfallsanitätergesetzes – Zu Strafbarkeitsrisiken und zur Notwendigkeit von Gesetzesänderungen, Medizinrecht (MedR) 2017, 453 (455). 20 Fehn, Karsten, Analgesie mit opioidhaltigen Arzneimitteln durch Notfallsanitäter unter der Geltung des Notfallsanitätergesetzes – Zu Strafbarkeitsrisiken und zur Notwendigkeit von Gesetzesänderungen, Medizinrecht (MedR) 2017, 453 (455). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 028/21 Seite 9 nicht in Betracht.21 Es fehle an einer Indikationsstellung durch den Arzt sowie an einer Prüfung von Behandlungsalternativen22, die auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs23 (BGH) erforderlich seien. Die Gabe von Betäubungsmitteln sei nur als ultima ratio zulässig; es sei nicht gewährleistet, dass ggf. andere - vorrangige – Behandlungsmethoden zur Anwendung kämen .24 Auch über das Heilpraktikergesetz (HPG)25 könne eine Zulässigkeit nicht hergeleitet werden.26 Der Gesetzgeber habe bei der Schaffung des NotSanG ausdrücklich abgelehnt, über Fälle des § 4 Abs. 2 Nr. 1 Buchstaben b und c NotSanG hinaus dem Notfallsanitäter auch nur eine eingeschränkte Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde zukommen zu lassen.27 Die im Gesetzgebungsverfahren diskutierte Einführung eines § 4a NotSanG, der dem Notfallsanitäter die Ausübung der Heilkunde bis zum Eintreffen eines Notarztes erlauben sollte und der die Abhängigkeit der Notfallsanitäter von § 34 StGB verhindern sollte, ist schlussendlich nicht erfolgt.28 Auch die Schaffung von § 2a NotSanG im März 2021, der dem Notfallsanitäter unter restriktiven Voraussetzungen die Ausübung der Heilkunde bis zum Eintreffen eines Arztes erlaubt, dürfte die Gabe von Schmerzmitteln nur in Ausnahmefällen betreffen, da der Tatbestand in der Regel nicht eröffnet sein dürfte (dazu sogleich unter 4.). 3.2.3. Bestehende Rechtsunsicherheit Auch wenn teilweise vertreten wird, eine Betäubungsmittelverabreichung durch Notfallsanitäter nach vorab durch den ÄLRD festzulegenden Kriterien sei zulässig, dürfte es an einer erforderlichen ärztlichen Diagnosestellung fehlen. Aufgrund des Schutzzwecks des Betäubungsmittelrechts liegt es nahe, Ausnahmen restriktiv zu handhaben. Ohne eine Klarstellung durch den Ge- 21 Patzak, Jörn, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, § 13, Rn. 4. 22 Patzak, Jörn, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, § 13, Rn. 16-17. 23 BGH, Urteil vom 2. Februar 2012, Az. 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337. 24 Vgl. § 13 Abs. 1 S. 2 BtMG: „Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann.“ Näher hierzu Patzak, Jörn, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz , 9. Auflage 2019, § 13, Rn. 20ff. 25 Heilpraktikergesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2122-2, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 17e des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3191). 26 So Tellioglu, Jill Meltem, Medikamentöse Analgesie durch Notfallsanitäter, 2016, Rezension durch Lippert, Hans-Dieter, MedR 2017, 301. 27 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom 28. November 2012, BT-Drs. 17/11689, S. 21. 28 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom 28. November 2012, BT-Drs. 17/11689, S. 30 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 028/21 Seite 10 setzgeber oder die Rechtsprechung bestehen jedenfalls weiterhin erhebliche Rechtsunsicherheiten im Hinblick auf die Anforderungen an die Weisung des ÄLRD und Haftungsfragen für die Ärzte und das nichtärztliche Rettungsdienstpersonal. 4. Reformbestrebungen und Fazit Die gegenwärtige Situation und die damit verbundene Rechtsunsicherheit für die Notfallsanitäter , die bei der Gabe von Schmerzmitteln nach Anlage III BtMG in Abwesenheit des Notarztes Gefahr laufen, sich u.a. nach § 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe b BtMG strafbar zu machen bzw. auf eine Rechtfertigung nach § 34 StGB angewiesen zu sein, hat zu einer Vielzahl von Forderungen nach einer Gesetzesreform geführt. 4.1. Gesetzentwurf des Bundesrates zur Ergänzung von § 1 Abs. 1 NotSanG Auf einen Gesetzesantrag der Bundesländer Bayern und Rheinland-Pfalz hat der Bundesrat einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Notfallsanitätergesetzes29 beschlossen, der am 18. November 2019 dem Bundestag zugeleitet wurde. Dieser sah vor, § 1 Abs. 1 NotSanG um folgenden Satz zu ergänzen: „Personen mit einer Erlaubnis nach Satz 1 sind im Rahmen der ihnen nach § 4 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe c vermittelten Kompetenz zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten berechtigt .“ Vergleichbare Regelungen seien auch bereits in § 1 S. 2 Altenpflegegesetz und § 1 Abs. 1 S. 2 Krankenpflegegesetz vorgesehen. Eine Beratung des Bundestages zu diesem Gesetzentwurf hat bisher nicht stattgefunden.30 4.2. Schaffung von § 2a NotSanG durch das MTA-Reform-Gesetz Mit dem Gesetz zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze (MTA-Reform-Gesetz)31 wurde § 2a NotSanG geschaffen. Dieser sieht vor, dass „bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder bis zum Beginn einer weiteren ärztlichen , auch teleärztlichen, Versorgung […] Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter heilkundliche Maßnahmen, einschließlich heilkundlicher Maßnahmen invasiver Art, dann eigenverantwortlich durchführen [dürfen], wenn 1. sie diese Maßnahmen in ihrer Ausbildung erlernt haben 29 Gesetzentwurf des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Notfallsanitätergesetzes vom 18. November 2018, BT-Drs. 19/15274. 30 Deutscher Bundestag, Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentsmaterialien (DIP), Vorgang – Gesetzgebung, Gesetz zur Änderung des Notfallsanitätergesetzes, 19. Wahlperiode, abrufbar unter: https://dip.bundestag.de/vorgang/gesetz-zur-%C3%A4nderung-des-notfallsanit%C3%A4tergesetzes /252891?term=19/15274&f.typ=Vorgang&rows=25&pos=1, zuletzt abgerufen am 21. Juni 2021. 31 Gesetz zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin (MTA-Reform-Gesetz) vom 24. Februar 2021, BGBl. I, S. 274. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 028/21 Seite 11 und beherrschen und 2. die Maßnahmen jeweils erforderlich sind, um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden von der Patientin oder dem Patienten abzuwenden.“ Begründet wird die Beschränkung gegenüber oben dargestelltem Entwurf des Bundesrates damit, dass die Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten auch zu einer Haftung der Notfallsanitäter führe. Hiervor seien diese zu schützen. Zudem diene die Vorschrift auch dem Schutz der Patienten, da die Ausübung der Heilkunde nicht originäre Aufgabe der Notfallsanitäter und damit auch nicht Kernelement der Ausbildung sei. Daher sei eine Beschränkung auf Situationen geboten, in denen eine Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden abgewendet werden müssten.32 Die Behandlung von Schmerznotfällen durch die Verabreichung von Betäubungsmitteln dürfte in der Regel hiervon nicht erfasst sein. Problematisch könnte es zudem sein, wie auch in der Gesetzesbegründung festgestellt wird, wenn der Notfallsanitäter die Situation als ernster einschätzt, als sie tatsächlich ist und eine Lebensgefahr oder die Gefahr von Folgeschäden tatsächlich nicht droht.33 Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB kommt nach dessen Wortlaut bereits bei niedrigschwelligeren Rechtsgutsgefährdungen in Betracht, so dass ein Rückgriff auf diese Vorschrift weiterhin möglich bleibt. 4.3. Vorschläge aus der Literatur Ein Vorschlag aus der Fachliteratur aus dem Jahr 201734 sieht zur Lösung der konkreten Problematik die Einführung eines § 13b BtMG vor, in dem die Voraussetzungen einer Verabreichung von Betäubungsmitteln durch nichtärztliches Personal des Rettungsdienstes explizit benannt werden sollen. Zudem solle § 29 Abs. 4 BtMG so angepasst werden, dass ein fahrlässiger Verstoß gegen § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 Buchstabe b BtMG nur auf Antrag verfolgt werden könne und im Einzelfall von einer Bestrafung abgesehen werden könne, wenn aufgrund der konkreten Umstände des rettungsdienstlichen Einsatzes die Fahrlässigkeit als gering anzusehen sei und der Patient keinen Schaden erlitten habe. Ebenfalls diskutiert wird eine Anpassung des HPG.35 4.4. Fazit Die aktuelle Rechtslage lässt eine rechtssichere Betäubungsmittelverabreichung durch Notfallsanitäter nach hier vertretener Auffassung nicht zu. Die Beschränkung des § 2a NotSanG auf lebensbedrohliche Situationen oder die Abwendung von wesentlichen Folgeschäden dürfte auf die 32 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze (MTA-Reform-Gesetz) vom 18. November 2020, BT-Drs. 19/24447, S. 84 f. 33 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze (MTA-Reform-Gesetz) vom 18. November 2020, BT-Drs. 19/24447, S. 86. 34 Fehn, Karsten, Analgesie mit opioidhaltigen Arzneimitteln durch Notfallsanitäter unter der Geltung des Notfallsanitätergesetzes – Zu Strafbarkeitsrisiken und zur Notwendigkeit von Gesetzesänderungen, Medizinrecht (MedR) 2017, 453 (457 ff.). 35 Tellioglu, Jill Meltem, Medikamentöse Analgesie durch Notfallsanitäter, 2016, S. 320. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 028/21 Seite 12 Abgabe von Betäubungsmitteln nur äußerst selten Anwendung finden. Eine ausdrückliche Klarstellung durch den Gesetzgeber dahingehend, ob und unter welchen Umständen diese zulässig sein soll, erscheint vor diesem Hintergrund als wünschenswert. ***