Gesundheitsversorgung innerhalb der Europäischen Union für Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung - Sachstand - © Deutscher Bundestag WD 9 – 3000 - 028/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Gesundheitsversorgung innerhalb der Europäischen Union für Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung Sachstand WD 9 - 3000 - 028/09 Abschluss der Arbeit: 25.02.2009 Fachbereich WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 4 - 1. Einleitung Die Europäische Union zählt seit dem 1. Januar 2007 27 Mitgliedstaaten. Ihr gehören jetzt die meisten Staaten Mittel-, West-, Nord-, Ost- und Südeuropas an. Zwischen ihnen findet eine zunehmende Verflechtung ihrer Volkswirtschaften und Arbeitmärkte statt. Die globalen Verflechtungen und Vernetzungen haben Auswirkungen auf die Arbeitswelt und die Menschen, die sich in ihr bewegen und in Staatsgrenzen längst keine Hindernisse mehr sehen. Viele deutsche Arbeitnehmer arbeiten und leben vorübergehend im Ausland, viele arbeiten aber auch als Grenzgänger in den Nachbarstaaten, wie im Norden Deutschlands in Dänemark. Und eine große Anzahl von Menschen reist oder verbringt ihren Urlaub im Ausland. Wann immer im Ausland ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss, stellt sich die Frage nach der Kostenübernahme durch die deutsche Krankenversicherung. Gleichzeitig sorgt die Informationstechnologie für die Verbreitung neuer medizinischer Technologien und Verfahren und führt zum Wunsch nach gezielter Behandlung im Ausland; auch hier ist zu fragen, unter welchen Voraussetzungen die Kosten von der gesetzlichen Versicherung übernommen werden. Der Europäische Gerichtshof hat seit 1998 bei Klagen von Bürgern auf Kostenerstattung durchgängig entschieden1, dass Patienten ein Recht auf Kostenerstattung für im Ausland in Anspruch genommene Gesundheitsdienstleistungen haben, die sie auch im Heimatland erhalten hätten. Dennoch herrscht auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung immer noch Verunsicherung. Bei einer Eurobarometer- Umfrage hat sich gezeigt, dass 30 % der Bürger in der Europäischen Union nicht darüber informiert sind, dass Gesundheitsdienstleistungen außerhalb des Versicherungsmitgliedstaats in Anspruch genommen werden können2. Um Klarheit hinsichtlich der Bestimmungen über die Kostenerstattung für Gesundheitsdienstleistungen in anderen Mitgliedsstaaten und die Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung der Patientenrechte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu schaffen , hat die Europäische Kommission im vergangenen Jahr einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesund- 1 EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll), Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker), Slg. 1998, I- 1831.Vgl. hierzu auch Noftz, in: Hauck/Noftz, Kommentar, § 13 Rdn. 105 ff. 2 Flash Eurobarometer Nr. 210, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in der EU-von The Gallup Organization, Ungarn, im Auftrag der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz (GD SANCO) der Europäischen Kommission erstellter Analysebericht (2007). - 5 - heitsversorgung erarbeitet und dem Europäischen Parlament sowie dem Rat übermittelt 3. Eine Erörterung im Rat fand am 16.12.2008 statt. Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 4 2. Die rechtlichen Grundlagen 7 2.1. Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) 7 2.2. Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 7 3. Die Regelung der einzelnen Fallkonstellationen 9 3.1. Arbeitsplatz in Deutschland und Wohnsitz im Europäischen Ausland 9 3.1.1. Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen im Ausland im Wege der Leistungsaushilfe 9 3.1.2. Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen im zuständigen Staat 10 3.1.3. Wohnortwechsel nach Erkrankung 10 3.1.4. Kostenerstattung 10 3.2. Grenzgänger 11 3.3. Notwendige Behandlung von Urlaubern und Reisenden 11 3.4. Gezielte Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im Ausland 12 3.4.1. Inanspruchnahme im Wege der Leistungsaushilfe 12 3.4.2. Inanspruchnahme im Wege der Kostenerstattung 12 3.5. Vorübergehende Entsendung ins europäische Ausland 13 3 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung. KOM/2008/0414 endg.-COD 2008/0142/. - 6 - 4. Rechtliche Maßnahmen zur Erleichterung der grenzüberschreitenden medizinischen Patientenversorgung 13 5. Literaturverzeichnis 14 - 7 - 2. Die rechtlichen Grundlagen 2.1. Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) In der deutschen Krankenversicherung gilt das Territorialitätsprinzip. Danach werden Leistungen nur an Versicherte erbracht, die sich im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch aufhalten (§ 16 Abs. 1 Ziff. 1 SGB V). Von diesem Prinzip wird innerhalb der Länder der Europäischen Union auf der Grundlage Europäischen Gemeinschaftsrechts abgewichen. 2.2. Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Rechtsgrundlage für die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei ärztlicher Versorgung im Europäischen Ausland ist die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juli 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in Verbindung mit der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/714. Die Verordnungen haben einen umfassenden sachlichen Anwendungsbereich, der die Krankenversicherung umfasst5. Ihr persönlicher Geltungsbereich erstreckt sich auf Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, - soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind, - Staatenlose und Flüchtlinge im Sinne der einschlägigen internationalen Abkommen, soweit sie in einem Mitgliedsaat wohnen, sowie - ggf. Hinterbliebene der vorgenannten Personen6. Am 1. Juni 2003 ist die Verordnung (EG) Nr. 859/2003 vom 14. Mai 2003 in Kraft getreten , durch die auch so genannte Drittstaatsangehörige, die nicht EG/EWR- Staatsangehörige sind, in die EG-Verordnung 1408/71 und 574/72 einbezogen werden. 4 Die Verordnung wird weitgehend durch die zwar am 27.06.2004 in Kraft getretene, aber – wegen der noch nicht vollständigen Anhänge und der noch fehlenden Durchführungsverordnung – noch nicht anzuwendende Verordnung (EG) 883/041 ersetzt werden. 5 Art. 4 VO(EWG) Nr. 1408/71. 6 Art. 2 VO(EWG) Nr. 1408/71. - 8 - Deren Regelungen gelten dann auch für diese Personen, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben. Dänemark ist jedoch von dieser Verordnung ausgenommen7. Diese Verordnungen ermöglichen – mit gewissen Einschränkungen – die Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung in jedem Mitgliedstaat der Gemeinschaft. Versicherte der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung, die während ihres Aufenthalts in einem anderen EG/EWR-Mitgliedsstaat erkranken, können grundsätzlich ärztliche Versorgung, Arzneimittel und sonstige medizinische Leistungen auch in diesem Staat in Anspruch nehmen. Die dortige Versicherung ist verpflichtet, die medizinische Versorgung im Wege der sog. Sachleistungshilfe durch die ihr angeschlossenen Krankenhäuser , Ärzte, Apotheker usw. wie den eigenen Versicherten gegenüber zu erbringen. Dabei werden die Kosten den Leistungserbringern grundsätzlich durch die Krankenkasse im Herkunftsstaat erstattet. Versicherte müssen ihren Anspruch im Ausland durch Vorlage eines Dokuments ihrer Krankenversicherung darlegen. Für Versicherte, die sich vorübergehend in einem anderen Mitgliedssaat aufhalten, wurde ab 1. Juli 2004 eine Europäische Versicherungskarte eingeführt, die direkt dem Leistungserbringer wie Arzt oder Krankenhaus vorzulegen ist8. Versicherte der deutschen Krankenversicherung erhalten die Europäische Krankenversicherungskarte mit der schrittweisen Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ab 2006 auf deren Rückseite. Aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs9 können Versicherte anstelle der Sachleistungshilfe durch den Krankenversicherungsträger im anderen EG/EWR-Staat ambulante Leistungen ohne Genehmigung ihrer Krankenkasse in Anspruch nehmen und sich von dieser die Kosten nach innerstaatlichen Sätzen erstatten lassen. Für Krankenhausleistungen gilt dies nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse . Dies ist ab 1. Januar 2004 mit der Regelung des § 13 Abs. 4 und Abs. 5 SGB V in innerstaatliches Recht umgesetzt worden. 7 VO (EG) Nr. 859/2003,Ziff (19). 8 Kalmund, in: Übersicht über das Sozialrecht. Kapitel 25 Anm. 42. 9 Hierzu Bieback, in: Fuchs (Hrsg) Europäisches Sozialrecht, Art. 22 Rdn. 2, 28 ff. Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 13 Rdn. 59, 105 ff. - 9 - 3. Die Regelung der einzelnen Fallkonstellationen 3.1. Arbeitsplatz in Deutschland und Wohnsitz im Europäischen Ausland Der Fall, dass sich eine Person, die in einem Mitgliedsstaat bei einem Träger der sozialen Sicherung versichert ist („zuständiger Träger“), in einem anderen Mitgliedsstaat dauernd aufhält, also dort wohnt, wird von Art. 19 Abs. 1 der VO (EWG) Nr. 1408/71 geregelt10. Die Regelung betrifft vor allem die Grenzgänger, die Saisonarbeiter, Handelsvertreter , im Hoheitsgebiet zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten gleichzeitig tätige Personen sowie die Arbeitnehmer eines von der Grenze durchschnittenen Betriebes11. -Anlage - Leistungspflichtig bleibt der „zuständige Staat“, gemäß Art. 1q),o) und i) sowie Art. 13 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 1408/71 also der Staat, in dem die Versicherung besteht. Dies wiederum ist in der Regel der Beschäftigungsstaat12. 3.1.1. Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen im Ausland im Wege der Leistungsaushilfe Erwerbstätige, die in einem anderen Staat wohnen, als dem, in dem sie versichert sind, haben einen Anspruch auf Gewährung medizinischer Leistungen gegen den Wohnsitzstaat für Rechnung des zuständigen Trägers (Art. 19 Abs. 1 Buchstabe a) VO (EWG) Nr. 1408/71). Bei dieser aushelfenden Leistungsgewährung bestimmt sich die Voraussetzung , ob überhaupt eine Versicherung und damit auch dem Grunde nach ein Leistungsanspruch besteht, nach dem Recht des „zuständigen Staates“, d.h. dem Staat, in dem die Versicherung begründet worden ist. Dies ist in der Regel der Beschäftigungsstaat . Die Bestimmung des Typus der Leistung, der Art und Weise und der Modalitäten der Leistungserbringung aber ergeben sich aus den Rechtsvorschriften des Trägers des Wohnortes. Hier findet also eine punktuelle Integration in das ausländische Leistungssystem statt13. Ist eine Leistung im zuständigen Staat, nicht aber im Recht des aushelfenden Leistungsträgers vorgesehen, können also Lücken im Versicherungsschutz entstehen . Voraussetzung für dieses Konzept ist, dass die Versicherten ihre Berechtigung nachweisen. Früher mussten sich Versicherte hierfür einen „Auslandskrankenschein“ 10 Die hier zitierten Vorschriften der VO (EWG) Nr. 1408/71 werden sämtlich als Anlage beigefügt. 11 Bieback, in: Fuchs (Hrsg) Europäisches Sozialrecht, Art. 19, Rdn. 7. 12 Steinmeyer, in: Fuchs (Hrsg) Europäisches Sozialrecht, Art. 14 Rdn. 2 13 Bieback, in: Fuchs (Hrsg) Europäisches Sozialrecht, Vorbemerkung zu Art. 18 Rdn. 9. - 10 - von ihrer Versicherung ausstellen lassen. Die Einführung der Europäischen Krankenversicherungskarte seit Juni 2004 soll die grenzüberschreitende Leistungsbeanspruchung erheblich erleichtern. Sie befindet sich auf der Rückseite der elektronischen Gesundheitskarte . 3.1.2. Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen im zuständigen Staat Art. 21 VO (EWG) Nr. 1408/71 regelt den Fall, dass der Erwerbstätige, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat wohnt (Fall des Art. 19 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71), sich vorübergehend im zuständigen Staat aufhält. In diesem Fall können der Erwerbstätige, und grundsätzlich auch dessen Familienangehörige, Leistungen vom zuständigen Träger verlangen, so als ob sie im zuständigen Staat wohnten. Sie können also zum Beispiel auch Leistungen beanspruchen, die zwar nicht der Träger des Wohnorts, wohl aber der zuständige Träger nach dem jeweils geltenden Kassenversicherungsrecht zu erbringen haben14. 3.1.3. Wohnortwechsel nach Erkrankung Versicherte, die nach Eintritt einer Erkrankung ins europäische Ausland umziehen, können dort nur Leistungen in Anspruch nehmen, wenn sie vom zuständigen Träger eine Genehmigung erhalten haben (Art. 22 Abs. 1 b) VO (EWG) Nr. 1408/71). Die Genehmigung darf nur aus medizinischen Gründen versagt werden (Art. 22 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71). Der Versicherte kann daher auch in dem Mitgliedstaat, in dem er nach dem Umzug wohnt, Leistungen nach dem Recht des zuständigen Staates in Anspruch nehmen. 3.1.4. Kostenerstattung Neben dem System der Leistungsaushilfe gibt es bei allen Fallvarianten die Möglichkeit der Kostenerstattung. Seit zwei grundlegenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahre 199815 wird direkt aus der Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG-Vertrag ein Anspruch des Versicherten abgeleitet, grenzüberschreitend Leistungen im europäischen Ausland beanspruchen zu können und die Kosten vom zuständigen Leistungsträger rückerstattet zu erhalten16. Diese Rechtsprechung wurde mit den Absät- 14 Bieback, in: Fuchs (Hrsg) Europäisches Sozialrecht, Art. 21 Rdn. 1. 15 EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll), Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-120/95 (Decker), Slg. 1998, I-1831. 16 Bieback, in: Fuchs (Hrsg) Europäisches Sozialrecht, Vorbemerkung zu Art. 18 Rdn. 26. - 11 - zen 4 bis 6 von § 13 SGB V in das deutsche Krankenversicherungsrecht integriert17. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte (§ 13 Abs. 4 Satz 3 SGB V). 3.2. Grenzgänger Art. 20 VO (EWG) Nr. 1408/7 enthält Sonderregelungen für Grenzgänger. Dies sind nach der Definition in Art. 1 b) VO (EWG) Nr. 1408/71 Personen, die täglich, mindestens aber einmal wöchentlich vom Staat des zuständigen Trägers in ihren Wohnstaat zurückkehren. Zusammen mit Art. 19 VO (EWG) Nr. 1408/71 gibt Art. 20 VO (EWG) Nr. 1408/71 Grenzgängern ein Wahlrecht, Leistungen nicht nur an ihrem Wohnort, sondern auch an ihrem Beschäftigungsort im zuständigen Staat in Anspruch zu nehmen. Daneben gibt es die Möglichkeit der Kostenerstattung für in Anspruch genommene Leistungen18. 3.3. Notwendige Behandlung von Urlaubern und Reisenden Art. 22 Abs. 1 a) VO (EWG) Nr. 1408/71 behandelt die Leistungserbringung an Versicherte , die nicht in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, sondern sich dort nur vorübergehend , z.B. als Tourist, aufhalten und medizinische Behandlung benötigen. Grundsätzlich gelten für diesen Bereich auch die in Art. 19 VO (EWG) Nr. 1408/71 geregelten Vorschriften über die aushelfende Leistungserbringung bei Sachleistungen. Die Leistungen richten sich nach dem Recht des aushelfenden Trägers. Die Kosten werden nach dem Recht des aushelfenden Trägers abgewickelt und (meist) von ihm vorläufig getragen und ihm direkt oder als Pauschale nach einem internen Verrechnungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten vom Träger des Wohnorts erstattet19. Der Versicherte braucht die Kosten also nicht zu verauslagen. Konnte der Versicherte seine Leistungsberechtigung nicht nachweisen und hat deshalb die Leistung im Ausland selbst bezahlt, so hat er gemäß Art. 34 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 574/72 einen Anspruch gegen den zuständigen Träger, ihm die im Ausland entstande- 17 Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 13 Rdn. 59. 18 Vgl. oben unter 3.1.4. 19 Bieback, in: Fuchs (Hrsg) Europäisches Sozialrecht, Art. 22 Rdn. 1,2. - 12 - nen Kosten nach den Sätzen, die für den Träger des Aufenthaltsortes gelten, zu erstatten 20. Daneben gibt es das Recht auf Kostenerstattung nach Maßgabe des Rechts des zuständigen Trägers21. 3.4. Gezielte Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im Ausland 3.4.1. Inanspruchnahme im Wege der Leistungsaushilfe Der Leistungsanspruch des Versicherten bei gezielter Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen im Ausland richtet sich nach Art. 22 Abs. 1 c), Abs. 2 Satz 2 VO (EWG) Nr. 1408/71. Danach ist für geplante Behandlungen im Ausland die vorherige Genehmigung des zuständigen Trägers erforderlich (Art. 22 Abs. 1 c) (EWG) Nr. 1408/71). Auf diese Zustimmung besteht ein Anspruch, wenn die im Ausland nachgesuchte Leistung zum Leistungskatalog des zuständigen Trägers gehört, und die Leistung im zuständigen Staat nicht in dem Zeitraum gewährt werden kann, der dort üblich ist (Art. 22 Abs. 2 Satz 2 VO (EWG) Nr. 1408/71). Bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im Ausland im Wege der Sachleistungsaushilfe wird die versicherte Person in das Krankenversicherungssystem des Behandlungslandes integriert und diese Integration auch durch zahlreiche Gebote der Kostenerstattung und der Zusammenarbeit zwischen den Trägern der unterschiedlichen Mitgliedstaaten garantiert; der Versicherte braucht keine Zahlung vorzustrecken und Kostenerstattung zu beantragen, wenn dies im Behandlungsland nicht üblich ist22 3.4.2. Inanspruchnahme im Wege der Kostenerstattung Neben der Möglichkeit, gezielt Sachleistungen im Wege der Leistungsaushilfe im Ausland in Anspruch zu nehmen, haben Versicherte im gesamten Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 das Recht, medizinische Versorgung auf der Basis des deutschen Rechts (§ 13 Abs. 4 bis 6 SGB V) im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen23. Dies ist mit Ausnahme der Inanspruchnahme von Krankenhaus- 20 Bieback, in: Fuchs (Hrsg) Europäisches Sozialrecht, Art. 22 Rdn. 13, 24. 21 Bieback, in: Fuchs (Hrsg) Europäisches Sozialrecht, Art. 22 Rdn. 2. Vgl. oben unter 3.1.4. 22 Bieback, in: Fuchs (Hrsg) Europäisches Sozialrecht, Art. 22 Rdn. 60. 23 Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 13 Rdn. 59. - 13 - leistungen (§ 13 Abs. 5 SGB V) nicht an eine vorherige Zustimmung der Krankenkasse gebunden24. 3.5. Vorübergehende Entsendung ins europäische Ausland Aus Art. 14 VO (EWG) Nr. 1408/71 ergibt sich, dass trotz tatsächlicher Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat die Rechtsvorschriften des Staates weiterhin anwendbar bleiben, aus dessen Gebiet die betreffende Person in das Gebiet des anderen Mitgliedstaates entsandt worden ist25. Der Behandlungsanspruch des entsandten Arbeitnehmers richtet sich also nach dem Recht des zuständigen Trägers und nicht nach dem des vorübergehenden Beschäftigungsortes. Unter Entsendung ist eine durch den Arbeitgeber veranlasste und in seinem Interesse erfolgte Ortsveränderung zu verstehen26. Dabei muss die Entsendung von vornherein auf voraussichtlich zwölf Monate begrenzt sein. Unter gewissen Voraussetzungen kann die Frist noch mal um zwölf weitere Monate verlängert werden (Art. 14 Ziff. 1 b)). 4. Rechtliche Maßnahmen zur Erleichterung der grenzüberschreitenden medizinischen Patientenversorgung Nach den bereits erwähnten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs hat die Europäische Kommission es für notwendig gehalten, klarzustellen, wie die in Einzelfällen dargelegten Grundsätze allgemein angewandt werden sollten. Sie hat daher Gemeinschaftsregeln für die allgemeine Gewährleistung von Qualität und Sicherheit der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung entwickelt und als Vorschlag für eine Richtlinie herausgegeben27, die dem Europäischen Parlament sowie dem Rat übermittelt wurde 28. Eine Erörterung im Rat fand am 16.12.2008 statt. Sobald die Richtlinie beschlossen wird, steckt sie den Rahmen für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung ab und verdeutlicht, welche Rechte auf Kostenerstattung der Bürger für im Ausland erbrachte Gesundheitsleistungen hat und wie diese Rechte in der Praxis umzusetzen sind. Außerdem will die Richtlinie sicherstellen, dass die für eine hochwertige, sichere 24 Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 13 Rdn. 65. 25 Vgl. Steinmeyer, in: Fuchs (Hrsg) Europäisches Sozialrecht, Art. 14 Rdn. 5. 26 Steinmeyer, in: Fuchs (Hrsg) Europäisches Sozialrecht, Art. 14 Rdn. 5. 27 Mitteilung der Kommission – Ein Gemeinschaftsrahmen für die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung- SEK (2008) 2183 vom 2. 7. 2008 28 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung. KOM/2008/0414 endg.-COD 2008/0142/. - 14 - und effiziente grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind29. 5. Literaturverzeichnis Hauck. Karl/Noftz, Wolfgang (Begr.). Gesamtkommentar zum Sozialgesetzbuch. Sozialgesetzbuch V – Gesetzliche Krankenversicherung. 2. Band §§9 – 68. Stand: Berlin 2009 (Zitiert: Bearbeiter, in: Hauck/Noftz, SGB V, § x Rdn. Y). Fuchs, Maximilian (Hrsg.). Europäisches Sozialrecht. 4. Auflage, Baden-Baden 2005. (Zitiert: Bearbeiter, in: Fuchs (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, Art. X Rdn. Y). Übersicht über das Sozialrecht. Bearb. v. Freund, Renate. Kazda, Björn. Bermig, Klaus u.a. 5. Auflage, Nürnberg 2008. (Zitiert: Bearbeiter, in: Übersicht über das Sozialrecht). 29 Vgl. Begründung zur Richtlinie FN 23 S. 6.