© 2019 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 027/19 Zur Diskussion über eine Mitteilungsbefugnis im Rahmen des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 2 Zur Diskussion über eine Mitteilungsbefugnis im Rahmen des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 027/19 Abschluss der Arbeit: 30 . April 2019 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen, und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Beratung und Übermittlung von Informationen im Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz 5 3. Kritische Stellungnahmen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens 6 3.1. Prof. Dr. Fegert – Universitätsklinikum Ulm 6 3.2. Dr. Thomas Meysen –Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. 7 3.3. Dr. Maria Kurz-Adam – Sozialreferat der Landeshauptstadt München 8 3.4. Jutta Decarli – Bundesverband für Erziehungshilfe e. V. 8 4. Kritische Stellungnahmen in der Literatur 8 5. Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes 12 6. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen 13 6.1. Änderungsentwurf zu § 4 KKG 13 6.2. Kritische Stellungnahmen 14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 4 1. Einleitung Kinder sind auf besonderen Schutz und die Fürsorge Erwachsener angewiesen. Das Thema Kinderschutz wird in den letzten Jahren verstärkt öffentlich und politisch diskutiert. So hat die Große Koalition zu Beginn dieser Wahlperiode der Verbesserung des Kinderschutzes einen besonderen Stellenwert eingeräumt. Danach steht die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe mit einem wirksamen Hilfesystem, das die Kinder vor Gefährdungen schützt, im Fokus; auch sollen bestehende Verfahrensabläufe optimiert werden.1 Das Bundesministerium für Familie , Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat für diese Weiterentwicklung einen Fachdialog mit einem Forschungsvorhaben initiiert.2 Seit dem 1. Januar 2012 ist das Bundeskinderschutzgesetz in Kraft.3 Es enthält in Artikel 1 das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG).4 Mit § 4 KKG wurde eine bundeseinheitliche Befugnisnorm geschaffen, die es Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern unter bestimmten Umständen explizit erlaubt, dem Jugendamt Hinweise auf Kindeswohlgefährdung mitzuteilen, und sich dazu vorab beraten zu lassen. § 4 KKG berechtigt somit, die berufliche Schweigepflicht nach § 203 Strafgesetzbuch (StGB)5 – Verletzung von Privatgeheimnissen – zu durchbrechen. Die Berufsgeheimnisträgerin bzw. der Berufsgeheimnisträger handelt damit nicht unbefugt im Sinne des Strafrechts.6 Der vorliegende Sachstand beschreibt die Regelung des § 4 KKG, führt auftragsgemäß kritische Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren wie auch in der Literatur sowie die Ergebnisse einer Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes an. Anschließend wird ein bisher nicht in Kraft getretener Änderungsentwurf des § 4 KKG einschließlich kritischer Stellungnahmen vorgestellt. 1 Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dynamik für Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, S. 21, abrufbar unter: https://www.bundesregierung .de/resource/blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag -data.pdf?download=1 (dieser sowie alle weiteren Links wurden zuletzt abgerufen am 30. April 2019). 2 BMFSFJ, Reform der Kinder- und Jugendhilfe schreitet voran, Meldung vom 21. Februar 2019, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/reform-der-kinder--und-jugendhilfe-schreitet-voran /133928. 3 BGBl. I S. 2975. 4 Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2975), zuletzt geändert durch Art. 20 Abs. 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234); Wortlaut von § 4 KKG im Anhang. 5 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. März 2019 (BGBl. I S. 350) geändert worden ist. 6 Streichsbier in: Schlegel/Voelzke, JurisPraxiskommentar, SGB VIII, 2. Auflage 2018, § 4 KKG Rn. 23. So auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG), Bundestags-Drucksache 17/6256 vom 22. Juni 2011, S. 20, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/062/1706256.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 5 2. Beratung und Übermittlung von Informationen im Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz Bis zum Inkrafttreten des KKG galten unterschiedliche landesrechtliche Regelungen über Rechte bzw. Pflichten zur Mitteilung bei Verdacht auf Kindesmisshandlung.7 Das KKG sollte einerseits den aktiven Kinderschutz verbessern und andererseits Handlungs- und Rechtssicherheit für bestimmte Berufsgruppen zu schaffen. So enthält § 4 KKG Regelungen zur Beratung und Übermittlung von Informationen durch Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung . Er etabliert ein abgestuftes Verfahren, durch das sowohl die Vertrauensbeziehung zwischen Geheimnisträgerin bzw. Geheimnisträger und Betroffenen geschützt als auch die Weitergabe wichtiger Informationen an das Jugendamt ermöglicht werden soll.8 Die Regelung in § 4 KKG orientiert sich an § 8a Achtes Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII)9, der den Umgang mit Hinweisen auf eine Gefährdung des Kindeswohls für das Jugendamt regelt. Zu § 4 KKG im Einzelnen: Gefährdungseinschätzung und Hinwirken auf Hilfen: § 4 Abs. 1 KKG fordert Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger10, die beruflich in Kontakt mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien stehen, auf, bei gewichtigen Anhaltspunkten für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen das Gespräch mit den Betroffenen – dem Kind bzw. Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten – zu suchen und ggf. auf eine Inanspruchnahme weitergehender Hilfen hinzuwirken. Dies gilt, soweit ein solches Vorgehen den Schutz des Kindes bzw. Jugendlichen nicht infrage stellt. Inanspruchnahme einer erfahrenen Fachkraft: § 4 Abs. 2 KKG räumt den Berufsgruppen einen gegen das jeweilige Jugendamt bestehenden Rechtsanspruch auf Beratung durch eine Fachkraft ein. Um den Fall erörtern zu können, ist die Berufsgeheimnisträgerin bzw. der Berufsgeheimnisträger befugt, die erforderlichen Daten an die Fachkraft pseudonymisiert weiterzuleiten. Die Inanspruchnahme der Beratung ist dabei ausdrücklich nur als Recht, nicht als Pflicht ausgestaltet. § 4 Abs. 2 KKG steht in engem Zusammenhang mit dem zeitgleich geschaffenen § 8b Abs. 1 SGB VIII, der allen Personen, die beruflich in 7 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG), Bundestags-Drucksache 17/6256 vom 22. Juni 2011, S. 15, 19, 20, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/062/1706256.pdf. 8 Kunkel, Peter-Christian, Das Bundeskinderschutzgesetz – „Meilenstein“ oder „Mühlstein“? in: Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ) 2012 S. 288 (291). 9 Das Achte Buch Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe – in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2696) geändert worden ist. (Wortlaut von § 8a SGB VIII im Anhang). 10 Genannt sind in § 4 KKG u. a. Ärzte, Hebammen, Berufspsychologen, Ehe-, Familien-, Erziehungs- und Jugendberater , Berater für Suchtfragen, Mitglieder einer anerkannten Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz , staatlich anerkannte Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Lehrer. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 6 Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen stehen, bei der Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung im Einzelfall einen Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft verleiht.11 Mitteilung an das Jugendamt: Nach § 4 Abs. 3 KKG sind die Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger für den Fall, dass das Gespräch nach § 4 Abs. 1 KKG die Gefährdung nicht abwenden konnte oder ein solches Gespräch nicht in Betracht kommt, befugt , das Jugendamt personenbezogen ohne Einwilligung der Betroffenen zu informieren, wenn das für erforderlich gehalten wird. Hierauf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es sei denn ein solches Vorgehen würde den wirksamen Schutz des Kindes bzw. des Jugendlichen infrage stellen. § 4 Abs. 3 KKG verpflichtet nicht zur Weitergabe, sondern berechtigt zur Weitergabe.12 Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen hat unter Beteiligung des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. (DIJuF) ein Ablaufschema für das Verfahren nach § 4 Abs. 3 KKG in der Praxis entwickelt.13 3. Kritische Stellungnahmen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens Bei der öffentlichen Anhörung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum BKiSchG äußerten sich im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 26. September 2011 verschiedene Verbände sowie Einzelsachverständige auch zum Entwurf des § 4 KKG.14 Die Schaffung einer solchen bundeeinheitlichen Norm zum abgestuften Vorgehen bei Gefährdung des Kindeswohls wurde grundsätzlich begrüßt. Auftragsgemäß werden nachfolgend kritische Stellungnahmen zusammengefasst: 3.1. Prof. Dr. Fegert – Universitätsklinikum Ulm Beanstandet wird die Ausgestaltung der Befugnis zur Weiterleitung von Informationen nach § 4 Abs. 3 KKG. Es fehle an einer Definition für die Kindeswohlgefährdung. Damit werde es den Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern überlassen, welchen Maßstab sie für eine Kindeswohlgefährdung anlegen. Der in der Gesetzesbegründung15 enthaltene Hinweis auf die Voraussetzungen des § 34 Strafgesetzbuch (StGB) lasse zwar vermuten, dass als Maßstab eine schwerwiegende Gefahr für Leib und Leben oder die Psyche heranzuziehen sei. Ausdrücklich geregelt sei dies aber nicht. Auch die Frage, wann die Geheimnisträgerinnen und Geheimnisträger 11 Wapler in: Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 5. Auflage 2015, § 4 KKG Rn. 1. 12 Wapler in: Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 5. Auflage 2015, § 4 KKG Rn. 33; Streichsbier in: Schlegel /Voelzke, JurisPraxiskommentar, SGB VIII, 2. Auflage 2018, § 4 KKG Rn.25. 13 DIJuF, Nationales Zentrum Frühe Hilfen in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.), Datenschutz bei frühen Hilfen, abrufbar unter: https://www.fruehehilfen.de/fileadmin/user_upload/fruehehilfen .de/pdf/Publikation_NZFH_IzKK_Datenschutz_bei_Fruehen_Hilfen_2015.pdf. 14 Alle Stellungnahmen sind erhältlich über den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Öffentliche Anhörung am 26. September 2011 – Kinderschutzgesetz (über den Pfad Öffentliche Anhörungen, Archiv, 2011), abrufbar unter: http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=2939&id=1223. 15 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG), Bundestags-Drucksache 17/6256 vom 22. Juni 2011, S. 20, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/062/1706256.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 7 ein weiteres Tätigwerden des Jugendamtes für eine Gefährdungsabwendung für erforderlich halten können, sei nicht ausreichend konkretisiert. Allein entscheidend sei damit die subjektive Einschätzung, die im freien Ermessen stehe.16 Zu bedenken gegeben wird auch, dass der in § 4 Abs. 1 KKG vorgesehene Versuch der eigenen Abhilfe der Gefährdung vor Weitergabe der personenbezogen Daten nicht zwingend erfolgt sein müsse. Dies stelle eine essentielle Einschränkung des Vertrauensschutzes zwischen Berufsgeheimnisträgerin bzw. Berufsgeheimnisträger und Betroffenen dar. Darüber hinaus wird kritisch angemerkt, dass das Gesetz keine ausdrückliche Rechtsgüterabwägung vor Weitergabe der Daten nach § 4 Abs. 3 KKG vorsehe: „Überlegungen zur Güterabwägung veranlassen den Berufsgeheimnisträger, sich die widerstreitenden Rechte bewusst vor Augen zu führen und eine von den Interessen des Betroffenen geleitete, ethisch vertretbare und verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen. Dies ist auch und gerade in (möglicherweise) kinderschutzrelevanten Fällen wichtig. Der Entwurf wird dieser ethischen Verantwortung nicht gerecht, wenn das ‚Bauchgefühl´ zum Leitmotiv erhoben wird.“ (S. 10 der Stellungnahme) Ohne eine solche Abwägung sei die Weitergabe der personenbezogenen Daten nicht auf das absolut notwendige Maß beschränkt.17 Angemahnt wird schließlich eine Klarstellung im Entwurf des § 4 KKG, ob bzw. inwieweit landesrechtliche Befugnisnormen ihre Gültigkeit behielten oder verlören. (S. 10)18 3.2. Dr. Thomas Meysen –Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. Das DIJuF kritisiert ebenso die Ausformung der Schwelle für die Datenweitergabe in § 4 Abs. 3 KKG: „Die Erlaubnis, eine Information weiterzugeben, sollen sich die Professionellen selbst geben dürfen. Es kommt auf ihre gesetzlich völlig ungebundene Willensbildung an, ob sie die Weitergabe ‚für erforderlich halten‘. Für Patient/inn/en wäre damit in keiner Weise vorhersehbar, welche Vertraulichkeit sie in der Arzt-Patient-Beziehung oder mit Hebammen erwarten können. 16 Vgl. zur Notwendigkeit einer subjektiven Einschätzung z.B. Meysen in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 8. Auflage 2019, Anhang § 8b – KKG, § 4 KKG Rn. 106. Durch die subjektive Formulierung werde der Realität Rechnung getragen, dass Einschätzungen als komplexe Prognoseprozesse im Kontext von Kindeswohlgefährdung erratisch sein könnten. 17 Dazu, dass § 4 Abs. 3 KKG sehr wohl zu einer gewissenhaften Abwägung und Vorgehensweise verpflichte, siehe Stellungnahme Professor Dr. Ludwig Salgo, Goethe Universität und Fachhochschule Frankfurt am Main, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG), S. 9. 18 Stellungnahme von Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm, zum Regierungsentwurf BT-Drs. 17/6256 vom 22. Juni 2011, S. 6 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 8 Eine Ausrichtung am persönlichen Gusto ist kein tragfähiger rechtlicher Maßstab. Als angemessene Voraussetzung erscheint vielmehr die Annahme einer dringenden Gefahr, zu deren Abwendung die Weitergabe geboten ist.“ (S. 8)19 3.3. Dr. Maria Kurz-Adam – Sozialreferat der Landeshauptstadt München Das Sozialreferat der Landeshauptstadt München mahnt eine Mitteilungspflicht im Gegensatz zu einer bloßen Mitteilungsbefugnis an. Nur eine solche Pflicht stärke die für den Kinderschutz so wichtige Aufmerksamkeitskultur.20 3.4. Jutta Decarli – Bundesverband für Erziehungshilfe e. V. Der Bundesverband für Erziehungshilfe e. V. (AFET) stuft die Befugnisnorm als „Einstieg in weitergehende notwendige Bundesregelungen“ ein, ohne konkrete Empfehlungen abzugeben.21 4. Kritische Stellungnahmen in der Literatur In der juristischen Fachliteratur wird die Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Frage gestellt. Der Gesetzgeber selbst sieht sich durch seine Kompetenz auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge , das sich auch auf die Kinder- und Jugendhilfe erstreckt, nach Artikel 74 Abs. 1 Nummer 7 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG)22 berechtigt, eine solche Regelung zu schaffen.23 Da die Regelung in § 4 KKG aber gerade Berufsgruppen außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe betrifft, sehen die kritischen Kommentare hier Angelegenheiten berührt, für die grundsätzlich die Länder eine Gesetzgebungskompetenz hätten. Dies betreffe das Schulrecht, aber auch das Berufsrecht der Ärzte, Hebammen und anderer Heilberufe, das von den Berufskammern im 19 Stellungnahme des DIJuF von Dr. Thomas Meysen vom 21. September 2011 zur Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Bundestages am 26. September 2011, S. 7 f. 20 Landeshauptstadt München, Sozialreferat, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BkiSchG), S. 9. 21 AFET Bundesverband für Erziehungshilfe e. V., Anhörung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz –BKiSchG) am 26. September 2011, S. 2. 22 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347) geändert worden ist. 23 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG), Bundestags-Drucksache 17/6256 vom 22. Juni 2011, S. 16, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/062/1706256.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 9 Wege der Selbstverwaltung ebenfalls auf Landesebene geregelt werde. Insofern sei der vom Wortlaut her als Sollvorschrift24 formulierte § 4 Abs. 1 KKG, wonach das Gespräch mit den Betroffenen gesucht werden soll, verfassungskonform auszulegen und könne gerade keine grundsätzliche Verpflichtung begründen, sondern sei als unverbindlicher Appell zu verstehen.25 Kritisch wird auch bemerkt, dass der Bundesgesetzgeber das Verhältnis des KKG zu ähnlichen landesrechtlichen Regelungen nicht ausdrücklich geregelt habe. Einige landesrechtliche Regelungen sehen eine Mitteilungspflicht26 (und nicht nur eine Mitteilungsbefugnis) vor. Vom Bundesrat wurde im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens eine Öffnungsklausel („Weitergehendes Landesrecht bleibt unberührt.“) angeregt, die von der Bundesregierung aber nicht aufgegriffen wurde. Die gegenwärtige Rechtslage in den Ländern, so argumentierte die Bundesregierung, führe zu Unsicherheiten , insbesondere bei der Ärzteschaft. Zudem hätten viele Kinderschutz-Fälle länderübergreifende Auswirkungen. Eine Öffnungsklausel zugunsten weitergehenden Länderrechts würde daher den Kinderschutz nicht verbessern.27 Nach Artikel 31 GG bricht Bundesrecht Landesrecht . Artikel 31 GG ist heranzuziehen, wenn beide Regelungen denselben Gegenstand und Zweck haben, aber verschiedene Rechtsfolgen anordnen.28 Im Fall des § 4 Abs. 3 KKG im Verhältnis zu landesrechtlichen Regelungen sei die Anwendbarkeit des Artikels 31 GG aber nicht eindeutig, da bei einer Mitteilungspflicht auf der einen Seite und einer Mitteilungsbefugnis auf 24 Eine Sollvorschrift begründet nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts eine Verpflichtung im Regelfall , von der nur in atypischen Ausnahmefällen abgewichen werden darf. 25 So Wapler in: Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 5. Auflage 2015, § 4 KKG Rn. 15; Mörsberger, Thomas/Wapler Friederike, Das Bundeskinderschutzgesetz und der Datenschutz in: Zeitschrift Familie, Partnerschaft , Recht (FPR) 2012 S. 437 (439); Kunkel/Kemper in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Auflage 2018, Anhang zu § 61 SGB VIII, § 4 KKG Rn. 1 und 6. Anderer Ansicht (die Sollvorschrift sei voll anwendbar, da dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zustehe): Meysen in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 8. Auflage 2019, Anhang § 8b – KKG, § 4 KKG Rn. 95 und 98. So auch der Gesetzgeber, siehe Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG), Bundestags-Drucksache 17/6256 vom 22. Juni 2011, S. 19. 26 So zum Beispiel Bayern und Sachsen-Anhalt, vgl. Artikel 14 Abs. 6 Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz Bayern (GDVG), abrufbar unter: http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayGDVG-14 sowie § 6 Abs. 2 Gesetz zum Schutz des Kindeswohls und zur Förderung der Kindergesundheit (Kinderschutzgesetz) Sachsen-Anhalt, abrufbar unter: http://www.landesrecht.sachsen-anhalt.de/jportal/portal/t/mu2/page/bssahprod .psml/action/portlets.jw.MainAction;jsessionid =2A0E990C81B7F7A10E572ECD856C60CF.jp26?p1=6&eventSubmit_doNavigate=searchInSubtree- TOC&showdoccase=1&doc.hl=0&doc.id=jlr-KiSchutzGST2009pP6&doc.part=S&toc.poskey=#focuspoint. 27 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG), Bundestags-Drucksache 17/6256 vom 22. Juni 2011, Anlage 3 Stellungnahme des Bundesrates, S. 38 und S. 48, , abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/dip21/btd/17/062/1706256.pdf. 28 Hellermann in: BeckOnline Kommentar GG, 40. Edition mit Stand 15. Februar 2019, Artikel 31 Rn. 13. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 10 der anderen Seite die Identität der Regelungen in Bezug auf den Gegenstand und den Zweck fraglich sei.29 Empfohlen wird daher das Verhältnis des KKG zu landesrechtlichen Regelungen explizit zu regeln. Den Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern werden in § 4 Abs. 2 und 3 KKG datenschutzrechtliche Befugnisse gewährt. Empfohlen wird daher eine Einordnung des § 4 KKG in das System des allgemeinen Daten- bzw. Sozialdatenschutzes mit Anknüpfung an die Funktion oder Tätigkeit, bei der die Daten anfallen, statt an den beruflichen Status anzuknüpfen: „Der Gesetzgeber hätte sich beispielsweise an § 65 SGB VIII orientieren können, der alle Sozialdaten erfasst, die ‚zum Zweck persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind‘. Eine solche funktionsspezifische Regelung hätte die Diskussion über den Ein- und Ausschluss bestimmter Berufsgruppen überflüssig gemacht und würde es zudem erleichtern, § 4 KKG in das System des allgemeinen Datenschutzes bzw. des Sozialdatenschutzes nach §§ 67 a ff. SGB X einzuordnen .“30 Teilweise wird auch die Ansiedlung der Norm im StGB z. B. als weiterer Abs. des § 203 StGB angeregt, um die Bedeutung dieser Vorschrift zu betonen, die im eigens geschaffenen KKG kaum zur Kenntnis genommen werde.31 Des weiteren wird gefordert, auch andere, bisher nicht berücksichtigte Personengruppen in das KKG aufzunehmen, die beruflich engen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben – etwa Heilpädagogen oder Geistliche. In diesem Zusammenhang wird auch kritisch bemerkt, dass § 4 KKG 29 So Mörsberger, Thomas/Wapler Friederike, Das Bundeskinderschutzgesetz und der Datenschutz in: Zeitschrift Familie, Partnerschaft, Recht (FPR) 2012 S. 437 (439). Ebenso kritisch zur Frage der Geltung bzw. Nichtgeltung von Landesrecht: Kunkel/Kemper in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Auflage 2018, Anhang zu § 61 SGB VIII, § 4 KKG Rn. 14. Nach anderer Ansicht ist Artikel 31 GG voll anwendbar. § 4 KKG gehe für den spezifischen Bereich der Kindeswohlgefährdung vor; so Meysen in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 8. Auflage 2019, Anhang § 8b – KKG, § 4 KKG Rn. 84 und 91; Streichsbier in: Schlegel /Voelzke, JurisPraxiskommentar, SGB VIII, 2. Auflage 2018, § 4 KKG Rn. 5; Meysen, Thomas/Eschelbach, Diana, Das neue Bundeskinderschutzgesetz, 2012, Kapitel 3 Rn. 64 ff. Zur Thematik siehe auch die Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages: Zur Frage einer ärztlichen Meldepflicht bei Verdacht auf Kindesmisshandlung, Sachstand, WD 9 – 3000 – 027/15 vom 3. Juni 2015, Anlage. 30 Mörsberger, Thomas/Wapler Friederike, Das Bundeskinderschutzgesetz und der Datenschutz in: Zeitschrift Familie , Partnerschaft, Recht (FPR) 2012 S. 437 (439); siehe auch Wapler in: : Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe , 5. Auflage 2015, § 4 KKG Rn. 5; Streichsbier in: Schlegel/Voelzke, JurisPraxiskommentar, SGB VIII, 2. Auflage 2018, § 4 KKG Rn. 10. 31 Czerner, Frank, Optimierung des staatlichen Schutzauftrages bei vermuteter Kindeswohlgefährdung durch die Novellierungsgesetze vom KICK (1. Oktober 2005) bis zum BKiSchG (1. Januar 2012) in Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ), 2012, S. 301 (305). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 11 wegen der abschließenden Aufzählung auch nicht für Hilfsberufe wie Arzthelfer und Praktikanten gelte.32 Zudem sollte der Begriff der Personensorgeberechtigten durch den Begriff der Erziehungsberechtigten ersetzt werden, da nur so die Personen umfasst seien, die für ein Kind oder einen Jugendlichen tatsächlich sorgten.33 Wie bereits im Rahmen der öffentlichen Anhörung angesprochen, wird auch in der Fachliteratur das Fehlen einer gesetzlichen Definition der „gewichtigen Anhaltspunkte für die Gefährdung eines Kindes oder Jugendlichen“ in § 4 KKG beanstandet, da dies gerade für Berufsgeheimnisträger außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe nicht einfach zu konkretisieren sei. Zwar lege der Wortlaut, der auch beim Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung durch das Jugendamt Anwendung finde, nahe, sich an § 8a SGB VIII34 zu orientieren. Es sei aber nicht zwingend, für alle in § 4 KKG aufgeführten Personengruppen die Sicht der Kinder- und Jugendhilfe zugrunde zu legen .35 Zu der in § 4 Abs. 3 KKG normierten Voraussetzung für die Mitteilungsbefugnis – Gefahrabwendung nach § 4 Abs. 1 KKG scheidet aus oder ist erfolglos – werden Bedenken geäußert, da die Einschaltung des Jugendamtes davon abhängig gemacht werde, dass die Berufsgeheimnisträger zunächst selbst tätig werden: „Diese Delegation des Schutzauftrags ist mit Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG nur schwerlich zu vereinbaren. Es erscheint paradox, dass die in Abs. 1 genannten Personen 32 Kunkel/Kemper in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Auflage 2018, Anhang zu § 61 SGB VIII, § 4 KKG Rn. 1 und 4; Rixen Stephan, Zwischen den Stühlen: Die Inpflichtnahme von „Berufsgeheimnisträgern“ durch das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) in: Sozialrecht aktuell 2012, S. 221 (224 f.). Anderer Auffassung insofern, als dass auch Hilfskräfte mittelbar umfasst seien, ist Meysen in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 8. Auflage 2019, Anhang § 8b – KKG, § 4 KKG Rn. 86. 33 Nach § 7 Abs. 1 Nummer 6 SGB VIII ist Erziehungsberechtigter, der Personensorgeberechtigte und jede sonstige Person über 18 Jahre, soweit sie auf Grund einer Vereinbarung mit dem Personensorgeberechtigten nicht nur vorübergehend und nicht nur für einzelne Verrichtungen Aufgaben der Personensorge wahrnimmt. Vgl. Meysen in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 8. Auflage 2019, Anhang § 8b – KKG, § 4 KKG Rn. 96; ; Meysen, Thomas/Eschelbach, Diana, Das neue Bundeskinderschutzgesetz, 2012, Kapitel 3 Rn. 80. 34 § 8a SGB VIII knüpft mit dem Begriff Kindeswohl an die Norm des § 1666 BGB an, der die Eingriffsschwelle des Staates in das Elternrecht markiert, wobei hier Voraussetzung ist, dass die Eltern unwillig oder unfähig sind, die Gefahr abzuwenden. In Bezug auf den Begriff Kindeswohl siehe Meysen, Thomas/Eschelbach, Diana, Das neue Bundeskinderschutzgesetz, 2012, Kapitel 3 Rn. 71: „Unter ‚gewichtigen Anhaltspunkten‘ werden konkrete Hinweise oder ernst zu nehmende Vermutungen für eine Gefährdung verständen.“ Die Hinweise müssten von gewissem Gewicht sein. 35 So Mörsberger, Thomas/Wapler Friederike, Das Bundeskinderschutzgesetz und der Datenschutz in: Zeitschrift Familie, Partnerschaft, Recht (FPR) 2012 S. 437 (439). Anderer Ansicht: Meysen, Thomas/Eschelbach, Diana, Das neue Bundeskinderschutzgesetz, 2012, Kapitel 3 Rn. 71; Meysen in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 8. Auflage 2019, Anhang § 8b – KKG, § 4 KKG Rn.92: „ Die gesetzliche Setzung eines einheitlichen Begriffs gibt die Möglichkeit, sich in den Arbeitskreisen über das jeweilige Begriffsverständnis und die jeweiligen fachlichen Zugänge auszutauschen und damit sowohl das Wissen als auch die Handlungssicherheit zu erhöhen.“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 12 nicht befugt sein sollen, das JA [Jugendamt; Anmerkung des Verf.] einzuschalten, wenn sie ihre eigene fachliche Kompetenz überschritten sehen.“36 Eingewandt wird in der Literatur wie in der öffentlichen Anhörung, dass eine Pflicht zur Informationsweitergabe für den Schutz von Kindern besser geeignet gewesen wäre als eine bloße Ermächtigung .37 Schließlich werden weitere Probleme aus der Praxis thematisiert, zum Beispiel fehlende Informationen zum Beratungsanspruch oder zu bestehenden Hilfs- und Versorgungsangeboten bis hin zu Schwierigkeiten beim Auffinden einer erfahrenen Fachkraft. Empfohlen wird, Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger im Rahmen von Fortbildungen für Gefährdungen des Kindeswohls zu sensibilisieren und zur Inanspruchnahme des Beratungsangebots durch erfahrene Fachkräfte anzuregen. Dabei seien bereits etablierte Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten wie z. B. Kinderschutzgruppen an Kliniken einzubinden.38 5. Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes Das Bundeskabinett hat am 16. Dezember 2015 den Bericht zur Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes beschlossen. Dieser Bericht geht zurück auf Artikel 4 BKiSchG, wonach die Bundesregierung verpflichtet wurde, die Wirkungen des BKiSchG unter Beteiligung der Länder zu untersuchen und dem Deutschen Bundestag bis zum 31. Dezember 2015 über die Ergebnisse dieser Untersuchung zu berichten. Zur Erfüllung des Untersuchungsauftrags hat das BMFSFJ unterschiedliche wissenschaftliche Forschungsvorhaben beauftragt, um wissenschaftliche Grundlagen zu Auswirkungen und Umsetzung des BKiSchG zu erhalten. Im Ergebnis zeigt die Evaluation, dass die Möglichkeit zur Datenübermittlung überwiegend positiv bewertet wird. Der Bericht sollte als Grundlage für weitere gesetzgeberische Verbesserungen im Kinderschutz dienen.39 Danach besteht im Hinblick auf § 4 Abs. 3 KKG folgender Verbesserungsbedarf: 36 Kunkel/Kemper in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Auflage 2018, Anhang zu § 61 SGB VIII, § 4 KKG Rn. 12. 37 Fieseler, Gerhard, Das neue Bundeskinderschutzgesetz – Das Gesetz zur Kooperation und Information zum Jugendschutz (KKG) in Jugendhilfe 2012, S. 287 ff. (290). Laut Bericht über die Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes fordern Bayern, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern ebenso die Einführung einer Handlungspflicht für Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger. Siehe hierzu Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht über die Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes , Bundestags-Drucksache 18/7100, S. 57, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/doc/btd/18/071/1807100.pdf. 38 Bertsch, Bianca/Ziegenhain, Ute/Künster, Anne, Die Beratung von Berufsgeheimnisträgern des Gesundheitswesens nach § 4 KKG in: Das Jugendamt (JAmt) 2016 S. 54. Allerdings weisen die Verfasserinnen darauf hin, dass die von ihnen durchgeführten Befragungen nicht repräsentativ sind. 39 BMFSFJ, Bericht der Bundesregierung - Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes, Mitteilung vom 20. Mai 2016, https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/bericht-der-bundesregierung---evaluation-des-bundeskinderschutzgesetzes /96262. Kritisch zum Evaluationsbericht der Bundesregierung auch in Bezug auf § 4 KKG: Scheiwe, Kirsten, Thesen zur Gesetzesevaluation des Bundeskinderschutzgesetzes, Kommentar zu Mike Seckinger in: Zeitschrift für Rechtssoziologie (ZfRSoz) 2018, 38(1): 99 (104). Die Evaluation wird an dem Punkt als zu knapp bewertet, da die messbare Wirkung sehr stark nach dem Bekanntheitsgrad des § 4 KKG beurteilt werde. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 13 Die Befugnisnorm nach § 4 Abs. 3 KKG muss klarer und verständlicher formuliert werden , um zu einer besseren Praxistauglichkeit zu kommen. Ärztinnen und Ärzte, die dem Jugendamt in Verdachtsfällen Daten übermitteln, wollen ein Feedback, wie es mit dem Kind weitergeht.40 6. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen 6.1. Änderungsentwurf zu § 4 KKG Am 29. Juni 2017 verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG), womit auch § 4 KKG entsprechend der Ergebnisse der Evaluation novelliert werden sollte. 41 Der Bundesrat hat jedoch dieses zustimmungsbedürftige Gesetz am 22. September 2017 wiederholt von der Tagesordnung genommen, so dass es bisher nicht in Kraft treten konnte.42 Dennoch beabsichtigt die Große Koalition, „das Kinder - und Jugendhilferecht auf Basis des in der letzten Legislaturperiode beschlossenen Kinderund Jugendstärkungsgesetzes“ weiterzuentwickeln.43 Auch wird die Bundesregierung in einem aktuellen Antrag der Regierungsfraktionen – ausgehend vom KJSG als wichtige Vorarbeit – aufgefordert , in dieser Legislaturperiode einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der den Kinderschutz und die Kooperation weiterentwickeln soll.44 Der Antrag wurde am 21. Februar 2019 vom Bundestag angenommen.45 Daneben fordert die Linke. in einem Antrag, der zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen wurde, u. a. den Kinderschutz präventiv zu stärken und den Datenschutz zu achten.46 40 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht über die Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes, Bundestags -Drucksache 18/7100, S. 4, 56, 57, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/doc/btd/18/071/1807100.pdf. 41 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder - und Jugendstärkungsgesetz – KJSG), Bundestags-Drucksache 18/12330 vom 15. Mai 2017, S. 70 ff., abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/123/1812330.pdf. (Wortlaut von § 4 KKG-E im Anhang). 42 960. Sitzung des Bundesrates, 22. September 207, abrufbar unter: https://www.bundesrat.de/Shared- Docs/TO/960/tagesordnung-960.html?nn=4732016#top-6. 43 Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dynamik für Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, S. 21, abrufbar unter: https://www.bundesregierung .de/resource/blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag -data.pdf?download=1. 44 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Kinder- und Jugendhilfe weiterentwickeln, Perspektive der Betroffenen und Beteiligten mit einbeziehen, Bundestags-Drucksache 19/7904 vom 19. Februar 2019, S. 2 und 3, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/079/1907904.pdf. 45 83. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, dem 21. Februar 2019, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/amtlicheprotokolle/ap19083-597830. 46 Antrag des Abgeordneten Norbert Müller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke., Kinder- und Jugendhilfe -Reform vom Kopf auf die Füße stellen, Bundestags-Drucksache 19/7909 vom 19. Februar 2019, S. 3, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/079/1907909.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 14 Laut Gesetzesbegründung zum KJSG soll die Neufassung des § 4 KKG die Offenbarungsrechte der Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger klarer betonen und systematisch rechtssicher ausgestalten. Neu geschaffen werden soll eine Rückmeldung über den weiteren Fortgang des Verfahrens an die Ärztinnen und Ärzte und an andere Personen, die in einem Heilberuf tätig sind. Damit sollen die betroffenen Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger einschätzen können, ob die aus ihrer Sicht bestehende Gefährdungssituation für das Kind oder den Jugendlichen noch fortbesteht oder beendet ist. Ebenfalls neu vorgesehen ist eine Ausweitung der Norm z. B. auf Beschäftigte der Sozialversicherungsträger und Jobcenter. Durch diese Befugnis soll der „möglichst lückenlose Schutz von Kindern und Jugendlichen“ befördert werden. 6.2. Kritische Stellungnahmen Diese Neustrukturierung des § 4 KKG wurde im Rahmen der öffentlichen Anhörung am 19. Juni 2017 zum Thema "Stärkung von Kindern und Jugendlichen" im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend diskutiert.47 Als eine zu begrüßende „Klarstellung“ bewertet wurden die vorgesehenen Änderungen von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. (dgkjp) und der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände .48 Der Sachverständige Rechtsanwalt Thomas Mörsberger lehnte § 4 KKG-E in Gänze ab; er befürchtete eine Aufweichung der Schweigepflicht sowie eine Abkehr vom Zugang zu den Betroffenen: „Eine ‚Perfektionierung‘ von technischen Meldesystemen mag bei politischen Führungskräften ein Gefühl der Absicherung gegenüber immer wieder passierenden dramatischen Einzelfällen schaffen, mindert aber auch die innere Nähe der Professionellen zum Geschehen und zu den Betroffenen , ganz abgesehen von der verheerenden Wirkung im Bild der Öffentlichkeit, wenn sich Hilfesysteme dort mehr und mehr – in bester Absicht – als Quasi-Strafinstanzen darstellen.“49 Die Diakonie Deutschland erachtete allein die nach § 4 Abs. 4 KKG-E vorgesehene Rückmeldepflicht als sinnvoll, nicht aber die Änderung der bisherigen Abfolge des Verfahrens angefangen vom Gespräch mit den Betroffenen bis hin zur Inanspruchnahme von Beratung und schließlich Weiterleitung von Informationen. Die Fokussierung auf die Weitergabe von Informationen mache den derzeit dargestellten fachlich gebotenen Ablauf beim Umgang mit Kindeswohlgefährdungen 47 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Öffentliche Anhörung am 19. Juni 2017 zum Thema "Stärkung von Kindern und Jugendlichen", abrufbar unter: https://www.bundestag.de/ausschuesse/ausschuesse 18/a13/anhoerungen/anhoerung-inhalt-508862. 48 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. (dgkjp), Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG), S. 3, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/510688/f47a98e0d05c68bb2fadcb8395920623/18- 13-123j_Fegert-data.pdf sowie der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages zum Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG (BT-Drs. 18/12330), S. 9, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/510478/9ac548f9c894fe6cfe4596eb0a22a0eb/18-13-123c_komm--Spitzenverbaende-data.pdf 49 Mörsberger, Thomas, Rechtsanwalt, Zum Regierungs-Entwurf eines Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) im Juni 2017, S. 37, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/510476/abc8660c8a9ffdab8151a57a0a599b1e/18-13-123f_Moersberger-data.pdf. Zu der Thematik ausführlich Mörsberger, Thomas, Was passiert da mit der ärztlichen Schweigepflicht? In: ZKJ 2018, S. 94 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 15 unkenntlich.50 Ähnlich äußerte sich auch der Sachverständige Wiesner. Der Kinderschutz würde so verschlechtert, nicht verbessert.51 Auch in der Literatur wird die Fokussierung auf die Weitergabe von Informationen kritisch gesehen . Zu befürchten sei, dass das Gespräch mit den Betroffenen nicht mehr gesucht werde. Die geplante Rückmeldung durch das Jugendamt wirke dem Vertrauensverhältnis zwischen Jugendamt und betroffenen Kindern bzw. Jugendlichen und Eltern entgegen. Ferner bestehe die Gefahr von Konflikten, wenn nach Einschätzung des Jugendamtes keine Gefährdung vorliege.52 Angeregt wird zudem in Bezug auf § 4 KKG, zielgerichtet fortzubilden oder disziplinäre Prozesse in Gang zu setzen anstatt das Gesetz neu zu fassen.53 *** Anhang I. Wortlaut von § 8a SGB VIII: (1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte einzuschätzen. Soweit der wirksame Schutz dieses Kindes oder dieses Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird, hat das Jugendamt die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder den Jugendlichen in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen und, sofern dies nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist, sich dabei einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind und von seiner persönlichen Umgebung zu verschaffen. Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den Erziehungsberechtigten anzubieten. (2) Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr 50 Diakonie Deutschland, Evangelischer Bundesverband, Stellungnahme der Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG), S. 9 und 10, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/510184/e4938e875cea8d6ae0016a72c0921cf9/18-13-123a_Diakonie-data.pdf. 51 Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner, Freie Universität Berlin, Arbeitsbereich Sozialpädagogik, Öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen am 19. Juni 2017, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/510474/74193c3d9bee533e8d2e8ada7c3c9bcf/18-13-123e_Wiesnerdata .pdf 52 Radewagen, Christof, Geplante Datenweitergabe durch das Jugendamt an Ärzte, Lehrer und andere Berufsgeheimnisträger in § 4 KKG – eine Gefahr für den Kinderschutz?! in: JAmt 2017 S. 278 ff. 53 Seckinger, Mike, Gesetze als komplexe Intervention und mögliche Folgen für Gesetzesevaluationen am Beispiel des Bundeskinderschutzgesetzes in: ZfRSoz 2018, S. 69 (93). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 16 und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet , das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen. (3) Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger, der Einrichtungen der Gesundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, hat das Jugendamt auf die Inanspruchnahme durch die Erziehungsberechtigten hinzuwirken. Ist ein sofortiges Tätigwerden erforderlich und wirken die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht mit, so schaltet das Jugendamt die anderen zur Abwendung der Gefährdung zuständigen Stellen selbst ein. (4) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist sicherzustellen, dass 1. deren Fachkräfte bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung eines von ihnen betreuten Kindes oder Jugendlichen eine Gefährdungseinschätzung vornehmen, 2. bei der Gefährdungseinschätzung eine insoweit erfahrene Fachkraft beratend hinzugezogen wird sowie 3. die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche in die Gefährdungseinschätzung einbezogen werden, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. In die Vereinbarung ist neben den Kriterien für die Qualifikation der beratend hinzuzuziehenden insoweit erfahrenen Fachkraft insbesondere die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte der Träger bei den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten, und das Jugendamt informieren, falls die Gefährdung nicht anders abgewendet werden kann. (5) Werden einem örtlichen Träger gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, so sind dem für die Gewährung von Leistungen zuständigen örtlichen Träger die Daten mitzuteilen, deren Kenntnis zur Wahrnehmung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung nach § 8a erforderlich ist. Die Mitteilung soll im Rahmen eines Gespräches zwischen den Fachkräften der beiden örtlichen Träger erfolgen, an dem die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche beteiligt werden sollen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. II. Wortlaut von § 4 KKG: 1) Werden 1. Ärztinnen oder Ärzten, Hebammen oder Entbindungspflegern oder Angehörigen eines anderen Heilberufes, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, 2. Berufspsychologinnen oder -psychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung, 3. Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberaterinnen oder -beratern sowie 4. Beraterinnen oder Beratern für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist, Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 17 5. Mitgliedern oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, 6. staatlich anerkannten Sozialarbeiterinnen oder -arbeitern oder staatlich anerkannten Sozialpädagoginnen oder -pädagogen oder 7. Lehrerinnen oder Lehrern an öffentlichen und an staatlich anerkannten privaten Schulen in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, so sollen sie mit dem Kind oder Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten die Situation erörtern und, soweit erforderlich, bei den Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. (2) Die Personen nach Abs. 1 haben zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft . Sie sind zu diesem Zweck befugt, dieser Person die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln ; vor einer Übermittlung der Daten sind diese zu pseudonymisieren. (3) Scheidet eine Abwendung der Gefährdung nach Abs. 1 aus oder ist ein Vorgehen nach Abs. 1 erfolglos und halten die in Abs. 1 genannten Personen ein Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich , um eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen abzuwenden, so sind sie befugt, das Jugendamt zu informieren; hierauf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen in Frage gestellt wird. Zu diesem Zweck sind die Personen nach Satz 1 befugt, dem Jugendamt die erforderlichen Daten mitzuteilen. III. Wortlaut von § 4 KKG im Entwurf (KKG-E):54 (1) Werden den folgenden Personen in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, so sind sie befugt, das Jugendamt zu informieren und ihm die zur Abwendung der Gefährdung erforderlichen Daten mitzuteilen, soweit sie dies zur Abwendung der Gefährdung für erforderlich halten: 1. Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und Entbindungspfleger und Angehörige eines anderen Heilberufes, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, 2. Berufspsychologinnen und -psychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung, 3. Ehe-, Familien-, Erziehungs- und Jugendberaterinnen und -berater, 54 Der Bundesrat hatte am 14. Juni 2017 Stellung zu § 4 KKG-E genommen, wonach in § 4 Abs. 4-E KKG nach der Angabe „Abs. 1 Satz 1 Nummer 1“ die Angabe „und Nummer 7“ einzufügen sei. Dies hat die Bundesregierung nicht unterstütz. Zu den Einzelheiten siehe Unterrichtung durch die Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG), Bundestags-Drucksache 18/12330 Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung, Bundestags-Drucksache 18/12730 vom 14. Juni 2017, S. 12, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/127/1812730.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 027/19 Seite 18 4. Beraterinnen und Berater für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist, 5. Mitglieder und Beauftragte einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, 6. staatlich anerkannte Sozialarbeiterinnen und -arbeiter oder staatlich anerkannte Sozialpädagoginnen und -pädagogen und 7. Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen und an staatlich anerkannten privaten Schulen. Hierauf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen in Frage gestellt wird. (2) Bei der Einschätzung der Erforderlichkeit des Tätigwerdens des Jugendamtes berücksichtigen die Personen nach Abs. 1, ob die Gefährdung anders, insbesondere durch Erörterung der Situation mit dem Kind oder Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten und ein Hinwirken auf die Inanspruchnahme erforderlicher öffentlicher Hilfen bei den Personensorgeberechtigten abgewendet werden kann, soweit dadurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. (3) Die Personen nach Abs. 1 haben zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft . Sie sind zu diesem Zweck befugt, dieser Fachkraft die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln . Die Daten sind vor der Übermittlung zu pseudonymisieren. (4) Wird das Jugendamt von einer in Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Person informiert, soll es dieser Person zeitnah eine Rückmeldung geben, ob es die gewichtigen Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls des Kindes oder Jugendlichen bestätigt sieht und ob es zum Schutz des Kindes oder Jugendlichen tätig geworden ist und noch tätig ist. (5) Die Absätze 1 und 3 gelten entsprechend für nicht in Abs. 1 genannte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Stellen, die dem Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch unterliegen.