© 2021 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 026/21 Bekämpfung von Einsamkeit in Großbritannien Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 026/21 Seite 2 Bekämpfung von Einsamkeit in Großbritannien Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 026/21 Abschluss der Arbeit: 9. März 2021 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 026/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Einführung einer nationalen Strategie zur Bekämpfung von Einsamkeit 4 3. Ausgewählte Maßnahmen zur Bekämpfung von Einsamkeit 6 3.1. Einführung eines einheitlichen nationalen Bewertungssystems 7 3.2. Finanzielle Förderung von Studien zum Thema Einsamkeit 7 3.3. Finanzielle Förderung von Projekten zur Einsamkeitsbekämpfung 9 3.4. Social Prescribing 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 026/21 Seite 4 1. Einleitung Im Hinblick auf die Bekämpfung von Einsamkeit gilt Großbritannien weltweit als Vorreiter. So war Großbritannien das erste Land, das im Jahr 2018 die Bekämpfung von Einsamkeit als nationale Aufgabe einstufte, hierzu eine nationale Strategie entwickelte und die Koordination entsprechender Maßnahmen in die Zuständigkeit eines Ministers legte. Einsamkeit wird aber auch in anderen Ländern zunehmend als gewichtiges gesellschaftliches Problem betrachtet – insbesondere vor dem Hintergrund der Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.1 Daher werden nachfolgend die wesentlichen Maßnahmen zur Einsamkeitsbekämpfung in Großbritannien dargestellt. Dabei ist von besonderem Interesse, ob und inwieweit die getroffenen Maßnahmen bereits Wirkung gezeigt und zu einer Verringerung der Einsamkeit beigetragen haben; allerdings ist eine entsprechende Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt kaum möglich. So liegen im Hinblick auf den überwiegenden Teil der Maßnahmen derzeit noch keine evaluierenden Studien vor; sofern bezogen auf einzelne Maßnahmen entsprechende Erkenntnisse bereits vorliegen, werden diese nachfolgend kurz dargestellt. Die Corona-Pandemie hat weltweit und damit auch in Großbritannien zu zusätzlichen Herausforderungen bei der Bekämpfung von Einsamkeit geführt. So haben die getroffenen Kontaktbeschränkungen ersten Umfragen zufolge auch in Großbritannien zu einem Anstieg der Einsamkeit geführt.2 Es ist anzunehmen, dass durch die bis zu diesem Zeitpunkt getroffenen Maßnahmen und Projekte zur Einsamkeitsbekämpfung ggf. bereits erzielten Erfolge zumindest beeinträchtigt wurden. Auch ist davon auszugehen, dass die Durchführung bestimmter geplanter Projekte zur Einsamkeitsbekämpfung aufgrund der Maßnahmen zumindest erschwert, wenn nicht gar unmöglich wurde. Unabhängig davon hat die britische Regierung während der Pandemie ihre Bemühungen zur Bekämpfung der Einsamkeit verstärkt und diesbezüglich weitere Maßnahmen getroffen ; entsprechende Hinweise sind ebenfalls Bestandteil der nachfolgenden Darstellung. Dem vorangestellt werden allgemeine Erläuterungen zur Einführung und zu den Inhalten der nationalen Strategie zur Bekämpfung von Einsamkeit in Großbritannien. 2. Einführung einer nationalen Strategie zur Bekämpfung von Einsamkeit Die Einführung einer nationalen Strategie zur Einsamkeitsbekämpfung in Großbritannien ist auf die Arbeit der Jo-Cox-Einsamkeitskommission (Jo Cox Commission on Loneliness) zurückzuführen . Diese Kommission wurde nach der britischen Abgeordneten Jo Cox benannt, die sich aufgrund der hohen Anzahl Betroffener und der negativen Auswirkungen für den Einzelnen und die Gesellschaft dafür einsetzte, dem Thema Einsamkeit und deren Bekämpfung eine größere Bedeutung beizumessen. Die Kommission wurde im Jahr 2016 eingesetzt und schloss ihre einjährige 1 Vergleiche hierzu: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (2021), Studien zur Verbreitung von Einsamkeit in Deutschland und Europa, Ausarbeitung vom 9. März 2021, WD 9-010/21. 2 Zu diesem Ergebnis kam z. B. eine Umfrage unter 2.000 britischen Erwachsenen zum Einsamkeitsempfinden während des ersten Lockdowns im Jahr 2020. Danach gaben 20 Prozent der Befragten an, einsamer zu sein. Vergleiche hierzu Presseartikel vom 30. Juni 2020, abrufbar unter: Lockdown has left a quarter of adults thinking they have no real friends, study finds | The Independent | The Independent sowie vom 20. Juli 2020, abrufbar unter Einsamkeit durch Lockdown: Erwachsene fühlen sich einsam | STERN.de. Dieser und alle folgenden Links zuletzt abgerufen am 9.März 2021. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 026/21 Seite 5 Arbeit mit einem Abschlussbericht3 ab. Darin formulierte sie verschiedene Empfehlungen an die Regierung Großbritanniens zur Bekämpfung der Einsamkeit. So empfahl sie u. a. die Erarbeitung einer nationalen Strategie zur Einsamkeitsbekämpfung. Die Maßnahmen zur Bekämpfung von Einsamkeit sollten nach Auffassung der Kommission auf nationaler Ebene koordiniert werden; hierzu wurde die Bestimmung eines zuständigen und damit federführenden Ministers empfohlen . Darüber hinaus wurde von der Kommission angeregt, Initiativen zur Bekämpfung von Einsamkeit finanziell zu fördern und einen jährlichen Bericht zu den im Rahmen der nationalen Strategie zur Bekämpfung der Einsamkeit getroffenen Maßnahmen zu veröffentlichen. Die britische Regierung folgte den Empfehlungen der Kommission; die Bekämpfung der Einsamkeit wird somit seit dem Jahr 2018 in Großbritannien als nationale Aufgabe angesehen, in deren Erfüllung mehrere Ministerien einbezogen sind. Im Jahr 2018 wurde zunächst das Thema Einsamkeit auf ministerieller Ebene angesiedelt und Tracey Crouch mit der Koordinierung der nationalen Strategie zur Bekämpfung der Einsamkeit beauftragt. Anders als es zum Teil in der Presse den Anschein hatte, handelte es sich bei dieser Maßnahme nicht um die Schaffung eines separaten Einsamkeitsministeriums, sondern um eine Ausweitung des Portfolios für Sport und Zivilgesellschaft. Derzeit ist als Staatssekretärin für Sport und Zivilgesellschaft im Ministerium für Kultur, Digitales, Medien und Sport Baroness Barran für die Bekämpfung der Einsamkeit zuständig.4 Sie koordiniert damit auch eine interministerielle Arbeitsgruppe aus insgesamt neun Ministerien (Cross Government Ministerial Group on Loneliness). Diese wird unterstützt durch das ebenfalls im Jahr 2018 gebildete Strategieteam zur Bekämpfung von Einsamkeit, in dem ebenfalls Repräsentanten aus den beteiligten Ministerien vertreten sind. Aufgabe des Strategieteams war u. a. die Erarbeitung einer nationalen Strategie zur Einsamkeitsbekämpfung.5 Die Strategie zur Bekämpfung von Einsamkeit in Großbritannien wurde in Zusammenhang mit einer Vielzahl an verschiedenen Partnern und Organisationen erarbeitet. Hierfür wurden zunächst bereits vorhandene Studien und Erkenntnisse zum Thema zusammengetragen und ausgewertet . Auf dieser Grundlage und unter Mitwirkung fachkundiger Experten wurde anschließend die Strategie erstellt und wichtige Ziele und Vorhaben bei der Bekämpfung von Einsamkeit formuliert . Veröffentlicht wurde die nationale Strategie zur Bekämpfung der Einsamkeit in Großbritannien 6 am 15. Oktober 2018. Danach stellt der Ausbau der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Einsamkeit ein wesentliches Ziel der britischen Regierung bei der Bekämpfung der Einsamkeit dar. So soll die Einsamkeitsforschung bezogen auf die Verbreitung, die Ursachen und 3 Jo Cox Loneliness start a conversation (2017), Combatting loneliness one conversation at a time - A call to action , abrufbar unter: rb_dec17_jocox_commission_finalreport.pdf (ageuk.org.uk). 4 Vergleiche hierzu: https://www.gov.uk/government/ministers/parliamentary-under-secretary-of-state-for-sportand -civil-society. 5 Vergleiche hierzu Informationen der britischen Regierung, abrufbar unter: The Tackling Loneliness Strategy Team - Civil Service (blog.gov.uk). 6 Regierung Großbritannien (Hrsg.) (2018), A connected society: a strategy for tackling loneliness – Laying the foundations for change, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/publications/a-connected-society-astrategy -for-tackling-loneliness; zum Entstehen der Strategie vergleiche S. 14, zum aktuellen Stand der Wissenschaft zum Thema Einsamkeit vergleiche Kapitel 1, S. 18ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 026/21 Seite 6 die Auswirkungen von Einsamkeit sowie im Hinblick auf Maßnahmen zur Bekämpfung von Einsamkeit unterstützt werden. Ein weiterer wesentlicher Aspekt bei der Bekämpfung der Einsamkeit liegt bei der ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Darüber hinaus soll die öffentliche Aufmerksamkeit im Hinblick auf das Problem der Einsamkeit durch gezielte Kommunikationskampagnen gesteigert und das Thema dadurch entstigmatisiert werden.7 Zur Umsetzung der genannten Ziele wurde im Rahmen der nationalen Strategie zur Einsamkeitsbekämpfung eine Vielzahl an Maßnahmen vorgesehen. So sollen u. a. Mitarbeiter des Gesundheitssektors verstärkt im Hinblick auf die Erkennung und Verringerung von Einsamkeit geschult werden und das Angebot des sog. Social Prescribing8, bei dem von Einsamkeit betroffenen Personen die Teilnahme an Projekten zur Einsamkeitsbekämpfung ärztlich verschrieben werden kann, soll ausgebaut werden. Zur Ermittlung von Einsamkeit und zur besseren Vergleichbarkeit von Studienergebnissen sollen ein einheitlicher Maßstab entwickelt und dessen Anwendung gefördert werden. Darüber hinaus sollen wissenschaftliche Studien sowie Organisationen und Projekte , die sich der Bekämpfung von Einsamkeit widmen, finanziell gefördert werden. Über die Fortschritte und weiteren Ziele hinsichtlich der Einsamkeitsbekämpfung wird von der Regierung Großbritanniens jährlich ein Bericht veröffentlicht. Mittlerweile liegen die Berichte für die Jahre 20199 und 202010 vor. Die Berichte geben einen Überblick über die Bemühungen zur Reduzierung von Einsamkeit und stellen auch die Arbeit einzelner unterstützter Projekt dar, enthalten jedoch keine Evaluierung der getroffenen Maßnahmen. Zwar sieht die nationale Strategie zur Bekämpfung von Einsamkeit die Benennung eines unabhängigen Bewerters vor, der die Wirksamkeit der verschiedenen, getroffenen Maßnahmen evaluieren soll11, es liegen jedoch keine Informationen im Hinblick auf die Umsetzung dieses Vorhabens vor. Es ist nicht bekannt, ob mittlerweile eine bestimmte Person oder Institution mit dieser Aufgabe betraut wurde. 3. Ausgewählte Maßnahmen zur Bekämpfung von Einsamkeit Neben der finanziellen Förderung von Studien und Projekten zur Einsamkeitsbekämpfung sollte u. a. ein nationales Bewertungssystem zur Erfassung von Einsamkeit eingeführt werden. Zudem sollten Maßnahmen im Rahmen des sog. social prescribing ausgedehnt werden, wodurch eine 7 Vergleiche hierzu: Regierung Großbritannien (Hrsg.) (2018), A connected society: a strategy for tackling loneliness – Laying the foundations for change, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/publications/aconnected -society-a-strategy-for-tackling-loneliness, S. 7. 8 Ausführlicher hierzu: vergleiche Gliederungspunkt 3.4. 9 Loneliness Annual Report January 2020 vom 20. Januar 2020, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government /publications/loneliness-annual-report-the-first-year/loneliness-annual-report-january-2020--2. 10 Loneliness Annual Report January 2021 vom 22 Januar 2021, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government /publications/loneliness-annual-report-the-second-year/loneliness-annual-report-january-2021. 11 Vergleiche hierzu: Regierung Großbritannien (Hrsg.) (2018), A connected society: a strategy for tackling loneliness – Laying the foundations for change, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/publications/aconnected -society-a-strategy-for-tackling-loneliness, S. 60. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 026/21 Seite 7 größere Anzahl Betroffener Zugang zu Angeboten der Einsamkeitsbekämpfung erhalten sollten. Nachfolgend werden diese ausgewählten Maßnahmen kurz dargestellt. 3.1. Einführung eines einheitlichen nationalen Bewertungssystems Ein wesentliches Ziel der britischen Regierung im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Einsamkeit ist der Ausbau der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Einsamkeit. Hierzu sah die nationale Strategie zur Bekämpfung der Einsamkeit zunächst die Erstellung eines einheitlichen Maßstabs zur Ermittlung von Einsamkeit vor. Ausschlaggebend hierfür war der subjektive Charakter von Einsamkeit, durch den die Ermittlung und Messung von Einsamkeit anhand objektiver Daten kaum möglich ist, so dass Daten hierzu in der Regel im Rahmen von Befragungen erhoben werden (müssen).12 Durch diese Maßnahme sollte die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erhöht werden. Auch sollte darauf hingewirkt werden, dass das Bewertungssystem zukünftig bei der Konzipierung und Durchführung von Datenerhebungen zum Thema Einsamkeit Anwendung findet. Dementsprechend wurde im Jahr 2018 die sog. Richtlinie zu den nationalen Indikatoren bei der Bewertung von Einsamkeit vom statistischen Bundesamt Großbritanniens (Office for National Statistics – ONS13) veröffentlicht. Diese orientiert sich an der University of California Los Angeles (sog. UCLA-Skala), einer international anerkannten und häufig verwendeten Bewertungsskala zur Messung von Einsamkeit. 3.2. Finanzielle Förderung von Studien zum Thema Einsamkeit Ein Kernpunkt der nationalen Strategie zur Bekämpfung von Einsamkeit in Großbritannien ist der Ausbau des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zum Thema Einsamkeit. Neben der Einführung des einheitlichen Bewertungsmaßstabes wurde die Durchführung von Studien zu verschiedenen Aspekten von Einsamkeit gefördert. Hierzu zählen unter anderem die Auswirkungen von Einsamkeit sowohl auf individueller Ebene als auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Zu letzterem Aspekt wurde im Juni 2020 von der britischen Regierung der sog. Report zur Monetarisierung der Einsamkeit14 veröffentlicht. Im Rahmen der Studie sollten die aufgrund von Einsamkeit entstehenden Kosten monetär bewertet werden. In die Berechnung der Einsamkeitskosten flossen dabei drei verschiedene Faktoren ein, die durch Einsamkeit negativ beeinflusst werden . So wurden die Kosten im Zusammenhang mit einer Verringerung des subjektiven Wohlbefindens , für gesundheitliche Folgen von Einsamkeit sowie die monetären Auswirkungen von Ein- 12 Ausführlicher dazu: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (2021), Studien zur Verbreitung von Einsamkeit in Deutschland und Europa, Ausarbeitung vom 9. März 2021, WD 9-010/21. 13 ONS (Hrsg.) (2018), Recommended national indicators of loneliness Overview of our recommendations for national measures of loneliness, abrufbar unter: Recommended national indicators of loneliness - Office for National Statistics (ons.gov.uk). 14 Peytrignet, Sebastien (u. a.) (2020), Loneliness monetisation report – Analysis for the Department for Digital, Culture, Media & Sport, 17. Juni 2020, abrufbar unter: https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads /system/uploads/attachment_data/file/910789/Loneliness_monetisation_report.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 026/21 Seite 8 samkeit auf die Produktivität der Betroffenen ermittelt. Die Grundlage für die in die Berechnungen einbezogenen Daten bildeten verschiedene (Langzeit-)Erhebungen15 sowie volkswirtschaftliche Daten. Der Einfluss von Einsamkeit auf den jeweils betrachteten Faktor wurde dabei zunächst in Lebenszufriedenheitseinheiten (life satisfaction unit) ausgedrückt, bevor diese in Geldbeträge umgewandelt wurden. Für jeden der drei genannten Faktoren erfolgte dabei eine separate Berechnung; die ermittelten Kosten beziehen sich dabei jeweils pro Person pro Jahr. Die Berechnung erfolgte bezogen auf das Preisniveau des Jahres 2019.16 Im Hinblick auf die Kosten durch einsamkeitsbedingte Verringerung des Wohlbefindens wurden verschiedene Werte bezogen auf das Ausmaß der Einsamkeit17 ermittelt. Bei einem Anstieg der Häufigkeit der Einsamkeit von „fast nie“ auf „gelegentlich“ ermitteln die Autoren Kosten aufgrund eines durch die Einsamkeit verringerten Wohlbefindens der Betroffenen in Höhe von mindestens 9.537 britische Pfund pro Person und Jahr. Dieser Wert wird auch bei der Ermittlung des Gesamtwertes berücksichtigt. Je nach Anstieg der Häufigkeit der Einsamkeit wurden Werte zwischen 6.429 und 17.043 britischen Pfund ermittelt; die Einsamkeitskosten bei einem Wechsel zu oft/immer vorliegender Einsamkeit stiegen dabei überproportional an. Der von den Autoren ausgewählte Wert bei schwerer Einsamkeit entspricht somit dem Wert bei gelegentlicher Einsamkeit und stellt damit lediglich einen Mindestwert dar. Die tatsächlichen Kosten von Einsamkeit durch Verringerung des Wohlbefindens können demnach deutlich über dieser konservativen Schätzung liegen. Die beiden anderen berücksichtigten Faktoren Gesundheitskosten sowie Produktivitätskosten wurden jeweils in Bezug auf schwere Einsamkeit berechnet, da bei geringerer Einsamkeit nach Angabe der Autoren kein Einfluss derselben auf diese Faktoren nachgewiesen sei. Für die Ermittlung der Gesundheitskosten wurde eine Studie herangezogen, die die zusätzlichen Kosten aufgrund von Einsamkeit bei Personen im Alter ab 65 Jahren ermittelt hatte. Ausgehend davon, dass 15 Prozent der Personen, die oft einsam sind, 65 Jahre oder älter sind18, erfolgte die Umrechnung auf die Gesamtzahl der von Einsamkeit betroffenen Personen. Bei konservativer Schätzung ergaben sich daraus Gesundheitskosten in Höhe von 100 Pfund pro einsamer Person pro Jahr. Die Kosten durch Krankheitstage aufgrund von Depression, Herzerkrankungen und Schlaganfall, die auf Einsamkeit zurückzuführen sind, werden auf 21 Pfund pro Person und Jahr geschätzt. Ausgehend davon, dass lediglich 45 Prozent der einsamen Personen erwerbstätig sind, betragen die Kosten für Krankheitstage aufgrund von Einsamkeit neun Pfund pro Person und Jahr. Somit fallen insgesamt Gesundheitskosten in Höhe von 109 Pfund pro Person und Jahr an. Für die Ermittlung des monetären Einflusses von Einsamkeit auf die Produktivität wurde zunächst ermittelt, 15 Es wurden hierzu Daten aus zwei wichtigen (Langzeit-)Erhebungen – dem sog. Community Life Survey (CLS) sowie aus Understanding Society (Usoc) als Teil der UK Household Longitudinal Study – herangezogen; teilweise wurden für beide Datengrundlagen separate Berechnungen vorgenommen. 16 Peytrignet, Sebastien (u. a.) (2020), Loneliness monetisation report – Analysis for the Department for Digital, Culture, Media & Sport, 17. Juni 2020, abrufbar unter: https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads /system/uploads/attachment_data/file/910789/Loneliness_monetisation_report.pdf, S. 10. 17 Betrachtet wurde dabei ein Anstieg der Häufigkeit der Einsamkeit von „nie“ auf „so gut wie nie“, „so gut wie nie“ auf „gelegentlich“, von „gelegentlich“ auf „manchmal“ sowie von „manchmal“ auf „oft/immer“. 18 Dieser Wert wurde nach Angabe der Autoren in der neunten Erhebungswelle des Usoc ermittelt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 026/21 Seite 9 wie hoch der Einfluss von Einsamkeit auf die Arbeitszufriedenheit ist. Anschließend wurde betrachtet , in welchem Maß sich die Arbeitszufriedenheit auf die Produktivität auswirkt. Unter der Annahme, dass einsame Erwerbstätige 1,3 Prozent weniger produktiv sind als nicht einsame Erwerbstätige , ergibt sich bezogen auf das Jahr 2019 ein Produktivitätsverlust in Höhe von 730 Pfund pro Person und Jahr im Durchschnitt bezogen auf sämtliche Branchen. Bezogen auf den Anteil der erwerbstätigen einsamen Personen in Höhe von 45 Prozent ergeben sich damit Kosten in Höhe von 330 Pfund pro Jahr und Person. Die Gesamtkosten in Folge von schwerer Einsamkeit liegen damit bei der von den Autoren gewählten konservativen Schätzung bei mindestens 9.976 Pfund pro Person pro Jahr19. Zu beachten ist hierbei, dass der von den Autoren herangezogene Kostenanteil aufgrund eines verringerten Wohlbefindens in der Höhe dem Wert bei Vorliegen einer leichten Einsamkeit entspricht. Berücksichtigt man bei der Ermittlung des Gesamtwertes jedoch den Wert, der im Rahmen der Studie für den monetären Verlust aufgrund eines verringerten Wohlbefindens bei schwerer Einsamkeit ermittelt wurde, ergibt sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 17.482 Pfund pro Person pro Jahr20.21 3.3. Finanzielle Förderung von Projekten zur Einsamkeitsbekämpfung Im Rahmen der nationalen Strategie zur Bekämpfung der Einsamkeit in Großbritannien wurde auch die finanzielle Unterstützung von Organisationen und Initiativen, die sich der Einsamkeitsbekämpfung widmen, beschlossen. So wurde im Jahr 2018 der sog. Einsamkeitsfonds (Building Connections Fund) errichtet und mit 11,5 Millionen britische Pfund zur Unterstützung entsprechender wohltätiger, freiwilliger und kommunaler Organisationen ausgestattet. Aus diesem Fonds wurden insgesamt 126 Projekte zur Bekämpfung der Einsamkeit finanziell unterstützt; 22 19 Dieser Wert ergibt sich aus der Addition der Kosten in Höhe von 9.537 Pfund aufgrund der Verringerung des Wohlbefindens, 109 Pfund an Gesundheitskosten sowie 330 Pfund Produktivitätseinbußen. 20 Der Gesamtbetrag ergibt sich aus der Addition der Kosten in Höhe von 17.043 Pfund aufgrund der Verringerung des Wohlbefindens, 109 Pfund an Gesundheitskosten sowie 330 Pfund Produktivitätseinbußen. 21 Weitere Studie zu den Kosten durch Einsamkeit/verringertes Wohlbefinden aufgrund der Kontaktbeschränkungsmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Großbritannien mit Ermittlung eines täglichen Betrages, der jedem Erwachsenen als Ausgleich für die getroffenen Maßnahmen und deren Auswirkungen auf das Wohlbefinden zu zahlen wäre: Fujiwara, Daniel (u. a.) (2020), The Wellbeing Costs of Covid-19 in the UK – An Independent Research Report by Simetrica-Jacobs and the London School of Economics and Political Science , abrufbar unter: https://www.jacobs.com/sites/default/files/2020-05/jacobs-wellbeing-costs-of-covid-19- uk.pdf. Überblicksarbeit zu verschiedenen Studien zu Einsamkeitskosten: Mihalopoulos, Cathrine (u. a.) (2019), The economic costs of loneliness: a review of cost-of-illness and economic evaluation studies, in: Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology, 55, S. 823-836 (2020), abrufbar unter: https://link.springer.com/article /10.1007/s00127-019-01733-7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 026/21 Seite 10 der unterstützten Organisationen richten ihre Arbeit gezielt auf junge Menschen aus. Die einzelnen Projekte wurden mit Beträgen zwischen 30.000 und 100.000 Pfund unterstützt.22 Im Zuge der Corona-Pandemie wurden die finanziellen Mittel zur Einsamkeitsbekämpfung in Großbritannien aufgestockt. So wurde im April 2020 angekündigt, dass von der Regierung insgesamt 750 Millionen Pfund zur Unterstützung des Wohltätigkeitssektors während der Corona-Pandemie zur Verfügung gestellt würden. Nach Angaben der britischen Regierung sind mehr als 24 Millionen Pfund direkt in die Bekämpfung von Einsamkeit geflossen; 45 Millionen Pfund wurden zur Unterstützung der mentalen Gesundheit der Bevölkerung eingesetzt. Kleinere kommunale Projekte sollten im Rahmen dieses Finanzierungsprogrammes vorrangig bei der Verteilung berücksichtigt werden. Für die finanzielle Unterstützung nationaler Organisationen zur Bekämpfung der Einsamkeit waren insgesamt fünf Millionen Pfund vorgesehen.23 Aus diesem sog. Loneliness Covid-19-Fund erhielten insgesamt neun Organisationen jeweils Beträge zwischen 500.000 und 1.000.000 Pfund.24 Darüber hinaus wurde der sog. Local Connections Fund eingerichtet und mit insgesamt vier Millionen Pfund ausgestattet. Initiativen zur Verringerung von Einsamkeit, wie z. B. Buchclubs oder Lauf- bzw. Spaziergruppen, können sich im Rahmen des Programms um finanzielle Unterstützung bewerben. Voraussetzung für eine Bewilligung ist, dass die Initiative ein maximales jährliches Einkommen von 50.000 Pfund aufweist; die einzelnen Initiativen können dabei zwischen 300 und 2.500 Pfund erhalten.25 Im Dezember 2020 wurden weitere 7,5 Millionen Pfund zur Bekämpfung der Einsamkeit während der Corona-Pandemie von der britischen Regierung zur Verfügung gestellt, von denen zwei Millionen Pfund explizit für die Aufstockung des Einsamkeitsfonds vorgesehen waren.26 3.4. Social Prescribing Im Zuge der nationalen Strategie zur Bekämpfung von Einsamkeit in Großbritannien wurde auch die Ausweitung des sog. Social Prescribing vorgesehen. Hierbei handelt es sich um einen Interventionsansatz , durch den von Einsamkeit betroffenen Personen ein (verbesserter) Zugang zu nicht-medizinischen Maßnahmen und Aktivitäten ermöglicht werden soll. Beschäftigte in der 22 Vergleiche hierzu: https://www.gov.uk/government/news/government-launches-plan-to-tackle-lonelinessduring -coronavirus-lockdown sowie Loneliness Annual Report January 2020 vom 20. Januar 2020, abrufbar unter : https://www.gov.uk/government/publications/loneliness-annual-report-the-first-year/loneliness-annualreport -january-2020--2, S. 8. Die bisher veröffentlichten Einsamkeitsreporte der britischen Regierung enthalten auch sog. Case Studies, in denen die Arbeit ausgewählter Projekte zur Einsamkeitsbekämpfung dargestellt wird. 23 Vergleiche hierzu Informationen der britischen Regierung, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/speeches /chancellor-of-the-exchequer-rishi-sunak-on-economic-support-for-the-charity-sector, sowie https://www.gov.uk/government/news/government-launches-plan-to-tackle-loneliness-during-coronavirus-lockdown . 24 Eine Übersicht der unterstützten Organisationen lässt sich abrufen unter: https://www.gov.uk/government /publications/5-million-loneliness-covid-19-grant-fund. 25 Vergleiche hierzu Pressemitteilung vom 9. Dezember 2020, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government /news/community-groups-tackling-loneliness-to-benefit-from-4m-fund. 26 Vergleiche hierzu: https://www.gov.uk/government/news/government-announces-75-million-funding-to-tackleloneliness -during-winter. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 026/21 Seite 11 Primärversorgung, z. B. Ärzte, Gesundheits- und Krankenpfleger oder Sozialarbeiter, haben im Rahmen dieser Maßnahme die Möglichkeit, ihre Patienten an einen sog. Link Worker (teilweise auch als Social Prescriber, Well-Being Coordinator oder Navigator genannt) zu überweisen. Diese spezialisierten Fachkräfte identifizieren gemeinsam mit der betroffenen Personen den Unterstützungsbedarf und die zur individuellen Situation passenden, lokal verfügbaren Angebote zur Verbesserung des individuellen Wohlbefindens. Sie übernehmen auch die Vermittlung der ausgewählten Angebote. Als Angebote kommen dabei neben vielfältigen Gesundheitsförderungsmaßnahmen , Sport- und Bewegungsprogramme oder Angebote zur Ernährungsberatung in Frage; aber auch Sozial-, Schuldner-, Arbeits- oder Wohnberatung oder Gemeinschaftsaktivitäten wie Seniorentanzen , Wandergruppen oder Nachbarschaftsnetzwerke können im Rahmen des Social Prescribing vermittelt werden. Häufig werden Dienstleistungen genutzt, die vom Freiwilligen-, Gemeinschafts- und Sozialunternehmenssektor bereitgestellt werden.27 Beim Social Prescribing handelt es sich um keine im Rahmen der nationalen Strategie zur Bekämpfung von Einsamkeit neu eingeführte Maßnahme. Vielmehr bestehen entsprechende Angebote in Großbritannien bereits seit mehreren Jahren. Großbritannien war damit das erste Land, das ein derartiges Angebot einführte; mittlerweile bestehen auch in anderen Ländern, wie etwa Österreich, Überlegungen hinsichtlich der Einführung des Social Prescribing. Nachdem erste Studien auf einen positiven Effekt entsprechender Angebote hinwiesen, führte das Britische Rote Kreuz einen nationalen Social Prescribing Service ein. Im Rahmen dieses Angebots werden von Einsamkeit betroffene oder bedrohte Personen für einen Zeitraum von maximal zwölf Wochen von einem Link Worker unterstützt. Ankündigungen der britischen Regierung zufolge sollte die Anzahl der Link Worker bis April 2021 erhöht werden. So sollen bis dahin insgesamt 1.000 spezialisierte Fachkräfte zur Verfügung stehen. Inwieweit die Umsetzung dieses Vorhabens bereits realisiert wurde, ist nicht bekannt. Es liegt jedoch eine aktuelle Studie zur Wirksamkeit des Social Prescribing vor. Die vom Britischen Roten Kreuz im Jahr 2020 veröffentlichte Studie28 untersuchte den Einfluss des Social Prescribing Service auf das Vorliegen von Einsamkeit. Hierzu wurden insgesamt 2.250 Personen, die das entsprechende Angebot in Anspruch genommen hatten und für die bereits Daten zum Einsamkeitsempfinden aus früheren Befragungen vorlagen, zu ihrem Einsamkeitsempfinden nach Durchführung des Programms befragt. Insgesamt gaben 1.634 Personen und damit circa 73 Prozent der Befragten an, sich nach der Inanspruchnahme des Programms weniger einsam zu fühlen. Der anhand der UCLA-Skala ermittelte durchschnittliche Einsamkeitswert reduzierte sich um 1,84 Punkte. Nach Angaben der Autoren deutet die Reduzierung auf einen positiven Effekt des Programms im Hinblick auf die Reduzierung von Einsamkeit hin. Auch seien mit 27 Ausführlichere Informationen zum Social Prescribing finden sich bei Haas, Sabine (u. a.) (2019), Fact Sheet Social Prescribing, abrufbar unter: https://goeg.at/sites/goeg.at/files/inline-files/Fact%20Sheet_Social%- 20Prescribing_2019.pdf. Weitere Informationen zu dieser Maßnahme in deutscher Sprache lassen sich abrufen unter: AIHTA - “Social Prescribing”: eine Möglichkeit medizinische und soziale Leistungen zu integrieren. 28 Foster, Alexis (u. a.) (2020), Impact of social prescribing to address loneliness: A mixed methods evaluation of a national social prescribing programme, abrufbar unter: Impact of social prescribing to address loneliness: A mixed methods evaluation of a national social prescribing programme (wiley.com). Eine Einschätzung des Britischen Roten Kreuzes zur Wirksamkeit des Social Prescribing ist abrufbar unter: https://www.redcross.org.uk/- about-us/news-and-media/media-centre/press-releases/social-prescribing-is-a-vital-part-of-treatment-to-tackleloneliness . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 026/21 Seite 12 einer Erhöhung des Wohlbefindens und einer gesteigerten Zufriedenheit bei den Befragten weitere positive Effekte feststellbar. Im Rahmen der Studie wurde darüber hinaus der monetäre Nutzen des Programms untersucht. Die entsprechenden Berechnungen ergaben danach für jedes investierte Pfund einen sozialen Gewinn in Höhe von 3,42 Pfund. ***